Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess Studie zur inhaltlichen und formalen Gestaltung des sozialen, politischen, ökonomischen und technologischen Kontextes im Ausstellungskonzept des Modellversuchs „VISUBA“ Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess Studie zur inhaltlichen und formalen Gestaltung des sozialen, politischen, ökonomischen und technologischen Kontextes im Ausstellungskonzept des Modellversuchs „VISUBA“ Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie, genehmigt durch den Fachbereich 12, Erziehungswissenschaften und Soziologie, der Universität Dortmund 2006 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess. Studie zur inhaltlichen und formalen Gestaltung des sozialen, politischen, ökonomischen und technologischen Kontextes im Ausstellungskonzept des Modellversuchs „VISUBA“ Dortmund (Diss.) 2006 (zugl. 2., korrigierte Auflage des Materialbandes 3 zum BLK-Modellversuch „VISUBA“, München 2004, Verlag Alfred Hintermaier; ISBN 3-88917-152-4) Hauptberichterstatter: Prof. Dr. Günter Pätzold 2. Berichterstatter: Prof. Dr. Peter Vogel Tag des Rigorosums: 4. Juli 2006 Prüfungskommission: Prof. Dr. Günter Pätzold (Vorsitzender) Prof. Dr. Peter Vogel Prof. Dr. Friedrich Stallberg Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detail- lierte bibliografische Daten sind im Internet verfügbar unter der Adresse: http://dnb.ddb.de Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen oder vollständigen Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, auf Datenträgern oder im Internet und der Übersetzung, vorbehalten. Vorwort Zum Gelingen dieser Studie haben viele Personen beigetragen, denen ich dafür sehr herzlich danke. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Günter Pätzold, der als Doktorva- ter die inhaltliche Betreuung dieser Untersuchung verantwortlich übernommen und sich mit viel Engagement und Verständnis für meine berufliche Situation dafür ein- setzt hat, dass die Arbeit im Frühjahr 2006 vom Fachbereich 12 der Universität Dortmund als Dissertation angenommen wurde. Danke auch den beiden weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission, Herrn Prof. Dr. Peter Vogel und Herrn Prof. Dr. Friedrich Stallberg. Darüber hinaus gebührt mein Dank all jenen Mitgliedern der Steuerungsgruppe des Modellversuchs VISUBA, die mich ermuntert haben, die weit gespannte Thematik mit der gewählten Methode weiter zu verfolgen und das Manuskript in der vorliegenden Form auszubauen. Besonders hervorheben aus dieser Gruppe möchte ich Herrn Dr. Willi Maslankowski, dem ich vor allem zum 2. Kapitel zahlreiche wertvolle Hinweise verdanke. Danke sage ich auch den Kollegen Burkhard Küster und Hans Bux vom Bayerischen Institut für Schulqualität und Bildungsforschung für die hervorragende Zusammenar- beit. Sie haben nicht nur den Modellversuch VISUBA qualifiziert geleitet und zu einem erfolgreichen Abschluss geführt, sondern auch mein Vorhaben stets solidarisch un- terstützt und gefördert. Ausdrücklich danken will ich auch meinem Arbeitgeber, der LHS München und hier vor allem dem Schulreferat, das mich zum Modellversuch VISUBA abgeordnet und teilweise von der Unterrichtsverpflichtung freigestellt hat. Ohne diese Arbeitsentlas- tung wäre eine Studie solchen Umfangs nicht möglich gewesen. Und last but not least möchte ich hervorheben, dass diese Arbeit ohne die Unterstüt- zung durch meine Frau, Waltraud Wohlmann-Dandl, nicht entstanden wäre. Sie hat von Anfang an meine Entscheidung, die Studie in dieser sehr zeitaufwändigen Form zu erstellen, solidarisch mitgetragen, obwohl sie dafür viel von unserer gemeinsamen Zeit opfern musste. Darüber hinaus hat sie als kritische Lektorin auch wesentlich an der Erstellung der Endfassung mitgewirkt. Herzlichen Dank für alles! Titelbild (Umschlag): „Labor improbus omnia vincit“. Kup- ferstich von WOLFGANG KILIAN, 1621 (Türk 2000, 129) Zitate rechts (Seite 9): otium-bremen.de und Friedell 1976, 4 „In einer vernünftigen Gesellschaft verändert der Begriff der Arbeit seinen Sinn.“ MAX HORKHEIMER „Daß die Dinge geschehen, ist nichts: daß sie gewusst werden, ist alles.“ EGON FRIEDELL Inhalt [ 11 ] Inhalt Inhalt....................................................................................................................................................................... 11 Vorbemerkung...................................................................................................................................................... 13 0.1 Ziele und Methodik............................................................................................................................ 18 0.2 Periodisierung ..................................................................................................................................... 24 0.3 Museologische Prämissen ................................................................................................................. 29 0.3.1 Objektorientierung.............................................................................................................. 29 0.3.2 Besucheraktivierung............................................................................................................ 33 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf ................................................................................................................... 37 1.1 Arbeit.................................................................................................................................................... 37 1.2 Beruf..................................................................................................................................................... 48 1.3 Visualisierung (Leitobjekte: Faustkeil und „Ötzi“)....................................................................... 55 1.3.1 Zentralbereich...................................................................................................................... 55 1.3.2 Insellösung im DM ............................................................................................................. 59 1.3.3 Leitziele der Visualisierung ................................................................................................ 60 1.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 1............................................................ 62 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.)................................................................................. 63 2.1 Ägypten................................................................................................................................................ 66 2.1.1 Arbeitskoordination............................................................................................................ 66 2.1.2 Berufsdifferenzierung ......................................................................................................... 69 2.2 Griechische und römische Antike ................................................................................................... 73 2.2.1 „Arbeiten hieß Sklave der Notwendigkeit sein“............................................................. 75 2.2.2 „Für jeden Handwerker ein einziges Gewerbe“............................................................. 87 2.3 Visualisierung (Leitobjekt: Pyramide) ............................................................................................. 97 2.3.1 Zentralbereich...................................................................................................................... 97 2.3.2 Insellösung im DM ........................................................................................................... 100 2.3.3 Leitziele für die Visualisierung ........................................................................................ 100 2.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 2.......................................................... 102 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) ................................................................................................... 103 3.1 Arbeit.................................................................................................................................................. 105 3.1.1 „Die Bauern sind Sclaven“ .............................................................................................. 110 3.1.2 „Ora et labora“ .................................................................................................................. 112 3.1.3 „Stadtluft macht frei“ ....................................................................................................... 117 3.2 Beruf................................................................................................................................................... 125 3.2.1 „Artes mechanicae“........................................................................................................... 125 3.2.2 „Des alten Handwerks Recht und Ehre“ ...................................................................... 128 3.2.3 „Ars sine scientia nihil est“.............................................................................................. 136 3.3 Visualisierung (Leitobjekte: Dreschflegel vs. Buch) ................................................................... 140 3.3.1 Zentralbereich.................................................................................................................... 140 3.3.2 Insellösung im DM ........................................................................................................... 144 3.3.3 Leitziele der Visualisierung .............................................................................................. 144 3.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 3.......................................................... 145 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800)............................................................................................. 147 4.1 Arbeit.................................................................................................................................................. 151 4.1.1 „Labor omnia vincit improbus“...................................................................................... 151 4.1.2 „Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, oh Herr“................................................ 162 4.1.3 „Aus den Mönchszellen heraus“..................................................................................... 172 4.1.4 „Sapere aude!“.................................................................................................................... 177 4.1.5 „Die Welt als Uhr“............................................................................................................ 190 4.1.6 „Proto-Industrialisierung“ ...............................................................................................197 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 12 ] 4.2 Beruf....................................................................................................................................................208 4.2.1 „Beruff ist also eine Pflicht“.............................................................................................208 4.2.2 „Vermaledeyte und verffluchte zünffte“........................................................................212 4.2.3 „Trennung in zwei Körperwelten“..................................................................................216 4.3 Visualisierung (Leitobjekt: eiserne Räderuhr)...............................................................................219 4.3.1 Zentralbereich.....................................................................................................................219 4.3.2 Insellösung im DM............................................................................................................224 4.3.3 Leitziele der Visualisierung...............................................................................................225 4.3.3 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 4 ..........................................................226 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) .....................................................................................................227 5.1 Arbeit ..................................................................................................................................................231 5.1.1 „Verlorene Welten“ ...........................................................................................................231 5.1.2 „Industrievolk im Kleide des Agrarstaates“...................................................................238 5.1.3 „Conditio humana“............................................................................................................246 5.1.4 „Die Teilung der Arbeit“..................................................................................................260 5.1.5 „Zentralort industrieller Arbeit“......................................................................................268 5.1.6 „Ihr habt die Macht in Händen“ .....................................................................................277 5.1.7 „Deutsche Arbeit“ .............................................................................................................294 5.2 Beruf....................................................................................................................................................318 5.2.1 „Kurssturz in der Wertung des Berufs“.........................................................................318 5.2.2 „Die Wendung vom Fach zum Beruf“...........................................................................322 5.2.3 „Der Beruf ist eine Funktion der Gemeinschaft“ ........................................................329 5.2.4 „Leistungen für die menschliche Bildung“....................................................................340 5.3 Visualisierung (Leitobjekt: Elektromotor) ....................................................................................352 5.3.1 Zentralbereich.....................................................................................................................352 5.3.2 Insellösung im DM............................................................................................................357 5.3.3 Leitziele der Visualisierung...............................................................................................358 5.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 5 ..........................................................359 6 Zukunft von Arbeit und Beruf ......................................................................................................................361 6.1 Arbeit ..................................................................................................................................................367 6.1.1 „Ideenökonomie der Wissensarbeiter“...........................................................................369 6.1.2 „Feminisierung der Arbeit und postmaterielle Werte“................................................374 6.2 Beruf....................................................................................................................................................377 6.2.1 „Das berufsorientierte Normalarbeitsverhältnis geht zu Ende“ ................................377 6.2.2 „Ohne Muße keine (berufliche) Bildung“......................................................................385 6.3 Visualisierung (Leitobjekt: Computer)...........................................................................................390 6.3.1 Zentralbereich.....................................................................................................................390 6.3.2 Insellösung im DM............................................................................................................391 6.3.3 Leitziele der Visualisierung...............................................................................................393 6.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 6 ..........................................................395 7 Zusammenfassung...........................................................................................................................................397 8 Verzeichnis der Bilder und Tabellen.............................................................................................................409 9 Quellen und Literatur......................................................................................................................................413 Vorbemerkung [ 13 ] Vorbemerkung „Die Organisation eines Museums, das durch Erkennen bilden will, ist nichts anderes als eine Lehrplan-Konstruktion, nur daß hier die Kon- struktion nicht wie in den Schulen mit dem Schatten der Dinge, den Worten, sondern mit den Dingen selbst arbeitet.“ GEORG KERSCHENSTEINER (1854-1932) 1 Sie war und ist auch zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit ein Desiderat: die informative, multimedial und publikumswirksam gestaltete Zusam- menschau der Entstehungsgeschichte und -bedingungen sowie der aktuellen Strukturen des Berufsbildungssystems in Deutschland. Um dieses Manko zu beheben, wurde 1999 das bayerische Staatsinstitut für Schulqualität2 und Bil- dungsforschung (ISB) in München mit der Durchführung eines BLK-Modellver- suchs betraut und als Zielsetzung vorgegeben, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museum München (DM) bis zum September 2004 die Konzeption für eine Dauerausstellung im DM zu entwickeln, die mittels moderner Präsentations- technik und orientiert an zeitgerechten museumspädagogischen Standards so- wohl die historische Entstehung als auch die aktuelle Situation der Berufsbildung in Deutschland visualisiert. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und von der Landeshauptstadt München, nahm der Modellversuch VISUBA (Visualisierung von Entstehung und Entwicklung der Berufsausbildung in Deutschland - Konzept und erste Pilotprojekte im Deutschen Museum München) am 1. Oktober 1999 seine Arbeit auf. Unter fachlicher Beratung durch die berufs- 1 Kerschensteiner 1929, 40 Hinweis zur Zitierweise: Eigennamen von PERSONEN werden, außer in Belegen, in der ganzen Arbeit ausnahmslos in KAPITÄLCHEN formatiert, Titel von Publikationen und Namen von Institutionen, von mir als Primärquellen klassifi- zierte Textstellen sowie Zitate im Zitat sind immer kursiv, sämtliche Hervorhebungen auch in Zitaten stets fett ge- setzt. Von mir in Zitaten hervorgehobene Stellen sind ausdrücklich gekennzeichnet. Diese Schreibweisen und For- matierungen werden durchgängig so verwendet, auch wenn sie dadurch vom Original abweichen. Die Rechtschrei- bung folgt den neuen Regeln, die Zitate werden in der originalen Orthografie übernommen. Die Angabe der Fund- stelle für Zitate aus digitalen Quellentexten (CD-ROM) verweist immer auf die dort in der Konkordanz genannten Seiten der für die Digitalisierung verwendeten gedruckten Originalausgabe. 2 Das damals noch als „Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung München“ firmierte. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 14 ] und wirtschaftspädagogischen Fakultäten der Universitäten Hamburg, Dortmund, Frankfurt, Karlsruhe und Magdeburg entwickelte der Modellversuch in seiner ersten Arbeitsphase sowohl die inhaltliche Grundstruktur für die Ausstellung als auch ein Konzept für deren Integration in das DM, die auf diesen drei strukturel- len Prämissen basieren: • Exemplarisches Prinzip: Konzentration auf die zentralen Aspekte und Themenfelder des Gesamtkomplexes sowie pragmatische Auswahl der in der Ausstellung präsentierten Berufsbereiche, orientiert einerseits an den thematischen Vorgaben des DMs sowie andererseits an den personellen Ressourcen des Modellversuchs; • Dezentrales Prinzip: Gestaltung der Kernthemen VISUBAs in einem ca. 300 m2 umfassenden „Zentralbereich“ im derzeit neu entstehenden Zentrum für neue Technologien (ZNT) im DM (vgl. u. Bild 2, S. 17 sowie Bild 6 und Bild 7, S. 28) und Verknüpfung mit einzelnen Abteilungen des DM (interne Dezent- ralisierung oder „Insel-Konzept“) sowie Kooperation mit anderen Museen und Institutionen (externe Dezentralisierung); • Modulares Prinzip: Gliederung der Gesamtthematik und ihrer zentralen As- pekte in einzelne operable Module, die man je nach Bedarf austauschen, er- gänzen oder sogar auf „Wanderschaft“ (Wanderausstellung) schicken kann. Ergebnisse dieser ersten analytisch-konzeptionellen Phase des Modellversuchs waren erstens die Präzisierung der Ausstellungsthematik, zweitens die Struktu- rierung in drei Module sowie drittens deren Differenzierung in folgende einzelne Arbeitsthemen (vgl. u. Bild 2, S. 17): • Modul 1: Arbeit, Beruf, Lernen und Bildung im gesellschaftlichen Wandel 1.1 Der arbeitende und lernende Mensch 1.1.1 Arbeit und Beruf im historischen Prozess 1.1.2 Arbeiten und Lernen im gesellschaftlichen Wandel 1.1.3 Gesellschaftliche Bewertung beruflicher Bildung 1.2 Theorien und Prinzipien beruflicher Bildung 1.2.1 Bedeutende Theoretiker der Bildung und Berufsbildung 1.2.2 Ziele, Prinzipien und Funktionen beruflicher Bildung Vorbemerkung [ 15 ] • Modul 2: Entwicklung und Struktur der Berufsbildung in Deutschland 2.1 Strukturen 2.1.1 Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf 2.1.2 Aktuelle Strukturen beruflicher Bildung in Deutschland 2.1.3 Internationalisierung beruflicher Bildung 2.2 Info-System Integration von Berufsinformationssystemen und Datenbanken zur be- ruflichen Aus- und Weiterbildung in das Gesamtkonzept • Modul 3: Exemplarische Visualisierung einzelner Berufsbereiche 3.1 Agrarwirtschaft: Agrarwirtschaft und Umweltschutz 3.2 Metalltechnik: Fertigung und Fahrzeuge 3.3 Luftfahrt: Flugtechnik 3.4 Elektrotechnik: Energie und Telekommunikation 3.5 Druck und Medien: Drucktechnik und Neue Medien 3.6 Wirtschaft: Verwaltung und Handel Bild 1: Entwurf der Fa. HASLBECK für die räumliche Umsetzung des vom Modellversuch VISUBA entwickelten Ausstellungs- konzepts zur Entstehung, Entwicklung und Struktur der Berufsausbildung in Deutschland (Haslbeck 2004) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 16 ] Während der zweiten Arbeitsphase des Modellversuchs stand die Aufgabe im Vor- dergrund, die einzelnen Themen dieser drei Module inhaltlich zu füllen. Dazu wurden die Arbeitsthemen jeweils einer Autorin oder einem Autor zur verantwortlichen Gestal- tung mit der Maßgabe übertragen, für den entsprechenden Themenbereich eine Konzeption zu entwerfen, die folgende drei methodisch-didaktischen Prämissen berücksichtigt: • Wissenschaftlichkeit: Einhaltung wissenschaftlicher Standards bei der Ma- terialrecherche und -analyse sowie der Ergebnispräsentation. • Zielgruppenorientierung: Inhaltliche und formale Orientierung zum einen an den Publikumsstrukturen des DM (vgl. dazu Blahut/Klein 2003) und zum anderen an folgenden Zielgruppen: Schüler und Schülerinnen aller Schular- ten, Auszubildende, (Lehramts-)Studenten und wissenschaftlich Interessier- te, fortbildungsinteressierte Lehrkräfte und Ausbilder/innen, an Geschichte und Struktur des Berufsbildungssystems interessierte Besucher/innen aus dem In- und Ausland. • Besucheraktivierung: Interaktive Gestaltung der Ausstellungskommunika- tion orientiert an der Zielgruppenorientierung mittels multimedialer Elemente wie Hands-on-Installationen, Vorführungen, Simulationen, PC-Spiele, Eigen- erprobungen, Experimente u. v. m. Vorbemerkung [ 17 ] Bild 2: Strukturierung der geplanten Ausstellung im Deutschen Museum in Module und Einzelthemen (Dandl 2004) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 18 ] 0.1 Ziele und Methodik Mit seiner 1999 publizierten Ideenskizze „Überlegungen zu einem Museumspro- jekt“ hat DIETER MÜNK das Ausstellungsprojekt VISUBA der Öffentlichkeit vorge- stellt und dort unter anderem die These begründet, die zu erarbeitende Konzep- tion müsse vor allem die besondere Bedeutung der zentralen Kategorien „Arbeit und Beruf“ berücksichtigen: „Berufsausbildung ist per definitionem eng gekoppelt an die Kategorien Arbeit und Beruf. Denn beide sind nicht nur gesellschaftlich vermittelt, sondern hochgradig abhängig von den sozio-ökonomischen Rah- menbedingungen, innerhalb derer menschliche Arbeit geleistet wird. Eine syn- chrone Analyse der Berufsausbildung als Teil dieser beiden Kategorien kommt daher - empirisch formuliert - nicht umhin, die gesellschaftlichen Rahmenbedin- gungen eines solchen Teilprozesses, innerhalb derer menschliche Arbeit geleis- tet wird, […] im Range unabhängiger Variablen zu betrachten. […] Eine solcher- maßen verstandene ‚Geschichte der Berufsausbildung’ muß daher ihre wichtig- sten sozio-ökonomischen Bezugskategorien Arbeit und Beruf mitsamt ihrer di- daktischen Vermittlung zu ihrem Zentrum machen“ (Münk 1999, 448 f.). Als Konsequenz dieser Prämisse, dass Ursprung und Wandel von Arbeit und Beruf im Kontext von Lernen und Qualifizierung Kernthemen der geplanten Ausstellung sein müssen, wurde in der Gesamtkonzeption VISUBAs dem Modul 1 (vgl. o. Bild 2, S. 17) die Funktion zugewiesen, inhaltliche und formale Visualisie- rungsmöglichkeiten für das Themenfeld „Arbeit, Beruf, Lernen und Bildung im gesellschaftlichen Wandel“ zu entwickeln. Der vorliegenden Studie als eines der fünf Teilkonzepte des Moduls 1 kommt darin die Aufgabe zu, den Wandel von „Arbeit und Beruf im historischen Prozess“ darzustellen und zugleich „Vorschläge für die inhaltliche und formale Gestaltung des sozialen, politischen, ökonomi- schen und technologischen Kontextes im Ausstellungskonzept des Modellver- suchs VISUBA“ in Umrissen zu skizzieren. Daraus wiederum ergeben sich für die folgenden Ausführungen drei grundlegende Funktionen: • Erstens soll diese Studie die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ver- ändernden Kategorien Arbeit und Beruf in Beziehung setzen zu den sozio- ökonomischen Rahmenbedingungen. Vorbemerkung [ 19 ] • Zweitens soll sie grundlegendes Quellen- und Bildmaterial, Daten und Fak- ten für die Ausstellungsgestaltung ermitteln und so aufbereiten, dass diese mit möglichst geringem Aufwand in die Ausstellung integriert werden können. • Drittens soll sie Vorschläge unterbreiten, mit welchen Mitteln und Methoden das ausgewählte Material in das Visualisierungskonzept der Ausstellung eingearbeitet werden kann. Aus dieser dreifachen Zielsetzung folgt, dass nur der theoretische Teil der Stu- die, der ja auch sozio-ökonomische Ba- sisdaten für eine Reihe der übrigen Teil- konzepte bereitzustellen hat, inhaltlich und formal unabhängig gestaltet werden kann, während der ausstellungsprakti- sche Teil der Realisierungsvorschläge, um Redundanzen so weit wie möglich zu vermeiden, einer präzisen Abstimmung mit den anderen Teilkonzepten VISUBAs bedarf. Deshalb wird in den folgenden Ausführungen an den Stellen, wo sich In- terdependenzen mit einem anderen Thema des VISUBA-Gesamtkonzepts ergeben, auf eine detaillierte Ausarbei- tung eigener Realisierungsvorstellun- gen in der Regel verzichtet und auf das entsprechende Einzelkonzept des The- menkatalogs verwiesen. Die Themenstellung setzt der vorliegenden Studie einen zeitlich und inhaltlich ebenso anspruchsvoll wie weit gesteckten Rahmen, geht es doch in diesem Teil- konzept um die Arbeits- und Berufsgeschichte3 in Deutschland von den An- fängen bis zur Gegenwart. Was dies heißt, wird sofort klar, wenn man sich ver- 3 Zur Präzisierung der im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Begriffe „Arbeit“ und „Beruf“ vgl. u. „1 Ursprünge von Ar- beit und Beruf“, S. 37 ff. Bild 3: Museale Rauminszenierung im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim durch Integration von Architektur und Objekten (Landesmuseum 2001, 111) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 20 ] gegenwärtigt, welche Bedeutung der Kategorie Arbeit als „Grundphänomen des menschlichen Daseins“ (Fink 1995) für die Menschheitsgeschichte zugeschrie- ben wird. So beginnt z. B. ARNE EGGEBRECHT seine Studie zur „Geschichte der Arbeit“ mit der Feststellung: „Die Arbeit ist eine bewußte und zielgerichtete Tätig- keit, in ihrem Resultat ist die Vorstellung des arbeitenden Menschen verwirklicht. Wenn man bedenkt, daß die Arbeit die Reproduktion menschlichen Lebens si- chert und die Entwicklung der Arbeit einen maßgeblichen Einfluß auf den sozia- len, ökonomischen und zivilisatorischen Bereich ausübt und dessen Verände- rung bewirkt, dann stellt die Geschichte der Menschheit sich vornehmlich als ei- ne Geschichte der Arbeit dar“ (Eggebrecht 1980, 14). In diesem Urteil ist sich die Forschung also einig: „Arbeit ist eine fundamentale historische Kategorie“ (Kran- kenhangen 1987, 50); und Einigkeit besteht allem Anschein nach auch darin, dass menschliche Arbeit aufgrund bereits sehr früh in der Evolutionsgeschichte der Menschheit einsetzender und spätestens seit der neolithischen Revolution auch materiell nachweisbarer Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesse (Arbeitsteilung) zu einem erheblichen und im Lauf der Entwicklung zunehmenden Teil in Form von Berufsarbeit geleistet wurde. Deshalb muss eine Geschichte der Arbeit zum großen Teil auch eine Berufsgeschichte sein, die ein „Span- nungsfeld vielfältiger Wirkkräfte“ (Bolte 1988, 9) abzudecken hat. Zieht man nun weiter ins Kalkül, dass Qualifizierung und somit auch Lehre und Lernen wohl von Anfang an konstituierende Kategorien des Berufsbegriffs wa- ren, so folgt daraus, dass auch die Berufsbildungsgeschichte ein zentraler As- pekt einer Geschichte der Berufe und somit integraler Bestandteil einer Sozial- geschichte der Arbeit ist. So verstanden ist diese Studie also in erweitertem Sinne dem wesentlich von KARLWILHELM STRATMANN (1930-1997) entwickelten Forschungsansatz einer „Sozialgeschichte der Berufsbildung“ verpflichtet: „Die- sem Ansatz zufolge wird Berufsbildungsgeschichte weder als eine bloße Institu- tionsgeschichte der Lernorte Betrieb und Berufsschule verstanden, noch auf eine Ideengeschichte des von Pädagogen verwendeten Berufsbegriffs verkürzt. Statt dessen wird von den Vertretern einer ‚Sozialgeschichte der Berufsbildung’ die Geschichte der Berufsausbildung und ihrer Theorie als Teil einer sozialen Ge- Vorbemerkung [ 21 ] schichte der Arbeit analysiert und interpretiert“ (Kipp 2000, 60).4 In diesem Sinne versteht sich der hiermit vorgelegte Längsschnitt durch die Arbeits- und Berufsge- schichte auch als Beitrag zur historischen Berufsbildungsforschung in der Traditi- on jener Aufgabe, die von der emeritier- ten Frankfurter Berufspädagogin, INGRID LISOP, 1989 anlässlich des 2. Berufspäd- agogisch-historischen Kongresses in Frankfurt der historischen Forschung ge- stellt wurde, „nämlich eingehender her- auszuarbeiten, wie sich denn […] das Verhältnis nicht so sehr von Bildung und Beruf, sondern von Arbeit und Beruf dar- gestellt hat“ (Lisop 1990, 39). Setzt man nun die sich daraus erge- bende umfassende Thematik dieser Studie in Relation zur der für ihre Aus- arbeitung zur Verfügung stehenden Zeit, so wird klar, was vom Folgenden nicht erwartet werden darf: Die vorgelegte Arbeit kann und will keine den gesam- ten Zeitraum lückenlos abdeckende so- wie das komplexe Thema erschöpfend darstellende Arbeits- und Berufsge- schichte sein. Da der Erkenntnisge- genstand zudem in sehr unterschiedli- che, einander überschneidende sozial- und naturwissenschaftliche Felder aus- greift und damit eine integrative Berücksichtigung zahlreicher Wissenschaftsdiszi- plinen erforderlich macht, die sich mit dem Problem menschlicher Arbeit beschäf- tigen, kann es hier auch nicht darum gehen, die weit verzweigte und umfangreiche 4 Am Rande sei angemerkt, dass das Themenfeld Geschichte der Berufsbildung in der 1990 erschienenen Denkschrift der Senatskommission zur Situation der Berufsbildungsforschung bei der Aufzählung der wichtigen förderungswür- digen Forschungsbereiche noch nicht erwähnt wird (vgl. Senatskommission 1990). Zur derzeitigen Situation der his- torischen Berufsbildungsforschung vgl. Büchter/Kipp 2003, die zwar eine in den 90er Jahren beginnende „massive Kri- se“ und „sukzessive Demontage berufspädagogischer historischer Forschung“ (302) diagnostizieren, am Ende aber zu dem Resümee gelangen, dass die Krise derzeit von „einer unerwarteten Produktivität abgelöst wird“ (318). Bild 4: Informative Ausstellungskommunikation. Gestaltungs- möglichkeit für eine Informationsstele mit integriertem Terminal. Eine Stehhilfe ermöglicht ermüdungsfreies „Stöbern“ im Com- puter (Nowak/Teufel 2001, 73). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 22 ] Forschungsliteratur aller tangierten Disziplinen wie der Arbeits- und Berufsgeschich- te, der Technik- und Rechtsgeschichte, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Kultur- und Mentalitätsgeschichte oder auch der Anthropologie, der Psychologie, der Pädagogik, der Philosophie, der Soziologie, der Theologie, der Museologie - um nur die Wichtigsten zu nennen - in toto zu sichten, inhaltlich auszuwerten und den jewei- ligen Forschungsstand exakt zu skizzieren sowie zu kategorisieren. Da es andererseits keinesfalls damit getan sein kann, lediglich isolierte Ge- schichtsdaten kompilatorisch aneinander zu reihen oder das Wirken einzelner großer Persönlichkeiten allein ins Blickfeld zu rücken, stellt das Folgende den Ver- such dar, unter Einbeziehung zeitgenössischer Reflexionen langfristige Prozesse, deren markante Wendepunkte sowie die daraus entstehenden Strukturen her- auszupräparieren (vgl. dazu Bauer/Matis 1989, 10 f.). Auf der Basis dieser inter- disziplinär-integrativen, Fachgrenzen überschreitenden Perspektive und unter Be- rücksichtigung der oben skizzierten Funktionen dieser Studie im Rahmen des VI- SUBA-Konzepts, kann die Aufgabenstellung also nur darin bestehen, unter Ein- beziehung ausgewählter gedruckter Quellen und Primärtexte5, ergänzt durch neu- este - wo nötig auch kontroverse - Forschungsergebnisse auf der Basis gesicher- ten Handbuchwissens die für das gesamte Ausstellungskonzept bedeutsamen Grundlinien der Entwicklung mit kräftigen, charakterisierenden, didaktisch auf ih- ren wesentlichen Kern reduzierten Strichen herauszuarbeiten. Dabei gilt es auch die spezifischen Überlieferungsprobleme der vorindustriellen Epochen ins Kalkül zu ziehen, um überlieferungsbedingte Fehler möglichst klein halten zu können. KU- CHENBUCH/SOKOLL haben in ihren „Überlegungen zur Arbeit im vorindustriellen Eu- ropa“ auf folgende Problemfelder aufmerksam gemacht, die in mancher Hinsicht auch für Quellen neueren Datums gelten: • Die Autoren der schriftlichen und bildlichen Überlieferung waren in der Regel nicht jene, die selbst der entsprechenden Tätigkeit nachgingen, sondern standen in der gesellschaftlichen Hierarchie meist über diesen. Ihre Aussa- gen entspringen also deren standesspezifischem Wertekanon. 5 Wie eingangs dargelegt, ist eine der zentralen Aufgaben dieser Untersuchung, aussagekräftiges, für eine Visualisierung ge- eignetes Material für die Gestaltung einer Ausstellung zu eruieren, auszuwählen und für die Umsetzung aufzubereiten. Deshalb werden wichtige Stellen aus Quellen und Primärtexten oft auch in längeren Passagen zitiert und durch Hinwei- se auf geeignetes Bildmaterial ergänzt. Auf Archivarbei uss wegen des enormen Zeitmangels weitgehend verzichtet werden, sie ist aus meiner Sicht zur Lösung der Aufgabenstellung auch gar nicht zwingend erforderlich. Vorbemerkung [ 23 ] • Gegenstand und Ziel der Überlieferung waren üblicherweise nicht die Dar- stellung der Arbeitenden oder gar des Arbeitsvorganges, sondern ein ganz anderer kultureller, rechtlicher oder sozialer Zusammenhang. • Die zu interpretierenden Quellen und Realien gehören meist in heute völlig unbekannte, gegenwärtigen Menschen absolut fremd erscheinende Sinnzu- sammenhänge, die nur mittels eines erheblichen Erläuterungsaufwandes für eine Arbeitsgeschichte fruchtbar gemacht werden können. • Eine wesentliche Hürde stellen auch die auf der zeitlichen, regionalen und kulturellen Entfernung beruhenden Probleme der unterschiedlichen Überlie- ferungssprachen dar. • Nicht zuletzt gilt: Vieles ist nur als Fragment herübergekommen in die heuti- ge Zeit, weil oft wesentliche Teile des Werkes selbst fehlen und/oder der Be- zugspunkt nicht überliefert ist (vgl. Kuchenbuch/Sokoll 1990, 26 ff.). Angesichts der skizzierten Dimension meines Arbeitsbereichs muss inhaltlich na- türlich handfest reduziert, oft auch ganz weggelassen werden, analytisch-syste- matische Tiefenbohrungen sind deshalb nur an sehr markanten Wendepunkten möglich. Thema und Aufgabenstellung erfordern nach meiner Überzeugung eine methodische Offenheit, wie sie der Kunst-, Architektur- und Kulturhistoriker SIGFRIED GIEDION (1888-1968) in seinem 1948 publizierten Œuvre „Mechanizati- on Takes Command“ metaphorisch umschrieben hat: „Anonyme Geschichte ist vielschichtig, verschiedenste Gebiete fließen ineinander, und es ist schwer, sie zu trennen. Das Ideal anonymer Geschichtsdarstellung wäre, die verschiedenen Facetten simultan nebeneinander zu zeigen und gleichzeitig ihren Durchdrin- gungsprozeß zu verfolgen. Der Natur gelingt dies, wenn sie in den vielen Facet- ten eines Insektenauges die Bilder der Außenwelt zu einem einheitlichen Bild verschmilzt. Die Kraft des Einzelnen reicht dafür nicht aus. Wir müssen zufrieden sein, wenn wir dieses Ziel nur fragmentarisch erreichen“ (Giedion 1987, 21). Vor allem diese letzte Einschränkung möchte ich für meine Studie ausdrücklich re- klamieren. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 24 ] 0.2 Periodisierung Da Arbeit und Beruf dem bisher Gesagten zufolge als grundlegende Determinan- ten menschlicher Geschichte zu klassifizieren sind, leuchtet unmittelbar ein, dass der Blick in die Geschichte nicht allein auf die Entwicklung in Deutschland be- grenzt bleiben darf, sondern sowohl räumlich als vor allem zeitlich sehr viel weiter auszugreifen hat, wenn die zentrale Bedeutung der Kategorien Arbeit und Beruf für die Entwicklung der Spezies Mensch ins rechte Licht gerückt werden soll. Des- halb ist es im Rahmen von VISUBA trotz der vorgegebenen Beschränkung auf die Entwicklung in Deutschland gewiss angemessen, exemplarisch bis zu den An- fängen der Menschheitsgeschichte zurückzugehen. Nicht nur der damit aufge- spannte gewaltige Betrachtungszeitraum vom Beginn der Menschheitsgeschichte bis in unsere Zeit, sondern auch die inhaltliche Dimension des Gegenstandes selbst verlangen zwingend eine Gliederung, die sowohl geeignet ist, die immense Datenfülle sinnvoll zu strukturieren, als auch die oben angesprochenen Gefahren (vgl. o., S. 22 f.) zu reduzieren, ohne die Fakten theoretischen Vorentscheidungen unterzuordnen, die sie unzulässig verkürzen oder gar verfälschen. Vergleicht man zu diesem Aspekt einschlägige Standardwerke zur Geschichte der Arbeit, der Technik oder der Bildung, so bemerkt man häufig das Fehlen konsistenter Perio- disierungskriterien, meist werden zur Strukturierung des Stoffes die Epochen der politischen Geschichte mit denen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Kultur- und Technikgeschichte ohne erkennbares System gemischt.6 Aus systematischen Gründen scheint es mir dagegen angezeigt, die Arbeits- und Berufsgeschichte nicht anhand externer Aspekte zu gliedern, sondern deren Grundstruktur auf ein immanentes Kriterium zu stützen. Die dominante Rolle der Arbeit im historischen Prozess rechtfertigt wohl hinreichend die methodische Ent- scheidung, hierfür die menschliche Arbeit selbst auszuwählen und die im Folgen- den dargestellten Perioden der Arbeits- und Berufsgeschichte nicht an den euro- pazentrierten Epochen traditionellen Geschichtsdenkens, sondern am steten Wandel des Arbeitsbegriffes zu orientieren. Dieser Ansatz berücksichtigt überdies die Kritik der kultur- und technikhistorischen Fachdisziplin, das traditionelle Perio- 6 Als Beispiele hierfür seien genannt FRANS VAN DER VENs „Sozialgeschichte der Arbeit“, FRIEDRICH KLEMMs „Ge- schichte der Technik“ oder auch das „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“ in 6 Bänden (vgl. u. 9 Quellen und Literatur, S. 413 ff.). Vorbemerkung [ 25 ] disierungsschema in Vor- und Frühgeschichte, Altertum, Mittelalter, Neuzeit, neu- este Zeit und Zeitgeschichte sei „für die Technikgeschichte wenig hilfreich“ (Buch- haupt 1999, 154). Auch ohne wissenschaftliche Begrün- dung leuchtet wohl sofort ein, dass das gültige Verständnis von Arbeit zu ei- ner bestimmten Zeit abhängig ist von der Bewertung der ausgeübten Tätig- keit eines Individuums, einer Gruppe, eines Standes, einer Klasse etc. durch die definitionsmächtigen Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. So ist es z. B. „Wertung, wenn unsere wissenschaftli- chen Definitionen der Tätigkeit eines Diebes, der Stunden damit verbringt im Schweiße seines Angesichtes den Tre- sor einer Bank aufzuschweißen, den Charakter der Arbeit absprechen, und dieses Verhalten vom Richter nicht mit Lohn wie die Arbeit, sondern mit Strafe gewürdigt wird. Dabei wird der betreffende Einbrecher durchaus der Meinung sein, harte und für seine Begriffe qualifizierte Arbeit geleistet zu haben. [...] Ob eine Tä- tigkeit Arbeit ist oder nicht, liegt also gar nicht in dieser Tätigkeit selbst begründet, sondern diese Tätigkeit wird erst Arbeit, wenn die Gesellschaft oder einzelne Menschen oder Gruppen ihr diesen Charakter zusprechen, wenn sie sie als Arbeit werten. Ein Berserker von Mann kann den ganzen Tag Holzhacken und kann hin- terher sagen, für ihn sei das gar keine Arbeit gewesen, sondern eine Spielerei, während die Gesellschaft es trotzdem als Arbeit ansieht oder wertet. Nicht die Tä- tigkeit des Holzhackens ist also schon an sich Arbeit. And[e]rerseits haben wir auch den umgekehrten Fall gesehen, daß ein Mensch seine eigene Tätigkeit als Arbeit wertet, während ihr die Gesellschaft diese Wertung entzieht, etwa beim Räuber oder Sportamateur. Man kann also auch gar nicht sagen, daß etwas Arbeit ‚ist’, sondern allenfalls, daß etwas als Arbeit ‚gilt’. Zur Arbeit wird ein Faktum also Bild 5: Handlungsorientierte Ausstellungskommunikation: „Installation mit doppeltem Nutzen: der geschlossene Kasten appelliert an die Neugierde der Ausstellungsbesucher, ist hand- lungsorientiert - außerdem werden die lichtempfindlichen Litho- grafien geschützt“ (Schwarz 2001, 22). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 26 ] erst durch die Wertung. Deshalb ist das Thema Arbeit nicht zu behandeln oh- ne daß das Thema Wertung mitberücksichtigt wird“ (Stahleder 1972, 20 f.; Hervorhebungen von mir. HD.). Betrachtet man den historischen Prozess im Lichte der gesellschaftlichen Umwer- tungsprozesse der Arbeit, so ergibt sich für den in der Ausstellung zu behandeln- den Zeitraum aus meiner Sicht folgende auf der sich ändernden Wertschätzung menschlicher Arbeit basierende Periodisierung, die ihre präzise Begründung in der nachfolgenden Ausarbeitung erfahren wird: 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf (prähistorische Zeit) Leitobjekte: Faustkeil und „Ötzi“ 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.: frühe Hochkulturen und europäische Antike) Leitobjekt: Pyramide 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 – 1500: christliches Mittelalter, Feudalismus) Leitobjekte: Dreschflegel und Buch 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 – 1800: Absolutismus, Aufklärung, Protoindustrialisierung) Leitobjekt: eiserne Räderuhr 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (seit 1800: Kapitalismus, Sozialismus, Mechanisierung, Industrialisierung) Leitobjekt: Elektromotor 6 Zukunft von Arbeit und Beruf (Automatisierung, Globalisierung) Leitobjekt: Computer Zweierlei ist dazu noch anzumerken: Zum einen werden hier die Übergänge von einer Epoche zur anderen noch weniger als in der politischen Geschichte durch ein epochales Ereignis markiert, vielmehr fließen im Wandel des Arbeits- und Be- rufsverständnisses multikausale, die Grenzen traditioneller historischer Zeitab- schnitte oft überspannende und einander überlagernde gesellschaftliche Prozesse zusammen; zum anderen will der im Folgenden für die jeweilige Epoche skizzierte Arbeitsbegriff keineswegs Exklusivität beanspruchen, an keiner Stelle soll also ei- ner Kulturperiode ein durchweg homogenes Arbeitsverständnis unterstellt werden (vgl. Ven 1972, Bd. 1, 9 ff.). Die Konzeption einer Ausstellung, die Geschichte, Struktur und Zukunft der Berufsbil- dung in Deutschland thematisiert, muss meines Erachtens zwingend berücksichtigen, Vorbemerkung [ 27 ] „daß man sich nicht auf eine Geschichte berufspädagogischer Ideen7 zurückziehen kann, sondern von den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst ausgehen und sich immer im Zusammenhang von Gesellschaft und Erziehung im ganzen bewegen muß. Die Akzentuierung einzelner Aspekte darf deshalb auch nicht beliebig vor- genommen werden, weil dadurch dieses Gesamtbild verzerrt würde. Das gilt ins- besondere für die Geschichte der Berufserziehung der jüngeren Neuzeit, seit dem Entstehen des modernen Staates und der Herausbildung rational begründeter Systeme der Wirtschaftsplanung und -führung einerseits und der Entfaltung der modernen, wissenschaftlich begründeten Technik andererseits. All dies bewirkt nämlich seit mehr als zweihundert Jahren eine tiefgreifende Veränderung der ge- werblichen Wirtschaft und der in sie eingebetteten Erziehung des beruflichen Nachwuchses - ein Prozeß, der schon früh als Teil gesamtgesellschaftlicher Umstrukturierungen begriffen wurde und eigentlich nicht aus diesem umfassenden Zusammenhang herausgelöst werden kann“ (Stratmann 1969, XIII; Hervorhebun- gen von mir. HD.). Das Ausstellungskonzept muss demzufolge die Perioden der politischen, sozialen und ökonomischen Geschichte eng verknüpfen mit denen der Technikgeschichte zu einer „Entwicklung der Menschheit als einen mehrstufigen Kulturwandel“ (Selmeier 1984, 11 f.). Demzufolge wird jedes der folgenden sechs Kapitel mit einer theoretischen Einfüh- rung beginnen, in der ich auf der Basis der vorstehend entwickelten Grundsätze den Komplex Arbeit und Beruf in den sozialen, ökonomischen, politischen und technologischen Kontext der jeweiligen Arbeitsbegriffs-Epoche stellen und dabei herausarbeiten werde, welcher gesellschaftliche und individuelle Stellenwert Arbeit und Beruf jeweils beigemessen wurde und welche Bedingungen zur Veränderung der Arbeits- und Berufsauffassung beigetragen haben. Zweierlei wird dabei nicht behandelt werden: zum einen die Entwicklung des materiellen Arbeitsrechts und zum anderen die Darstellung konkreter Arbeitsvollzüge einzelner Tätigkeiten oder Berufe in den verschiedenen Perioden. Letzteres bleibt den Teilkonzepten des Moduls 3 von VISUBA vorbehalten (vgl. o. Bild 2, S. 17). Selbstredend sind die im ersten Abschnitt eines jeden Kapitels präsentierten Tex- te und Illustrationen in der hier vorgelegten Form nicht für eine unmittelbare 7 Dieses Thema wird in folgendem Teilkonzept VISUBAs aufgegriffen, das die bildungsphilosophischen Grundlagen der Theorien der beruflichen Bildung im Wandel der Geschichte herausarbeitet: MASLANKOWSKI, Willi: Bedeutende Theoretiker der Bildung und Berufsbildung. Königswinter 2004 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 28 ] Transformation in museale „Flachware“ gedacht, vielmehr sollen sie zunächst den „Ausstellungsmachern“ als „Steinbruch“ dienen. Das in dieser Studie erarbeitete Material sollte dem Ausstellungspublikum - didaktisch entsprechend aufbereitet - aber auch als vertiefende Hintergrundinformationen an dem zu jeder Epoche ge- hörenden Informations-Terminal als Hypertext-System mit Links zu allen ande- ren Ausstellungsbereichen und zu den externen Ressourcen sowie in Form schriftlicher Handreichungen (themenorientierte Flyer, pädagogisches Arbeitsma- terial, Katalog etc.) zur Verfügung gestellt werden. Bild 6: Die ehemalige „Eisen- bahnhalle“ des Deutschen Mu- seums (Pfeil) wird für das „Zentrum Neue Technolo- gien“ (ZNT) umgebaut. Ein ei- gener Eingang zur Corneliusbrü- cke (außerhalb des linken Bild- randes) wird die Südseite der Insel mit ihren Grünflächen an der Isar zur Stadt hin öffnen und einen di- rekten Zugang zu Sonderausstel- lungen und Abendveranstaltungen ermöglichen (http://www.deut- sches-museum.de). Bild 7: Im Zentrum der Halle wird ein flexibel nutzbarer, offe- ner Veranstaltungsbereich entste- hen, um den sich Ausstellungsflä- chen unterschiedlicher Größe grup- pieren. Die Kernflächen sind für dauerhafte Ausstellungen - u. a. auch VISUBA - vorgesehen, der Rest für wechselnde Ausstellungen und Präsentationen. Das ZNT wird sich auf insgesamt vier Aus- stellungsebenen (einschließlich der im Bild nicht dargestellten großen Sonderausstellungsfläche im Ober- geschoss) präsentieren (http://- www.deutsches-museum.de). Vorbemerkung [ 29 ] 0.3 Museologische Prämissen Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln werden als die Kern- aufgaben eines Museums definiert (vgl. Möllmann 2001, 4). Die Entwicklung des VISUBA-Konzepts hat sich vor allem mit den beiden letzten Funktionen auseinan- derzusetzen und Antworten auf die Fragen zu finden: • Was soll warum und in welcher Form ausgestellt werden? • Was soll warum und mit welchen Mitteln vermittelt werden? 0.3.1 Objektorientierung Erste Prämisse für die museumspädagogische Gestaltung VISUBAs ist meines Erachtens, sowohl ästhetische Apologetik als auch eine Idyllisierung vergange- ner Produktionsverhältnisse tunlichst zu vermeiden. Dies bedeutet, das Konzept an einer Museumsdidaktik und -pädagogik zu orientieren, die aufgrund der Er- kenntnisse und Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ihren Beitrag zur Ausstellung und Vermittlung von Technik- und Sozialgeschichte darin sieht, „die Rolle der Technik in Geschichte und Gegenwart neu zu überdenken und zentrale Proble- me der heutigen Lebens- und Arbeitswelt und des heutigen Umgangs mit Natur historisch aufzuarbeiten“ (Zweckbronner 1993, 370 f.). Dabei ist im Falle VISU- BAs als zweite Prämisse zu berücksichtigen, dass menschliche Arbeit als Abs- traktum direkt gar nicht darstellbar ist, sondern allenfalls als Ergebnis des Ein- satzes von geistiger und körperlicher Arbeitskraft. GERNOT KRANKENHAGEN, Leiter des Hamburger Museums der Arbeit, hat dazu 2001 im Rahmen einer „Tagung zur Darstellung von Geschichte der Arbeit im Museum“ ausgeführt: „Menschliche Arbeit ist ein so komplexes Gebilde, dass jeder Versuch, sie um- fassend dar zu stellen, scheitern muß. Dazu kommen Darstellungsprobleme, wie z. B. kann der Aspekt lebenslangen Arbeitens dargestellt werden? Im Zusam- menhang einer Bergbauausstellung könnte z. B. Kinderarbeit beim Schieben von Loren nachgestellt werden. Es wird aber schnell klar, dass dies den Kindern Spaß machen würde und nur die Aussicht auf zeitlich unbegrenzte Arbeit diese Art Erkenntnis befördern würde. Das aber kann und will ein Museum nicht, oder: Wie sind hierachische [sic!] Systeme, wie ist Stress im Arbeitsprozess begreiflich zu machen? Dazu kommt als grundsätzliches Problem, dass Arbeit selbst ein Prozess ist, dessen Prozesshaftigkeit nur schwer zu vermitteln ist. Viele Proble- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 30 ] me - was also tun? Ich meine, es geht gar nicht um die Darstellung des komple- xen Systems Arbeit, sondern unser Auftrag ist, unsere Besucher/innen einerseits über Zusammenhänge einer bestimmten Produktion zu informieren - und dies möglichst interessant - und anderer- seits durch Versatzstücke zum Nach- denken zu bringen“ (Krankenhagen 2002, 17 f.; vgl. Wörner 1997, 8 ff.). Im Rahmen dieser Untersuchung muss sich die Arbeitsdarstellung auf bildliche Reproduktion beschränken, aber „da Bilder stets geschichtliche menschliche Artefakte sind, können sie auch eine Quelle für historische Studien sein“ (Türk 2003, 10).8 Den Gegenstand musealer Präsentati- on von Arbeit bilden hingegen „in erster Linie Objekte, die Zeugnis ablegen von den Lebens- und Arbeitsbedingun- gen unterschiedlicher Gesellschafts- schichten in Vergangenheit und Ge- genwart - Objekte wie Rohstoffe, Kraft- und Arbeitsmaschinen, Arbeitsplätze, Werkzeuge und Produktionsanlagen, Meßinstrumente, Transport- und Kommunika- tionsmittel, Produkte des Handwerks und der industriellen Massenfertigung oder Gegenstände der Alltagskultur wie Wohnungseinrichtungen, Haushaltsgeräte, Be- kleidung oder Freizeitartikel, um nur einige wichtige Objektgruppen zu nennen. Doch um solche Objekte als Sachzeugen für Lebens- und Arbeitsbedingungen zum ‚Sprechen’ zu bringen, bedarf es in der Regel mehr als nur der gegenständlichen Quelle. Der gegenständliche Befund sollte kombiniert werden mit allen noch verfüg- 8 Zur Darstellung menschlicher Arbeit in der bildenden Kunst vgl. insbesondere Türk 2000, 10 ff. Eine Realisierung des VISUBA-Konzepts sollte sich der Mitwirkung von KLAUS TÜRK, Professor für Soziologie an der Bergischen Universi- tät Wuppertal versichern, denn „er hat das Thema Mensch und Arbeit ein Leben lang studiert und gelehrt“ (Türk 2003, 6). Sein „Projekt ‚Bilder der Arbeit’ läuft seit etwa 20 Jahren. Es dient der Sammlung, Dokumentation und Er- forschung bildlicher Darstellungen menschlicher Arbeit vom Mittelalter bis zur Gegenwart, vornehmlich in Europa. [Der] Schwerpunkt liegt auf der Zeit seit Beginn der Industrialisierung“ (http://orgsoz.uni-wuppertal.de/). Die beiden daraus hervorgegangenen großformatigen Bildbände zu diesem Thema bilden einen schier unerschöpflichen „Steinbruch“ für die bildliche Gestaltung der geplanten Ausstellung. Bild 8: Museale Objektinszenierung „Schweißen“ in der Deut- schen Arbeitsschutzausstellung: Schutzmaske, Buch und Augenmodell vor einer künstlerischen Umsetzung des Themas sensibilisieren für die Gefährdung des Augenlichts durch Schweißarbeit (Kilger/Zumdick 1993, 34). Vorbemerkung [ 31 ] baren zeichnerischen, schriftlichen, bildlichen, filmischen, akustischen oder mündlichen Überlieferungen, die sich auf die untersuchten Objekte und auf deren Herstellung, Gebrauch oder Überlieferung beziehen. Erst dann erfährt man mehr über historische Zusammenhänge als jeder Überlieferungsstrang für sich genom- men erbracht hätte. Deshalb wird die museale Quellenbasis zunehmend über die Objekte hinaus genau durch jene Zeugnisse ergänzt, die Aufschluß über den ob- jektgeschichtlichen Kontext geben. Im Zentrum freilich steht das Objekt als gegenständliche Quelle und als potentielles Ausstellungsstück. Objektbezogene Fragen können sich auf Alter und Material, auf Herstellungs-, Gebrauchs- und Überlieferungsspuren beziehen, bei Arbeitsgeräten und Maschinen auf die naturwissenschaftlich-technische Funktion, auf Kraftbedarf, Leistungsvermögen oder Verschleißverhalten, auf Arbeitsbedingungen und Sicher- heitsrisiken, auf die Ergonomie bei der Handhabung oder auf Merkmale, die Rück- schlüsse etwa auf die Bedienung von Maschinen zulassen und damit auf die Qualifi- kation der Beschäftigten. In gewissem Umfang verfügt man damit auch über die Mög- lichkeit des Experiments - an Originalen sowie an Nachbauten, Modellen oder Rekonstruktionen“ (Zweckbronner 1993, 372 f.; Hervorhebungen von mir. HD.). Dieses objektorientierte Prinzip werde ich im nachstehenden Konzept in der Weise umsetzen, dass jedes der sechs Kapitel abgeschlossen wird mit der Vor- stellung eines Leitobjekts (vgl. o., S. 26), das die zentralen Aussagen der jewei- ligen Periode transportieren soll. Die Begründung der Entscheidung für das jewei- lige Objekt ist integriert in eine Konzeption der Visualisierungsmittel und -metho- den für die Realisierung im Zentralbereich der Ausstellung. Darüber hinaus wer- den, soweit nötig, jeweils Abteilungen des DM vorgeschlagen, mit denen die Thematik der entsprechenden Epoche sinnvoll zu „verlinken“ wäre. Die von mir vorgeschlagenen Visualisierungsmöglichkeiten beabsichtigen demnach nicht, die einzelnen Perioden der Arbeits- und Berufsgeschichte im Zentralbereich quasi als „visuelle Enzyklopädie“ (Scrive 2001, 159) zu präsentieren, sondern setzen viel- mehr auf die Wirkung einzelner repräsentativer Artefakte, die einerseits den do- minierenden Arbeitsbegriff der jeweiligen Epoche anschaulich zu symbolisieren vermögen und in denen sich andererseits die über die Zeit hinweg ständig wach- sende Komplexität beruflicher Anforderungen und beruflichen Wissens sicht- und „begreif“-bar materialisiert. Dabei soll die Anordnung der Objekte eine offene Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 32 ] räumliche Struktur ergeben, die die Interdependenzen der einzelnen Epochen reflektiert, die Teilkonzepte insbesondere des Moduls 3 integriert und nicht zuletzt den Standpunkt aktueller Museumsdidaktik und -pädagogik repräsentiert, wonach wissenschaftliche Ausstellungen ihren „Sinngehalt [beziehen] • durch die Wahl der Gegenstände; • durch die grafische Gestaltung, nicht im Sinne erklärender Texte (die wie Bücher an der Wand wirken, noch immer die ungeschliffenste Form von Wissenschaftlern ersonnener Ausstellungen [...]), sondern als Element, das sichtbar Identität und Sinngehalt ausdrückt; • durch die Anordnung von Gegenständen und Grafiken zu einfachen oder komplexen Szenen und Bildern, deren künstlerische Gestaltung gleicher- maßen in das Aufgabengebiet der Museologie wie der detaillierten Szeno- grafie fällt; • durch die Rahmen und Blickpunkte, die durch das Licht gestaltet werden, durch die Öffnungen und Perspektiven, die durch die Besucherströme generiert werden, sowie durch die räumliche Organisation, die zur allge- meinen Szenografie gehört; • durch die Erkundungsmöglichkeiten und andere Angebote für die Besu- cher“ (Scrive 2001, 162; Hervorhebungen von mir. HD.). Da der Ausstellungsbereich VISUBAs als Folge des Prinzips der internen De- zentralisierung nicht auf den Zentralbereich beschränkt ist, sondern auch weit auseinander liegende Abteilungen des DMs einbezieht, wird der Erfolg der Aus- stellung ganz wesentlich von den letztgenannten „Erkundungsmöglichkeiten“ und einem effizienten Orientierungssystem für das Publikum abhängen. Neben der in einer modernen Ausstellungskommunikation ohnehin obligatorischen Audiofüh- rung sollte eine Web-Cam den Besucherinnen und Besuchern bereits vom Zent- ralbereich aus einen Einblick in die zum jeweiligen Thema gehörige Abteilung des DMs bieten. Zudem müsste die Möglichkeit geschaffen werden, sich einen thema- tisch orientierten Plan ausdrucken zu lassen, der die Interessierten zu den Stellen im Museum leitet, wo weitere Informationen zum ausgewählten Thema zu finden sind. Nicht zuletzt sollte eine themenorientierte Farbkodierung dem Publikum die Orientierung in den weitläufigen Sammlungen des DMs erleichtern. Vorbemerkung [ 33 ] 0.3.2 Besucheraktivierung Da in der ersten Arbeitsphase des Modellversuchs festgelegt wurde, dass VISUBA nicht bloßer Ausstellungsort bleiben, sondern eine „bildungsaktive Einrichtung“, also Lern- und Erlebnisort mit Besucher aktivierendem Charakter werden soll, muss das VISUBA-Konzept auch entsprechende didaktische Kategorien beachten: • exemplarisch-modellhaftes Lernen, • anschaulich-konkretes Lernen, • Lernen durch selbstständiges, aktives Handeln, • Lernen durch Erfahren und Erleben, • Erzeugen von unmittelbarer Betroffenheit (vgl. Kramer/Weißgerber 1993, 38). Mit Blick auf die in den letzten Jahren zu- nehmend populär gewordenen Science Center meint JÜRGEN TEICHMANN, Leiter der Hauptabteilung Programme des Deut- schen Museums, ein technisches Museum „das populärwissenschaftlich und historisch denkt, [sei] am besten dafür geeignet“, die- sen Bildungsanspruch in museale Praxis umzusetzen, denn „Spiel, Vergnügen, Kunststück, Lehrstück, nostalgisches Ob- jekt, Vergangenheitsreise, historische In- szenierung, Aura, Mythos und Analyse können hier am besten kombiniert werden. Damit kann man Allgemeinbildung, die im- mer offen zu sein hat für Anderes, im wis- senschaftlich-technischen Bereich am besten vermitteln“ (Teichmann 2001, 19). Museumspädagogisches Leitmotiv für VISUBA kann folglich nicht das „Bitte nicht berühren!“ überkommener Museumsgestaltung sein, sondern vielmehr die Aufforde- rung: „Bitte anfassen!“ 9 (vgl. Dandl 2004). 9 Das ist beileibe nicht neu, denn „seit dem Erfolg des von FRANK OPPENHEIMER, einem Bruder des Physikers ROBERT OPPENHEIMER [1904-1967] 1969 in San Francisco gegründeten „Exploratorium“ ist der Siegeszug der interaktiven, multimedialen Science Center unaufhaltsam. Sein Imperativ heißt: Du sollst anfassen. Es rückt an die Stelle des im Kunstmuseum privilegierten Auges den Tastsinn ins Zentrum. Seine Ordnung der Dinge folgt mehr und mehr den Einsichten der Pädagogik und Didaktik. Sie entwerfen im Verein mit den Ingenieuren die Choreographie für die Auftritte der Exponate auf den Bühnen der Inszenierung von Wissen. Im Zentrum der Science Center steht das Ver- sprechen der Verlebendigung toter, stummer Objekte“ (Müller 2003; Hervorhebung von mir. HD.). Bild 9: Besucheraktivierung im Museum. Schüler bei der Arbeit mit einem Handsteinbohrer (MPZ 1997, 69) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 34 ] Die gesamte Ausstellungskommunikation VISUBAs ist also so zu konzipieren, dass „der Besucher nicht die Rolle eines passiven Rezipienten (‚Zuschauerrolle’) einnimmt, sondern [...] sich aktiv handelnd mit [der Ausstellungsproblematik] ausei- nandersetzt (z. B. Spiele, Fallstudien, Simulationen, Experimente, Arbeitsver- richtungen). Die Forderung nach aktiver Problemauseinandersetzung verlangt vom Ausstellungsplaner, daß die personalen und medialen Vermittlungsmethoden, die Lehr- und Lernstrategien, das Besucherverhalten und die Interaktionsformen (z. B. interaktive Computer-Lernspiele, Dialog-Video) systematisch mitbedacht und kon- zeptionell aufbereitet werden müssen“ (Kramer/Weißgerber 1993, 38). Die moderne Museumspädagogik geht von der Prämisse aus, dass Präsentati- onsmodi, die Besucherinnen und Besucher zu Selbsttätigkeit und Eigenerpro- bung ermuntern, gerade für die Verknüpfung technik- und sozialgeschichtlicher Kontexte besonders geeignet sind: „Interaktiven Installationen oder so genann- ten Hands-on-Installationen wird insbesondere in Kontextmuseen wie naturhisto- rischen, naturwissenschaftlich-technischen oder historischen Museen ein beson- derer Stellenwert eingeräumt. Sind sie doch im Unterschied zu Kunstmuseen mit weitgehend autonomen, sich selbst erklärenden Werken auf die - kontextuelle - Erläuterung von Abläufen oder Prozessen angewiesen. Für naturwissen- schaftlich-technische Museen oder für - in jüngster Zeit sich vermehrende - Science Center bietet es sich methodisch geradezu an, komplexe Prozesse in ihren Bedingungs- und Wirkungsfaktoren eher durch Experimente, Simulations- und andere Spiele transparent werden zu lassen als durch zwangsläufig abstrak- te Texte. Und für die meisten Besucher stellen sie ein bevorzugtes Ausstel- lungsmedium dar. [...] Darüber hinaus - betrachtet man Denken als verinnerlich- tes Handeln - regen Kontrastierendes, Verfremdendes oder Ungewohntes in ei- ner Ausstellung ebenso zur aktiven Auseinandersetzung an. Daraus folgt, daß jenseits einer verständlichen und motivierenden Form der Informa- tionspräsentation es vor allem dem Ausstellungsarrangement insgesamt gelin- gen muß, Besucher aus der eher passiven Rolle des Rezipienten heraustreten zu lassen, um beispielsweise die Gefahr des aktiven Dösens zu vermeiden. Funktion und Aufgabe solcher interaktiver Installationen lassen sich daher nur im Kontext erläutern, im Rahmen des Informationskonzepts insgesamt“ (Noschka- Roos 2001, 110 ff.; Hervorhebungen von mir. HD.). Vorbemerkung [ 35 ] Dieses entschiedene Plädoyer für eine handlungsorientierte Ausstellungskom- munikation ist übergeordneter Leitgedanke für die Integration interaktiver Instal- lationen in die im Folgenden entwickelte Konzeption, die damit versucht, den Hebel am archimedischen Punkt der Museumspädagogik anzusetzen: „Muse- umsbesuche zeichnen sich dadurch aus, daß sich Besucher in erster Linie dort freiwillig aufhalten, Zeit, Art der Besichtigung und Richtung selbst bestimmen; in der Regel bewegen sie sich nicht linear, sondern lassen sich visuell leiten und werden hauptsächlich durch intrinsische lnteressen, durch Neugier weckende oder zur Erkundung und Manipulation einladende Elemente, durch Phantasti- sches oder durch soziale Interaktion gelenkt“ (Noschka-Roos 2001, 89). Die Konzeption dieser Studie geht also von der Zielvorstellung aus, auf Neugier weckende und - soweit möglich - spielerisch-unterhaltsame Weise Sensibilität dafür zu schaffen, dass sich das Verständnis von Arbeit, Beruf und Berufsausbil- dung im Verlauf der Geschichte unter dem Einfluss vielfältiger interdependenter Faktoren ebenso gewandelt hat wie die Arbeit und deren Anforderungen an die Menschen selbst. Es soll deutlich werden, dass dieser Wandel im Fortgang der Jahrhunderte einer ständigen Akzeleration ausgesetzt war, die in unserer Ge- Bild 10: Bitte Anfassen! „Exponate zum ‚Ausprobieren’ vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von Arbeitsabläufen und techni- schen Prozessen.“ Szene aus der Deutschen Arbeitsschutzausstellung DASA in Dortmund (Kilger/Zumdick 1993, 39) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 36 ] genwart eine Geschwindigkeit erreicht hat, die tradierte Berufsvorstellungen so- wie die früher damit verbundene Zukunftsgewissheit für heute in das Berufsleben hineinwachsende Generationen obsolet werden lässt. Im Idealfall sollten die in dieser Darstellung zusammengetragenen und strukturierten Informationen in Kombination mit den anderen im Rahmen VISUBAs entstandenen Arbeiten eine attraktive sozialhistorische Benützeroberfläche für ausgewählte Themen und Abteilungen des DMs ergeben und damit die dort präsentierten „Meisterwerke der Naturwissenschaften und Technik“ mehr als bisher in ihren jeweiligen sozio- ökonomischen Kontext stellen. Diese Idee greift auf die bereits seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts diskutierte, jedoch nie konsequent reali- sierte Forderung nach Öffnung des Deutschen Museums für sozialhistorische Kontexte zurück (vgl. Graf 1993, 87) und schließt zugleich an die „kritischen Tö- ne“ einer aktuellen Untersuchung der „Publikumsstrukturen am Deutschen Mu- seum“ an, deren Ergebnisse die Autoren zu dem Appell veranlassten: „Wenn sich Technikmuseen zugleich auch als kultur- und sozialgeschichtliche Museen verstehen, dann muss diese ‚Schiene’ offensichtlich verstärkt herausgestellt werden“ (Blahut/Klein 2003, 44). 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 37 ] 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf „Stimmt an das Lied der hohen Braut die schon dem Menschen angetraut, eh’ er selbst Mensch ward noch. Was sein ist auf dem Erdenrund, entsprang aus diesem treuen Bund. Die Arbeit hoch! Und wie einst Galilei rief, als rings die Welt im Irrtum schlief: ‚Und sie bewegt sich doch!’ so ruft: Die Arbeit, sie erhält, die Arbeit, sie bewegt die Welt! Die Arbeit hoch!“ JOSEF ZAPF (1847-1902) 10 1.1 Arbeit Es spricht einiges dafür, den Beginn der für VISUBA relevanten menschlichen Geschichte mit dem ersten Auftreten nachweisbar durch Menschenhand und -geist geformter Werkzeuge vor etwa 2,5 bis 1,8 Millionen Jahren11 anzusetzen. Werkzeugfunde aus vorgeschichtlicher Zeit sind die ältesten erhaltenen Zeug- nisse menschlicher Arbeit schlechthin und zwischen Werkzeugkultur und menschlicher Arbeit besteht ein unauflöslicher Zusammenhang: „Ohne Werk- zeuge, keine Arbeit“ (Comte 1998, 14). Die technisch-handwerkliche Weiterent- wicklung der Werkzeuge galt CHARLES DARWIN (1809-1882) als Beweis dafür, 10 Erste und letzte Strophe des berühmten „Liedes der Arbeit“. Geschrieben 1867 von dem Graveurgehilfen JOSEF ZAPF (Lebensdaten ungesichert), vertont durch den Sozialdemokraten und Orchestermusiker des Wiener Burgthea- ters JOSEF SCHEU (1841 – 1904), uraufgeführt am 29. August 1868 durch neunzig Sänger der Liedertafel des Gumpendorfer Arbeiterbildungsvereins (vgl. Lammel 1973, 101; Ribolits 1997, 9). 11 Die exakte Datierung der ältesten hominiden Werkzeuge ist umstritten. Nach RICHARD LEAKEY, Paläoanthropologe und Direktor des Nationalmuseums von Kenia, wurden sie „in einer Schichtung ausgegraben, die knapp 2,5 Millionen Jahre alt war, und damit gehörten diese Werkzeuge zu den ältesten, die jemals gefunden wurden“ (Leakey/Lewin 2001, 178). Andere Forscher setzen diesen Zeitpunkt deutlich später an: „Frühhominide Steingeräte fanden sich erstmals während der fünfziger Jahre in 1,8 Millionen Jahre alten Schichten der Olduvai-Schlucht in Tansania - nach ihr werden diese äl- testen Werkzeuge der Menschheitsgeschichte auch als ‚Oldowan-Industrie’ bezeichnet. Charakteristisch für diese seit- her auch an vielen anderen afrikanischen Fundplätzen zutage gekommene Industrie sind ungefähr faustgroße Gerölle (vgl. u. Bild 12, S. 40), von denen mit Hilfe eines zweiten, sogenannten ‚Schlagsteins’ eine Reihe von Splittern und ‚Ab- schlägen’ entfernt wurden, so daß eine einfache, zumeist unregelmäßig geformte Arbeitskante entstand“ (Kuckenberg 2001, 31 f.). Einigkeit herrscht hingegen bei der Kategori rung der weiteren Entwicklung der Werkzeugkultur: „Erst vor etwa 1,4 Millionen Jahren kam in Afrika die sogenannte Acheuléen-Industrie mit größeren, sorgfältig bearbeiteten und deutlich symmetrisch geformten, gewissermaßen standardisierten Geräten auf, nämlich den zu vielen Zwecken benutzten, tropfenförmigen, zweischneidigen Faustkeilen“ (Tattersall 2002, S.35). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 38 ] dass bereits „der Urmensch die Teilung der Arbeit anwendete“ (Darwin 1895, 63; vgl. u. Anm. 20, S. 51), und der große Kultur- und Technikhistoriker LEWIS MUM- FORD (1895-1990) sieht in der Werkzeugproduktion sogar den Ursprung der re- gelmäßigen Arbeit als sozialen Prozess: „Man treibt die Schlußfolgerung nicht zu weit, wenn man mit einem Wort behauptet, daß der neolithische Werkzeug- hersteller die ‚tägliche Arbeit’ erfunden hat, in dem Sinne, wie sie in allen späte- ren Kulturepochen praktiziert wurde. Unter Arbeit versteht man fleißige Hingabe an eine einzelne Aufgabe, deren Endprodukt sozial nützlich ist, die aber dem Ar- beitenden unmittelbar wenig bringt oder gar, wenn sie zu sehr verlängert wird, für ihn zur Strafe werden kann. Solche Arbeit konnte nur gerechtfertigt sein, wenn sie der Gemeinschaft letztlich mehr Nutzen brachte als eine sprunghaftere, lau- nischere, ‚dilettantischere’ Einstellung zur Sache“ (Mumford 1977, 165). BENJAMIN FRANKLINs (1706-1790) berühmte Definition des Menschen als tool making animal - als Werkzeug herstellendes Lebewesen - gilt heute ihrer scheinbar monokausalen Perspektive wegen als überholt, stattdessen wird der Prozess der „Menschwerdung“ (Reichholf 2001) in der Regel als „vielfältiges Beziehungsgeflecht unterschiedlich vernetzter, sich gegenseitig bedingender und manchmal rückkoppelnder Faktoren“ (Schrenk 1999, 74) interpretiert, zu- mal ja bereits DARWIN den Menschen quasi als Produkt der Wechselwirkung zwischen der speziellen Fortbewegung und Anatomie, dem überaus leistungs- fähigen menschlichen Gehirn, der spezifisch hominiden Sozialfähigkeit, der dif- ferenzierten Sprache sowie der dadurch möglichen Kulturleistungen charakteri- siert hat (vgl. Darwin 1895, 61 ff.). Deshalb vertrat LEWIS MUMFORD in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch die These, man dürfe einem einzelnen Kriterium wie der Werkzeugkultur als Definitionskriterium des Menschseins nicht zu viel Gewicht beimessen: „Kein einzelnes Merkmal, nicht einmal die Werkzeugherstellung, genügt, um den Menschen zu identifizieren. Spezifisch und einzigartig ist die Fähigkeit des Menschen, eine große Vielfalt tierischer Eigenschaften zu einer neuen kulturellen Gegebenheit zu vereinen: zur menschlichen Persönlichkeit“ (Mumford 1977, 15 f.). Gleichwohl sehen auch in unseren Tagen viele Experten darin „keine willkürliche Annahme, wenn wir die Anfänge der Menschheit mit denen der frühesten Steinwerkzeuge gleichsetzen“ (Smolla 1983, 56 f.), denn der Fachwissenschaft gilt es „heute als 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 39 ] gesichert, daß der Mensch durch den kontinuierlichen Gebrauch von Werkzeu- gen sowie durch die damit verbundenen physiologischen, mentalen und psychi- schen Veränderungen schrittweise aus dem Kreis der anderen Tiere heraustrat. Die frühere Auffassung, daß der Mensch die evolutionäre Bühne in seiner jetzigen Gestalt betrat und dann dazu überging, Werkzeuge zu entdecken, die ihm neue Lebensfor- men ermöglichten, dürfte unhaltbar geworden sein“ (Mazlish 1998, 11 f.). So gesehen sind Werkzeuge also sinnfälliger Beleg dafür, wie erfolg- reich die Gattung Mensch im Laufe ih- rer Evolution die Effizienz ihrer se- kundären Umweltanpassung zu stei- gern wusste. Eine überzeugende Theorie dazu hat jüngst der Amsterdamer Soziologe JO- HAN GOUDSBLOM vorgelegt. Angeregt von DARWINs These, die Entdeckung des Feuers sei, „mit Ausnahme der Sprache, wahrscheinlich die größte, die jemals von Menschen gemacht worden ist“ (Darwin 1895, 61; vgl. u. Anm. 13, S. 42), hat er den Zusammenhang zwischen dem Zivilisationsprozess der Menschheit und der „Domestizierung des Feuers“ (Goudsblom) genauer unter- sucht und als zentrales Ergebnis festgehalten: „Die Fähigkeit, mit Feuer umzu- gehen, ist eine universale menschliche Errungenschaft, die wir in allen bekann- ten Gesellschaften finden. Sie ist in höherem Maße den Menschen vorbehalten als die Sprache oder der Gebrauch von Werkzeugen. Rudimentäre Formen von Sprache und Werkzeuggebrauch kommen auch bei den nichtmenschlichen Pri- maten und anderen Tieren vor; aber nur die Menschen haben - als Teil ihrer Kul- tur - gelernt, das Feuer zu kontrollieren“ (Goudsblom 2000, 11). Bild 11: Hand&Werk - Hände und Werkzeug im Arbeits- prozess. Feilübung einer Industriemechanikerin. Berufsausbil- dung Metallindustrie 1999 (Bachmeier 2001) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 40 ] Bild 12: Mit den Werkzeugen „haben wir die Ergebnisse des Erfindergeistes vor uns, der zur menschlichen Entwicklung gehört. Unsere Vorfahren machten die Werkzeuge, aber die Werkzeuge machten auch unsere Vorfahren aus, und nach dem gleichen Prin- zip machen sie auch uns zu dem, was wir heute sind. […] Steinwerkzeuge findet man zum erstenmal ungefähr zur gleichen Zeit, als nach unseren Schätzungen die Gattung Homo entstanden ist, nämlich vor etwas mehr als 2,5 Millionen Jahren. Das, so meine Überzeugung, ist kein Zufall“ (Grafik: McClellan 2001, 13; Zitat: Leakey/Lewin 2001, 179). 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 41 ] Bezieht man nun das vom Menschen kontrollierte Feuer in den Werkzeugbe- griff 12 ein, so kann man doch mit einigem Recht sagen, im sehr lange andauern- den Prozess der Entstehung des Menschen haben sich im Wirkungszusammen- hang mit anderen Faktoren „die Herstellung und Benutzung von Werkzeugen so- wie die kulturelle Weitergabe von Wissen und Technik als unerläßlich für den menschlichen Existenzmodus [erwiesen]. Darüber hinaus scheinen Menschen die einzigen Lebewesen zu sein, die Werkzeuge herstellen, um andere Werkzeuge anzufertigen. Ohne Geräte sind Menschen sehr verletzlich, und keine menschliche Gesellschaft hat je ohne Technik überlebt. Die Menschheit verdankt ihren evolutio- nären Erfolg in hohem Maße der Meisterung und Weitergabe von Werkzeugher- stellung und -benutzung“ (McClellan/Dorn 2001, 15). Es scheint also, nach allem, was wir heute wissen, seine Fähigkeit zu Werkzeugherstellung und -gebrauch gewesen zu sein, die den Menschen zum „Erfolgsmodell“ der Evolution machte, denn durch sie wurde er im Laufe seiner Entwicklung zunehmend unabhängig von der organischen Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen, was ihn folg- lich in vielerlei Hinsicht den natürlichen Selektionsmechanismen entzog. Sucht man nun in der einschlägigen Literatur nach Zusammenhängen zwischen menschlicher Arbeit und Werkzeugkultur, so stößt man in vielen Fällen auf Erklä- rungen, wie sie WILHELM BUGGERT in seiner Studie „Arbeit im Wandel“ anbietet: „Arbeit vergegenständlicht sich sicherlich zuerst in solchen Geräten und Werkzeu- gen, die zur Kompensation der natürlich versagten körperlichen Kräfte und Fähig- keiten erfunden wurden; sie übernehmen die Funktion des Organersatzes und später auch der Arbeitserleichterung“ (Buggert 1999, 9). Diese heute von Kultur- und Technikhistorikern allgemein akzeptierte Begründung basiert auf den Studien ARNOLD GEHLENs (1904-1976), der im 1940 erschienenen Hauptwerk seiner Phi- losophischen Anthropologie den Menschen als morphologisches „Mängelwesen“ klassifizierte, denn im Vergleich zum Tier zeigte er, so GEHLEN, „so gut wie keine Spezialisierungen. Er besteht aus einer Reihe von Unspezialisiertheiten [und ist] 12 Mit HEINRICH POPITZ verstehe ich Werkzeuge als „Mittel der menschlichen Daseinsvorsorge. Was man technisch herstellt, hat in der Regel einen nicht ganz engen Zeithorizont; es ist nicht auf einen einmaligen Gebrauch hin ange- legt, sondern auf längerfristige Verwendung. Es ist vorsorgend gedacht, vorsorgend gemacht. Entsprechend kann man den spezifisch menschlichen vom tierischen Werkzeuggebrauch abgrenzen. Auch ein bloß vorgefundenes, nicht hergestelltes Ding - ein Stein, ein herumliegender Ast - läßt sich gebrauchen, um hier und jetzt einen Feind zu vertreiben. […] Werkzeuge im eigentlichen Sinne, menschliche Werkzeuge sind hergestellte Hilfsmittel, die der mehrfachen, auch künftigen Verwendung dienen sollen. Damit ist auch ein gewisses Gestaltungsniveau bezeichnet. Man hat das Ding so verändert, daß es sich lohnt, es aufzuheben. Die Herstellung erfordert einen gewissen Auf- wand. Zugleich ist Voraussicht im Spiel. Man sieht voraus, daß sich bestimmte Situationen und Brauchbarkeiten wiederholen“ (Popitz 1992, 163. Hervorhebung von mir. HD.) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 42 ] als Naturwesen gesehen hoffnungslos unangepasst. Er ist von einer einzigartigen [...] biologischen Mittellosigkeit, und er vergütet diesen Mangel allein durch seine Arbeitsfähigkeit“ (Gehlen 2004, 34). GEHLENs Ansatz definiert Arbeit als existenzielle soziale Aktivität, als zentrale „Res- source des um seine Arterhaltung kämpfenden Menschen“ (Buggert 1999, 8), denn mit zielgerichteter Tätigkeit (Arbeit) kompensiert er seine physiologischen Mängel und passt sich damit nicht nur den Erfor- dernissen seiner Umwelt an, sondern versucht diese sogar zunehmend so zu manipulieren, dass seine unmittelbaren Bedürfnisse befriedigt und seine eigene Existenz sowie die seiner Nachkommen gesichert werden können: „Infolge sei- ner organischen Primitivität und Mittello- sigkeit ist der Mensch in jeder wirklich natürlichen und urwüchsigen Natursphä- re lebensunfähig.13 Er hat also den Aus- fall der ihm organisch versagten Mittel selbst einzuholen, und dies geschieht, indem er die Welt tätig ins Lebensdien- liche umarbeitet. Er muß die ihm organisch versagten Schutz- und Angriffswaffen ebenso wie seine in keiner Weise natürlich zu Gebote stehende Nahrung sich selbst ‚präparieren’, muß zu diesem Zweck Sacherfahrungen machen und Techniken der objektiven, sachentsprechenden Behandlung entwickeln. Er muß für Witterungs- schutz sorgen, seine abnorm lange unentwickelten Kinder ernähren und großziehen und bedarf schon aus dieser elementaren Nötigung heraus der Zusammenarbeit, 13 GEHLEN macht mit dieser Argumentation einen Gedanken zum Ausgangspunkt seiner Philosophischen Anthropolo- gie, den PLATON in seiner Version des Prometheus-Mythos’ entwickelt hatte. Nach Erschaffung der sterblichen Le- bewesen hatten die Götter PROMETHEUS und EPIMETHEUS damit beauftragt, alle sterblichen Kreaturen mit Eigen- schaften zu versehen, die sie zum Überleben befähigen sollten: „Wie aber EPIMETHEUS doch nicht ganz weise war, hatte er unvermerkt schon alle Kräfte aufgewendet für die unvernünftigen Tiere; übrig also war ihm noch unbegabt das Geschlecht der Menschen, und er war ratlos, was er diesem tun sollte. In dieser Ratlosigkeit nun kommt ihm PROMETHEUS, die Verteilung zu beschauen, und sieht die übrigen Tiere zwar in allen Stücken weislich bedacht, den Menschen aber nackt, unbeschuht, unbedeckt, unbewaffnet und schon war der bestimmte Tag vorhanden, an welchem auch der Mensch hervorgehen sollte aus der Erde an das Licht. Gleichermaßen also der Verlegenheit un- terliegend, welcherlei Rettung er dem Menschen noch ausfände, stiehlt PROMETHEUS die kunstreiche Weisheit des HEPHAISTOS und der ATHENE, nebst dem Feuer - denn unmöglich war, daß sie einem ohne Feuer hätte angehörig oder nützlich sein können -, und so schenkte er sie dem Menschen. [...] Und von da an genießt nun der Mensch Behaglichkeit des Lebens“ (Protagoras 321c - e). Bild 13: Charakteristisches, mindestens 1,8 Millionen Jahre altes Geröllgerät der afrikanischen „Oldowan-Industrie“ (oben) und die Herstellungstechnik derartiger „Pebble tools“ (Kuckenberg 2001, 32) 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 43 ] also der Verständigung. Der Mensch ist, um existenzfähig zu sein, auf Umschaffung und Bewältigung der Natur hin gebaut, und deswegen auch auf die Möglichkeit der Erfahrung der Welt hin: er ist handelndes Wesen, weil er unspezialisiert ist, und al- so der natürlich angepaßten Umwelt entbehrt. Der Inbegriff der von ihm ins Lebensdienliche umgearbeiteten Natur heißt Kultur, und die Kulturwelt ist die menschliche Welt. Es gibt für ihn keine Existenzmöglichkeit in der unveränder- ten, in der nicht ‚entgifteten’ Natur, und es gibt keinen ‚Naturmenschen’ im strengen Sinne: d. h. keine menschliche Gesellschaft ohne Waffen, ohne Feuer, ohne präparierte und künstliche Nahrung, ohne Obdach und ohne Formen der her- gestellten Kooperation. Die Kultur ist also die ‚zweite Natur’ - will sagen: die menschliche, die selbsttätig bearbeitete, innerhalb deren er allein leben kann - und die ‚unnatürliche’ Kultur ist die Auswirkung eines einmaligen, selbst ‚unnatürlichen’, d. h. im Gegensatz zum Tier konstruierten Wesens in der Welt“ (Gehlen 2004, 37 f.). Der Mensch schafft sich also seinen Lebensraum, seine „Kulturwelt“, wie GEHLEN sagt, erst durch seine Arbeit, die immer geleistet wird in einem sozialen Zusam- menhang, im Zusammenwirken mit anderen Individuen, deren Arbeitsprozesse aufeinander bezogen und miteinander koordiniert sind. Aus dem von GEHLEN eingeführten Kulturbegriff 14 ergibt sich aber auch, dass sich die Bedeutung der Arbeit für den Menschen nicht nur auf deren unmittelbar über- lebenssichernde Funktionen beschränken lässt. Bereits aus sehr frühen Stadien der Menschheitsgeschichte (Altsteinzeit)15 sind künstlerisch gestaltete Artefakte erhalten, die mit der bloßen Wahrung der materiellen Existenz nicht zu erklären 14 „Kultur soll uns sein: der Inbegriff der vom Menschen tätig, arbeitend bewältigten, veränderten und verwerteten Na- turbedingungen, einschließlich der bedingteren, entlasteten Fertigkeiten und Künste, die auf jener Basis erst mög- lich werden“ (Gehlen 2004, 39). 15 Dieser „künstlerische Durchbruch“ ereignete sich sehr wahrscheinlich vor ca. 35.000 Jahren und ist damit aus der Perspektive der gesamten Menschheitsgeschichte ein relativ junger Vorgang. Nach dem derzeitigen Stand der Er- kenntnisse scheint er sich überdies - dieser Schluss wird jedenfalls aus neuesten Entdeckungen gezogen - ohne langen Vorlauf abgespielt zu haben: „Früher ist man immer davon ausgegangen, dass sich die Kunst langsam Stück für Stück entwickelt hat, genau wie die Evolution. [...] Seit der Entdeckung der Höhlenmalereien in der Grotte Chauvet, diesem vatikanischen Palast der paläolithischen Kunst, hat sich das geändert. Jetzt muss man davon ausgehen, dass die Kunst einfach plötzlich da gewesen ist“ (Filser 2003). Bild 14: Bewohner der Vogelherdhöhle bei Ulm schnitzten vor rund 33 000 Jahren diese kleine Skulptur eines Mammuts aus Mammutelfenbein (Bonis 2002, 130). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 44 ] sind. Hier ist zwar nicht der Ort, ausführlich zu erörtern, welches unmittelbare Inte- resse die steinzeitlichen „Künstler“ bei ihrer Produktion geleitet haben mag, zumal über die dinglichen Funde hinaus keinerlei zeitgenössische Überlieferung existiert, aber es ist wohl so, dass sich in prähis- torischen Artefakten wie z. B. in der hier abgebildeten Mammut-Skulptur (vgl. o. Bild 14, S. 43) das den Menschen kon- stituierende Streben materialisiert, die (Um-)Welt mit den jeweils zur Verfü- gung stehenden Mitteln zu erfassen und für sich verfügbar, im Wortsinne begreif- bar zu machen, um letztlich die eigene Position darin zu bestimmen. Zumindest aber können sie als Nachweis für die These gesehen werden, menschliche Arbeit sei „nicht allein dem Gesetz der Zweckmäßigkeit, sondern auch dem der ästhetischen Vollendung unterworfen“ (Linke 1954, 854). LEWIS MUMFORD macht in seiner umfas- senden anthroprozentrischen Kritik am „Mythos der Maschine“ den Aspekt menschlicher Selbstfindung in der Arbeit sogar zum axiomatischen Kern seiner gesamten Argumentation, wenn er behauptet, „daß auf allen Entwicklungsstufen die Erfindungen und Neuerungen weniger dazu be- stimmt waren, die Nahrungsversorgung zu verbessern oder die Herrschaft über die Natur zu erweitern, als die immensen organischen Anlagen des Menschen zu nut- zen und seine latenten Möglichkeiten auszudrücken, um seine überorganischen Bedürfnisse und Wünsche adäquater zu erfüllen“ (Mumford 1977, 19; Hervorhe- bung von mir. HD.). Aus den vorstehenden Überlegungen ergeben sich mehrere, einander überschnei- dende Funktionsbereiche menschlicher Arbeit: Sie dient dem Menschen erstens der Kompensation physiologischer Mängel, funktioniert zweitens als Mittel zur Be- friedigung seiner materiellen und intellektuellen Bedürfnisse, sichert drittens seine Bild 15: Hand&Werk - Hände und Werkzeug im Arbeits- prozess. Datenverarbeitungskauffrau bei der Dateneingabe. Dienstleistung 1990 (Bachmeier 2001) 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 45 ] Existenz und die seiner Nachkommen und ermöglicht es ihm viertens, seine Stel- lung in der von ihm durch sie mitgestalteten (Um)Welt im Sinne einer Selbstverwirk- lichung zu bestimmen (vgl. u. Bild 16). Eine historisch-komparatistische Unter- suchung wie die vorliegende, die viel- fältiges Material zu Genese und Wandel des Arbeitsbegriffs aus den unterschied- lichsten Gesellschaftszusammenhängen synchron auswerten und einen multi- perspektivischen Blick auf die Entwick- lung des Arbeitsverständnisses ermögli- chen will, braucht eine möglichst kontext- unabhängige metatheoretische Arbeits- definition16, um die historischen Bedin- gungen so objektiv und differenziert wie möglich analysieren und explizieren zu können (vgl. Kruse 2002, 13). Zu unspezifische Begriffe, die in der Arbeit lediglich „die Gesamtheit des tätigen menschlichen Lebens mit seinen produktiven und unprodukti- ven Phasen, [als] Fülle menschlicher Anstrengungen zur inneren wie äußeren Le- bensbewältigung“ (Meis 1999, 5) sehen, scheiden für diese Studie als operable De- finition des Arbeitsbegriffs ebenso aus wie zu eng gefasste Termini, denn „die allge- meine Lebensarbeit und die produktive, herstellende Arbeit werden immer in konkre- ten Handlungs- und Lebenskontexten vollzogen, in denen Bewertungen des Geleiste- ten und des Zu-Leistenden vorgenommen werden sowie der konkrete Leistungsvoll- zug organisiert wird“ (Gil 1997, 7; vgl. Kößler 1990, 23 ff.; Schleucher 1978, 54 ff.). Den für diese Studie fruchtbarsten Ansatz für einen operablen Arbeitsbegriff liefert meines Erachtens der Hamburger Arbeitspsychologe HUGO SCHMALE, der in sei- ner „Psychologie der Arbeit“ einen „normativen Arbeitsbegriff“ (1995, 52) vor- schlägt, der den ökonomisch-technologischen Arbeitsbegriff um ontologisch-an- 16 Dass dies gleichwohl nicht immer selbstverständlich ist, könnte durch einen Vergleich der Arbeitsbegriffe unter- schiedlicher Wissenschaftsdisziplinen wie Geschichte, Jurisprudenz, Philosophie, Soziologie, Theologie etc. un- schwer gezeigt werden. Da dies aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, hier nur so viel: HELMUTH STAHL- EDER hat in seiner 1972 publizierten Dissertation anschaulich dargetan, dass nicht einmal innerhalb der Wirt- schaftswissenschaften ein homogener Arbeitsbegriff existiert. Je „nach Standpunkt des Betrachters“ ist Arbeit dort: „Arbeitskraft, Leistung, Tätigkeit, Ergebnis oder Produkt der Tätigkeit, eine Menge, Energie, ein Produktionsfaktor, Ausführung, Denken, Produktion, Geist“ (Stahleder 1972, 32). Bild 16: Die vier Grundfunktionen menschlicher Arbeit (Gra- fik: Dandl) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 46 ] thropologische sowie psychologische Aspekte erweitert. Da SCHMALEs „Übersicht über Aspekte und Erscheinungsformen menschlicher Arbeit“ auch das Untersu- chungsfeld der vorliegenden Arbeit abdeckt, hier die synoptische Form seiner De- finition menschlicher Arbeit: Der folgende, aus dem bisher Gesagten entwickelte Arbeitsbegriff sollte also ei- nerseits umfassend genug sein, um das Phänomen menschlicher Arbeit in seiner Gesamtheit zu erfassen, und andererseits auch hinreichend kontextunabhängig, um die Gefahr zu minimieren, den heutigen Arbeitskontext unkritisch auf ge- schichtliche Situationen zu übertragen: • Arbeit ist jede zielgerichtete und bewusste menschliche Tätigkeit, die unter Einsatz physischer wie psychischer Fähigkeiten und Fertigkeiten mit dem Ziel ausgeübt wird, sowohl die materiellen und ideellen Bedürfnisse des ein- zelnen Menschen zu befriedigen (individuell-existenzielle Funktion) als auch die Existenz der Gesellschaft zu sichern (gesellschaftlich-existenzielle Funk- tion). Zielgerichtetheit und Bewusstheit menschlicher Arbeit sind gekenn- zeichnet durch technologische und wirtschaftliche Aspekte sowie insbeson- dere durch das Streben nach einem als eigenen Wert angesehenen Erfolg. Übersicht über Aspekte und Erscheinungsformen menschlicher Arbeit Aspekte der Arbeit auf der geschichtlich-gesell- schaftlichen Ebene des „Tuns“ auf der Erscheinungsebene individueller Tätigkeit ontologisch Dialektischer Prozeß der Vermittlung zwischen Mensch und Natur Objektivation subjektiver Fähigkeiten durch Tätigkeit ökologisch Die Realisation latenter Möglichkei- ten der Natur verlangt ökologische Auswahlkriterien bei der Aufgaben- stellung. Da Arbeit das psychophysische Potential des Menschen verändert, muß Tätigkeit so beschaffen sein, daß sie seinen Handlungsspielraum erweitert. psychologisch Gesellschaftliche Akzeptanz und Bewertung durch Interaktion Zeitliche und richtungsmäßige Verschiebung der Befriedigung von Bedürfnissen, Sublimation ökonomisch Gesellschaftlich kontrollierter öko- nomischer Einsatz von Mitteln zur Aufgabenlösung und Wertschaffung Sicherung und Erweiterung der materiellen und geistigen Existenz technologisch Entwicklung der Produktivkräfte und der konkreten Bedingungen der ma- teriellen Produktion Einsatz physischer und psychischer Energien, Verarbeitung von Informa- tionen, Entwicklung und Gebrauch von Instrumenten, Werkzeugen und Arbeitsmitteln Bild 17: Synopse der Aspekte und Erscheinungsformen menschlicher Arbeit (Schmale 1995, 53) 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 47 ] • Arbeitsverausgabung jeder Art steht in einem epochalen, gesellschaftlichen Kontext, von dem zwangsläufig abhängig ist, was in der jeweiligen Gesell- schaft als Arbeit akzeptiert und was als Erfolg honoriert wird. Die einzelnen Arbeitsvollzüge können grundlegend unterschieden werden einerseits in Ar- beiten im Bereich der privaten Sphäre und andererseits in Arbeiten im öf- fentlichen Bereich. • Die Arbeitsvollzüge der öffentlichen Sphäre können wiederum prinzipiell dif- ferenziert werden in selbstständige Arbeiten und in unselbstständige, d. h. abhängige Arbeiten. Die Abhängigkeit der unselbständigen Arbeitsvollzüge wird entweder als Folge eines Eigentumsverhältnisses an der Person des Arbeitenden betrachtet oder als Konsequenz eines (freien) Vertragsverhält- nisses. Die abhängige Arbeit im Vertragsverhältnis ist zu verstehen als lohn- abhängige Erwerbsarbeit, die wiederum grundlegend unterteilt werden kann in Berufsarbeit und in Job17 (vgl. Kruse 2000, 14; Schmale 1995, 52 ff.). 17 Zum Berufs- und Jobbegriff sowie deren Differenzierung vgl. u. 1.2 Beruf, S. 48 ff. Bild 18: Hand&Werk - Hände und Werkzeug im Arbeitsprozess. Montieren eines Röhrensockels. Elektroindustrie 1992 (Bach- meier 2001) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 48 ] 1.2 Beruf Für Tätigkeiten in vorgeschichtlicher Zeit den heutigen Begriff „Beruf“ zu verwen- den, ist gewiss anachronistisch, entbehren jene doch der meisten Merkmale eines neuzeitlichen Berufsbegriffs, verstanden als „ein abstraktes Organisationsprinzip von Arbeit, Erwerb und Qualifikation“ (Meyer 2000, 13). Sucht man nun in der Lite- ratur nach einer operablen Begrifflichkeit, zeigt sich sehr schnell, dass in der Wis- senschaft infolge der institutionen- und bedeutungsgeschichtlichen Tradition des Berufs (vgl. Kaiser/Pätzold 1999, 52). keine einheitliche Sprachregelung für einen Berufsbegriff zu existieren scheint.18 In gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussionen wird der Sinn einer Berufsdefinition für die moderne Arbeitsgesell- schaft zunehmend bezweifelt und sogar vorgeschlagen, ganz auf eine solche zu verzichten, denn „der Berufsbegriff [ist] nach Beendigung der ständisch geprägten Epoche der Geschichte tendenziell immer abstrakter geworden. Von wenigen Be- reichen abgesehen, ist er heute nurmehr ein ordnungspolitisches Regulativ, eine sozialpolitisch juristische Übereinkunft“ (Lisop 1990, 38). RITA MEYER vom Institut für Berufspädagogik an der Universität Hannover sieht in ihrer jüngst publizierten Analyse der „Qualifizierung für moderne Beruflichkeit“ die- se terminologische Verzagtheit als Folge einer defizitären Reflexion des traditio- nellen Berufsbegriffs. Die heute von vielen vertretenen Thesen von der „Entberuf- lichung“, vom „Verblassen“ oder von der „Erosion der Beruflichkeit“ (vgl. Lipsmeier 1998) beruhen ihrer Ansicht nach darauf, „daß der Berufsbegriff in weiten Teilen theoretisch zu wenig reflektiert wird und zudem nicht hinreichend differenziert ver- wendet wird. Wenn die Rede von ‚dem Beruf’ ist, dann ist zumeist die traditionelle Berufsform mit ihrer stark fachlichen Strukturierung und der gewünschten lebens- länglichen Konstanz gemeint. Daß diese traditionelle Form des Berufes immer weniger geeignet ist, die soziale Organisation von Arbeit angesichts fortschreiten- der Modernisierung zu beschreiben, ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings gibt es gute Gründe, zu bezweifeln, daß deshalb der Beruf insgesamt als soziale Organisationsform verschwindet. Zutreffend ist, daß sich die Inhalte, die über den 18 Vgl. z. B. Beck/Brater 1977, 19; Deißinger 1998; Kaiser/Pätzold 1999, 51 f.; Meyer 2000; Rützel 2001, Folie 3; Lisop 2003, 37 f. und viele Andere. CONZE hat wohl auch deshalb noch 1992 für seinen grundlegenden Lexikonbeitrag den Berufsbegriff der Brockhaus-Enzyklopädie aus dem Jahre 1967 übernommen und „Beruf“ definiert als den „Kreis von Tätigkeiten mit zugehörigen Pflichten und Rechten, den der Mensch im Rahmen der Sozialordnung als dauernde Aufgabe ausführt und der ihm zumindest zum Erwerb des Lebensunterhaltes dient“ (Conze 1992/b, 490; vgl. u. Kapitel 6 „Zukunft von Arbeit und Beruf“, S. 361 ff.). 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 49 ] Beruf organisiert werden, und die sich traditionell in hohem Maß auf das Prinzip der Fachlichkeit gründen, verändern. Aus dieser inhaltlichen Veränderung resultie- ren auch neue Anforderungen an die berufliche Qualifikation von Arbeitnehmern. Allerdings bedeutet ein Wandel der Qualifikationen nicht zugleich das Ende der Berufe“ (Meyer 2000, 13). Ausbildungs- beruf Erwerbs- beruf Berufs- ausbildung Berufs- ausübung REALITÄTSEBENE SOZIALE WIRKLICHKEIT (Tradition, Wandel) Berufsbegriff allgemeines Organisationsprinzip von Qualifikation Erwerb Arbeit THEORIEEBENE ABSTRAKTES BERUFSKONZEPT (Wissenschaft, Stabilität) Bild 19: RITA MEYER schlägt vor, das Prinzip der Beruflichkeit zweidimensional anzulegen, denn so würde deutlich, „daß die historischen Elemente des Berufes [Realitätsebene] im Prozeß der Modernisierung der Arbeitswelt einer Erosion ausgesetzt sind. Da- von betroffen sind auch die traditionellen, nach dem Prinzip der Fachlichkeit gegliederten und auf Konstanz und Inhaltlichkeit ange- legten, spezifischen Organisationselemente wie z.B. der Ausbildungsberuf, die Berufsausbildung im Dualen System und der Fachar- beiterberuf. Beruflichkeit als ein allgemeines Organisationsprinzip von Arbeit, wie es mit dem soziologischen Berufskonzept beschrie- ben wird [Theorieebene], ist von dieser Entwicklung nicht betroffen“ (Grafik nach Meyer 2000, 31; Zitat 51). Um die im Berufsbereich gegenwärtig ablaufenden Veränderungsprozesse begriff- lich fassen zu können, entwickelt MEYER einen zweidimensionalen Berufsbegriff, der auf der Realitätsebene (= soziale Wirklichkeit, Wandel) differenziert in Ausbil- dungsberuf (Berufsausbildung) und Erwerbsberuf (Berufsausübung) und den Be- rufsbegriff auf der Theorieebene (= abstraktes Berufskonzept, Stabilität) als „allge- meines und abstraktes Organisationsprinzip von Arbeit, Erwerb und Qualifikation [definiert]. Dieses abstrakte Berufskonzept löst sich von den genannten sich histo- risch konkretisierten Ausprägungen des Berufsbegriffs. Als ein allgemeines Orga- nisationsprinzip ist es nicht an einen jeweils spezifischen historischen Kontext ange- bunden, sondern es erfüllt vielfältige Funktionen auf der individuellen, der be- trieblichen und der gesellschaftlichen Ebene. Über den Beruf wird so das Indivi- duum in das Verhältnis zur Gesellschaft gesetzt“ (Meyer 2000, 31; vgl. o. Bild 19). Analog zum oben eingeführten Arbeitsbegriff (vgl. o., S. 46 f.), halte ich für diese Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 50 ] Studie ein solches kontextunabhängiges, abstraktes Berufskonzept, das sich von konkreten Tätigkeiten und vom alltagssprachlichen Berufsverständnis (vgl. Kai- ser/Pätzold 1999, 51 f.) der Realitätsebene löst und auf der Theorieebene Stabilität sowie Wandel integriert, für unabdingbar. Von den mir bekannt gewordenen Berufsdefinitionen kommt nach meiner Einschätzung diejenige des Instituts für Arbeitmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg der Forderung, vorindustriel- le, industrielle und postindustrielle Beruflichkeit zu integrieren, am nächsten. Nach der Definition des IAB wird eine reale Tätigkeit zum „Beruf“, wenn folgende Merkmale vorliegen (vgl. Dostal 1998, 440): • Eine Bündelung von Qualifikationen im Sinne charakteristischer Ausprä- gungen und Organisation von Wissen (Sachverhalte kennen und anwenden, Arbeitstechniken/Fertigkeiten beherrschen) sowie Sozialkompetenz (als ei- ner Bündelung typischer Verhaltensweisen, Orientierungen und Werthaltun- gen). Die zugeordneten Aufgabenfelder sind durch eine Kombination aus Arbeitsmitteln, Objekt (Gegenstand) und Arbeitsumfeld geprägt. • Die Existenz hierarchisch abgestufter Handlungsspielräume, die sich aus der Verknüpfung der Qualifikationsseite (Arbeitskraftseite) mit der funktionalen Aus- prägung der Arbeitsaufgaben (Arbeitsplatzseite) ergeben. Sie sind bestimmt durch den Status (die betriebliche Position des einzelnen), die Organisations- einheit (Aufgabengebiet/ Abteilung) und das spezifische Arbeitsmilieu. In die- sem Rahmen können persönliche Interessen im Sinne gestalterischer Ziele ent- faltet werden. Zudem wirkt der Beruf über die Erwerbstätigkeit hinaus als Struk- turmerkmal gesellschaftlicher Einordnung und Bewertung. Von dieser beruflichen Organisation der Arbeit wird in modernen Industriegesell- schaften der Job als Möglichkeit unterschieden, seine Arbeitsleistung im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einzubringen. Zwar erfordert die Ausübung eines Jobs ebenfalls ein spezielles Spektrum an Wissen, Fähigkeiten und Fertig- keiten, im Gegensatz zur Berufsarbeit werden diese in der Regel aber nicht systematisch erlernt. In Abgrenzung zur Berufsarbeit stehen beim Job temporäre Aspekte der Ausübung sowie deren einkommens- und existenzsichernde Funktion im Vordergrund, dagegen sind beim Job die psychosozialen Funktionen sowie die wert- und persönlichkeitsbedeutsamen Momente von geringerer Bedeutung als bei der Berufsarbeit. Deshalb spielen auch die den Sozialstatus konstituierenden As- pekte beim Job eine geringere Rolle als beim Beruf (vgl. Kruse 2000, 15 f.). 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 51 ] Nach dem bisher Gesagten liegt es auf der Hand, dass für die vorgeschichtliche Zeit weder von „Beruf“ noch von „Berufsausbildung“19 im heutigen Sinne gespro- chen werden kann. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass das Sammeln, Speichern und Weitergeben von Arbeitswissen und -fertigkeiten schon früh im Paläolithikum eingesetzt haben muss, denn „die vorgeschichtliche Forschung zeigt uns eine sol- che Fülle von Errungenschaften frühester Kulturen in Bezug auf Ernährung, Sied- lung, Rohstoffbeschaffung, Techniken, Herstellung und Gebrauch von Waffen, Werkzeugen, Gefäßen, Schmuck und Kleidung, Gesellschaftsordnung, Bestat- tung, Künste, Kulte und Religionen, und innerhalb alles dessen einen so unver- kennbaren Fortschritt, daß wir staunend vor der Erkenntnis stehen, wie viel in die- sen frühesten Zeiten schon lehrend und unterweisend von Generation an Genera- tion weitergegeben worden sein muߓ (Dolch 1959, 14). Diese ständig wachsende „Fülle von Errungenschaften“ basierte sicher auf einer kontinuierlichen Zunahme der Leistungsfähigkeit des Gehirns der Vormenschen, die es ihnen ermöglichte, den Zuwachs an Kenntnissen rational zu verarbeiten, war aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch daran gebunden, dass sich nicht erst wäh- rend der Hochkulturen, sondern bereits in einem sehr frühen vorgeschichtlichen Zeitraum einzelne Spezialisten oder Gruppen von Spezialisten für bestimmte Tätig- keiten herausgebildet haben. Gewiss haben bei der Entstehung der ursprünglichen Arbeitsteilung 20 Faktoren wie Geschlecht, Alter, Fähigkeiten, Stärke (Macht), Gruppenzugehörigkeit u. ä. eine wesentliche Rolle gespielt. Um dem Prozess Stabilität und vor allem Zukunftswirkung zu geben, mussten zudem Möglichkeiten 19 Der Modellversuch VISUBA hat als Definition der Berufsausbildung die Sprachregelung der Europäischen Union übernommen: „Jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine be- stimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, gehört zur Berufsausbildung, und zwar unabhängig vom Alter und vom Aus- bildungsniveau der Schüler und Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält“ (Rechtssache 293/83, Europäischer Gerichtshof, Luxemburg, 13.02.1985; vgl. Lipsmeier o. J., 1; Kai- ser/Pätzold 1999, 80 ff.). 20 „Wenn wir in die biologische Entwicklungsgeschichte des Menschen und noch allgemeiner der Primaten zurückbli- cken, so wird deutlich, dass das Zusammenwirken mehrerer Individuen notwendig ist, um die Lebenserfordernisse, also auch die dazu notwendigen Arbeitsanforderungen zu bewältigen. Arbeitsteilung im umfassenden Sinn ist also eine evolutionsbiologisch verständliche Erscheinung. Bereits die einfache Addition der Arbeitskräfte verschiedener Individuen in der Form von koordinierter Gemeinschaftsarbeit stellt eine Vorform der Arbeitsteilung dar. […] Im Ver- lauf der historischen Entwicklung der Arbeitsteilung bildeten sich zwei deutlich unterscheidbare Arten heraus, deren gemeinsames Merkmal zwar in der Spezialisierung liegt, die aber bezüglich der Qualifikationen entgegengesetzten Polen zustreben. Die berufliche Arbeitsteilung betrifft die Konzentration auf völlig verschiedene Tätigkeiten, die jeweils eine mehr oder weniger lange Lehr- und Erfahrungszeit bis zu ihrer vollkommenen Beherrschung verlangen. Diese berufliche Arbeitsteilung entwickelte sich zuerst. Relativ spät kam die innerbetriebliche Arbeitsteilung hin- zu. Hierbei geht es um die Zerlegung eines als Ganzes anspruchsvollen Arbeitsprozesses, wie er bei der berufli- chen Arbeitsteilung die Regel bildet, in einzelne, jeweils für sich relativ einfache, leicht zu lernende Arbeitsschritte. Im Ergebnis führte diese innerbetriebliche Arbeitsteilung zu monotonen bis deformierenden Tätigkeiten und machte die Menschen zu Anhängseln der Maschinerie“ (Zinn 2002, 13 f.; vgl. u. 5.1.4, S. 260 ff.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 52 ] entwickelt werden, durch Erfahrung kumuliertes (Spezial-)Wissen der Individuen wie das der Gruppen zu konservieren und an nachfolgende Generationen zu tradieren. GUODSBLOM hat am Beispiel der Domestizierung des Feuers meines Erachtens einleuchtend dargetan, wie man sich dieses Zusammenspiel mentaler und physi- scher Faktoren bei der Weitergabe existenziellen „Fachwissens“ bereits in einem sehr frühen menschlichen Entwick- lungsstadium zu denken hat: „Die War- tung von Feuer war eine Form von ‚Umwegverhalten’ oder aufgeschobener Bedürfnisbefriedigung, die später eine wesentliche Bedingung für Ackerbau und Viehzucht war. Anders als - bei ober- flächlicher Betrachtung - ähnlich komple- xe Tätigkeiten wie der Nestbau der Vö- gel war es eben nicht genetisch veran- kert, sondern mußte erlernt werden. Die Fähigkeit, etwas über Feuer zu wissen und die Bereitschaft, etwas dafür zu tun, damit es nicht ausgeht, können als mentale oder psychische Merkmale angesehen werden, die die physischen Merkmale - aufrechter Gang, flexible Hände und ein großes und ausdifferenziertes Gehirn - ergänzten. Weder die physischen noch die geistigen Fähigkeiten hätten dem einzelnen menschlichen Individuum jedoch irgend etwas gebracht, wären sie nicht im Zusammenleben mit anderen Menschen entwickelt worden. Die Fähig- keit, von den Älteren zu lernen und ihnen zu gehorchen, waren zusätzliche Vor- bedingungen, um eine Kontrolle über Feuer zu erwerben, die dann auch in den folgenden Generationen nicht wieder verlorenging“ (Goudsblom 2000, 32; Hervor- hebungen von mir. HD.). Es gibt keine Belege, wie dieser „Ausbildungsprozess“ organisiert war, man wird sich diesen dem Nachahmungsprinzip (Imitatio) fol- genden Vorgang (vgl. o. Bild 20) aber integriert denken müssen in die Erziehung der in die soziale Gruppe (Familie, Sippe) hinein wachsenden Mitglieder. Die beiden korrespondierenden Prozesse der Arbeitsteilung und der Wissenswei- tergabe durch Imitation, „die zunächst wohl sicher bestimmten praktischen Not- wendigkeiten entsprang[en] und erst später durch Reflexion Absicht und System wurde[n]“ (Lipsmeier o. J., 1), bewirkten zusammen mit Differenzierung und Spe- Bild 20: Die Ursituation des Lehrens und Lernens: Vorfüh- rung, Nachahmung und Einübung. Das Imitatioprinzip, demonstriert anhand der Bearbeitung eines Steins mit Stein- werkzeugen. Rekonstruktionszeichnung (Bayerisches National- museum 1989, 17) 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 53 ] zialisierung der Tätigkeiten die Entstehung gleichartiger Arbeitsverrichtungen, die innerhalb des Sozialverbandes sowohl auf Kontinuität ausgerichtet waren als auch ein gewisses Maß an Qualifikation voraussetzten und deshalb wohl mit Fug im weitesten Sinne als „Berufe“ bezeichnet werden können. Diese Entwicklungen wur- den vor etwa 12.000 Jahren mit der Domestizierung von Pflanze, Tier und insbe- sondere des Menschen selbst, also mit der Ablösung des Nahrungssammelns durch die systematische Nahrungspro- duktion und den damit einher gehenden neuen Techniken und Fertigkeiten z. B. des Ackerbaus, des Webens, Töpferns, der Vorratshaltung usw. dauerhaft ver- festigt und wirksam beschleunigt. We- gen der Nachhaltigkeit der damit ausge- lösten fundamentalen Veränderungen wird dieser Prozess allgemein als neo- lithische Revolution bezeichnet und in seiner Bedeutung für die Arbeitsge- schichte sogar mit der Industrialisierung des 18./19. Jahrhunderts auf eine Stufe gestellt: „In der Geschichte der menschlichen Arbeit bezeichnet die industrielle Re- volution den zweiten fundamentalen Einschnitt. Ebenso wie die ihr zur Seite zu stel- lende neolithische Revolution bedeutet sie die völlige Umwälzung der stofflichen und nachfolgend oder mit ihr verschränkt aller weiteren Aspekte des gesellschaftli- chen Lebensprozesses“ (Kößler 1990, 32). Über den Anteil der Frauen an diesem Prozess kann wegen der fehlenden konkre- ten Quellen nur spekuliert werden, aber weil dieser Übergang von der paläolithi- schen Jäger- und Sammlerkultur zur neolithischen Agrargesellschaft mit einem grundlegenden Wandel der Lebensweise der sozialen Kleingruppen verknüpft war, geht z. B. LEWIS MUMFORD davon aus, dass Frauenarbeit dabei von ganz zentraler Bedeutung war: „Schutz, Speicherung, Einzäunung, Anhäufung, Kontinuität - diese Beiträge der neolithischen Kultur stammen weitgehend von der Frau und ihren Auf- gaben. In unserer gegenwärtigen Vorliebe für Geschwindigkeit, Bewegung und räumliche Ausdehnung neigen wir dazu, all diese stabilisierenden Prozesse abzu- werten. [...] Aber ohne die ursprüngliche Betonung der Kontinuität, zuerst im Stein, Bild 21: Werkzeugherstellung in der Jungsteinzeit. Rekon- struktion einer „Bohrmaschine“ für Stein (Schneider/Stock- meyer 1994, 5) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 54 ] dann in der neolithischen Seßhaftigkeit verkörpert, hätten die höheren Kulturfunktio- nen sich nicht entwickeln können. Da die Arbeit in unserer Gesellschaft infolge der Automation zu verschwinden beginnt und der Begriff der täglichen Mühsal für den einzelnen bedeutungslos wird, werden wir vielleicht zum ersten Mal begreifen, welche Rolle die neolithische Kultur in der Humanisierung des Menschen gespielt hat“ (Mum- ford 1977, 169). In dieser durch die „neolithische Sesshaftigkeit“ geprägten Arbeitsteilung sieht die Forschung heute zugleich den Ursprung der bis in die Gegenwart hinein reichenden gesellschaftlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau: „In einer Gemein- schaft, die das Fleisch schätzte, auch wenn es nur einen kleinen Teil der gesamten Nahrung ausmachte, galt der Jäger als eine Respektsperson. Die gebärende und stil- lende Frau, die immer ein Wickelkind zu versorgen hatte oder schwanger war, konnte an der Jagd auf Großwild nicht teilnehmen. Ihr kam die Aufgabe zu, in der Nähe des Lagers nach Wurzeln und Pflanzen zu suchen. Die an ihren Wohnort gebundenen Frauen machten einige der bedeutendsten Erfindungen der Menschheit. Sie began- nen als erste, Körbe zu flechten, Tongefäße zu formen, Stoffe zu weben und zu nä- hen. Die Frauen verstanden die Bedeutung des Samens und des Säens, und wahr- scheinlich waren sie es, die erstmals nützliche Haustiere wie Ziegen und Schafe züchteten. Doch trotz ihrer Erfindungen spielte die Frau nur eine untergeordnete Rol- le. Und in ihrer Geschichte wiederholt sich stets von neuem das gleiche Phänomen: Hat eines der von Frauen erdachten Arbeitsverfahren eine gewisse Entwicklungsstufe erreicht, eignen die Männer es sich an und überlassen den Frauen nur noch die Hilfsarbeiten“ (Utrio 1987, 14). Frühformen von „Arbeitsgesellschaften“21 mit tief greifender horizontaler und vertika- ler Arbeitsteilung, gesellschaftlich organisierter Arbeitskooperation und abhängiger öf- fentlicher Arbeit entstanden aber erst mit dem Übergang der neolithischen Kleinge- sellschaften zu urbanen Zivilisationen, also als Folge der „urbanen Revolution“ (Mc- Clellan/Dorn 2001, 41) des vierten vorchristlichen Jahrtausends, mit der auch die prähistorische Epoche zu Ende geht. 21 Meines Wissens geht dieser Begriff auf HANNAH ARENDT (1906-1975) zurück, die in ihrer 1958 publizierten Studie „Vita activa“ damit die aus der Industrialisierung des 18./19. Jahrhunderts hervorgegangenen Gesellschaften be- zeichnet: „Die Neuzeit hat im siebzehnten Jahrhundert damit begonnen, theoretisch die Arbeit zu verherrlichen, und sie hat zu Beginn unseres Jahrhunderts damit geendet, die Gesellschaft im Ganzen in eine Arbeitgesellschaft zu verwandeln“ (Arendt 1960, 11. Zum Begriff der „Arbeitsgesellschaft“ vgl. Matthes 1982, 13 ff.). 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 55 ] 1.3 Visualisierung (Leitobjekte: Faustkeil und „Ötzi“) 1.3.1 Zentralbereich Es sei noch einmal betont: Abgestimmt auf die primären Funktionen des Zentral- bereichs, Interesse und Neugier zu wecken sowie einen motivierenden Einstieg zu ermöglichen, sollen hier exemplarische Installationen zu jeder der sechs arbeitsge- schichtlichen Epochen (vgl. o., S. 26) den berufs(bildungs)geschichtlichen Bogen span- nen von der Vorgeschichte bis in die Ge- genwart und zudem - soweit möglich - in die Zukunft weisen. Über das Exotische und Fremde ferner Vergangenheit sowie über die Aktivierung der Besucher/innen wollen diese Installationen einerseits zur Auseinan- dersetzung mit dem Thema „Entstehung und Entwicklung der Berufsbildung“ motivieren und andererseits durch die Betonung von Ele- menten der Kontinuität eine Beziehung her- stellen zur Lebenswirklichkeit des heutigen Ausstellungspublikums. Vom Faustkeil zum Computer Nach dem bisher Ausgeführten liegt die Überlegung nahe, die Epoche der „Ur- sprünge von Arbeit und Beruf“ im Zentralbereich durch einen Faustkeil zu symbo- lisieren, vorzüglich durch ein Original, etwa als Leihgabe aus der Archäologischen Staatssammlung - Museum für Vor- und Frühgeschichte in München. Denkbar wä- re aber auch, bei der Visualisierung die Möglichkeiten eines technischen Muse- ums nützen und die Aufmerksamkeit des Publikums z. B. mittels einer möglichst großen holografischen Projektion eines Faustkeils auf die Thematik des Ur- sprungs von Arbeit und Beruf zu lenken. Darüber hinaus bietet es sich an, Attraktivität und Neugier weckende Spannung des Ausstellungsobjekts Faustkeil dadurch zu steigern, dass er als eines der ältes- Bild 22: Faustkeil aus Gerwisch bei Magdeburg, rund 250.000 Jahre alt (Schulz 2004, 142) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 56 ] ten menschlichen Werkzeuge in einer gemeinsamen Installation konfrontiert wird mit einem der modernsten: dem Computer, der als Leitobjekt für die Epoche 6 Zukunft von Arbeit und Beruf vorgesehen ist (vgl. u. 6.3, S. 390 ff.). In dieser Installation „schwebt“ der Faustkeil - entweder als Original oder als Hologramm - im Raum über einem als Touch-Screen funktionie- renden Glastisch, in dessen Plexiglasso- ckel die steuernde PC-Einheit deutlich sichtbar hervorgehoben ist. Auf dem zweigeteilten Touch-Screen, gewisser- maßen zwischen Faustkeil und Compu- ter, laufen zwei interaktive Simulatio- nen22 ab. Ein Monitor demonstriert Her- stellung und Anwendung eines Faust- keils und zeigt die dafür nötigen Kennt- nisse und Fertigkeiten der Menschen der Vorzeit, während der andere die Entwick- lung und Produktion des in diesem Ensemble verwendeten PCs vom Gehäuse über die Hardware bis zur Software sowie alle damit zusammenhängenden Abläufe, Ar- beitsprozesse und Berufe vorstellt. Ideal wäre es, wenn die Museumsbesucher/innen hier auch Gelegenheit bekom- men könnten, ihr eben erworbenes (Berufs-)Wissen über die Herstellung von Faustkeilen nun in der Praxis zu erproben, indem sie etwa in einer „Besucher- werkstätte“ im Rahmen von Vorführungen selbst Faustkeile produzieren. Ein ein- drucksvolles Beispiel, das das Museum als „Erlebnisort“ realisiert und die von NOSCHKA-ROOS eingangs skizzierten Grundsätze (vgl. o., S. 34 f.) in Museums- praxis umsetzt, indem Besucherinnen und Besucher in Eigenerprobung und ar- chäologischem Experiment selbst steinzeitliche Techniken anwenden und Stein- werkzeuge herstellen können (vgl. o. Bild 23), bietet das Vorgeschichtsmuseum in Bad Königshofen/Grabfeldgau, ein Zweigmuseum der Prähistorischen Staats- 22 Für das Designen nicht nur dieser, sondern auch aller anderen Ausstellungssimulationen VISUBAs könnte sich ei- ne Zusammenarbeit mit MARS - Media Arts Research Studies - als sehr fruchtbar erweisen. MARS ist ein experi- mentelles Forschungslabor des Fraunhofer-Instituts für Medienkommunikation, „das in interdisziplinären Teams von Architekten, Künstlern, Gestaltern, Informatikern sowie Kunst- und Medienwissenschaftlern ‚Tools for the Art of To- morrow’ entwickelt. [Die dabei eingesetzten] digitalen Medien ermöglichen die virtuelle Rekonstruktion längst ver- schwundener Bauten, die Gestaltung und Erkundung digitaler Wissensräume, die Integration entfernter oder digita- ler Räume in Museen und Ausstellungen und die Entwicklung neuer spielerischer, interaktiver und kommunikativer Vermittlungsstrategien“ (Zschocke 2004). Bild 23: In der Besucherwerkstätte. Schülerin und Schüler beim Schleifen von Steinbeilen (MPZ 1997, 69) 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 57 ] sammlung München (vgl. MPZ 1997, 66 ff.). Um die dortigen Erfahrungen für VI- SUBA im DM nutzbar zu machen, sollte in der Realisierungsphase mit dem Muse- umspädagogischen Zentrum (MPZ) in München und dem Vorgeschichtsmuseum Kontakt aufgenommen werden. Vertie- fende Informationen zu dieser hand- werklichen Eigenerprobung sowie zur allgemeinen Berufsgeschichte finden Besucherinnen und Besucher am In- formationsterminal, das die Thematik zudem mit der Altamira-Abteilung des DM verlinkt, wo sie dann fortgeführt und erweitert wird (vgl. u. 1.3.2, S. 59 ff.). Ensemble „Gletschermann“ Daneben soll aber von Anfang an klar gestellt werden, dass in dieser Ausstel- lung nicht die Technik als solche, son- dern der sich ihrer bedienende Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung steht, denn er ist Ausgangspunkt und Ziel, Objekt und Subjekt jeglicher Bildung - also auch der beruflichen. Eine erste Visualisierungsmöglichkeit könnte des- halb eine Bilderserie sein, wie sie der Fotograf WERNER BACHMEIER mit „Hand&Werk“ für die Deutsche Arbeitsschutzausstellung (DASA) und die EXPO 2000 in Hannover gestaltet hat (vgl. o. Bild 11, Bild 15 und Bild 18). BACHMEIER will mit seiner Bildfolge von Händen im Arbeitsprozess nach eigenem Bekunden zeigen, „wie durch ‚Begreifen’ der Hände das Denken beeinflusst wird, wie Hände den aktiven Kontakt zur Umwelt herstellen [und wie] mit der Hände Arbeit die Um- welt selbst verändert wird“ (Bachmeier 2001). Ihre volle Wirkung entfaltet die Visualisierung im Zusammenhang mit dem zweiten Leitobjekt dieser Epoche, einer lebensgroßen Rekonstruktion der „jungneolithi- Bild 24: Rekonstruktion des „Gletschermannes“ im Ar- chäologiemuseum Bozen (Fleckinger 1998, 27) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 58 ] sche[n] Mumie aus dem Gletscher vom Hauslabjoch“ (Spindler 2000, 96), des umgangssprachlich als „Ötzi“ bekannten „Mannes aus dem Eis“.23 Die bei der Mumie gefundenen Waffen (Bogen, Pfeile, Köcher, Steindolch mit Lederscheide), Werkzeuge (Kupferbeil, Steinschaber und -bohrer, Knochenahle, Retuscheur), Geräte (Rückentrage, Netz, Birkenrindengefäße, Leibriemen mit Tasche, Bast- schnur, Steinbockknochen, Dolomitperle mit Fellstreifenquaste) und Kleidung (Mütze, Obergewand, Hose, Lendenschurz, Schuhe, Grasmantel) weisen den Mann als Angehörigen einer jungsteinzeitlichen Kultur aus (um 3200 v. Chr.), die offenbar bereits sehr weit entwickelte und differenzierte Arbeitstechniken kannte (vgl. Bild 24, S. 57 und Bild 26, S. 61). Nachhaltiger und eindrucksvoller als jedes Einzelobjekt verdeutlicht das „Ensemble Gletschermann“ also, dass • diese verschiedenen Techniken im ausgehenden Neolithikum von einem einzi- gen Menschen wie dem „Gletschermann“ in toto nicht mehr zu beherrschen wa- ren, sondern bereits überwiegend arbeitsteilig ausgeübt worden sein müssen; • für die Herstellung seiner Ausrüstung sicher tradiertes Spezialwissen und eingeübte Fertigkeiten der Leder-, Holz-, Stein- oder Metallverarbeitung nötig waren, die als frühe Vorformen von Berufen gedacht werden können; • Konservierung und Tradierung dieses Spezialwissens, sprich „Berufsbildung“ im engeren Sinne, also entscheidende kulturelle Bedeutung haben. Nicht zuletzt stellt ein originalgetreues Replikat des wohl populärsten archäologi- schen Fundes unseres Raumes in den letzten Jahrzehnten nicht nur einen me- dienwirksamen Eye-Catcher für die Ausstellung dar, sondern sollte sich auch für das DM als Publikumsmagnet erweisen.24 23 „Die Bezeichnung der Gletschermumie bereitete zunächst ziemliche Schwierigkeiten. Grundsätzlich dürfen für die of- fizielle Benennung eines Fundes nur geografische Angaben verwendet werden, die auf amtlichen Karten eingetra- gen sind. Bei dem Fundkomplex ‚Mann aus dem Eis’ ist dies das Hauslabjoch, 330 m von der Fundstelle entfernt. Das topografisch wesentlich näher am Auffindungsort liegende Tisenjoch scheint in keiner amtlichen Karte auf. Während die Behörden versuchten, eine einheitliche Benennung einzuführen, trieb die Suche nach einem populä- ren Namen in der Presse wundersame Blüten. Neben den relativ sachlichen Bezeichnungen ‚Mann vom Hauslab- joch’, ‚Mann vom Tisenjoch’, ‚Mann vom Similaun’, ‚Homo tirolensis’ und ‚Mann im Eis’ kreierten die Journalisten über 500 verschiedene Namen und Wortschöpfungen, die sich gelegentlich sehr skurril und bizarr ausnahmen. Der Wiener Reporter KARL WENDL war es, der am 26. September 1991 in einem Bericht der Wiener ‚Arbeiter-Zeitung’ den Namen ‚Ötzi’ prägte, und zwar in Anlehnung an das Ötztal. Die offizielle Bezeichnung der Gletschermumie lau- tet gemäß eines Beschlusses der Südtiroler Landesregierung vom 2. Juli 1997: ‚Der Mann aus dem Eis’ - ‚L'Uomo venuto dal ghiaccio’“ (Fleckinger 2003, 21). 24 Vgl. auch das VISUBA-Teilkonzept: KÜSTER, Burkhard: Agrarwirtschaft und Umweltschutz. München 2004 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 59 ] 1.3.2 Insellösung im DM Die Leitobjekte Faustkeil und „Ötzi“ stellen den Bezug her vom Zentralbereich VI- SUBAs zur Altamira-Ausstellung im 2. Stock des DM, wo das Ausstellungspubli- kum sodann seine ersten Eindrücke über die Entstehung von Arbeit und Berufen in der Vorzeit systematisch vertiefen kann. Die derzeit existierende bloße Höhlennachbildung allein kann dies natürlich nicht leisten, aber das DM selbst kündigt in seinem Ausstellungs- führer eine interessante Neugestaltung der Altamira-Abteilung an: „Für die nächsten Jahre ist geplant, in den Räumen vor und hinter der Altami- ra-Höhle eine umfassendere Abteilung zur Technik der Steinzeit aufzubauen. Sie soll die kulturellen und techni- schen Leistungen dieser Epoche zei- gen: die Erfindung von Werkzeugen und ihre Verfeinerung, die Nutzung des Feuers und ihre vielfältigen künst- lerischen Ausdrucksformen. Die Agrari- sche Revolution der Jungsteinzeit - die Einführung einer organisierten Land- wirtschaft und die dadurch bedingte Seßhaftigkeit - führte zu einer Vielzahl von Erfindungen und Entwicklungen, die unsere Technik, Kultur und Zivilisation begründeten: Keramik, Weberei, das Rad, die Schrift und das Schmelzen von Bronze“ (Deutsches Museum 2000, 96; Hervorhebungen von mir. HD.). Chance Diese Renovierung mit grundlegender Umgestaltung einer ganzen Abteilung des DM bietet die einzigartige Chance, diesen Aspekt aus VISUBA nicht erst nach- träglich in eine bestehende Museumsabteilung implementieren zu müssen, son- dern dessen Umsetzung von Anfang an in Zusammenarbeit mit dem DM zu pla- Bild 25: Titelseite des Begleitbuchs zur Altamira-Ausstellung im Deutschen Museum (1995) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 60 ] nen. Es sollte deshalb zunächst geklärt werden, welchen Zeitrahmen sich das DM für die Neugestaltung der Abteilung gesetzt hat, und dann könnte darüber ent- schieden werden, ob dieser Teil von VISUBA als erster und eventuell unabhängig von den übrigen Themen realisiert werden kann und soll. 1.3.3 Leitziele der Visualisierung Die Visualisierung dieser Epoche mittels der Leitobjekte Faustkeil und Glet- schermann-Ensemble sowie deren Konfrontation mit dem entsprechend gestalte- ten Computer sensibilisiert Besucherinnen und Besucher zunächst für die überragende Rolle menschlicher Arbeit im historischen Prozess und illustriert de- ren vier grundlegende Funktionen für den Menschen: • Kompensation physiologischer Mängel • Sicherung der materiellen Existenz • Befriedigung der Bedürfnisse • Bestimmung der Stellung in der (Um-)Welt (Selbstverwirklichung) Das Leitobjekt Faustkeil soll vor allem drei wesentliche Gesichtspunkte betonen: • Der Mensch ist das einzige Wesen im Ökosystem Erde, das nicht nur Werk- zeuge benützt, sondern diese funktional gestaltet und zur Werkzeugherstel- lung selbst wiederum Werkzeuge entwickelt und einsetzt. • Die Fähigkeit zu Herstellung und Gebrauch von Werkzeugen ist ein entschei- dender Faktor bei der Entwicklung der Gattung Mensch, denn sie entzieht den Menschen bestimmten natürlichen Selektionsmechanismen und ermöglicht ihm damit eine sich von den Umweltbedingungen lösende Entwicklung. • Die zeitliche und regionale Verbreitung der Werkzeuge belegen, dass das in diesem Zusammenhang gewonnene spezielle Erfahrungswissen an nachfol- gende Generationen weitergegeben worden sein muss: Tradierung durch Imi- tatio-Lernen. Das Leitobjekt „Ensemble Gletschermann“ veranschaulicht zwei zentrale Aspekte: • Vielfalt und Komplexität der beim Gletschermann gefundenen Geräte und Werkzeuge visualisieren die Notwendigkeit der Spezialisierung einzelner Menschen auf bestimmte Tätigkeiten: horizontale Arbeitsteilung. 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf [ 61 ] • Aus dieser horizontalen Arbeitsteilung entwickeln sich Vorformen von Beru- fen, deren spezielle Kenntnisse, Fähigkeiten sowie Werkzeugformen, - herstellung und -einsatz durch Imitation tradiert werden. Aus der Konfrontation des Faustkeils mit dem Computer ergeben sich weitere Leitziele für die Visualisierung, auf die ich im Rahmen des Kapitels 6 Zukunft von Arbeit und Beruf eingehen werde (vgl. u. 6.3, S. 390 ff.). Bild 26.1 Bohr- und Schneidewerkzeuge (S. 87) Bild 26.2 Kupferaxt mit Gebrauchsspuren (S. 73) Bild 26.3 Retuscheur zum Schärfen von Steinklingen (S. 76) Bild 26.4 Steinmesser mit Scheide aus Lindenbast (S. 74) Bild 26: Auswahl aus den Gerätschaften, die bei dem „Gletschermann“ Ötzi gefunden wurden. Die sehr vielseitige und effiziente Ausrüstung erlaubte dem Mann aus dem Eis, über einen längeren Zeitraum von seiner Siedlung fernzubleiben und sich selbst zu ver- sorgen (alle Bilder aus: Fleckinger 2003). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 62 ] 1.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 1 Ursprünge von Arbeit und Beruf Ort der Realisierung Exponate und „Zubehör“ Besucher- Aktivitäten PC-Station und Software Flachware etc. Fläche (ca.) 1 Faustkeil (Original z. B. als Leihgabe der Archäolo- gischen Staats- sammlung München) Glasvitrine Sockel Glastisch mit integrierten Monitoren Material (Feuerstein) Stein-Werkzeug Schutzkleidung (für Augen, Hände etc.) Arbeitsfläche Sitzgelegen- heiten für Zu- schauer/innen Erläuterungen zum Exponat Verweis auf Insel (Kontext der Ausstel- lung) Faltblatt oder Broschüre mit Arbeitsanlei- tung 10 m2 15 m2 Zentral- bereich 2 „Ötzi“-Re- konstruktion inklusive aller bei ihm ge- fundenen Ge- genstände Sockel, Glasvitrine Recherche am PC „Arbeit“ in der Besucher- werkstätte: Produktion eines Faustkeils PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Arbeitsanleitung (Videodemon- stration) für die Faustkeil- produktion Erläuterungen zum Exponat Verweis auf Insel (Kontext der Ausstel- lung) 10 m2 Insel im DM Abteilung “Altamira- Höhle“ (2. Stock) Planung im Zusammenhang mit der Neuge- staltung der „Altamira- Abteilung“ im DM Recherche am PC (Denkbar ist auch, die „Besu- cherwerkstätte“ in diesem Bereich zu realisieren.) PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Erläuterungen zu den Expo- naten Bezug zum Zentralbereich (Kontext der Ausstellung) 5 m2 Bild 27: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 1: Ursprünge von Arbeit und Beruf 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 63 ] 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) „Der beste Staat aber wird keinen Gewerbsmann zum Bürger machen, und sollte auch er ein Bür- ger sein, so ist doch die von uns angegebene Tu- gend des Bürgers nicht jedem und auch nicht dem, der bloß ein freier Mann ist, zuzuschreiben, sondern nur denen, die von dem Erwerb des not- wendigen Lebensunterhalts befreit sind.“ ARISTOTELES (384-322 v. Chr.)25 Auch wenn LEWIS MUMFORD bereits für das Paläolithikum eine negative Bewertung körperlicher Arbeit herleitet26, ist der Anfang dieser Epoche nach meiner Ansicht erst mit dem vor fast sechs Jahrtausenden in Mesopotamien und Ägypten beginnenden, danach in unterschiedlichen Regionen der Erde (Indien, China, Mittel- und Südameri- ka) unabhängig voneinander ablaufenden Übergang neolithischer Agrargemeinschaf- ten zu urbanen Zivilisationen anzusetzen, denn „als Phase in der Geschichte der Menschheit und der Technik war die urbane Revolution folgenreicher als jede andere, bis die Industrielle Revolution im 18. Jahrhundert in Europa Fuß faßte“ (McClel- lan/Dorn 2001, 41). Sicher darf unterstellt werden, dass dies für die Arbeits-, Berufs- und Berufsbildungsgeschichte in ganz besonderem Maße zu gelten hat, bildeten doch diese neuen gesellschaftlichen Organisationsformen „eine hierarchische Struk- tur, eine soziale Pyramide, die von der breiten Basis bis zur obersten Spitze viele Familien, viele Dörfer, viele Berufe, oft viele unterschiedliche Lebensregionen und nicht zuletzt viele Götter in sich vereinigte. Diese politische Struktur war die grundle- gende Erfindung des neuen Zeitalters“ (Mumford 1977, 194). Zudem mündet die illite- rate Menschheitsgeschichte mit dem Beginn der urbanen Hochkulturen in die Epoche der schriftlichen Überlieferung, wodurch Aussagen über Wertungsfragen möglich werden, die über die Ebene der bl 25 Politik 1278a5 ff. 26 „Die paläolithischen Männer empfanden, nach den meisten überlebenden Jägervölkern zu schließen, eine aristokra- tische Verachtung für Arbeit in jeglicher Form: Sie überließen die Plackerei ihrem Weibervolk. Als dann die neolithi- schen Völker sich der Arbeit zuwandten, übernahm - was kaum verwunderlich ist - die Frau in ihrer geduldigen, ziel- strebigen Weise das Kommando“ (Mumford 1977, 155). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 64 ] So unterschiedlich die Geschichte der frühen Zivilisationen auch verlaufen sein mag, zwei wesentliche Merkmale haben diese Hochkulturen gemeinsam: • erstens eine ausgeprägte horizontale Arbeitsteilung27, eng verbunden mit einer starken Intensivierung und regionalen Ausweitung der Arbeitskoope- ration, materialisiert in großen Gemeinschaftsprojekten, und • zweitens eine hierarchisierende vertikale Arbeitsteilung, verknüpft mit ei- nem hohen Anteil an Zwangs- und Sklavenarbeit an den manuellen Tätig- keiten und der damit einher gehenden Deklassierung körperlicher Arbeit. Ohne verfälschend zu pauschalisieren, kann wohl gesagt werden: Unter produkti- ver Arbeit verstanden die Hochkulturen dieser Arbeitsgeschichtsepoche „das auf die Bedürfnisbefriedigung der Gesamtgesellschaft konzentrierte ‚poietische’ (her- stellende, produktive) Handeln bestimmter Menschengruppen, deren Status im hierarchisierten Gesellschaftssystem durch Abhängigkeit, Unterordnung und die Funktion des Dienens wesentlich gekennzeichnet war. Produktiv Tätige waren nämlich Sklaven, Diener, abhängige Landarbeiter, Bauern, Handwerker und die- nende Abhängige jedweder Art. In Altägypten, im klassischen Griechenland, im Mittelalter war die produktive Arbeit die Aufgabe der nicht-freien Menschen, wobei die Zahl der nicht-freien Menschen von Gesellschaft zu Gesellschaft beträchtlich variierte“ (Gil 1997, 14). Daneben lassen sich aber noch weitere mehr oder weni- ger ausgeprägte Gemeinsamkeiten feststellen, deren Zusammenwirken die Ent- wicklung der frühgeschichtlichen Gesellschaften zu Hochzivilisationen voran ge- trieben hat: • eine staatliche Organisation mit komplexen, hierarchisch organisierten Ge- sellschaftsstrukturen, beherrscht von einer religiös fundierten autokratischen Zentralgewalt; • die Überschussproduktion von Nahrungsmitteln durch neue Agrartechno- logien und die dadurch ermöglichte Freisetzung wesentlicher Teile der Be- völkerung für andere Tätigkeiten (Handwerk, Verwaltung, Militär); 27 „Die Vorstellung einer geregelten Arbeitsteilung, der Fixierung vieler natürlicher Verrichtungen in einem einzigen Le- bensberuf und der Beschränkung auf ein einziges Gewerbe stammt wahrscheinlich [...] aus der Zeit der Stadtgründun- gen. Die Stadtbewohner zahlten für die gewaltige Ausweitung ihrer kollektiven Macht und für die Herrschaft über die Umwelt den Preis einer Einengung ihres persönlichen Lebens. Das steinzeitliche Gemeinwesen wurde, als es in Städte einzog, in eine Fülle von Teilen zerlegt: Kasten, Klassen, Berufe, Gewerbe, Handwerke“ (Mumford 1979,121. MUM- FORD bezieht sich hier ganz offensichtlich auf PLATON. Vgl. u. 2.2.1, S. 76). 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 65 ] • die Entwicklung einer differenzierten Schriftkultur als Voraussetzung zentra- ler Verwaltung und effizient organisierten Handels sowie der Tradierung ge- sellschaftlich relevanten Wissens; • die Beherrschung großer hydraulischer Techniken (Wasserüberschuss oder Wassermangel) auf der Basis systematischer (wissenschaftlicher) Naturbe- obachtung (Mathematik, Vermessung, Astronomie). Die Phase des dominierenden negativen Arbeitsbegriffs läuft mit dem Ende der antiken Sklaverei und der Durchsetzung des Christentums in Mitteleuropa ab dem 8. Jahrhundert aus. Bild 28: Dieses in Ninive entdeckte Steinrelief „Sanherib in den Mauern einer eroberten Stadt“ ist eine der ältesten überlie- ferten Abbildungen einer Stadt. Es zeigt eine von einer turmbewehrten Rundmauer umgebene Ansammlung von Gebäuden, in die Gefangene geführt werden. Interessant für unser Thema: Die untere Hälfte des Reliefs stellt in abstrahierender Form offenbar das Handwerkerviertel der Stadt dar, denn in den sechs offenen Hütten oder Zelten werden mit unterschiedlichen Werkzeugen verschiede- ne Materialien und Werkstücke bearbeitet. Um 1500 v. Chr. (Mumford 1979, 691) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 66 ] 2.1 Ägypten 2.1.1 Arbeitskoordination „Monumentale Architektur in Form von Pyramiden, Tempeln und Palästen ist ein untrügliches Zeichen für eine Hochzivilisation, und zugleich ein bemerkenswertes Phänomen in der Geschichte der Technik. Sie ist nicht nur ein Beweis für außer- ordentliche technische Errungenschaften, sondern auch ein Indikator für die Ein- richtung und Praxis von Architektur und entwickelten Handwerken und Gewer- ben. Die ägyptischen Pyramiden sind das klassische Beispiel für Monumentalbau- ten in einer frühzeitlichen Zivilisation“ (McClellan/Dorn 2001, 55; Hervorhebung von mir. HD.). Da gerade die größten dieser faszinierenden Bauwerke, die Pyra- miden, als steinerne Zeugen jener Epoche bis in unsere Gegenwart ragen und mit ihrer exotisch-mystischen Aura jederzeit Neugier und Interesse wecken, bietet es sich an, das Beispiel Ägypten in die VISUBA-Thematik zu integrieren: „Die Große Pyramide ist eines der gewaltigsten und vollendetsten Beispiele der Baukunst aller Zeiten und aller Kulturkreise. Selbst wenn man die Primitivität der im dritten Jahr- tausend vor Christus verfügbaren Werkzeuge unberücksichtigt läßt, übertrifft kein Bauwerk unserer Zeit dieses an technischer Virtuosität und Kühnheit. Und doch wurde diese große Aufgabe von einer Kultur bewältigt, die eben erst die Steinzeit hinter sich gelassen hatte und noch lange Zeit Steinwerkzeuge benützen sollte, obwohl Kupfer für Meißel und Sägen, mit denen man die massiven Steinblöcke für die neuen Monumente formte, vorhanden war. Alle Arbeitsgänge wurden mit der Hand ausgeführt“ (Mumford 1977, 227). Die offensichtliche Abhängigkeit Ägyptens vom Nil hat schon HERODOT (484-430 v. Chr.) zu der Einschätzung veranlasst, dieser Staat sei „ein Geschenk des Nils“, und tatsächlich war es die am Rhythmus des Nilwasserstandes orientierte „Über- schwemmungswirtschaft“, die dauerhaft eine derart erfolgreiche Nahrungsmittelpro- duktion ermöglichte, dass sich dort vor fast 6.000 Jahren ein hochkomplexer, zentra- listisch organisierter Flächenstaat entwickeln konnte, der - die großen Pyramiden be- zeugen es noch heute - zu gewaltigen gemeinschaftlichen Arbeitsleistungen fähig war. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass „die Pyramiden Ägypten zu bauen halfen. Der Anfang des Pyramidenzeitalters fällt mit dem Beginn einer Binnenkolonisierung zu- sammen, bei der im ganzen Hinterland neue Dörfer (niut) und neue Güter (hut) ent- 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 67 ] standen. Sie lieferten den Pyramiden, Tempeln und Elitegräbern die Nahrung und schufen einen ständigen Ressourcenstrom zwischen Peripherie und Zentrum des Staates. So kam dem Pyramidenbau beim Zusammenschmieden Ägyptens als ers- tem zentralisierten Nationalstaat der Welt, der sich gänzlich vom Stadtstaatmuster Mesopotamiens und Nordsyriens unterschied, eine Schlüsselrolle zu“ (Lehner 2002, 228). Die Entwicklung des alten Ägyptens basiert also zu einem erheblichen Teil auf der integrierenden Wirkung der Tätigkeit einer großen Zahl von Arbeitern an Ge- meinschaftsprojekten. Auf dem Höhepunkt des Pyramidenbaus Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtau- sends (4. Dynastie 2575-2465) entstanden in nur vier Generationen die fünf größ- ten ägyptischen Pyramiden, für die 8,4 Millionen m3 (!) Stein verbaut wurden.28 Bei einer Gesamtbevölkerung Ägyptens von maximal 3 Millionen Menschen und einem im Vergleich zu späteren Zeiten kaum nennenswertem Sklaveneinsatz war diese fast unvorstellbare Leistung nur aufgrund extensiver Arbeitskooperation und differen- zierter Arbeitsteilung möglich, „denn in der Tat waren es nicht nur vier, sechs oder zehn Menschen, die hier zusammenarbeiteten, sondern Tausende, Zehntausende und sogar Hunderttausende. Diese schon bald in größtem Umfang betriebene Zu- sammenarbeit, die der Verwirklichung eines einzigen, nur gemeinsam zu erreichen- 28 Zum Vergleich: Die 22 größten Pyramiden aus der Zeit aller anderen Dynastien zusammen (3. bis 13. Dynastie) brin- gen es auf ein Gesamtvolumen von etwa drei Millionen m3 (vgl. Lehner 2002, S. 17). Bild 29: Effiziente Arbeitskoordination beim Schlepptransport einer Kolossalstatue: 172 Mann ziehen das auf 58t geschätzte Gewi t des Monolithen auf einem Schlitten. Zeichnung nach einem Reli um 2000 v. Chr. (Lehner 2002, 203) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 68 ] den Zieles diente, führte sowohl zu einer immer deutlicheren Herausbildung verschie- dener Klassen und Schichten als auch zu einer weitgestreuten Differenzierung einzel- ner Arbeitsbereiche und Gewerbegattungen, mithin also zu einer sehr komplexen Ge- sellschaft insgesamt. Da sich diese historisch so entscheidende Phase nirgends ähnlich konzent- riert und überschaubar schon zu so früher Zeit vollzogen hat wie in Ägypten, scheint uns ein Be- richt über dieses Land und seine Bewohner ge- rade am Beginn einer ‚Geschichte der Arbeit’ von besonderer Dringlichkeit“ (Eggebrecht 1981, 24 f.). Ein weiterer Grund, der nach meiner Ein- schätzung dafür spricht, die Ausformung von Ar- beit und Beruf im alten Ägypten exemplarisch in den Themenkreis VISUBAs aufzunehmen.29 Den gesellschaftlichen Stellenwert der Arbeit im Pyramidenstaat mit wenigen Sätzen auf einen Nenner zu bringen, erscheint problematisch, handelt es sich doch immerhin um einen Zeitraum von nicht weniger als 3000 Jah- ren historischer Entwicklung. Festgehalten werden kann aber, dass die zuneh- mende Trennung von Kopf- und Handarbeit eine am Status der jeweiligen Arbeit orientierte Differenzierung der altägyptischen Gesellschaft ermöglicht: „So glie- derte sich die Bevölkerung insgesamt während des mit der 3. Dynastie beginnen- den Alten Reiches in vier Hauptgruppen: die Beamten, die jeder einen gewissen Anteil königlicher Macht besaßen; in Befreite, das sind jene, die durch Sonderer- lasse vor allem an Totentempeln dem Zugriff des Staates entzogen waren und le- diglich verstorbenen Herrschern zu Diensten sein mußten; in Handwerker bzw. Facharbeiter und schließlich in Hörige, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Landarbeiter waren. Sklaven im eigentlichen Sinne hat es im Alten Reich nicht gegeben [...], die ‚Versklavung’ damals war eine geistige“ (Eggebrecht 1981, 42 f.; Hervorhebungen von mir. HD.). 29 Nicht zuletzt wäre auch zu berücksichtigen, wie ARNE EGGEBRECHT in seiner grundlegenden Geschichte der Arbeit des alten Ägyptens zu Recht betont, „dass die Errungenschaften der ‚klassischen’ Antike […] auf den Leistungen bereits vergangener Jahrtausende, allen voran den Kulturen des Zweistromlandes und des Alten Ägypten“ beruhen (Eggebrecht 1980, 24). Bild 30: Ägyptischer Steinmetz mit Kupfermeißel und Schlegel (Lehner 2002, 211) 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 69 ] Obwohl also in der Entstehungszeit des Pyramidenstaates die Gleichsetzung ma- nueller Tätigkeit mit Sklavenarbeit noch fehlte, gibt es deutlich Anzeichen dafür, dass Handarbeit schon damals kein hohes Ansehen genoss. Dies beleuchtet z. B. die Tatsache, „daß der heutige Begriff ‚Arbeiter’ im alten Ägypten nicht existierte. [...] Das im Ägyptischen für ‚Arbeit’ und ‚Arbeiter’ ver- wendete Wort bedeutet eigentlich ‚Tragen’ bzw. ‚Träger’, bezeichnet also eine spezielle Tätigkeit“ (Eggebrecht 1981, 42), die in der Statushierar- chie manueller Betätigung am unteren Ende zu suchen ist. Mit Beginn des Mittleren Reiches (ab 2040 v. Chr.) verschärfte und beschleunigte die erhebliche Ausweitung der Sklavenarbeit im alt- ägyptischen Arbeitssystem die für die nachfol- genden antiken Hochkulturen so typische sozia- le Deklassierung der körperlichen Arbeit, wie dies eine anonyme Warnung aus der letzten Epoche der altägyptischen Geschichte eindrucksvoll illustriert: „Werde Be- amter, dann bist du von Abgaben befreit. (Dieser Beruf) schützt dich vor körperlicher Arbeit, er hält dich fern von Hacke und Joch, und du brauchst keinen Korb zu tra- gen. Es befreit dich davon, das Ruder zu führen, er dispensiert dich von schwerer Arbeit, so daß du nicht vielen Herren unterstellt wirst und zahlreichen Aufsehern. Von allen, die ihr Gewerbe ausüben, gilt, daß der Schreiber (= Beamter) ihr Vorge- setzter ist“30 (zitiert nach Fischer-Elfert 1997, 49). 2.1.2 Berufsdifferenzierung Die eingangs zitierte Untersuchung MARK LEHNERS (vgl. o., S. 66 f.) demonstriert anhand aktuellster Forschungsergebnisse eindrucksvoll, dass die Methoden des Pyramidenbaus über wenige Generationen hinweg immer weiter verbessert wur- den, bis der Prozess im Bau der nahezu perfekten Cheops-Pyramide schließlich kulminierte: „Ein Wandel, der in seinem Tempo der Entwicklung der Stahlbauwei- se unseres eigenen Zeitalters vergleichbar ist. Auf der antiken Zeitskala der Erfin- 30 „Die genannten Arbeitsgeräte stehen metonymisch für die entsprechenden Handwerke des Bauern (= Hacke), Was- serträgers oder Gärtners (= Joch), Trägers diverser Gegenstände (= Korb) sowie des Matrosen (= Ruder).“ (Fischer-Elfert 1997, 49). Bild 31: Zur Feinbearbeitung der Granitblöcke für den Pyramidenbau verwendeten die ägyptischen Steinmetze Doleritsteine, die zwischen zwei Holz- stöcke geklemmt wurden (Lehner 2002, 211). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 70 ] dungen waren die primitivste und die end- gültige, nie wieder erreichte Form faktisch Zeit- genossen“ (Mumford 1977, 226). Die Pyrami- den sind mithin der anschauliche materielle Beweis dafür, dass schon im jungsteinzeitlichen Ägypten Berufswissen und Berufsfertigkeiten nicht nur archiviert und tradiert, sondern unter Gesichtspunkten wie Qualifikation, Komplexität und Kontinuität sogar empirisch weiter entwi- ckelt und wohl auch formalisiert worden sein müssen. Unter dieser „Formalisierung der Aus- bildungsprozesse [...] werden inhaltliche, ausbil- dungsmethodische, rechtliche und organisatori- sche Regelungen, die schriftlich oder mündlich getroffen werden, verstanden. Au- ßer der Arbeitsteilung kommen als Bedingungen bzw. Ursache für die Formalisie- rung von Berufsausbildung in Frage: • Vorhandensein eines überlieferungswürdigen und überlieferungsfähigen (lehr- und lernbaren) ‚Kulturgutes’ (Techniken, Know-how, Normen, Fertigkei- ten usw.); • Verkomplizierung der Überlieferung des ‚Kulturgutes’ von einer Generation auf die andere; • Fragwürdigwerden überlieferter Normen bzw. Aufkommen neuer Normen (Gesetze, Stile, Lebensweisen usw.)“ (Lipsmeier 2001, 8; vgl. u., S. 136). Die arbeitstechnischen Höchstleistungen im Ägypten der Pharaonen basieren also wesentlich auf einer extensiven Arbeitsteilung, die sich in einer differenzierten Berufsstruktur manifestiert. Und tatsächlich zeigt die reiche schriftliche und bildli- che Überlieferung aus der ägyptischen Frühgeschichte eine so große Vielfalt von Berufen aller Art in Landwirtschaft und Fischerei, Handwerk und Kunst, Handel und Verwaltung, dass im Rahmen von VISUBA im Einzelnen wohl nicht ausführ- lich darauf eingegangen werden kann. Zumindest sollten jedoch einige jener Beru- fe und ihre charakteristischen Werkzeuge in (Original-)Abbildungen bzw. als Replikate vorgestellt werden, die am Bau einer Pyramide beteiligt waren: Bild 32: Müllerin. Ägyptische Kalksteinfigur aus einem Beamtengrab um 2250 v. Chr. (Eggebrecht 1981, 57) 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 71 ] Architekt, Vermesser, Steinmetz, Maurer, Bildhauer, Maler, Schreiner, Kupfer- schmied, Bauer, Müller, Bäcker, Koch, Fischer, Brauer, Weber, Schneider, Ger- ber, Schuster, Matrose, Beamter, Schreiber, Händler... Welche Rolle beim Pyramidenbau und ganz allgemein im altägyptischen Berufsle- ben die Frauen spielten, ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären. Die Berufsdar- stellungen zeigen aber, dass Frauen zwar überwiegend mit geschlechtsspezifi- schen Aufgaben betraut waren, jedoch durchaus auch in handwerklichen Berufen auftauchten: „Was nun den Einsatz von Frauen betrifft, so begegnen wir ihnen vor allem als Spinnerinnen, Weberinnen und Müllerinnen. Auch sonst bei ‚häuslichen’ Arbeiten, so in der Küche beim Backen und Braten oder beim Wäschewaschen sind sie belegt. Interessant ist der Hinweis, daß sie noch in der Vor- und Frühzeit bevorzugt für das Brauen zuständig waren, [...] ein Indiz für die Annahme, daß möglicherweise in der Vorzeit der Getreideanbau ganz in den Händen der Frauen gelegen haben mag. Später jedoch sind Frauen fast ausnahmslos nur bei häusli- chen Arbeiten anzutreffen. Trotz ihrer grundsätzlich mehr oder weniger gleichbe- rechtigten Stellung haben auch der höchsten Beamtenschaft zugehörige Frauen wohl nur in ganz wenigen Fällen Lesen und Schreiben gelernt: alle ‚extern’ gerich- teten Berufe blieben also den Männern vorbehalten“ (Eggebrecht 1981, 59 f.). Trotz der außerordentlichen Fülle überlieferter altägyptischer Berufsdarstellungen gibt es aber „keinerlei explizite bzw. schriftliche Hinterlassenschaften darüber, wie der Meister seinen Lehrlingen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten ver- mittelt hat“ (Fischer-Elfert 1997, 27). Dies mag in manchen Berufen auf die strikte Geheimhaltung berufsspezifischen Wissens zurückzuführen sein, die Hauptursa- che dafür liegt aber wohl darin, dass die Beherrschung der Schrift zu den Privile- Bild 33: Auf dieser ägyptischen Zeichnung aus der Zeit um 1900 v. Chr. werden verschiedene Techniken des Spinnens mit der Handspindel demonstriert, ganz rechts sogar das gleichzeitige Spinnen mit zwei Handspindeln (Bohnsack 2002, 36). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 72 ] gien der von körperlicher Arbeit befreiten ägyptischen Machtelite gehörte und be- rufliches Fachwissen deshalb ausschließlich mündlich überliefert werden konnte. Darum „werden wir von mündlicher Tradierung auszugehen haben. Hinweise auf am Abschluß der Lehrzeit angefertigte ‚Gesellen-’ bzw. ‚Meisterstücke’ gibt es e- bensowenig. Es sieht demnach nicht so aus, als ob es erstens eine vorgeschrie- bene und einzuhaltende Lehrzeit gegeben hätte, und zweitens diese Zeit durch ir- gendwie geartete Prüfungen beendet worden wäre. Vielmehr scheint der Lehrling je nach Arbeitskräfte- oder Facharbeiterbedarf installiert worden zu sein oder wenn er schlicht für geeignet gehalten wurde, den entsprechenden Meistertitel seines Metiers zu tragen. [...] Unter der Voraussetzung ausschließlich mündlicher Tradierung bei gleichzeitig fehlender Examinierung der Kandidaten liegt es nahe, die Methode der Ausbildung in dem scheinbar [sic! Gemeint ist wohl anscheinend. HD.] uralten Prinzip der imitatio zu suchen. Hierbei hat der Lehrling möglichst ex- akt den Gegenstand und - implizit - die Qualifikation seines Meisters zu reprodu- zieren. [...] Und die Ausbildung selbst wird im Rahmen des Einzelunterrichts vor- zustellen sein, als ‚learning on the job’, durchgeführt vom Meister (= Vater) an der jeweiligen Arbeitsstätte. Deshalb wird auch nicht mit der Existenz von Berufsschu- len und Handwerkerklassen gerechnet werden dürfen“ (Fischer-Elfert 1997, 34 f.). 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 73 ] 2.2 Griechische und römische Antike „Für allerlei Betrug traf ihn in der Unterwelt die Strafe, daß er einen schweren Marmorstein, mit Händen und Füßen angestemmt, von der Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber schon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, so wandte sich die Last um, und der tückische Stein rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der gepeinigte Verbrecher das Felsstück wieder von neuem und immer von neuem emporwälzen, daß der Angstschweiß von seinen Gliedern floߓ (Schwab 1965, Bd. 1, 209). Schweißtreibende und überdies sinn- entleerte Arbeit ohne Aussicht auf Erlö- sung, das ist die Strafe der Götter für den Frevler SISYPHOS dafür, dass er vordem unter anderem den Todesgott THANATOS überlistet hatte. Dem An- schein nach empfanden also die Men- schen der griechischen Antike harte körperliche Arbeit ganz allgemein als aufgezwungene Gottesstrafe. Im Rah- men dieser Untersuchung ist es nicht möglich, die Gültigkeit dieser These für den gesamten Zeitraum der antiken Geschichte von den ersten Überlieferungen aus dem archaischen Griechenland bis zum Ende Westroms im 5. nachchristlichen Jahrhundert zu verifizieren. Zum einen, weil es sich hierbei um Gemeinwesen handelt, die über diese lange Zeit hinweg in allen Bereichen gravierenden Wandlungen unterworfen waren, also auch die Wertschätzung menschlicher Arbeit, und zum anderen, weil die Komple- xität der Quellen sowie die Disparität ihrer Interpretation in der Forschungsliteratur einem solchen Vorhaben in der für die Ausarbeitung des Themas zur Verfügung stehenden Zeit entgegen stehen. Ein erster Blick in die Quellen scheint jedoch den Sisyphosmythos zu relativieren, denn es zeigt sich, dass manueller Tätigkeit im archaisch-agrarischen Griechenland der Zeit HOMERs (8. Jahrhundert v. Chr.) kein pauschal negativer Wert beigemes- Bild 34: Die „Arbeit“ des SISYPHOS. Griechisches Vasenbild aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert (The Beazley Archive) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 74 ] sen wurde (vgl. Kruse 2002, 81 ff.). Beispielsweise gehen die Helden HOMERs durchaus profaner (Handwerks-)Arbeit nach, was ihrer Ehre als Krieger und Herr- scher offenbar keinen Abbruch tut (vgl. Durant o. J., 87 f.), und der Dichter HESIOD (wohl um 700 v. Chr. geboren und noch Zeitgenosse des späten HOMER) verkündet in seinem Lehrgedicht „Werke und Tage“ (zitiert nach Ven 1972, Bd. 1, 24): „Arbeit macht ja reich die Männer an Herden und Habe. Fleißige Arbeit macht dich auch den Ewigen werter Und den Menschen dazu; sie hassen ja müßige Leute. Arbeit bringt keine Schande, die Faulheit aber bringt Schande.“ Der Münchner Althistoriker CHRISTIAN MEIER weist allerdings zu Recht darauf hin, dass hier - wie bei jeder ideologiekritischen Quelleninterpretation - Adressat und Intention des Textes zu beachten sind. Vordergründig scheint HESIOD ja zu sa- gen, „nicht nur die, die es nötig haben (und andern sonst zur Last fallen), sondern alle müßten demnach arbeiten. Das aber kann HESIOD kaum ernsthaft gemeint haben. Es stünde auch im Widerspruch zu allen andern Aussagen seines Lehrge- dichts, wonach die Arbeit stets auf ein Ziel gerichtet ist: den Erwerb von Lebens- unterhalt oder Reichtum. Von Arbeit um ihrer selbst willen verlautet nichts. Folglich hat er, was HESIOD hier generell formuliert, nicht alle, sondern nur solche im Auge, die die Arbeit nötig haben und sie trotzdem nicht tun. Das ist in erster Linie sein Bruder PERSES, der eigentliche Adressat des ganzen Gedichts, mit dem er im Streit um das Erbe des Vaters lag“ (Meier 2003, 34 f.). Bedenkt man dies, kann HESIODs didaktisches Gedicht wohl nicht mehr naiv als Beleg einer uneinge- schränkten positiven Wertung der Arbeit in archaischer Zeit gelesen werden. Die Beobachtung, dass die Diskriminierung körperlicher Arbeit durch die Philoso- phen sowohl in der griechischen Antike als auch in Rom parallel zum Rückgang der Bedeutung des agrarischen Bereichs, des Anwachsens des Anteils von Skla- venarbeit und mit der Entfaltung der im jeweiligen Staatswesen sich herausbilden- den Herrschaftseliten stetig zunahm (vgl. Ven 1972, Bd. 1, 26), weist dem antiken Arbeitsethos eine wichtige Funktion zu als Teil der Legitimationsideologie zur Entlastung der Herrschenden von körperlicher Arbeit und damit der existentiell auf Sklavenarbeit aufgebauten Herrschaftsordnungen. Wie das Beispiel HESIOD be- legt, gilt es also jeweils genau zu beachten, wer das jeweilige Urteil über den Stel- lenwert der Arbeit, das als Beleg herangezogen werden soll, in welchem Zusam- 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 75 ] menhang formuliert hat. Aus diesen Gründen und da zudem die Antike nicht zum Kernbereich VISUBAs gehört, sondern lediglich einführendes Thema ist, bietet es sich an, die Analyse zeitlich zu beschränken. Das Folgende ist also der Ver- such, unter Beachtung der „nachdrück- lichen Mahnung“ LUTZ NEESENs, „im Hinblick auf die antike Wirtschafts- und Sozialgeschichte nicht vorschnell in einseitig-vereinfachende Klischeevor- stellungen zu verfallen, welche den vielschichtigen wirtschaftshistorischen Problemen nicht gerecht zu werden vermögen“ (1989, 330), idealtypische Aspekte des Arbeits- und Berufsbe- griffs der griechischen und römischen Antike anhand geeigneter Stellen aus den Werken XENOPHONs (430-354 v. Chr.), PLATONs (427-347 v. Chr.), ARISTOTELES’ (384-322 v. Chr.) und CICEROs (106-43 v. Chr.)31 zu extrahieren. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass sowohl das Griechi- sche als auch das Lateinische „kein eindeutiges Äquivalent zu unserem Arbeitsbeg- riff [kennen], sondern wir treffen auf ein Wortfeld, in dem die einzelnen Bezeichnun- gen unterschiedliche Konnotationen haben. Pónos oder labor beziehen sich auf die Mühseligkeit der Tätigkeit; wertneutrale Bezeichnungen wie érgon oder opus mei- nen das Ergebnis menschlicher Hervorbringungen in einem weiten - über unseren Arbeitsbegriff hinausgehenden - Sinne. Für die philosophische Theorie spielt zudem der Begriff der téchne als Bezeichnung für alle erlernbaren menschlichen Fertigkei- ten bzw. - nach unserem Verständnis - für die Kulturtechniken im weitesten Sinne eine wichtige Rolle“ (Nippel 2000, 55; vgl. auch Finley 1985, 81). 2.2.1 „Arbeiten hieß Sklave der Notwendigkeit sein“ Die Blüte sowohl der griechischen Polis als auch des römischen Imperiums basiert zunächst auf einer voll entwickelten horizontalen Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land: Die Mehrzahl der Menschen lebte und arbeitete auf dem Land, während in den urbanen Machtzentren das nach Berufen differenzierte Handwerk dominierte. 31 Lebensdaten der hier wie nachfolgend genannten antiken Autoren nach Hafner 2001 Bild 35: In der Werkstatt eines Bronzeschmieds in Athen. Va- senbild aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. (Conolly/Dodge 1998, 45; vgl. u., S. 84) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 76 ] Zudem gilt für beide hier betrachtete Gemeinwesen gleichermaßen, dass die pro- duktive Arbeit als integraler Bestandteil der Staatlichkeit grundsätzlich an Bedürf- nisbefriedigung und Autarkie sowohl des einzelnen Haushalts als auch des Staates orientiert war und nicht in erster Linie an einem nach Produktivitätssteigerung und Gewinnmaximierung strebenden Geist des Kapitalismus’ im modernen Sinne. Der Ursprung der Arbeit liegt für die antiken Philosophen zum einen in der menschlichen Natur und zum anderen im Verhältnis der Menschen zueinander. So definiert ARISTOTELES den Menschen als Lebewesen, das zum Überleben, vor allem aber zum „guten Leben“ die Gemeinschaft braucht: „Wer aber nicht in Ge- meinschaft leben kann, oder ihrer, weil er sich selbst genug ist, gar nicht bedarf, ist kein Glied des Staates und demnach entweder ein Tier oder ein Gott. Darum haben denn alle Menschen von Natur in sich den Trieb zu dieser Gemeinschaft“ (Politik 1253a1 ff.). ARISTOTELES sieht die menschliche Existenz in drei „natürli- che“ Gemeinschaften eingebunden: in die Hausgemeinschaft (Oikos), die Dorfge- meinschaft und die Staatsgemeinschaft (Polis). Ziel der Hausgemeinschaft ist es, in arbeitsteiliger, hierarchisch organisierter Kooperation ungleicher Individuen (Hausvater, Frau, Kinder und Sklaven) die Deckung der Grundbedürfnisse zu si- chern, um ein autarkes, tugendhaftes Leben zu ermöglichen und letztlich besteht darin für ARISTOTELES auch die Existenzberechtigung der gesamten Polis: „Zweck des Staates ist also, dass man gut lebe. […] Staat aber ist die Gemeinschaft von Geschlechtern und Ortschaften in einem vollkommenen und sich selbst genügen- den Dasein. Dieses aber besteht, wie wir erklären, in einem glücklichen und tu- gendhaften Leben. Und mithin muß man behaupten, daß die staatliche Gemein- schaft der tugendhaften Handlungen wegen besteht, und nicht des Zusammenle- bens wegen“ (Politik 1280b38-1281a). Diese zweckgebundene arbeitsteilige Zusammenarbeit Vieler, die also die Au- tarkie eines Gemeinwesens ermöglicht, darf nun nicht im Sinne moderner Arbeits- teilung verstanden werden, deren Ziel es ist, menschliche Arbeit so effizient und produktiv wie möglich zu gestalten. Vielmehr entspringt sie der Natur des Men- schen, der eine Sache um so besser macht, als er sich nur auf diese eine kon- zentriert. In dieser Ansicht folgt ARISTOTELES offenbar seinem Lehrer PLATON, der die Gemeinschaft und die daraus erwachsende Spezialisierung als Ursprung der urbanen Arbeitsteilung identifiziert: „Es entsteht also, sprach ich, eine Stadt [Po- 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 77 ] lis], wie ich glaube, weil jeder einzelne von uns sich selbst nicht genügt, sondern vieler bedarf. [...] Auf diese Weise also, wenn einer den andern, den zu diesem und den wieder zu jenem Bedürfnis, hinzunimmt und sie so, vieler bedürftig, auch viele Genossen und Gehilfen an einem Wohnplatz versammeln, ein solches Zu- sammenwohnen nennen wir Stadt. [...] Wird jemand wohl etwas besser verrichten, wenn er als einer vielerlei Künste ausübt, oder wenn einer nur eine? – Wenn einer nur eine, sagte er. [...] Hiernach also wird alles reichlicher zustande kommen und schöner und leichter, wenn einer eines seiner Natur gemäß und zur rechten Zeit, mit allem anderen unbefasst, verrichtet“ (Politeia 369b-c und 370b-c; zu den Fol- gen dieser Arbeitsteilung vgl. u., S. 88). Manuelle Arbeit wird von den Philoso- phen also durchaus als notwendiges, sogar wertvolles Instrument zur Siche- rung der menschlichen Existenz be- trachtet, ausschlaggebend für deren gesellschaftliche Bewertung ist aber das zweite charakterisierende Merkmal der antiken Gemeinwesen, nämlich die strikte Trennung von geistigen und kör- perlichen Tätigkeiten in Form einer ma- nifesten vertikalen Arbeitsteilung, ver- bunden mit massiver sozialer Ächtung der manuellen Arbeit: „Kein antiker Moralist hätte es als Schande erachtet, nicht fähig zu sein, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen; im Gegenteil, genau das war das Ideal des wirklich freien Mannes“ (Finley 1985, 120). In ihrer großen historisch-philosophischen Studie „Vita activa“ (1958) hat HANNAH ARENDT (1906-1975) auf eine grundlegende Dichotomie der antiken griechischen Polis aufmerksam gemacht, die für das Verständnis des damaligen Stellenwertes körperlicher Arbeit von entscheidender Bedeutung sein dürfte, nämlich auf den sich vom heutigen Verständnis grundsätzlich unterscheidenden Dualismus von öf- fentlich und privat: „Die einfache Unterscheidung zwischen privat und öffentlich entspricht dem Bereich des Haushalts auf der einen, dem Raum des Politischen auf der anderen Seite, und diese Bereiche haben als unterschiedene, genau von- Bild 36: Die Werkstatt eines griechischen Schuhmachers. Links (sitzend) der Schuster. Er ist dabei, für die auf dem Tisch stehende Kundin Schuhsohlen zuzuschneiden, während der rechts sitzende Geselle oder Lehrling wohl ein Stück Oberleder bearbeitet. Am rechten Bildrand überwacht allem Anschein nach der Auftraggeber den Fortgang der Arbeit. Griechisches Vasenbild, um 640 v. Chr. (Regenhardt 2000, 110) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 78 ] einander getrennte Einheiten zum mindesten seit Beginn des antiken Stadt-Staates existiert“ (Arendt 1960, 31). Während aber vom Mittelalter an bis in unsere Tage der Sitz der Freiheit ausschließlich im Gesellschaftlichen lokalisiert, das Gesellschaftliche selbst kaum mehr vom Politischen getrennt wird und Zwang wie Gewalt im Politischen angesiedelt werden, verwies nach ARENDT das antike Griechenland die Freiheit ausschließlich in den Bereich der Politik und schrieb Gewalt und Zwang exklusiv dem Haushalt zu. Die Bedeutung dieser Differenzierung liegt nun darin, dass der Haushalt als Sphäre der menschlichen Bedürfnisse und Lebensnotwendigkeiten galt, wo „der präpolitische Zwang, den der Herr über die Familie und ihre Sklaven ausübte, und der gerade deshalb für unabänderlich gehalten wurde, weil der Mensch ein ‚ge- sellschaftliches’ Wesen ist, bevor er ein politisches werden kann“ (Arendt 1960, 34), Normalität war. Dagegen wurde der Raum der Politik insofern als Bezirk der Freiheit definiert, als er das Operationsfeld der Freien und Gleichen - sprich Gleichwertigen - war, die, von den Notwendigkeiten des täglichen Existenzkamp- fes befreit, die Geschicke der Polis zu lenken hatten: „Was wir unter Herrschen und Beherrschtwerden, unter Macht und Staat und Regierung verstehen, kurz un- sere gesamten politischen Ordnungsbegriffe galten umgekehrt als präpolitisch; sie hatten ihre Berechtigung nicht im Öffentlichen, sondern im Privaten und waren im eigentlichen Wortsinne unpolitisch - nicht der Polis zugehörig“ (Arendt 1960, 34). Da nun die körperlich-handwerkliche Arbeit in erster Linie auf die Befriedigung exi- stenzieller Bedürfnisse abzielt, musste sie als Teil des präpolitischen Bereiches, aus dem sich zu emanzipieren notwendige Voraussetzung für die Teilnahme an der Herrschaft war, im Politischen tabu sein: „Keiner nur dem Zweck des Lebens- unterhaltes und der Erhaltung des Lebensprozesses dienenden Tätigkeit war es gestattet, in dem politischen Raum zu erscheinen, und dies auf die offenbare Ge- fahr hin, Handel und Gewerbe dem Fleiß und Unternehmungsgeist von Sklaven und Ausländern zu überlassen [...] Der wahre Charakter dieser Polis tritt uns selbst in den politischen Philosophien von PLATO und ARISTOTELES noch deutlich entgegen“ (Arendt 1960, 37). In diesem „Charakter“ der Polis ist nach ARENDT der eigentliche Grund dafür zu suchen, dass „alle griechischen Autoren - auch wenn sie gelegentlich wie HESIOD, die Arbeit höher einzuschätzen scheinen - sich dar- über einig sind, daß körperliche Arbeit sklavisch ist, weil sie durch die Notdurft des 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 79 ] Körpers erzwungen ist. Demgemäß wurden Beschäftigungen, auch wenn sie nicht direkt in physischer Arbeit bestanden, dem verachteten Stand der Arbeit gleichge- stellt, sobald sie nicht um ihrer selbst willen unternommen wurden, sondern um die Lebensnotwendigkeiten herbeizuschaffen. Die Ansicht moderner Historiker, daß die Antike das Arbeiten und das Herstellen verachtete, weil nur Sklaven damit befaßt waren, ist ein Vorurteil. Das Altertum meinte umgekehrt, daß man Sklaven nötig habe, weil es notwendige Beschäfti- gungen gibt, die ihrer Natur nach ‚skla- visch’ sind, nämlich dem Leben und seiner Notdurft versklavt. Weil man die Dinge so ansah, bedurfte die Einrich- tung der Sklaverei keiner Verteidigung; sie war durch die Natur der Sache ge- rechtfertigt. Arbeiten hieß Sklave der Notwendigkeit sein, und dies Versklavt- sein lag im Wesen des menschlichen Lebens. Da die Menschen der Notdurft des Lebens unterworfen sind, können sie nur frei werden, indem sie andere un- terwerfen, und sie mit Gewalt zwingen, die Notdurft des Lebens für sie zu tragen. [...] Im Altertum war die Einrichtung der Sklaverei nicht wie später ein Mittel, sich billige Arbeit zu verschaffen oder Menschen zwecks Profit ‚auszubeuten’, sondern der bewußte Versuch, das Arbeiten von den Bedingungen auszuschließen, unter denen Menschen das Leben gegeben ist“ (Arendt 1960, 78 f.; vgl. auch Finley 1980 und 1985). HANNAH ARENDT stützt sich hier wohl auf GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL (1770-1831), der lange vor ihr ganz ähnlich argumentiert hatte. Er sieht in der antiken Sklaverei die „notwendige Bedingung einer schönen Demo- kratie, wo jeder Bürger das Recht und die Pflicht hatte, auf öffentlichem Platze Vorträge über die Staatsverwaltung zu halten und anzuhören, in Gymnasien sich zu üben, Feste mitzumachen. Die Bedingung dieser Beschäftigung war notwendig, daß der Bürger den Handwerksarbeiten entnommen sei, und daß also, was bei uns den freien Bürgern zufällt, die Arbeit des täglichen Lebens von den Sklaven verrichtet werde. Die Gleichheit der Bürger brachte das Ausgeschlossensein der Sklaven mit sich“ (Hegel 1966, 359). Bild 37: Schmied und Zuschläger am Amboss in einer griechi- schen Werkzeugschmiede. Links der Schmiedeherd und im Hin- tergrund an der Wand geschmiedetes Werkzeug und ein Krug. Vasenbild, 6. Jahrhundert. v. Chr. (Neuburger 1987, 52) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 80 ] PLATON brachte diesen komplexen Zusammenhang auf die knappe Formel, dass letztlich nur „noch eine freiwillige Dienstbarkeit übrig ist, welche nicht schimpflich ist, und das ist die um die Tugend“ (Symposion 184b-c). Sein Eleve ARISTOTELES sah im Sklaven lediglich ein „beseeltes Werk- zeug“, auf das der Herr einen Besitztitel hatte: „Wer von Natur nicht sein, sondern eines ande- ren war, aber ein Mensch ist, der ist ein Sklave von Natur. Eines anderen aber ist ein Mensch, der, wenn auch Mensch, ein Besitzstück ist. Ein Besitzstück aber ist ein tätiges und getrennt für sich bestehendes Werkzeug“ (Politik 1253b28, 1254a14 ff.; zur Bewertung der aristotelischen Theorie der Sklaverei vgl. Weber 1989, 334 ff.). Sklaven hatten in der griechischen und römi- schen Antike also „den rechtlichen Status einer Sache. CATO zählte die Sklaven ebenso zum Mobiliar eines Gutes wie das Vieh oder die Ge- räte (De agr., 10, 1 ff.). [...] Somit war der Sklave Eigentum seines Herrn, der allein Gewalt über Leben und Tod hatte. Er wurde als res betrachtet, konnte also ge- und verkauft werden. Er war rechtsunfähig, besaß keinerlei bürgerliche oder politische Rechte. Er konnte kein Eigentum besitzen, kei- ne Geschäfte tätigen. Ebensowenig durfte er familiäre Beziehungen eingehen. Er war also ganz vom Wohlwollen seines Eigentümers abhängig“ (Jörg 1999, 8; vgl. Finley 1985, 91). Man sieht, die Diskriminierung körperlicher Arbeit war unauflöslich verknüpft ei- nerseits mit dem Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit und andererseits mit der die damalige (Arbeits-)Welt prägenden „Erfindung“ der griechisch- römischen Antike, der Sklaverei: „Die Allgegenwärtigkeit von Sklavenarbeit bzw. der große Anteil von nicht- und unterprivilegierten Bürgern in der gewerblichen Produktion hat den gesellschaftlichen Status der abhängigen Erwerbsarbeit be- stimmt. Wiederholt findet man Aussagen, daß diese Form der Arbeit eines freien Mannes unwürdig sei, weil sie ihn in eine sklavenähnliche Position bringe. Wenn eine Tätigkeit mit der Unterwerfung unter einen fremden Willen verbunden ist, Bild 38: Porträtbüste des PLATON. Staatliche Antikensammlung und Glyptothek München (Maslankowski 1994, Frontispiz) 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 81 ] verfällt der Tätige der sozialen Mißachtung; wer sich für seine Arbeit bezahlen läßt, erweckt den Eindruck des Sich-Verkaufens“ (Nippel 2000, 61; vgl. Finley 1980, 65 ff. und 1985). Da sich die Quellen wohl aufgrund dieses deklassierenden Kontextes nicht nur über den quantitativen Umfang der Sklavenarbeit32 ausschweigen, sondern auch darüber, welche sozialen und rechtlichen Faktoren den realen gesellschaftlichen Wert körperlicher Arbeit bestimmen, ist man bei der Erschließung des antiken Ar- beitsbegriffs darauf angewiesen, die einschlägigen Stellen mittels philolo- gisch-historischer Methodik (vgl. Bellen 1989, 201) vorsichtig interpretierend aus- zuwerten. Da man es - wie oben dargetan - mit aristokratischem Standesdenken zu tun hat, darf man diese Interpretation sicher auf die Annahme stützen, dass sich in den Werken der Philosophen nicht nur deren individuell-subjektive Gedan- kenspiele manifestieren, sondern sich darin auch die soziale Wirklichkeit der „herr- schaftlich-funktionalen Teilung der Arbeit“ (Kruse 2002, 84) widerspiegelt. In PLATONs Dialog „Gorgias“ findet sich ein Hinweis auf die damals gängige Wert- schätzung handwerklich-manueller Erwerbstätigkeiten: „Darum ist es auch nicht hergebracht, daß der Schiffer groß tut, ob er uns gleich beim Leben erhält. Und ebensowenig ja der Kriegsbaumeister, du Wunderlicher, der die Befestigungen besorgt, wiewohl er bisweilen kein geringerer Helfer ist als sogar der Heerführer, geschweige denn als der Schiffer und als sonst irgendeiner; denn er rettet ja wohl bisweilen ganze Städte. Meinst du nicht, der könnte sich ja wohl mit dem Sachwal- ter gleichstellen? [...] Aber du achtest ihn dennoch gering samt seiner Kunst, ja or- dentlich zum Schimpf könntest du ihn den Kriegsbaumeister nennen und würdest weder seinem Sohn deine Tochter zur Ehe geben noch die seinige für deinen neh- men wollen. Und doch nach dem, weshalb du dein Geschäft lobst, mit welchem Rechte kannst du ihn und die übrigen, die ich erwähnt, gering achten? Ich weiß, du wirst sagen, du wärest ein Besserer und stammtest von Besseren her. Allein, 32 Der tatsächliche Anteil der Sklavenarbeit an der gesamten gesellschaftlich geleisteten Arbeit sowie das Zahlenverhältnis zwischen Freien und Sklaven ist aus den heute verfügbaren Quellen zwar nicht mehr exakt zu belegen, aber MOSES I. FINLEY (1912-1986), der große Altmeister antiker Geschichtsschreibung, geht davon aus, dass in den Staaten der klassischen Antike während der wirtschaftlichen und politischen Blütezeit 30-35 % der Bevölkerung Sklaven waren, und zwar „dominierten die Freien bei den landwirtschaftlichen Kleinbetrieben, von denen viele nur für den Eigenbedarf produzierten, ebenso bei der Warenproduktion im Kleinbetrieb und im Kleinhandel in den Städten. Sklaven beherrsch- ten und monopolisierten buchstäblich das Bild in den großen Produktionsbetrieben, sowohl im ländlichen als auch im städtischen Bereich. Daraus folgt, daß Sklaven den größten Teil des direkten Einkommens aus Besitz [...] für die wirt- schaftlich, sozial und politisch herrschende Schicht erwirtschafteten“ (Finley 1985, 97 f.). Der Soziologe KEITH HOPKINS errechnet für Athen um 400 v. Chr. einen Sklavenanteil an der Gesamtbevölkerung von 30 % und für Rom um 31 v. Chr. einen von 35 % (vgl. Hopkins 1978, 101). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 82 ] wenn das Bessere nicht das sein soll, was ich so nenne, sondern eben dies die Tugend ist, nur sich selbst und das Seinige zu erhalten, wie einer auch sonst sein möge: so wird deine Verachtung lächerlich, gegen den Kriegsbaumeister und den Arzt und alle anderen Künste, welche der Erhaltung wegen ersonnen sind“ (Gorgi- as 512b-d). Im Gorgias-Dialog, „Höhepunkt der Auseinandersetzung Platons mit den Sophis- ten“ (Jens 1988, Bd. 13, 372), widerlegt PLATON den sophistischen Relativismus, indem er SOKRATES die Rhetorik als euphemistische und sogar schädliche Scheinkunst entlarven lässt. Die oben zitierte Textstelle stammt aus dem dritten Teil des Zwiegesprächs, in dem SOKRATES dem bedenkenlosen Machtpolitiker KALLIKLES auseinandersetzt, warum die Rhetorik kein Mittel der Politik sein dürfe. Während SOKRATES’ Beweisführung auf der rationalen Logik des Philosophen ba- siert, vertritt der Populist KALLIKLES, SOKRATES als „Volksschwätzer“ (Gorgias 482c) und die Philosophie insgesamt als „unmännlich“ (485d) abqualifizierend, of- fenbar die bornierten Ansichten des aristokratischen Machtpolitikers. PLATONs al- ter ego SOKRATES, der im gesamten Dialog bemüht ist, KALLIKLES’ Meinung zu wi- derlegen, setzt seinem Gesprächspartner in dieser Textstelle auseinander, dass er kein Recht habe, sich über die verachtenswürdigen Handwerker zu erheben, handle er doch wie diese ebenfalls nur aus egozentrischen Motiven, um der reinen Selbsterhaltung willen. Indem er also demagogische Gewaltherrscher auf eine Stufe mit den diskriminierten abhängigen Handwerkern stellt, spricht PLATON ih- nen wie jenen die Qualifikation für die Lenkung des Staates rundweg ab. Und ARISTOTELES bestätigt seinen Lehrer darin wenig später mit der These, „daß in ei- nem Staate, der die beste Verfassung hat und der sich des Besitzes von Männern rühmen kann, die schlechthin und nicht nur beziehungsweise gerecht sind, die Bürger weder das Leben der gewöhnlichen Handwerker, noch das der Händler führen dürfen, da ein solches Leben nicht vornehm ist und wahrer Tugend zum Teil im Wege steht; auch dürfen sie deshalb, wenn sie solche Männer sein sollen, keine Bauern sein. Denn zur Entwicklung der Tugend wie zur Ausübung staats- männischer Tätigkeit bedarf es der Muße.“ Aber bei „handwerksmäßigen Men- schen“ könnten sich weder Tugend noch Muße entfalten, „denn man darf nicht gleichzeitig körperlich und geistig angestrengt sein. Diese beiden Beschäftigungen bringen ihrer Natur nach eine entgegen gesetzte Wirkung hervor: die körperliche 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 83 ] Arbeit behindert den Geist, die geistige den Körper“ (Politik 1328b37 ff.; 1339a7 ff.). CHRISTIAN MEIER sieht in solchen polemischen Äußerungen der Philosophen eine „antidemokratische Ideologie am Werk“, denn sie spiegelten „geradezu aggressi- ve, allzu pauschale, auch ungerechte Auffassungen von handwerklicher Arbeit und die Disqualifizierung derjenigen, die sie verrichten. [...] Man geht wohl kaum fehl in der Annahme, daß diese Anschauungen ihren Ursprung unter aristokrati- schen Gegnern der attischen Demokratie hatten, und zwar schon in den letzten Jahrzehnten des fünften Jahrhunderts“ (Meier 2003, 63). In seiner Habilitationsschrift über die „Demiurgoi und Artifices“ bestätigt der Althistoriker LUTZ NEESEN die Diagnose einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Geringschätzung handwerklicher Er- werbstätigkeit durch PLATON und ARIS- TOTELES, ortet den Grund dafür aber in Verfallserscheinungen der klassischen Polis: „Gerade die vielfältigen, offenbar immer weiter um sich greifenden Ten- denzen zur Vernachlässigung der poli- tisch-militärischen und finanziellen Bür- gerpflichten, zu extrem individualisti- schem Utilitarismus und uneinge- schränktem Gewinnstreben (Chrema- tistik) riefen den scharfen Protest PLATONs und ARISTOTELES’ hervor; selbst diese aristokratisch-konservativ gesonnenen Staatstheoretiker konnten freilich die große Bedeutung von Handel und Gewerbe, Arbeitsteilung und beruflicher Spe- zialisierung für das Zusammenleben im Staate nicht in Abrede stellen, auch wenn sie nachdrücklich vor den negativen Auswirkungen körperlich und geistig ab- stumpfender Tätigkeiten warnten, wie sie von weitgehend spezialisierten Hand- werkern, Ladenbesitzern und abhängigem Personal immer wieder auszuführen waren. Ähnliches gilt auch für den spartafreundlichen Gutsbesitzer, Söldnerführer und Schriftsteller XENOPHON, der [...] in seiner - übrigens nicht zuletzt auf die land- wirtschaftlich Produktions- und Ertragssteigerung abzielenden - Schrift über die Bild 39: Römische Messerschmiede bei der Arbeit am Amboss. Der Schmied sitzt, während der Zuschläger, entsprechend der Feinheit der dünnen Werkstücke, den leichten Hammer stehend schwingt. Relief aus dem Vatikan-Museum in Rom, 1. Jahr- hundert n. Chr. (Kretzschmer 1993, 12) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 84 ] Hauswirtschaft (Ökonomik) eine äußerst standesstolze Verachtung für die häufig an die jeweilige Arbeitsstätte gebundene, körperlich untrainierte städtische Unter- schicht zum Ausdruck brachte“ (Neesen 1989, 103). Die Stelle aus XENOPHONs „Ökonomik“, auf die sich NEESEN hier bezieht, lautet wörtlich: „Denn die sogenannten handwerklichen Beschäftigungen [banausos = ursprünglich Arbeiter am Ofen {vgl. o. , S. 75} - von dessen Geringschätzung also kommt das heutige Schimpfwort Banause] sind verschrien und werden aus Staats- interesse mit Recht sehr verachtet. Sie schwächen nämlich den Körper des Arbei- ters, da sie ihn zu einer sitzenden Lebensweise und zum Stubenhocken zwingen, oder sogar dazu, den ganzen Tag am Feuer zuzubringen. Wenn aber der Körper verweichlicht wird, leidet auch die Seele. Auch halten diese sogenannten spieß- bürgerlichen Beschäftigungen am meisten davon ab, sich um die Freunde und um den Staat zu kümmern. Daher sind solche Leute ungeeignet für den Verkehr mit Freunden und die Verteidigung des Vaterlandes. Deshalb ist es in den meisten Städten, am meisten aber in denen, die den Krieg lieben, keinem Bürger erlaubt, sich einer handwerklichen Beschäftigung zu widmen“ (zitiert nach Teichmann 1985, 174 f.). All diese Werturteile basieren offenbar auf der einen, den sozial-ökonomischen Strukturen der griechischen Polis tief eingeprägten Prämisse, die Beziehung des Einzelnen zur körperlich-handwerklichen Arbeit definiere sich ausschließlich über den Grad der individuellen Abhängigkeit von anderen Menschen, der dem Ar- beitenden durch die jeweilige Tätigkeit vermittelt wird. Dass Arbeit demnach kei- nen Wert an sich, sondern lediglich eine relative Funktion des Abhängigkeitsgra- des von anderen Individuen darstellt, erklärt zum einen, dass zwischen Sklaven- arbeit und freier Lohnarbeit zwar de jure, nicht aber de facto unterschieden wurde, und zum anderen, „daß die höchste Anerkennung jenen Arten von Tätigkeiten oder Arbeiten zukam, welche - sozial betrachtet - dem Verfügen über fremde Ar- beitskraft nahe kam; […] geringste Anerkennung dagegen erzielten jene Arten von Arbeit, die keine Möglichkeit [,] über fremde Arbeitskraft zu disponieren, bot. Zu letzteren zählte alle manuelle Arbeit, darunter auch die Lohnarbeit“ (Mrozek 1989, 47; vgl. Walther 1990, 8). Um nicht einer verfälschenden Generalisierung geziehen zu werden, sei noch ein- mal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Arbeitsbewertungen „intellektualis- 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 85 ] tisch und individualistisch [sind]. Weder die wirkliche Bedeutung der Arbeit für die Allgemeinheit, noch der gemeinschaftsbildende Charakter kommen darin zum Aus- druck. Als Charakteristikum für die wirkliche Welt, in der die Masse lebte, haben sie keine Bedeutung, aber als Versatzstück der sozialen Philosophie einer entwickelten und reifen Oberschicht sind sie vor allem auch dadurch lebendig geblieben, daß sie in die römische Kultur eingegangen sind“ (Ven 1972, Bd. 1, 36). Letzteres belegt die häufig zitierte Stel- le aus CICEROs Werk „Über die Pflich- ten“, das noch bis ins 18. Jahrhundert als Lehrbuch der Moral empfohlen wur- de, sehr deutlich (vgl. Stroh 1986, 118). Mehr noch, sie lässt sogar den Schluss zu, dass in der Zeit des römischen Im- periums die prinzipiell negative Ein- schätzung manueller Arbeit „stärker ausgeprägt war als in Griechenland“ (Mrozek 1989, 79), zumal CICERO ja behauptet, das Folgende sei eine allgemein- gültige Ansicht: „Was ferner die handwerklichen Berufe und Erwerbszweige an- geht, die als eines Freien würdig, bzw. die als schmutzig zu gelten haben, so ha- ben wir etwa folgendes als geltend anzunehmen: Zunächst werden die Erwerbs- zweige mißbilligt, die sich der Ablehnung der Menschen aussetzen, wie die der Zöllner oder der Geldverleiher. Eines Freien unwürdig und schmutzig sind ferner die Erwerbsformen aller Tagelöhner, deren reine Arbeitsleistung - und nicht deren besondere Fähigkeiten - erkauft werden. Denn es ist bei ihnen der Lohn ja nichts weiter als einem Handgeld für eine Knechtstätigkeit. Als schmutzig muß man auch diejenigen ansehen, die von den Großhändlern Waren erhandeln, um sie sogleich weiter zu verkaufen. Denn man darf davon ausgehen, daß sie selbst nichts zu- standbringen, außer daß sie gründlich lügen. Es gibt aber nichts Schändlicheres als Unwahrhaftigkeit. Auch alle Handwerker befassen sich mit einer schmutzigen Tätigkeit; denn eine Werkstatt kann nichts Edles an sich haben. Am wenigsten kann man die Fertigkeiten gutheißen, die lediglich der menschlichen Genußsucht dienstbar sind: Fischhändler, Metzger, Köche, Geflügelhändler und Fischer wie TERENZ sagt. Füge hier, wenn es dir beliebt, hinzu, wie TERENZ sagt: ‚Salbenhänd- Bild 40: Römische Bauarbeiter errichten eine Ziegelmauer. Wandgemälde aus dem Grabmal des Bauunternehmers TRE- BIUS JUSTUS an der Via Latina in Rom. 4. Jahrhundert n. Chr. (Conolly/Dodge 1998, 139) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 86 ] ler, Tänzer und die ganze Zunft der Schausteller’. Diejenigen Fertigkeiten aber, bei denen entweder größere Klugheit beteiligt ist oder durch die ein nicht mittelmäßi- ger Nutzen angestrebt wird wie bei der Medizin, bei der Architektur und dem Un- terricht im Bildungswissen der ‚artes liberales’, sind für die, zu deren Beruf sie ge- hören, ehrenvoll. Für den Handel gilt folgendes: erfolgt er in kleinem Rahmen, so muß man das als schmutzig bezeichnen; wenn dagegen im großen und umfang- reichen Geschäft, das vieles von überallher herbeischafft und es vielen ohne Be- trug zur Verfügung stellt, dann darf man ihn durchaus nicht tadeln, und wenn er dann sogar, gesättigt mit Gewinn oder vielmehr zufriedengestellt, sich häufig von hoher See in den Hafen und direkt vom Hafen auf seine Landbesitzungen zu be- geben pflegt, scheint er mit vollem Recht Lob zu verdienen. Von allen den Er- werbszweigen aber, aus denen irgendein Gewinn gezogen wird, ist nichts besser als Ackerbau, nichts einträglicher, nichts angenehmer, nichts eines Menschen, nichts eines Freien würdiger“ (De officiis 1,150 f.; zitiert nach Gunermann 1978, 130 ff.; vgl. Stroh 1986, 118 ff.). Während die positive Einschätzung der Landarbeit durch CICERO einerseits noch als Reflex der agrarischen Vergangenheit Roms zu werten ist, denn „in der agrari- schen Gesellschaft ist die Landarbeit das Normale, Allgemeine, die gewerbliche Arbeit das Besondere“ (Ven 1972, Bd. 1, 29; vgl. Frambach 1999, 44), und ande- rerseits der existenziellen Bedeutung des Agrarbereichs für den Bestand des Im- periums Ausdruck verleiht, artikulieren sich in der pauschalen und überaus drasti- schen Abqualifizierung des Handwerks zweifellos die vom griechischen Vorbild übernommenen sozialen Normen und Herrschaftsinteressen der gesellschaftli- chen Eliten. Deshalb trifft GERTRAUDE MIKL-HORKE wohl prinzipiell den Kern der Sache, wenn sie für das römische Imperium pauschalisierend resümiert: „Arbeit im körperlichen Sinn - aber auch geistige Arbeit - war Angelegenheit von Sklaven, was allerdings nicht bedeutete, daß nur Sklaven ‚Arbeit’ verrichteten: auch Freie arbeiteten als Taglöhner oder Handwerker in den Städten, als Bauern und Klein- pächter auf dem Land. Trotzdem war die Sklavenarbeit die typische Form der ab- hängigen Arbeit in der landwirtschaftlichen und städtischen Produktion und in den Dienstleistungen, [...] so daß die römische Weltwirtschaft doch als eine von Skla- venarbeit bestimmte bezeichnet werden muß. Besonders in der Spätzeit der Re- publik wurde Arbeit weitgehend mit Sklavenarbeit identifiziert, während der freie 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 87 ] Bürger sich höchstens damit beschäftigen sollte, wie man ein landwirtschaftliches Gut möglichst kostengünstig und gewinnträchtig führt“ (Mikl-Horke 2000, 13 f.). Im von Sklaven- und Lohnarbeit dominierten unterprivilegierten manuell-hand- werklichen Sektor der römischen Wirtschaft waren auch „Kinder- und Frauenarbeit [...] weitverbreitet; die Ausbildung in qualifizierten Handwerksberufen begann mit etwa zehn oder zwölf Jahren, wie aus mehre- ren Grabinschriften von Kindern, die be- reits eine Ausbildung begonnen hatten, hervorgeht. Auf den Gütern wurden Kin- der als Hirten des Kleinviehs oder bei anderen leichten Arbeiten wie der Un- krautbeseitigung eingesetzt; im Hafen von Antiochia haben Frauen und Kinder die Schiffe entladen. Die typische Frau- enarbeit war neben der Nahrungszube- reitung das Spinnen von Wolle und das Weben; diese Tätigkeiten wurden meist im Hause ausgeübt, sei es für den häuslichen Bedarf, sei es für den Verkauf an einen Ladeninhaber oder Walker. Gerade auf dem Land war die Textilproduktion Aufga- be der Frauen. [...] In den größeren Städten, etwa in Pompeji, gab es Webereien, in denen Frauen und Männer nebeneinander arbeiteten; im städtischen Handwerk scheint dies aber relativ selten gewesen zu sein. Viele Frauen waren auch auf den städtischen Märkten und in den Läden als Händlerinnen oder Verkäuferinnen von Nah- rungsmitteln oder Textilien tätig. Auf den Gütern haben Sklavinnen Feldarbeit ge- leistet und das Vieh versorgt; nebenbei wurden sie mit der Textilherstellung für das Gesinde beschäftigt“ (Eggebrecht 1981, 131 f.). 2.2.2 „Für jeden Handwerker ein einziges Gewerbe“ Wenn auch das Altgriechische kein Wort kennt, das exakt unserem Berufsbegriff entspräche, stattdessen findet sich etwa in den Schriften PLATONs „die häufige Verwendung des Wortes ‚Kunst’ 33 in Verbindung mit beruflichen Tätigkeiten“ (Mas- 33 Das Wort „Kunst“ mit unserem Begriff „Beruf“ gleichzusetzen legitimiert PLATON selbst mit seiner These: „Mit der Zimmermannskunst meinst du doch nichts anderes als das Wissen von der Herstellung hölzerner Gerätschaften? Nichts anderes“ (Theätet 146 d; zitiert nach Maslankowski 1994, 38). Bild 41: Griechische Frauen beim Spinnen und Weben. Links, die Garnerzeugung mit der Handspindel und in der Mitte die Arbeit am Vertikalwebstuhl. Vasenbild, um 550 v. Chr. (Schneider 1997, 126) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 88 ] lankowski 1994, 38), so ist für das klassische Athen doch eine überaus differen- zierte horizontale Arbeitsteilung nachweisbar34 und dem Wahlspartaner XENO- PHON zufolge wurde die Arbeit innerhalb mancher Berufe sogar in manufakturähn- licher Form zergliedert: „In großen Städten genügt infolge des größeren Absatzes für jeden Handwerker ein einziges Gewerbe zum Lebensunterhalt, und oft nicht einmal ein ganzes, sondern der eine macht Männer-, der andere Frauenschuhe, ja mitunter lebt der eine lediglich vom Zuschneiden des Leders, der andere näht es zusammen, einer schneidet nur die Röcke zu, der andere näht ausschließlich zu- geschnittene Stücke zusammen. Wer sich so auf einen Teil des Handwerks kon- zentriert, macht das natürlich am besten“ (Zitiert nach Mrozek 1989, 24; zu den Ursachen der Arbeitsteilung vgl. o., S. 76). In seiner Studie zur „Berufsbildung bei Platon“ listet WILLI MASLANKOWSKI „ohne Anspruch auf Vollständigkeit, in alphabetischer Reihenfolge geordnet“ eine ganze Palette handwerklicher und agrarischer Berufe auf, die PLATON in seinen Dialogen erwähnt: „Barbier, Bäcker, Bienenzüchter, Bildhauer, Drechsler, Färber, Fischer (Angelfischer), Fleischer, Flötenmacher, Gastwirt, Gerber, Goldreiniger, Groß- händler, Händler, Hirt, Jäger, Kaufmann, Koch, Krämer, Krempler, Kriegsmaschi- nenbauer, Kuhhirt, Landwirt (Ackerbauer, Bauer), Leiermacher, Lyrabauer, Maler, Maschinenbauer, Maurer, Mechaniker, Ofensetzer, Pferdezüchter, Puppenma- cher, Rinderhirt, Ringschneider, Sattler, Schäfer (Schafhirt), Schiffbauer, Schläch- ter, Schmied, Schneider, Schuhmacher (Schuster), Schweinehirt, Spinner, Sticker, Tischler, Töpfer, Wagenlenker, Walker, Weber, Weidmann, Winzer, Ziegelstrei- cher und Zimmermann“ (Maslankowski 1994, 39 f.). Obwohl in den Quellen offensichtlich nur die männlichen Formen der Berufsbe- zeichnungen genannt werden, „läßt sich aus den Dialogen [PLATONs] unschwer erkennen, dass diese Berufe auch Mädchen und Frauen offenstehen sollten. Im 34 LUTZ NEESEN bestätigt in seiner Studie über die „Demiurgoi und Artifices“ für „Athen gerade während der fortschrei- tenden wirtschaftlich-sozialen Differenzierung des 5. und 4. Jahrhunderts [den Befund] einer sehr weitgehenden Aufgliederung in verschiedene Berufssparten: spezialisierte Waffenproduzenten (für Harnische, Helme, Speere, Schwerter, Schilde etc.), Trompetenbauer, Sichel- und Messerschmiede, Kupferschmiede und Bronzegießer, Gold- und Silberschmiede, Ziseleure, Graveure und Ringmacher; Schiffsbauer, Segelnäher und Seiler; Zimmerleute und Tischler, Joch- und Stellmacher; Leier- und Flötenbauer; Bein- und Elfenbeinschnitzer, spezialisierte Töpfer und Maler für die verschiedensten Tongefäße, -figuren oder -lampen; Hersteller von Mauer- und Dachziegeln; Steinmet- ze und Bildhauer; Kürschner, Gerber, Sattler und Schuster (Flickschuster sowie Damen- oder Herrenschuhmacher, laut XENOPHON des öfteren auf das Zuschneiden oder Zusammensetzen wichtiger Einzelteile spezialisiert); Walker, Weber, Färber, Sticker und Schneider (Flickschneider sowie Spezialwerkstätten für Mäntel, Jacken oder Unterklei- der etc.); Kostüm- und Maskenbildner; Seifen-, Parfüm- und Pharmakaerzeuger; Müller, Bäcker, Metzger und Wurstmacher usw.“ (Neesen 1986, 72 ff.). 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 89 ] ‚Staat’ stellt PLATON die Frage, ‚ob die weibliche Menschennatur imstande ist, mit dem Männergeschlecht alle Geschäfte zu teilen oder überhaupt keines; oder ob sie zu einigen fähig ist, zu anderen nicht’ (Staat 453 a). Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß es keine Beschäftigung gibt, ‚die der Frau als Frau oder dem Man- ne als Mann zukäme; vielmehr sind die natürlichen Anlagen auf ähnliche Weise unter beiden Geschlechtern verteilt, und naturgemäß hat die Frau ebenso wie der Mann Anspruch auf alle Beschäftigungen, bei allen aber ist das Weib schwächer als der Mann’ (Staat 455 d). Und das schon von Beginn der Schöpfung des Men- schen an. ‚Da die menschliche Natur von doppelter Form sei, so sollte das stär- kere von beiden Geschlechtern von der Art sein, wie das späterhin mit dem Na- men »Mann« gekennzeichnete Geschlecht’ (Timaios 42 a). Dem Mann wurde von PLATON nur eine höhere physische Kraft eingeräumt, in geistig-seelischer Hinsicht standen für ihn beide Geschlechter gleich. Für Frauen galt ihm, ‚daß wir bei ihrer Verwendung berücksichtigen, daß sie schwächer sind, die anderen dagegen stärker’ (Staat 451 e). Und den Frauen ist ‚das Leichtere zu- zuweisen im Vergleich zu den Männern wegen der Schwäche des Geschlechts’ (Staat 457 a). [...] So sehr also die Berufe für PLATON Männern wie Frauen offen standen, so gab es ‚also besondere Kenntnisse für Weiber und besondere für Männer nach deiner Erklärung. Ohne Zweifel’ (Alkibiades I 127 a)“ (Maslankowski 1994, 48 ff.; Kursivierungen der Quellenzitate von mir. HD.). Wer darin Ansätze eines emanzipierten antiken Frauenbildes sehen wollte, wird von ARISTOTELES al- lerdings ganz schnell eines Besseren belehrt: „Endlich verhält sich Männliches Bild 42: Werkstatt eines römischen Schlossers. „Man erkennt links den Muffelofen mit Windpfeife und Strahlungsschutz, dahinter den Blasebalg. Ein Lehrling bedient ihn. Der Balg ist doppeltwirkend, kenntlich an den gegabelten Pfeifen. Der Schlosser arbeitet sitzend. Das war üblich. Man bemerkt auf der Holzschabotte den hörnerlosen Amboß. Rechts hängen Beiß- und Schmiedezange, Schlosserhammer und Flachfeile. Darunter ein fertiges Werkstück. Es ist ein gewöhnliches Kastenschloß.“ Römisches Relief aus Aquileia (Bild: Conolly/Dodge 1998, 159; Zitat: Kretzschmer 1993, 11 ) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 90 ] und Weibliches von Natur so zueinander, daß das eine das Bessere, das andere das Schlechtere und das eine das Herrschende und das andere das Dienende ist“ (Politik 1254b12). Im Gegensatz zur gesellschaftlichen Elite, die in handwerklicher Berufstätigkeit in erster Linie einen Ausschlussfaktor sah, weil sie den Menschen an das „Reich der Notwendigkeit“ fesselte und daran hinderte, „sich zur Höhe des Geistes und der Selbstlosigkeit zu erheben, und damit die Haltung einzunehmen, die alleine dazu befähigte, sich mit den öffentli- chen Angelegenheiten, dem Wohle der pólis zu befassen“ (Gorz 1998, 28), ent- wickelte das Handwerk selbst durchaus eine positive Wertschätzung der eige- nen Tätigkeit: „Auf athenischer Keramik des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. fin- den sich wiederholt Werkstattbilder, die keinerlei Anzeichen für eine negative Einstellung gegenüber der Arbeit oder dem arbeitenden Menschen aufweisen; im Gegenteil: Eine rotfigurige Hydria des Leningrader Malers zeigt Vasenmaler bei der Arbeit, die gerade von ATHENE und zwei NIKEN bekränzt werden [vgl. o. Bild 43]; der Handwerker beansprucht hier für sich ein Prestige, das dem von Siegern bei den athletischen Wettkämpfen gleichkommt. [...] Es existierten [also] zwei verschie- dene soziale Welten nebeneinander: die Welt der reichen Oberschicht, die Handar- beit verachtete, und die der Handwerker, die stolz auf ihre Fähigkeiten, ihren Fleiß und ihren bescheidenen Wohlstand waren“ (Schneider 1997, 55 f.). Hinzu kommt, dass die Sklaverei trotz der rechtlichen und sozialen Ausnahme- stellung der Sklaven innerhalb der Berufswelt kein Differenzierungskriterium gewesen zu sein scheint. Sowohl in Griechenland als auch in Italien gab es praktisch keine speziellen Sklavenberufe und umgekehrt auch kaum Berufe, die ausschließlich Freien vorbehalten waren. Eine Ausnahme bildeten auf der ei- nen Seite lediglich Bergbau und Haushalt als Betätigungsfeld für Sklaven und Bild 43: NIKE bekränzt einen Vasenmaler. Griechisches Va- senbild, 5. Jahrhundert. v. Chr. (Schneider 1997, 55) 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 91 ] auf der anderen Seite Rechtsprechung und Politik als Reservat für die freien Bürger: „Wie immer auch Moralisten wie ARISTOTELES und CICERO eine Arbeit eingeschätzt haben, in der Praxis wurden alle übrigen Beschäftigungen sowohl von Sklaven als auch von Freien ausgeführt, und oft arbeiteten sie Seite an Seite an der gleichen Aufgabe“ (Finley 1985, 96). Daraus ergibt sich für den betrachteten Zeitraum die im Grunde paradoxe Situation, dass trotz der prinzipiellen gesellschaftlichen Ächtung kör- perlich-handwerklicher Arbeit „viele freie Handwerker und Produzenten - ihrem indivi- duellen wirtschaftlichen Erfolg entsprechend - sehr wohl zu beruflichem Selbstwertgefühl und sozialer Anerkennung gelangen konn- ten“ (Neesen 1989, 329). Aus heutiger Sicht vermag man kaum mehr zu entschieden, ob das Nebeneinander von Sklaven und Freien im Handwerk Ursache oder Folge der negativen Bewertung manuel- ler (Berufs-)Tätigkeit durch die herrschende Gesellschaftselite war. Es liegt jedoch na- he, in dieser Parallelität die Ursache dafür zu sehen, dass die Philosophen der griechi- schen und römischen Antike in der Berufs- bildung keinen wertvollen Beitrag zur allgemeinen Menschenbildung sehen moch- ten. Am prägnantesten hat dies wohl PLATON auf die Formel gebracht: „Für das Hauptstück der Bildung erklären wir aber eine richtige Erziehung, welche die See- le des Spielenden vor allem zur Liebe dessen hinleitet, worin er, wenn er zum Manne heranreift, vollkommen sein muß hinsichtlich der Güte der Sache. [...] Las- sen wir also auch das nicht unbestimmt, was nach uns die Bildung ist. [Nämlich] die Bildung zur Tugend vom Knabenalter an, welche die Begierde und Lust er- zeugt, ein vollkommener Staatsbürger zu werden, der dem Rechte gemäß zu herr- schen und zu gehorchen weiß. Diese von ihr abgegrenzte Erziehung dürfte die Un- Bild 44: Römischer Baukran mit einem von mehreren Menschen - aller Wahrscheinlichkeit nach Sklaven - ge- triebenen Tretrad. Relief vom Grabmal der HATERII in Rom, 1. Jht. n. Chr. (Eggebrecht 1980, 113) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 92 ] tersuchung, wie es sich herausstellt, jetzt allein Bildung zu nennen geneigt sein, aber die den Gelderwerb bezweckende oder irgendeine Kraft, oder auch eine ande- re, Vernunft und Recht nicht berücksichtigende Fertigkeit, die nennt sie vielmehr handwerksmäßig, unedel und des Namens der Bildung durchaus unwert“ (Nomoi 643c - 644a). PLATONs Bildungsbegriff drückt zweifellos nicht nur Verachtung für die Sklavenar- beit aus, sondern disqualifiziert logisch konsequent jedwede Bildung, die in eine auf „Gelderwerb“ gerichtete Handwerks- und Lohnarbeit mündet. Und auch hierin kann er auf die Argumentationshilfe seines Schülers ARISTOTELES vertrauen: „Darüber nun, daß man die Jugend von den nützlichen Dingen das Notwendige lernen lassen muß, kann kein Zweifel sein. Was aber die Frage angeht, ob sie al- les Nützliche lernen soll, so ergibt sich aus dem Unterschiede der freien und der unfreien Verrichtungen als Folgerung die klare Antwort, daß sie nur mit solchen nützlichen Beschäftigungen befaßt werden darf, die sie nicht zu Banausen, zu gemeinen Handwerkern herabwürdigen. Für banausisch hat aber jede Verrich- tung, Kunst und Kenntnis zu gelten, die den Leib oder die Seele oder den Geist freier Menschen zur Ausübung und Betätigung der Tugend untüchtig machen. Darum nennen wir sowohl alle solche Künste und Handwerke banausisch, die ei- nen körperlich in eine schlechtere Verfassung bringen, als auch jede lohn- bringende Arbeit, da sie den Geist der Muße beraubt und ihn erniedrigt. [...] Es ist auch ein großer Unterschied, aus welchem Grunde man etwas tut oder lernt. Tut man es für sich selbst oder für seine Freunde oder um der Tugend willen, so ist es eines freien Mannes nicht unwürdig; tut man dasselbe aber um anderer willen, so wird man wohl oft wie ein Mensch dastehen, der das Geschäft eines Tagelöhners oder eines Sklaven versieht“ (Politik 1337b4 ff.). Dieser diskriminierende Kontext mag die wesentliche Ursache dafür gewesen sein, dass „in den griechischen Stadtstaaten wie im Rom der republikanischen Zeit [...] die Berufsbildung in Handwerk und Manufaktur eine Angelegenheit handwerk- licher Selbstregelung“ war (Meißner 1997, S.66). Da regulierende Eingriffe des Staates zumindest aus heutiger Sicht nicht mehr nachweisbar sind, konnte in der damaligen Zeit wohl „jeder ausbilden, der ein Gewerbe ausübte, ohne daß dafür besondere Berufsbilder festgelegt gewesen wären. Der Spezialisierungsgrad des antiken Gewerbes und seiner Ausbildung war dementsprechend hoch [...]: Spezia- 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 93 ] lisierung, Ausdifferenzierung der Berufe, die Erhöhung ihrer Zahl bei Verringerung ihres Umfanges [...] war der herrschende Weg zur Erhöhung der Produktivität, und diese zunehmende Spezialisierung sorgte für einen Veränderungs- und Anpas- sungsdruck, der auf dem Berufsausbildungssystem lastete. Die Eingliederung in eine hochgradig arbeitsteilige Produktion, die abrupten Wechsel von Moden und Bedürfnissen und die harte Konkurrenz der Werkstätten bildeten Anpassungslas- ten, an deren Tragen die Lehrlinge gewöhnt wurden“ (Meißner 1997, 63). Die aus der Zeit zwischen dem 3. vor- christlichen Jahrhundert und dem Ende der römischen Antike überlieferten Ausbildungsverträge „bestätigen, daß Väter normalerweise Kinder und Ver- wandte selbst ausbildeten, denn nur selten gaben sie sie anderen Meistern zur Ausbildung, um etwas zu lernen, was der Vater ihnen nicht beibringen konnte. Sofern daher überhaupt eigens ein Ausbildungsverhältnis vertraglich begründet wurde, schlossen den Vertrag der Lehrherr einerseits und die Eltern - bzw. im Falle von Sklaven: Besitzer - des Lehrlings andererseits, wenn die Lehre mit etwa 10-12 Jahren aufgenom- men wurde. Die jeweiligen Vertragspartner waren offenbar frei wählbar. Hand- werkslehren begannen früher als heute, auf niedrigerem Niveau beendeten künftige Handwerker daher normalerweise ihre Schulbildung, und in einem frü- heren Stadium der Entwicklung begann ihre Lösung aus dem Haushalt der El- tern und der Welt der Kinder und damit die berufliche Prägung. [...] Die Be- stimmungen der Ausbildungsverträge variieren zwar im einzelnen, betreffen im allgemeinen jedoch, wie heutige Ausbildungsverträge, regelmäßig eine Reihe wesentlicher Punkte: Vertragspartner, Handwerkszweig, Dauer der Lehre, Ver- gütung für den Lehrling bzw. Lehrgeld an den Ausbilder, Urlaubsregelung, re- gelmäßige jährliche und tägliche Arbeitszeit“ (Meißner 1997, 61). Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen blieb während der gesamten Antike „das per- sönliche Können des Meisters Maßstab und Ziel jeder Ausbildung. [...] Litera- risch wurde Praxiswissen nur niedergelegt, wo es durch Imitation und Vergleich Bild 45: Werkstattkran mit Tretrad im Betrieb des Unterneh- mers LUCCEIUS PECULIARIS. Der Kran hält eine Stein- säule in Arbeitsstellung, an deren Sockel gerade der Steinmetz arbeitet. Relief im Theater zu Kapua (Kretzschmer 1993, 30) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 94 ] allein nicht ausreichend mitgeteilt und überprüft werden konnte, wo die Menge des Wissens die Möglichkeiten der Weitergabe vom Vater auf den Sohn zu ü- bersteigen drohte“ (Meißner 1997, 66 f.). Über die Mittel der Tradierung und Methodisierung des doch bereits beachtlich komplexen Berufswissens jener Zeit schweigen sich die Quellen zwar weitgehend aus, doch ab dem 5. vorchristlichen Jahrhundert wird in Philosophie und Literatur, zunächst noch sehr unsystematisch und verstreut (vgl. Landels 1999, 241), zu- nehmend auch das naturwissenschaftlich-technische Wissen der griechischen An- tike notiert: „Die frühesten, in der griechischen Literatur überlieferten exakten Be- schreibungen der Anwendung mechanischer Prinzipien und Instrumente im Be- reich einer Techne finden sich in den medizinischen Schriften [...], die von der Forschung übereinstimmend zu den ältesten Texten des ‚Corpus Hippocraticum’ 35 gerechnet werden“ (Schneider 1989, 222). Doch erst in der Nachfolge der „Proble- mata Mechanika“ des ARISTOTELES, die zwar selbst nicht praxisorientiert waren, aber dennoch „bis zu den mechanischen Schriften der Renaissance Bestand“ (Schneider 1989, 293) hatten und wohl erst mit GALILEO GALILEIs (1554-1642) Publikationen im 17. Jahrhundert wirklich überwunden wurden, etablierte sich langsam eine Fachliteratur, die als Beleg für die Anfänge einer systematischen Tradierung und Methodisierung beruflichen Spezialwissens gesehen werden kann. Drei Autoren ragen mit ihren Werken besonders heraus: • der römische Architekt und Ingenieur MARCUS VITRUVIUS POLLIO 36, der am Ende des 1. vorchristlichen Jahrhunderts sein Lehrbuch „De architectura libri decem“ verfasste; • der Grieche HERON VON ALEXANDRIA 37, dessen umfangreiches Werk aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. „Informationen sowohl über reine Mathematik, Physik, Mechanik, die Geräte, die ein Zauberer braucht, Vermessungsin- strumente und viele andere Dinge mehr vermittelt“ (Landels 1999, 241); 35 HIPPOKRATES (460 - um 375 v. Chr.), größter Arzt der Antike aus Kos. Das Corpus, insgesamt rund 60 Werke, wird überwiegend in das 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. datiert. Die hippokratischen Schriften wurden in der Antike von vielen Autoren kommentiert und zitiert, u. a. auch von PLATON im „Phaidros-Dialog“ (vgl. Andresen 1994, 1304 f.). 36 Das Lehrwerk VITRUVs, über dessen Leben keine Details bekannt sind, ist die einzige erhaltene derartige Schrift aus der europäischen Antike. Auf den überlieferten 55 Manuskriptseiten werden von VITRUV, gestützt auf die eigene Praxis sowie eine Reihe griechischer Experten, neben dem Bauwesen auch Themen des Messwesens und des Maschinenbaus abgehandelt. 37 Auch die Lebensdaten HERONs sind nicht überliefert. Aus der Beschreibung einer Sonnenfinsternis in einem seiner Bücher wird aber geschlossen, dass er zumindest bis 62 n. Chr. gelebt haben muss (vgl. Landels 1999, 243). 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 95 ] • der römische Politiker und Offizier SEXTUS JULIUS FRONTIUS (35-103/104 n. Chr.), der als römischer „curator aquarum“ ein Buch („De Aquis“) über die technischen Details der Wasserversorgung Roms verfasste. Aus der Tatsache, dass in der Antike eine speziell an der Berufsbildung orientierte, systematisierende Fachliteratur allenfalls in zarten Ansätzen existierte, sollte jedoch nicht geschlossen werden, diese hätte damals keine Rolle gespielt. Wahrscheinli- cher ist auch in diesem Fall, dass alle zur Berufsausbildung gehörenden Aspekte wegen ihres deklassierenden Kontextes der herrschenden Meinung nach nicht be- richtenswert waren und deshalb auch keiner öffentlichen Normierung oder Kontrolle unterlagen, sondern der Selbstregulierung durch das nach dem familialen Prinzip organisierten Handwerk überlassen blieben: „Ausbildung war Arbeit; sie war nicht als Lebenszeit mit besonderem Ziel von Kindheit, Schulzeit und Arbeitsleben abge- grenzt, sie führte nicht zu einer die persönliche Berufsmobilität erhöhenden Ab- schlußprüfung, sondern ähnelte einem ‚trainee programme’. Für Ausbildungs- und Bild 46: Chorobat, antikes Messgerät, das z. B. zur Nivellierung von Wasserleitungstrassen verwendet wurde. In seinen „libri decem“ beschreibt VITRUV im 5. Kapitel des Achten Buches, das von den Eigenschaften und vom Nutzen des Wassers handelt, Konstruktion und Anwendung des Geräts. Die obige Zeichnung entstand nach dieser Beschreibung: „Der Chorobat aber besteht aus einem etwas längeren Richtscheit von etwa zwanzig Fuß, welches an den äußersten Enden ganz gleichartig gefertigte Schenkel hat, die in die Enden des Richtscheites nach dem Winkelmaß einge- fügt sind, und Streben zwischen dem Richtscheit und den Schenkeln, die durch Einzapfung festgemacht sind. Diese Streben haben lotrechte Linien aufgezeichnet, und diesen einzeln entsprechend hängen von dem Richt- scheit Bleilote herab, welche, wenn das Richtscheit aufgestellt ist und wenn sie genau auf die verzeichneten Li- nien einspielen, eine waagrechte Lage anzeigen“ (Zeichnung: Schneider 1997, 287; Zitat: Vitruv 2004, 282). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 96 ] Produktionssystem blieben die Familie und die Abfolge der Generation die wesentli- chen Bezugsgrößen. In der Familie wurde die berufliche Prägung früh festgelegt; handwerklich-berufliches Wissen wurde von Generation zu Generation weitergege- ben“ (Meißner 1997, 68). Zu bedenken ist letztlich auch: Sklavenarbeit, Deklassierung und Deregulierung handwerklicher Tätigkeit, aber auch rudimentäre Formalisierung und Methodisie- rung bremsten die Innovation und betonten damit den überwiegend konservativen, bewahrenden Charakter der antiken beruflichen Bildung, deren Erfolg und Qualität sich wohl in erster Linie danach bemaßen, wie nahe der Auszubildende in der Imi- tation dem Vorbild kam. Der persönliche und gesellschaftliche Erfolg einer berufli- chen Ausbildung war also wesentlich im Vergleich mit dem Vorhandenen zu mes- sen, der vor allem im Bereich räumlicher Ballung gleichartiger Tätigkeiten und Werkstätten in einzelnen Bezirken der antiken Städte oder durch die Spezialisie- rung ganzer Regionen möglich war. Bild 47: Ein Pyramidenmodell (Maßstab etwa 1:200; vgl. u., S. 98) veranschaulicht in der Abteilung „Maß und Gewicht“ des Deutschen Museums die bautechnische Präzision der komplexen Anlage des ummauerten „Standard-Pyramidenkomplexes“ vom Cheops-Typus mit Pyramide, Königinnenpyramiden, Nebenpyramide, Totentempel, Eingangshalle, Aufweg sowie diversen Höfen und Magazinen (Lehner 2002, 19). 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 97 ] 2.3 Visualisierung (Leitobjekt: Pyramide) 2.3.1 Zentralbereich Die „Epoche des negativen Arbeitsbegriffs“ sollte im Zentralbereich VISUBAs mei- ner Meinung nach durch Ägypten repräsentiert werden, zählt doch der Pyrami- denbau zu den erstaunlichsten und außergewöhnlichsten Arbeitsleistungen der menschlichen Geschichte: „Betrachten wir zunächst die schiere Riesen- haftigkeit der Großen Pyramide von Gi- zeh (Giza). Sie entstand zwischen 2589 und 2566 v. Chr. [...] - in der Hoch- phase des Pyramidenbaus - am West- ufer des Nils im Auftrag von CHUFU (CHEOPS), dem zweiten Pharao der vierten Dynastie, und ist das größte aus massivem Stein errichtete Bauwerk al- ler Zeiten. Die Pyramide besteht aus kaum vorstellbaren 2,6 Millionen Ku- bikmetern Mauerwerk, für das 2,3 Milli- onen Steinblöcke von durchschnittlich 2,5 Tonnen Gewicht verwendet wurden, was ein Gesamtgewicht von mehr als 6 Millionen Tonnen ergibt. Ihre Gesamt- fläche umfaßt 5,5 Hektar und wird aus 210 Reihen von Steinblöcken gebildet; die Höhe beträgt 146,5 Meter, die Länge einer Seite 230,5 Meter. Im Innern befinden sich Kammern, Strebpfeiler und Durchgänge. Die große Pyramide ist von einer Verkleidung aus weißem Kalkstein umgeben, und ihr Ausmaß sowie die Schönheit der vollendeten Konstruktion sind in der Mensch- heitsgeschichte nicht übertroffen worden“ (McClellan/Dorn 2001, 56). Quader Diese Zahlen legen nahe, im Zentralbereich die sicherlich beeindruckende Nach- bildung eines der rund 2,3 Millionen ca. ein Kubikmeter großen Quader, aus de- Bild 48: Experimentelle Archäologie: Nachbau einer Pyramide in der Nähe von Gizeh zur Erprobung originaler Arbeitstech- niken und Werkzeuge. Das Bild zeigt das Setzen des Schluss- steins (Pyramidion) der Pyramide (Lehner 2002, 223). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 98 ] nen die Große Pyramide besteht, aufzustellen und mit den Werkzeugen, mit deren Hilfe er aus dem Fels gebrochen und weiter bearbeitet wurde, zu konfrontieren: Kupferpickel und einfache Hebel, die kalt gehämmerten, ca. 8 mm breiten Kup- fermeißel, die dazu gehörigen Dolerit- schlegel sowie die Kupfersägen, mit denen der Fels mit Hilfe von Quarzsand geschnitten wurde. Rein handwerklich handelt es sich bei der manuellen Zu- richtung des Quaders um sehr einfache Tätigkeiten, die in der Praxis sicher kei- ne lange „Lehrzeit“ erforderten und folg- lich für eine Darstellung der Berufsbil- dung keine erstrangige Bedeutung ha- ben. Dennoch sollte für das Publikum im Museum die Möglichkeit geschaffen werden, z. B. die „Wirksamkeit“ des Kupfermeißels bei der Steinbearbeitung selbst zu erproben, um die Arbeitsleistung, die sich in diesem einzigen Pyrami- denbaustein materialisiert, nachvollziehbar zu machen und ein Gefühl für die not- wendige manuelle Geschicklichkeit und Kraft im Umgang mit diesen einfachen Werkzeugen zu wecken. Simulation Die exakt konstruierten Pyramiden machen zudem deutlich, dass an ihrem Bau auch Arbeitskräfte mit sehr differenzierten, spezifischen Berufskenntnissen in Mathematik und Geometrie beteiligt waren, ohne deren Mitwirkung die Gebäude in ihrer erstaunli- chen Präzision nicht hätten errichtet werden können. Da wir nicht wissen, wie berufli- che Ausbildung und Tätigkeit seinerzeit organisiert waren und weil den Besucherin- nen und Besuchern des DM auch das reale Erlebnis eines Pyramidenbaus nicht ge- boten werden kann, sollte unbedingt Simulationssoftware zur Verfügung gestellt werden, womit der Bau einer Pyramide am PC realistisch simuliert werden kann. Dazu sollte ein Spiel entwickelt werden, bei dem die entsprechenden Parameter wie Verfügbarkeit von Bauplatz, Rohstoffen, Arbeitskräften verschiedener Berufe, Werk- zeugen, Arbeitszeit, Transportmitteln, Nahrungsmitteln etc. so zu wählen sind, dass Bild 49: Die Werkzeuge der Pyramidenbauer: Winkellot, Schlaghammer und Schlagkugeln aus Dolerit (Eggebrecht 1980, 49; vgl. o. Bild 31, S.68/69). 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 99 ] der Bau der Großen Pyramide gel Auswahl, eben scheitert. Als Vorlage für das Spiel könnten Simulationsspiele wie Sim-City oder FREDERIC VESTERs (1926-2003) „Ökolopoly“ dienen (vgl. u. Bild 50; vgl. o. Anm. 22, S. 56). CD-ROM und PC-Spiel bieten eine Reihe neuer Möglichkeiten, vor allem junge Museumsbesucher/innen zur Auseinandersetzung mit den Exponaten zu motivie- ren: „Wie das Medium CD-ROM selbst, so steckt auch die theoretische Diskussion über seine Möglichkeiten und Grenzen bei der Vermittlung von Geschichtsbildern noch in den Anfängen [...]. Bild 50: Ökolopoly. Die Grundlagen des Spiels sind erläutert in: DREXLER, Wulf: Ökolopoly oder die Nützlichkeit von Mathematik im Umgang mit vernetzten Systemen. In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 1995/1. Auch im Internet veröffentlicht unter: http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/wdrexler/htmldata/kontakt/Veroeffentlichung /VeroeffenSoz/drexler/oekolopoly.htm) Allerdings eröffnet die schnelle Verbindung von Texten unterschiedlicher Hierar- chisierungsebenen, von Bildern und Tönen mittels Hyperlinks neue Möglichkeiten mediale Vermittlungsformen miteinander zu kombinieren. Durch die daraus resul- tierenden Vorteile kann ein Programm vielfältige Zugänge zum Thema anbieten: Bilder, Texte sowie Bild- und Tonsequenzen können individuell kombiniert werden, so dass der Benutzer selbst das ‚Menü’ zusammenstellt, das seinem Infor- mationsbedürfnis entspricht. Auf diese Weise nähert sich die Präsentation von his- torischen Objekten auf CD-ROM dem Ideal eins selbstbestimmten Rundgangs durch eine historische Ausstellung zumindest an. Zwar fehlt den ‚Exponaten’ auf dem Bildschirm die Aura originaler Gegenstände und die Betrachtung er- folgt - wenn auf aufwendige und entsprechend teure Verfahren verzichtet wird - nur frontal, dafür ergeben sich aber vielfältige Ansatzmöglichkeiten für interpretatori- sche Hilfen im Sinne einer ‚historischen Bildkunde’. Eine derartige Aufbereitung empfiehlt sich schon deshalb, weil gerade die Vermittlung geschichtlicher Zusam- menhänge durch Bilder ein Erkenntnisinstrumentarium voraussetzt, das nicht nur dem jugendlichen, sondern auch dem erwachsenen Benutzer in der Regel abgeht“ (Petz 2000, 42). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 100 ] 2.3.2 Insellösung im DM Da die Vermessung eines der Kernprobleme des Pyramidenbaus darstellt, bietet es sich an, im Zentralbereich auf die Abteilung „Maß und Gewicht“ des DM zu verweisen und dort die einschlägigen Themen zu behandeln: „Beim Orientieren der Pyramidenseiten erreichten die Baumeister des Alten Reiches eine erstaunli- che Genauigkeit - bei der Cheops-Pyramide beträgt die größte Abweichung weni- ger als 3’ 26’’ oder weniger als ein Fünfzehntel eines Grades. [...] Die Pyramiden sind mit ebenso erstaunlicher Präzision nivelliert, wie sie ausgerichtet wurden. Die Basis der Cheops-Pyramide liegt innerhalb knapp 2,1 cm auf ebenem Grund. [...] Eine Schlüsselfrage des Pyramidenbaus lautet, wie die ägyptischen Maurer die Achsen und Diagonalen kontrollierten, während sie die Pyramide hochzogen. Sie mußten sicherstellen, daß sie sich oben genau in der Mitte trafen, um nicht buch- stäblich den entscheidenden Punkt zu verfehlen“ (Lehner 2002, 212 ff.). Modelle Der Einsatz der Vermessungsgeräte und die Konstruktionsverfahren zur exakten Orientierung der Pyramidenseiten an den Himmelsrichtungen, zur Nivellierung der Pyramidenplattform, zum Ausrichten der ersten Steinlage und zum Abstecken der Pyramidenbasis, zur Ermittlung der idealen Seitenneigung, zur Kontrolle der Achsen und Diagonalen sowie zur Konfiguration der notwendigen Baurampen sollten in der „Insel“ anhand originalgetreuer Nachbildungen und Modelle demonstriert werden. Denkbar wäre zudem ein maßstabsgerechtes demontierbares Modell als dreidi- mensionales Puzzle: Den Besucherinnen und Besuchern könnte etwa die Aufgabe gestellt werden, einen „Steinhaufen“ aus einer definierten Zahl von Steinen so zu einer Pyramide zu formen, dass kein Stein übrig bleibt und die letzte Schicht durch einen an seiner Form (Pyramidion) erkennbaren Schlussstein gebildet wird. 2.3.3 Leitziele für die Visualisierung Hier geht es darum, grundlegende „Erfindungen“ der urbanen Kulturen zu veranschau- lichen: zum einen die Ergänzung der horizontalen Arbeitsteilung durch die vertikale und zum anderen Ursachen und Folgen der zunehmenden Berufsdifferenzierung. horizontale Arbeitsteilung • Die Differenzierung der Arbeit in Berufe wird weiter vorangetrieben, die Spezialisierung innerhalb der Berufe nimmt zu. 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) [ 101 ] • Die Wissenschaft stellt Kenntnisse bereit, die in das Berufswissen übernom- men werden, Imitatio bleibt aber das Grundprinzip der Wissensvermittlung. • Die Zunahme des komplexen Berufswissens erfordert frühe Formen der Formalisierung und der Methodisierung zur Tradierung. vertikale Arbeitsteilung • Die Trennung der Arbeit in Hand- und Kopfarbeit integriert die Arbeit in Herrschaftsideologie und Herrschaftsstrukturen. • Die Verachtung körperlicher Arbeit wird zum Ausschlusskriterium für die Teilhabe an der Herrschaft, Arbeit zum Instrument der Entmündigung des In- dividuums (Sklavenarbeit). • Der Staat übernimmt Organisation der Arbeit und Koordination des Ar- beitseinsatzes (Beispiel Pyramidenbau) zur Steigerung der Effizienz und Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit (Energie für Großprojekte). Bild 51: Ein seltener Besuch: Schulkinder in der Abteilung „Maß und Gewicht“ des Deutschen Museums. Die Integration eines Pyramidenmodells und eines dreidimensionalen Pyramidenpuzzles könnte die Attraktivität dieser in der Regel wenig frequen- tierten Museumsabteilung deutlich steigern (Deutsches Museum 2000, 131). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 102 ] 2.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 2 Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) Ort der Realisierung Exponate und „Zubehör“ Besucher- Aktivitäten PC-Station und Software Flachware etc. Fläche (ca.) Zentral- bereich Steinblock in der Größe ei- nes Pyramiden- bausteins (1 m3) Stein zur „Erpro- bung“ der Werk- zeuge (Der Stein ist von Zeit zu Zeit zu erneuern.) Werkzeug: Kupfermeißel, Schlaghammer aus Stein, Winkel Lot Arbeitsfläche Schutzkleidung (für Augen, Hände etc.) Sitzgelegen- heiten für Zu- schauer/innen Recherche am PC „Arbeit“ in der Besucher- Werkstätte: Bearbeiten des Steinblocks mit „antiken“ Werk- zeugen Software für das Spiel: „Simulation des Pyramiden- baus“ PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Arbeitsanleitung zur Arbeit am Steinblock PC für Spiel Spiel-Software Erläuterungen zum Exponat Verweis auf Insel (Kontext der Ausstel- lung) Erläuterungen zu den Werk- zeugen Faltblatt/Bro- schüre mit ei- ner Einfüh- rung in die ägyptische Steinmetzar- beit und in den Umgang mit den dama- ligen Werk- zeugen 20 m2 Insel im DM Abteilung „Maß und Gewicht“ (3. Stock) Modell einer Pyramide des Cheops-Typs Sockel Glasvitrine Spiele: „Dreidimensiona- les Puzzle Pyramidenbau“ Recherche am PC PC für Spiel Spiel-Software PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Erläuterungen zum Pyrami- denmodell Bezug zum Zentralbereich (Kontext der Ausstellung) 10m2 Bild 52: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 2: Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. - 750 n. Chr.) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 103 ] 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) „Die Arbeit hat einen vierfachen Zweck: Zu- allererst soll sie das Lebensnotwendige beschaffen; zweitens die Ursache so vieler Laster, den Müßig- gang, vertreiben; drittens durch Kasteiung des Lei- bes die Fleischeslust zügeln; viertens ermöglicht sie, Almosen zu spenden.“ THOMAS VON AQUIN (gest. 1274) 38 Den Anfang dieser Epoche markiert der mehr als zwei Jahrhunderte währende Prozess der Christianisierung Nord- und Mitteleuropas, der im 6. nachchristli- chen Jahrhundert durch die von BENEDIKT VON NURSIA (480- um 547) initiierte Welle von Klostergründungen ausgelöst wurde und ganz wesentlich zu einer Um- wertung menschlicher Arbeit beigetragen hat. Zudem hat die von der Kloster- bewegung ausgehende Agrarrevolution die ökonomische Basis geschaffen für die Reurbanisierung des zentraleuropäischen Raums, die als zweite Ursache für den Wandel des spätantiken Arbeitsethos’ zu nennen ist. Der Umbruch im Agrarbereich ist zum einen eine Folge verbesserter Werkzeuge und Anbaumethoden (Räderpflug39, Egge, Sense, Dreschflegel, Dreifelderwirt- schaft) und zum anderen Auswirkung der Erschließung effizienterer Ener- giequellen: Das Kummet (vgl. u. , S. 105) versechsfachte den möglichen Kraftein- satz von Ochsen bei Landarbeit und Transport (vgl. Otten 1986, Bd. 1, 25) und ermöglichte später zusammen mit dem Hufeisen den zunehmenden Einsatz von Pferden vor Pflug und Wagen; die Erschließung der Wasser- und der Windener- gie vor allem für den Betrieb von Mühlen aller Art sowie als Maschinenantrieb in der Textil-, Holz- und Metallverarbeitung steigerte die Produktivität unter anderem bei der Nahrungserzeugung und der Werkzeugherstellung erheblich. Zu Beginn des 8. nachchristlichen Jahrhunderts hatte sich nach dem Zerfall der römischen Stadtkultur nördlich der Alpen und den gravierenden Umwälzungen der Völker- 38 Summa theologiae, 1266/74 (zitiert nach Kühnel 2003, 189) 39 „Der Pflug kann zu Recht als ‚Leitgerät’ der mittelalterlichen Agrarproduktion angesehen werden, dessen Diffusion im Rah- men der Grundherrschaft als des signifikanten Wirtschaftssyst s des Zeitalters erfolgt ist“ (Hägermann 1997, 380). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 104 ] wanderung Europa so nachhaltig verändert, „daß alles, was sich nach diesem Einschnitt ereignen sollte, etwas durchaus Neues ist, für das es - bei allem Erfah- rungstransfer aus anderen Kulturen und Epochen - keine Vorbilder gab und gibt. Wenig von dem, was die griechisch-römische Antike prägte, wirkte noch nach, und was an technologischen oder kulturellen Importen […] nach Europa kam, wurde hier so verändert und mit anderen Organisationsformen verarbeitet, dass [man damit] den Beginn einer neuen Epoche“ (Otten 1986, Bd. 1, 19; Hervorhebungen von mir. HD.) begründen kann. Dies gilt analog auch für den Arbeitsbegriff, denn diese tief greifenden Veränderungen bewirkten auch eine Umwertung körperlicher Arbeit, auch wenn sich diese noch nicht auf alle Bereiche menschlicher Tätigkeit erstreckte. Die namengebende Ambivalenz dieser Epoche des Arbeitsbegriffs zeigt sich in dreifacher Hinsicht: erstens in der zwiespältigen Haltung des im Abendland kul- turprägenden Christentums zur Arbeit 40, zweitens in der Ausprägung des sich seit dem 12. Jahrhundert herausbildenden Gegensatzes zwischen dem zünftigen Stadthandwerk auf der einen und der Landarbeit sowie der gewerblichen Lohnar- beit der anderen Seite als Folge der Ablösung der „autarken Arbeitsteilung durch eine über den Markt vermittelte Arbeitsteilung“ (Kriedte 1977, 36), wodurch die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse dem Land und die von gewerblichen Erzeugnissen der Stadt zugewiesen worden war, und drittens in der gegensätzli- chen Wertschätzung von Landarbeit und bürgerlichem Handwerk. Das Epochenende setzen schließlich Humanismus, Renaissance, Reformation und beginnende Aufklärung, deren rationalisiertes, individualisiertes Menschenbild und wissenschaftliches Weltbild einen grundlegenden Wandel des Arbeitsbegriffs einleiteten. 40 Im Christentum „verschmolz frühchristliche mit der antiken Arbeitsauffassung, bestätigte sie scheinbar (‚Arbeit’ = ‚Mühsal’), stellte sie tatsächlich aber von Grund auf in Frage. Die sich daraus ergebende Spannung wurde bestim- mend für den Arbeitsbegriff im christlichen Europa bis zu modernen Revolution“ (Conze 1992/a, 158). „Die Stellung der Arbeit im Neuen Testament bleibt jedoch ambivalent. Sie wird als notwendig akzeptiert, soweit sie der Selbst- erhaltung dient […], gleichzeitig hängt ihre Bedeutung völlig von Gott ab“ (Walther 1990, 10; Hervorhebung von mir. HD.). Die moderne katholische Soziallehre wendet diese „Doppelnatur menschlicher Arbeit“ dagegen ins Positive, denn sie sieht in ihr „nicht nur ein Mittel zur Beherrschung der Welt; sie ist auch ein Mittel zur Selbstvervoll- kommnung des Menschen, indem der Arbeitende die Arbeitslast bewältigt. Der Arbeitsfreude des Menschen ist untrennbar verbunden das Arbeitsleid“ (Gaugler 1961, 1726). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 105 ] 3.1 Arbeit In der Bewertung von körperlicher Arbeit durch die herrschenden Eliten stand die frühmittelalterliche Agrargesellschaft zunächst noch ganz in der Tradition der Antike, denn „die Gesellschaft des Karolingerreiches beruhte als Fortsetzung der antiken Gesellschaft auf der Sklaverei und war in Europa die letzte Gesellschaftsform, die sich auf diese Institution gründete. Die Sklaverei war in der Karolingerzeit zwar etwas abgemildert und hatte vor allem die Tendenz, sich abzuschwächen und in die Leibei- genschaft überzugehen, die spätere Form der Unfreiheit; doch die Texte der Karolin- gerzeit sprechen ganz eindeutig von Sklaven“ (Dhont 1976, 31). Der Sklave ist, wie bereits dargelegt, rechtlich gesehen eine handelbare „Sache“ (vgl. o., S. 80) und als solche nicht in das für Menschen geltende Emotions-, Werte- und Moralsystem integ- riert. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass der Begriff für die in erster Linie den Skla- ven zugeordnete körperliche Tätigkeit, das Wort „Arbeit“ nämlich, „von einem Stamm herzuleiten [ist], der das Begriffsfeld ‚verwaist’ umschreibt. Ich bin ein Waisenkind, al- so muß ich arbeiten. Die schicksalhaft-gesellschaftliche Isolierung macht Arbeit zur doppelten Mühsal“ (Borst 1984, 337; vgl. Kluge 1967, 28 f.). Mit dem Wort „Arbeit“ verbindet der mittelalterliche Mensch zunächst Mühe, Müh- sal und Not, die man leidet, aber auch Kampfesnot und Strafe (vgl. Lexer 1974, 7; Wiedemann 1979, 34 ff.). Zwar wird körperliche Arbeit - wie noch zu zeigen sein wird - im Fortgang der Geschichte zunehmend um- und vor allem aufgewertet, Bild 53: Dieses Bild pflügender Bauern zeigt zwei technische Neuerungen, die im frühen Mittelalter die Landarbeit revolutionierten: die Kummetanspannung und den schweren Beetpflug. Im Gürtel des Ackermanns steckt eine Axt zum Einschlagen von Keilen in die Achse beim Pflugmesser und der Pflugsäule zum Einstellen der Furchentiefe. Miniatur aus dem Kodex des Prager Erzbischofs aus dem Jahre 1396-1397 (Husa 1971, Nr. 6) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 106 ] doch bleibt der Reflex der sozialen Deklassierung manueller Tätigkeit aus der An- tike in der Ideologie der mittelalterlichen Mußeklasse weiterhin virulent. Das euro- päische Mittelalter reservierte die Begriffe arebeit, labour, travail, labor für die Be- zeichnung der Tätigkeiten der Knechte, Taglöhner und insbesondere der Leibei- genen, „die Handwerker hingegen, die dauerhafte und akkumulierbare Gegen- stände fabrizierten - Werkstücke, die von ihren Käufern meistens an die eigene Nachkommenschaft vererbt wurden -, ‚arbeiteten’ nicht: Sie ‚werkten’,41 und bei diesem ‚Werk’ konnten sie die ‚Arbeit’ von Handlangern für die groben und unqua- lifizierten Aufgaben benutzen“ (Gorz 1998, 31). Das etwa um 1200 wohl in Passau in schriftliche Form gebrachte „Nibelungenlied“ erzählt „von helden lobebæren und grôzer arebeit“ (de Boor 1972, 3); das 14. Jahrhundert ordnet die Arbeit nach wie vor dem Bereich des „Widerwärtigen“42 zu und noch im 15. Jahrhundert behauptet OSWALD VON WOLKENSTEIN unumwunden: „arbait ist ein mord“ (Klein 1975, 154). Der mittelalterliche Tugendkatalog ließ für den adeligen Ritter durchweg nur Waf- fen- und Minnedienst als adäquate Beschäftigungen gelten und im Preußischen Landrecht wird für den Adel noch 1794 (!) explizit ein Arbeitsverbot verfügt: „Wer mit Verschweigung [...] seines adeligen Standes in eine Zunft oder Innung sich einschleicht und bürgerliches Gewerbe treibt, der wird seiner adeligen Rechte ver- lustig“ (zitiert nach Schmid 1977, 160). Die antike Form der Sklaverei wurde in Europa jedoch in der ersten Hälfte des Mit- telalters überwunden und ersetzt durch das differenzierte Feudalsystem, das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts für den überwiegenden Teil des landwirtschaftlich orientierten Bereiches Wirtschaftsordnung, Gesellschaftsordnung und Staatsord- nung war (vgl. Henning 1994, 31). Das Feudalwesen schied die Menschen zum ei- nen in Grundeigner und Grundhörige und klassifizierte sie zum anderen nach dem Grad ihrer persönlichen Freiheit in Freie, Halbfreie und Unfreie (Leibeigene). Die kennzeichnenden Wesensmerkmale des Systems waren Grundherrschaft und Leibherrschaft, d. h., der Grund- und Leibherr überlässt seinen Boden zur Nutzung 41 Der hier zitierte französische Philosoph ANDRÉ GORZ stützt seine These auf HANNAH ARENDT, die in ihrer Studie „Vi- ta activa“ ausführt: „Im Deutschen sagte man ursprünglich nur von Leibeigenen, die in der Landwirtschaft arbeite- ten, daß sie arbeiteten, die Handwerker werkten. Das französische travailler [...] ist von dem lateinischen tripalium abgeleitet, einer besonderen Art von Folter“ (Arendt 1960, 333). 42 „Zur Arbeit [...] gehören das Leid, die Sorge, die Angst, das Unglück, die Martern, die Ermüdung, die Anstrengung und das Siechtum. Wo der Begriff ‚arbeit’ nicht selbst diese Bedeutung hat, stehen diese und ähnliche Begriffe des Widerwärtigen in der unmittelbaren Umgebung der Arbeit“ (Stahleder 1972, 314 f.; vgl. Otto 1993, hier 42-70; 88- 113). „Positiv akzentuierte Bedeutungen fehlen im ursprünglichen Wortfeld von ‚Arbeit’ zunächst genauso, wie die neutral-alltagssprachlichen Wendungen“ (Walther 1990, 5). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 107 ] den von ihm persönlich abhängigen Leibeigenen, die im Gegenzug den Ertrag daraus zu wesentlichen Teilen an ihren Herrn abführen und zudem körperliche Dienste (Fron) leisten müssen. Der Leibherr gewährt den Abhängigen dafür das Recht, ebenfalls vom Bodenertrag zu leben, und übernimmt zudem deren Schutz. Darüber hinaus weist das mittelalterliche Feudalsystem jedem Menschen seinen festen Platz zu in einer dreigliedrigen Standeshierarchie („ordo“)43 aus: „orato- res“ (1. Stand: der betende Klerus), „bellatores“ (2. Stand: der kämpfende Adel) und „laboratores“ (3. Stand: die arbeitenden Bauern). Diese grundlegende Dreitei- lung der feudalen Ständestruktur, in der natürlich der arbeitende Stand die un- terste Stufe bildete, überdauerte im Prinzip die im 11. Jahrhundert einsetzende Urbanisierungswelle. Noch im „Ständebuch“ JOST AMMANs (1539-1591) aus dem Jahre 1568 „werden die Holzschnitte in diesem Geiste angeordnet: An der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide [...] der Papst und die Geistlichkeit. Ihnen folgt der weltliche Adel, voran der Kaiser, und dieser Gruppe schließen sich die Gelehrten 43 Die Dreiteilung der Gesellschaft als Symbol der „Vollkommenheit“ (Duby 1981, 12) wird von den Autoren des 11. Jahrhunderts als von Anfang an geltende, unveränderliche göttliche Weltordnung aufgefasst, die der Mensch nicht korrigieren darf (zum Begriff des „ordo“ vgl. Duby 1981, 112 ff.): • ADALBERO, Bischof von Laon: „Dreifach also ist das Haus Gottes, das man eines wähnt: hier auf Erden beten (orant) die einen, andere kämpfen (pugnant), und noch andere arbeiten (laborant); diese drei gehören zusam- men und ertragen nicht, entzweit zu sein; derart, daß auf der Funktion (officium) des einen die Werke (opera) der beiden anderen beruhen, indem alle jeweils allen ihre Hilfe zuteil werden lassen.“ • GERHARD, Bischof von Cambrai: „Er zeigte auf, daß das Menschengeschlecht von Anbeginn der Welt in drei geteilt war, die Männer des Gebets (oratoribus), die Bauern (agricultoribus) und die Krieger (pugnatoribus); er lieferte den offenkundigen Beweis, daß ein jeder wechselseitig Empfänger eines gegenseitigen Dienstes ist“ (zi- tiert nach Duby 1981, 16. Zur kulturellen Bedeutung der Zahl „Drei“ vgl. Endres/Schimmel 1990, 72 ff.). Bild 54: Fronarbeit im Feudalismus. Der Grundherr (vrô, daher Fronarbeit) überwacht (symbolisch) die Erntearbeit seiner leibeige- nen (hörigen) Bauern. Buchmalerei aus dem 15. Jht. (Kunz 2001, 22) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 108 ] an, denen eine solche Stellung insofern gebührte, als sich im späten Mittelalter eine große Wertschätzung der Wissenschaften (artes liberales) herausgebildet hatte, die sich etwa in der Neigung zeigte, dem Doktortitel die gleichen Rechte zu- zuerkennen wie dem Rittertitel, weil beide als eine Art Weihe zu höherer Lebens- aufgabe betrachtet wurden. Den Beschluß des Ständebuches bilden die Vertreter des dritten Standes, im wesentlichen die Handwerker, die die sogenannten artes illiberales oder artes mechanicae betrieben. [...] Sechs Vertretern der Geistlichkeit, vier des Adels und - wenn wir den Gelehrten einmal eine ständische Mittelstellung zubilligen wollen - vier der Wissenschaft stehen hundert Vertreter des dritten Stan- des gegenüber“ (Amman 1989, 142 f.; vgl. auch Türk 2000, 132 ff.). Arbeitsteilung und Ständedifferenzierung in der Feudalgesellschaft vertikale Arbeitsteilung (ideologisch) Frühmittelalter (750) Spätmittelalter (1500) „geistige“ Arbeit -2- 1.1 3.3 -2- 1.1 Herrschaft Schutz 1.2 Mönche 1.2 Mönche 3.2 3 Bauern 3.1 Bauern Unterständische Gruppen: Gesinde, Bettler... körperlich- manuelle Arbeit Unterständische Gruppen: unzünftige Handwerker, Lohnarbeiter, unehrenhafte Berufe, Gesinde, Bettler... Freie Halbfreie Unfreie horizontale Arbeitsteilung (systematisch) Ständedifferenzierung Ständedifferenzierung 1.1 hoher Klerus 1.2 niederer Klerus 2 Adel 3 Bauern (Grafik ohne Maßstab) © Herbert Dandl 2004 1.1 hoher Klerus 1.2 niederer Klerus 2 Adel 3.1 Bauern 3.2 Berufsstände 3.3 Stadtpatriziat Bild 55: Die Umstrukturierung des dritten Standes vom Früh- zum Spätmittelalter durch die Herausbildung und weitere Ausdiffe- renzierung der Berufsstände (Dandl) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 109 ] Allerdings hatte der dritte Stand44 mit der Herausbildung des städtischen Bürgertums offenbar eine bemerkenswerte Umformung erfahren. Die Ausdifferenzierung der städ- tischen Berufe bewirkte bis zum ausgehenden Mittelalter eine auf unterschiedlichen Arbeitsformen beruhende kleinteilige Segmentierung des dritten Standes (vgl. o. Bild 55, S. 108), die zusammen mit de- ren gegenseitiger Abgrenzung in Zünften dazu führte, dass die in Korporationen organisierten Berufe sowohl ihrem Selbstverständnis nach als auch in der gesellschaftlichen Realität als eigene Stände wahrgenommen wurden, was z. B. in den Ständebüchern AMMANs (1568) oder WEIGELs (1698) anschaulich dokumentiert wird (vgl. Türk 2000, 132 ff.). Das frühkapitalistisch agierende urbane Patriziat konnte mit dem Stadtregiment zwar auch Normen des Adels absorbieren, so befreite es sich z. B. weitgehend von körperlicher Arbeit, es blieb aber de jure bis in die Zeit der bürgerlichen Revolutionen von jeglicher über den Burgfrieden der Städte hinausgehenden Herrschaft ausgeschlossen. Die Aufwertung körperlicher Arbeit durch den Feudalismus wurde dadurch trans- portiert, dass diese keineswegs nur auf die unfreien Leibeigenen oder die Halb- freien beschränkt blieb. So konnten z. B. die kleinen freien Bauern gar nicht über- leben, ohne selbst Hand anzulegen, und für das städtische Hand-Werk war die manuelle Arbeit sogar das konstituierende Kriterium. Den meisten Menschen in Stadt und Land musste die soziale Realität aber auch nach der Feudalisierung der Gesellschaft als unverändert erscheinen, denn an der aus der Antike überkomme- nen Dichotomie in eine Welt der Muße für die adelig-klerikale und die urban- patrizische Oberschicht einerseits und eine Welt der mühsamen körperlichen Ar- beit für die breite Masse andererseits hatte sich in der Realität nichts geändert. 44 JÜRGEN KOCKA definert Stand als „eine gesellschaftliche Großgruppe […], deren Mitglieder sich durch spezifisches Recht und eigene Gerichte, ein bestimmtes Maß der Teilhabe an der politischen Herrschaft, durch eine besondere Form des Einkommens bzw. des Auskommens und vor allem durch besondere Lebensführung und Kultur von Mit- gliedern anderer Stände oder von nicht-ständischen Schichten unterscheiden. […] Zum Mitglied eines Standes wur- de man durch Geburt oder bewußte Akte der Aufnahme bzw. des Eintritts. Auf der Grundlage der genannten Ge- meinsamkeiten entwickelten sich dichte Kommunikationsbeziehungen - standesspezifische Kommunikationsbezie- hungen - standesspezifische Geselligkeits- und Heiratskreise z. B. zwischen den Angehörigen eines Standes, oft über lokale Distanzen hinweg, durch ritualisierte symbolische Praktiken abgestützt. Die ausgeprägte Ungleichheit zwischen den Ständen war traditional, oftmals auch religiös legitimiert“ (Kocka 1990/a, 34; vgl. Gall 1993). Bild 56: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland (West ohne ehemalige DDR und Ostpreußen) von 600 bis 1800 in Millio- nen. Ursachen der Bevölkerungsrückgänge waren im 14. Jahr- hundert die große Pestwelle und im 17. Jahrhundert der Drei- ßigjährige Krieg (Henning 1994, 19). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 110 ] 3.1.1 „Die Bauern sind Sclaven“ Im Gebiet des heutigen Deutschland haben zu Beginn des 8. Jahrhunderts „weni- ger als eine Million Menschen gelebt, etwa 2,2 - 2,4 Menschen je qkm. Etwa im 7. Jahrhundert beobachtet man nach dem Abflauen der Pestepidemien in Europa den Beginn einer Periode des Bevölkerungswachstums, das sich im 10. Jahrhun- dert noch beschleunigte und einen massiven Landesausbau induzierte. Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts wurden Wälder gerodet und Sümpfe trockengelegt. Die bestehenden Siedlungen vergrößerten sich, und neue Siedlungen wurden an- gelegt. Um 1300 mögen um 14 Millionen Menschen im Gebiet des späteren Deutschland mit den Grenzen von 1937 gelebt haben“ (Borchardt 1978, 8 f.). Da um das Jahr 1000 nahezu alle und selbst nach der Urbanisierungswelle (vgl. u. , S. 118) noch immer mehr als 85% der Bewohner Mitteleuropas auf dem Land lebten und arbeiteten, bedeutete Arbeit das gesamte Mittelalter hindurch fast ausschließlich Landarbeit45. Dies meint aber nicht nur die spezifische Bauernarbeit des Acker- baus und der Viehzucht, sondern umfasst alle mit der Existenz auf dem Land ver- bundenen Tätigkeiten, denn der „Bauer war Selbstversorger, und wenn das Wort von der in der Stadt einsetzenden und bald in breitester Form dort praktizierten Arbeitsteilung seine Gültigkeit hat, so bedeutete das für die bäuerliche Arbeit, daß sie allem gelten mußte, wessen das Dorfleben benötigte. Im strengen Sinne war der Bauer, was das Essen, die Lebensmittelaufbewahrung und die Vorratskammer anbetraf, nur auf Salz angewiesen. Das konnte er nicht gut selbst produzieren“ (Borst 1984, 349). So wurde also auch der größte Teil der handwerklichen Aufga- ben, vom Hausbau über die Nahrungsmittel- und Kleiderproduktion bis hin zur Werkzeugherstellung und -reparatur von der Bauernfamilie, zu der auch das ge- samte Gesinde gehörte, selbst erledigt. Bis an die Schwelle der Gegenwart war Landarbeit zu einem wesentlichen Teil auch Frauenarbeit: „Frauen befassen sich mit den Gärten, dem Vieh und dem Weinbau. [...] Auch die Zucht der Schafe, die sie selbst scheren, ist wie im Altertum Sache der Frau, ebenso das Geflügel, das sie mästen. Sie pflanzen ‚Wurzeln’ und ‚Kräuter’, also Gemüse, in den Gärten an und drehen den Mühlstein wie zu Zeiten des Odysseus. Die Arbeit des Müllers wird man ihnen paradoxerweise erst in dem Augenblick teil- 45 Im Althochdeutschen bezeichnet der Begriff arabeit deshalb auch die „Dienstbarmachung der Natur, Ackerbau“ (Klu- ge 1967, 29). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 111 ] weise nehmen, als sie mechanisiert wird. Die Wälder, ein wesentlicher Faktor des Mittelalters, waren Quelle des Reichtums und natürlicher Wohnplatz zahlreicher Be- völkerungsgruppen. Während der Mann jagte und Holz fällte, half ihm die Frau den Holzvorrat einzubringen, sammelte wilde Früchte und Reisig. Rund ums Haus pflanz- te sie Weizen und niedere Arten von Getreide: Spelt, Roggen, Mohrenhirse und Mannsheu. Sie führte die Rinder auf die Weide oder in den Wald. Doch zusätzlich zu diesen Pflichten, die Nahrung und Heizung betrafen, war sie in den bäuerlichen Haushalten vollständig für die Erzeugung von Kleidungsstücken zuständig. Sie bear- beitete die Wolle, pochte den Flachs, webte Tuch und Leinen und nähte die Kleidungsstücke. [...] Die Frauen [auf dem Land] mußten im Mittelalter viel ar- beiten. Sie genossen zwar nicht die völli- ge Gleichberechtigung mit den Männern; ihre Lage war aber im Vergleich zu den vorhergehenden Zeiten und denen, die noch folgen sollten, relativ besser“ (Sulle- rot 1972, 48). Aus heutiger Sicht könnte mittelalterli- che Landarbeit also leicht als weitge- hend unentfremdete, integrierte Tä- tigkeit idealisiert werden. Den Aus- schlag für die Bewertung ihres Sozial- status’ müssen aber die heute kaum mehr vorstellbar harten und ebenso müh- wie armseligen Lebens- und Arbeitsbedingungen geben, die von den Bau- ern selbst innerhalb des Feudalsystems auch kaum zu verbessern waren, denn Mehrerlöse wurden von den Grundherren regelmäßig durch Erhöhung der bäuer- lichen Lasten abgeschöpft. Deshalb nimmt es nicht wunder, dass die bürgerli- chen Zeitgenossen die Bauern auf eine Stufe stellten mit den antiken Sklaven: „Fallen die idyllisierend-ständischen Rücksichten weg, kann der Aufklärungs- schriftsteller JOHANN MICHAEL VON LOEN 1740 schreiben: ‚Heut zu Tage ist der Landmann die armseligste unter allen Creaturen: Die Bauern sind Sclaven, und Bild 57: Männer und Frauen arbe dem Feld. Sol- che idyllisierende Darstellungen unterschlagen, wie hart die Arbeit auf dem Land tatsächlich war. Gemälde aus dem Spätmittelalter (Egge- brecht 1981, 165) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 112 ] ihre Knechte sind von dem Vieh, das sie hüten, kaum noch zu unterscheiden.’ [...] Nicht nur die Bewußtseinsstufe legt die Analogie zu seinem Viehzeug nahe, auch die Primitivität und die Schinderei seiner Handarbeit. Der Bauer und seine Ochsen, das ist ein Synonym“ (Borst 1984, 343). Diese hier von OTTO BORST zitierte Diffamierung des Bau- ernstandes aus dem 18. Jahrhundert, die die mühselige Landarbeit pole- misch abgrenzt vom inzwischen selbst im Niedergang begriffenen städtischen Zunfthandwerk (vgl. u. 4.2.2, S. 212 ff.) mit seinem in überkommenen Ehrbe- griffen erstarrten Arbeitsethos, zeigt, dass sich in den Städten als Wertmaß- stab ein ambivalenter bürgerlicher Ar- beitsbegriff etabliert und bis in die Ge- genwart erhalten hat, der die christli- che Aufwertung der Arbeit für die Bau- ernarbeit weitgehend ignoriert. 3.1.2 „Ora et labora“ Werturteile wie die von LOEN formulier- te Verachtung des von seiner unge- mein harten Arbeit nicht nur physisch, sondern auch psychisch geprägten Bauernstandes konnten sich nicht zu- letzt auf das durch die „Genesis“ überlieferte alttestamentarische Deklassement körperlicher Arbeit berufen. Bekanntlich bestrafte Gott die Menschen für ihren Sündenfall mit der Vertreibung aus dem Paradies und verfluchte zudem ihren Acker, damit sie durch der Arbeit Mühe, Plage und Drangsal ihr Leben lang dafür büßen: „Verflucht sey der Acker umb deinen willen / mit Kummer soltu dich drauff neeren dein Leben lang [...] Im schweis deines Angesichts soltu dein Brot essen“ (Genesis 1,17-19; zitiert nach Luther 1973, 30). Bild 58: Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Para- dies: „Im schweis deines Angesichts soltu dein Brot es- sen.“ Eva arbeitet mit dem Spinnrocken und stillt gleichzeitig ihr Kind, während Adam mit einer zweizinkigen Hacke den steinigen Boden bearbeitet. Holzschnitt 1476 (Lorenz-Schmidt 1998, Bild 26) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 113 ] Im Gegensatz dazu steht aber die von Anfang an selbstverständliche positive Inte- gration der Arbeit in die göttliche Ordnung, denn im Alten Testament tritt der Mensch „von Anfang an als arbeitender bzw. zur Arbeit bestimmter“ auf (Kramer 1982, 9), wird er doch von Gott selbst damit beauftragt, dass er den „garten Eden […] bawet und bewaret“ (Genesis 1,15; zitiert nach Luther 1973, 27). Zudem wird die gesamte Schöpfung als Produkt einer geregelten göttlichen Arbeitswoche ge- schildert, die später mit dem Dekalog verpflichtend an die Menschen weiter gege- ben wird: „Sechs tage soltu erbeiten“ (Exodus 20,9; zitiert nach Luther 1973, 159). In der Episode von KAIN und ABEL ste- hen einander nicht nur zwei Brüder, son- dern zwei Grundformen menschlicher Existenz gegenüber: ABEL, der „Schefer“, repräsentiert das überlieferte nomadi- sche Prinzip, während KAIN, der „Acker- mann“, als „modernes“ Symbol sesshaft gewordener Arbeit gelesen werden kann. Indem nun Gott das Opfer ABELs („Erst- linge seiner Herde“) akzeptiert und das- jenige KAINs („Früchte des Feldes“) ver- wirft, der darüber sogar zum Brudermörder wird, adelt er die traditionell hergebrachte als die gottgefällige Lebensweise.46 Dieser konservative alttestamentarische Stand- punkt wird aber im Neuen Testament überwunden, indem die handwerklichen Tätig- keiten in die positive Bewertung manueller Verrichtungen integriert werden. Gottes Sohn wächst in einer Handwerkerfamilie auf und arbeitet in seinen jungen Jahren selbst in einem Handwerk, die meisten seiner Jünger gehen handwerklichen Berufen nach und messen der körperlichen Arbeit auch während ihrer späteren Missionstätig- keit einen hohen ethischen Wert bei. So setzt MATTHÄUS bekanntlich die Verkündi- gung des Evangeliums metaphorisch mit der körperlichen Arbeit der Tagelöhner im Weinberg gleich und in den PAULUS-Briefen47 wird die manuelle Arbeit gar zur exi- 46 Möglicherweise lastete deshalb auch auf den sesshaften Viehzüchtern, Musikern und Schmieden der Makel, direkte Nachkommen KAINs zu sein: „Von dem sind her komen die in Hütten woneten und vieh zogen / [...] die Geiger und Pfeiffer [und Thubalkain, ein] Meister in al / lerley ertz und eisenwerck“ (Genesis 4,20-22; zitiert nach Luther 1973, 32). 47 Allerdings wird dieser Satz fälschlicherweise PAULUS selbst zugeschrieben, inzwischen gilt es als erwiesen, dass der 2. Thessalonicherbrief als nachpaulinische Fälschung anzusehen ist (vgl. Kruse 2002, 92). Bild 59: Ora et labora: Mönche spalten bei Rodungsarbeiten einen Baum. Initialbuchstabe einer Handschrift aus dem 12. Jahrhundert (Kunz 2001, 83) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 114 ] stenziellen Pflicht erhoben: „So jemand nicht will erbeiten / der sol auch nicht es- sen“ (2. Thess. 3,10; zitiert nach Luther 1973, 2388). Daran knüpft die von BENEDIKT VON NURSIA (480-547) initiierte Klosterbewegung an und erhebt die körperliche Arbeit mit dem umfangreichen Benediktus-Regelwerk - populär auf die drei Wörter reduziert: „ora et labora“ - zur christlichen Tugend, denn „Müßiggang ist der Seele Feind“ (Regula Benedicti 48,1; zitiert nach Salzburger Äbtekonferenz 1996). Der zum monastischen Motto gewordene Satz, otiositas inimica est animae, wendet nicht nur theoretisch „eine griechisch-römische Norm in ihr Gegenteil“ (Oexle 2000, 72), sondern zeitigt in seiner praktischen Umsetzung ein Ergebnis, das zumindest Eu- ropa, wenn nicht gar weite Teile der Welt bis heute prägt: „Die Umwertung der Ar- beit nämlich, mit der die intellektuelle und aristokratische Oberschicht Europas ein ganz neues, ein positives Verhältnis zu Arbeit und erfolgreichem Wirtschaften ge- wann. Arbeit war für die Mönche eine der vier Formen Gott wohlgefälliger, christli- cher Lebensweise. Überall sonst galt Ar- beit als etwas Entehrendes, das den Un- freien und Sklaven vorbehalten war. Für die Mönche aber war es nicht unehren- haft, zu arbeiten und sich intensiv um die Verbesserung der Landwirtschaft, der Anbau- techniken, der Arbeitsgeräte und um den sorgsamen Umgang mit Arbeitskräften zu kümmern. [...] Sie waren die einzigen, di men und technische Errungenschaften fremder Kulturen in ihre Arbeitswelt einbauen konnten. Die produktive, an der Wertschätzung der Arbeit orientierte Wirtschaftsauffas- sung der Klostergemeinschaft lenkte ihr Interesse nämlich von vorneherein auf das Praktische, und das hieß, auf die wirtschaftliche und technologische Verwertbarkeit selbst der kuriosesten Errungenschaften. Die Mönchsbewegung vollbrachte damit eine unschätzbare Pionierleistung. Ihr Auftre- ten ist wohl der erste und zudem einer der wichtigsten Wendepunkte in der Geschichte der gesellschaftlichen Arbeit Westeuropas. Si schen Errungenschaften der Antike, sie pfl werker und Druiden, sie nahmen Kenntnisse aus dem orientalisch-islamischen und so- Bild 60: Diese Illustration aus de s 13. Jahrhunderts ent- standenen Handschrift des „Alexander-Romans“ gilt als älteste bekannte europäische Darstellung der Arbeit an einem Trittwebstuhl. Federzeichnung (Brentjes 1987, 150) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 115 ] gar aus dem ostasiatischen Kulturraum auf. Sie prägten eine Wirtschaftshaltung, die Arbeiten und wirtschaftlichen Erfolg zum Inbegriff ei Gott wohlgefälligen Lebens machte. Und sie betrieben eine systemati aften. Sie trugen ihre Kenntnisse und Erkenntnisse in alle Klöster Europas, womit sie überall Verbreitung fanden und sich mehr oder weniger gleichmäßig in fast allen Klostergütern durchzusetzen begannen. Schließlich gelang es ihnen, die vielfältigen Einflüsse zu- sammenzuführen und zielgerichtet auf die Erforschung besserer Lebensbedingungen und verbesserter Produktionstechniken anzuwenden. Wir sind heute weit davon ent- fernt, die ganze Auswirkung dieser Pionierleistung überschauen zu können. Doch das wenige, was wir wissen, zeigt, wie umwälzend ihre Tätigkeit gewesen sein muߓ (Otten 1986, Bd. 1, 21 ff.). Die christliche Mönchsbewegung war den anderen Weltreligionen, die ihre Selbstkon- trolle ausschließlich an ihren „Heilszielen“ orientierten, ökonomisch überlegen, denn „nur im Christentum wurden Askesetechniken entwickelt, die ein sakralisiertes Arbeitse- thos einschließen. Im Benediktiner- und dann im Zisterzienserkloster wurden Grund- steine für eine spezifisch moderne Arbeitsdisziplin gelegt, und auch für die Erfindung umfassenderer Disziplinierungstechniken, die in der Neuzeit in recht unterschiedlichen Institutionen mit keineswegs religiöser Zwecksetzung nutzbar gemacht wurden, spielte das mittelalterliche Kloster eine Schlüsselrolle, [die darauf beruhte, dass die Arbeit in] das Netz der zeitlichen Feinstruktur gespannt war]. Dieses Netz aber wurde ganz we- Bild 61: Anleitung zum Pflügen mit einem Ochsengespann, das mittels Joch vor den Beetpflug gespannt ist. Illustration aus einem Lehrbuch für Nonnen aus dem 12. Jahrhundert (Kunz 2001, 12) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 116 ] sentlich durch eine hochgradige Arbeitsmethodik konstituiert, durch ein Arbeiten, des- sen Inhalte, Formen und Zeitmuster weitgehend normiert waren. Das Kloster war die erste abendländische Institution, die eine Moralisierung der Arbeit und der Ar- beitsdisziplin begründete“ (Pohlmann 1997, 26 f.; vgl. Treiber/Steinert 1980, 53 ff.). Neben der monastischen Bewegung mit ihrer Ora et labora-Regel muss in diesem Zusammenhang auch das in den mittelalterlichen Ordo-Gedanken eingebettete Ar- beitsverständnis des THOMAS VON AQUIN (gest. 1274) betrachtet werden, weil die- ser die Arbeit in eine streng theozen- trische Weltsicht eingebunden hat, die weit über die Reformation hinaus nor- mierend und stabilisierend wirkte. Ori- entiert an der aristotelischen Definition des Menschen als Gemeinschaftswesen formuliert THOMAS für den Menschen eine grundsätzliche Arbeitspflicht für alle, die er als Konsequenz aus dessen Gottesebenbildlichkeit sieht, denn durch sie erwirbt der Mensch auch die Schöp- fereigenschaft Gottes und hat durch die Arbeit teil an dessen fortwährendem Schöpferhandeln. Der konkrete Bezug zur mittelalterlichen Ständegesellschaft ergibt sich jedoch erst aus der thomisti- schen Trennung in körperliche und geis- tige Arbeit. Da THOMAS beiden Arbeitsformen die gleiche Legitimität zuweist, kann die Arbeits- verpflichtung so relativiert werden, dass sie auf die real existierende Feudalgesell- schaft anwendbar ist: „Die Pflicht zur körperlichen Arbeit obliegt der Menschheit als Ganzer, da diese die Pflicht zur Selbsterhaltung hat, [aber] der Einzelne kann von körperlicher Arbeit absehen, wenn ihm andere Möglichkeiten der Fristung seines Lebens zur Verfügung stehen“ (Schröter 1987, 16). Mit dieser rhetorischen Volte enthebt THOMAS nicht nur die geistig ‚arbeitenden’ Stände (Adel und Klerus), son- dern auch die bürgerliche Herrschafts- und Geisteselite der körperlichen Arbeits- Bild 62: Schmiede vor den Toren der Stadt: Ein Wasserrad mit Daumenwelle treibt den Schwanzhammer zum Schmieden. Holzschnitt 1488 (Klemm 1989, 53) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 117 ] pflicht und verleiht damit dem Feudalsystem auch aus arbeitstheoretischer Sicht die göttliche Legitimation. Und „damit diejenigen, die in dieser ‚Arbeitsordnung’ das schlechte Los gezogen haben, sich über die körperliche Arbeitspflicht nicht be- schweren, findet sich in der thomistischen Arbeitsphilosophie ein weiterer Trick der Sicherung des Herrschaftsgefüges: Man jagt den Arbeitssklaven die Angst mit dem diabolisch Bösen ein. Der asketische Zug des thomistischen Arbeitsverständnisses, dass nämlich ‚Arbeit’ die ‚Vermeidung von Müßiggang und die Zügelung der Be- gierden’ ist - Müßiggang ist für THOMAS das ‚Einfallstor alles Bösen’ - stellt nichts anderes dar als ein moralisierendes Instrumentarium zur Disziplinierung der arbei- tenden Masse“ (Kruse 2002, 96; vgl. o. Motto, S. 103). 3.1.3 „Stadtluft macht frei“ Wie gezeigt, sprechen gewichtige Indizien für die These, dass die sprunghafte Produktivitätssteige- rung der Landwirtschaft ab dem 9. Jahrhundert zu einem erheblichen Teil auf der technologischen, wirt- schaftlichen und ideologischen Dy- namik der Klosterbewegung basiert. Diesen „technologischen und öko- nomischen Umwälzungen im 12. und 13. Jahrhundert entsprechen weitrei- chende gesellschaftliche Veränderungen, die das gesamte System der gesell- schaftlichen Arbeit in West- und Mitteleuropa betrafen. Vergleichen wir die gesell- schaftliche Situation des frühen 11. Jahrhunderts mit der des Jahres 1300, dann werden Tiefe und Dynamik des gesellschaftlichen Wandels unübersehbar. In knapp 200 Jahren war durch Bevölkerungsexplosion48 und wirtschaftlich- techni- sche Neuerungen eine Gesellschaft entstanden, die sich radikal von allen vorange- gangenen unterschied und mehr Ähnlichkeit mit unseren Verhältnissen aufweist als mit der unmittelbar vorangehenden Epoche des Feudalismus im Hochmittelalter. 48 Infolge der Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft war die europäische Bevölkerung von etwa 10 Millionen um das Jahr 1000 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts auf beinahe 80 Millionen Menschen angewachsen (vgl. Ot- ten 1986, 35). Bild 63: Das Anwachsen der Zahl der Städte und des Anteils der Stadtbevölkerung in Deutschland von 800 bis 1400 n. Chr. (Hen- ning 1994, 69; Schätzung). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 118 ] Wenn wir unter ‚industrieller Revolution’ einen schnellen technischen, ökonomi- schen und sozialen Umbruch verstehen wollen, durch den die industrielle Güter- produktion im Vergleich zur Landwirtschaft ständig an Bedeutung gewinnt, und zwar durch Mechanisierung und Rationalisierung der Produktion - dann fand im 12. bis 14. Jahrhundert eine besonders deutlich ausgeprägte industrielle Revoluti- on statt, [...] denn die soziologischen Kriterien einer industriellen Revolution ließen sich leicht auf den untersuchten Zeitraum anwenden. Revolutionäre Veränderungen in der Landwirtschaft sind ebenso gegeben wie sprunghaftes Bevölkerungswachs- tum, Verstädterung, Zunahme des Handels, fortschreitende Mechanisierung und Ar- beitsteilung der Produktion, das Entstehen von sekundären Einrichtungen oder Infra- strukturen oder die Modernisierung politischer und sozialer Verhältnisse. [...]49 Die augenfälligste gesellschaftliche Veränderung, die vom technologischen und ökonomischen Wandel in Westeu- ropa ausgelöst wurde, war ohne Zwei- fel die beachtliche Verstädterung in Oberitalien, in Flandern und in Teilen Deutschlands. Weder zuvor noch da- nach hat es in Europa solch eine Welle von Stadtgründungen gegeben. Euro- pas Städte sind in der industriellen Umwälzung des Mittelalters entstan- den. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts hat den Verstädterungs- prozeß lediglich fortgesetzt und beschleunigt, aber nicht grundsätzlich erweitert“ (Otten 1986, Bd. 1, 117 f.). Der produktivitätsfördernde technologische Fortschritt im Agrarsektor und die darauf gestützte Bevölkerungsexplosion waren zwei der Faktoren, die das feudale Fron- hofsystem destabilisierten und so mit den an Macht- oder Wirtschaftszentren (Bur- gen, Rohstoffquellen, Marktplätze) sowie an Verkehrsknotenpunkten (Straßenkreu- 49 OTTENS Interpretation des Wandels als „industrielle Revolution“ ist allerdings nicht unumstritten. So wendet z. B. der Frankfurter Wirtschafts- und Sozialhistoriker TONI PIERENKEMPER ein, dass sich der mittelalterliche Wandel nur dann als industrielle Revolution deuten ließe, wenn man ihn nur „auf revolutionäre, technische Innovationen [mit] ei- ner ausschließlich auf die Produktionstechnik abgehobenen Betrachtung von Industrialisierung“ beziehe, während sich die Vorstellung von der epochalen industriellen Revolution, die Mitte des 18. Jahrhunderts in England ihren An- fang genommen habe, „eng am überproportionalen Wachstum des industriellen Sektors orientiert, Industrialisierung also als Strukturwandel begreift“ (Pierenkemper 1996, 18). Schicht Berufsgruppen Anteil Oberschicht Fernhändler, Verle- ger, Ackerbürger, Geistliche 7% Mittelschicht Handwerker Einzelhändler 40% Unterschicht Lohnarbeiter ledige Arbeitskräfte (Lehrlinge, Gesellen, Gehilfen, Gesinde) 50% Bettler, Krüppel... 3% Bild 64: Städtische Sozialstruktur um 1350 nach Tätigkeits- merkmalen (vgl. Henning 1994, 100 f.) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 119 ] zungen, Flussübergänge, Küsten) revitalisierten oder neu gegründeten Städten50 die Urbanisierung Mitteleuropas vorantrieben. Die im Hochmittelalter schnell in großer Zahl entstehenden Städte zeichneten sich zum einen aus durch ein hoch arbeitstei- liges expandierendes Wirtschaftssystem, das durch Handel und Gewerbe geprägt war, und zum anderen durch das vom feudalen Landrecht abweichende Stadtrecht (Marktrecht, Bannmeile, Selbstverwaltung, persönliche Freiheit, Befestigungs- und Bewaffnungsrecht): „In einer Gesellschaft unterschiedlichen Rechts ging von den Städten eine ungeheure Anziehungs- kraft aus. Denn innerhalb ihrer Mauern hatten die Gesetze von Herrschaft und Unterwerfung, welche die feudale Welt regierten, ihre Gültigkeit verloren. Nicht zufällig hießen die von den Kommunen erstrittenen Bürgerrechte im Sprachgebrauch der Zeit ‚Freihei- ten’: Sie eröffneten Möglichkeiten per- sönlicher Entfaltung und freier Selbst- bestimmung, wie sie bis dahin nur wenigen Privilegierten aus der Adels- schicht vorbehalten waren. [...] Schließlich galt in allen Städten der Grundsatz, dass ‚Stadtluft nach Jahr und Tag frei macht’. Ein Unfreier, der innerhalb der Jahresfrist nicht von sei- nem Leibherrn zurückgefordert wurde, erhielt die Bürgerrechte. [...] Zugleich begründete das Prinzip der Rechtsgleichheit neue Formen menschlicher Verbundenheit und sozialer Kommunikation, die ihrerseits zu höheren Stufen gesellschaftlicher Organisation überleiteten. Die Gemeinschaft- lichkeit der Existenzgrundlage ließ Arbeitsteilung zu; mit der Spezialisierung der Fer- tigkeiten und Berufe stieg der allgemeine Lebensstandard, hob sich das kulturelle Ni- veau. Im Schoße der kommunalen Gemeinschaften wurde der Mensch zu sozialer Verantwortung aufgerufen und begann gleichzeitig, sich Gedanken über die Verbes- 50 Unter anderem sahen sich die Grundherrn aus fiskalischen Gründen „veranlasst, Märkte und Städte zu gründen, um die mit der Zunahme der Geldwirtschaft daraus fließenden Einkünfte zu erhöhen“ (Kellenbenz 1977, 97). Bild 65: Bauhandwerker beim Stadtausbau. Holzschnitt aus der Koehlhoffschen Chronik von Köln 1499 (Kottmann 1980, 5) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 120 ] serung der allgemeinen Lebensverhältnisse zu machen; wenn irgendwo, dann wurde hier das abendländische Fortschrittsstreben begründet“ (Fehr 1973, 34 f.). Mit zunehmender Individualisierung und Ausdifferenzierung des städtischen Handwerks entstanden auch die Zusammenschlüsse der in Handwerk und Handel Tätigen zu Gilden51, Zünften52 und Bauhütten53: „Die Hüttenorganisation und die Steinmetzenbruderschaft sind zum einen abzugrenzen von den Gilden, die ‚eine auf freie Einung beruhende, oft durch Eid bekräftigte Personenvereinigung zu ge- genseitigem Schutz und Beistand, zu religiöser und gesellschaftlicher Tätigkeit sowie zur beruflichen und wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitglieder’ sind, und zum anderen von den Zünften als ‚Verbände von Unternehmern im Handwerk und Kleinhandel, welche bestehende Körperschaften bilden und den Anspruch erhe- ben, das gesamte Gewerbe innerhalb eines gegebenen Bezirks (zumeist der Stadt) zu vertreten’; sie besitzen somit ‚Kartellfunktionen, caritative Funktionen, Produktions- und Marktkontrolle, eigene Gerichtsbarkeit, militärische und politi- sche Aufgaben’ und auch religiös-gesellschaftliche Bedeutung. Gilde (frz. compagnies) wird vorrangig als Bezeichnung für Kaufleutekorporationen (seit 11. Jh.) und Zunft (arti, metiers) für gewerbliche Verbände (seit 12. Jh.) ver- wendet, während Hütte die kirchliche oder städtische Organisation einer Baustelle bezeichnet und Steinmetzenbruderschaft (frz. charites, frairies) ein überregionaler Zusammenschluß ‚aller meister unnd gesellen des gantzen gemeinen handt- 51 „Urspr. kultisch-religiöse Vereinigung zu der dann der Rechtsschutz der Mitglieder kam. Überwiegend religiös be- stimmte Gilden münden in der religiösen Bruderschaft; handwerkl. Gilden wandelten sich und nahmen den Namen Zunft an. Mit der Förderung und dem Schutz des Handels befaßten sich [...] Kaufmannsgilden, deren Mitglieder durch Schwurgemeinschaft (conjuratio) einander verpflichtet waren. Hieraus entwickelte sich z. B. die Hanse. Der Zugang zur Gilde, urspr. frei, wurde bis zum Ende des 11. Jh. durch Bräuche und Vorbedingungen geregelt. Gilde- recht trug zur Bildung des späteren Stadtrechts bei“ (Fuchs 1972, 310). 52 „Das Wort kommt schon im Althochdeutschen vor und bedeutet Vereinbarung und die ihr zugrundeliegende Ord- nung, auch Zusammenschluߓ (Kellenbenz 1977, 111). „Über den Ursprung der Zünfte gibt es unterschiedliche Theorien. Sie reichen von der Vorstellung einer Initiative des noch als Grundherrn auftretenden Stadtherrn zum Zweck der Kontrolle der Waren und zur Erleichterung des Einzugs von Abgaben (KEUTGEN) über die Behauptung eines Interesses der Handwerker selbst an einer zwangshaften Einbindung aller zur Ausschaltung der Konkurrenz (BELOW) oder zur Sicherung von Qualitätskontrolle und Preisabsprachen (MICKWITZ) bis zur Theorie eines ‚freien Zusammenschlusses’ der Handwerker mit dem Ziel ihrer sozialen und wirtschaftlichen Absicherung nach dem Vor- bild der bäuerlichen Genossenschaftsbildungen (MOTTEK)“ (Eggebrecht 1981, 175). 53 „Als mit der Wiedergeburt der Städte und der Entwicklung der Geldwirtschaft im Baugewerbe das Laienelement die Ober- hand gewann, fehlte es zunächst an einer Organisationsform, di isziplin der Klosterwerkstatt ersetzen konnte. Dabei war der Bau eines gotischen Domes an und für sich eine viel langwierigere und kompliziertere Unternehmung als der Bau einer romanischen Kirche; es war an ihm eine größere Vielheit von Werkleuten beschäftigt, und seine Ausführung nahm aus inneren und [...] oft auch aus äußeren Gründen eine viel längere Zeitdauer in Anspruch. Diese Umstände er- forderten eine strenge, von den herkömmlichen Methoden verschiedene Regelung der Arbeit. Die Lösung war die Bauhütte mit ihren genauen Bestimmungen über die Aufnahme, die Entlohnung und die Ausbildung der Arbeitskräfte, der Hierarchie des Baumeisters, der Meister und der Gesellen, der Einschränkung des Rechts am individuellen geisti- gen Eigentum und der unbedingten Abhängigkeit des Einzelnen von den Bedingungen der gemeinsamen künstleri- schen Aufgaben. Das Ziel war die reibungslose Durchführung der Arbeitsteilung und der Arbeitsintegration, die wei- testgehende Spezialisierung und die restloseste Vereinheitlichung der individuellen Leistungen“ (Hauser 1973, 258 f.). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 121 ] werckhs des steinwerckhs unnd steinmetzen in teutschen landen’ (Regensburger Ordnung von 1459) darstellt, wobei im Unterschied zu Zunft und Gilde, der nur die Meister angehörten, in ihr auch die Gesell Handwerken bildeten sich seit dem 14. Jh. Gesellenvereinigungen heraus, bei denen zwei Anliegen im Mittelpunkt der Zusammenschlüsse stehen: die Versorgung und die Fürsorge im Krankheits- und im Todesfall sowie die Ordnung des Verhaltens auf der Trinkstube oder im Zunfthaus, d. h. des geselligen Zusammenseins der Handwerksknechte, wozu auch die Mög- lichkeit zum Spiel zu rechnen ist, soweit es erlaubt war. Im 15. Jh. mußten die Werkmeister und Meister der kirchlichen Hütten auch Mitglieder der städtischen Zunft sein, sofern sie davon nicht aus- drücklich befreit waren; [...] allgemein werden Zunftordnungen im 14./15. Jh. greifbar“ (Binding 1993, 103 f.; dort auch die Belege für die Zitate). Zur Erfüllung ihrer berufsständischen, wirtschaftlichen wie sozialen Aufgaben wurden vor allem die Zünfte „mit Sonder- rechten zur Ausübung eines gemeinsa- men Gewerbes, zur Regelung wirtschaft- licher Verhältnisse, zur Versorgung mit Arbeit als auch zur Sicherung des ein- zelnen in allen Wechselfällen des Le- bens, zu seiner Versorgung mit wichtigen Wirtschaftsgütern, schließlich sogar zur Selbstverteidigung bzw. zur Aufstellung eines bewaffneten Wehraufgebotes ausges- tattet. Als Kontrollinstanz für die Qualität übten sie direkte Gewalt aus, nicht selten in Form einer eigenen Gerichtsbarkeit. Auch waren die Zünfte, [...] in der Regel Grund- erwerbs- und Baugenossenschaften, die die Kosten des Häuserbaus, der Häuserer- haltung und Versorgung mit Wohnungen auf viele Schultern umlegten, um damit Bauen und Wohnen sowohl zu verbilligen als auch besser zu organisieren. Schließ- Bild 66: Zimmerleute auf der Baustelle. Im Vordergrund arbei- ten zwei Handwerker mit breiten Äxten, ein Arbeiter im roten Kittel transportiert einen Balken und ein weiterer wird von zwei Gesellen mittels Kran in Position gebracht. Im Dachstuhl ver- keilt ein Zimmermann weit vorgebeugt zwei Balken und auf dem Dachfirst arbeitet bereits der Dachdecker. Miniatur aus der Bibel des böhmischen Königs WENZEL IV. (1389-1400) (Husa 1971, Nr. 89) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 122 ] lich waren die Zusammenschlüsse so etwas wie gegenseitige Unterstützungskassen, denn sie boten dem einzelnen brüderliche Nahrung und Hilfe in der Not, bei Krankheit und sorgten sogar für eine ordentliche Beerdigung. Ihre Autorität reichte weit und um- faßte je nach Machtstellung sogar die Vorstädte und ländlichen Bezirke. Mit der Durchsetzung des Zunftzwanges im 15. und 16. Jahrhundert erhöhte sich die Autori- tät der Zünfte und schloß auch die Interessenvertretung auf Reichstagen oder Städ- tebünden ein. Sie unterstanden deshalb natürlich einer genaueren Aufsicht der Ma- gistrate, wenn sie die höchsten Organe der Stadtrepubliken und Stadtstaaten nicht selbst beherrschten“ (Otten 1986, Bd. 1, 140 f.). In den großen deutschen Städten wie Köln existierten vierzig und mehr zünfti- sche Handwerkerorganisationen, die das tägliche Leben ihrer Mitglieder von der Wiege bis zur Bahre regulierten. „Die wichtigste Folge der Errichtung der Zünf- te war der Ausschließlichkeitsanspruch, d. h. das Verbot einer handwerklichen Produktion durch Nichtmitglieder, wenn- gleich auch dieser Zunftzwang nicht ge- nerell vorhanden gewesen ist“ (Henning 1994, 86 f.). Mit diesem Zunftzwang ein- her ging eine scharfe Trennung der (Be- rufs-)Arbeit in einerseits ständisch-zünf- tische mit starrem berufsethischen Wer- tesystem sowie hohem gesellschaftlichen Ansehen und andererseits außerstän- disch-unehrenhafte Tätigkeit der sog. „Stümper“ oder „Pfuscher“, die keiner Zunft angehörten oder angehören konnten, weil sie entweder ihrer sozialen Herkunft nach persönlich nicht geeignet waren oder „unehrlichen“, verachteten Berufen nach- gingen, für die keine Zünfte gegründet werden durften. Die Reichspolizeiordnung von 1548 listet folgende Tätigkeiten auf, die nicht handwerksfähig waren: „Barbiere, Lei- neweber, Schäfer, Zöllner, Pfeifer, Trompeter, Müller und Bader. Und die Reichspoli- zeiordnung von 1577 fügt noch hinzu: Landgerichts- und Stadtknechte, Gerichts-, Fron-, Turm-, Holz- und Feldhüter, Totengräber, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassen- kehrer, Bachstecher und dergleichen“ (zitiert nach Endres 1996, 382). Bild 67: Symbolische Darstellung des Schmiedehandwerks, die die enorme Leistung des Schmiedes illustrieren soll, der sprich- wörtlich alle Hände voll zu tun hat. Miniatur aus der Velislav- Bibel um 1340 (Husa 1971, Nr. 81) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 123 ] Der Zunftzwang war aber auch eine Reaktion auf einen wirtschaftlichen Wandel, der die Arbeitsordnung im Handwerk und vor allem die Lage der Gesellen zuneh- mend veränderte, die Entstehung der Lohnarbeit: „Die Agrarkrise des 14. Jahr- hunderts, die durch die demographische Katastrophe der Pestepidemien verstärkt wurde, verschaffte den Erzeugern von gewerblichen Produkten ein längerfristiges wirtschaftliches Übergewicht über den Agrarbereich - wodurch die Nahrungsmittel im Verhältnis zu handwerklichen Gütern billiger wurden und die Handwerker ihr Einkommen entsprechend verbessern konnten -, doch verlangsamte sich in entscheidender Weise der Aufschwung, den die gewerbliche Produktion bis da- hin genommen hatte. Der Markt wurde enger, was die Abschließungstenden- zen der Zünfte verstärkte, die Zahl der Handwerksmeister auf einem bestimm- ten Niveau einfrieren und Gesellen oh- ne Aussicht auf eine eigene Werkstatt ließ. Handwerksmeister und Gesellen traten sich nun grundsätzlich als Ar- beitgeber und Arbeitnehmer gegenüber, denn die Aussicht, selbst Arbeitgeber, Genosse der Meister zu werden, war für den Gehilfen entschwunden. Der Wandel des Gesellen zum Lohnarbeiter, der seine Arbeitskraft verkaufte, entfremdete ihn dem Haus des Meisters [vgl. u., S. 273]. Den eigenen Hausstand galt es ja nun oh- ne Meisterschaft zu gründen, wofür ein regelmäßiger Lohn wichtige Voraussetzung war. Bestand dazu keine Möglichkeit, trat er als unzünftiger Handwerker, als ‚Stö- rer’, zum Meister in Konkurrenz. Diese Entwicklung suchten die Zünfte durch Stück- lohn und Veränderung des Gesinde-Zeitlohns zu Wochen- oder Tageslohn aufzu- fangen“ (Eggebrecht 1980, 181 f.; Hervorhebung von mir. HD.). Bemerkenswert ist, dass die mittelalterlichen Handwerkerorganisationen in der Regel keine reinen Männerdomänen waren, vielmehr hatten Frauen „vielfach an religiösen und gesellschaftlichen Aktivitäten der Zunft teil oder traten förmlich in die mit der Zunft verbundene Bruderschaft ein. Frauen übten aber auch innerhalb Bild 68: Pastetenbäckerin am Ofen mit Straßenverkauf beim Konzil zu Konstanz (1414-1418). Aus der Bildchronik des Konzils von ULRICH VON RICHENTAL 1492 (Wolf- Graaf 1994, 36) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 124 ] der Zunft in unterschiedlicher rechtlicher oder wirtschaftlicher Stellung [...] das Handwerk aus, als Meisterinnen mit vollem Zunftrecht - und Unterweisungsrecht -, als Lehrtöchter und selbstständige Mägde. [...] Einen Sonderfall stellt das gewerb- liche Köln dar, wo es kaum Wirtschaftszweige gab, in denen Frauen nicht vertre- ten waren. Nur wenige Zünfte (Schneider, Harnischmacher, Tuchscherer) legten den Frauen zeitweise oder teilweise Arbeitsbeschränkungen auf. Bei den Nadel- machern, Beutelmachern, Kürschnern, Gürtelmachern, Leinewebern, Sartuch- oder Barchentwebern, Wolltuchwebern, Wappenstickern und Fleischern waren die Frauen weitgehend gleichberechtigt. Der tatsächliche Anteil der Frauen am Hand- werk lässt sich aufgrund der Quellenlage auch für Köln nur in wenigen Einzelfällen genauer ermitteln, in denen Zunftlisten überliefert sind. Die Garnmacherinnen, Goldspinnerinnen, Seidenmacherinnen und Seidenstickerinnen bildeten sogar Frauenzünfte, wofür es in Westeuropa vergleichbare Erscheinungen nur in Paris gab. Mitglieder waren fast ausschließlich Frauen, im Zunftvorstand saßen jedoch auch Männer“ (Kunz 2001, 117. Zur Rolle der Frauen in den Zünften vgl. Schrömbges 1997, 119 und Sullerot 1972, 47 ff.). Bild 69: Weber- und Schusterwerkstätte. Links eine Frau und zwei Männer an Vertikal-Webstühlen, rechts zwei Männer bei der Lederverarbeitung. Federzeichnung aus einem Anfang des 13. Jahrhunderts im steierischen Zisterzienserkloster Rein entstandenen Musterbuch (Ludwig 1997, 34) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 125 ] 3.2 Beruf 3.2.1 „Artes mechanicae“ „In der Stadt wird, wie MAX WEBER einmal gesagt hat, jede Tätigkeit zum Beruf“ (Borst 1984, 359). Aber bereits lange vor der rasanten Urbanisierung des 13. und 14. Jahrhunderts hatten die Spezialisierungs- und Differenzierungsprozesse in den feudalherrlichen Herrschafts- und Wirtschaftszentren (Salhöfe, Fronhöfe, Bur- gen, Klöster) ein breites Spektrum ländlicher Handwerker-Gruppen hervor ge- bracht, wie der St.-Galler Klosterplan aus dem Jahre 820 eindrucksvoll belegt: • „Nahrungshandwerke: Müller, Bäcker, Fleischer (daneben auch Gärtner, Hir- ten und Fischer als Spezialberufe); • Kleidungshandwerke: Spinner, Weber, Schneider, Walker, Gerber, Schuh- macher; • Produktionsmittel- und Rüstungshandwerke: Bearbeiter von Metall und Holz, z. B. Stellmacher oder Wagner, Schmiede, Schwertfeger, Schildmacher; • Bauhandwerke: Zimmerleute, seltener Steinbe- und -verarbeiter (Maurer, Steinmetze), letztere vor allem bei Sakralbauten; Bild 70: Klosterplan von St. Gallen mit Handwerkshaus, Mühlen, Brauerei, Bäckerei, Darre, Stampfe, Küchen etc. Rekonstrukti- onszeichnung nach einem Plan aus dem Jahre 820 n. Chr. (Kunz 2001, 82) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 126 ] • Hersteller von Luxusgegenständen: Meistens Spezialisten aus den schon genannten Handwerken“ (Henning 1994, 51 f.). Ebenfalls noch vor der Stadtgründungswelle und der Expansion des urbanen Handwerks sind Versuche zu erkennen, eine säkulare Aufwertung der manuel- len (Berufs)Fertigkeiten durch deren Integration in den Bildungskanon der Wis- senschaften (artes) zu erreichen. HUGO VON SAINT-VICTOR (1096-1141) stellte im 12. Jahrhundert in seinem wissenschaftlichen Lehrwerk „Didascalio“ die moder- nen ‚Artes mechanicae’ auf eine Stufe mit den klassischen ‚Septem Artes libera- les’: „Damit gab er dem technischen Tun eine Sinndeutung, die bis ins 14. Jahr- hundert hinein vertreten werden sollte. Entsprechend den Sieben Freien Küns- ten, den ‚Artes liberales’, erschien der Komplex der Mechanik bei ihm ebenfalls in einer Siebenerreihe: • ‚Lanificium’ umfaßte das Textilwesen mit anderen Handwerken, die organi- sches Material - mit Ausnahme von Bauholz - bearbeiteten; • ‚Armatura’ die Waffenkunst einschließlich der Geräteherstellung, der Bau- und der verschiedenen Schmiedearbeit; • ‚Navigatio’ die Schiffahrt mit dem Handel im weitesten Sinne; • ‚Agricultura’ die Landwirtschaft; • ‚Venatio’ die Jagd samt Fischfang und allgemein das Ernährungsgewerbe; • ‚Medicina’ die Heilkunde; • ‚Theatrica’ die darstellende Kunst. Ziel dieser Künste, die in der Summe das technisch-handwerkliche Tun des Men- schen repräsentierten, war es [...]‚ die unvermeidbaren Folgen der Mangelerschei- nungen, denen unser gegenwärtiges Leben unterworfen ist, zu mildern’. [...] Um die Zuordnung der mechanischen Künste zu entsprechenden Berufen, den ‚Me- chanicis professionibus’, bemühten sich lexigraphische Werke, die in den Jahr- zehnten vor und nach 1200 geschrieben wurden. Deren Verfasser [...] warben um Anerkennung ihrer Gegenstände durch Klassifizierungen der Praxis. [...] Indem ei- ne Vielzahl technisch handwerklicher Berufe als ‚Stand’ Anerkennung fand, löste sich das traditionelle Drei-Stände-Schema der Betenden, Krieger und Arbeitenden allmählich auf“ (Ludwig 1997, 27; vgl. o. Bild 55, S. 108). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 127 ] Bild 71: Im Catalogus gloriae mundi des BARTHÉLMY DES CHASSENEUX aus dem Jahre 1546 hatten sich gegenüber dem 12. Jahrundert sowohl die Bezeichnungen als auch die Inhalte der sieben Artes mechanicae z. T. recht deutlich verschobe n (von oben): AGRICULTURA [Landwirtschaft], AURIFABRIA [Metallverarbeitung], MERCATORIA [Handel] , ARCHI- TECTURA [Baukunst], VENATORIA [Jagd], CYRURGIA [Medizin] , TYMPANISTRIA [Kriegskunst und Musik]. Auf jedem Bild erkennt man auf dem Tisch liegend Materialien und typische Werkzeuge und im Hintergrund die jeweils dazugehörigen Produkte. Holzschnitt (Džambo 1987, 119) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 128 ] Vor allem im ländlichen Bereich scheinen dabei die sozialintegrativen Interes- sen der sich konstituierenden Stände im Vordergrund gestanden zu haben, denn über Form, Inhalte und Methoden mittelalterlicher Berufsausbildung in ländlichen Gewerben sind, soweit mir bekannt wurde, keine nennenswerten In- formationen überliefert und auch über die Ausbildung des handwerklichen Nachwuchses auf den mittelalterlichen Fronhöfen oder in den Dörfern und Klös- tern schweigt sich die Überlieferung völlig aus. Es darf aber angenommen wer- den, dass es sowohl in der Landwirtschaft als auch im ländlichen und sehr wahrscheinlich auch im klösterlichen Gewerbe keine organisierte oder gar standardisierte Ausbildung gab, stattdessen werden die Kinder in die Tätigkei- ten ihrer Eltern ebenso durch Nachahmung hinein gewachsen sein wie die No- vizen in den Klöstern in das Handwerk der Patres. 3.2.2 „Des alten Handwerks Recht und Ehre“ Anders zeigt sich dagegen die Quellen- lage im städtischen Handwerk. Ein Handwerkerverzeichnis der Stadt Nürn- berg verzeichnet z. B. für das Jahr 1363 bei wenig mehr als 20.000 Ein- wohnern 1217 Meister in 50 Handwer- kergruppen (Klemm 1989, 63; vgl. u. Bild 75, S. 133). Dies belegt, dass mit der Urbanisierungswelle des hohen Mit- telalters nicht nur ein deutlich erkenn- bares Anwachsen des Anteils der Stadtbevölkerung verbunden war, son- dern offenbar auch ein erheblicher Dif- ferenzierungsschub des ständischen Stadthandwerks. In vielen Städten organi- sierten sich zahlreiche dieser Berufe in der Folge in Zünften, Gilden, Bauhütten und Bruderschaften (vgl. o., S. 120), die mit ihrem umfassenden Anspruch, alle Aspekte des urbanen Gewerbes zu regulieren und zu kontrollieren, auch die Be- rufsausbildung in ihr strenges Regelwerk integrierten. Folglich ist heute die Ge- schichte der Ausbildung im städtischen Handwerk vom Mittelalter bis weit in das 19. Jahrhundert hinein „nicht ohne die Zunft zu sehen, denn die Zunft nahm das Bild 72: Ein Zunftmeister kontrolliert („schaut“) zwei Hand- werksgesellen bei der Anfertigung ihrer Meisterstücke (vgl. u., S. 134). Buchmalerei 1482 (Kunz 2001, 116) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 129 ] Ausbildungsmonopol wahr. [Sie] hatte vielfältige Aufgaben wahrzunehmen, vor al- lem aber erzieherische, religiöse, soziale, politische, polizeiliche und wirtschaftli- che Funktionen. Ihre Erziehungsfunktion nahm sie auf zweifache Weise wahr: 1. Mit der Institution der Meisterlehre hatte sie eine einmalige Ordnungs- form für die Berufserziehung und Ausbildung des Handwerkernach- wuchses geschaffen. In der zünftigen Meisterlehre mit ihrem charakteristi- schen Aufbau - Lehrling, Geselle, Meister - arbeiteten Familie, Werk- statt und Berufsstand gemeinsam auf das vorgegebene Erziehungsziel hin. Dabei waren Berufsausübung und Berufserziehung untrennbar ver- bunden, wie auch die privaten und beruflichen Belange sich gegenseitig durchdrangen. 2. Der Berufserziehung und der Per- sönlichkeitsbildung diente auch das Brauchtum, des ‚alten Handwerks Recht und Ehre’. Das in der Zunft zu- sammengeschlossene Handwerk hat im Zusammenwirken von geschriebe- ner Zunft- oder Handwerksordnung und ungeschriebener Ordnung, also von streng gewahrter Sitte und Brauchtum mit Normcharakter, sowie von Recht und Gewohnheit die Organisation der Handwerkerausbildung ausschließlich kon- trolliert. Die Mittel, mit denen die Zunft oder das Handwerk auf die Erfüllung und Einhaltung der Bräuche und Traditionen hinwirkte, waren Ehrverleihung oder Ehrentziehung. Wer gegen das Handwerksbrauchtum verstieß, dem wurde von der Zunft die ‚Ehre’ entzogen, er wurde ‚gebeutelt’ und ausgestoßen“ (Endres 1996, 380). Bild 73: „Da zu den regelmäßig wiederkehrenden Bildthemen der Passionsgeschichte auch die Aufnagelung Christi auf das Kreuz gehört, werden in diesem Zusammenhang immer wieder Handwerker bei der Ausübung ihres Gewerbes und mit ihren Werkzeugen dargestellt. In dem gezeigten Bildausschnitt ist ein junger Handwerker, offensichtlich ein Lehrjunge, mit einem gro- ßen Bohrer unter dem rechten Arm und mit einem Gefäß zu sei- nen Füßen dargestellt, in dem man verschiedene Me- tallwerkzeuge, darunter eine Kneifzange, erkennt. Der Maler [war] offensichtlich der seit 1421 in Straßburg nachweisbare HANS HIRTZ“ (Boockmann 1986, 116). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 130 ] Berufserziehung in der Zunft erschöpfte sich also keineswegs in purem berufli- chem Utilitarismus, der sich ausschließlich an den Primärzielen Tüchtigkeit und Nützlichkeit orientiert hätte, vielmehr wollte die zünftige Handwerkerlehre aus- drücklich „auch einen gesellschaftlichen und einen erzieherischen Auftrag“ (Lipsmeier 1999, 26; vgl. Müllges 1979/b, 15 ff.) erfüllen. Vollmitglieder einer Zunft konnten ausschließlich Handwerksmeister sein, Gesel- len und Lehrlinge wurden lediglich als passive Mitglieder assoziiert, die sich aber dennoch voll der Zunftordnung zu unterwerfen hatten. Die ersten Spuren des in der Meisterlehre organisierten und formalisierten Lehrwesens mit definier- ter Lehrzeit sind ab dem 12. Jahr- hundert nachweisbar, allerdings wurde hier noch nicht nach Lehrlingen und Gesellen im eigentlichen Sinne unter- schieden. Als sich aber mit dem ausge- henden 14. Jahrhundert in den zünftigen Berufen der Städte der Lehrzwang durchgesetzt hatte, war auch die Drei- gliedrigkeit (Lehrling - Geselle – Meis- ter) etabliert und für mehr als ein halbes Jahrtausend organisierten und kontrol- lierten die Zünfte fortan die Ausbildung des Nachwuchses im urbanen Hand- werk. Mit der endgültigen Etablierung des Lehrzwanges hatten die Zünfte auch den nachstehenden, je nach Ge- werbe geringfügig variierenden Katalog fixiert, der die Rahmenbedingungen der Lehre beschreibt sowie die persönlichen Voraussetzungen des Auszubildenden festlegt, unter denen die Aufnahme als Lehrling in das Haus des Meisters erfolgen konnte (vgl. für das Folgende insbesondere Endres 1996 sowie Stratmann 1967 und 1993): Bild 74: Einsatz der Haspel für den Lastenaufzug auf der Baustelle. Buchillustration um 1280 (Ludwig 1997, 134) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 131 ] • Männliches Geschlecht: Zwar waren Frauen anfangs bis in das Spätmittelal- ter im Prinzip gleichberechtigt, aber nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden Mädchen nicht mehr zur Lehre zugelassen. • Nachweis der freien und ehrlichen Geburt: Im Spätmittelalter setzte sich zu- nehmend das Prinzip durch, dass Lehrjungen von Stadtbürgern abstammen müssen. • Nachweis ehelicher Geburt: Die Ehelichkeit der Geburt musste durch Ge- burtsbrief nachgewiesen oder durch Legitimation ersetzt werden. • Glaubensbekenntnis: Seit der Reformation mussten sich Lehrjungen zur je- weiligen Religion der Stadt bekennen. Juden waren von einer Handwerksleh- re ausgeschlossen. • Deutsche Abstammung: Ihr Nachweis wurde vor allem in den im Norden und Osten des Reiches gelegenen Städten verlangt. • Lediger Stand: Lehrjungen mussten unverheiratet sein, wer während der Lehrzeit heiratete, wurde aus dem Lehrvertrag entlassen. • Nachweis der Redlichkeit und der ehrlichen Herkunft: Wer von Eltern mit „verfemten oder unehrlichen Berufen“ (vgl. o., S. 122) abstammte, wurde nicht zur Lehre zugelassen. • Alter und Schulbildung: Grundsatz war, die Lehre in möglichst jungen Jahren zu beginnen, eine vorgeschriebene Schulbildung gab es nicht. • Probezeit: Die Probezeit konnte dem „Aufdingen“ vorausgehen, in der Regel wurde aber nicht die berufliche Eignung festgestellt, sondern ob sich der Lehrling in die Hausgemeinschaft („familia“) des Meisters einzufügen verstand. • Lehrvertrag und Aufnahme: Mit dem Aufnahmebeschluss der Meisterschaft („Aufdingen“) und der Entrichtung der Aufnahmegebühr wurde der Lehrling zum einen in die Zunft aufgenommen und kam zum anderen der Lehrvertrag mit dem Lehrherrn zustande. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 132 ] • Lehrgeld und Lohn: Mit dem Lehrgeld entschädigte der Lehrling den Meister für Kosten und Mühe der Ausbildung, Lohn für den Lehrling gab es in der Regel nicht. • Lehrzeit: Die seit dem 14. Jahrhundert nachweisbare explizite „Lehr“-Zeit war nicht einheitlich geregelt und konnte deshalb bis zu 8 Jahre dauern. • Pflichten und Rechte: Da der Lehrling mit Lehrbeginn in den Haushalt des Meisters eintrat, hatte er sich dessen patriarchalischer Gewalt in jeder Hin- sicht zu unterwerfen. Der Meister verpflichtete sich im Gegenzug, den Lehr- ling ehr- und sittsam zu erziehen und in den Künsten des Handwerks zu un- terweisen. • Freisprechung: Die Lehre wurde nicht mit einer Fertigkeitsprüfung abge- schlossen. Für die Ausstellung des Lehrbriefs durch die Zunft war lediglich das Leumundszeugnis des Meisters ausschlaggebend. An dieser Aufzählung wird deutlich, dass aus heutiger Sicht die mittelalterliche Lehrlingsausbildung im zunftmäßig organisierten Stadthandwerk zwar in ihrem ju- ristischen Rahmen deutlich erfassbar ist, während Lehrinhalte und Lehrmethoden aber weitgehend im Dunkeln bleiben (vgl. Frenz 1997, 108). Die Lehrzeit endete also mit der „Freisprechung“ des Lehrlings, die aber weder ei- nen konkreten Nachweis fachlicher Qualifikation bedeutete noch gleichbedeutend war mit dem Eintritt in den Gesellenstand, letzteres bewirkte erst die förmliche Aufnahmezeremonie („Gesellentaufe“) in die jeweilige Bruderschaft, die als Inter- essenvertretung der Gesellen zu sehen ist: „Im Gegensatz zu den Lehrlingen des Handwerks ist es den Gesellen gelungen, auf ihre rechtliche, soziale und wirt- schaftliche Stellung selbstgestaltend Einfluß zu nehmen. Die Handwerksgesellen stellten die wichtigste Gruppe innerhalb der wirtschaftlich Unselbständigen dar, und durch ihre Bruderschaft verteidigten die Gesellen die immer knapper werden- de Nahrung. Jeweils die Gesellen eines bestimmten Handwerks bildeten eine ge- schlossene Körperschaft mit begrenzten eigenen Rechten. Es gab zwar keine Ge- sellendachorganisation im ganzen Reich, aber die Gesellen standen unterein- ander insbesondere durch das Wanderwesen in dauerndem Kontakt“ (Endres 1996, 387; Hervorhebung von mir. HD.). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 133 ] Berufs- und Ständedifferenzierung in Nürnberg 1363 Berufsbezeichnung Übersetzung Meister 1. Calciatores Schuhmacher 81 Meister 2. Sartores Schneider 76 Meister 3. Pistores Bäcker 75 Meister 4. Cultellarii (Wurst)Metzger 73 Meister 5. Carnifices (Fleisch)Metzger 71 Meister 6. Ledrer Lederer oder Gerber 60 Meister 7. Kürsner Kürschner 57 Meister 8. Reuzzen Flickschuster 37 Meister 9. Irher Weißgerber 35 Meister 10. Pütner Böttcher 34 Meister 11. Verber Färber 34 Meister 12. Messingsmit, Gürtler, Zingiezer, Spengler Messingschmiede, Gürtler, Zinngießer, Spengler 33 Meister 13. Mentler Hersteller u. Verkäufer von Mänteln 30 Meister 14. Loder besonderer Zweig der Tuchmacher (Loden) 28 Meister 15. Reuzzenslozzer Ausbesserung von Schlosserarbeiten 24 Meister 16. Spigler, Glaser ante portam Spiegelmacher, Glaser in der Vorstadt 23 Meister 17. Nadler und Drotsmit Nadelmacher und Drahtschmiede 22 Meister 18. Hufsmit Hufschmiede 22 Meister 19. Taschner Taschen-, Koffermacher (Lederverarbeitung) 22 Meister 20. Plechhantschuer Blechhandschuhmacher (Waffenschmied) 21 Meister 21. Wagner Holzarbeiten an Wagen, Kutschen etc. 20 Meister 22. Huter Hutmacher 20 Meister 23. Vischer Fischer 20 Meister 24. Bizzer, Sporer, Stegraiffer Zaumschmiede, Sporenschmiede, Steigbügelmacher 19 Meister 25. Frumwerker Schmiede, die auf Bestellung arbeiten 17 Meister 26. Wehsler Geldwechsler 17 Meister 27. Satler Sattler 17 Meister 28. Goltsmit Goldschmiede 16 Meister 29. Carpentarii Zimmerleute 16 Meister 30. Flaschensmite Flaschner, Klempner 15 Meister 31. Kanelgiezzer Kannengießer 14 Meister 32. Platner Harnischschmied (Waffenschmied) 12 Meister 33. Pantberaiter Bandweber 12 Meister 34. Hantschuer Handschuhmacher 12 Meister 35. Peutler Beutler (produziert Beutel oder Säcke aus Leder oder Stoff) 12 Meister 36. Glaser 11 Meister 37. Hafner Töpfer 11 Meister 38. Schreiner 10 Meister 39. Tuchscherer glättet gefärbtes und getrocknetes Tuch 10 Meister 40. Sailer Seiler 10 Meister 41. Zigensmit, Flachsmit, Knopfsmit, Sleiffer Zainschmiede, Flachschmiede, Knopfschmiede, (Messer- oder Schwert)Schleifer 9 Meister 42. Lapicide Steinmetzen 9 Meister 43. Kezzler Kesselschmiede 8 Meister 44. Klingensmit Messer- oder Schwertschmiede 8 Meister 45. Swertfegen Schwertfeger (bringt den Schwertrohling in die endgültige Form) 7 Meister 46. Haubensmit Helmschmiede (Waffenschmied) 6 Meister 47. Nagler Nagelschmiede 6 Meister 48. Moler Maler 6 Meister 49. Pfannensmit Pfannenschmiede 5 Meister 50. Sarwürhten Panzerhemdenmacher 4 Meister Bild 75: Das Nürnberger Handwerkerverzeichnis von 1363 verzeichnet bei einer Einwohnerzahl von rund 20.000 Personen 1217 Meister in 50 Handwerkergruppen. (Klemm 1989, 63 f.; vgl. Palla 1997) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 134 ] Die Bedeutung des Institut des Gesellenwanderns für die handwerkliche Berufs- erziehung kann man wohl kaum überschätzen, denn in ihrer streng geregelten Wanderzeit lernten die jungen Gesellen nicht nur neue Arbeitstechniken und Ar- beitskonventionen kennen, sondern knüpften auch neue Kontakte und übten die Integration in soziale Gruppen.54 Noch 1785 forderte die Fürstlich Oetting-Oetting- und Oetting-Spielbergische Wanderordnung, „daß es unumgänglich nötig für ihn [den jungen Gesellen] ist, einige Jahre in der Welt zuzubringen, wenn er zum Mann und zum nützlichen Bürger gebildet werden soll“ (zitiert nach Endres 1996, 390). Zudem war in vielen Berufen die Erlaubnis zu heiraten ebenso an eine ab- solvierte Wanderzeit geknüpft wie die Zulassung zur Meisterprüfung. Der Gesellenstatus konnte durch den Erwerb der Meisterrechte beendet wer- den. Voraussetzung dafür waren eine Meisterprüfung sowie in vielen Beru- fen die Anfertigung eines Meister- stücks nach exakt definierten Regeln der jeweiligen Zunft. Die Qualifikation für das Zulassungsverfahren war an ei- nen Vermögensnachweis und eine do- kumentierte ordnungsgemäße Lehrzeit sowie an eine bestimmte Anzahl von Jahren der Tätigkeit als Geselle gebun- den. Vor der formalen Aufnahme in den Meisterstand „schauten“ (prüften) die geschworenen Meister das fertige Meister- stück (vgl. o. Bild 72, S. 128). Entsprach es den Anforderungen, wurde der Kandi- dat zum Meister erklärt und dieser hatte die z. T. recht hohen Kosten für diesen formalen Akt zu tragen. Damit war der Meister auch berechtigt, Lehrlinge auszu- bilden, außer Betracht blieb allerdings, ob er über die berufspädagogische Eig- nung dafür verfügte. Es verdient noch einmal ausdrücklich hervorgehoben zu werden, dass die berufs- ständischen Normen der Zünfte zumindest in der Anfangszeit gleichermaßen für 54 Zur Institution des Gesellenwanderns vgl. bes. Stopp 1979, 11 ff., aber auch z. B. Elkar 1984, 262-293. Im Rahmen von VISUBA wird dieser Aspekt behandelt im Teilkonzept: MASLANKOWSKI, Willi: Internationalisierung beruflicher Bildung. Königswinter 2004 Bild 76: 1500 Jahre Spinnen mit der Handspindel. Links eine griechische Spinnerin im 5. Jahrhundert v. Chr., rechts eine ita- lienische Spinnerin im 11. Jahrhundert n. Chr. Griechisches Vasenbild (links) und Buchminiatur (Bohnsack 2002, 36 f.) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 135 ] Männer wie für Frauen gegolten haben: „Mit der vollen Entfaltung der Stadtwirt- schaft im 14. und 15. Jahrhundert waren die Voraussetzungen gegeben, daß auch Frauen im großen Umfang berufstätig werden konnten. Ledige Frauen mußten oh- nehin für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen und aufkommen, verheiratete Frauen arbeiteten in der Regel neben Haushalt und Kindererziehung im Betrieb des Ehe- mannes mit, vertraten ihn während seiner Abwesenheit und nach seinem Tod. Viel- fach auch übten Frauen zur Verbesserung des Familieneinkommens eine bezahlte Nebentätigkeit aus. Anhaltspunkte über den Umfang weiblicher Erwerbstätigkeit im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit bieten die städtischen Steuerlisten. Denn ab- gabenpflichtig war jeder in der Stadt, ganz gleich ob Mann oder Frau, der über Ver- mögen oder Einkommen aus gewerblicher und anderweitiger Tätigkeit verfügte. So betrug in der Reichsstadt Nürnberg der Anteil der steuerzahlenden Frauen im Jahre 1397 26,3 Prozent und 1433 23,1 Prozent aller Steuerzahler. Für Frankfurt am Main zeigen die Bedebücher einen Anstieg der weiblichen Steuerzahler von 18 Prozent im Jahre 1350 auf 28 Prozent im Jahre 1500“ (Endres 1996, 398). In der Zeit zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert waren Frauen in nahezu jedem Handwerk vertreten, den größten Anteil stellten sie aber im Textilgewerbe, wo es, wie bereits gezeigt (vgl. o., S. 124), sogar reine Frauenzünfte gab. Je en- Bild 77: Frauenarbeit auf einer Kirchenbaustelle. Auf dem Bild finden sich alle Accessoires einer zünftigen Baustelle: Fäustel, Spitz- fläche, Gerüst, Leiter, Mörtelbottich, Mörtelkasten, Mörtelschaufel, Ziegel und behauene Steine, Mulde, Schulterstock und Wasser- bottich sowie die Arbeiterinnen. Buchmalerei aus der Girart-de-Roussillon-Handschrift 1447/50 (Binding 2001, 192) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 136 ] ger allerdings ab dem 14. Jahrhundert das Junktim zwischen Zunftmitgliedschaft und Bürgerrecht wurde und je mehr politische Macht die Zünfte okkupierten, desto mehr verstärkten sie die „Mechanismen der Ausgrenzung von Frauen“ (Rippmann 1996, 25 ff.), bis in der frühen Neuzeit die Männer dort schließlich unter sich waren (mehr dazu u. 4.2.3, S. 216 ff.). 3.2.3 „Ars sine scientia nihil est“ Eine Sonderform des mittelalterlichen Handwerkerzusammenschlusses stellen die bereits erwähnten (Dom-)Bauhütten dar (vgl. o. Anm. 53, S. 120), die sich in we- sentlichen Punkten von den Zünften unterschieden: „Der grundsätzliche Unter- schied zwischen Bauhütte und Zunft besteht darin, daß die erstere ein hierar- chisch organisierter Arbeitsverband von Angestellten, die letztere eine, wenigstens ursprünglich, egalitäre Vereinigung von selbständigen Unternehmern ist. Die Bau- hütte stellt ein einheitliches Kollektiv dar, in dem niemand frei ist, auch der Bau- und Werkmeister nicht, denn auch er hat sich nach einem von der Kirchenbehörde entworfenen und zumeist bis in die geringsten Einzelheiten ausgearbeiteten ideel- len Programm zu richten. In den Einzelwerkstätten dagegen, aus denen sich die Zunft zusammensetzt, sind die Meister ihre eigenen Herren, nicht nur was die Verwendung ihrer Zeit, sondern auch was die Wahl ihrer künstlerischen Mittel be- trifft. Die Statuten der Zunftordnung enthalten, bei all ihrer Engherzigkeit, zumeist nur technische Vorschriften und erstrecken sich kaum auf rein künstlerische Fra- gen, im Gegensatz zu den Richtlinien, an die sich die Künstler der Bauhütten hal- ten müssen“ (Hauser 1973, 262 f.). Die besondere Organisation der Bauhütten mit ihrer umfassenden Integration des Einzelnen in deren Kollektiv legt den Schluss nahe, dass auch die Nachwuchs- schulung in den jeweiligen Bauhütten-Berufen streng normiert und standardisiert war. Notwendig geworden war diese Formalisierung durch die rasche Entwick- lung und Verbreitung des gotischen Baustils ab Mitte des 12. Jahrhunderts, was einerseits den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, die mit der schnellen Expan- sion der Neuerungen Schritt halten konnten, und andererseits die Fülle hochkom- plexen, existenziell notwendigen Fachwissens - man denke nur an die Statikpro- bleme gotischer Gewölbe - sprunghaft anwachsen ließ. Dies ist wohl die Ursache dafür, dass „die Architektur beginnt, eine Brücke zur Wissenschaft zu schlagen, 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 137 ] wie es im Gutachten des Pariser Baumeisters JEAN MIGNOT 1398 auf der Mai- länder Dombauhütte zum Ausdruck kommt: ‚Ars sine scientia nihil est’ (Die Kunst ist nichts ohne die Wissenschaft). Hier ist ein früher Ansatz, Theorie und Praxis zusammenzudenken: ‚Ars’ nicht nur als Kunst, sondern auch als Fertigkeit (Pra- xis), ist ohne ‚scientia’ (Theorie, Wissenschaft) als objektivierbarer (also ver- allgemeinbarer) und tradierbarer (also überlieferbarer) Komponente nicht mehr möglich. Das ist ein Bruch mit der Vorherrschaft des Imitatio-Prinzips, das schon beim Lehrlingswesen in Altgriechenland erwähnt wurde. MIGNOTs Anweisung, dass die ‚echten, geometrisch-mathematisch begründeten Handwerksregeln’ zu gelten hätten, ist somit auch als ein Bestreben zu sehen, sich von uneinsichtigen Erfahrungsregeln in Architektur und Bauhandwerk (‚so und nicht anders wird’s gemacht’) abzusetzen“ (Lipsmeier 2001, 10 und Lipsmeier 1971/b, 283). Dem Problem, dass die generative Wissenstradierung den wachsenden Anforderungen nicht mehr gerecht werden konnte, waren die Menschen von Anfang an mit zu- nehmender Formalisierung der Ausbildung begegnet (vgl. o., S. 70). Bis zum spä- ten Mittelalter hatten sich in der Heranbildung und Qualifizierung des beruflichen Nachwuchses bereits folgende „Formalisierungsstrategien“ entwickelt: • „Personifizierung der Lehr-Lern-Beziehung: Eine Person (Experte, Meister) ist für die Tradierung einer bestimmten Teilmenge gesellschaftlich notwendi- ger oder wünschenswerter Qualifikationen verantwortlich (Meisterlehre; Früh- formen etwa 5000 bis 10.000 v. Chr.). • Didaktisierung: Vereinfachung des ‚theoretischer’ werdenden Wissens (be- kannt aus der mittelalterlichen Dombauhütte; wahrscheinlich aber schon im ägypt. Pyramidenbau 4000 v. Chr.). • Methodisierung: Bewusste Beeinflussung des Vermittlungsprozesses mit Medien, z. B. Modeln, Vorlagen (erstmals anzutreffen im Kunsthandwerk der Renaissance, wahrscheinlich aber schon im antiken Bauwesen. VITRUV, de architectura, 31 v. Chr.) [vgl. o., S. 94 f.]. • Kanonisierung: Festlegung der Inhalte der Berufsausbildung (z. B. Zunftord- nungen seit dem 14. Jh.)“ (Lipsmeier 2001, 13). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 138 ] In der Notwendigkeit, Wissen und Anforderungen zu normieren, könnte ein ent- scheidender Grund dafür zu suchen sein, dass „für den Prozeß der Herstellung von Gegenständen ein schriftlich fixiertes, eigenständiges Kommunikationsmittel, die technische Zeichnung als ‚Sprache der Technik’, entwickelt werden musste“ (Lipsmeier 1971/a, 25). Ihren Niederschlag fand dies etwa in den sog. Musterbüchern, in denen man frühe Lehrbücher für die Ausbildung in den am Kirchenbau beteiligten Berufen sehen kann: „Das älteste erhaltene Musterbuch ist das von H. R. HAHNLOSER als Bau- hüttenbuch bezeichnete Musterbuch des VILLARD DE HONNECOURT (nachweisbar um 1230/1235), der es selbst ‚livre’, also nur ‚Buch’ nennt. Das seit 1795 in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrte, um 1220/30 entstandene, 24 x 16 cm große Buch ist zwar nicht vollständig, aber immerhin in einem ansehnlichen Umfang von 33 statt der ursprünglich etwa 46 Pergamentblätter erhalten. [...] Der zufällige und fragmentarische Erhal- tungszustand der im Mittelalter das künstlerische Schaffen bestimmenden Musterbücher führte zu der Vermutung, daß Vorlagensammlungen in der Art des Buches von VILLARD DE HONNECOURT auch für Architekturmotive verbreitet wa- ren. VILLARDs Musterbuch gibt in 325 Einzelfiguren von Menschen, Tieren, Ar- chitektur, Ausstattung und Maschinen einen Einblick in den weit gespannten Aufgabenbereich eines mittelalterlichen Werkmeisters und stellt eine recht hetero- gene Sammlung vorbildlicher Typen malerischer, plastischer, konstruktiver und ge- ometrischer Provenienz dar; nur etwa ein Drittel der Zeichnungen betreffen im wei- testen Sinne den Bereich der Architektur“ (Binding 1993, 207). Bild 78: Musterbuch des VILLARD DE HONNECOURT um 1120/30. Oben: „Diesen Chor haben VILLARD VON HONNECOURT und PETER VON CORBIE in gemeinsamer Besprechung miteinander erfunden.“ Unten: „Dies ist der Chor von Sankt Fanon in Meaux“ (Binding 1993, 211). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 139 ] Sieht man in den mittelalterlichen Musterbüchern tatsächlich einen anschaulichen Beleg dafür, dass die steigende Komplexität des Berufswissens neue Methoden der Wissenskonservierung und -tradierung erforderlich machte, ist zu bedenken, dass diese stabilere, weil nicht mehr nur auf dem Erinnerungsvermögen basieren- de neue Form der Wissensspeicherung und -weitergabe mit großer Wahrschein- lichkeit zunächst „nur für die oberste Berufsschicht (z. B. Architekten, Baumeister, Ingenieure) erforderlich“ (Lipsmeier 1971/a, 25). und wohl auch nur von ihr an- wendbar war, denn sie setzte ja die Beherrschung spezieller Kultur- und Berufs- techniken wie das Lesen von Schrift und Zahlen sowie die Interpretation schema- tischer Konstruktions- und Fertigungszeichnungen voraus. Auch wenn Formalisie- rungsstrategien von Alters her wahrscheinlich und ansatzweise - wie oben darge- legt - bereits für das Altertum nachweisbar sind, die entscheidende qualitative und quantitative Ausweitung der Systematisierung und Formalisierung beruflichen Wissens auch auf alle unteren Berufsschichten brachte jedoch erst die industrielle Revolution des 18./19. Jahrhunderts (vgl. Lipsmeier 1971/a und 1971/b). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 140 ] 3.3 Visualisierung (Leitobjekte: Dreschflegel vs. Buch) 3.3.1 Zentralbereich Da es hier darum geht, Ambivalenzen sichtbar und soweit möglich erfahrbar zu machen, sollte die „Epoche des ambivalenten Arbeitsbegriffs“ im Zentralbereich der Ausstellung möglichst durch zwei Objekte symbolisch visualisiert werden. Für den Bereich der ländlichen Arbeit mit den dazugehörigen Agrarberufen könnte der Dreschflegel gewählt werden, geeignetes Symbol für das urbane Handwerk wäre ein im 16./17. Jahrhundert gedrucktes Buch (möglichst ein Original). Der Dreschflegel „Das unscheinbarste von den landwirtschaftlichen Geräten des 9. und 10. Jahrhun- derts aber dürfte wohl eine der genialsten und wichtigsten Erfindungen des klösterli- chen Handwerks gewesen sein […]. Der Dreschflegel […], von dem hier die Rede ist, war ein Gerät, das aus zwei Holzstangen bestand und mit einem Lederge- lenk verbunden werden mußte. Er war folglich eine sehr einfach herzustellende, aber gleichwohl sehr wirkungsvolle Investition. Denn schlug man mit dem Dreschflegel das abgeerntete Korn, dann verstärkte sich die Kraft des menschlichen Armes durch die Wirkung einfacher He- belgesetze und machte das Dre- schen gegenüber den vorangegangenen Methoden um ein Vielfaches produktiver“ (Otten 1986, Bd. 1, 25 f.). Beim Dreschflegel handelt es sich also um ein sehr einfaches Arbeitsgerät, das zu Beginn dieser Epoche in das Repertoire landwirtschaftlicher Geräte aufgenommen und über tausend Jahre bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nahezu unverändert Bild 79: Arbeit mit dem Dreschflegel. August-Allegorie aus einem Brevier aus dem Jahre 1356 (Husa 1971, 63, Abb. 23) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 141 ] verwendet wurde. Die Einfachheit des Werkzeugs macht sofort klar, dass zu sei- ner Herstellung keine beruflichen Spezialkenntnisse und deshalb auch keine Be- rufsausbildung im eigentlichen Sinne nötig waren. An ihm wird aber die Universa- lität der bäuerlichen (Berufs-)Kenntnisse und Fertigkeiten deutlich, wozu neben der Beherrschung der spezifischen Tätigkeiten des Ackerbaus und der Viehzucht auch solche der Holz-, Metall- und Lederverarbeitung gehörten. Der Dreschflegel sollte aber nicht nur ausgestellt werden, vielmehr müsste das Museums- publikum Gelegenheit bekom- men, wie das auch in vielen an- deren einschlägigen Museen längst üblich ist (vgl. Bild 80), im Rahmen von Vorführungen und Demonstrationen alter landwirt- schaftlicher Techniken unter Auf- sicht selbst aktiv zu werden, um auszuprobieren, wie anstrengend, aber auch effizient die Arbeit mit dem Dreschflegel war. Damit kann zugleich ein kleiner Ei t werden, warum die Bauernarbeit trotz der Einsicht in deren existenzielle Notwendigkeit aus der Perspek- tive der Stadtbürger in der Hierarchie der Berufe sehr weit unten angesiedelt war (vgl. o., S. 111) und bei vielen wohl Das Buch Was im Jahre 1740, also „im 300. Jahre nach Erfindung derselben“, über die Bedeu- tung der Buchdruckerkunst geschrieben wurde, gilt auch heute noch ohne Abstriche: „Der herrliche Nutzen dieser preißwürdigen Kunst fällt jedermann dergestalt in die Augen, dass er denselben ohnmöglich in Zweifel ziehen kan. Was hat der herrschen- den Finsterniß in der geheiligten Religion mehr Abbruch gethan [...] als diese Kunst? Was hat der Gesetzte Gerechtigkeit, mehr ausgebreitet, als diese Kunst? Was hat die Geheimnisse der Artzneykunst und die vernünftigen Sätze der Weltweißheit bekann- ter unter uns gemacht, als diese Kunst? Kurtz, der Flohr aller Künste und Wissen- schaften hat dieser emsigen Dienerin ungemein viel zu dancken“ (Geßner 1981, 2). Bild 80: Schüler erproben im Probstei-Museum Schönberg den Um- gang mit dem Dreschflegel ( www.probsteier-heimatmuseum.de). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 142 ] Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen, wieder verwendbaren Lettern in Europa 55 durch JOHANNES GENSFLEISCH ZUR LADEN, genannt GUTENBERG (ca. 1400-1468), aus Mainz steht am Beginn der Neuzeit. Im 14. und 15. Jahrhundert schien den Zeitgenossen die Welt aus den Fugen geraten, so ALBERT KAPR in seiner Gutenbergbiografie: „Alle Gebiete des menschlichen Lebens wurden revo- lutioniert. Neue Technologien waren erfunden oder von fernen Ländern übernom- men worden: das Wasserrad als Antrieb für den Hüttenhammer [vgl. o. Bild 62, S. 116], die Getreidemühle und die mechanische Säge, der Kran, der Hobel, die von Gewichten in Gang gehaltene Uhr, das Steuerruder, der Kompaß, das Schießpulver und die Papierherstellung. Heimkehrende Kreuzfahrer und Kaufleute hatten von den Ungläubigen unerhörte Werke der Astronomie, der Geographie, der Medizin, der Ma- thematik und der Philosophie mitgebracht“ (Kapr 1986, 11). Diese enorme Wis- sensmehrung, aber auch der Aufschwung von Handwerk und Handel sowie von Bil- 55 „Schon um 1040, als in Europa WILHELM DER EROBERER noch seine Kindertage in der Normandie verbrachte, expe- rimentiert ein Chinese namens BI SHENG mit beweglichen, einzeln hergestellten Druckstempeln aus Keramik. Er ordnete sie auf einer Eisenform zu ganzen Texten an und fixierte sie mit einer Schicht Wachs und Harz. Dann wur- de gedruckt. Wollte man die Zeichen erneut verwenden, erhitzte man die Eisenplatte, bis schmelzendes Wachs und Harz die Formen wieder freigaben. 300 Jahre später tauchten die ersten Lettern aus Holz auf. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt, die einzelnen Holzlettern gleich groß herzustellen, um sie immer in genormten Blöcken zu- sammensetzen zu können. Bald experimentierte man erfolgreich mit Lettern aus Kupfer, Blei oder Messing. Aber das Drucken mit beweglichen Lettern hat sich in China bis zum Ausgang des letzten Jahrhunderts nie wirklich durchsetzen können. Der Grund lag auf der Hand: [...] Die Abertausende chinesischer Schriftzeichen verhinderten eine einfache und vor allem schnelle Zusammenstellung von Druckplatten aus beweglichen Lettern“ (Team Mainz). Bild 81: Mittelalterlicher Schreiber am Schreibpult. Holzschnitt 1526 (Kapr 1986, 17) Bild 82: Darstellung einer Druckerei aus dem 16. Jahrhundert. Rechts Setzer mit Winkelhaken vor dem Setzkasten, links Drucker am Farbtisch (mit Druckerballen) und an der Dru- ckerpresse. Holzschnitt (Kapr 1986, 133) 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 143 ] dung und Wissenschaft hatten den Bedarf an billig, schnell und in größerer Auflage herstellbaren Büchern stark ansteigen lassen und so die Entwicklung einer neuen Produktionsmethode für Bücher provoziert. Das - gedruckte - Buch repräsentiert in jeder Hinsicht den kompletten Gegensatz zur Bauernarbeit. Es steht für Bildung und Wissenschaft, für das gebildete Patrizi- at der mittelalterlichen Städte und für deren arbeitsteiliges Handwerk, es ist das Werkzeug der Intellektuellen und die Datenbank zur Bewahrung des Wissens der Zeit. Im Gegensatz zum Dreschflegel ist seine Herstellung überaus kompliziert, daran sind vom Papierhersteller über den Schriftgießer, den Setzer und den Dru- cker bis hin zum Buchbinder mehrere hoch spezialisierte Berufe beteiligt, deren Ausübung fundierte Spezialkenntnisse sowie manuelle Fertigkeiten beim Einsatz spezieller Werkzeuge verlangt. Um Redundanzen zu vermeiden, sind die Details der Realisierung dieser Themen und vor allem der Aktivierung des Museumspublikums selbstverständlich in enger Kooperation mit den Arbeitsgruppen „Agrartechnik und Umweltschutz“ (KÜSTER) so- wie „Drucktechnik und Neue Medien“ (KRAUS) 56 noch weiter zu präzisieren. 56 Eine detaillierte und sehr materialreiche Darstellung der „Entwicklung des Setzens und Druckens“ von den Anfängen bis in die Gegenwart liefert Weckner 1981. Bild 83: Die Rekonstruktionszeichnung (1997) erläutert in einzelnen Schritten, wie im 16. Jahrhundert ein Buch nach dem Guten- berg-Verfahren entstanden ist. (Kunz 2001, 180) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 144 ] 3.3.2 Insellösung im DM Die entsprechenden Themeninseln werden in den Abteilungen „Agrar- und Le- bensmitteltechnik“ sowie „Drucktechnik“ des DM entstehen. Da dazu im Rahmen VISUBAs in den Teilkonzepten der oben genannten Arbeitsgruppen bereits detail- lierte Realisierungsvorschläge entwickelt wurden, kann ich an dieser Stelle auf ei- gene Ausarbeitungen verzichten. 3.3.3 Leitziele der Visualisierung Dreschflegel und Buch sollen folgende Aspekte der Arbeits- und Berufsentwick- lung veranschaulichen: • Ambivalenz der Wertschätzung der Arbeit: einerseits die körperlich harte, die Menschen prägende und dequalifizierende Landarbeit, andererseits die hohen gesellschaftlichen Status vermittelnde Handwerkskunst der Buchpro- duktion („Schwarze Kunst“); • Gegensatz von Zunfthandwerk und Landarbeit: zunehmende Spezialisie- rung, Differenzierung und strenge Reglementierung des urbanen Handwerks durch die Zünfte vs. Universalität, „Ganzheitlichkeit“ und Naturgebundenheit der Landarbeit; • Institutionalisierung und beginnende Formalisierung der Ausbildung in den Zünften, Gilden und Bauhütten: Standeserziehung, Wanderschaft und schriftliche Wissensweitergabe (Bauhüttenbücher). 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 - 1500) [ 145 ] 3.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 3 Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 – 1500) Ort der Realisierung Exponate und „Zubehör“ Besucher- Aktivitäten PC-Station und Software Flachware etc. Fläche (ca.) 1 Dreschflegel Werkzeug zur Holzbearbeitung Material: Holz, Leder, Nägel Dreschflegel Arbeitsfläche Schutzkleidung (für Augen, Hän- de etc.) Sitzgelegen- heiten für Zu- schauer/innen Recherche am PC „Arbeit“ in der Besucher- Werkstätte: 1 Herstellung eines Dresch- flegels 2 Arbeit mit dem Dreschflegel [Kooperation mit der AG „Agrar- und Umwelttech- nologie“ (KÜS- TER)] PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Arbeitsanleitung (Videodemon- stration): Herstel- lung eines Dreschflegels Arbeitsanleitung (Videodemon- stration): Arbeit mit dem Dresch- flegel Erläuterungen zum Exponat Verweis auf Insel (Kontext der Ausstel- lung) Faltblatt oder Broschüre mit Arbeitsanlei- tungen für beide Aktivitä- ten 30 m2 bereich 2 Buch (Original aus der Zeit) Sockel Glasvitrine [abhängig vom Konzept der AG „Drucktechnik und Neue Me- dien“ (KRAUS)] Recherche am PC Besucher- Werkstätte: [Kooperation mit der AG „Druck- technik und Neue Medien“ (KRAUS)] PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Erläuterungen zum Exponat Faltblatt oder Broschüre mit Arbeitsanlei- tung Verweis auf Insel (Kontext der Ausstel- lung) 10 m2 Insel 1 im DM Abteilung „Agrar- und Lebensmittel- technik“ (3. Stock) Vgl. Teilkonzept der AG 3: „Agrar- und Umwelttechnologie“ (KÜSTER) PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Bezug zum Zentralbereich (Kontext der Ausstellung) 5 m2 Insel 2 im DM Abteilung „Drucktech- nik“ (2. Stock) Vgl. Teilkonzept der AG 3: „Drucktechnik und Neue Medien“ (KRAUS) PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Bezug zum Zentralbereich (Kontext der Ausstellung) 5 m2 Bild 84: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 3: Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 – 1500) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 147 ] 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) „Der Mensch ist ein vernünftiges Wesen, und als solches empfängt er seine wahre Nahrung von der Wissenschaft. Der Mensch ist auch ein thä- tiges Wesen; er muss wegen dieser Anlage und wegen der mannichfachen Bedürfnisse des menschlichen Lebens sich dem Geschäft und der Arbeit unterziehn.“ DAVID HUME (1711-1776) 57 Die Entfaltung der Wirkkräfte zweier bedeutender Geistesströmungen markiert den Anfang dieser Epoche: „Auf allen Gebieten des menschlichen Lebens, also auch in der Welt von Arbeit und Beruf, ist ihr Einfluß nachweisbar. Die eine, Renaissance genannt, entspringt dem Bereich der menschlichen Aktivität und Schöpferkraft: Kunst, Politik, Pflege der Wissenschaft, wirtschaftliche Aktivität. Sie hat jedoch nicht versäumt, den moralischen Qualitäten des Menschen eine neue Gestalt zu geben. Humanismus und - in einem späteren Stadium - Rationalis- mus und Aufklärung sind nicht nur intellektuelle, sondern auch sittliche Kraftquel- len, die die Entwicklung der menschlichen Formen des Zusammenlebens in ho- hem Maße stimulieren. Die andere Geistesströmung, die Reformation, findet ihre innere Grundlage in der religiösen Erfahrung und den daraus postulierten morali- schen Werten. Aber gerade weil der moralische Wert innerhalb des Rahmens menschlichen Handelns erlebt wird, haben verschiedene Formen der Verbindun- gen, besonders auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, dadurch einen tiefge- henden Einfluß erfahren“ (Ven 1972, Bd. 2, 185; Hervorhebungen von mir. HD.). Humanismus, Reformation und Aufklärung bündeln ab dem 14. Jahrhundert die in weiten Teilen Europas virulent werdenden Entwicklungstendenzen geistiger und religiöser Restaurierung und stützen sich dabei auf die Rezeption antiker Quellen: Der Humanismus setzt sich mit den antiken Philosophen und Autoren auseinan- der und die Reformation macht für Bibelübersetzungen die griechischen und heb- räischen Urtexte zum Maß der Dinge. Die dadurch initiierten Entwicklungstenden- 57 Hume 2001, 10 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 148 ] zen und Strömungen wie die Wiederbelebung platonischer und aristotelischer Phi- losophie und antiker Technologie, die Trennung von Kunst und Handwerk, die Re- zeption des römischen Rechts, die „Entdeckung des Individuums“ (van Dülmen) sowie die „Entdeckung der Welt und des Menschen“ (Burckhardt), die Entfaltung eines naturwissenschaftlich-rationalen Welt- und Menschenbildes, soziale und ökonomische Differenzierungsprozesse, die Rationalisierung der Herrschaft und die Dynamisierung der Gesellschaft, die schließlich in die Aufklärung mündeten, veränderten natürlich auch den Arbeitsbegriff so, dass er in der Folge zu einer der wesentlichen Voraussetzungen für die Durchsetzung der Industrialisierung im 19. Jahrhundert werden konnte. Charakteristisch für die Epoche ist, dass die Diskussion um den Arbeitsbegriff zwar an Quantität und Qualität zunimmt und die Frage nach der Rolle der mensch- Bild 85: Der Wandel des Weltbildes. Thema dieser weithin bekannten Abbildung aus dem Jahre 1888, „die vom berühmten Popu- lärastronomen FLAMMARION so geschickt auf den wissenschaftlichen Umbruch der frühen Neuzeit gerichtet wurde, daß sie bis vor ein paar Jahren weitgehend als Originalholzschnitt des 16. Jahrhunderts interpretiert wurde: Der neue Mensch durchbrach die be- grenzte Welt des ptolemäischen Universums und erblickte neue Wunder.“ Holzschnitt (Teichmann 1985, 201) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 149 ] lichen Arbeit mehr und mehr in den Fokus der politischen und ökonomischen Gesellschaftstheorien rückt, dass dies jedoch zunächst keine beobachtbaren prak- tischen Auswirkungen auf die Arbeitswelt hat, denn die Diskurse bleiben „abstrakt und eindimensional. Sie schweigen in bezug auf die Praxis der Arbeit und bieten kaum einen Zugang zu der Fülle und Vielfalt dessen, was die Menschen in ihrem alltäglichen Leben tatsächlich tun. Trotzdem sind die Diskurse über Arbeit alles andere als ohne Belang. Was sie thematisieren, ist zwar nicht Arbeit als praktische Tätigkeit, wohl aber die Stellung der Arbeit und der Arbeitenden in der Gesell- schaft. Die Reflexionen der Denker über die Arbeit machen sichtbar, welcher Platz den Arbeitenden in der Gesellschaft zugewiesen wird und welche Erwartungen ih- nen zugeschrieben werden“ (Ehmer/Gutschner 1998, 292). Bild 86: Das Titelkupfer zur Bilderfolge „Nova reperta“ des IOANNIS STRADANUS (d. i. JAN VAN DER STRAET 1523-1605) zeigt „neue Erfindungen“ und Entdeckungen aus Mittelalter und Renaissance (von links im Uhrzeigersinn): den Sattel mit Steigbügel, den Maulbeerbaum (Seidenraupe), die eiserne Räderuhr mit Gewichten, die Entdeckung Amerikas durch Ko- lumbus, den Buchdruck mit beweglichen Lettern, den Kompass, das Destillationsverfahren, das Guajakholz (vermeintliches Heilmit- tel gegen Syphilis), das Schießpulver und die Feuerwaffen. Diese und weitere dem ausgehenden 16. Jahrhundert bedeutend erscheinen- de Erfindungen wie Wasser- und Windmühle, die Längenbestimmung auf See, das Kupferstichverfahren die Herstellung von Rohr- zucker oder die Brille werden von STRADANUS in insgesamt 20 Kupferstichen dargestellt (Deutsches Museum 1972). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 150 ] Da sich der Stellenwert menschlicher Arbeit und die gesellschaftliche Rolle der Arbeitenden im Prozess der Industriellen Revolution grundlegend änderten, liegt es nahe, die „Epoche des ökonomisierten Arbeitsbegriffs“ mit dem 18. Jahrhundert und dem „Übergang zur Fabrik“ (Reininghaus 1990, 5) auslaufen zu lassen. Damit deckt sich dieser Zeitraum im Großen und Ganzen mit der Periode der frühen Neuzeit, einer Epoche, die als Inkubationsepoche der Gegenwart gilt und auch als „Musterbuch der Moderne“ (Schulze 2000, 10) bezeichnet wird, weil sich damals zahlreiche jener Strukturen herausbildeten, die unsere „Kulturwelt“ noch heute prägen. Aus diesem Grund wird ihr von der Geschichtswissenschaft gerade im Hinblick auf die Entstehung der europäischen Moderne auch ein besonderer Rang zugemessen: „Von besonderer Bedeutung scheint die europäische Frühneuzeit vor allem als historisches Entwicklungsmodell im Übergang von agrarischen zu in- dustrialisierten Gesellschaften; es lassen sich daran vorzüglich die Voraussetzun- gen dieses Prozesses studieren“ (Schulze 2000, 10 f.).58 Ein Diktum, das - wie zu zeigen sein wird - für Arbeit und Beruf in ganz besonderer Weise gilt. 58 Grundlegendes zum „ große[n] Transformationsprozess von der ‚traditionalen’ zur ‚modernen’ Gesellschaft“ stellt vor allem die sozial- und wirtschaftsgeschichtlich orientierte Studie von BAUER/MATIS bereit (1989, Zitat S. 7). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 151 ] 4.1 Arbeit 4.1.1 „Labor omnia vincit improbus“ Hier ist nicht der Ort, die Bedeutung der Renaissance für die Entstehung der Moderne zur Gänze auszuleuchten59, zumal heute festzustehen scheint, dass sie weniger als Epoche revolutionärer Umbrüche zu sehen ist, sondern viel- mehr als „eine Zeit des Übergangs: die sich auflösende Tradition des Mittelal- ters trifft zusammen mit der beginnen- den Ausformung der Neuzeit“ (Kunz- mann 2002, 93). Gleichwohl ist die Ver- schiebung des geistigen Koordinaten- systems verschränkt mit gravierenden kulturgeschichtlichen Neuerungen wie der Erfindung beweglicher Lettern durch JOHANNES GUTENBERG (1400-1468), was die Verbreitung neuer Ideen rasant beschleunigte und verbilligte; wie der Entdeckung des Prinzips der Zentralper- spektive durch LEON BATTISTA ALBERTI (1404-1472), wodurch die Darstellungsmög- lichkeiten in Kunst und technischem Zeichnen erweitert wurden; wie der Begründung des heliozentrischen Weltbilds durch NIKOLAUS KOPERNIKUS (1473-1543), die das christliche Definitionsmonopol beendete; wie den Verbesserungen in der Nautik, wo- durch die großen Entdeckungsreisen (CHRISTOPH KOLUMBUS, 1451-1506) ermöglicht und die europäische Expansion bewirkt wurden; wie der Wandel der Kriegstechnik 59 Sehr ausführlich hat dies z. B. ARNOLD HAUSER (1892-1978) geleistet, der in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts allerdings davon ausging, dass „wir die Bedeutung der Renaissance für die Gegenwart überschätzen“, wenn wir J. BURCKHARDTs auch heute noch populärer These folgen, „daß der Kampf gegen den Geist der Autorität und die Hierarchie, die Idee der Gedanken- und Gewissensfreiheit, die Emanzipation des Individuums und das Prinzip der Demokratie Errungenschaften der Renaissance seien“ (Hauser 1973/b, 31 f.; vgl. Hauser 1973/a, 281 ff.). Auch scheint der Renaissance-Begriff für die vorliegende Arbeit als Periodisierungskriterium nur bedingt brauch- bar, denn diesen „Begriff zur Darstellung einer Periode zu benutzen [...] ist buchstäblich unmöglich, wenn man über Europa als Ganzes schreibt“ (Burke 1998, 216). Bild 87: LEONARDO DA VINCI (1452-1519): „Der Mensch des Vitruv“. LEONARDO selbst bemerkt zu sei- ner berühmten Zeichnung: „Der Architekt VITRUV schrieb in seinem Werk über die Architektur, dass die Maße des Menschen von der Natur auf diese Weise angeordnet seien.“ Um den von VITRUV hervorgehobenen Zusammenhang zwischen dem menschlichen Körper und geomet- rischen Figuren demonstrieren zu können, verdoppelt Leonardo die Figur durch zwei verschiedene Arm- und Beinhaltungen; einmal ergibt dies einen Kreis (homo ad circulum), das andere Mal ein Quadrat (homo ad quadratum), die geometrischen Ide- alformen der Renaissance. Tinte auf Papier um 1490 (Lauren- za 1999, 40 f. und Cianchi o. J., Einband Rückseite) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 152 ] durch Feuerwaffen, wodurch die Stellung des Ritterstandes entwertet wurde; wie der Ausbreitung der Handels- und Geldwirtschaft, die entscheidend zum sozialen Wandel beitrugen, oder wie zahlreiche neue technische Verfahren und Produkte in der Textil- technik, dem Bau- und dem Hüttenwe- sen. Dennoch blieb „die Zeit bis 1600 wesentlich von Traditionen geprägt. CO- PERNICUS war vor allem ein kongenialer Humanist: Philologe, Theologe, Politiker, Wirtschaftswissenschaftler, Kartograph, Astronom. Dieser übermächtige Einfluß der Tradition galt noch für KEPLER, GALI- LEI und andere. [...] Die ‚Revolution’ kam erst, als die gesellschaftliche Entwicklung durch die Verhärtung des Katholizismus in der Gegenreformation von Italien nach Norden getrieben wurde - in die evange- lischen Länder Holland (hier wurden die Discorsi von GALILEI 1638 in Leiden ver- öffentlicht!), England, in Teile Deutsch- lands, in das nichtinquisitorische Frank- reich, das auch bis zur Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes 1685 gegen- über dem Protestantismus duldsam blieb“ (Teichmann 1985, 187). So be- ginnt auch für HANNAH ARENDT die Neuzeit erst mit dem wissenschaftlichen Einsatz des Teleskops durch GALILEI und „mit der dem neuen Gerät geschuldeten Entde- ckung, daß das kopernikanische Bild […] kein bloßes Bild und keine Metapher war, sondern ein nachweisbares, menschliches Vermögen anzeigte, sich trotz der Gebun- denheit an die Erde begrifflich des Weltalls zu bemächtigen, in ‚universal’ gültigen Begriffen zu denken“ (Arendt 1960, 258). Für die Entwicklung des Arbeitsbegriffs markierte die Renaissance zunächst sogar einen Rückschritt, brachte sie doch „eine Wiederaufnahme des antiken Arbeitsbeg- riffs, d. h. des Verständnisses von höherer Arbeit als geistige, schöpferische und freie Bild 88: RAFFAELS (1483-1520) berühmtes Fresko „Die Schule von Athen“ (1508-1511), das in idealisierender Darstellung zu verschiedenen Zeiten wirkende Philosophen der griechischen Antike vorstellt, illustriert eindrucksvoll die Wie- derbelebung der antiken griechischen Philosophie in der Renais- sance. Der hier abgedruckte kleine Ausschnitt daraus zeigt PLATON und ARISTOTELES im Dialog. Platon deutet nach oben auf das himmlische Reich der Ideen, sein Schüler Aristoteles weist mit ausgestreckter Hand auf das Wesen der irdischen Welt ( Delius 2000, 11). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 153 ] Leistung für das Gemeinwesen einerseits und von niederer Arbeit als der körper- lichen, besonders aber der abhängigen Arbei ts. [...] Besonders wurde nun die soziale und sittliche Differenzierung von humanistisch Gebildeten und Ungebilde- ten hervorgehoben. Der Gelehrte, der Künstler, der Schriftsteller, sie entspre- chen dem Ideal des Humanismus; ihre Arbeit ist individuelle, intellektuelle Leis- tung, schöpferisch und - abgesehen von der Bindung an einen Mäzen oder Auf- traggeber - frei, und sie selbst sind in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Stel- lung unabhängig von Geburt und Stand“ (Mikl-Horke 2000, 21 ff.). Dagegen bereiteten die Ideen des eu- ropäischen Humanismus’ jene „kriti- sche Plattform“ (Romano 1967, 257), auf der sich dann die Kräfte gesellschaftlicher Veränderung entfalten und formie- ren konnten: „Vor und neben den konfessionellen Feldzügen, die mit ihrer star- ken Betonung der christlichen Arbeits- und Berufspflicht eine statisch restriktive Wirtschaftsethik verbanden, entwickelte sich langsam eine Arbeits- und Leis- tungsauffassung von völlig anderem Zuschnitt. Sie hatte ebenfalls in der Antike ihre Wurzel, war aber während des Mittelalters in den Hintergrund getreten und erst mit der Antikenrezeption des Renaissance-Humanismus wieder Teil der phi- losophischen Diskussion geworden. Während des Quattrocento entwarf eine Reihe italienischer Humanisten [...] ein neues, selbstbewußtes Menschenbild, das in deutlichem Kontrast zur vorangegangenen Anthropologie stand“ (Münch 1996, 367). Der vom 14. Jahrhundert an von Italien ausgehende, das europäi- sche Denken immer stärker durchdringende Humanismus „entwickelte mit der Wiederaufnahme antiker, biblischer, hermetischer und patristischer Vorstellun- gen eine die frühere Verachtung der Welt optimistisch transzendierende Philoso- phie. Das bekannteste Werk der Gattung, PICOs60 1486 entstandene ‚Oratio de 60 Das ist der italienische Humanist und Philosoph PICO DELLA MIRANDOLA (1463-1494), der ab 1484 an der Akademie von Florenz lehrte. Er wurde wegen seiner 1486 veröffentlichten 900 Thesen von Papst INNOZENZ VIII. der Häresie beschuldigt und musste vorübergehend aus Florenz nach Frankreich fliehen. Bild 89: VERGILs weit verbreitete Sentenz - „Labor omnia vincit improbvs“ – anschaulich umgesetzt in eine Allegorie: Fleißige „Arbeit“ schützt Diana auf der Jagd vor Amors Pfei- len. Kupferstich-Emblem 1579. (Jode 1579, 12) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 154 ] dignitate hominis’, stattete den Menschen mit einer gottähnlichen Freiheit aus, die es ihm im Gegensatz zur übrigen Schöpfung erlaubte, seine Stellung in der Welt frei zu wählen. [...] Mit dieser dynamischen Interpretation menschlicher Würde war die geläufige hierarchische Ordnung der Welt, die dem Menschen in der allgemeinen Rangordnung der Natur einen bestimmten, festgelegten Platz zugewiesen hatte, überwunden. Zudem räumte man dem menschlichen Indivi- duum die Möglichkeit zu fast gottähnlicher Schöpferkraft ein. Ähnliche Gedanken artikulierten sich mit dem während des Renaissance-Humanismus wiederer- weckten Prometheus-Mythos, der den Menschen ebenfalls als ‚Secundus deus’ definierte. Zukunftweisend in diesem Zusammenhang wurde eine dem Men- schen als Analogon zur schöpferischen Eigenschaft der Natur zugeschriebene kreative Potenz“ (Münch 1996, 366 ff.). Indem der Mensch also aus dem göttlichen ‚Ordo’ entlassen wird, weist ihm die Philosophie eine vorher so nicht gekannte Selbstverantwortung zu, die auch der Selbsterhaltung einen neuen Inhalt gibt. Da sie nicht mehr auf die simple materielle Selbstbehauptung als Lebewesen in einer prinzipiell feindlichen Um- welt reduziert, sondern nach der Zerstörung der christlichen Einheit auf rationa- le Sinnstiftung ausgerichtet ist, wird auch der Wert menschlicher Arbeit neu jus- tiert (vgl. Walther 1990, 15). Sie mutiert in diesem Denkansatz zu dem Univer- salwerkzeug, mit dem der „zweite Gott“ alle Hindernisse zu überwinden ver- mag, ganz im Sinne jener damals sehr populären Sentenz VERGILs (70-19 v. Chr.): ‚Labor omnia vincit improbus’ (Unermüdliche Arbeit überwindet alles)61. Zugleich mehren sich ab dem 16. Jahrhundert auch in der säkularen Literatur des deutschen Sprachraums die Belege für diese neue Sicht der Arbeit. Am eindrucksvollsten kann man dies nachlesen in JOHANN FISCHARTS (1546-1590) epischem Gedicht (1576) „Das Glückhafft Schiff von Zürich“ (zitiert nach Münch 1996, 369): 61 Bei VERGIL heißt dies eigentlich: „Labor omnia vicit [!] improbus et duris urgens in rebus egestas.“ Der Satz bezieht sich auf „das Ende des ‚Goldenen Zeitalters’, in dem es labor sowohl als Mühe wie als werkende Tätigkeit noch nicht gege- ben hatte; JUPITER verwandelte die bisher friedliche, nahrungsspendende Natur und zwang die Menschen durch Man- gel (egestas) und Leid (labor) zur Tätigkeit.“ VERGILs Original begreift also Arbeit als das Instrument der Götter, mit dem sie die Menschen unterjochen. Aber bereits in der Spätantike wurde diese Bedeutung ins Positive gewendet und „so verstanden, daß labor improbus die vom Menschen geleistete Arbeit sei.“ (Conze 1992/a, 157; vgl. Türk 2000, S. 129). Eine ausführliche Interpretation dieser Sentenz findet sich bei Stroh 1986, 125 ff. 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 155 ] „Dann nichts ist also schwer und scharff / Das nicht die arbeit underwarff / Nichts mag kaum sein so ungelegen Welchs nicht die Arbeit bring zuwegen Was die faulkeit halt für unmüglich Das uberwind die Arbeit füglich.“ Diese Umdeutung des Arbeitsbegriffs, mit der die Arbeit zu einer positiven Wesens- eigenschaft des Menschen emanzipiert wurde, sollte eine Sprengkraft entfalten, der die absolutistische Ständegesellschaft letztlich nicht Stand zu halten vermochte; denn jetzt war es nur noch ein kleiner logischer Gedan- kenschritt bis zu der For- derung, alle Menschen in gleicher Weise an der ge- sellschaftlichen Arbeit zu beteiligen. Das im 17. Jahr- hundert populäre Sprich- wort: ‚Kein Mensch ist der Arbeit überhoben / weß Stands oder Alters er auch seyn mag’, war also „nicht nur eine neben vielen In- vektiven gegen Müßiggän- ger aller Art; sie ließ sich durchaus als of ff gegen die Standesideologie des Adels lesen, der auf dem Kontinent in der Regel die Ausübung handwerklicher und kaufmännischer Beschäftigungen ablehnte und allenfalls Tätigkeiten im Rahmen ei- ner bäuerlichen Wirtschaft mit seiner Reputation vereinen mochte. Bis tief ins 18. Jahrhundert galt Arbeit als eine ständisch differenzierte Angelegenheit. Selbst ein Frühaufklärer wie CHRISTIAN WOLFF [1679-1754] meinte, niedrige, unstandesgemäße Arbeiten seien dem Adel nicht zuzumuten“ (Münch 1996, 384). Dieser zunehmend als unzulänglich empfundenen Realität haben Utopisten wie THOMAS MORUS (1478-1535), FRANCIS BACON (1561-1626) oder TOMMASO CAM- PANELLA (1568-1639) ihre, die Grundideen des Humanismus zu einer Gesamtkon- Bild 90: Häusliche Landarbeit im Weichbild der Stadt. Im Vordergrund eine Frau am Backofen und ein Mann bei der Arbeit am Mahlstein. Aus dem Straßburger „Vergil“ von 1502 (Wolf-Graaf 1994, 24) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 156 ] zeption verdichtenden Sozialutopien gegenüber gestellt. THOMAS MORUS, der früheste der drei Utopisten, entwirft in seinem 1516 veröffentlichten Roman von der Insel „Utopia“ das Modell eines egalistischen, ethisch-sozialrevolutionären Staates, in dem „unter weitgehender Ausschaltung von Industrie und Technik als Bedürfnisbefriediger“ (Schilling 1966, 252) sämtliche anfallenden Arbeiten gleich- mäßig auf alle Menschen verteilt sind. Weil in MORUS’ Text nicht nur eine Utopie entworfen, sondern in der massiven Kritik am Bestehenden auch die Realität sichtbar wird, hier eine ausführlichere Passage aus diesem Werk über die Organi- sation von Arbeit und Beruf im idealen Staat Utopia: „Ein einziges Gewerbe üben alle Männer und Frauen gemeinsam aus: den Acker- bau. Von ihm ist keiner befreit; in ihm werden alle von Kindheit an unterwiesen, teils durch theoretischen Unterricht in der Schule, teils praktisch, indem die Kinder auf die der Stadt benachbarten Äcker, gleich wie zum Spiel, geführt werden, 62 wo sie nicht nur zuschauen, sondern zur Übung der Körperkräfte auch zupacken. Außer der Landwirtschaft, die, wie gesagt, alle gemeinsam ausüben, erlernt jeder noch irgendein besonderes Handwerk; das ist in der Regel die Tuchmacherei, die Leineweberei oder das Maurer-, Schmiede-, Schlosser- oder Zimmermanns- gewerbe. Es gibt nämlich sonst kein anderes Handwerk63, das dort eine nennens- werte Anzahl von Menschen beschäftigte. Denn die Kleider haben über die ganze Insel hin denselben Schnitt, abgesehen davon, daß sich die Geschlechter unter- einander und die Ledigen von den Verheirateten durch ihre Kleidung unterschei- den; sie sind für alle Altersstufen gleich, gefällig anzusehen und den Bewegungen des Körpers angepaßt, zudem für Kälte und für Hitze berechnet. Diese Kleider fer- tigt sich, wohlgemerkt, jede Familie selber an. Von den anderen Handwerken aber lernt jeder eins, und zwar nicht nur die Män- ner, sondern auch die Frauen; diese betreiben jedoch als die Schwächeren nur leichtere Gewerbe: gewöhnlich spinnen sie Wolle und weben Leinen; den Män- nern werden die übrigen, mühsameren Tätigkeiten überlassen. Größtenteils wird jeder im väterlichen Gewerbe unterwiesen; denn dazu neigen die meisten von Na- tur aus. Wenn aber einen seine Neigung zu etwas anderem zieht, so wird er durch 62 Ein Modell der Berufserziehung, das die Idee der modernen dualen Berufsausbildung vorweg nimmt! 63 Wissenschaft und Technik der Renaissance spielen in MORUS’ Vision keine wesentliche Rolle, er entwirft mit „Utopia“ die Projektion einer rein agrarischen Zivilisation. Obwohl die Utopier als wissenschaftlich begabt geschildert werden, lernen sie z. B. den Buchdruck erst durch den Erzähler kennen. 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 157 ] Adoption in eine Familie übernommen, die das Handwerk ausübt, zu dem es ihn treibt, wobei nicht nur sein Vater, sondern auch die Behörden dafür sorgen, daß er einem würdigen und ehrenhaften Familienvater übergeben wird. [...] Die wichtigste und fast einzige Aufgabe der Sypho- granten 64 ist, dafür zu sorgen und dar- über zu wachen, daß keiner müßig he- rumsitzt, sondern jeder fleißig sein Ge- werbe betreibt, ohne sich jedoch vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hin- ein ununterbrochen wie ein Lasttier ab- zumühen. Denn das wäre schlimmer als sklavische Plackerei. Und doch ist dies fast überall das Los der Handwerker, außer bei den Uto- piern, die, während sie den Tag mit Einschluß der Nacht in vierundzwanzig Stunden einteilen, doch nur sechs Stunden für die Arbeit bestimmen: drei vor Mittag, nach denen sie zum Essen gehen; nach der Mahlzeit ruhen sie zwei Nachmittagsstunden, widmen dann wiederum drei Stunden der Arbeit und beschließen das Tagewerk mit dem Abendessen. Da sie die erste Stunde vom Mittag ab zählen, gehen sie um die achte schlafen. Der Schlaf beansprucht acht Stunden. [...] An dieser Stelle müssen wir jedoch, um einen Irrtum zu vermeiden, einen be- stimmten Punkt genauer betrachten. Weil sie nämlich nur sechs Stunden an der Arbeit sind, könnte man vielleicht auf den Gedanken kommen, es müsse sich dar- aus ein Mangel an lebensnotwendigen Dingen ergeben. Weit gefehlt! Diese Ar- beitszeit genügt vielmehr zur Erzeugung aller Dinge, die lebensnotwendig sind oder zur Bequemlichkeit dienen, ja, es bleibt sogar noch Zeit übrig. Auch ihr wer- det das begreifen, wenn ihr bedenkt, ein wie großer Teil des Volkes bei anderen Völkern untätig dahinlebt: zunächst einmal fast alle Frauen, die Hälfte der Ge- 64 „Je dreißig Familien wählen sich jährlich einen Vorstand, den sie in ihrer älteren Sprache ‚Syphogrant’ nennen“ (Heinisch 1971, 53). Bild 91: Idealbild der Insel Utopia. Kupferstich in der Erst- ausgabe des Romans von 1516 (Vercelloni 1994, Tafel 53) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 158 ] samtbevölkerung; oder, wo die Frauen werktätig sind, dort faulenzen an ihrer Stel- le meistenteils die Männer; dazu kommen dann noch die Priester und sogenann- ten Geistlichen - welch riesige, welch faule Gesellschaft! Nimm all die reichen Leu- te hinzu, vor allem die Großgrundbesitzer, die man gewöhnlich Vornehme und Ad- lige nennt! Zähle dazu deren Dienerschaft, jenen ganzen Haufen bewaffneter Taugenichtse! Füge dazu endlich die gesunden und arbeitsfähigen Bettler, die ir- gendeine Krankheit zum Vorwand ihrer Faulenzerei nehmen! Sicherlich wirst du dann viel weniger Leute finden, als du geglaubt hättest, von deren Arbeit all das herrührt, was die Menschen brauchen. Und nun erwäge noch, wie wenige selbst von diesen ein lebensnotwendiges Gewerbe betreiben, weil ja doch, da wir alles nach Geld und Geldeswert messen, viele völlig unnütze und überflüssige Tätigkei- ten ausgeübt werden, die nur der Genußsucht und dem Vergnügen dienen! Wenn nämlich diese ganze Menge der Werktätigen auf die wenigen Gewerbe verteilt würde, die eine zweckmäßige Verwendung der Naturgüter fordert, so wären bei dem dann natürlich bestehenden Überfluß an Waren die Preise zweifellos niedri- ger; als daß die Handwerker davon ihr Leben fristen könnten. Wenn aber alle, die jetzt mit unnützen Gewerben beschäftigt sind, wenn dazu noch das ganze Heer der schlaffen Nichtstuer und Faulenzer, von denen jeder einzelne von den Dingen, die auf Grund der Arbeit der anderen zur Verfügung stehen, so viel verbraucht wie zwei, die sie herstellen, wenn also diese alle zur Arbeit, und zwar zu nützlicher Arbeit her- angezogen würden, dann könntest du leicht feststellen, wie wenig Zeit reichlich ge- nug, ja überreichlich wäre, um alles das bereitzustellen, was unentbehrlich oder nützlich ist - ja, setze ruhig noch hinzu, was zum Vergnügen, mindestens zu einem natürlichen und echten Vergnügen, dient“ (Heinisch 1971, 54 ff.). Der Textauszug verdeutlicht: „In Form eines Dialogs präsentiert - wie PLATONs Staat -, ist Utopia (Das Büchlein von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia) eine scharfe Kritik der politischen und sozialen Verhältnis- se im damaligen England. [MORUS’] Traum von Harmonie entstand in einer Zeit der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen dem Adel und den Bauern und den verschiedenen Gesellschaftsschichten untereinander“ (Vercelloni 1994, Tafel 53). Die gesellschaftliche Arbeitsverteilung wird in MORUS’ Händen also zum Werkzeug der Kritik am drohnenhaften Leben des Adels, indem er in seinem idea- len Modell die notwendigen Tätigkeiten gerecht auf alle Schultern verteilt. 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 159 ] CAMPANELLAs mehr als hundert Jahre später entstandene, durch die Reformation beeinflusste konfessionell-pädagogische Sozialutopie „Civitas Solis“ (1623) zeichnet den Entwurf eines Staates, in dem bis ins kl dlich reguliert ist, im privaten Bereich vom Wohnen, Klei- den und Essen bis hin zu Genuss, Ver- gnügen und Paarung ebenso wie im öf- fentlichen Leben von Arbeit und Lohn, über Gesetzgebung und Gericht bis hin zu Glaubensfragen und Kriegswesen. Im Sonnenstaat „werden die öffentlichen Dienste und Arbeiten jedem einzelnen zugeteilt; deshalb genügt es auch, wenn jeder kaum vier Stunden arbeitet. Die üb- rige Zeit verbringt er auf angenehme Weise mit Lernen, Disputieren, Lesen, Erzählen, Schreiben, Spazierengehen, geistigen und körperlichen Übungen und Vergnügungen. [Außerdem gilt,] daß bei ihnen der Militärdienst, der Ackerbau und die Viehzucht gemeinsam zu leisten sind. Jeder muß diese Dienste, die sie als Betätigungen ersten Ranges feiern, kennen. Wer aber mehrere Berufe versteht, wird für vornehmer angesehen, und wer zu einem besonders geeignet ist, wird angehalten, ihn zu lernen. Die mühsamsten Arbeiten sind für sie die lobenswertesten65, wie etwa das Schmiede- und Maurerhandwerk. Und niemand verschmäht es, sie auszuüben, und zwar um so weniger, weil sich ja in ihrer Entwicklung die Neigung und Begabung jeweils zeigt; und infolge der Ar- beitsverteilung kommt niemand zu einem gesundheitsschädlichen, sondern immer nur zu einem zuträglichen Beruf. Die weniger anstrengenden Arbeiten sind Sache der Frauen“ (Heinisch 1971, 136 und 143 f.). Dagegen stellt FRANCIS BACONs etwa zur gleichen Zeit (1624) verfasstes, jedoch erst posthum im Jahre 1638 veröffentlichtes Fragment „Nova Atlantis“ das wissen- 65 Dies ist allen Sozialutopien der Renaissance und der frühen Neuzeit gemeinsam: Die in der historischen Realität als normal geltende Ächtung der schweren Handarbeit ist hier umgekehrt in hohes gesellschaftliches Ansehen. Bild 92: Hochentwickelte Maschinentechnik steigert die Ar- beitsleistung. Eine Wasserrad getriebene Nockenwelle steuert den Schwanzhammer, an dem der Messingschläger arbeitet: „Sie werden aber deswegen Messing-Schlager genen- net / weil sie den Messing unter ihren Hämmern zu breiten Blechen schlagen.“ Kupferstich 1698 (Weigel 1987, 317, 318a) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 160 ] schaftlich organisierte, total technisierte Gemeinwesen der utopischen Insel „Bensa- lem“ im Pazifik vor, „wo sich alles um Erfindungen, Herstellung und Machwerke be- wegt. Mittelpunkt ist [...] eine große, zentralisierte und mit unbeschränkten Mitteln ausgestattete naturwissenschaftlich-technische Forschungsstätte. Hier wird das, was die Menschen brauchen, arbeitsteilig und planmäßig erfunden und zur Fabrika- tion vorbereitet. Und zwar von der Organisation der menschlichen Gesundheit und Krankheit im Zusammenhang mit Klima und Wetter, der rationellen Tier und Men- schenzüchtung, bis zu den Dingen, die es damals noch nicht gab, Mikroskopen, Fernrohren, Unterseebooten, Maschinen, Fabriken zur Anfertigung billiger Konsum- artikel und Massenwaren aller Art, endlich sogar dem Perpetuum mobile, das ohne Verbrauch dauernd Energie liefert. [...] Dies aber wird geradeso wie bei uns heute in Laboratorien, Akademien, von Spezialistengruppen dauernd perfektioniert zu einem Fortschritt ohne Ende“ (Schilling 1966, 255 f.; vgl. Heinisch 1971, 205-213). BACONs Utopie markiert einen radikalen Bruch mit der Tradition und weist weit in die Zukunft voraus. Sie kann gelesen werden als Metapher der Moderne, denn der Essayist setzt seiner darin skizzierten Wissenschaftsgesellschaft „in scharfer Antithetik zur Scholastik nicht Argumente, sondern Techniken (artes), nicht die Besiegung des Gegners durch Disputation, sondern der Natur durch Arbeit“ (Conze 1992/a, 167). zum Ziel. BACON entwickelt eine „scientia activa“ modernen Zuschnitts, die mit Hilfe systematischer Methoden der Naturbeobachtung und des Experimentierens grundlegende Erkenntnisse gewinnt und damit den Men- schen die Voraussetzungen dafür bereit stellt, mit Hilfe der Trias Arbeit - Tech- nik - Fortschritt die Herrschaft über die Natur zu gewinnen und zu sichern. Sei- ne Utopie des technisierten „Nova Atlantis“ entwirft das Bild eines Zukunftsstaa- tes, „in dem der durch die gemeinsame Arbeit und Anstrengung aller, die tech- nisch-potenzierte Ausbeutung und Gewältigung [sic!] der Natur herbeigeführte Güterüberfluß jedes Prinzip der Distribution, jede moralische Beschränkung des Gütergebrauchs entbehrlich machen wird, weil alles für alle im Überfluß vorhan- den ist (vgl. etwa die Utopie des Marxismus). […] Beides, die Vermehrbarkeit der Güter wie die Vermehrbarkeit des Wissens, wird in der Neuzeit zum Inbegriff des erhofften Fortschritts, den allein die menschliche Arbeit, so wird es bald zur all- gemeinen Überzeugung, zu bewirken in der Lage sei“ (Brocker 1992, 449; vgl. u., S. 191 und 254). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 161 ] Ähnliche Ansätze, wenn auch nicht in der radikalen Modernität der Gesellschafts- utopie BACONs, in denen aber immerhin der Antagonismus der schmarotzenden und der arbeitenden Stände aufgehoben ist, finden sich auch in JOHANN VALENTIN ANDREAEs (1586-1654) „Christianopolis“ (1619) sowie in JOHANN GOTTFRIED SCHNABELs (1692- ca. 1750) Fortsetzungs- und Kolportageroman „Insel Felsen- burg“ (1731-1743), deren in Großfamilien lebende Bewohner sogar auf eine Fest- setzung fester Arbeitszeiten verzichten konnten, vielmehr arbeitete jeder freiwillig nur dann, wenn seine Ar- beitskraft tatsächlich ge- braucht wurde. Und jen- seits aller gelehrten Ent- würfe gerechter Gesell- schaften zirkulierten ja auch noch viel weiter ge- hende Phantasien von ei- nem Gemeinwesen, in dem Not und Elend, Krankheit und Tod ebenso unbekannt sind wie Hun- ger, Mühe und vor allem körperliche Arbeit: Im „Schlaraffenland“ herrschen Wohl- leben und steter Überfluss, nichts muss der Natur mühsam abgerungen werden, Arbeit ist sogar verboten und der Faulste steigt auf zum König. Das jedenfalls er- zählt der Schustermeister HANS SACHS (1494-1576) in seinem um 1530 entstan- denen Poem vom „Schlaraffenland“ (zitiert nach otium-bremen.de): „[…] Wer Zucht und Ehrbarkeit hätt lieb, denselben man des Lands vertrieb, und wer arbeitet mit der Hand, dem verböt man das Schlaraffenland. Wer unnütz ist, sich nichts lässt lehren, der kommt im Land zu großen Ehren, und wer der Faulste wird erkannt, derselbige ist König im Land. […]“ Bild 93: Die säkularisierte Idee vom Paradies, in dem Arbeit - wie HANS SACHS meint - verboten ist: „Das Schlaraffenland“ von PIETER BRUEGEL d. Ä. (1525-1569). Öl auf Holz um 1560 (5.555 Meisterwerke 2000, CD 1) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 162 ] 4.1.2 „Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, oh Herr“ Diesen paradiesgleichen Sozialutopien stand allerdings die Realität diametral ge- genüber: „Es steht außer Frage, daß Unter- und Mangelernährung sowie Hunger in akuter Form von ‚Hungerkrisen’ infolge von Mißernten und Teuerung im vorin- dustriellen Europa für große Teile der Bevölkerung fast überall und fast ständig gegenwärtig waren. Die Angst vor elementarem Mangel bildete ein weithin be- stimmendes Lebensgefühl, der Kampf um das täglich Brot im wörtlichen Sinne war die wichtigste Komponente damaliger ‚Armut’. Noch über die Mitte des 19. Jahr- hunderts hinaus mußten ‚weniger bemittelte Familien’ - und dazu zählte selbst ein beträchtlicher Teil des Handwerks - für eine nach Quantität und Qualität besten- falls mäßige Nahrung in Normalzeiten 65-70% ihres Einkommens aufwenden; in den vorangehenden Jahrhunderten dürfte der Prozentsatz sogar eher bei 70-80% gelegen haben. [...] Am ungünstigsten entwickelte sich naturgemäß die Situation derjenigen Bevölkerungsteile, die auf den Erwerb ihrer Nahrung über den Markt angewiesen waren. Der hierfür erforderliche höhere Aufwand ging auf alle Fälle zu Lasten von Quantität und Qualität der Nahrung und zu Lasten von Ausgaben für andere Lebensbedürfnisse. Solch erzwungener Konsumverzicht aber verschlech- terte die Lage der betreffenden Bevölkerungsschichten zusätzlich, weil das da- durch bedingte Sinken der Nachfrage nach den entsprechenden Gütern und Dienstleistungen wiederum ihre eigenen Einnahmen minderte: Für Ernte-, Dresch- und Feldarbeiten wurde weniger Arbeit benötigt; ein Teil des Gesindes mußte aus denselben Gründen bei nächster Gelegenheit mit Entlassung rechnen; Handwer- ker erhielten weniger Aufträge und mußten etwa vorhandenen Gesellen kündigen. Und soweit Arbeit und gewerbliche Produkte dennoch Abnehmer fanden, konnten die Anbieter, wenn überhaupt, nur Preiserhöhungen durchsetzen, die weit unter den Steigerungen der Lebensmittelpreise lagen. Minder- und Mißernten senkten also die Armutsschwelle deutlich ab und drohten die vorhandene beträchtliche Spannweite zwischen Arm und Reich zu vergrößern“ (Hippel 1995, 8 f.).66 So war die frühe Neuzeit aus der Perspektive der „kleinen Leute“ wohl kaum eine Epoche des evolutionären gesellschaftlichen Wandels, des technischen Fortschritts und des geistigen Aufbruchs, sondern vielmehr eine Zeit permanen- 66 Vgl. dazu z. B. auch Gömmel 1998, 63 ff.; Jütte 2000, 28 ff.; Kocka 1990/a, 123 ff. Nach wie vor grundlegend für die gesamte Epoche: Abel 1978, 27-195). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 163 ] ter politischer und religiöser Machtkämpfe sowie existenzbedrohender sozialer Krisen. Als Folge des Versuchs der Feudalherren, die Lasten für die Bauern zu erhöhen und deren Freiheiten weiter einzuschränken, erschütterten tief greifen- de politische Krisen wie der große Bauernkrieg von 1525 das frühneuzeitliche Feudalsystem, und der Versuch, die Kirche an Haupt und Gliedern zu reformie- ren, mündete im 17. Jahrhundert in die europäische Katastrophe des Drei- ßigjährigen Krieges. Aber auch in den Städten nahmen mit dem ausgehenden Mittelalter die sozia- len Konflikte um die Verteilung der Macht und des bürgerlichen Reichtums an Zahl und Schärfe zu, in denen auch die Lohnarbeiter- und Gesellenverbände versuchten, Lohnforderun- gen und verbindliche Ar- beitszeitregelungen durch- zusetzen. Diese durch die Politik ausgelösten Drangsa- le wurden noch zusätzlich verschärft durch die Folgen beschleunigten Bevölke- rungswachstums, ökonomi- scher Stagnation und erheb- licher Klimaschwankungen: „Die als ‚Kleine Eiszeit’ be- nannte epochale Klimaver- schlechterung setzte nach 1560 ein. Die Temperaturen in Mitteleuropa sanken spür- bar, die Winter wurden käl- ter, die Frühjahre und Som- mer kühler und feuchter. [...] Erst während des 18. Jahr- hunderts hellte sich dieses düstere Szenarium, vielleicht unter dem Einfluß der erneuten Klimagunst, wieder auf. Im ausgehenden 17. Jahrhundert wurde der Höhepunkt der ‚Kleinen Eiszeit’ Preis- und Lohnbewegung in Mitteleuropa im 16. Jahrhundert (25 jährige Durchschnitte. Silbergewichte der Münzsummen: 1501-1525 = 100) Bild 94: Die europäische „Preisrevolution des 16. Jahrhunderts“: Die sich öffnende Schere in der Entwicklung von Lebensmittelpreisen und Löhnen bedeutet für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts stark sinkende Reallöhne (Abel 1978, 126 und 1986, 22). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 164 ] erreicht.67 Die Jahre zwischen 1670 und 1701 verzeichneten einen extremen Tempe- raturabfall. Die Winter sollen im Durchschnitt um 2,5 Grad kälter als zwischen 1964 und 1983 gewesen sein. [...] Es ist keine Frage, daß mit dem Einbruch der ‚Kleinen Eiszeit’ seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts die allgemeinen Le- bensbedingungen überall erschwert waren. Unwetter zerstörten oft genug den Lebens- und Wirtschaftsraum und hatten nachhaltige Auswirkungen bis in die sozialen, politischen und kultu- rellen Sektoren hinein. [...] Deutlich erkennbar wird eine unheil- volle Verflechtungskette schlechter Ernten, daraus resultierender hoher Preise, mangelhafter Ernährung und erhöhter Infektionsanfälligkeit, deren vielfältige Rückkopplungseffekte zu dramatischen Einbrüchen in das ‚normale’ demographische Gefüge geführt haben. Als nicht weniger ver- hängnisvoll erscheinen die Auswirkungen im Bereich der Agrarwirtschaft [...]. Auch hier zeigt sich, angestoßen durch die Ungunst der Witterung, eine folgen- schwere Ursachen- und Wirkungsverkettung vieler einzelner Faktoren, denen die frühneuzeitliche Dreifelderwirtschaft bis zu den Reformen im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht gewachsen gewesen ist. Die Klimaverschlechterung während der ‚Kleinen Eiszeit’ dürfte ähnlich weitreichende Folgen für die soziale Lage und den politischen Sektor gehabt haben. So offenkundig man von einem Zusammen- hang zwischen Subsistenzkrisen und sozialen Revolten, zwischen verschärfter wirtschaftlicher Konkurrenz und politisch-militärischen Konflikten, zwischen zu- nehmendem Mangel und den Versuchen, ihm durch ein breites Spektrum diszipli- nierender Strategien beizukommen, ausgehen kann, sowenig sind diese sehr un- 67 GLASER hat in seiner „Klimageschichte Mitteleuropas“ jüngst glaubhaft nachgewiesen, dass in den Jahren zwischen 1630 und 1746 „die längste und markanteste Temperaturdepression der letzten 1000 Jahre liegt“ (Glaser 2001, 176). Bevölkerungsentwicklung in Europa 1500 bis 1800 (geschätzt in Millionen) 1500 1600 1700 1800 Spanien und Portugal 9,3 11,3 10,0 14,6 Italien 10,5 13,3 13,3 1 8,1 Frankreich 16,4 18,5 20,0 26,9 Beneluxländer 1,9 2,9 3,4 5,2 Britische Inseln 4,4 6,8 9,3 15,9 Skandinavische Länder 1,5 2,4 2,8 5,1 Deutschland 12,0 15,0 15,0 24,5 Schweiz 0,8 1,0 1,2 1,8 Osterreich-Ungarn 5,5 7,0 8,8 19,6 Rußland 9,0 13,5 17,5 20,0 Europa 81,8 104,7 115,3 187 Bild 95: Die Tabelle verdeutlicht die Stagnation der Bevölkerungs- entwicklung im 17. Jahrhundert durch das „große Sterben“ im Dreißigjährigen Krieg sowie die „Bevölkerungsexplosion“ des 18. Jahrhunderts. Die Zahlen für Deutschland betreffen die Territorien innerhalb der Grenzen von 1871 (Krebs 1979, 6). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 165 ] terschiedlichen Wirkungen bislang in ihrer komplexen Verknüpfung und gegensei- tigen Beeinflussung erforscht“ (Münch 1996, 140). In diese schier endlose Kette der Heimsuchungen reihte sich schließlich auch die periodisch auftretende Pest, deren Häufigkeit in den Jahren zwischen 1575 und 1650 ein Maximum erreichte: „Unter den Bewohnern der nach allen Richtungen of- fenen und von überall her aufgesuchten Stadt Augsburg wütete die Pest während der 75 Jahre [...] insgesamt siebzehn Mal, das heißt im Durchschnitt jedes vierte bis fünfte Jahr“ (Imhof 1984, 102). Danach flaute der Schwarze Tod langsam ab, um in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich ganz aus Mitteleuropa zu ver- schwinden, aber die Erinnerung daran überdauerte im kollektiven Gedächtnis, denn noch lange danach erbaten unsere Vorfahren den himmlischen Schutz mit der Formel: „Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, oh Herr!“ (Imhof 1984, 91 ff.). Ein Indikator für die seit Beginn der Neuzeit sich wiederholt krisenhaft zuspitzende ökonomisch-soziale Lage der Mehrzahl der Land- und Stadtbewohner sind die „Scherenbewegungen zwischen Löhnen und Preisen [vgl. o. Bild 94, S. 163]: 1. [...] Der Anstieg des Bevölkerungsdrucks und der Nahrungsmittelpreise bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde jäh unterbrochen durch den schwe- ren Einbruch der Pest 1348/49 und die wiederholten schwächeren Seuchen- züge während der nächsten Jahrzehnte; der Bevölkerungsstand ging dadurch schätzungsweise um ein Viertel bis ein Drittel zurück, die verfügbare landwirt- schaftliche Nutzfläche pro Kopf wuchs, die Lebensmittelpreise sanken ange- sichts der verminderten Nachfrage kräftiger als die Löhne. 2. Eine Trendwende im Lohn-Preis-Geschehen zeichnete sich erst während des frühen 16. Jahrhunderts ab; sie dauerte analog zum Bevölkerungswachstum bis tief in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ungebrochen fort. 3. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, vor allem die vom Kriegsge- schehen entschieden geförderten Seuchenzüge führten zu Bevölkerungs- verlusten, wie man sie in dieser Größenordnung aus anderen europäischen Staaten zur damaligen Zeit nicht kennt. Auf etwa ein Drittel des Ausgangsbe- standes geschätzt, waren sie die entscheidende Ursache dafür, daß sich das Lohn-Preis-Gefüge bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein erneut umkehrte, nun wieder zugunsten der knapper gewordenen Arbeitskraft. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 166 ] 4. Das anhaltende Wachstum der Bevölkerung [vgl. dazu Pfister 1994, 8 ff. und 73 ff.], die bis zu diesem Zeitpunkt den Stand von 1620/30 wieder voll erreicht, wenn nicht bereits überschritten hatte, übte erneut zunehmenden Druck auf den Nahrungsspielraum aus und bestimmte damit bis in das frühe 19. Jahrhundert den Umschlag des Lohn-Preis-Geschehens zugunsten der agrarischen Markt- produzenten. Der Lebensstandard der breiten Bevölkerungsschichten war also erheblichen kurz- und langfristigen Schwankungen unterworfen (vgl. Jütte 2000, 36 ff.) und selbst Perioden, die in der wirtschaftsgeschichtlichen Literatur als Phasen ökonomi- schen Aufschwungs und guter Agrar- konjunktur dargestellt werden, erwiesen sich „aus der Perspektive der ‚kleinen Leute’ als Zeiten ökonomischer Ver- elendung. Wie die plötzliche Verknap- pung der Nahrungsmittel durch eine Mißernte, bewirkte auch die langfristige Verknappung des Nahrungsspielraums infolge anhaltenden Bevölkerungs- wachstums eine Umverteilung des Sozi- alprodukts zugunsten der Wohl- habenden und Besitzenden und zu Las- ten des kleinen Mannes. Und sie ver- stärkte nach der Logik des Marktes zu- sätzlich die Einkommensunterschiede innerhalb der Unterschichten. Der Reallohnverfall traf Handwerksmeister meist entschieden weniger als Handwerksgesellen und diese wiederum weniger als un- qualifizierte Arbeitskräfte wie Handlanger und Taglöhner, und er wirkte sich am härtesten für unqualifizierte Frauenarbeit aus, die ohnehin höchstens halb so gut entlohnt wurde wie gleichwertige Männerarbeit. Frauen und Familien, die auf den Zuerwerb auch der Frau angewiesen waren, müssen demnach als Hauptverlierer der ökonomischen Engpaßsituationen und ihrer Pauperisierungseffekte im 16. und 18. Jahrhundert gelten“ (Hippel 1995, 13 f.; Hervorhebungen von mir. HD.; vgl. Jütte 2000, 56 f.). Bild 96: Frauen beim Erzklauben (Trennen des Erzes vom tau- ben Gestein) an der „Klaubetafel“ (A). GEORGIUS AGRI- COLA bemerkt dazu: „Wenn aber die Berghäuer [...] das Erz mit Erde und Stein vermengt haben, so klauben nicht allein Männer das Erz, sondern auch Jungen und Weiber.“ Holzschnitt 1556 (Agricola 2003, 231 f.) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 167 ] Die Pauperisierung war vor allem ein Landproblem, und „die übliche Methode der Städte, fremde Bettler und Vagierende höchstens auf kurz bemessene Frist zu dulden, sie ansonsten auszuweisen und bestenfalls mit einer Wegzehrung (Viati- cum) zu versehen, scheint den Bettel seit dem 16. Jahrhundert ohnehin stärker als zuvor auf das weniger leicht kontrollierbare flache Land abgedrängt zu haben“ (Hippel 1995, 49). Man geht heute davon aus, „daß am Ende des 18. Jahrhun- derts etwa zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung nicht mehr eine ausreichende Absicherung der Nahrungsmittelversorgung aus den selbst bewirtschafteten Flä- chen erzielten. Zu einem großen Teil konnte man sich auch nicht mehr mit einem zusätzlichen Einkommen versehen, so daß diese Familien über den Stand der Armut nicht hinausgehoben wurden“ (Henning 1994, 287 f.). Nimmt man die Fol- gen der zahlreichen Kriege hinzu, die zu einer periodischen Vernichtung von Hab und Gut der unteren Bevölkerungsschichten führten, dann wird nachvollziehbar, dass sich die Basis der Sozialpyramide durch Zunahme der „unterbäuerlichen Be- völkerungsgruppen“ 68 sowie der Randgruppen (Hausierer, Wanderarbeiter, Störer, Bettler, Vaganten und sonstige Unbehauste) kontinuierlich verbreiterte. 68 Dazu zählen sowohl die Besitzer der gerade „noch tragfähigen Kleinbetriebe [...] (z. B. Kötter, Köbler, Seldner)“ als auch jene Dorfbewohner, die nicht von eigenem Grund und Boden lebten wie „Häusler, Büdner (von Bude), Brinksitzer (auf Brink, unbebautem Land, sitzend), Einlieger, Hausleute, Inwohner (da oft in gemieteten Wohnungen lebend), Taglöh- ner, Insten, Hofgänger (gegen Taglohn auf einem Gutshof arbeitend), Heuerling (auf Grund eines Heuervertrags mit ei- nem Bauern an diesen Abgaben und Arbeit leistend als Entgelt für Miete und Pachtland)“ (Hippel 1995, 15 f.), und dazu gehört natürlich auch das Gesinde, dessen Anteil an der Landbevölkerung mindestens 10 % betragen haben dürfte (vgl. Hippel 1995, 23). Bild 97: Arbeitsteilung auf dem Land: Im Vordergrund zwei Frauen bei der Vorbereitung des Flachses zum Verspinnen. Nach dem Raufen, Rösten und Dörren erfolgte das Schwingen (links) und dann das Brechen (Mitte) des Flachses. In der Tenne im Hin- tergrund arbeiten zwei Männer mit dem Dreschflegel (Bohnsack 2002, 86). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 168 ] Doch auf Dauer blieben auch die Städte von diesem Problem nicht unberührt. Da sie aber aufgrund der Grundbesitz- und Rechtsverhältnisse kaum wachsen und deshalb zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten nur in bescheidenem Maße geschaffen werden konnten, schotteten sie sich zunehmend ab gegen den Ansturm der Armen von außen, indem sie den Zunftzwang drastisch verschärften, dem städtischen Handwerk Monopol- stellung zu schaffen suchten, Gesellen jede Berufstätigkeit außerhalb der Zünf- te verboten (vgl. Ven 1972, 253 ff.). und das Betteln unter scharfe Strafe stell- ten: „Waren die Armen noch in das reli- giös-soziale Gefüge der mittelalterli- chen Gemeinschaften integriert, so wird der Bettler nun unter dem Einfluß der ethischen Auffassungen, des sozioöko- nomischen Wandels und der damit zu- sammenhängenden großen Zahlen von entwurzelten, vagabundierenden und notleidenden Personen und ganzen Familien zunehmend zu einer wenig freundlich betrachteten Figur. Die so- zioökonomischen Ursachen des Phä- nomens der großen Zahlen von Paupe- ren blieben von den Zeitgenossen noch weitestgehend unbeachtet, noch gab es kein Bewußtsein für sozialen und ökonomischen Wandel, seine Ursachen und Folgen; nur das Bewußtsein, daß Arbeit personale, soziale und religiöse Verpflich- tung ist, bestand weiter. Die Folge ist eine bis heute nachwirkende ‚Behandlung’ von Armen, Arbeitslosen und Delinquenten: Arbeit als Lebensunterhalt und als Strafe, als Korrektur und als Zwang. Arbeits- und Besserungsanstalten entstanden im 16. und 17. Jahrhundert, wobei das Londoner ‚Bridewell’ besonders bekannt wurde. Es war als Manufaktur organisiert, deren Arbeiter Arme und Kriminelle wa- ren, die unter strengster Aufsicht und Kontrolle zwangsweise darin arbeiteten“ (Mikl-Horke 2000, 22; vgl. Jütte 2000, 224 ff.). Mit dem christlichen Gedanken, Bild 98: „Das Rasp- oder Zuchthaus. Auff verachten Fleiß, folgt der Straffe Schweiß Der Sägen scharff gefeilte Zähne, zermalen nach und nach in Späne, Holz das fast Eisen trotzen kann. So auch zernichtet faules Leben, die Starken, die sich ihm ergeben, und wirfft sie auff die Laster-Bahn“ Kupferstich nach 1699 (Weigel 1987, Anhang) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 169 ] dass Arbeit gottgewollt sei,69 „war eine Verfleißigungskampagne enormen Aus- maßes verbunden. Der Kampf gegen den Müßiggang - er galt in der Antike als ‚Al- ler Laster Anfang’ - erfuhr seit dem 16. Jahrhundert eine wesentliche Ver- schärfung“ (Münch 1996, 359) und mündete letztlich in die Vorstellung, „daß Arbeit sowohl Strafe wie Zucht und Erziehung sein und daher von der Obrigkeit erzwun- gen werden konnte. Dem entsprachen Arbeits- und Zuchthäuser, die seit dem 16. Jahrhundert von calvinistischen Ländern, besonders Holland, ausgingen. Labore nutrior, labore plector; Durch Arbeit ich ernehre mich, durch Arbeit man bestrafet mich; Miseris et malis, so und ähnlich lauteten die Hausinschriften dieser Arbeits- häuser“ (Conze 1992/a, 165). In der „Politik des großen Einsperrens“ (Jütte 2000, 235) mit ihrem systematischen Aufbau von Zucht- und Arbeitshäusern kann man also auch die Säkularisierung der alttestamentarischen Vorstellung von der Arbeit als Sündenstrafe sowohl in pädagogischer als auch in ökonomischer Hinsicht sehen. Dass durch die Einflüsse der Aufklärung eine positiv beurteilte pädagogisch-disziplinierende Funktion integraler Bestandteil der Definition menschlicher Arbeit geworden war, lässt sich auch ablesen an IMMANUEL KANTs (1724-1804) Arbeitsbegriff, den er in seinen „Vorlesungen zur Pädagogik“ so explizierte: „Man kann beschäftigt sein im Spiele, das nennt man in der Muße beschäftigt sein; aber man kann auch beschäftigt sein im Zwang, und das nennt man Arbeiten. [...] Es ist ohnedies schon ein be- sonderes Unglück für den Menschen, daß er so sehr zur Unthätigkeit geneigt ist. Je mehr ein Mensch gefaullenzt hat, desto schwerer entschließt er sich dazu, zu arbeiten. [...] Die Frage: ob der Himmel nicht gütiger für uns würde gesorgt haben, wenn er uns Alles schon bereitet hätte vorfinden lassen, so daß wir gar nicht ar- beiten dürften, ist gewiß mit Nein zu beantworten: denn der Mensch verlangt Ge- schäfte, auch solche, die einen gewissen Zwang mit sich führen. Ebenso falsch ist die Vorstellung, daß, wenn Adam und Eva nur im Paradiese geblieben wären, sie da gar nichts würden gethan, als zusammengesessen, arkadische Lieder gesun- gen und die Schönheit der Natur betrachtet haben. Die Langeweile würde sie ge- wiß eben so gut als andere Menschen in einer ähnlichen Lage gemartert haben. 69 Diese Auslegung stützt sich z. B. sowohl auf die bereits erwähnte Bibelstelle Exodus 20,9 („Sechs tage soltu erbeiten“, s. o. 3.1.2, S. 113) als auch auf LUTHERs Übersetzung des 90. Psalms: „Vnser Leben wehret siebenzig Jar / wens hoch kompt so sinds achtzig jar / Vnd wens köstlich gewesen ist / so ists Mühe vnd Erbeit gewesen / Denn es feret schnell da hin / als flögen wir dauon.“ (Psalm 90,10; zitiert nach Luther 1973, 1045). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 170 ] [...] Das Kind muß also zum Arbeiten gewöhnt werden. Und wo anders soll die Neigung zur Arbeit cultiviert werden, als in der Schule? Die Schule ist eine zwangmäßige Kultur. [...] Hang zur Gemächlichkeit ist für den Menschen schlim- mer, als alle Übel des Lebens. Es ist daher äußerst wichtig, dass Kinder von Ju- gend auf arbeiten lernen“ (Kant 1968/a, IX, 470 ff.; Hervorhebung von mir. HD.). KANT setzt offenbar voraus, dass der Mensch einerseits seinem Wesen nach stete Beschäftigung braucht, aber dennoch zum Nichtstun neigt, und dass andererseits dieser objektiv verwerfliche Charakterzug durch frühzeitige Arbeitserziehung kom- pensiert werden muss und kann. Systematische Arbeitserziehung ist demnach ein konstituierendes Element der KANTschen Pädagogikkonzeption70, die offensichtlich an JOHN LOCKE (1632-1704) anknüpft, der sich wiederholt über die pädagogische Funktion von Arbeit äußerte und 1697 in ei rt hatte, die Erzie- hung der Jugend zu Arbeit und Ordnung „is of no small consequence to the making of them sober und industrious all thier lives after“ (zitiert nach Peters 1997, 231). Eng mit dieser Pädagogisierung der körperlichen Arbeit verknüpft war auch die ökonomische Intention, „aus der Einrichtung des Zuchthauses den größtmögli- chen Nutzen zu ziehen. Die Zuchthäuser boten ein großes Potential billigster Ar- beitskräfte, was lag also näher, als dieses durch Einrichtung von Produktionsstät- ten im Interesse des Staates zu nutzen. Das ging so weit, daß man Zuchthäuser an Privatunternehmer verpachtete, die aber keinerlei Interesse an dem kriminalpo- litischen Ziel dieser Anstalten hatten, sondern mehr noch als der Staat nur die größten Gewinne erzielen wollten“ (Hinckeldey 1984, 352). Auch wenn sich die wirtschaftlichen Vorstellungen, diese Besserungsanstalten zu gewinnbringenden Produktionsstätten weiter zu entwickeln, nicht realisieren ließen (vgl. Jütte 2000, 233), so kann man in der Einrichtung von Zucht- und Arbeitshäu- sern zumindest einen Beleg sehen für das allgemeine Bestreben der herrschen- den Eliten der frühen Neuzeit, die Arbeit zu integrieren in das Disziplinierungs-In- strumentarium der absolutistischen Monarchien (vgl. Treiber/Steinert 1980, 33 ff.), mit denen diese zum einen die durch Humanismus und Aufklärung geförderten Auflösungserscheinungen der feudalen Bindungen einzudämmen und zum ande- 70 Die Pädagogik-Vorlesung, deren Aufzeichnungen 1803 erstmals veröffentlicht wurden, hat KANT in der Zeit zwischen 1776 und 1787 nachweislich viermal gehalten (vgl. Jens 1988, Bd. 9, 143). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 171 ] ren die ökonomische Instrumentalisierung des selbstbewusster werdenden Indivi- duums für den sich entwickelnden Kapitalismus - auch mit der entsprechenden Gewaltanwendung - durchzusetzen versuchten. So weiß etwa OSKAR NEGT zu be- richten, „daß die Anfangsgeschichte der Verinnerlichung des Arbeitszwangs mit Blut und Feuer in die Annalen der Geschichte eingeschrieben ist. 72000 Men- schen, die ihre Handwerksbetriebe verloren hatten und die das Vagabundenda- sein der trostlosen Arbeit in den neuentstandenen Manufakturen vorzogen, hatte Heinrich VIII. um 1530 aufhängen lassen; Königin Elisabeth hatte um 1572 ver- ordnet, Bettler ohne Lizenz und über 14 Jahre sollten hart gepeitscht und am lin- ken Ohrlappen gebrandmarkt werden, falls sie keiner für zwei Jahre in Dienst nehmen will; im Wiederholungsfall, wenn über 18 Jahre alt, sollten sie hingerichtet werden“ (Negt 1984, 41). Bild 99: „Der Kupferstich zeigt typische, öffentlich vollzogene Arbeits-, Ehren- und Policeystrafen, mit denen ‚abweichende’ bzw. ‚kriminelle’ Untertanen diszipliniert werden sollten. Die Frau links im Bild trägt eine ‚Halsgeige’ und wird durch die Stadt ‚getrie- ben’, wobei ein Geistlicher sie mit Ermahnungen begleitet. Deutlich zeigt sich hier die Verschränkung von Strafe, sozialer Diszipli- nierung und Kirchenzucht. Solche Disziplinierungsmaßnahmen waren vor allem bei sexuell abweichendem Verhalten wie der ‚Un- zucht’ üblich. Rechts im Bild die sogenannte Karrenstrafe, eine Arbeitsstrafe, die insbesondere gegen ‚Müßiggänger’, Bettler und Va- ganten verhängt wurde. Die disziplinierende Wirkung der dargestellten Strafen zielte nicht nur direkt auf den ‚Delinquenten’. Viel- mehr sollten alle Untertanen durch den öffentlichen Vollzug solcher entehrenden Sanktionen abgeschreckt und damit ebenfalls diszipliniert werden.“ Kupferstich 17. Jahrhundert (Völker-Rasor 2000, 297) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 172 ] Aber trotz solch überaus gewaltsamer, auf religiöse Umwertungen des Arbeitsbe- griffs gestützte Präfiguration der Arbeitsdisziplin des künftigen industriösen Men- schen, vermochte erst die industrielle Revolution mit Maschine und Fabrik, mit Wissenschaft und Taylorismus die Arbeitenden nachhaltig zu disziplinieren. 4.1.3 „Aus den Mönchszellen heraus“ Ohne Zweifel hat die Reformation mit ihrer Verurteilung des adeligen und geistli- chen Nichtstuns sowie mit ihrem Kampf gegen Arbeitsscheu und Faulenzertum einerseits und der Gleichsetzung der harten manuellen Tätigkeit der Bauern und Handwerker mit dem Gottesdienst andererseits wesentlich zu einer Aufwertung der Arbeit beigetragen. Obwohl hier nicht detailliert erörtert oder gar geklärt wer- den kann, „inwiefern es sich dabei jeweils primär um Wirkungen der Reformation oder um das Aufnehmen reformatorisch - protestantischen Denkens für primär po- litisch-wirtschaftliche Zwecke gehandelt hat“ (Conze 1992/a, 164), scheinen den- noch einige Klarstellungen angebracht, mit denen versucht werden soll, den zu- weilen doch recht kurzschlüssig begriffenen Anteil MARTIN LUTHERs (1483-1546) an dieser Entwicklung korrekt zu dimensionieren. Auch in neueren Werken der einschlägigen Fachliteratur werden LUTHER und die Reformation zuweilen in einen wohl zu sehr simplifizierenden Zusammenhang mit dem Prozess der Neubewertung des Arbeitsbegriffs im ausgehenden Mittelalter gebracht, wie etwa in der „5., vollständig neubearbeitete[n] Auflage“ von MIKL- HORKEs Einführung in die Industrie- und Arbeitssoziologie, wo es sehr vereinfa- chend heißt: „Am Beginn der Neuzeit lassen sich zwei regional und kulturell unter- schiedliche Entwicklungen in bezug auf die Bewertung und Interpretation der Ar- beit ausmachen: die Arbeits- und Berufsethik der Reformation, die sich vor allem in den Gebieten nördlich der Alpen, in Deutschland, Skandinavien, England ver- breitete, und der Humanismus und die Renaissance-Ideale des Künstler-Hand- werkers in Italien. [...] MARTIN LUTHER und die Reformation unterstrichen die Idee des Berufs, denn die Trägerschichten des Protestantismus waren die städtischen Handwerks- und Kaufmannsschichten, die sich damit nicht nur gegen Rom, son- dern auch gegen die adelige Oberhoheit wehrten. Anders als die Arbeit in den Klöstern war die protestantische Arbeitsauffassung auf die rastlose Berufsarbeit gerichtet“ (Mikl-Horke 2000, 22). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 173 ] Eine differenziertere Betrachtung verdeutlicht hiergegen, dass dieses Urteil so al- lenfalls Luthers „Verdienste“ um den Berufsbegriff meinen kann (vgl. u. 4.2, S. 208), denn wie längst überzeugend dargetan wurde, hat Luthers Arbeitsbegriff „nicht nur keine neuartige, weltzugewandte Berufsethik, sondern hat auch in kei- ner Weise moderne, bürgerliche Arbeitsauffassungen bewirkt. Die Berufslehre LU- THERs war eine Betonung der absoluten ökonomischen und kulturellen Leistungs- unfähigkeit des Menschen. Sie bedeutet damit [...] eine Reduktion der menschli- chen Tätigkeit auf den Schein. Angesichts dieser durch die allein wirkmächtige Tä- tigkeit Gottes ökonomisch wertlosen Tätigkeit des Menschen davon zu spre- chen, daß LUTHER mit seinen Lehren von der Arbeit ‚sehr wesentlich’ zur Schaf- fung der Voraussetzungen ‚für die spätere Herausbildung der klassischen bürger- lichen Arbeitswertlehre’ beigetragen hat, ist zweifellos als das groteskeste Miß- verständnis LUTHERs zu bezeichnen. Die Arbeitslehre LUTHERs war in keiner Hinsicht bürgerlich, weder in Hinblick auf den bürgerlichen Arbeitsbegriff von Aufklärung und Klassik noch im Sinn des öko- nomischen Bürgerbegriffs (Bourgeois). Von der Theologie und Ethik LUTHERs gab es direkt keine Verbindung zu dem modernen kapitalistischen Arbeitsverständ- nis“ (Wiedemann 1979, 293; Hervorhebungen von mir. HD.). LUTHER betonte viel- mehr die negative Seite des mittelalterlichen Arbeitsverständnisses, nämlich das biblische Arbeitsgebot als Sündenstrafe und begründete damit eine Sozialethik, die „mit ihrer besonderen Betonung der ökonomischen Leistungsunfähigkeit des Men- Bild 100: Arbeit an der „Drahtziehmühle mit Pleuelstange, Sc hocke und halbautomatisch schließender Zange durch Ringme- chanik. Holzschnitt aus dem 1540 in Venedig gedruckten Werk ‚De la pirotechnica’ von VANNICO BIRINGUC- CIO“ (Schmidtchen 1997, 381) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 174 ] schen einen erheblichen Beitrag dazu geleistet hat, auf die eigene Tatkraft bauen- de, selbstbewußte Äußerungen von Handarbeitenden und Handeltreibenden zu un- terbinden“ (Wiedemann 1979, 289 f.; vgl. dazu auch Walther 1990, 14). Eine korrekte Beurteilung der Auswirkungen der Reformationstheologie auf den Wandel des Arbeitsbegriffs hat zudem zu berücksichtigen, dass die Reformato- ren mit ihrer „Arbeitslehre keinerlei dynamische Vorstellungen, sondern lediglich statische und restriktive Tendenzen verbanden. Mit LUTHERs ‚Jesus Sirach’-Über- setzung - ‚Wer sich mit seiner Erbeit neeret / vnd lesst jm genügen / der hat ein fein rügis Leben / Das heisst einen Schatz vber alle schetze finden’ - begann der folgenreiche Siegeszug eines Lebensideals, das in der Ruhe seine tiefste Erfül- lung und Befriedigung finden wollte. Eng verknüpft mit dem bei PAULUS angesprochenen Leitbild der ‚Genügsamkeit’ und untermauert mit der aristotelischen Autarkie-Lehre erschien das ‚ruhige Leben’ ge- wissermaßen als Lohn für die Tätigkeit in einem ehrbaren Beruf. Dazu gehörte, daß man sich mit dem von Gott übertragenen Amt begnügte und sich nicht zu anderen oder gar zu gleichzeitig mehreren Beschäftigungen verführen ließ. [...] Auch allen so- zialen Aufstiegsgelüsten wurden strenge Absagen erteilt. Wer als Handwerksmann Schichtmeister oder Steiger, als Bürger Edelmann, als Schichtmeister Pfarrer, als Pfarrer Superintendent werden wollte, also unzufrieden immer neue Ziele jenseits der ihm vorgezeichneten Grenzen anstrebte, befände sich, wie man annahm, in einem Zustand beständiger Unruhe, wäre mithin sogar unfähig zum Genuß der ihm verlie- henen Güter. Käme er jedoch seinen Berufsgeschäften mit Gottvertrauen, fleißig, treu, wahrhaftig und redlich nach, dann würde ihm seine Arbeit keine Last, sondern ‚nur eine Lust’ sein. [...] Vom Leitbild des ruhigen, stillen und sanften Lebens, das den Predigern vorschwebte, gingen keine revolutionären Impulse aus. [...] Die konservati- ven Soziallehren LUTHERs und seiner Nachfolger führten in direkter Linie zu den Idea- len der Zufriedenheit, der sparsamen Frugalität und der bescheidenen Genügsam- keit, die im 18. Jahrhundert den guten Bürger auszeichnen sollten: Wie glücklich lebt in niedern Hütten, Wer ferner Städte Lärm verlacht, Wer nicht mit unzufriednen Bitten Die weise Vorsicht müde macht!“ (Münch 1996, 361 f.). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 175 ] Wer also die Reformation als Ursprung eines neuen Arbeitsbegriffs zu retten gedenkt, kann für diese These nun schwerlich LUTHER selbst als Kronzeugen benennen, und dies hat MAX WEBER (1864-1920), auf den sich diejenigen meist berufen, die LUTHERs unmittelbare Ur- heberschaft für das neuzeitliche Ar- beits- und Berufsverständnis betonen wollen, bei genauerem Hinsehen auch nicht getan (vgl. Wiedemann 1979, 117). Vielmehr stützt WEBER seine Er- kenntnisse über die besondere Rolle der „protestantischen [Arbeits]Ethik“ bei der Entstehung des Kapitalismus ausdrücklich auf eine Analyse der Leh- ren jener Nachfolger des Wittenber- gers, die dessen Lehrgebäude umbau- ten, ja, z. T. sogar schleiften und neu errichteten.71 WEBER analysierte in seinen religions- soziologischen Studien die Auswirkun- gen des Calvinismus’ (JOHANN CALVIN 1509-1564), des Puritanismus’ (JOHN MILTON 1608-1674), des Pietismus’ (PHILIPP JAKOB SPENER 1635-1705) und des Methodismus’ (JOHN WESLEY 1703-1791) auf das Arbeits- und Er- werbsethos und kam zu dem Ergebnis, sie seien Ursache dafür, dass die Zeit- genossen in der beruflichen Organisati- on der Arbeit den Schlüssel für die Erlangung des Gnadenstandes gesehen hät- ten. Im Alltag hat dies nach WEBERs Überzeugung dann dazu geführt, dass der wirtschaftlich-materielle Erfolg zum Signum für die berechtigte Aussicht des Erfolg- reichen auf den göttlichen Gnadenstand wurde. Während von diesem Standpunkt 71 „CALVIN war gesellschaftlich gesehen beinahe der Antipode LUTHERs“ (Ven 1972, Bd. 2, 233). Bild 101: Vorindustrielle Maschinenarbeit am Zeinhammer. Zeiner oder „Zainschmiede schmiedeten in den Ham- merwerken aus den Grobeisenstäben der Hüttenwerke das Zaineisen, ein Halbzeug (Stab- und Bandeisen), zur weiteren Verarbeitung durch Messer-, Klingen-, Sensen- und Nagelschmiede, Drahtzieher und andere. [...] Die Reck- und Zainhämmer als selbständige Ham- merwerke kamen in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts auf.“ Kupferstich 1698 (Bild: Weigel 1987, 348; Zitat: Palla 1997, 361) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 176 ] aus Reichtum legitimiert und sittlich aufgewertet wurde, musste Armut als schuld- haft sündiges Versagen des Einzelnen gedeutet werden. Zusätzliche Legitimation erfuhr der bürgerliche Reichtum dadurch, dass er durch rastlose (Berufs-)Arbeit er- worben und durch frugale Lebensführung bewahrt wurde. MAX WEBER selbst bewertete diese Diagnose des protestantischen Anteils an der Konfiguration der kapitalistisch-industriellen Erwerbsethik nicht positiv, „denn in- dem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebunde- nen, Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller Einzelnen, die in dieses Triebwerk hineingeboren werden - nicht nur der direkt ökonomisch Er- werbstätigen -, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. [...] Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewan- nen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist - ob endgültig, wer weiß es? - aus diesem Gehäuse entwichen“ (Weber 1969, 188; Hervorhebung von mir. HD.). Ein nachgerade seherisches Verdikt, das im 21. Jahrhundert an Aktualität noch zu gewinnen scheint. Man sollte sich jedoch durchaus davor hüten, die „Entstehung des kapitalistischen Geistes“ im 18. und 19. Jahrhundert als lineare Funktion „protestantischer Ethik“ zu interpretieren,72 denn „auch der Calvinismus zeigt noch bis ins 17. Jahrhundert hinein eine im höchsten Grade antikapitalistische Tendenz. Die puritanischen Pre- diger waren durchaus bäuerlich-handwerksmäßig eingestellt: bot doch eine solche Wirtschaftsverfassung ‚einen viel passenderen Rahmen für ihre antiweltlichen Lehren’ (SOMBART). Gewiss hat der Puritanismus schließlich die bourgeoise Le- bensführung als mit dem Gnadenstand verträglich anerkannt; aber das entsprach 72 Bereits WEBER selbst sah sich genötigt, vor einer solchen Fehlinterpretation zu warnen: „Denn es soll ja lediglich un- ternommen werden, den Einschlag, welchen religiöse Motive in das Gewebe der Entwicklung unserer aus zahllosen historischen Einzelmotiven erwachsenen modernen, spezifisch ‚diesseitig’ gerichteten Kultur geliefert haben, etwas deutlicher zu machen. Wir fragen also lediglich, was von gewissen charakteristischen Inhalten dieser Kultur dem Einfluß der Reformation als historischer Ursache etwa zuzurechnen sein möchte. [...] Aber andererseits soll ganz und gar nicht eine so töricht-doktrinäre These verfochten werden wie etwa die: daß der ‚kapitalistische Geist’ (immer in dem provisorisch hier verwendeten Sinn dieses Wortes) nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können, oder wohl gar: daß der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ein Erzeugnis der Reformati- on sei. Schon daß gewisse wichtige Formen kapitalistischen Geschäftsbetriebs notorisch erheblich älter sind als die Reformation, stände einer solchen Ansicht ein- für allemal im Wege. Sondern es soll nur festgestellt werden: ob und wieweit religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion jenes ‚Geistes’ über die Welt hin mitbeteiligt gewesen sind und welche konkreten Seiten der auf kapitalistischer Basis ruhenden Kultur auf sie zurückgehen“ (Weber 1969, 76 f.; vgl. Conze 1992/a, 166). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 177 ] nicht seinem inneren Wesen, sondern war ein offenbares Nachgeben gegenüber der Macht der ökonomischen Verhältnisse - ganz entsprechend dem Nachgeben auch der katholischen Wirtschaftsethik. Im Grunde haben beide Konfessionen [...] in milderndem, hemmendem und bindendem Sinne eingewirkt und das Erwerbs- streben auf der Stufe des Frühkapitalismus fest halten helfen. [Letztlich waren es erst die] rationalen Tendenzen der Aufklärung, [...] die auch den Protestantismus innerlich verwandelten“ (Martin 1974, 154 f.). Die von MAX WEBER beschriebene kapitalistische Erwerbsethik ist also eine Legierung aus protestantischer Ethik und aufklärerischem Rationalismus. 4.1.4 „Sapere aude!“ Deshalb gilt es sich nun der Philosophie der Aufklärung zuzuwenden, deren Ein- fluss auf den Wandel des Arbeitsbegriffs wohl kaum zu überschätzen sein dürfte, denn im Verein mit der Reformation bringt sie die hergebrachte Ordnung zunächst ins Wanken und am Ende sogar zum Einsturz. Mit der Naturrechtslehre73 vom Staatsvertrag74 und dem die autonome Vernunft zum Kriterium menschlichen Denkens erhebenden Rationalismus75 waren in ihr zwei bis in das späte Mittelal- ter zurück reichende Strömungen zu einem Gedankengut zusammen geflossen, dessen revolutionäre Wirkung schließlich im 18. Jahrhundert kulminierte. Die wohl bekannteste Antwort auf die Frage, „Was ist Aufklärung?“, gab 1783, also unmittelbar vor der Französischen Revolution, IMMANUEL KANT mit seiner Definiti- on: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschulde- ten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündig- keit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu be- 73 „Unter ‚Naturrecht’ versteht man gemeinhin das System rechtlicher Normen, die für alle Menschen als Vernunftwe- sen, auch ohne und im Konfliktfalle sogar gegen alle positiven, insbesondere staatlichen Gesetze und Weisungen, überall und jederzeit verbindlich sind" (Ilting 1978, 245). 74 Die Vertragstheorie wurde in Deutschland vor allem durch SAMUEL PUFENDORF im 7. Buch seiner Naturrechtslehre be- gründet: „Wie HOBBES, sah PUFENDORF die von ihm ‚Staat’ genannte Organisation vertragsrechtlich, also durch menschliche Willensentscheidung, nicht durch göttliche Stiftung entstanden. [...] Da die ‚Hausväter’ es um ihrer Sicher- heit willen führen nötig gehalten hätten, sich zur societas civilis zusammenzufinden, sodann ihre Regierungsform zu beschließen und schließlich durch einen Unterwerfungsvertrag einen Herrscher anzuerkennen, dem sie (im eigenen In- teresse) Gehorsam zu leisten sich verpflichteten, während der Herrscher dem Wohle der Untergebenen dienen sollte“ (Boldt 1990, 17). 75 Der auf RENÉ DESCARTES zurückgehende Begriff Rationalismus (von lat. ratio, Vernunft) bezeichnet „eine Geistes- haltung, bei der die Fähigkeit des Menschen, durch begriffliches Denken die letzten Zusammenhänge des Seins, und zwar gerade auch in ihrer Widersprüchlichkeit, zu erhellen, als ausschlaggebend erscheint“ (Fuchs 1972, 644). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 178 ] dienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“ (Kant 1999, 20). Ziel dieser europäischen Geistesbewegung war demnach „die Emanzipation des Menschen aus der Welt des geschichtlichen Herkommens, d. h. seine Befreiung von allen Autoritäten, Lehren, Ordnungen, Bindungen, Institutionen und Konventio- nen, die der kritischen Prüfung durch die autonome menschliche Vernunft nicht standzuhalten vermögen, sich der Ein- ordnung in ihr gesetzmäßiges System entziehen und sich infolgedessen als Aberglaube, Vorurteil, Irrtum usw. erwei- sen. Im Zuge dieser ,Entzauberung’ strebt die Aufklärung die Erziehung des Menschen zu einem selbstbewußten Vernunftwesen und zu einer selb- ständigen sittlichen Lebensweise an, die nicht durch die Überlieferung und die Wahrheit einer positiven Religion, son- dern durch die Vernunft und die von ihr kraft ihres selbsteigenen Vermögens klar, deutlich und nachprüfbar erkannte Wahrheit über Gott, Welt und Mensch bestimmt ist. Als Basis der Aufklärung erscheint somit die absolut gesetzte, für unwandelbar und allgemeingültig gehal- tene Vernunft“ (Stuke 1992, 245). Da der Mensch also die von ihm vorgefundene Welt nicht mehr als Axiom auffas- sen sollte, als unantastbares Werk Gottes, das sowohl seiner Beurteilung als auch seiner Bearbeitung entzogen ist, sondern als kritikwürdige und veränderbare Rea- lität begreifen und sich sogar beauftragt fühlen sollte, die defizitäre Wirklichkeit seinen Bedürfnissen anzupassen, musste die bisher überwiegend als Last und Strafe empfundene körperliche Arbeit des Menschen zwangsläufig in ein positives Element des irdischen Daseins umgedeutet werden. Bild 102: IMMANUEL KANT. „Im ostpreußischen Königs- berg wurde Immanuel Kant am 22. April 1724 geboren und ver- brachte fast sein ganzes Leben in dieser im 18. Jhd. sehr regen und weltoffenen Stadt. [...] Sehr selbstbewußt bereitete Kant schon mit 22 Jahren eine Schrift zur Drucklegung vor, um in einer Streitfrage zwischen Leibniz, Descartes und Newton zu vermit- teln. [...] Das monumentale Werk, mit dem Kant und sein ‚transzendentalphilosophischer’ Ansatz berühmt und zugleich hef- tig umstritten wurden, die ‚Kritik der reinen Vernunft’, erschien nach weit über zehnjähriger Ausarbeitungszeit im Mai 1781. [...] Kant starb am 12. Februar 1804.“ Anonymes Porträt um 1790 (Bild: Delius 2000, 70; Zitat: Blum 1995, 167) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 179 ] Tragendes Fundament des gesamten aufklärerischen Ideengebäudes ist die axi- omatische Vorstellung von einem, das Wesen des vernunftbegabten Individuums konstituierenden vorstaatlichen Naturrecht, dem eine spezifische Menschenwür- de entspringt, die sich ihrerseits aus ei- nem Wertesystem im Spannungsfeld der Pole Freiheit und Gleichheit zu- sammensetzt. Im Definitionsprozess des Begriffs der Menschenwürde ent- wickelten die Denker der Aufklärung76 im Laufe der Zeit ein schlüssiges Sys- tem der Menschenrechte, in das ne- ben einer Reihe anderer auch die Ar- beit integriert ist. So erklärt die „Bill of Rights of Virginia“ vom 12. Juni 1776, als die erste in politische Praxis umge- setzte naturrechtliche Konstitution77 in ihrem Artikel 1: „Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse an- geborene Rechte, deren sich ihre Nachkommenschaft bei der Begrün- dung einer politischen Gemeinschaft durch keinerlei Abmachungen berau- ben oder zwingen können, sich ihrer zu begeben; nämlich das Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu behalten und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen“ (zitiert nach Peter 1964, 141). Dass hier das Recht auf Eigen- tum gleichberechtigt neben die zentralen Konstituanten von Demokratie und Men- schenwürde Freiheit und Gleichheit gestellt wird, geht zweifellos auf JOHN LO- CKEs „Two Treatises of Government“ aus dem Jahre 1690 zurück, denn er war der 76 Etwa HUGO GROTIUS (1583-1645), THOMAS HOBBES (1588-1679), RENÉ DESCARTES (1596-1650), BARUCH DE SPINOZA (1632-1677), SAMUEL PUFENDORF (1632-1694), JOHN LOCKE (1632-1704), GOTTFRIED WILHELM LEIB- NITZ (1648-1716), CHRISTIAN WOLFF (1679-1754), CHARLES DE MONTESQUIEU (1689-1755), FRANÇOIS M. A. DE VOLTAIRE (1694-1778), DAVID HUME (1711-1776), JEAN JACQUES ROUSSEAU (1712-1778) u. a. 77 Ihre verfassungsgeschichtlichen Vorläufer waren die drei berühmten englischen Freiheitsdokumente: „Magna Charta Li- bertatum“ (1215), „Habeas-Corpus-Akte“ (1679) und „Bill of Rights“ (1689) (vgl. Heidelmeyer 1982). Bild 103: In der Epoche der Aufklärung formte sich im 18. Jahrhundert auch „der Topos des neuen Menschen“, der ar- beitend, ausgestattet mit vorstaatlichen Menschenrechten, auf den Trümmern der feudalen Welt neue Staaten und Gesellschaften errichtet. Verknüpft mit messianischen Vorstellungen taucht der neue Mensch in der sozialistischen Ideologie ebenso wieder auf wie im 20. Jahrhundert im Faschismus und Petainismus. Kup- ferstich von JACQUES- LOUIS PEREE, Homme enfin satisfait (Die Erneuerung des Menschengeschlechts) aus dem Jahre 1794 (Völker-Rasor 2000, 66) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 180 ] erste Staats- und Wirtschaftstheoretiker, der systematisch deduzierte, warum pri- vates Eigentum auf legale Weise ausschließlich durch Arbeit und individuelle Leistung erworben werden könne.78 Da dieser „Paradigmenwechsel“ (Brocker 1992, 12) einen entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung der Bewertung menschlicher Arbeit markiert, soll darauf im Folgenden etwas ausführlicher einge- gangen werden. 79 LOCKE löst mit seiner „Arbeitstheorie“ die seit CICERO geltende „Okkupationstheo- rie“ über Entstehung und Legalisierung des Privateigentums ab. Beide Theorien beruhen auf der Annahme einer im Urzustand der Menschheit bestehenden „Gü- tergemeinschaft“, denn Gott habe die gesamte Welt „den Menschen zum Unterhalt und zum Genuß ihres Daseins gegeben. Alle Früchte, die sie natürlich hervorbringt, und alle Tiere, die sie ernährt, gehören den Menschen gemeinsam“ (Locke 1967, 217 f.). Gerade für überzeugte Christen, die dies als gegeben anerkennen, erhebt sich dann aber zwangsläufig die Frage, wie - scheinbar gegen den erklärten Willen Gottes - der Umschlag von der gemeinsamen Nutzung der Güter zum Privateigen- tum erfolgen konnte. Während die seit Jahrhunderten geläufige Erklärung die Ent- stehung von Privateigentum zum Resultat einer durch Zustimmung sanktionierten Aneignung (Okkupation) der Güter erklärte, deren Legitimität wiederum auf der na- türlichen Ungleichheit der Menschen basierte, geht LOCKEs Theorie von der Prä- misse aus, Gott habe den Menschen als freies und gleiches Wesen mit dem Auf- trag geschaffen, Gottes Schöpfung zu sichern und vor Zerstörung zu bewahren.80 78 Die Idee, menschliche Arbeit als Quelle legalen Reichtums zu bestimmen, geht allerdings nicht auf JOHN LOCKE zu- rück. Schon 1615 hatte z. B. ANTOYNE DE MONTCHRÉTIEN in einem Traktat, in dessen Titel erstmals der Begriff „politische Ökonomie“ auftaucht („Traité de l’oeconomie politique“), versucht, die Entstehung des Reichtums auf die Anwendung systematischer Arbeit zurückzuführen. Einige Jahre später wird dieselbe These von GERRARD WIN- STANLEY in seinem „Aufruf an alle Engländer“ (1650) vorgetragen: „Wenn jemand reich werden kann, dann doch entweder nur durch seiner eigenen Hände Arbeit oder durch die Arbeit anderer, die ihm helfen. …die Reichen neh- men alles, was sie besitzen, aus den Händen des Arbeiters, und was sie geben, ist die Arbeit anderer, nicht ihre ei- gene. Deshalb handeln sie nicht redlich auf Erden“ (zitiert nach Walther 1990, 19 f. sowie Fußnoten 36, 37). 79 Die folgenden Ausführungen dazu stützen sich einerseits auf LOCKEs Text (1967, vor allem Kapitel 5 „Eigentum“, 217-233) und andererseits auf die beiden Studien MANFRED BROCKERs (1992) und JÖRG THOMAS PETERS’ (1996). 80 Dass JOHN LOCKE zur Begründung seines Paradigmenwechsels „vom Offenbarungs-Ansatz ausgeht und die Arbeits- und Eigentumstheorie an die Existenz Gottes anbindet, hat verschiedene Gründe: 1. folgt LOCKE in diesem Punkt aus rein pragmatischen Erwägungen noch der wissenschaftlichen Tradition: er mußte seine Schrift so aufbauen, wollte er von seinen noch dem mittelalterlichen bzw. puritanischen Denken verhafteten Zeitgenossen gelesen und akzeptiert werden; 2. spiegelt sich in der von ihm aufgestellten Arbeits- und Eigentumstheorie seine Religiosität wider, die sich wie ein roter Faden durch all seine Schriften zieht und in seinen Alterswerken kulminiert; 3. richtet sich L KEs Kritik - wenngleich auch untergeordnet - gegen den als Atheisten verschrieenen HOBBES; und 4. konnte er von dem gewähl- ten Ansatz ausgehend die Unhaltbarkeit der auf derselben Prämisse beruhenden Eigentumslehren von Filmer […] nachweisen“ (Peters 1996, 158 f.). Letzteres bezieht sich auf den englischen Staatstheoretiker SIR ROBERT FILMER (1588-1653) und dessen 1680 aus dem Nachlass veröffentlichtes Werk „Patriarcha“. Die Tories versuchten die darin begründete Doktrin des „Divine Right of Kings“ gegen die neue (parlamentarische) Ordnung der Whigs, die durch die „Glorious Revolution“ (1688/1689) erreicht worden war, in Stellung zu bringen und mit Hilfe der Theorien FILMERs die absolute Monarchie zu restaurieren (vgl. Peters 1997, 145 f., Anm. 321 sowie Henningsen 1968). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 181 ] Daraus erwächst nach LOCKE für jeden Einzelnen die Pflicht, nicht nur seine eige- ne Existenz, sondern auch die Dritter, ja, sogar die der gesamten Schöpfung vor jeglicher Bedrohung zu schützen. Der Zustand, „in dem sich die Menschen von Natur aus befinden, […] ist ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur ihre Handlungen zu regeln. […] Es ist dar- über hinaus ein Zustand der Gleichheit […], da niemand mehr besitzt als ein anderer. […] Im Naturzustand herrscht ein natürliches Gesetz, das jeden ver- pflichtet. Und die Vernunft, der dieses Gesetz entspricht, lehrt die Menschheit, wenn sie sie nur befragen will, daß niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll. Denn alle Men- schen sind das Werk eines einzigen allmächtigen und unendlich weisen Schöp- fers, die Diener eines einzigen souveränen Herrn, auf dessen Befehl und in des- sen Auftrag sie in die Welt gesandt wurden. […] Wie ein jeder verpflichtet ist, sich selbst zu erhalten und seinen Platz nicht vorsätzlich zu verlassen, so sollte er aus dem gleichen Grunde, und wenn seine eigene Selbsterhaltung nicht dabei auf dem Spiel steht, nach Möglichkeit auch die übrige Menschheit erhalten“ (Locke 1967, 201 ff.). Aus dieser Verpflichtung zur Selbsterhaltung und zur Erhaltung der menschlichen Gattung insgesamt leitet LOCKE nicht nur das Recht, sondern vielmehr die Pflicht ab, sich alles dafür Notwendige aus der Natur anzueignen. Damit aber der Mensch die äußeren Dinge der Welt im Sinne di chen Auftrages auch dauerhaft, unge- stört und frei von Ansprüchen Dritter nutzen kann, sollte er nicht nur temporär Verfü- gungsgewalt (Besitz) über sie haben, sondern in rechtlichem Sinne ihr Eigentümer sein. LOCKE fand für dieses Problem eine ebenso simple wie revolutionäre Lösung, indem er postulierte, das einzige individuelle und bereits im Naturzustand existente Privateigentum ist das Eigentum des Menschen an sich selbst - an seinem Geist Bild 104: Die Energiequellen der protoindustriellen Epoche wa- ren Wasser, Wind, Mensch und Tier. Energiequelle Wasser: Mühle mit oberschlächtigem Wasserantrieb. Kupferstich aus dem 1735 erschienenen Werk „Schau-Platz der Mühlen- Bau-Kunst“ (Troitzsch 1997, 34) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 182 ] ebenso wie an seinem Körper - und weiter deduzierte, damit seien alle Produkte, die diese im Zusammenwirken hervorbringen, auch sein persönliches Eigentum: „Obwohl die Erde und alle niederen Lebewesen all einsam gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist“ (Locke 1967, 218; Her- vorhebungen von mir. HD.). Das Werkzeug, das Gott dem Menschen zur legalen Transformation der ur- sprünglichen Gütergemeinschaft in Privateigentum als materielle Voraussetzung zur Erfüllung des göttlichen Auftrags an die Hand gegeben hat, ist also - nach LOCKE - seine eigene Arbeit: „Gott gab die Welt den Menschen gemeinsam. Doch da er sie ihnen zu ihrem Nutzen gab und zu den größtmöglichen Annehmlichkei- ten des Lebens, die sie ihr abzugewinnen vermochten, kann man nicht annehmen, er habe beabsichtigt, daß sie immer Gemeingut und unkultiviert bleiben sollte. […] Das Gesetz, unter dem der Mensch stand, wies ihn geradezu auf die Aneignung hin. Gottes Gebot und seine Bedürfnisse zwangen ihn, zu arbeiten. Worauf er auch immer seine Arbeit richtete, war sein Eigentum, das ihm nicht genommen werden konnte. […] Gott gab also durch das Gebot, sich die Erde zu unterwerfen, die Vollmacht, sie sich anzueignen. Und die Bedingung des menschlichen Lebens, das Arbeit und Stoff, der bearbeitet werden kann, erfordert, führt notwendiger- weise zum Privatbesitz“ (Locke 1967, 221 ff.). Und da Gott den Menschen zur Ar- beit verpflichtet hat, ist auch der Eigentumserwerb Gottes Wille: „Als Gott die Welt der gesamten Menschheit zum gemeinsamen Besitz gab, befahl er den Men- schen auch zu arbeiten, und schon allein di Lage verlangte es von ihm. Gott und seine Vernunft geboten ihm, sich die Erde zu unterwerfen, d. h. sie zum Vorteil des Lebens zu bebauen und auf diese Weise etwas dafür aufzuwenden, 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 183 ] was sein eigen war - seine Arbeit. Wer, diesem Gebote Gottes folgend, sich irgendein Stück Land unterwarf, es bebaute und besäte, fügte ihm dadurch etwas hinzu, das sein Eigentum war, worauf kein anderer einen Anspruch hatte und was ihm niemand nehmen konnte, ohne ein Unrecht zu begehen“ (Locke 1967, 221). Dies bedeutete für das 17. Jahrhundert nicht nur eine radikal neue Begründung für die Rechtmäßigkeit der Akkumulati- on von Privateigentum, sondern vor al- lem eine grundlegende Neubewertung der Rolle der Arbeit des Menschen, „denn alles auf der Welt sollte durch Arbeit veredelt und nutzbar gemacht werden, alles sollte privat besessen sein. Das Mehr-Arbeiten und Mehr-Er- werben war so nicht mehr, wie in der Tradition, Folge eines unmoralischen ‚amor sceleratus habendi’, einer krank- haften Besitzgier, sondern Ausdruck gottgefälligen Lebens. [...] Damit wurden sowohl das Privateigentum als auch die eigentumsbegründende Arbeit (und die Effizienz der Arbeit steigernde Technik) bei LOCKE aufgewertet und aus dem Kontext der traditionell negativen Konnotatio- nen des ‚Sündenfalls’ befreit“ (Brocker 1992, 174). Mit dieser grundlegenden Um- wertung menschlicher Arbeit greift JOHN LOCKE die utopischen Gesellschaftstheo- rien eines THOMAS MORUS auf, löst sie aus der Schwerelosigkeit satirischer Utopie und führt sie zurück in das Gravitationsfeld realer Politik, indem er deren absolut gesetzte Begriffe wie Freiheit und Gleichheit säkularisiert und relativiert, was ge- rade LOCKEs Eigentumsdefintion eindrucksvoll demonstriert. Den Utopisten galt das Privateigentum als Quelle allen Übels und jeglicher Ungerechtigkeit: „Wo es noch Privatbesitz gibt, wo alle Menschen alle Werte am Maßstab des Geldes messen, da wird es kaum jemals möglich sein, eine gerechte und glückliche Politik zu treiben. Du müßtest es denn für einen gerechten Zustand halten, wenn immer der beste Teil den Schlechtesten zufällt, oder für ein Glück, wenn aller Besitz unter ganz wenige verteilt wird, und auch die nicht einmal in jeder Hinsicht gut daran Bild 105: Energiequelle Wind: Die Bockwindmühle. Bei die- sem Mühlentyp war, wie auf diesem Bild gut erkennbar, das Mühlenhaus auf einem Ständer („Bock“) drehbar gelagert und wurde mit Hilfe des nach hinten ausragenden Hebels („Steert“) zur optimalen Ausnützung der Energiequelle in den Wind ge- richtet. Ausschnitt aus JAN BRUEGEL d. Ä. (1568 - 1625) „Überschwemmte Landstraße“. Gemälde um 1614 (Bayerl 2002, 73) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 184 ] sind, die anderen aber vollends im Elend stecken. So erwäge ich denn oft bei mir die klugen, ja verehrungswürdigen Einrichtungen des Staates der Utopier, die so wenige Gesetze und dabei eine so vorzügliche Verfassung haben, daß der Tüch- tige auf Lohn rechnen darf und doch, infolge gleichmäßiger Verteilung des Besit- zes, alle einzelnen an allen Lebensgütern Überfluß haben. […] So bin ich denn fest überzeugt, daß der Besitz durchaus nicht auf irgendeine billige oder gerechte Weise verteilt und überhaupt das Glück der Sterblichen nicht begründet werden kann, solange nicht vorher das Eigentum aufgehoben ist; solange es beste- henbleibt, wird vielmehr auf dem weitaus größten und weitaus besten Teil der Menschheit Armut, Plackerei und Sorgen als eine unentrinnbare Bürde weiter las- ten; sie mag - das gebe ich zu - ein wenig erleichtert werden können; sie gänzlich zu beseitigen - behaupte ich - ist unmöglich“ (Morus 1986, 65 ff.). Ganz anders LOCKE. Er legitimiert die materielle Ungleichheit der Menschen, indem er einerseits die Arbeit als legale Quelle des Reichtums sowohl des Einzelnen als auch der Gesellschaft konstituiert und andererseits die Gleichheit der Menschen auf den Rechtsbereich beschränkt: „Auf diese Weise hat LOCKE als erster den Kapita- lismus nicht nur theoretisch dargestellt, sondern ihn auch ‚gesellschaftsfähig’ ge- macht“ (Peters 1996, 198). Entstanden im Machtkampf zwischen Whigs und Tories mit dem Ziel, dem absoluten Gottesgnadentum der Tories eine durch unveräußerliche Individualrechte begrenzte und auf einem Vertrag beruhende Herrschaftslegitimation gegenüberzustellen, befreite LOCKEs Eigentumstheorie die menschliche Arbeit aus den Einengungen ihres disqualifizierenden Kontextes und entzog damit folglich auch dem auf der Trias vertikaler Arbeitsteilung, ständischer Arbeitsdiffamierung und Got- tesgnadentum beruhenden Absolutismus seine Legitimation. Aber noch beinahe hundert Jahre weste diese auf die Moderne voraus weisende Konzeption, die Arbeit als positiven gesellschaftlichen Wert und zugleich als individuelle, wertschöpfende, kreative Fähigkeit des Menschen begriff, als Sprengsatz lediglich in den Köpfen von Philosophen und Pädagogen 81 oder zwischen Buchdeckeln, ehe sie über die oben zitierte „Virginia Bill of Rigths“, die „Déclaration des droits de l’homme et du citoy- en“ , 82 die Verfassungen der Französischen Revolution sowie die bürgerlichen 81 Diesen Aspekt behandelt VISUBA ausführlich im Teilkonzept: MASLANKOWSKI, Willi: Bedeutende Theoretiker der Bildung und Berufsbildung. Königswinter 2004 82 Die „Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers“ vom 26. August 1789 postuliert in Artikel 2: „Der Zweck jeden politischen Zusammenschlusses ist die Bewahrung der natürlichen und unverlierbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Bedrückung“ (zitiert nach Peter, 157). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 185 ] Konstitutionen des 19. Jahrhunderts als legale Quelle privaten Eigen- und Reichtums, bürgerlicher Zivilität sowie als Legitimationsgrundlage für politische Teilhabe Eingang fand in die gesellschaftliche und politische Praxis Europas. Das von den Aufklärern begründete und mit dieser Eigentumslegitimation eng verknüpfte „Recht des Menschen auf ein Auskommen aus eigener Arbeit“ (Pankoke 1990, 46), das in der Franzö- sischen Revolution in ein Recht auf Arbeit umgedeutet worden war,83 goss 1797 JOHANN GOTTLIEB FICHTE (1762- 1814) in seinem „Grundlagen des Na- turrechts“ in eine Recht mit Pflicht kom- binierende Formulierung: „Jeder muß von seiner Arbeit leben können, heißt der aufgestellte Grundsatz. Das Leben- können ist sonach durch die Arbeit be- dingt, und es gibt kein solches Recht, wo die Bedingung nicht erfüllt worden. Da alle verantwortlich sind, daß jeder von seiner Arbeit leben könne, und ihm beisteuern müßten, wenn ers nicht könnte, haben sie notwendig auch das Recht der Aufsicht, ob jeder in seiner Sphäre soviel arbeite, als zum Leben nötig ist, und übertragen es der für ge- meinschaftliche Rechte und Angele- genheiten verordneten Staatsgewalt. Keiner hat eher rechtlichen Anspruch auf die Hülfe des Staates, bis er nachgewiesen, daß er in seiner Sphäre alles mögli- che getan, um sich zu erhalten, und daß es ihm dennoch nicht möglich gewesen. Weil man aber doch auch in diesem Falle ihn nicht umkommen lassen könnte; 83 In den diversen Revolutionsverfassungen wird es meist nur als unverbindliche Absichtserklärung des Staates formu- liert, dem Einzelnen das „Recht auf Arbeit“ durch eine staatliche Arbeitsorganisation zu ermöglichen (vgl. Pankoke 1990, 56 ff.). Als unveräußerliches Menschenrecht kennzeichnet es erst 1808 der Kaufmann und Sohn eines wohl- habenden Tuchhändlers, CHARLES FOURIER (1772-1837): „Wie groß ist doch das Unvermögen unserer Gesell- schaft, dem Armen einen geziemenden, seiner Erziehung angemessenen Unterhalt zu gewähren, ihm das erste der natürlichen Rechte zu verbürgen, das Recht auf Arbeit!“ (Fourier 1978, 168; Hervorhebung von mir. HD.). Bild 106: Energiequelle Tier: Göpelwerk zum Getreidemahlen. „Neben den Handmühlen waren die Göpel (Pferde-, Esel-, Ochsengöpel) die wichtigsten Mühlwerke, wenn infolge natürlicher Wechselfälle (Wasser- und Wind- mangel) oder infolge von Kriegszeiten (Belagerungen, ziehender Troß) die Wind- und Wasserkraft nicht zur Nahrungsversorgung genutzt werden konnte.“ Kon- struktionszeichnung 16. Jht. (Grimm 1985, 45) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 186 ] auch der Vorwurf, daß er nicht zur Arbeit angehalten worden, auf den Staat selbst zurückfallen würde, so hat der Staat notwendig das Recht der Aufsicht, wie jeder sein Staatsbürgereigentum verwalte“ (zitiert nach Asholt/Fähnders 1991, 93). Sei- nen Status als materielle Verfassungsnorm erhält das Recht auf Arbeit endgültig aber erst durch die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, beschlossen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948, die die Arbeit explizit als unveräußerliches, vorstaatliches Menschenrecht kodifiziert 84: „Artikel 23: (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Ar- beitslosigkeit. (2) Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. (3) Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigen- de Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde ent- sprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutz- maßnahmen zu ergänzen ist. (4) Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Berufsvereini- gungen zu bilden und solchen beizutreten“ (Blessing 1984, 77; zur Geschichte des Rechts auf Arbeit vgl. Ryffel Pankoke 1990; As- holt/Fähnders 1991, 79 ff.). Das Jahr 1776 mit seiner Materialisierung der Menschenrechte in Form einer schriftlich fixierten rechtsverbindlichen Verfassung markiert aber nicht nur aus poli- tisch-rechtlicher Perspektive einen Wendepunkt für die Bedeutung des Arbeitsbe- griffs, sondern auch aus der Sicht der politischen Ökonomie, denn in diesem Jahr erschien mit ADAM SMITHs (1723-1790) „Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen“ („An Inquiry into the Nature und Causes of the Wealth of Nations“) das bahnbrechende Werk der klassischen Nationalöko- nomik, das wie JOHN LOCKEs „Abhandlungen“ eine radikale Abkehr von dem aus Antike und Mittelalter tradierten Arbeitsverständnis markiert. 85 84 Auf europäischer Ebene wurden in der „Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei- heiten“ vom 4. November 1959 zunächst lediglich „Sklaverei oder Leibeigenschaft“ sowie „Zwangs- oder Pflichtar- beit“ verboten (Artikel 4). Das explizite „Recht auf Arbeit“ wurde erst in der „Europäischen Sozialcharta“ vom 18. Ok- tober 1961 in Artikel 1 verankert (vgl. Heidelmeyer 1982, 41 f. und 277 ff.). 85 Nicht zuletzt deshalb wird man BERNHARD SCHÄFERS’ Einschätzung uneingeschränkt zustimmen können, „es dürfte nur wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen geben, denen eine ähnlich Wirkung auf das Denken und Handeln der Menschen beschieden war wie diesem umfangreichen Werk“ (Schäfers 1979, 22). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 187 ] Von der physiokratischen Arbeitstheorie86 ausgehend und diese zugleich kritisch überwindend, begründet SMITH die Trennung von Arbeit in eine produktive und eine unproduktive Variante, indem er untersucht, ob sie den Wert einer Sache steigert oder nicht: „Es gibt eine Art Ar- beit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht, und es gibt eine andere, die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv be- zeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unpro- duktiv. So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Rohmaterials, das er be- arbeitet, […] die Arbeit eines Dienstbo- ten dagegen erzeugt nirgendwo einen solchen Wert. […] Auch die Arbeit eini- ger angesehener Berufsstände in einer Gesellschaft ist, wie die der Dienstbo- ten, unproduktiv. Sie drückt sich nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder verkäuflichen Gut aus, das auch nach abgeschlossener Arbeit fortbesteht und für das man später wieder die gleiche Leistung erstehen könnte. Als unproduktiv können, zum Beispiel, die Tätigkeit des Herrschers samt seiner Justizbeamten und Offiziere, ferner das Heer und die Flot- te angesehen werden. Sie alle dienen dem Staat und leben von einem Teil des Er- trages, den andere Leute übers Jahr hin durch ihren Erwerbsfleiß geschaffen ha- 86 „Der Physiokratismus (Naturherrschaft) ist die erste Gestalt, die der Liberalismus einnimmt. Wie der Begriff ‚Physi- okratismus’ bereits nahe legt, geht alles von der Natur aus. Auf der Grundlage von ROUSSEAU wird die Natur als das Gute schlechthin angenommen. Die Natur verhält sich immer vernunftgemäß. [...] Das Recht auf Bedürfnisbe- friedigung wird als Naturrecht aufgefasst. [...] Trotz der Einsicht, daß der Mensch nur durch Arbeit seine Bedürfnisse befriedigen kann, ist Arbeit bei den Physiokraten ein theoretisch wie faktisch nachgeordneter Begriff. Begründet wird dies damit, daß der Mensch seine Nahrung von der Natur, dem Boden, erhält: ‚Die Erde allein ist die Quelle der Materien des Menschenglücks.’ Arbeit kann nach physiokratischer Auffassung nichts erschaffen [...],sie erzeugt ge- nuin keine Werte, sie kann nur umformen und Werte hinzufügen. [...] Dies bezieht sich auf alle beliebigen Formen von Arbeit. [...] Aus der wichtigen Bedeutung, die die Physiokraten dem Boden zumessen, ist unmittelbar einsichtig, warum den Physiokraten der Ackerbau als die einzig würdige Erwerbsform erscheint. Nur der Ackerbau ist im phy- siokratischen Sinne produktiv, während andere Formen der Arbeit lediglich den Wert der Produkte um die Kosten der aufgewendeten Arbeit vermehren. Die Landwirtschaft ist es, die für alle anderen Wirtschaftszweige die Rohstof- fe und generell die Nahrung für die Menschen liefert. Sie ist der einzige Wirtschaftszweig, der ohne Arbeit anderer auskommen kann (‚kein Handwerker kann arbeiten, wenn ihn der Landmann nicht erhält’) und außerdem den Wirt- schaftskreislauf in Gang setzt“ (Frambach 1999, 88 ff.). Bild 107: Energiequelle Mensch: Das Tretrad, „welches von zwei Leuten getreten wird; es ist 23 Fuß hoch und 4 Fuß breit, damit beide Arbeiter nebeneinander arbeiten können.“ Holzschnitt 1556 (Agricola 2003, 167 f.) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 188 ] ben. […] In die gleiche Gruppe muß man auch einige Berufe einreihen, die äu- ßerst wichtig und bedeutend oder sehr anrüchig sind: Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer“ (Smith 2003, 272 f.). Diese bis dahin so nicht gekannte Unterscheidung von produktiver und unproduk- tiver Arbeit muss als scharfer Traditionsbruch in der Arbeitsauffassung klassifi- ziert werden. Zum einen erklärt SMITH damit en passant nahezu all jene Aufgaben und Tätigkeiten zu gesellschaftlich unproduktiver Arbeit, „die in der politischen Theorie seit ARISTOTELES ein großes Ansehen geniessen [sic!]. Produktive Arbeit wird bei SMITH aller traditionellen Bewertungen entkleidet und auf ihren ökonomi- schen Kern reduziert, wertbildend zu sein und als Wertmaßstab zu dienen. [...] In der durch den Eigennutz der Individuen verbundenen und auf Arbeitsteilung fu- ßenden Gesellschaft der Produktion und Konsumtion (Arbeit und Bedürfnis) tritt somit eine grundlegende soziale Umwertung ein, die bspw. alte und neue Herr- schaftsstände als unproduktiv abstempelt und, vom Maßstab wertschaffender Ar- beit aus gesehen, neben Gesinde und Komödianten rückt“ (Frambach 1999, 99 f.; Hervorhebungen von mir. HD.). Es begründet sich von selbst, dass die letztgenannte negative Bewertung insbe- sondere des Herrschens – sieht man von anarchistischen Theorien ab – auch in bürgerlichen Kreisen kaum auf Akzeptanz stieß. Wohl deshalb wurde diese Differenzierung SMITHs vom aufkommenden Kapitalismus und dem seinen Herr- schaftsanspruch auf die Verfügungsgewalt über Kapital stützenden Bürgertum nicht weiter verfolgt, sondern lediglich die grundsätzliche Überlegung adaptiert, die „unproduktiven“ Tätigkeiten des Planens, Verwaltens und vor allem des Herr- schens in den Bereich der Arbeit zu integrieren und damit zugleich mit LOCKEs Ei- gentumstheorie zu versöhnen. Die Trennlinie der Wertschätzung verläuft damit endgültig nicht mehr wie bisher zwischen körperlicher Arbeit und intellektueller Muße, sondern endgültig zwischen geistiger und körperlicher Arbeit auf der einen Seite sowie Untätigkeit (sprich: Faulheit) und Arbeits-Losigkeit auf der anderen. Für einen anderen Bereich sozialer Wertung gewann SMITHs Theorie aber sehr wohl Bedeutung. Mit seiner Differenzierung in produktive und unproduktive Arbeit klassifizierte er nämlich nicht nur die Dienstbotenarbeit, die ja überwiegend von Frauen geleistet wurde, als unproduktiv, sondern auch die fast ausschließlich den 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 189 ] Frauen übertragenen Tätigkeiten im reproduktiven Bereich, denn Hausarbeit, Kin- dererziehung, Kranken- und Altenpflege etc. materialisieren sich ja gerade „nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder verkäuflichen Gut aus, das auch nach abge- schlossener Arbeit fortbesteht“. Die Un- terscheidung in Frauen- und Männerar- beit basiert damit nicht mehr nur auf der biologischen Differenz der Geschlechter, sondern auch auf einer wertenden, denn im ökonomischen Kontext wurde der produktiven Arbeit zwangsläufig ein hö- herer Stellenwert zugemessen als der unproduktiven. SMITH lieferte also unter der Hand auch für die in der frühen Neu- zeit beginnende Ausgrenzung der Frau- en aus dem produktiven Bereich (s. u. 4.2.3, S. 216 ff.) eine bis heute wirksame ideologische Begründung, denn „das Er- gebnis davon zeichnet sich in unserem Sprachgebrauch ab: Die ‚arbeitende Frau’ ist jene, die für die - meist außer- halb des Hauses - geleistete Tätigkeit bezahlt bekommt. Die andere Frau betrachtet man nicht mehr als ‚arbeitend’, und sie ist es wirklich ni immer weniger geachtet“ (Sullerot 1972, 21). Dies alles zeigt, im Zentrum des aufgeklärten Denkens standen keineswegs aus- schließlich ideelle Werte, die materiellen Kategorien spielten - wie die Betonung des Rechts auf Eigentum und die Ökonomisierung des Arbeitsbegriffs zeigen - eine zumindest gleichwertige Rolle: „Der Rationalismus und die optimistische Fort- schrittslehre der Aufklärung haben das ihre dazu beigetragen, die Auffassungen über Arbeit und wirtschaftliche Betätigung definitiv zu säkularisieren. [Die Aufklärer] preisen Arbeit und freie Wirtschaftsaktivitäten nicht, weil davon der notwendige Le- bensunterhalt abhängt, sondern wegen des Reichtums und Überflusses, den sie verschaffen, was eine Forderung der Zivilisation und des menschlichen Fortschritts ist“ (Ven 1972, 241). Der aufgeklärt-ökonomische Arbeitsbegriff wird somit zu einer Bild 108: Energiequelle Mensch als Antrieb für die Haspel- winde. AGRICOLA schreibt dazu: „Wenn drei Haspler diese Maschine im Kreise drehen, dann sind an dem einen Ende des Rundbaumes vier Stäbe durchgesteckt, am anderen Ende befindet sich jenes Haspelhorn, das in den Bergwerken allein angewendet wird. […] Das Haspelhorn dreht ein Mann, die gekreuzten Stäbe zwei, von denen der eine zieht, der andere drückt. Alle Haspler, an welcher Maschine sie auch arbeiten, müs- sen starke Leute fein, damit sie eine so schwere Arbeit leisten können.“ Holzschnitt 1556 (Agricola 2003, 132) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 190 ] zentralen Prämisse für die endgültige Durchsetzung der kapitalistischen Industriali- sierung und des Fabriksystems im 19. Jahrhundert. Der entscheidende, weil folgen- reiche Bruch mit antiker, christlicher und ständischer Tradition war also, die Ar- beit endgültig aus ihrem deklassierenden Zusammenhang einerseits sowie aus ihrer religiösen und ständischen Fixierung andererseits zu lösen und sie stattdessen zum vorstaatlichen personalen Menschenrecht zu emanzipieren sowie zur ökonomisch begründeten Tugend und Pflicht des Bürgertums zu veredeln, oder mit den Worten FRIEDRICH SCHILLERs (1759-1805) aus seinem 1799 entstandenen „Lied von der Glocke“ gesprochen (zitiert nach Bellermann o. J., Bd. 1, 274): „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis; Ehrt den König seine Würde, Ehret uns der Hände Fleiß.“ 4.1.5 „Die Welt als Uhr“ Als weiteres Fundament des Industriezeitalters muss die Herausbildung - nach modernen Kategorien - wissenschaftlich orientierter Denkmuster hervorgehoben werden, denn die schon von KANT als „Revolution der Denkart“ (vgl. u. Anm. 88, S. 192) bezeichnete „Wendung der Naturwissenschaft zum Experiment und der Wille, daraus Konsequenzen zu ziehen, war die folgenreichste aller Erfindungen“ (Blankertz 1969, 53). Der auch heute noch gängige Dreisatz: „in der Wissen- schaft werden Gesetze der Natur gesucht, die Suche geschieht experimentell, die Forschungsergebnisse gelten als Fortschritt gegenüber den bisherigen Er- kenntnissen“ (Krohn 1976, 8), wurzelt im 16. und 17. Jahrhundert. Ohne sich auf die Kontroverse um die bewertenden Implikationen des Fortschrittsbegriffs einzu- lassen (vgl. dazu z. B. Sieferle 1984), kann man sagen, auch die von den Anfän- gen bis an die Schwelle der Neuzeit abgelaufene Geschichte der Menschheit sei ein „Fortschreiten“ in dem Sinne gewesen, dass der Mensch mittels Entdeckun- gen und Erfindungen sowie Lernen und Lehre seinen Platz in der Welt sowie in den sozialen Strukturen immer wieder neu definierte. Dem weitgehend in ver- meintlich „ewigen“ Traditionen und scheinbar unerschütterlichen göttlichen Ord- nungen verankerten mittelalterlichen Denken war es allerdings unmöglich, dies als evolutionäre Bewegung aufzufassen. 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 191 ] Das qualitativ Neue der Spätrenaissance ist, dass der Mensch nun diese Dynamik erstmals bewusst wahrzunehmen und systematisch zu durchdenken beginnt. Zu den Ersten, die erfassten, dass eine Entwicklung stattfindet, wie sie abläuft und vor allem, dass der Mensch sie durch Forschung und Innovation selbst beeinflus- sen kann, gehörte bereits im 13. Jahrhundert ROGER BACON (1219-1292), der „ein Zurückgreifen auf empirische Erfahrung, auf das Experiment, auf die unmittelbare Naturbeobachtung, auf die ursprünglichen Quellen und die induktive Methode [for- derte und] seine Auffassung mit Exil und Kerker [büßte]“ (Bauer/Matis 1989, 26). Dessen Versuche, die Wissenschaft zu säkularisieren und zu emanzipieren, setzte schließlich der Rationalist RENÉ DESCARTES (1596-1650) fort, der 1637 in seiner „Abhandlung über die Methode, seine Vernunft richtig zu leiten und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen“ 87 die Einsicht notierte: „Als ich jedoch in der Phy- sik gewisse allgemeine Begriffe gewonnen hatte und bei deren Anwendung auf ei- nige schwierige Fragen ihre Tragweite und ihre Unterschiede von den bis jetzt an- jetzt angewandten Prinzipien bemerkte, so glaubte ich sie nicht zurückhalten zu 87 „Als DESCARTES, der nach der Verurteilung GALILEIs nichts mehr hatte veröffentlichen wollen, auf Drängen seiner Freunde diese Sammlung herausgab, verzichtete er aus Vorsicht nicht nur darauf, sie unter seinem Namen er- scheinen zu lassen, es sollte auch verborgen bleiben, in welchem Ausmaß die Erkenntnisse, die diesen Schriften zugrundeliegen, die gesamte traditionelle Philosophie in Frage stellten. Er erweckte deshalb bewußt den Eindruck, als handle es sich hier um einen ganz persönlichen Bericht über die Suche eines einzelnen nach Erkenntnis“ (Jens 1988, Bd. 4, 587). Bild 109: Der berühmte Versuch zum Nachweis der Wirkung des Luftdrucks durch OTTO VON GUERICKE (1602-1686), Bür- germeister im protestantischen Magdeburg: 16 Pferde versuchen zweiluftleer gepumpte Metallhalbkugeln zu trennen. Kupferstich aus GUE- RICKES „Experimenta nova (ut vocantur) Magdeburgica de vacuo spatio.“ Amsterdam 1672 (P.M.-Reihe 1994, H. 2, 14) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 192 ] dürfen, wenn ich nicht gegen das Gesetz verstossen wollte, welches uns das all- gemeine Beste zu befördern heisst. Denn mittelst ihrer kann man zu Kenntnissen gelangen, die für das Leben höchst nützlich sind, und anstatt jener in den Schulen gelehrten spekulativen Philosophie eine praktische finden, welche uns die Kraft und Wirkungen des Feuers, des Wassers, der Luft, der Gestirne, des Himmels und aller Körper, die uns umgeben, so genau kennen lehrt, wie wir die verschie- denen Thätigkeiten unserer Handwerker kennen, so dass wir jene ebenso wie die- se zu allen passenden Zwecken verwenden und uns so zu dem Herrn und Meister der Natur machen können“ (Descartes 2001, 69 f.; vgl. Schlaffke 1996, 42; Arendt 1960, 267 ff.). Dieser Moment der Erkenntnis88 war die Geburtsstunde jener - man kann wohl oh- ne Übertreibung sagen - die Welt bis heute beherrschenden „naturwissenschaftli- chen Denkform“, die der Freiburger Soziologe und Historiker FRIEDRICH POHL- MANN in seiner Studie über die „Voraussetzungen und Grundstrukturen“ der euro- päischen Industriegesellschaft durch folgende drei „Hauptmerkmale [gekenn- zeichnet sieht]: 1. Naturwissenschaftliches Denken begründet den Primat kontrollierter Erfahrung, wie er sich im systematischen Experimentieren zeigt, über alle anderen Arten gedanklicher Erfassung von Natur. Im Experiment werden einzelne Elemente aus komplexen Naturzusammenhängen isoliert und systematisch manipuliert, wobei ihre wechselnden Relationen mathematisch fixiert werden. Ziel des Expe- riments ist das ‚Naturgesetz’ - die mathematische Formel für einen unter glei- chen Randbedingungen beliebig wiederholbaren Effekt. Trotz aller investierten Kopfarbeit und trotz des rein theoretischen Ziels naturwissenschaftlichen Expe- rimentierens ist praktisch-technisches Handeln ein konstitutiver Bestandteil die- 88 Diesen Zeitpunkt lokalisierte KANT in den empirischen Versuchen GALILEIs und EVANGELISTA TORRICELLIs (1608- 1647), der GALILEIs letzter Mitarbeiter und dessen Nachfolger als Mathematiker an der großherzoglichen Universität von Florenz war, denn erst mit ihnen, so KANT in der Vorrede zur 1787 erschienenen zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“, „ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwürfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorange- hen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leit- bande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Be- obachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf. Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt. Und so hat sogar Physik die so vorteilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemäß, dasjenige in ihr zu suchen (nicht ihr anzudichten), was sie von dieser lernen muß, und wovon sie für sich selbst nichts wissen würde. Hiedurch ist die Naturwissenschaft aller- erst in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, da sie so viel Jahrhunderte durch nichts weiter als ein bloßes Herumtappen gewesen war“ (Kant 1968/b, 23 f.; Daten zu TORRICELLI vgl. Krafft 2003, 404 f.). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 193 ] ses Erkenntnisverfahrens. [...] Die Geringschätzung des Praxisbezugs von Wissenschaft in Griechenland geht wesentlich auf die griechische Diskriminie- rung von Handarbeit zurück [vgl. o. 2.2.1, S. 75 ff.], welche vornehmlich von Sklaven verrichtet wurde; und wir vermuten, daß gerade das Fehlen von Skla- venarbeit in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen okzidentalen Stadtentwicklung eine der Bedingungen für die Genese von Formen systematischen Experimen- tierens war. 2. Das zweite für die moderne Natur- wissenschaft konstitutive Erkennt- niselement ist die Mathematik, und es war insbesondere die Mathemati- sierung des Experimentierens im 16. und 17. Jahrhundert, die diesem Er- kenntnisverfahren den Weg ebnete. [...] Für die erste konsequente Ver- knüpfung von Mathematik und Ex- periment steht wissenschaftsge- schichtlich der Name GALILEIs, des- sen Denken auf der Prämisse beruh- te, daß das ‚Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrie- ben (sei)’. GALILEI wurde damit einer der herausragenden Begründer des Erkenntnisideals der Neuzeit, das darauf zielte, ‚die Welt als ein großes Rechenexempel zu begreifen (und) die Vorgänge und qualitativen Be- stimmtheiten der Dinge in einem System von Zahlen aufzufangen’, und es ist ganz wesentlich dieses ‚Erkenntnisideal’, auf dem die technische Praktikabilität der Naturwissenschaft beruht. Denn die Mathematik vereinigt Wissenschaft und Technik in einer gemeinsamen Sprache, sie ist somit eine Grundvoraussetzung für die Transformation ,reiner Naturerkenntnis’ in Apparaturen zur effizienten praktischen Naturbeherrschung. Bild 110: Nachbau einer Räderuhr mit Pendel nach einem ex- perimentellen Entwurf GALILEO GALILEIs (1564-1642) aus dem Jahre 1640 (Brentjes 1987, 147) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 194 ] 3. Basal für die Entfaltung der modernen Naturwissenschaft war die Konzeption ei- nes rationalen Kausalitätsbegriffs, der geistesgeschichtlich erstmal [!] im me- chanistischen Weltbild der frühen Neuzeit zutage trat. [...] Moderne Kausalitäts- erklärungen sind funktional-relational. Physikalische Ereignisse und Vorgänge in der Welt werden erklärt, indem komplexe, systemisch organisierte Be- dingungszusammenhänge angeführt werden, die als Determinanten ein be- stimmtes System so beeinflussen und verändern, daß ein Systemzustand in ei- nen anderen transformiert wird. Natur wird nicht subjekthaft, sondern sinnfrei als Materie verstanden, und physikalische Vorgänge werden unter Auslassung jegli- cher Teleologie aus ihrem immanenten gesetzlichen Zusammenhang erklärt, als Zustandsänderungen eines Systems“ (Pohlmann 1997, 72 ff.; dort auch die Fundstellen für die von mir kursivierten Zitate. Hervorhebungen von mir. HD.; vgl. Arendt 1960, 252 ff.). Ihren systematischen Niederschlag fanden diese an strikter Kausalität orientierten Denkformen in einem „mechanistischen Weltbild, das der Weltanschauung des Homo faber entspricht […]. Diese Weltanschauung hat sich bekanntlich am evi- dentesten in dem berühmten Vergleich des Verhältnisses zwischen Gott und Natur mit dem zwischen einem Uhrmacher und der von ihm fabrizierten Uhr ausge- sprochen. […] Das Bild von Uhr und Uhrmacher ist gerade darum so außerordent- lich adäquat, weil es einerseits in den Uhrbewegungen den Prozeßcharakter des Natürlichen anzeigt, während andererseits im Bild der Uhr selbst als eines Ge- genstandes noch die eigentlichen Herstellungscharaktere, also der Unterschied zwischen Hersteller und Hergestellten, Uhrmacher und Uhr, zur Geltung kommen“ (Arendt 1960, 290 f.; Hervorhebungen von mir. HD.). Bis weit in das 18. Jahrhun- dert hinein fungierte deshalb die - angesichts ihres damals noch geringen Ge- brauchswerts - zu erstaunlicher Popularität gelangende mechanische Uhr als „Hauptmetapher für drei Zentralanliegen des Menschen: die Welt, den Körper und den Staat“ (Mayr 1980, 2) und bildete letztlich sogar das allgemein gebräuchliche Sinnbild für das Universum. So erklärt JOHANNES KEPLER (1571-1630) in einem Brief aus dem Jahre 1605, er wolle „die Natur nicht mehr als instar divini animalis (als ein göttlich beseeltes Wesen), sondern instar horologii (als ein Uhrwerk) se- hen […] Mein Ziel ist es zu zeigen, daß die himmlische Maschine nicht eine Art göttlichen Lebewesens ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk (wer glaubt, daß die 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 195 ] Uhr beseelt ist, der überträgt die Ehre des Meisters auf das Werk), insofern darin nahezu alle die mannigfaltigen Bewegungen von einer ganz einfachen magneti- schen Kraft besorgt werden, wie bei einem Uhrwerk alle die Bewegungen von dem so einfachen Gewicht“ (zitiert nach Pohlmann 1997, 76). Und auch für ISAAC NEWTON (1643- 1727) „wirkte Gott [im Universum] wie ein Uhrmacher, der die Uhr so sorgfältig konstruiert hat, dass er sie nur ab und zu aufzuziehen braucht; sonst läuft sie ohne jedes Zutun völlig präzis“ (zitiert nach Vogler 1996, 109). Kaum ein Phi- losoph der frühen Neuzeit, kaum ein Na- turwissenschaftler auch, der seine Hypothesen und Theorien über die Funktionsweise von Welt und Mensch nicht mit der Uhrenmetapher illustrierte (vgl. Cipolla 1997, 64 f.), aber die zent- ralste Rolle spielte das Uhrengleichnis im Gedankengebäude des bereits er- wähnten deutschen Frühaufklärers CHRISTIAN WOLFF, „dessen ‚Cosmologia generis’ von 1731 sich auf den einfa- chen Satz gründete: ‚Mundus propemodum se habet ut horologium automaton’ (Die Welt verhält sich nahezu wie ein Uhrenautomat). In dieser Art fährt er fort und be- nutzt die Metapher dutzendemal. Wie er meinte, illustrierte die Funktionsweise der Uhr genau den deterministischen Charakter der Welt. ‚Wenn das einzige gemein- same Merkmal eine zwangsläufige, im Gegensatz zur Freiheit des Menschen zum Ausdruck kommende Tätigkeit ist, dann ist die Welt mit der Uhr vergleichbar’ “ (Mayr 1980, 4; vgl. u. 4.3.1, S. 219). Ein sehr konkretes, hervorragendes Beispiel für die Durchsetzung der naturwis- senschaftlich-rationalen Denkweise in der frühen Neuzeit bietet das grandiose Werk des Humanisten, Arztes, Naturforschers und Autors wissenschaftlicher Fachliteratur, GEORG AGRICOLA (1494-1555), „De Re Metallica Libri XII“, entstan- Bild 111: GEORGIUS AGRICOLA: „De Re Metallica Libri XII“. Titelseite der lateinischen Erstausgabe aus dem Jahre 1556 (Agricola 2003, IV) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 196 ] den zwischen 1549 und 1555, aber erst posthum 1556 in lateinischer Sprache veröffentlicht (1557 auch in deutscher Übersetzung). „Die wahrlich enzyklopädi- sche Anlage dieser Studie wird schon augenfällig, wenn man sich ihren vollen Titel vor Augen führt: ‚Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen, in denen die Ämter, Instrumente, Maschinen und alle Dinge, die zum Berg- und Hüttenwesen gehören, nicht nur aufs deutlichste beschrieben, sondern auch durch Abbildungen, die am gehörigen Ort eingefügt sind unter Angabe der lateinischen und deutschen Be- zeichnungen aufs klarste vor Augen gestellt werden.’ Tatsächlich ist der Band nicht nur eine umfassende Gesamtdarstellung von Organisation und Technik des zeitgenössischen Bergbaus, sondern er erweist sich mit seinen 273 Holzschnitten auch als das erste völlig durchkonstruierte Lehr- und Handbuch eines gewerb- lichen Berufszweiges. Dies ist nicht nur ein Zeugnis für die systematisierende Be- gabung Agricolas, sondern gereicht nicht zuletzt den Baseler Verlegern HIERONY- MUS FROBEN und NIKOLAUS BISCHOF zur Ehre, die hier die anschaulich-didaktischen Möglichkeiten des gerade erst hundertjährigen Buchdrucks erkannten und voll aus- schöpften“ (Jens 1988, Bd. 1, 134; Hervorhebung von mir. HD.). Das Lehrwerk beeindruckt nicht nur wegen seiner buchgeschichtlichen Qualitä- ten, sondern vor allem deshalb, weil es bereits die wesentlichen Merkmale mo- derner wissenschaftlicher Publikationen zeigt. In seiner Widmung betont AGRI- COLA, er habe keine Mühen gescheut, um sein Lehrwerk möglichst anschaulich und nachprüfbar exakt zu gestalten. Weil das Bergwesen bisher „unverkürzt und vollständig noch kein Schriftsteller beschrieben“ habe, sei er um Vollstän- digkeit bemüht gewesen und zudem habe er Zeichner und Grafiker gewonnen, „um Abbildungen zu schaffen, damit die mit Worten beschriebenen Dinge, die den gegenwärtigen oder zukünftigen Menschen unbekannt sind, ihnen keine Schwierigkeiten für das Verständnis bereiten.“ Darum habe er auch alles weg- gelassen, „was ich nicht selbst gesehen, gelesen oder gehört und dann geprüft habe.“ Das Wenige bisher zum Thema Erschienene sei meist unverständlich, „denn die betreffenden Schriftsteller nennen die Dinge mit fremden, nicht mit ih- ren eigentlichen Namen, und die einen brauchen diese, die anderen jene Be- zeichnungen für dieselben Sachen“. Weil seiner Wissenschaft also „bisweilen noch die richtigen Bezeichnungen [fehlen], teils, weil die Dinge neu sind, teils, weil, wenn sie alt sind, die Erinnerung an die Namen, mit denen sie einst be- 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 197 ] zeichnet wurden, verschwunden ist“, habe er die fehlenden oder falschen Beg- riffe neu definiert und so für seinen Gegenstand eine einheitliche Terminologie entwickelt (Agricola 2003, XXVI ff.). Verständliche Anschaulichkeit und wissen- schaftliche Präzision sind wohl die Ursachen dafür, dass AGRICOLAs Opus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das konkurrenzlose Standardwerk für die Hüt- tenkunde blieb. 4.1.6 „Proto-Industrialisierung“ Als Folge der humanistischen und frühaufklärerischen Kritik am Feudalsystem und der sich daraus entwickelnden, durch den ökonomischen Wandel verstärkten Auf- lösungstendenzen feudaler Strukturen, sowie als Reaktion auf die zunehmende Fragmentierung der vordem einheitlichen geistigen Autorität und der mittelalterli- chen Ordnungsvorstellungen durch die Konfessionalisierung und die Aushöh- lung weltlicher Autorität aufgrund ökonomischer Krisen (etwa im 16. Jahrhundert, vgl. o. 4.1.2, S. 162) einerseits und der Verschärfung der Kriege und ihrer Folgen (z. B. Hugenottenkrieg in Frankreich, Bürgerkrieg in England, Dreißigjähriger Krieg) in Mitteleuropa andererseits, wird die spätmittelalterliche Feudalherrschaft ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert durch die „Verdichtung von Herrschaft“ Bild 112: Zwei Darstellungen aus AGRICOLAS „De Re Metallica“, die einerseits den wissenschaftlichen Anspruch seines Lehr- werks belegen und zugleich zeigen, dass in der frühen Neuzeit in bestimmten Berufen zunehmend wissenschaftlich-rationale Elemente in Berufsausbildung und Berufsarbeit eindrangen: Links ein Pochwerk zur Erzzerkleinerung in Betrieb, angetrieben von einem oberschläch- tigen Wasserrad, die einzelnen Bauelemente mit Buchstaben bezeichnet und in der Bildunterschrift genau benannt; im rechten Bild werden Konstruktion und Herstellung der einzelnen Bauteile dieser Maschine illustriert. Der zugehörige Text erläutert sodann detailliert sowohl Zweck und Funktionsweise des Erzpochwerks als auch dessen Herstellung. Holzschnitt 1556 (Agricola 2003, 244 f.) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 198 ] (Völker-Rasor 2000, 35) transformiert in eine absolutistische Territorialherr- schaft.89 Hinter der populären Definition des Absolutismus als derjenigen „Re- gierungsform der Monarchie, die davon ausgeht, daß der Monarch die unbe- schränkte Herrschaftsgewalt verkörpert“ (Fuchs/Raab 1972, Bd. 1, 43), verbirgt sich die Vorstellung von einem zentralistisch organisierten Herrschaftssystem, das der auf vielen Ebenen zerfallenden mittelalterlichen Ordnung begegnet mit einer Fokussierung der absoluten Souveränität in der Person des jeweiligen Herrschers. Ausgestattet mit entsprechenden Machtmitteln und gestützt auf eine hinreichende Legitimation ist es seine zentrale Aufgabe, die divergierenden ge- sellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um die Existenz des Territorialstaates nach innen und außen zu sichern. Die Erkenntnis, dass eine solche Machtkonzentration dazu tendiert, in Tyrannei und Willkür umzuschlagen, die aber weder mit dem Menschenbild der aufgeklär- ten Staatsphilosophie noch mit den Interessen des auf Eigentumssicherung be- dachten, ökonomisch erstarkenden Bürgertums vereinbar waren, führte zu Über- legungen, die fürstliche Alleinherrschaft theoretisch zu legitimieren und damit auch zu begrenzen. Basierend auf NICCOLÒ MACHIAVELLIs (1469-1527) Theorie der mo- ralunabhängigen Staatsräson („Il principe“, 1513) entwickelten vor allem JEAN BO- DIN (1530-1596) in seinen „Sechs Büchern über den Staat“ 90 („Six Livres de la République“, 1576) und THOMAS HOBBES (1588-1679) in seinem Hauptwerk „Levi- athan“ 91 („Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesi- astical and Civil“, 1651) als direkte Reaktion auf die sicht- und spürbare Destabili- sierung weltlicher Autorität ihre Theorien des Absolutismus. Als menschlicher Kritik entzogene Legitimationsbasis absolutistischer Herrschaft postulierten die Theoretiker zum einen die unmittelbare Wirkung des göttlichen Willens („Gottesgnadentum“) und zum anderen die aus dem Naturrecht abgeleite- 89 „Historiker charakterisieren gemeinhin den Zeitraum von der Mitte des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als Epoche des Absolutismus. Das ist insofern begründet, als in dieser Epoche in manchen Territorien des Reiches und in einigen Staaten Europas die Ausbildung und Ausgestaltung absolutistischer Herrschaft erfolgte. Aber dieser Pro- zeß begann nicht erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts und er wirkte noch in das 19. Jahrhundert hinein“ (Vogler 1996, 26). 90 JEAN BODIN: „Es gibt auf Erden nicht Größeres und Höheres als die Majestät der Könige nächst dem allmächtigen Gott. [...] Man darf von ihnen nicht anders sprechen und denken als vom Gesandten des ewigen und allmächtigen Gottes“ (zitiert nach Krebs 1979, 23). 91 THOMAS HOBBES: „Indem die Menschen sich freiwillig vereinigen und sich insgesamt darin vertragen, dem einen o- der mehreren gemeinschaftlich zu gehorchen, welchem oder welchen die Stimmenmehrheit das Recht überträgt, allgemeiner Stellvertreter zu sein, wird ein Staat errichtet“ (Hobbes 1976, 156). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 199 ] te Vertragstheorie (vgl. o. Anm. 74, S. 177), womit sie zwar alle für den Erhalt des Ständestaates92 notwendigen Rechte in die Hand des Monarchen legten und die Voraussetzung für „die Verselbständigung der Staatlichkeit und damit die Ablö- sung von Gruppeninteressen“ (Hinrichs 1986, 87) schufen, zugleich wurde da- mit aber auch die gesetzlose Tyrannei geächtet als gegen den Willen Gottes gerichtet und damit illegal. Damit planierten die Staatstheoretiker zugleich das Gelände, auf dem der Merkantilismus (vgl. Gömmel 1998) errichtet werden konnte, denn „ein lang- fristig kalkulierendes Wirtschaftshan- deln und die moderne industrielle Pro- duktionstechnik können sich nur in pa- zifizierten Gesellschaften, auf der Basis eines gewissen Maßes staatlich garan- tierter Normsicherheit entwickeln. Ohne die Existenz gewaltmonopolisierender und normsetzender politischer Herrschafts- verbände kann größeren Sozialeinheiten weder ein Ordnungs- noch ein Investiti- onswert zugeschrieben werden, fehlt ein Sicherheitsraum, der längersichtiges Planen und Handeln allererst ermöglicht. [...] Nun erschöpft sich die Funktion der absolutistischen Staaten für die Entwicklung von Marktwirtschaft und Industrie kei- neswegs in der von ihnen durchgeführten innergesellschaftlichen Pazifizierung. Wesentlicher war, daß sie neuartige Strukturen im Bereich staatlicher Herrschafts- institutionen entwickelten – spezifisch moderne Organisationsmuster -, die eine Vorbedingung für die Entwicklung des Industriekapitalismus in Europa waren. Die absolutistischen Staaten schufen nämlich Herrschaftsinstitutionen, die in ihrer Or- ganisationsrationalität und der von ihnen erzwungenen ‚Verhaltensdisziplinierung’ 92 „In quantitativer Hinsicht verschoben sich die Relationen zwischen den Ständen in der frühen Neuzeit nicht entschei- dend. Wenn um 1500 zum Adel 1-2 Prozent, zu den Stadtbewohnern knapp 20 Prozent und zu den Landbewohnern annähernd 80 Prozent der Bevölkerung zählten, so zeigen die Zahlen für die Zeit um 1800 einen Rückgang der An- gehörigen des Adels (1 Prozent), ein Ansteigen der Zahl der Stadtbewohner (24 Prozent) und eine Abnahme der Landbevölkerung (75 Prozent)“ (Vogler 1996, 90). Bild 113: Arbeiter am Kupferhammer: „Ihre Arbeit und Verrichtung betreffend / so schmieden sie das Kupffer aus dem Groben / und Arbeiten dem Kupffer-Schmied zur Hand / wie etwann der Zainer denen Handwerckern / so von Stahl und Eisen arbei- ten.“ Kupferstich 1698 ( Weigel 1987, 306b, 307) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 200 ] ihrer Mitglieder Grundpostulaten und strukturellen Erfordernissen kapitalistischer Industriebetriebe funktional weitgehend entsprachen“ (Pohlmann 1997, 37 f.). So bildeten sich also in diesem Prozess der „Verdichtung von Herrschaft“ durch Uni- fizierung des Staates, Reglementierung der Produktion und Privilegierung der Pro- duzenten neben der ideologischen Absicherung durch Kirche und Staatsphilosophie drei Säulen als materielle Machtbasis absolutistischer Territorialherrschaft heraus, die den Staat des Absolutismus als „Militär-, Finanz- und Behördenstaat“ (Vogler 1996, 68) charakterisieren: • erstens das ständig einsatzbereite und gezielt auf die Interessen des Herr- schers hin auszubildende stehende Heer („miles perpetuus“), das die über- kommenen, relativ teueren Söldnerheere ablöste; • zweitens eine gezielte Finanz- und regelmäßige Steuerpolitik verbunden mit einer geldschöpfenden, staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik, die sich am Konzept des Merkantilismus orientierten; und • drittens eine hierarchisch gegliederte, nach Ressorts getrennte institutio- nalisierte Bürokratie zur Verstetigung, Koordination und Verwaltung der ho- heitlichen Staatsaufgaben. Struktur der Erwerbstätigen im sekundären Sektor in Deutschland um 1800 nach Betriebsformen Zusammen Zweig Handwerk in % Verlag in % Manufaktur in % in % absolut Metall 5,6 1,0 1,0 7,6 170.000 Bau 10,4 0,0 0,0 10,4 240.000 Steine, Erden 2,9 0,0 0,2 3,1 70.000 Feinmechanik 0,7 0,1 0,1 0,9 20.000 Textil, Bekleidung 8,3 41,0 3,2 52,5 1.170.000 Holz, Papier 8,6 1,0 0,7 10,3 230.000 Nahrung 13,4 0,0 0,0 13,4 300.000 Bergbau 0,0 0,0 1,8 1,8 40.000 Insgesamt 49,9 43,1 7,0 100,0 2.240.000 Bild 114: Die Struktur der Erwerbstätigen im sekundären Sektor um 1800 zeigt zum einen, dass mehr als die Hälfte aller Er- werbstätigen im Textil- und Bekleidugsbereich beschäftigt waren, und zum anderen den erstaunlich geringen Anteil der Manufak- turarbeiter an der Zahl der Arbeitenden (Henning 1994, 265). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 201 ] Nicht zuletzt weil nach absolutistischem Selbstverständnis auch der kleinste Ter- ritorialherrscher gezwungen war, Macht und Einfluss durch barocke Prachtentfal- tung nach Außen zu demonstrieren, war er auch in Friedenszeiten ständig auf die Erschließung neuer Geldressour- cen mittels merkantilistischer Finanz- und Wirtschaftspolitik angewiesen: „In den deutschen Territorien war dafür die Bezeichnung Kameralismus ver- breitet, abgeleitet von der fürstlichen camera, dem Sitz der Finanzverwal- tung. Ausgangspunkt war die Auffas- sung, der geldreichste Staat sei auch der mächtigste. Deshalb bestand ein vorrangiges Interesse an einer aktiven Handelsbilanz. Die protektionistischen Maßnahmen, die in Geboten und Ver- boten, Privilegien und Monopolen Aus- druck fanden, zielten auf das Anwach- sen der Bevölkerungszahl, die Förde- rung der gewerblichen Produktion in bestimmten Zweigen und die Intensi- vierung der Ausfuhr. Kommerzkollegien und Handelskompanien oblag es, Vor- schläge für die Erhöhung des ökonomischen Effekts zu unterbreiten bzw. den Export zu stimulieren“ (Vogler 1996, 70). Vorbild für die deutschen Fürsten war die Politik Frankreichs, denn dort war unter der Leitung des Staatsministers JEAN BAPTISTE COLBERT (1619-1683) und seiner Nachfolger „das Interesse der Ver- waltung, neue Einnahmequellen zu erschließen, übermächtig, und einschnei- dende Vorschriften wie die, daß kein Meisterstück in Zukunft mehr als vier Wo- chen Arbeitszeit erfordern durfte, waren eher Nebenprodukte der Absicht, mög- lichst viele steuerzahlende Meister zu schaffen und aus den Ämtern der Zünfte ein Höchstmaß an Erträgen zu schlagen“ (Stürmer 1979, 22). Bild 115: Typisches Heimgewerbe im Verlag: Leinenweber an ei- nem Trittwebstuhl. Mit den Füßen bedient er die Schäfte zum Heben und Senken der Kettenfäden, in der rechten Hand hält er das Schiffchen mit dem Schussfaden und mit der linken bedient er die Lade, die die Fäden zusammenschiebt. Anonyme Federzeich- nung 1610 (Roeck 2000, 26) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 202 ] Absolutistische Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie das Bevölkerungswachstum im 18. Jahrhundert (vgl. o. S. 164, Bild 95) beschleunigten den Aufbau neuer Ar- beits- und Gewerbestrukturen, insbesondere den Ausbau der Lohnarbeit (vgl. Eggebrecht 1980, 184 ff.) und die Intensivierung der Arbeitsteilung durch die Neu- gründung vornehmlich marktorientiert produzierender Manufakturen in ländlichen Regionen. Über deren landesherrliche Genehmigung suchten die Fürsten Einfluss auf die gewerbliche Produktion zu gewinnen, die bisher durch deren Beschrän- kung auf die Städte ihrem Machtbereich weitgehend entzogen war. Die Bevöl- kerungsentwicklung, das saisonal bedingte Arbeitsdefizit im Agrarsektor sowie die ländlichen Produktionsverhältnisse, die es den Feudalherren erlaubten, den Ertrag der Landarbeit so weit abzuschöpfen, dass die Bauern vieler Regionen zu zusätz- licher existenzsichernder Arbeit gezwungen waren, sind weitere Ursachen für die Verdichtung des ländlichen Gewerbes. Zudem verhinderten expansions- und fort- schrittsfeindliche Zunftverfassungen die Ausdehnung der „Angebotselastizität der städtischen Wirtschaft“ (Kriedte 1977, 58), so dass das urbane Handelskapital vermehrt die auf dem Land im Überfluss vorhandene billige Arbeitskraft nutzte, „um dieser Einengung seiner Bewegungsfreiheit in den Städten durch die Zünfte zu entgehen“ (Kriedte 1977, 59). Die Herausbildung zahlreicher kleiner, z. T. konkurrierender proto-industrieller Zonen wurde zudem dadurch gefördert, dass Deutschland seit dem Westfälischen Frieden zerteilt war in über 300 große, mittlere und kleine absolute Fürstentümer, deren Herrscher in bornierter Sorge um ihre territoriale Souveränität den Kamera- lismus und „die Grabenbauerei des Konfessionalismus“ (Engelsing 1976, 85) zu In- strumenten der Abgrenzung umfunktionierten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war also die mittelalterliche Arbeitsteilung zwi- schen Stadt und Land in Auflösung begriffen, die gewerbliche Warenproduktion fand mehr und mehr in Stadt und Land und zwar „in Betrieben statt, deren spezifi- sche Form sich darin unterscheidet, wie die Produktionsfaktoren miteinander kom- biniert werden. ldealtypisch können die einzelnen Formen nach dem Eigentum der Produzenten an den Produktionsmitteln (Werkzeuge, Werk- und Rohstoffe) diffe- renziert werden. Charakteristische Betriebsformen der Zeit vor 1800 waren das Heimgewerbe, das Handwerk, der Verlag, die Manufaktur: 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 203 ] • Das Heimgewerbe wurde nebenberuflich ausgeübt. Die so Tätigen stellten Wa- ren für Abnehmer außerhalb ihres Hauses her. Darin unterschied sich ihre Tä- tigkeit von der Produktion für den Eigenbedarf. Meistens fiel die heimgewerbli- che Arbeit in die Zeit, in der die Landwirt itet war das Heim- gewerbe vor allem in den Textilgewerben, bei Spinnern und Webern. [...] • Im Handwerk verfügte der Betriebsinhaber als Eigen- tümer über sein Werkzeug und die sonstigen Produk- tionsmittel. Er arbeitete in der Regel in kleinen Werk- stätten, bei Bedarf mit Hilfs- kräften, Gesellen und Lehr- lingen. Nach der Gestal- tung des Absatzes hand- werklicher Produkte wer- den Lohn- und Preiswer- ker unterschieden. Lohn- werker arbeiteten entweder im Hause des Kunden („auf der Stör“) oder in ei- gener Werkstätte. Die Kunden lieferten die Roh-, z. T. auch Werkstoffe an die Lohnwerker. Preiswerker arbeiteten auf Bestellung oder auf Vorrat, für Wochen- und Jahrmärkte. Sie verfügten uneingeschränkt über Werkzeuge und Rohstoffe. • Im Verlag büßten Handwerker (und Heimgewerbetreibende) ihre ökonomische Unabhängigkeit ein, blieben aber Eigentümer ihres Werkzeuges und arbeiteten in eigenen Werkstätten. Kaufleute oder andere Vermittler (Verleger) beschafften ihnen Rohstoffe und/oder nahmen ihre Produkte ab. Es gab viele Mischformen. [...] Die Kostbarkeit von Rohstoffen und die Spezialisierung auf Waren, die jen- seits eines noch von Handwerkern abzudeckenden Radius verkauft wurden, forcierten den Verlust der ökonomischen Unabhängigkeit der unmittelbaren Produzenten. Die Leitung der oft auf viele Einzelbetriebe verstreuten Produkti- on, die Lenkung der Warenströme lag in Händen der Verleger. Bild 116: Die „Schelhornsche Kottonfabrick“, größter Kattunprodu- zent Memmingens. 1798 verlegte der Unternehmer die Produktionsgebäude der Manufaktur vor die Stadt auf das flache Land. Das hier verarbeitete Garn produzierten Weber aus der Umgebung in Heimarbeit auf Verlagsba- sis. Aquarell um 1800 (Jahn 1998, 214) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 204 ] • In der Manufaktur gehörten die Werk- und Rohstoffe sowie die kostbarsten Werkzeuge nicht mehr den Arbeitern. Vielmehr stellten sie ihre Arbeitskraft gegen Lohn dem Manufaktur-Unternehmer zur Verfügung. Arbeiter in Ma- nufakturen unterschieden sich von selbständigen oder verlegten Handwer- kern darin, daß sie Waren nicht von Anfang bis Ende fertigten. Der gesamte Fertigungsprozeß war arbeitsteilig-kooperativ in einzelne Schritte geglie- dert. Manufakturen bildeten Betriebe mit in der Regel zehn und mehr Be- schäftigten. [...] Die Technik der Manufakturen beruhte auf Handarbeit, die von einfachen oder entwickelteren, oft von Wasser betriebenen Maschinen unterstützt und z. T. erheblich erleichtert wurde“ (Reininghaus 1990, 3 ff.; vgl. Gömmel 1998, 12 ff.). Um 1800 lebten ca. 24,5 Millionen Menschen innerhalb der Grenzen des nachma- ligen Deutschen Reiches von 1871, von denen etwa die Hälfte einer Erwerbstätig- keit nachging. Von den Erwerbstätigen wiederum waren rund 2,2 Millionen, also weniger als 20 Prozent, mit gewerblichen Tätigkeiten beschäftigt, die sich in dem oben dargestellten Verhältnis auf die einzelnen Gewerbezweige und Betriebs- formen verteilten (vgl. o. Bild 114, S. 200). Diese Tabelle verdeutlicht zum einen den sehr hohen Anteil der im Textilbereich und hier wiederum im Verlag Be- schäftigten und zum anderen die am Vorabend der Industrialisierung insgesamt noch immer marginale Rolle der Manufakturen: „Weniger als ein Zehntel aller ge- werblichen Beschäftigten, etwas über 100.000 Menschen, dürften um 1800 auf die am weitesten entwickelte Betriebsform, die Manufaktur, entfallen sein. Der Gesamt- bestand an Manufakturen lag in den 1790er Jahren bei mehr als 1000. Die Kurzlebig- keit vieler Gründungen erschwert Schätzungen ebenso wie die fließenden Übergänge zwischen Verlag und dezentraler Manufaktur in den Textilgewerben. Dort konzentrier- te sich der Manufakturbetrieb auf Verfahren, für die ein hoher Kapitaleinsatz (z. B. Kattundruck) und teure Rohstoffe (z. B. Seide) erforderlich waren. Wohl bei der Mehr- zahl der Textilmanufakturen war das Spinnen dezentral organisiert. Typische Produk- te der Manufakturen waren Güter des Luxusbedarfs: Porzellan, Fayencen, Gläser, Gobelins. Eine weitere typische Warengruppe, die in Manufakturen hergestellt wurde, entfiel auf die Nahrungs- und Genußmittel, vor allem auf Tabak und Zucker“ (Rei- ninghaus 1990, 8; vgl. Kocka 1990/a, 91). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 205 ] Dennoch wird in der Zusammenschau deutlich, dass mit der „Standortausweitung der gewerblichen Warenproduktion“ (Kriedte 1977, 47) auf das Land ab dem 17. Jahr- hundert und der zunehmenden Ablösung der bedarfsdeckenden „alten Nahrungsöko- nomie“ durch die bedarfsweckende „Ökonomie des Marktes“ (Stürmer 1979, 13) die als „Proto-Industrialisierung“93 bezeichnete Herausbildung frühkapitalistischer Struk- turen forciert und der Druck auf das „Alte Handwerk“ deutlich erhöht wurde. Insbesondere in Verlag und Manufaktur bildeten sich Strukturen heraus, wie sie für die modernen Produktionsverhältnisse kennzeichnend sind. Die Analyse des vorindustriellen Verlagswesen „zeigt, daß hier Grundelemente des modernen Lohnar- beitsverhältnisses verwirklicht waren: Arbeiter, außerhalb der Zunftordnungen ste- hend, produzierten im Rahmen eines Vertragsverhältnisses für Privatunternehmer, die das Rohmaterial lieferten und die geleistete Arbeit auf Stücklohnbasis bezahl- ten. Oftmals waren auch die Produktionsmittel (der Webstuhl zum Beispiel) durch Verschuldung der Arbeiter in den Besitz des Unternehmers übergegangen. Auch hinsichtlich der Monotonie der Arbeit wies die Verlagsarbeit Ähnlichkeiten mit mo- derner Lohnarbeit auf, denn die Unternehmer teilten häufig die verschiedenen Ar- beitsgänge des Gesamtprozesses (etwa Spinnen, Weben, Walken, Färben) zwi- schen verschiedenen Produzenten auf. In zwei Punkten freilich unterschied sich 93 Geprägt hat den Begriff der „Proto-Industrie“ FRANKLIN F. MENDELS, der 1975 das flandrische Textilgewerbe im 17. und 18. Jahrhundert untersuchte. Seine zentrale These ist, dass die gewerbliche Verdichtung in den ländlichen Regionen und die damit zusammen hängenden Veränderungen im demographischen Verhalten der textilproduzierenden Bevöl- kerung als ein eigener Typus zwischen feudaler und industrieller Bevölkerungsweise zu betrachten sei. Diesen Prozess bezeichnete er als „Proto-Industrialisierung“ (vgl. Schlögl 2003). Bild 117: Arbeitsteilige Rasiermesserproduktion in einer Manufaktur. Deutlich erkennbar die große Uhr an der Wand im Hinter- grund, die die Arbeitszeit der Manufakturarbeiter reguliert (vgl. u., S. 206 sowie 224). Kupferstich 1783 (Schmid 1977, 20) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 206 ] die Verlagsarbeit von den gängigen Formen moderner Produktion: Der Arbeiter pro- duzierte zuhause, unter seinem Dach, und in den Arbeitsprozeß war seine gesam- te Familie eingeschlossen. [...] Die Manufaktur als zentralisierte (d.h. eine Vielzahl von Produzenten unter einem Dach konzentrierende) Produktionsform begründet eine neue zeitliche Grobstruk- tur des Tages - seine schematische Aufgliederung in aufeinander abgestimmte Zeitblöcke für die Arbeit, Mahlzeiten und die ‚Freizeit’. Zugleich erzeugt sie, weil sie auf prozessualer Arbeitsteilung beruht, eine neuartige zeitliche Feinstruktur der Arbeit: Die Detailarbeiter müssen gleichbleibende Tätigkeitsmuster in gleichblei- benden Zeiteinheiten verrichten, um einen kontinuierlichen Produktionsfluß dieses ‚lebendigen Mechanismus’ zu gewährleisten. [...] Es handelt sich bei dieser Ar- beitsorganisation um einen Typus von Arbeitsteilung, den man am besten als ‚prozessuale’ Arbeitsteilung bezeichnet. Zwar wurden Grundformen dieser Ar- beitsteilung lange vor der Existenz neuzeitlicher Manufakturen praktiziert, aber erst in diesen Produktionsstätten wurden die Potenzen, die in der prozessualen Arbeitstei- lung stecken, systematisch erkannt und genutzt, [denn] prozessuale Arbeitsteilung ist auf die Bedürfnisse kapitalistischer Produktion optimal zugeschnitten, weil sie Effi- zienzvorteile (ADAM SMITH 94) und Lohnkosteneinsparungen (CHARLES BABBAGE 95) ermöglicht“ (Pohlmann 1997, 56 ff.; Hervorhebung von mir. HD.). Integraler Bestandteil der frühneuzeitlichen Umstrukturierung der Arbeitswelt war der sich durch die Reflexionen über die Zeit und die fortschreitende technische Perfektio- nierung der Zeitmessung verstärkende Zwang zur „Anpassung immer größerer Teile der Bevölkerung an das Diktat einer von den Uhren vorgegebenen, einheitlichen und zielgerichteten Zeit“ (Münch 1996, 189). Die Installierung des Zeitdiktats reiht sich ein in die Disziplinierungsstrategien der absolutistischen Staaten, die zur Vorbereitung der Arbeit im Fabriksystem des 19. und 20. Jahrhunderts beigetragen haben: „Nichts de- monstriert den mit einer genauen Zeitplanung verbundenen Disziplinierungswillen an- schaulicher als jener- für sich genommen - unbedeutende Vorfall bei einem der zahlrei- chen Angriffe der Maschinenstürmer in Engl or der Zerstörung der mecha- nischen Webstühle zertrümmerte eine Arbeiterin als erstes die Fabrikuhr, das verhaßte 94 ADAM SMITH (1723-1790): An Inquiry into the Natur and Causes of the Wealth of Nations. 1776 (vgl. o., S. 186 ff.) 95 CHARLES BABBAGE (1792-1871): On the Economy of Machines and Manufactures. 1833 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 207 ] Symbol einer ‚Diktatur der Pünktlichkeit’, die den ‚Blauen Montag’ und andere verbreite- te soziale Gewohnheiten des ‚Müßiggangs’ und der Ablenkung austreiben sollte. [...] Wo die Menschen ihren Arbeitsrhythmus selbst bestimmen konnten, wie dies weitge- hend beim Handwerk und der Landwirtschaft noch der Fall war, hatte sich ein Wechsel von höchster Arbeitsintensität und Müßiggang herausgebildet; dem Regelmäßigkeit und Monotonie fordernden Maschinengehorsam waren jedoch solche und ähnliche so- ziale Gewohnheiten mehr als hinderlich. ‚Unter vorindustriellen Produktionsbedingun- gen waren die Leute viel on den Rhythmen ihrer eigenen Lebensführung kon- trolliert gewesen. Man soll diese Zustände nicht romantisieren - so als ob damals jeder ein unabhängiger, unentfremdeter und freier Mensch gewesen wäre -, aber man sollte sich trotzdem klarmachen, was dieser Wechsel der Produktionssysteme bedeutete. Vor der Einführung der Fabrik hatten die Arbeiter zum Beispiel den ‚heiligen Montag’ als arbeitsfreien Tag gehabt, oft auch noch den Dienstag dazu freigenommen und erst dann die Arbeit der ganzen Woche nachgeholt. Die Disziplin und Zeiteinteilung in der Fabrik machte dergleichen unmöglich.’ Wie in den bekannteren Disziplinierungsanstal- ten, dem Zucht- und Arbeitshaus [vgl. o. 4.1.2, S. 168] und der Kaserne, so waren auch in der ‚ProtoFabrik’ die Techniken des Teilens, des Überwachens, des Strafens, aber auch des Belohnens, Glocken- und Uhrenzei ganda des Zeitspa- rens die gebräuchlichsten Kniffe zur Fabrikation von zuverlässigen Menschen. Diese gelang in der ‚Fabrik’ schließlich deshalb am wirksamsten, weil es dort die Maschinen selbst waren, die die Arbeiter zwangen, di gehor- sam, zu akzeptieren“ (Treiber/Steinert 1980, 29 ff.; dort auch die Fundstellen für die kursivierten Zitate). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 208 ] 4.2 Beruf 4.2.1 „Beruff ist also eine Pflicht“ LUTHERs bleibende Leistung ist es, den Begriff „Beruf“ 1522 mit seiner Bibelüber- setzung 96 in die deutsche Sprache eingeführt und mit menschlicher Tätigkeit ver- knüpft zu haben, wobei er allerdings „Beruf“ und „Berufung“ im Sinne von „vocatio“ (geistlich wie weltlich) noch in eins setzte. Sein Berufsbegriff diente zunächst le- diglich der „Bekämpfung der Askese und des Mönchtums“ (Dunkmann 1922, 86), war also polemischer Kampfbegriff, mit dem er die aktive Tätigkeit des Menschen im Diesseits als freudig erbrachten Dienst am Nächsten und als Gott gefällige Ein- ordnung in dessen Schöpfung als statische Ordnung aufwerten sowie die mensch- liche Welttätigkeit begrifflich erfassen wollte. Bei einer Bewertung aus heutiger Sicht sollte man jedoch Folgendes nicht übersehen: In LUTHERs Verständnis war „die Arbeit im Beruf nicht auf Leistungssteigerung oder gar Veränderung, sondern auf dienende Pflichterfüllung im Gegebenen ausgerichtet. Soziale Mobilität (‚über- steigen’, ‚überpochen’) war ausdrücklich nicht ein Ziel des Berufs“ (Conze 1992/b, 495). Da also ganz offensichtlich „ein unvereinbarer Gegensatz zwischen den Implikaten der lutherischen Berufsanschauung und der modernen Arbeitsein- schätzung“ besteht, weil LUTHER von einer „gegen jedes Leistungsbewußtsein des Menschen gerichteten Arbeitsauffassung“ (Wiedemann 1979, 117) ausgeht, bleibt LUTHER zwar die Ehre, Urheber der Terminologie zu sein, den inhaltlichen Be- gründer des modernen Berufsbegriffs sollte man aber nicht in ihm, sondern viel- mehr im Menschenbild der Aufklärung sehen. Der zweihundert Jahre nach LUTHERs Wirken veröffentlichte Artikel „Beruff“ in JO- HANN HEINRICH ZEDLERs (1706-1763) „Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste“ aus dem Jahre 1733 scheint zunächst noch ganz LUTHERs Berufsauffas- sung verpflichtet, wenn er definiert: „Beruff, einen zu etwas beruffen, heist nichts anders, als einen zu etwas bestimmen, oder ihn zu etwas besondern verpflichten. Der Beruff ist also eine Pflicht, nach der wir etwas besonders in der Menschlichen Gesellschafft zu verrichten schuldig sind. Alle Pflichten sind von GOtt, wen sie 96 „Bleibe in Gottes wort / und ube dich drinnen / und beharre in deinem Beruff“ (Sir. 11, 20). „So ermane nu euch ich […] Das jr wandelt / wie sichs gebürt ewrem Beruff / darinnen jr beruffen seid“ (Eph. 4, 1-2). „Darumb / lieben Brü- der / thut deste mehr vleis / ewern Beruff vnd Erwelung fest zu machen“ (2Petr. 1, 10; Bibelstellen zitiert nach Lu- ther 1973: Sir. 1768, Eph. 2359, Petr. 2418; vgl. Conze 1992/b, 493). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 209 ] rechtmäßig sind, und was nicht rechtmäßig ist, ist keine Pflicht, weil wir auf keiner- ley Weise können verbunden werde[n], dasselbe zu beobachten (zitiert nach Stratmann 1969, 51, dort auch die folgenden Zitate aus ZEDLERs „Lexicon“). Doch während für LUTHER weder der Wille des Einzelnen noch die Qualität der Tä- tigkeit von Bedeutung sind, fügt ZEDLER dem Berufsgedanken aus der Sicht des aufgeklärten Rationalismus zwei qualitativ neue Aspekte hinzu: „Ausser dem Be- wegungs-Grunde, welchen wir oben angeführet haben, daß dieser Beruf der gött- liche Wille sey, sind auch nachfolgende Gründe vorhanden, welche uns nöthigen, demselben zu folgen. Der erste ist die Selbst-Liebe. Ein jeder will sein Glücke ma- chen, nemlich er erwehlet sich solche Endzwecke, durch deren Erlangung er seine Zufriedenheit zu befördern gedencket. [...] Der andre Grund ist der Nutzen der Gesellschaft. Ein jeder ist verpflichtet, etwas, es sey auch, was es wolle, zu dem- selben beyzutragen.“ Beruf wird hier verstanden als aufgrund einer individuellen Zielsetzung bewusst gewählte Tätigkeit sowohl im Interesse des Einzelnen als auch zum Nutzen der Gemeinschaft. Im Gegensatz zur lutherischen Auffassung zeigen Bild 118: Zusammen mit dem Buchdruck war der Kupferstich im 16. Jahrhundert zum ‚Massenmedium’ geworden. Von besonde- rem Interesse an diesem Bild aus der Sammlung „Nova reperta“: Hier wird eine Werkstätte gezeigt, in der neben den arbeitenden Gesellen auch Lehrlinge zu sehen sind. Am rechten Bildrand vorne eine Situation, in der ein Lehrjunge gerade von seinem Meister unterwiesen wird. Kupferstich Ende 16. Jahrhundert (Deutsches Museum 1972) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 210 ] sich hier also durchaus „moderne“ Elemente des Berufsverständnisses: rationale Be- rufswahl statt schicksalhafter Berufspflicht, im Idealfall mit der Folge eines glücklichen Berufstätigen als nützliches Mitglied der Gesellschaft, sogar mit realen Erfolgsaus- sichten, da die Berufswahl korrigierbar ist: „Finden wir, dass wir uns in unserer ersten Wahl betrogen haben, so ist es besser, wir kehren um, als dass wir län- ger im Irrthum verharren, und unsern wahrhaften Beruf bey Seite setzen.“ Mit ZEDLERs Rede vom „wahrhaften Beruf“, also von jenem „innerlichen Be- ruffe“ - wie er ihn auch nennt -, der Eig- nung und Neigung des jeweiligen Men- schen entspricht, konfiguriert sich im „Musterbuch der Moderne“ im Berufs- begriff die Einheit jener Merkmale, „die für die vorindustrielle Arbeitswelt ty- pisch war. Als erstes ist auf vielfältige VorsteIIungen von Ganzheit und Ganz- heitlichkeit zu verweisen, die sowohl das Werkstück oder den Arbeitsprozeß meinen als auch den übergreifenden Zusammenhang der für die Werkvollen- dung aufzubietenden Kräfte und Befä- higungen. Dieses Merkmal ist an vor- industrielle Produktionsweisen gebun- den, weil in der vorindustriellen Gesell- schaft die Arbeitsteilung bis zu Stand und Beruf reichte, nicht weiter. Die in einer Hierarchie ganzheitlicher Funktio- nen zusammengeschlossenen Stände repräsentierten die jedem Glied jeweils zu- kommende Aufgabe. Modellhaft ist das so zu bezeichnende Merkmal in der hand- werklichen Arbeit gegeben. [...] Diese Konkretisierung gestattete es, den Werk- Bild 119: Der herausragenden Bedeutung der Zeitmessung war sich bereits die frühe Neuzeit bewusst. Jedenfalls schließt WEI- GEL 1698 die Erläuterungen zu seinem Kupfer „Der Uhrma- cher“ mit der Feststellung: „Ob die Uhren nutzbar sey- en? ist meines Erachtens bey dieser unserer Zeit fast nicht mehr nöthig zu fragen / weil ihre Einführung an allen Orten hievon gnugsam zeiget / und diejenige / so etwann weit nach von einer Uhr entfernet sind / öffters / wieviel es geschlagen / zu fragen pflegen / ja / dieje- nige / so nicht wissen / wie sie in der Zeit leben / mehr dem thummen Vieh / als vernünfftigen Menschen glei- chen / daher dann die Preiß=löbliche Kunst der Uhr- macher billig in hohem Werth zu halten / und vor ein in dem gemeinen Leben sehr nöthig und nützliches Stuck / als wornach wir uns in vielen Stücken / Ver- richtungen und Geschäfften richten können / zu er- kennen / zu achten und anzunehmen.“ Kupferstich 1698 (Weigel 1987, 286, 286a) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 211 ] vollzug als ganzheitlichen durch traditionell festgelegte technologische Regeln be- stimmt sein zu lassen, während es dem Prinzip solcher handwerklichen Arbeit entgegenstand, durch Analyse aller Einzelstadien die Bedingungen für den Erfolg der Arbeit rational durchsichtig zu machen. [...] Mit dem Merkmal der Ganzheit eng verbunden war dann das der Kontinuität, ja der Lebenslänglichkeit. Die positive Wertschätzung des Berufes kam traditioneller- weise nur solchen Tätigkeiten zu, die ein ganzes Leben ausfüllen. Das Merkmal der Kontinuität aber war stärker noch als durch die Ganzheitlichkeit bestimmt von dem Abglanz religiöser Berufung, nämlich durch das Ideal der Treue, das den Menschen sein Leben lang an einen umschreibbaren und umgrenzten Arbeitsbe- reich bindet: Nur durch eine lebenslängliche Bindung an seine Arbeit gewann der Mensch ein Tätigkeitsfeld, das den Namen Beruf verdiente. Das zu denken ist aber nur möglich auf dem Hintergrund der beruflichen Arbeit als eines aus seinem Glauben erwachsenen Dienstes vor Gott, ein Motiv, dessen Ursprung noch vor der lutherischen Berufslehre liegt und zurückgeht auf die Berufung der Jünger durch Jesus, die von Fischern zu ‚Menschenfischern’ gemacht und damit in eine speziell von Gott gegebene Aufgabe gestellt wurden, deren vornehmstes Merkmal die Treue war, die Treue bis zum Martyrium. Die Einheit des überlieferten Berufsbegriffs verlangte aber noch ein weiteres, von den beiden zuvor genannten abgeleitetes, wenn auch von diesen trennbares Merkmal, nämlich die Qualifikation. Der ganzheitliche, nicht arbeitsteilig zerlegte Werkvollzug erforderte eine spezifische Befähigung, die in langer Lehrzeit erwor- ben werden mußte. Darum schien es auch ökonomisch sinnvoll, einen einmal ge- lernten Beruf ein Leben lang auszuüben. Daraus folgte, daß Tätigkeiten, deren Ausübung keine besondere Ausbildung erforderte, nicht als Berufe angesehen wurden. [...] Der vorindustrielle Berufsbegriff faßte die Qualifikation als ein spezifi- sches Geschick, das einen zusammenhängenden Arbeitsvorgang in individueller Leistung zu meistern erlaubte und dessen Erfahrungsregeln in langer Übung er- lernbar waren, während die industriellen Anforderungen auf etwas anderes tendie- ren, nämlich auf hochspezialisierte Einzelleistungen, die einerseits nur in koopera- tiver Arbeit mit anderen fruchtbar werden und die andererseits ihre Basis weniger in Erfahrungsregeln als in der Theorie der Beherrschung technischer Prozesse haben“ (Blankertz 1969, 31 f.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 212 ] 4.2.2 „Vermaledeyte und verffluchte zünffte“ Trotz seiner Verankerung im vorindustriellen Handwerk ist dieser säkularisierte in- dividualistische Berufsgedanke, der in den Ideen der Aufklärung wurzelt, aber auch zu sehen als Kontrapunkt zur Berufsauffassung der Zünfte, die seit dem Spätmittelalter die urbane Berufsarbeit im Handwerk regulierten und dominierten. Die Korporationen gaben den Handwerksbetrieben in den Städten Produktions- kapazitäten wie Angebotspalette vor und regulierten die Zugänge zu den Märkten, sie kontrollierten Preise wie Qualität der Produkte und schützten vor unliebsa- mer Konkurrenz genauso wie sie ihre Mitglieder in sozialen Notlagen stützten. Darüber hinaus konstituierten und för- derten sie vor allem das Elite- und Stan- desbewusstsein der zünftigen Hand- werker, indem sie die Berufe mit stren- gem Traditionsbewusstsein und zahl- reichen Auflagen untereinander scharf abgrenzten, dadurch den Kreis der handwerksfähigen Anwärter für die ein- zelnen Berufe möglichst klein hielten und sie so nicht zuletzt gegen unter- ständische Schichten wirksam abschot- teten. Der zünftige Berufsbegriff ist nicht Persönlichkeitsmerkmal, sondern Teil rigider Standesregularien, zuerst und oft al- lein Kriterium der Ab- und Ausgrenzung, deren konsequente Durchsetzung verbun- den mit harten Sanktionen gegen Abweichler die Berufsbezeichnung selbst zum Synonym für „Stand“ werden ließ. Zünftige Berufsausbildung bedeutete demzufolge erst in zweiter Linie die Ver- mittlung berufsspezifischer Fertigkeiten und professioneller Kenntnisse, Priorität hatte vielmehr die möglichst reibungslose Sozialisation der jungen Eleven in den jeweiligen Stand: „So hatte die Zunft zugleich als Lebens- und Werkgemeinschaft eine große erzieherische Wirkung, der sich kein Handwerker entziehen konnte. Der handwerkliche Lebensstil, in den der Lehrling hineinwachsen sollte wurde von Bild 120: Edelsteine schleifen oder Gerätschaften aus einem Stück Stein schneiden, „diejenige, so in dieser Kunst er- fahrne / nennet man die Edelgestein-Schneider.“ Der Frau fällt hier der körperlich anstrengendere Part zu, sie bedient den Antrieb für die Schleifmaschine. Kupferstich 1698 (Weigel 1987, 268, 270a) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 213 ] der gewerblichen Korporation geprägt und kontrolliert. Gebunden an Sitte und Tradition des Gewerks, vollzog sich die häusliche Erziehung unter ihrer Aufsicht. [Durch die] rechtlich wirksame Aufnahme des Jungen in das Haus des Meisters [...] bekam die handwerkliche Erziehung [...] den Charakter einer familiären Gemein- schaftserziehung. Sie wurde getragen von dem unbedingten Willen zu dieser Ge- meinschaft, in die der Jun- ge aufgenommen war und deren Träger er einmal sein sollte. Dieser Wille stand so im Vordergrund, daß die Zunftlehre nicht vorrangig auf die Ausbil- dung und berufliche Quali- fizierung angelegt war, sondern einem Inkorporie- rungsprozeß diente, zu dem die berufliche Ertüchti- gung aber hinzugehörte und eine katalysatorische Hilfe war. Der Lehrmeister selbst handelte nur im Auf- trage der Korporation“ (Stratmann 1967, 16 f.). Mit Beginn der frühen Neuzeit war die „Zunftverfassung“ in ihrer noch Jahrhunder- te weiter gültigen Struktur voll ausgebildet 97 und Macht und Einfluss der Korporati- onen korrespondierten bis in das 17. Jahrhundert hinein mit der Entwicklung der Städte, deren „Aktivität und Reichtum [...] in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun- derts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts am größten waren, als sich ihre Bedeu- tung für das öffentliche Leben bereits relativierte. So wuchs in Bautzen die Zahl der Berufe zwischen 1436 und 1600 von 85 auf 110 und ging erst danach bis 1685 wieder auf 96 zurück, so vermehrte sich in München die Zahl der Gewerbe zwi- 97 Zur Klärung der gesellschaftlichen Stellung der Zünfte und ihrer überragenden Bedeutung für die handwerkliche Be- rufserziehung in der frühen Neuzeit ist neben Stratmann 1969 insbesondere Stratmann 1993 heranzuziehen. Dort finden sich auch weitere verstreute und schwer zugängliche Quellen. Bild 121: Beruf als Ständesymbol: Diese Gruppe von fünf Vertretern des feudalen Ständestaates wird angeführt von einem Ritter in vollem Harnisch, dem eine Zweier- gruppe mit einem Fürsten im hermelinbesetzten Mantel und einem Patrizier mit Filzhut folgt. Dahinter tritt als Vertreter des Handwerks, das er mit dynamisch- energischer Körpersprache selbstbewusst repräsentiert, ein Schmied mit Hammer und Zange auf. Den Schluss bildet ein etwas kümmerlich wirkender, zerlumpter Bauer mit Dreschflegel. Ausschnitt aus einem 1526 in Holz geschnittenen Fries aus der Werkstatt ALBRECHT DÜRERs (1478-1528) (Bild: Dürer 1971, 1838; Text vgl. Fraenger 1985, 52) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 214 ] schen 1500 und 1618 von 89 auf 140. Dann schrumpfte sie und beharrte zwischen 1649 und 1802 auf einem etwa gleichblei bis 120 Gewerben“ (Engelsing 1976, 77). Doch die sich nach den geistigen und materiellen Ver- wüstungen des dreißigjährigen Krieges beschleunigenden und immer schärfer kontu- rierenden ideologischen, technologischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und po- litischen Veränderungen legten bloß, dass die aus dem ehernen korporativen Geist erwachsene Stärke der Zünfte zugleich ihre Achillesferse war. „Die Inanspruchnahme der handwerklichen Korporationsrechte primär zur Existenzsicherung ihrer Mitglieder erschien nun als offener Zunftmissbrauch, und die Meisterlehre selbst ließ gerade das, was ihre Stärke ausmachte, den Tradi onalismus als Mangel sehen“ (Blankertz 1969, 19; vgl. u. Anm. 98, S. 214). Traditionsbewusstsein, Konservativismus sowie Reformunfähigkeit brachten also die Zünfte mit Beginn des 18. Jahrhunderts auf na- hezu allen zukunftsträchtigen Gebieten mehr und mehr in die Defensive: • Auf individueller Ebene setzten sich die Korporationen in Opposition zum Einzelnen, da sie im Widerspruch zu dem durch Humanismus und Aufklä- rung formulierten Recht des autonomen Individuums, über Arbeitskraft und Beruf selbst zu bestimmen, weiterhin „ihren uneingeschränkten Absolutheits- und Gehorsamsanspruch geltend“ (Stratmann 1967, 20) machten.98 • Mit der Umsetzung der Theorie des Absolutismus in praktische Herrschaft verschärfte sich auch zunehmend der Interessenkonflikt zwischen Zünften und absolutistischen Territorialherrschern, da letztere bemüht waren, Sub- zentren die die zentralistisch-egalistische Staats- und Herrschaftsorganisati- on störten, zu entmachten und zu assimilieren. 99 98 Eine naturrechtlich begründete Zunftkritik formulierte 1795 JOHANN BENJAMIN ERHARD (1766-1827), Arzt in Nürnberg, deutscher Jakobiner und an KANT orientierter Vertreter der Vertragstheorie, der forderte, dass die freien Staatsbürger die Menschenrechte eigenständig politisch umsetzten: „Über die Menschenrechte kann kein Vertrag geschlossen wer- den, weil ich mit ihnen das Recht, einen Vertrag zu schließen, verliere. Niemand kann sich selbst zum Sklaven ma- chen. [...] Zur Bequemlichkeit des Lebens und zur größern Sicherheit, daß ein Bedürfnis nicht fehle, ist es oft gut, daß ein Recht, welches seiner Natur nach von mehrern ausgeübt werden könnte, einem einzigen ausschließend erteilt werde. Vorzüglich ist dies notwendig, wenn Gefahr vorhanden ist, daß ein Recht wegen des geringen Nutzens, den es gibt, wenn es mehrere ausüben, gar nicht ausgeübt würde. Unter diesen Umständen tut die Gesetzgebung recht, wenn sie einigen, die jenes Recht am meisten übten, ausschließend das Recht dazu gibt. Dies ist die natürliche und rechtli- che Entstehung der Innungen, Monopolien u.s.w. Diese Einrichtungen an sich beleidigen die Menschenrechte auch nicht. Da sie aber immer eine Einschränkung der ursprünglichen Rechte sind, so müssen sie sich einer Kritik ihrer Notwendigkeit zum Wohl der Gesellschaft unterwerfen. Sobald sie nicht notwendig sind, sind sie ungerecht, und sobald sie die Bereicherung einzelner zum Zweck und Erfolg haben, so sind sie als weder durch Recht noch durch Bedürfnis, sondern durch die Willkür eingeführt den Menschenrechten zuwider“ (Erhard 1970, 33 f.). 99 In diesen Kontext der „machtpolitischen Auseinandersetzung [des Staates] mit dem Zunftwesen, die darauf zielte, das relativ autonome Innungsrecht durch heteronome Satzungen abzulösen“ (Stratmann 1967, 205), gehören z. B. der Reichsabschied von 1731 ebenso wie die preußischen Handwerksordnungen von 1733 und 1774 und auch noch das Preußische Landrecht von 1794. 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 215 ] • Die Merkantilisten sahen sich in ihren staatswirtschaftlichen Planungen und Entscheidungen durch die Innungen so behindert, dass sie bereits 1686 die „vermaledeyten und als die ärgste pest von ganz Teutschland verffluchte zünffte [anprangerten] als die ursach, wa- rum in Teutschland die manufactu- ren nicht haben über sich kommen können“ (zitiert nach Stratmann 1967, 21). Folglich musste „der Kameralismus [...] den sich als große Handelsfirma begreifenden absolutistischen Staat zu einem Kampf gegen das Handwerk trei- ben“ (Blankertz 1969, 19). • Die Zünfte ihrerseits betrachteten Naturwissenschaften und techno- logischen Fortschritt in erster Linie als bedrohlichen Widerpart, da durch deren Erkenntnisse der Wandel der Produktions- und Arbeitstechniken, etwa Maschineneinsatz und Mechanisierung, vorangetrieben wurde, wodurch sie ihre zünftigen Traditionen ebenso bedroht sahen wie ihre Monopolstellung. • Wachsenden Druck auf die Korporationen erzeugte darüber hinaus die Ero- sion der mittelalterlichen Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land, weil die aus der Entstehung proto-industrieller Kerne im ländlichen Bereich er- wachsende Konkurrenz die monopolähnliche Stellung des urbanen Hand- werks tatsächlich erschütterte (vgl. o. 4.1.6, S. 197 ff., Anm. 93, S. 205). • Nicht zuletzt gerieten die Zünfte auch in einen Antagonismus zum ökonomisch erstarkten Bürgertum, das aufgrund der von ihm vorangetriebenen Kapitalisie- rung der Wirtschaft die Einführung und Ausweitung neuer arbeitsteiliger Pro- duktions- und flexibler Arbeitsformen wie Manufaktur und Lohnarbeit forcierte. Dies zeigt, „spätestens seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts stellten die Hand- werkszünfte keine progressiven Elemente der Stadtwirtschaft mehr dar“ (Endres 1996, 402), und da die gewerblich-handwerkliche Berufsausbildung den Zünften Bild 122: Schriftgießer bei der Arbeit. Die Frau übernimmt die Hilfsarbeiten wie das Putzen und Entgraten der gegossenen Buchstaben. Kupferstich 1698 (Weigel 1987, 248a) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 216 ] als ihr ureigenstes Anliegen galt, beschreibt das soeben umrissene Krisenszena- rio zwangsläufig auch eine „Krise der Berufserziehung“ (Stratmann 1967; vgl. Müllges 1979/b, 22 ff.). So sah sich die handwerkliche Berufsausbildung, die „vom Technischen her gesehen, Erziehung zur Nachahmung komplexer Zusam- menhänge, und zwar vorwiegend unter Anspannung der qualitativen Vermögen der Sinnesorgane und ausdrücklicher Sperre gegen analytisch-quantitatives Denken“ (Blankertz 1969,19) war, zunehmender Kritik ausgesetzt, die einerseits auf der humanistisch-aufklärerischen Erkenntnis beruhte, dass individuelles Wis- sen und Können durchaus veränderbare Faktoren sind, andererseits aber auch ökonomisch und politisch motiviert war. Auf eine explizite Darstellung der daraus resultierenden zahlreichen Reformansätze für die Berufserziehung in der frü- hen Neuzeit (vgl. z. B. König 1985; Endres 1996, 405 ff.; Müllges 1979/b, 27 ff.) kann an dieser Stelle verzichtet werden, da dieses Thema Teil eigener Ausarbei- tungen für VISUBA ist.100 4.2.3 „Trennung in zwei Körperwelten“ Genaueres Hinsehen erweist überdies, die Krise der Zünfte und der Berufsbildung war, wenn auch nicht ursächlich miteinander verknüpft, zugleich eine Krise der handwerklichen Frauenarbeit, denn mit Beginn des 18. Jahrhunderts „waren Frauen schließlich in fast allen Handwerken auf minderwertige Hilfsarbeiten ver- wiesen oder sogar völlig aus dem Handwerk verdrängt. Wer aber dennoch ge- zwungen war, für seinen eigenen Lebensunterhalt oder den der Familie zu sorgen, konnte meist nur in der Heimarbeit tätig werden. Wie sehr sich das im späten Mit- telalter durchaus von Frauen mitbestimmte und geprägte Handwerk zu einer rei- nen Männerdomäne entwickelt hatte, zeigen die erheblichen Widerstände, die von seiten der Zünfte gegen eine reichsgesetzliche Einführung der Frauenarbeit in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts erhoben wurden“ (Endres 1996, 402). Der Grund hierfür ist wohl zu suchen in der Neudefinition der gesellschaftlichen Rollen von Männern und Frauen als Folge der philosophisch begründeten Konstituierung des politisch-sozialen Individuums, weil „die Philosophen von 100 Vgl. folgende Teilkonzepte für VISUBA: MASLANKOWSKI, Willi: Bedeutende Theoretiker der Bildung und Berufsbildung. Königswinter 2004 DEMMEL, Walter und PÄTZOLD, Günter: Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf. Mün- chen/Dortmund 2004 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 217 ] HOBBES bis ROUSSEAU dabei an das männliche Individuum dachten. Die Praxis der politischen Rechte bewies das zur Genüge. Allenthalben in West- und Mit- teleuropa wurden die Reste politischer Rechte von Frauen aus der Frühen Neuzeit aus der Praxis ausgegrenzt. 1789 dachte mit Ausnahme einer Rei- he berühmt gewordener Frauen und einiger Männer in Frankreich niemand daran, den Frauen zusammen mit dem Gros der Männer erstmals politi- sche Mitbestimmungsrechte einzuräu- men. Zwar hieß es, daß das Volk der Souverän sei, aber der Begriff des Volks war mit dem der Öffentlichkeit korreliert. Die Öffentlichkeit der Auf- klärung war männlich, die Frauen wur- den in langen anthropologischen Trak- taten auf ihre natürlichen Bestimmun- gen reduziert; für sie ‚erfand’ man die Sphäre des Privaten, die streng von der politischen Öffentlichkeit abge- grenzt wurde. Während einerseits allgemein von Mensch und Menschheit ge- sprochen wurde, entwickelten sich parallel zwei getrennte anthropologische Modelle für Frau und Mann. Die im anatomischen Blick des 16. und 17. Jahrhunderts noch sehr miteinander verflochtene Körperwelt, die Frau und Mann zugleich umspannte, wurde durch ei- ne Trennung in zwei Körperwelten ersetzt. Wo man hinschaut, wurden in den Auf- klärungsdiskursen Trennlinien zwischen Frau und Mann auf der Grundlage des biologischen Geschlechts eingeführt. Hieraus entstanden für Männer wie Frauen hohe kollektive Zwänge, einem ganz bestimmten Modell von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit zu entsprechen. Mit der manchmal geradezu stupenden Vielfalt von individuellen Lebensentwürfen im 16. Jahrhundert war es endgültig aus. Systemi- sches Denken überzog alles und schloß die Fluchttüren“ (Schmale 2001, 249 f.). Diese „veränderte Auffassung von weiblicher Handwerkstätigkeit findet sich in ei- Bild 123: Obwohl WEIGLs Grafik nur Frauen bei der Arbeit zeigt, trägt diese Berufsdarstellung den Titel „Der Saitenma- cher“. Offenbar war gegen Ende des 17. Jahrhunderts auch die be- griffliche Verdrängung der Frauen aus zünftiger Berufsarbeit bereits weit fortgeschritten. Kupferstich 1698 (Weigel 1987, 240a) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 218 ] nem Kompendium des Handwerksrechts aus dem Jahre 1717: ‚Ordentlicher Wei- se darf keine Weibsperson ein Handwerk treiben, ob sie es gleich so gut als eine Mannsperson verstünde, [denn] das Mädchen sei zum Heurathen bestimmt und könne man nicht wissen, wen sie einmal heurathen werde; eine gelernte Schuste- rinn sei aber dem Schmiede nicht nütze’“ (Endres 1996, 402). Ein Denkschema, das nicht nur die folgende Epoche der Industrialisierung der Arbeitsverhältnisse prägen sollte, sondern mancherorts noch bis heute nachwirkt. Bild 124: Die Spinnstube der Tuchmanufaktur Oberleutensdorf Böhmen. Die Organisation der Arbeit in der Maufaktur er- leichtert die Kontrolle der hier beschäftigten Arbeitskräfte, in diesem Falle hauptsächlich Frauen und Kinder (Grimm 1985, 100). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 219 ] 4.3 Visualisierung (Leitobjekt: eiserne Räderuhr) 4.3.1 Zentralbereich Kulturhistorikern ist der Umgang mit der Zeit ein wichtiger Indikator für jede ge- schichtliche Epoche, denn „in der Praxis der Zeitmessung und Zeiteinteilung spie- gelt sich eine Kultur ebenso unverwechselbar wie in ihren theoretischen Überle- gungen über das Wesen der Zeit. Beide Bereiche erfuhren während der frühen Neuzeit grundsätzliche Wandlungen. […] Die Mängelgesellschaft der frühen Neuzeit war nicht zuletzt eine Zeitman- gelgesellschaft, weniger im Alltag, für den man noch nicht mit Sekunden und kaum mit Minuten rechnete, als viel- mehr in der durchschnittlichen Lebens- erwartung, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten fast verdreifacht hat. Es ist eine merkwürdige Paradoxie, daß eine Gesellschaft mit sehr begrenztem Zeitbudget die Zeit nur ungefähr ge- messen hat und daß erst mit der Zu- nahme an verfügbarer Zeit ihre Aus- messung in immer kleineren Einheiten erfolgte. Die Entwicklung der Räderuhr, deren technische Vervollkommnung sich parallel zu den wachsenden wirtschaftlichen Bedürfnissen nach Koordination und Synchronisation vollzog, löste die ‚Zeitmessung ohne Uhr’ ab“ (Münch 1996, 155). GERHARD DORN-VAN ROSSUM beschreibt in seiner „Geschichte der Stunde“, wie sich die Zeitvorstellungen der Menschen im Lauf der Geschichte verändert haben und betont dabei die nachgerade revolutionären Folgen des Beginns der Zeitmes- sung mittels mechanischer Uhr: „Die Gesellschaft wurde durch die Schlüsselma- schine Uhr in den Gleichtakt gebracht, der unsere Existenz bis heute bestimmt: als zuverlässiges Maß, aber auch als Diktat und als Disziplinierung des öffentli- chen wie privaten Lebens: bis hin zu unserer von Weltzeit, Atomuhren, Zeitkontrol- Bild 125: Schutzumschlag für den Katalog der Ausstellung Die Welt als Uhr. Deutsche Uhren und Automaten 1550-1650. Hgg. von Klaus MAURICE und Otto MAYR. München/Berlin 1980 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 220 ] le und überall ablesbaren öffentlichen Uhren bestimmten Gegenwart“ (zitiert nach Weis 1998, 20; Hervorhebung von mir. HD.) Historische Räderuhr Demnach ist wohl kaum ein anderes Artefakt geeigneter als Symbol für die „Epo- che des aufgeklärten Arbeitsbegriffs“ als das Original einer eisernen Räderuhr. Den Zeitgenossen der frühen Neuzeit galt die Räderuhr als „ein Wunder des erfin- denden Genies, ein Triumph handwerk- lich-technischer Kunst, eine Mechanik von ästhetischer Vollendung. Jahrhun- dertelang verkörperte sie vom tech- nisch-ingenieurmäßigen Standpunkt die Avantgarde europäischer Technik und Industrie. Ihre Konstruktionselemente lösten subtil gestellte Aufgaben mit ei- ner mechanischen Raffinesse, die auch von der heutigen Forschung noch gar nicht gewürdigt ist. Diese Konstrukti- onselemente waren sowohl räumlich wie intellektuell in einer strengen Ord- nung strukturiert. In der Logik ihrer Wir- kung bildeten die Bauelemente dieser Uhren festgefügte Kausalketten, die ih- re Befehle von einer zentralen Stelle empfingen, in der das zeitliche Verhalten des ganzen Mechanismus von Anfang an und für alle Zukunft vorherprogrammiert war. Gerade in Anbetracht einer beschränkten Nützlichkeit war die Ausstrahlung der Räderuhr erstaunlich: sie wurde einmal in Mengen und in jeder Größe produziert, und sie beherrschte zum anderen als Denkbild, wie keine Maschine je zuvor, die Gehirne und Gemüter einer ganzen Zivilisation. Als technisch-künstlerischer Ausdruck einer Epoche erreichte die Räderuhr ihren Höhepunkt in dem Jahr- hundert zwischen 1550 und 1650 und geographisch im deutschsprachigen Mittel- europa. […] Der Reiz der Uhr lag nicht in ihrer praktisch-konkreten Brauchbarkeit, sondern hatte einen abstrakten, ja mystischen Charakter, über dessen Ursprünge sich die Liebhaber und Sammler dieser Maschinen allerdings kaum klar waren. Die Bild 126: Beispiel für eine eiserne Räderuhr aus dem 18. Jahr- hundert: Französische Laternenuhr ca. 1720 (Wehrle 2003) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 221 ] Uhr bildete zur politischen Wirklichkeit mit der zusammenbrechenden Staats- und Gesellschaftsordnung des Mittelalters, zu den von der Reformation verursachten Religionskriegen, zu der Vielzahl aufrührerischer, neuer Ideen und den dadurch ausgelösten sozialen Unruhen den denkbar stärksten Kontrast. Die Uhr verkörperte, was die Wirklichkeit nicht enthielt: sie war Demonstration ei- ner zentral organisierten, unabänderlich funktionierenden rationalen Ordnung. Man begann, das Weltbild nach dem Vorbild der Uhr zu formen und sich die drei wesentlichsten Systeme, in denen der Mensch sein Leben verbringt, nämlich Kosmos, Körper und Staat, als Uhrwerke vorzustellen. Das Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung wurde dem zwischen Uhrmacher und Uhr vergleichbar, die Harmonie der Welt wurde erklärt durch die Gesetzlichkeit der Uhr. Der tierische Körper wurde als ein vom Uhrwerk getriebener Automat verstanden, und die Au- tomatentechnik versprach Verwirklichung des alten Traums von der Erschaffung Bild 127: Die lateinische Bildunterschrift lautet: „DIE EISERNE RÄDERUHR. Fein aus Eisen gemacht, so dreht sich das Rad wie der Himmel, Zeigt die Stunden genau, jetzt und auch spätere an.“ Die eiserne Räderuhr mit Gewichtsan- trieb und Spindelhemmung mit horizontal schwingender ‚Waag’ (Foliot) wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts erfunden. Die Hemmung ist eine der bedeutsamsten Erfindungen des Mittelalters. Die Uhr mit dem Pendel als Gangregler wird erst im 17. Jahr- hundert erfunden. Dieses Blatt aus der Bilderfolge „Nova reperta“ zeigt eine Uhrmacherwerkstätte des 16. Jahrhunderts. Die Herstellung der Räderuhren oblag den Schlossern, wobei aber auch Schmiedearbeit eine wesentliche Rolle spielte. Die Zahnräder wur- den gefertigt, indem man am Schraubstock Zahn für Zahn einzeln ausfeilte. Am Arbeitstisch links angelehnt steht eine Spindel mit ‚Waag’. Kupferstich Ende 16. Jahrhundert (Deutsches Museum 1972) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 222 ] künstlichen Lebens. Uhr und Automat wurden zur grundlegenden Analogie der Medizin. Die gleiche Analogie galt für den Staat, den man sich ersehnte: ein Gebil- de mit zentraler Autorität, dessen Teile mit der gleichen Selbstverständlichkeit, Be- rechenbarkeit und Schnelligkeit zusammenwirkten, wie die Räder in einem Uhrwerk. Die Staatsform der absoluten Monarchie, die sich mit dem Beginn des 17. Jahr- hunderts in Europa immer mehr verbreitete, verwirklichte sehr genau dieses Stre- ben“ (Maurice 1980, XIV f.; Hervorhebungen von mir. HD.). Computer-Spiel Zur Publikumsaktivierung habe ich als Visualisierungsvorschlag für diese Epoche auch ein Computerspiel vorgesehen. Dessen Autor, WOLFGANG PETZ, stellt im Fol- genden ein bereits existierendes Spiel vor, das sich mit wenig Aufwand so modifi- zieren ließe, dass es auf unterhaltsam-informative Weise in die Themen dieser Epoche einführte, und er begründet zugleich, warum sich PC-Spiele grundsätz- lich für den museumspäda- gogischen Einsatz eignen: „Das Spiel- und Informa- tionsprogramm ‚Rad der Fortuna’ auf CD-ROM ent- stand im Anschluss an die drei Landesausstellungen des Hauses der Bayeri- schen Geschichte [1997/98] unter dem Leitthema ‚Bür- gertum und Religion’. [...] Gewählt wurde dabei ein Ansatz, der über eine Personalisierung durch fiktive Protagonisten den Spieler in die Welt der frühneuzeitlichen Stadt einführt. Ihre ‚Lebensläufe’ verdeutlichen sowohl all- gemeine wie standestypische Bedingungen des 16. bis 18. Jahrhunderts: Kinder- sterblichkeit und städtisches Schulwesen, Ausbildungsnormen im Handwerk und Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer eigenen Familie, Grundstrukturen des Ge- meinschaftslebens, Risiken des Alters. Dass die jedem historischen Spiel eigene Vermischung von fiktiven und quellennahen Komponenten Probleme aufwirft, soll Bild 128: Der Startbildsschirm des Computer-Spiels „Rad der Fortuna. Leben und Überleben in einer alten Stadt“. Mit den am rechten Bildrand platzierten Icons „Rad“ und „Bücherstapel“ kann zwischen Spiel- oder Informationsmodus gewählt werden (Petz 2000, 39). 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 223 ] nicht verschwiegen werden. Entgegenhalten lässt sich einer puristischen Argumenta- tion unter anderem, dass Spiel und Fiktion Teil der populären Geschichtskultur sind und - zusammen mit historischen Romanen, Filmen, Festen - das Bild vergangener Epochen nachhaltiger prägen als Dissertationen und Fachkolloquien. Dieses Bedürf- nis nach spielerischem Umgang mit Geschichte zu negieren, würde bedeuten, dem Auseinanderdriften von populärer Geschichtskultur und historischer Wissenschaft Vorschub zu leisten. Wesentlich für einen Umgang mit Geschichte, der sich didak- tisch verantworten lässt, erscheint jedoch die klare Trennung von Fiktion und authen- tischer historischer Quelle. ‚Rad der Fortuna’ versucht dem insofern Rechnung zu tragen, als Spiel- und Informationsteil zwar aufeinander bezogene, aber doch klar un- terscheidbare Ebenen des Programms bilden. [...] Auf der zweiten Ebene des Programms lassen sich anhand einer Stadtansicht Bilder, Grafiken, Ton- und Filmsequenzen mit Erläuterungen abrufen - ein ‚virtuelles Muse- um’ zur Geschichte der Stadt in der frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert). Die Be- nutzerführung erfolgt hier über zwölf Zugänge: Patrizierhaus, Handwerkerhaus und Taglöhnerbehausung informieren über privaten Alltag und Wirtschaft; evangelische Stadtkirche, Rathaus, Marktplatz, Spital, Schule, Zunfthaus, Kloster und Stadttor füh- ren in Bereiche des öffentlichen Lebens. Über diese Zugänge lassen sich jeweils vier bis zehn Fenster öffnen, die insgesamt über hundert historische Objekte im Bild bzw. in Filmausschnitten vorstellen und erläutern. Überwiegend handelt es sich dabei um Gegenstände aus überregionalen Sammlungen sowie aus ortsgeschichtlichen Muse- en im süddeutschen Raum. Kurze Texte vermitteln jeweils Hintergrundinfor- mationen zu den Werken und ordnen sie in den historischen Kontext ein. Zusätzli- che Funktionen ermöglichen die Betrachtung von Details, blenden Transkriptionen und Erläuterungen von Einzelheiten oder Tondokumente ein. In dieser Schulung des Blicks liegt ein Vorzug des Mediums CD-ROM gegenüber einem ungeführten und un- vorbereiteten Ausstellungsbesuch. [...] Der Informationsteil ist inhaltlich eng mit den Aufgaben des Spielteils verknüpft, denn zu jeder im Spiel gestellten Frage kann die Lösung aus der ‚Bibliothek’ abgerufen werden. Darüber hinaus ermöglicht ein Regis- ter die gezielte Suche nach Stichworten. Das ‚virtuelle Museum’ soll jedoch auch oh- ne Verbindung mit der Spielebene zum Entdecken geschichtlicher Überlieferungen in ihrer Vielfalt einladen. Als Hilfe dazu dienen Hinweise auf Größe und Technik der Ob- jekte sowie auf ihren heutigen Standort“ (Petz 2000, 39 ff.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 224 ] 4.3.2 Insellösung im DM Es bietet sich an, dieses Thema mit der Abteilung „Zeitmessung“ des DM zu ver- knüpfen und dort den Bezug zu VISUBA über das Leitthema „Bedeutung der Zeitmessung für den Bereich der Arbeit“ herzustellen. Als zeitlicher Beginn dafür eignet sich die hier behandelte Epoche ganz besonders, denn „parallel zur techni- schen Verbesserung der Uhren setzten sich in den frühneuzeitlichen Ge- meinwesen langsam, doch un- aufhaltsam die neuen Zeitein- heiten durch. Während Bauern noch lange im alten, vorwie- gend an der Natur orientierten Rhythmus verharrten und Hand- werker zur Organisation ihrer Arbeit in der Regel gleichfalls keine Uhren benötigten, ver- langten die vielfältigen, mitein- ander verknüpften Aufgaben in Verwaltung, Handel und Lohn- arbeit nach den verläßlichen Maßen der Uhrzeit. Das Tage- buch des Augsburger Kaufmanns LUCAS REM, das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde, rechnete schon ganz selbstverständlich mit Stunden und ihren kleineren Einheiten. In den Bereichen, in denen Lohnarbeit üblich war, im Baugewerbe, im Bergbau, in den verlegten Gewerben und in den Manufakturen, wurde die Stundenordnung zur Regel, außerdem wurde die Ent- lohnung vom Taglohn auf den Stundenlohn umgestellt. Die unübersehbare Anzahl konfessioneller und weltlicher Gesetze, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert erlassen wurde, suchte den Stundentakt in allen nur denkbaren Bereichen einzu- führen, in den Kirchen-, Schul-, Gerichts- und Polizeiordnungen ebenso wie in den Hofordnungen, deren Ideal die uhrengleiche Präzision der höfischen Sozialord- nung war“ (Münch 1996, 187 f.). Wie tiefgreifend die Arbeitswelt durch die Implementierung des Zeitdiktats um- strukturiert wurde, verdeutlichet die Darstellung der technologischen Weiterent- Bild 129: Uhrmechanik in der Abteilung „Zeitmessung“ des Deut- schen Museums (Deutsches Museum 2000, 129) 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) [ 225 ] wicklung der Uhren zur Erfassung der Arbeitszeit in Zusammenhang mit der Ana- lyse der Rationalisierungspotentiale im Arbeitsprozess (TAYLOR und Fließband, Refa, Stechuhr etc.; vgl. u., S. 269 ff.) und stellt so die Verbindung zur Arbeits- und Berufswelt der Gegenwart und zum heutigen Berufsbild des Uhrmachers her, über das sich Interessierte mittels nachstehendem Link informieren können: http://www.kh-coesfeld.de/innungen/uhrmacher/f-berufsausbildung.htm 4.3.3 Leitziele der Visualisierung Das Leitobjekt „eiserne Räderuhr“ • ist das Symbol für das bis in unsere Tage dominierende naturwissenschaftlich-mechanistische Weltbild; • zeigt die Bedeutung des Faktors Zeit und der Zeitmessung für den Bereich der Arbeit von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart; • veranschaulicht die Verwissenschaftlichung des Berufswissens (Energiespeicherung, Verstetigung der Energieabgabe, Pendel, Zahnrad- und Übersetzungsberechnungen, Miniaturisierung…); • demonstriert die Transformation traditioneller in neue Berufe (z. B. durch Spezialisierung vom Schmied zum Uhrmacher). Der Prozess der Transformation traditioneller Berufe kann am Beispiel der Uhr- macherzunft in Augsburg veranschaulicht werden. Bekanntlich „existierten bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts keine eigentlichen Zentren der Uhrenherstel- lung, die diesen Namen verdienten. Um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert entwickelten sich aber Augsburg und Nürnberg in diese Richtung. Beide Städte waren im Mittelalter für die Metallverarbeitung bekannt, und beide Städte boten als große Handelsstädte ausgezeichnete Exportmöglichkeiten. Die Verbindung beider Faktoren trug zur Ansiedlung und Blüte des Uhrmacherhandwerks bei. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren die Augsburger und Nürnberger Uhrmacher und ihre Produkte in ganz Europa bekannt, und ihr Ruhm nahm durch die Erfindung der Taschenuhr noch weiter zu, die fälschlicherweise PETER HENLEIN aus Nürnberg zugeschrieben wurde. Wir besitzen keine Angaben über die Zahl der Uhrmacher in Nürnberg. Aber für Augsburg belegen drei Erhebungen aus den Jahren 1610, 1615 und 1619, daß in der Stadt ungefähr 40 Uhrmachermeister und ungefähr Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 226 ] ebenso viele Gesellen und Lehrlinge arbeiteten. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts erlebte die Wirtschaft Nürnbergs und Augsburgs einen Niedergang, aber der Ruf des Uhrmacherhandwerks der beiden Reichsstädte war noch bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts lebendig. Auch Ende des 16. Jahrhunderts flo- rierte der Export von Uhren aus Augsburg und Nürnberg, und der Italiener T. GAR- ZONI schrieb, ‚die Germanen sind heute stolz auf dieses Handwerk, weil alle schö- nen und genauen Uhren von dort kommen’“ (Cipolla 1997, 70; Hervorhebungen von mir. HD.; vgl. speziell zur Uhrenindustrie in Augsburg: Gross 1980). 4.3.3 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 4 Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 - 1800) Ort der Realisierung Exponate und „Zubehör“ Besucher- Aktivitäten PC-Station und Software Flachware etc. Fläche (ca.) Zentral- bereich eiserne Räderuhr (möglichst Original aus dem 17./18. Jahrhun- dert) Sockel und Glasvitrine Sitzgelegen- heiten für Zu- schauer/innen Recherche am PC PC-Spiel: „Berufsleben in einer frühneuzeit- lichen Stadt“ PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) PC mit Sitzgele- genheiten für Spielende Spiel-Software Erläuterungen zum Exponat Faltblatt oder Broschüre mit Spielanleitung und Hinter- grund- informationen Verweis auf Insel (Kontext der Ausstellung) 15 m2 Insel im DM Abteilung „Zeitmessung“ (3. Stock) Uhren, die die Entwick- lung der Messung und Erfassung von Arbeitsabläufen (prozessuale Arbeitsteilung), Rationalisie- rungspotentialen sowie der Arbeitszeit zeigen Recherche am PC PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Erläuterungen zu den Exponaten Bezug zum Zentralbereich (Kontext der Ausstellung) 5 m2 Bild 130: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 4: Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500-1800) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 227 ] 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) „Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen.“ MAX WEBER (1864-1920) 101 „Niemals zuvor ist derartiges in einem solchen Umfang geschehen!“, meint der Kölner Wirtschafts- und Sozialhistoriker TONI PIERENKEMPER (1996, 18) und sel- ten findet man über einen Sachverhalt in den diversen historischen Fachdiszipli- nen und zu unterschiedlichen Zeiten eine solche Einhelligkeit der Meinungen wie bei der Bewertung des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts als Epo- chenscheide zwischen traditioneller und moderner Wirtschaft und Gesellschaft. Lassen wir in dieser Sache zunächst den Geschichtsphilosophen und Kultur- pessimisten OSWALD SPENGLER (1880-1936) zu Wort kommen, der 1918/22 in seinem bekannten großen Essay den „Untergang des Abendlandes“ beschwor: „Arbeit wird das große Wort des ethischen Nachdenkens. Es verliert im 18. Jahrhundert in allen Sprachen seine geringschätzige Bedeutung. Die Maschine arbeitet und zwingt den Menschen zur Mitarbeit. Die ganze Kultur ist in einen Grad von Tätigkeit geraten, unter dem die Erde bebt. Was sich nun im Laufe kaum eines Jahrhunderts entfaltet, ist ein Schauspiel von solcher Größe, daß den Menschen einer künftigen Kultur mit andrer Seele und andern Leidenschaf- ten das Gefühl überkommen muß, als sei damals die Natur ins Wanken gera- ten. Auch sonst ist die Politik über Städte und Völker hinweggeschritten; menschliche Wirtschaft hat tief in die Schicksale der Tier- und Pflanzenwelt eingegriffen, aber das rührt nur an das Leben und verwischt sich wieder. Diese Technik aber wird die Spur ihrer Tage hinterlassen, wenn alles andere ver- schollen und versunken ist. Diese faustische Leidenschaft hat das Bild der Erd- oberfläche verändert“ (Spengler 1950, Bd. II, 624). 101 Weber 1969, 44 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 228 ] OTTO GILDEMEISTER (1823-1902), im 19. Jahrhundert ein geschätzter Essayist, hatte bereits 1873 mit einer pointierten Formulierung gezeigt, dass sich die immense Bedeu- tung der Wende nicht erst in der Retrospekti genossen sehr wohl bewusst war, Augenzeugen eines epochalen Bruchs zu sein: „Man übertreibt nicht, wenn man sagt, daß, was Handel und Verkehr und Industrie an- langt, die Kluft zwischen den Jahren 1873 und 1773 größer ist als die Kluft zwischen 1773 und dem Zeitalter der Phönizier!“ (zitiert nach Engelsing 1976, 99). Im Ton deutlich sachlicher und angenehm unpathetisch äußert sich zu diesem The- ma der in Bielefeld und Berlin forschende Sozialhistoriker JÜRGEN KOCKA, in der Sa- che stimmt er jedoch mit dem Zivilisationskritiker SPENGLER überein: „Die Geschichte ist voll von Zäsuren. Eine davon als besonders tiefgreifend auszuzeichnen, hat leicht etwas von Willkür an sich. Trotzdem: Wenn es um die neuere und neueste Geschich- te des westlichen und mittleren Europas geht, wenn man vor allem an gesellschafts- geschichtlichen Fragen, also an Fragen der Sozi Kultur- und Politik- geschichte in ihrem Zusammenhang interessiert ist, und wenn epochale Zäsuren durch stark beschleunigte und weit ausstrahlende Wandlungen gekennzeichnet sind, die langfristig wirken und nicht rückgängig gemacht werden, dann spricht viel dafür, das späte 18. und den Beginn des 19. Jahrhunderts als den tiefen Epocheneinschnitt hervorzuheben, mit dem die Moderne begann. Je mehr Zeit uns von diesem Ein- schnitt trennt, desto klarer wird sein Gewicht, während konkurrierende Wegmarken - etwa der Beginn der ‚Neuzeit’ um 1500 oder die Oktoberrevolution von 1917 - an epo- chaler Bedeutung zu verlieren scheinen“ (Kocka 1990/a, 25). Die Aufgabe dieses 5. Kapitels wird es nun sein, jenen fundamentalen Umbruch, der innerhalb von knapp drei Menschenaltern weite Teile der Welt gründlicher ver- ändert hat als jemals zuvor ein historischer Vorgang in einem vergleichbar kurzen Zeitraum, sowie dessen bis in unsere Tage und darüber hinaus reichende Folgen aus der Perspektive der Arbeits- und Berufsgeschichte in der gebotenen Kürze dar- zustellen. Jener komplexe Prozess der Modernisierung, dessen Kernstück die In- dustrialisierung bildet (vgl. Landes 1973, 20 f.), vollzog sich in den verschiedenen geographischen Räumen Europas und Nordamerikas unterschiedlich schnell. Der Wandel gewann bekanntlich ab Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst im „Laborato- rium der neuen Industrialisierung“ (Lichtheim 1975, 40), in England, bald aber auch auf dem europäischen Kontinent und in den USA so sehr an Tiefenwirkung und Dy- namik, dass er schließlich nicht nur die gesamte Arbeitswelt durchdrang, sondern 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 229 ] bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auch alle anderen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, technologischen und politischen Lebenszusammenhänge der Menschen so grundlegend und nachhaltig verändert hatte, dass der Vorgang in seiner Ge- samtheit betrachtet wohl zu Recht als „Revolution“ apostrophiert wird. Im Folgenden wird es nun zunächst darum gehen, die Prämissen und Faktoren dieser industriellen Revolution 102 zu isolieren sowie deren Zusammenwirken in den Grundzügen zu klären, ehe auf deren Anteil am Entstehen der modernen Ar- beitsgesellschaft und am Wandel des Arbeits- und Berufsverständnisses sowie dessen Folgen bis in die Gegenwart eingegangen werden kann. 102 „Mit diesem Wortpaar haben bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts französische Publizisten den Prozeß der In- dustrialisierung [in Großbritannien] bezeichnet. Das akademische Schrifttum hat es nur sporadisch verwendet, aber seit der 1928 erschienenen englischen Übersetzung des 1905 edierten Werkes von PAUL MANTOUX ‚La revolution indus- trielle au XVIlle siecle’ ist jene Epochenbezeichnung aus der Fachliteratur und aus der Publizistik ebensowenig wegzu- denken wie die Vielfalt ihrer Auslegung“ (Paulinyi 1997, 271). Erheblichen Anteil an der Popularisierung des Begriffs hatten aber vor allem ARNOLD TOYNBEEs (1852-1883) posthum veröffentlichte Lectures on the Industrial Revolution. London 1884. An der kontroversen Diskussion um die angemessene Terminologie (vgl. dazu Hahn 1998, 51-59) will ich mich nicht beteiligen, sondern in der der vorliegenden Arbeit die Begriffe „Industrialisierung“ und „industrielle Revo- lution“ synonym gebrauchen (vgl. dazu Kiesewetter 1989, 13 ff.). Ich orientiere mich hierbei an der Begrifflichkeit von AKOS PAULINYI, der, wie ich meine, zu Recht davon ausgeht, „daß die Evolution keine starre Alternative zur Revolution ist, sondern beide eine Einheit bilden; [denn] Revolutionen werden über einen langen Zeitraum hinweg durch evolu- tionäre Veränderungen im alten System vorbereitet“ (Paulinyi 1999, 11). Bild 131: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind die Auswirkungen der Industrialisierung auch in der bildenden Kunst nicht mehr zu übersehen. Berühmtestes Beispiel dafür ist ADOLPH VON MENZELs (1815-1905) 1875 entstandenes Gemälde „Ei- senwalzwerk“, das Arbeiter im Walzwerk der Königshütte in Oberschlesien darstellt. „In seiner durch genaue Beobachtung be- stimmten Suche nach Authentizität gelingt es MENZEL, atmosphärische und sachliche Schilderung überzeugend zu verbinden.“ Das Gemälde gilt als erste künstlerische Industriedarstellung in der europäischen Bildkunst (Bild: Glaser 1984, 34; Zitat: Delius 2000, 87). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 230 ] Das Ende der „Epoche des idealisierten Arbeitsbegriffs“ fällt zusammen mit jenem Zeit- punkt Mitte der 1970er Jahre, an dem der Club of Rome mit seinem schockierenden Be- richt den Menschen „Die Grenzen des Wachstums“ der Industriegesellschaften bewusst machte und an dem zeitgleich in der westdeutschen Indust egesellschaft die Zahl der Beschäftigten des tertiären Sektors die des sekundären zu über . u., S. 241). Mit der in der Folge diagnostizierten und diskutierten „Krise der Arbeitsgesell- schaft“ (Matthes 1982) und der damit einher gehenden Erosion des hergebrachten Be- rufsbegriffs beginnt ein neuer Abschnitt der Arbeits- und Berufsgeschichte, denn vieles deutet darauf hin, dass es sich hier nicht nur um eine temporäre Krise handelt, deren Überwindung die Restauration des vorherigen Zustandes bewirken würde, sondern um die Symptome eines grundlegenden Transformationsprozesses, der zum „Ende der Arbeitsgesellschaft“ (Gorz 1998) in der bis heute gült ion führen und damit wohl auch eine völlige Neubewertung der gesellschaftlichen Rolle von Arbeit und Beruf unumgänglich machen wird. Bild 132: Das Bild zeigt das Titelblatt des Katalogs des Druckmaschinenherstellers KOENIG&BAUER aus dem Jahre 1896: „Dargestellt sind dort die wichtigsten Stufen in der Entwicklung von der Handdruckpresse zur Rotationsmaschine, deren bahnbrechende Erfindung durch FRIEDRICH KOENIG (1811) maßgeblich für den Erfolg der 1817 […] ge- gründeten Firma war. Von Rocailleornamenten gerahmt, ist die 5000ste Rotationsmaschine (1896) neben einer An- sicht der Firma und einem idealisierten Maschinenbauer abgebildet. Über dem Firmennamen, der sich an eine Auf- listung von internationalen Auszeichnungen anschließt, erscheinen die Porträts von FRIEDRICH KOENIG und FRIEDRICH BAUER, die ein weiblicher Genius bekrönt“ (Bott 1985, Bild: 347, Zitat: 356; vgl. u., S. 234 f.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 231 ] 5.1 Arbeit 5.1.1 „Verlorene Welten“ Die deutschen Territorien und ihre ständische Gesellschaft103 waren um 1800 im Ver- gleich zu ihren europäischen Konkurrenten Großbritannien und Frankreich in vielerlei Hinsicht „Entwicklungsländer“, die in nahezu allen Kenndaten gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Entwicklung zum Teil weit hinter diesen her hinkten. Ein paar ausgewählte Schlag- lichter in diese nur ein Menschenalter später „verlo- renen Welten“ (Imhof 1984) der deutschen Klein- staaterei jener Tage am Beispiel der Lebenswelt des Dichters und Naturwissenschaftlers, des Politi- kers und Künstlers, des Universalisten und Polyhis- tors 104 JOHANN WOLFGANG GOETHE (1749-1832) mögen einen Eindruck davon und von der Reich- weite der bevorstehenden industriellen Revolution vermitteln: Im Jahre 1800 hatte er noch rund 32 Jahre eines für damalige Verhältnisse überaus lan- gen Lebens vor sich, das er zu dieser Zeit mit seiner Lebensgefährtin, der ehemaligen Manufakturarbeiterin (!) CHRISTIANE VULPIUS (1765-1816), in seinem Wohnhaus am Weimarer Frauenplan teilte. Sonnenstand, Wetter und Jahreszeiten bestimmten den Rhythmus in GOETHES Lebenswelt, die weder Elektrizität noch Gasbeleuchtung kannte, blakendes Ker- 103 Einen informativen Überblick über Struktur und Entwicklung der ständischen Gesellschaft um 1800 mit einer sachkundigen Zusammenfassung der „Grundprobleme und Tendenzen der Forschung“ dazu bietet Gall 1993. 104 1776 tritt der noch sechsundzwanzigjährige GOETHE „als hoher Beamter in den Staatsdienst ein und nimmt sein Amt so ernst, daß er keine Sitzung ohne dringenden Grund versäumt - die Herren tagen immerhin einmal und oft genug zweimal wöchentlich. 1779 wird er ‚Geheimbder Rath’; […] wird in die Wege- und Wasserbaudirektion beru- fen, leitet die Kriegskommission, übernimmt den Vorsitz der Bergbaukommission, [ihn beschäftigt] auch der Zustand der Straßen, Chausseen und Flußläufe, der Manufakturen und der Heimindustrie […] Er arbeitet sich in ökonomi- sche, finanzielle, technische, verwaltungsmäßige Fragen ein und gibt juristische Gutachten ab. Er bekommt auch einen Blick für soziale Probleme, zum Beispiel für die Strumpfwirker von Apolda, der wichtigsten ‚Industrie’ des Landes. Sie hungern und streiken im Frühjahr 1779; ihr Streik hindert GOETHE an der Fortsetzung der ‚Iphigenie auf Tauris’: ‚Hier will das Drama nicht fort’, schreibt er CHARLOTTE VON STEIN am 6. März, ‚es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürcker in Apolda hungerte.’ […] In harten Arbeitsjahren wird der Dich- ter zum Bergbaufachmann, der sich um alles kümmert: um Expertengutachten, um die Gewerke, die Schmelzpro- ben, die Arbeitsbedingungen, den Einsatz von Maschinen. [1815 wird er] Staatsminister des zum Großherzogtum angewachsenen Ländchens, betraut mit der ‚Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena’ - einer Wunschtätigkeit, in der sich der große ‚Naturkündiger’ besonders um die natur- wissenschaftlichen Einrichtungen der Landesuniversität Jena kümmert“ (Hädecke 1993, 106 f.). Bild 133: JOHANN WOLFGANG GOE- THE im Jahre 1800. Kreidezeichnung von F.BU- RY (Württembergisches Staatstheater 1977, I, 35) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 232 ] zenlicht oder rußende Öllampen sorgten wie vordem für die gewünschte Helligkeit an seinem Schreibtisch, wo er seiner Arbeit nachging, inspiriert von den Ideen der Aufklärung, die ihr Licht aber in den noch mittelalterlich anmutenden deutschen Landen nur schwach zum Leuchten zu bringen vermochten. Deutsche Städte ins- zenierten die Strafgerichte wie eh und je als so blutige Spektakel, wie es der Jurist GOETHE 1772 in seiner Heimatstadt Frankfurt mit der öffentlichen Hinrichtung der Kindsmörderin MARGARETHA BRANDT miterlebte hatte, der er später in der Gret- chentragödie seines „Faust“ ein literarisches Denkmal setzte. Auch Hexen- und Aberglaube waren trotz aller Aufklärung in den deutschen Territorien noch weit verbreitet, erst 1775 hatten zum letzten Mal auf deutschem Boden die Bürger Kemptens eine Frau als Hexe verurteilt. Den politisch-wirtschaftlichen Rahmen setzten in GOETHEs Welt das feudalabso- lutistische Regiment des Herzogs CARL AUGUST (1757-1828) von Sachsen- Weimar-Erfurt, sowie die handwerks- und handelsfeindlichen Normen des Adels, während sich in England und Frankreich das kapitalistisch gesinnte (Groß-)Bür- gertum mittels revolutionärer Umwälzungen bereits weitreichende gesellschaftli- che Freiheits- und politische Mitwirkungsrechte erkämpft hatte. Die territoriale und industrielle Expansion Weimars wurde wie die aller anderen deutschen Städte dieser Tage durch feudalen Grundbesitz ebenso behindert wie durch absolutisti- sche Territorialherren und krähwinkelhafte ständische Zunftregularien. Während um 1800 London auf 800.000, Paris auf 670.000 und Neapel auf fast 440.000 Einwohner angewachsen waren, beherbergten deutsche Städte meist nicht mehr als 2000 Seelen in ihren Mauern. Insgesamt hatte ganz Deutschland nur etwa 60 Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern, davon lediglich sieben mit mehr als 30.000, und ein mit anderen europäischen Metropolen vergleichbares urbanes Zentrum gab es gar nicht (vgl. Engelsing 1976, 92). Anders als GOETHE selbst und auch anders als im westlichen Ausland lebte und arbeitete der weitaus größte Teil der Deutschen in jenen Zeiten auf dem Land: „Während in Deutschland um 1800 noch etwa sieben oder acht von zehn Beschäf- tigen in der Landwirtschaft arbeiteten, tat dies in England nur jeder dritte“ (Engel- sing 1976, 107). Und die meisten deutschen Städte sahen noch immer aus wie in den Tagen von GOETHEs Eltern und Großeltern, von Mauern umgürtet, deren To- re sich am Abend schlossen und in denen ungepflasterte Straßen in der Regel die 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 233 ] fehlende Kanalisation ersetzten, weshalb Cholera-Epidemien und andere durch mangelnde Hygiene verursachte Krankheiten die Zahl der Stadtbewohner perio- disch dezimierten. Das Nachtgeschirr einfach aus den Fenstern zu entleeren, war auch in GOETHEs Wahlheimat Weimar erst 1793 untersagt worden (vgl. Dahn- ke/Otto 1998, 1124 f.). In dieser typisch deutschen Kleinresidenz mit ihren etwa 7.500 „Untertanen“ bezogen im Jahre 1820 „von 2.715 steuerlich erfaßten Haus- halten bzw. Personen 1.475 ein jährliches Einkommen von weniger als 100 Ta- lern; dazu gehörten fast alle Handwerksgesellen (ausgenommen einige Schriftset- zer-, Buchdrucker- und Kupferstechergesellen), wohl alle sonstigen in abhängiger Stellung tätigen Handarbeiter, Tagelöhner, Dienstboten und Mägde (einzelne Be- diente und Kutscher ausgenommen), aber auch jeder vierte Handwerksmeister, daneben Boten, Gendarmen, Privatlehrer und kleine Händler. - Elf Haushaltsvor- stände versteuerten ein jährliches Einkommen von mehr als 2.000 Taler: 3.100 Taler der Wirkliche Geheimrat und Staatsminister VON GOETHE“ (Kocka 1990/a, 116 f.). Wenn der Dichter verreiste, was er bekanntlich nicht selten und gerne tat, benützte GOETHE wie Generationen vor ihm die Pferdekutsche, kam damit aber auf den Chausseen langsamer voran als achtzehn Jahrhunderte vor seiner Zeit die Römer in Germania superior, da in GOETHEs Epoche „am Tage nicht mehr als 50 und bei gutem Pferdewechsel 75 Kilometer zurückgelegt werden konnten, vorausgesetzt, der Wagen blieb nicht im Morast stecken. Oder es brach eine Achse, und die Rei- senden kamen zu Schaden. Noch an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert machten manche brave Sachsen ihr Testament und verabschiedeten sich auf Nim- merwiedersehen, bevor sie ‚ein so großes, mit Gefahren verknüpftes Unternehmen’ auf sich nahmen, wie es für die Kleinbürger damals eine Reise von Dresden nach Leipzig war. Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts dauerte die Post zwischen Jena und Tübingen im günstigsten Fall einen Tag länger, als Nachrichten zwischen Hamburg und London schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts brauchten. Hier war- tete man sieben bis zwölf Tage, dort sechs Tage“ (Engelsing 1976, 135). Dies nicht zuletzt deshalb, weil dem Reisenden zahllose Grenzen und Zoll- schranken, die der Dreißigjährige Krieg auf dem Gebiet des Hl. Römischen Rei- ches Deutscher Nation hinterlassen hatte, den Weg verlegten: „Allein in Preußen gab es 67 lokale Zolltarife und ebensoviele Zollgrenzen. Ein-, Aus- und Durchfuhr- zölle, vor allem aber Ein- und Ausfuhrverbote, dienten dem rigorosen Schutz der Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 234 ] einheimischen Produktion und bildeten mit die wichtigste Grundlage einer an fiska- lischen Gesichtspunkten orientierten merkantilistischen Wirtschaftspolitik, deren Hauptaufgabe es war, die Sozialpolitische Ordnung der größeren unter den 314 souveränen, reichsständischen Territorien und 1475 Reichsritterschaften […] zu sichern. Das Konglomerat äußerst kleiner und halb-autarker Märkte entsprach so- wohl dem politischen Zustand des Reiches als auch den Bedürfnissen einer zwar bereits stark aufgefächerten, aber in ihrer Struktur noch intakten ständischen Ge- sellschaft, deren einzelne Schichten scharf voneinander abgehoben waren. Hof, Adel, Kirche, Gutsbesitzer, Offiziersstand und die führenden Familien des freien Stadtbürgertums waren die entscheidenden Kräfte dieser altdeutschen Welt. Ihnen dienten eine breite Schicht abhängiger Beamter, ein - je nach Agrarverfassung - durch Leib-, Grund- und Gerichtsherrschaft gebundenes Bauerntum, darunter eine wachsende Gruppe rechtloser Häusler und Einlieger, und eine zünftig gegliederte Handwerker- und Kaufmannschaft. Gekennzeichnet durch eine fast rein agrari- sche Wirtschaftsstruktur […] hatte Deutschland, verglichen mit England und West- europa, nur geringen Anteil an den technischen Veränderungen und den revolutio- nären Spannungen, die Ende des 18. Jahrhunderts aufbrachen“ (Böhme 1981, 9). Diesen „technischen Veränderungen“ und dem mit ihnen heraufziehenden Maschi- nenzeitalter galt GOETHEs lebenslanges Interesse. Seine Ausbildung zum Naturwis- senschaftler, als der er gleichermaßen Großartiges leistete wie in allen anderen sei- ner zahlreichen „Berufe“, hatte er als Autodidakt bestritten, denn technisch- naturwissenschaftliche Hochschulen gab es zu GOETHEs Zeit in deutschen Landen noch nicht, und seine zahlreichen Bücher und wissenschaftlichen Publikationen wur- den nach wie vor in der seit GUTENBERG bewährten Manier produziert. Die von dem Buchdrucker FRIEDRICH KOENIG (1774-1833) aus Eisleben erfundene Schnellpresse (vgl. o. Bild 132, S. 230) hatte sich in Deutschland nämlich nicht durchsetzen können, weshalb dieser 1806 nach London auswanderte, wo er sich 1814 in einer der ersten Ausgaben der auf seiner Erfindung gedruckten Londoner „Times“ enttäuscht über seine Erfahrungen im rückständigen Deutschland äußerte: „Auf dem Kontinent findet ein Unternehmen dieser Art keinerlei Aufmunterung und Unterstützung. Das Patent- wesen, wie es in England besteht, ist daselbst entweder unbekannt oder noch nicht eingeführt; es mangelt somit an jeglicher Anregung des persönlichen Unterneh- mungsgeistes; und denkende Köpfe sehen sich deshalb in der Regel gezwungen, 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 235 ] ihre Erfindung irgendeiner Regierung anzubieten und um Unterstützung nachzusu- chen. Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß unter solch erschwerenden Umständen daselbst selten oder nie eine Erfindung zur Reife und Durchführung gelangen kann. Die wohlbekannte Tatsache, daß fast jede Erfindung gewissermaßen eine Zuflucht- stätte in England sucht, wo sie alsdann zur Vollendung gebracht wird, obwohl die Regierung den Erfindern keinen anderen Schutz gewährt als den, welcher sich aus der Weisheit des Gesetzes von selbst ergibt, deutet zur Genüge an, daß die Regie- rungen des Festlandes noch von der englischen die richtigen und besten Wege, wie man die mechanischen Künste aufmuntert und schützt, zu lernen haben“ (zitiert nach Engelsing 1976, 157). Dies zu lernen war GOETHE offenbar bereit. Er studierte, was oft übersehen wird, die „mechanischen Künste“ vor allem im Bereich des Ilmenauer Berg- baus und Hüttenwesens so genau, dass seine „Beschäftigung mit Indust- rie, Technik, Maschinenwesen ein wich- tiger Bestandteil seiner Biographie ist. Auf seinen Reisen wird er auch später keine Gelegenheit auslassen, Fabriken, Hütten, Bergwerke zu besichtigen, zum Beispiel 1778 die Berliner Porzellanfab- rik, die Potsdamer Gewehrfabrik. Er wird sich für den Chausseebau interes- sieren; er wird sich in späteren Lebens- jahren Berichte über den Bau des Bre- mer Hafens, über große Kanalbauten kommen lassen: Panama, Suez, Erie, Rhein-Donau. […] Er wird, seitdem er von der englischen Industrialisierung weiß, begierig über Großbritannien lesen sowie Reisende befragen […] und er wird eine Verbindung zwischen deutschen Einheitswünschen, deutschen Chausseen und deutschen Eisenbahnen herstellen, den Eisenbahnen, die er nie gesehen hat, die ihn aber mächtig interessieren, deren revolutionäre Rolle in der Industrialisierung Bild 134: Das Modell der 1792 in England für die Saline in Reichenhall bestellten Wattschen Dampfmaschine gehört zu den ältesten Belegen für den bayerischen Import neuartiger Technolo- gie aus England. Modell der Dampfmaschine im Deutschen Museum (Erichsen/Laufer 1985, 73) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 236 ] er genau erkennt: Kurz vor seinem Tode notiert er im Tagebuch, daß er ein auf- schlußreiches Heft über die Bahn von Liverpool nach Manchester durchzugehen begonnen habe; schon am 28. Oktober 1828 sagt er zu Eckermann: Mir ist nicht bange, daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das Ihrige tun“ (Hädecke 1993, 109). Aber während um 1800 die Dampfenergie als Maschinenantrieb in Großbritannien bereits bewährte Routine war, handelte es sich dabei in GOETHEs Lebenswelt noch um eine ausgesprochene Rarität, denn erst 1785 war auf persönliche Weisung des Herrschers, die eine bereits 14 Jahre anhaltende kontroverse Diskussion beendete (vgl. Radkau 1989, 11), beim Hettstedter Kupferschieferbergwerk die erste Dampf- maschine auf deutschem Boden in Betrieb gegangen. Aber dies „war kein Startschuß für eine ‚Industrielle Revolution’; vielmehr ging die Verbreitung der Dampfmaschine in Preußen noch bis in die fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts eher gemächlich vor sich“ (Radkau 1989, 12). Geheimrat GOETHE hatte sich 1790 anlässlich einer Schle- sien-Reise in Tarnowitz zwei erst 1788 aus England importierte „Feuermaschinen“ vorführen lassen (vgl. Dahnke/Otto 1998, 687; Paulinyi 1997, 368). Dass er das Aufkommen des „Maschinenwesens“ aber nicht ohne Sorge betrachtete, dokumentiert GOETHEs zweiter, 1821 publizierter „Wilhelm Meister“-Roman. Darin lässt der Autor einen der Protagonisten auf dessen Wanderschaft die Schweizer Heimtextilindustrie besuchen und deren Arbeitswelt105 in vielen Details beschrei- ben: „Ich betrachtete nun sorgfältig das Aufwinden. Zu diesem Zweck läßt man die Gänge des Zettels nach der Ordnung durch einen großen Kamm laufen, der eben die Breite des Weberbaums hat auf welchen aufgewunden werden soll; dieser ist mit einem Einschnitt versehen, worin ein rundes Stäbchen liegt, welches durch das Ende des Zettels durchgesteckt und in dem Einschnitt befestigt wird. Ein klei- ner Junge oder Mädchen sitzt unter dem Weberstuhl und hält den Strang des Zet- tels stark an, während die Weberin den Weberbaum an einem Hebel gewaltsam umdreht und zugleich acht gibt, daß alles in der Ordnung zu liegen komme. Wenn alles aufgewunden ist, so werden durch die Rispe ein runder und zwei flache Stä- be, Schienen, gestoßen, damit sie sich halte, und nun beginnt das Eindrehen“ (Goethe 1982, 348 f.). An mehreren Stellen des Romans ist aber auch von der 105 GOETHE „schildert diese Arbeitswelt auf mehreren Wegstationen mit einer in der damaligen Erzählliteratur neuen Genauigkeit und Sachkenntnis, die er auch den Aufzeichnungen seines Freundes und Kunstberaters HEINRICH MEYER über die Schweizer Baumwollindustrie verdankt“ (Hädecke 1993, 114). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 237 ] Angst vor der „drohenden Gefahr“, die von der Industrialisierung ausgeht, die Re- de, die schließlich die Fabrikantin und Verlegerin mit den Worten auf den Punkt bringt: „Was mich aber drückt, ist doch eine Handelssorge, leider nicht für den Au- genblick, nein! für alle Zukunft. Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen. [...] Man denkt daran, man spricht davon, und weder Denken noch Reden kann Hülfe bringen“ (Goethe 1982, 429). Eine treffliche Prognose, wie wir heute aus der Rückschau sagen können, auch wenn wir weder die tiefe Skepsis des al- ten GOETHE zu teilen vermögen noch gar den konservativen Kulturpessimismus, der aus seinem 1825 verfassten Brief an den befreundeten Komponisten KARL FRIEDRICH ZELTER (1758- 1832) 106 spricht: „Alles aber mein Teuerster ist jetzt ultra 107, alles transzendiert unaufhaltsam, im Denken wie im Tun. Niemand kennt sich mehr, niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt, niemand den Stoff, den er bearbeitet. Von reiner Einfalt kann die Rede nicht sein; einfältiges Zeug gibt es genug. Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wornach jeder strebt; Ei- senbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazilitäten der Kom- munikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbil- den und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren. [...] Eigentlich ist es das Jahr- hundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn 106 Leiter der Berliner Singakademie und ab 1819 Musiklehrer FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDYs (1809-1847) 107 Nach französischem Vorbild verbreitete sich im 19. Jahrhundert auch im Deutschen das lateinische „ultra“ als stei- gerndes Präfix: Ultra-Montane, Ultra-Liberale etc. (vgl. Dewitz 1998, 673). Bild 135: Heimtextilindustrie: Der Mann links arbeitet in dieser vorindus- triellen Webstube am Handwebstuhl, die Frauen wickeln das Garn am Spulrad auf die Spulen. Im Hintergrund erkennt man an der Decke eine einfache Transmission. Lithographie um 1835 (Bohnsack 2002, 132) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 238 ] sie gleich selbst nicht zum höchsten begabt sind. Laß uns soviel als möglich an der Gesinnung halten in der wir herankamen, wir werden, mit vielleicht noch wenigen, die Letzten sein einer Epoche, die sobald nicht wiederkehrt“ (Ottenberg 1991, 850 f.). GOETHE ahnt und formuliert es treffend, wenn auch nicht ganz ohne genialische Ar- roganz: Die sich abzeichnende industrielle „Arbeitsgesellschaft“ werde einen neuen Menschentypus brauchen und hervorbringen, dessen Haupteigenschaft seine Medi- okrität sein werde, wenn auch keine selbstverschuldete, sondern eben eine den neuen Arbeitsbedingungen entsprechende. Nicht das von der Klassik propagierte an- tike Ideal der integrierten Persönlichkeit wird in der neuen Arbeitswelt und andernorts gefragt sein, sondern die fragmentierte Person, die sich „mit einer gewissen Ge- wandtheit“ auf eng begrenzte, ständig wechselnde und sich kontinuierlich beschleu- nigende Tätigkeiten zu spezialisieren vermag. GOETHEs Freund, FRIEDRICH SCHIL- LER, hatte in seinem sechsten Brief „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ diese der arbeitsteiligen Industrie geschuldete Amputation des arbeitenden Indivi- duums bereits Ende des 18. Jahrhunderts auf den Punkt gebracht: „Auch bei uns ist das Bild der Gattung in den Individuen vergrößert auseinander geworfen - aber in Bruchstücken, nicht in veränderten Mischungen, daß man von Individuum zu Indivi- duum herumfragen muß, um die Totalität der Gattung zusammenzulesen. Bei uns, möchte man fast versucht werden zu behaupten, äußern sich die Gemütskräfte auch in der der Erfahrung so getrennt, wie der Psychologe sie in der Vorstellung scheidet, und wir sehen nicht bloß einzelne Subjekte, sondern ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen entfalten, während daß die übrigen, wie bei verkrüppel- ten Gewächsen, kaum mit matter Spur angedeutet sind“ (Bellermann o. J., Bd. 7, 281; Hervorhebung von mir. HD.). 5.1.2 „Industrievolk im Kleide des Agrarstaates“ Bedenkt man, auf welche „Fazilitäten der Kommunikation die gebildete Welt“ in unse- rer heutigen Zeit „ausgeht“, könnte man durchaus geneigt sein, GOETHEs Fort- schrittspessimismus zu teilen und seinen Weitblick zu bewundern, denn die weiteren Zeitläufte haben seine Prognose letztlich bestätigt: Die Menschen der Goethezeit leb- ten tatsächlich in „einer Epoche, die sobald nicht wiederkehrt“, waren also Zeitgenos- sen einer tiefen Zäsur in vielerlei Hinsicht. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 239 ] Noch zu GOETHEs Lebzeiten wurde durch NAPOLEON (1803/1806) und den Wiener Kongress (1815) die altehrwürdige Ordnung des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation säkularisiert und zerschlagen und nach einer Phase relativer Stagnation („Restauration“) entstand auf diesen Trümmern im Verlauf nur einer Generation zwi- schen 1845 und 1871 im „spannungsreichen Transformationsprozeߓ einer „Doppel- revolution“ (Wehler 1995, 3) und in bluti e Bedeutung des Militärischen überhö- henden Gründungskriegen eine großpreußisch-kleindeutsche Monarchie. Am Ende dieser Umwälzungsperiode hatten sich 1914 ein weltweit agierender deutscher Nati- onalstaat als autoritärer Verfassungsstaat sowie ein dynamischer Industriekapita- lismus etabliert. Durch diese Koinzidenz der Ereignisse war im Bewusstsein der deutschen Bürger jene unselige emotionale Verbindung entstanden zwischen dem rasanten technologisch-wirtschaftlichen Fortschritt jener Zeiten und dem politisch- militärischen Erfolg der deutschen Nationalstaats- und Reichsgründung, die im 20. Jahrhundert noch katastrophale Auswirkungen zeitigen sollte. Jean Fourastié: Entwicklung der Wirtschaftssektoren Bild 136: Prognose JEAN FOURASTIÉs aus dem Jahre 1949 zur Entwicklung der Beschäftigtenzahl in den drei Wirtschaftssek- toren. Die Entwicklung dieses Indexes belegt seiner Ansicht nach, dass die industrielle Zivilisation mit ihrem Höhepunkt um das Jahr 1900 lediglich den Übergang darstellt von der primären Agrar-Zivilisation zur tertiären Dienstleistungs- Zivilisation Henning 1979, 21). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 240 ] Das im 19. Jahrhundert in Europa installierte System monarchistischer Nationalstaa- ten stürzte im Rahmen eines imperialistisch-kapitalistischen Wettlaufs um die Auftei- lung der Reichtümer der Erde die Menschheit in zahlreiche katastrophale kriegerische Konflikte, in die zeitweise nahezu die gesamte Welt involviert war. Sie hatten 125 Jahre nach GOETHEs Tod in Europa nicht nur metaphorisch kaum einen Stein auf dem anderen gelassen und das Deutsche Reich war daran zunächst als militaris- tisch-autoritäres Kaiserreich, dann als faschistisch-nationalistische Diktatur in promi- nenter Rolle beteiligt. Die Voraussetzung dafür war, dass sich Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer „nachholenden Entwicklung“ in einem derartigen Tempo vom rückständigen Agrarstaat zu einem der weltweit führenden Industriestaaten gewandelt hatte, dass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts die indus- triellen Vorreiter in vielen Bereichen nicht nur ein-, sondern bereits überholt hatte. Der Siegener Soziologe RAINER GEIßLER macht in seiner Untersuchung der „Sozialstruktur Deutschlands“ darauf aufmerksam, dass in Deutschland nicht nur die Industrialisierung relativ spät eingesetzt, sondern sich insbesondere die Demokratisierung noch stärker verzögert habe: „Deutschland ist nicht nur eine ‚verspätete Nation’108 und eine verspätete Industriegesellschaft, sondern erst recht 108 So der Titel einer bereits 1935 publizierten und 1959 erneut veröffentlichten einflussreichen Studie des Philosophen und Soziologen HELMUTH PLESSNER (1892-1985), der darin die Besonderheiten des deutschen Nationalismus „im Guten wie im Bösen“ interpretierte als „Erbe einer Vergangenheit, die den Deutschen in den letzten vier Jahrhun- derten mehr versagt als gewährt hat“ (Plessner 1974, 30). Wertschöpfung nach Produktionssektoren 1850-1994 47 41 33 25 16 15 10 6 3,5 3 2,2 1,7 1,1 21 28 37 43 49 53 49 53 52 46 44 41 36 33 31 31 32 36 33 40 39 43 51 54 58 63 0 10 20 30 40 50 60 70 1850 1870 1890 1910 1925 1938 1950 1960 1970 1975 1980 1990 1994 (1950-1989 alte Bundesländer, 1994 vereinigtes Deutschland) Anteil an der Bruttowertschöpfung in Prozent primärer Sektor (Landwirtschaft) sekundärer Sektor (Handwerk, Industrie) tertiärer Sektor (Dienstleistungen) Bild 137: Die Anteile der Produktionssektoren an der Wertschöpfung, d. h. der Gesamtsumme der wirtschaftlichen Leistungen (Gü- ter und Dienste) im Zeitraum von 1850 bis 1994 (Der sekundäre Sektor umfasst nicht nur die moderne Industrie, sondern auch das traditionelle Handwerk sowie die schwindenden Relikte der Manufakturen und Heimproduktion). Die Zahlen der Grafik ver- deutlichen erstens die stetige Marginalisierung des primären Sektors, zweitens die seit 1975 dominierende Rolle des tertiären Sektors, während drittens die des sekundären seit diesem Zeitpunkt kontinuierlich abnimmt (vgl. Geißler 1996, 27). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 241 ] eine verspätete Demokratie. Die überkommenen obrigkeitsstaatlichen politischen Strukturen erwiesen sich als noch zählebiger als die überkommenen ökonomi- schen und sozialen Strukturen, die industrielle Revolution wurde in Deutschland nicht gleichzeitig von einer erfolgreichen politischen Revolution begleitet. Zu Be- ginn des Jahrhunderts hatte sich ein ‚Industrievolk im Kleide des Agrarstaates’ entwickelt - wie es der liberale Publizist und Politiker FRIEDRICH NAUMANN (1860 - 1919) treffend beklagte“ (Geißler 1996, 44). Aus heutiger Sicht erwies sich insbesondere die Industrialisierung als so nachhaltig, dass Deutschland seine Position innerhalb der führenden Industriemächte trotz der totalen Niederlagen in den beiden von ihm wesentlich und im Falle des zweiten so- gar allein zu verantwortenden Weltkriegen bis in die Gegenwart behaupten konnte. In einem Land, das im Weltmaßstab und am anfallenden industriellen Verbrauch gemessen über kaum nennenswerte Rohstoffvorräte verfügt, wird dies wohl ganz wesentlich auf die industrielle Entwicklung selbst sowie auf die manuelle und intel- lektuelle Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Menschen zurückzuführen sein. Im Rahmen dieser Arbeit kann es nun nicht darum gehen, den äußerst umfassen- den, alle Lebensbereiche durchdringenden Vorgang der industriellen Revolution erschöpfend und im Detail darzustellen, vielmehr soll im Folgenden lediglich eine didaktisch stark reduzierte und schematisch vereinfachte Zusammenfassung der Erwerbstätige nach Produktionssektoren 1800-1994 62 55 49 38 35 31 26 25 13 9 5,3 3,7 3,2 21 25 29 38 40 42 42 43 48 48 45 41 38 17 20 22 25 25 27 32 33 39 43 49 55 59 0 10 20 30 40 50 60 70 1800 1852 1871 1885 1907 1925 1939 1950 1960 1970 1980 1989 1994 (1950-1989 alte Bundesländer, 1994 vereinigtes Deutschland) Anteil der Erwerbstätigen in Prozent primärer Sektor (Landwirtschaft) sekundärer Sektor (Handwerk, Industrie) tertiärer Sektor (Dienstleistungen) Bild 138: Die Verteilung der Erwerbstätigen auf die Produktionssektoren im Zeitraum von 1800 bis 1994 bestätigt im Prinzip die Entwicklung im Bereich der Wertschöpfung und damit tendenziell auch die Prognose JEAN FOURASTIÉs, die Industriegesell- schaft sei lediglich ein Übergangsstadium zwischen Agrar- und Dienstleistungsgesellschaft. Im zeitlichen Ablauf stimmt dessen Prog- nose allerdings nicht mit der realen Entwicklung überein (vgl. Geißler 1996, 29). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 242 ] überaus komplexen Vorgänge des Industrialisierungsprozesses gegeben werden, den der Wirtschafts- und Sozialhistoriker FRIEDRICH-WILHELM HENNING für Deutschland in drei Phasen gliedert: 1. Die Vorbereitungsphase (1795-1835): Aufbruch aus der traditionellen Ge- sellschaft und Wirtschaft durch Auflösung der ideologischen, rechtlichen und materiellen Beschränkungen (vgl. Henning 1979, 35 ff.); 2. Die erste Industrialisierungsphase (1835-1873): Übergang zur industriellen Produktionsweise, ablesbar an der signifikanten Umstrukturierung der Wirt- schaftssektoren (vgl. Henning 1979, 111 ff.); 3. Die zweite Industrialisierungsphase (1873-1914): Durchsetzung des In- dustriekapitalismus (Hochindustrialisierung) durch systematischen Einsatz von Technologie und wissenschaftlicher Betriebsorganisation sowie durch politische Sicherung der Märkte (vgl. Henning 1979, 203 ff.). Als Kriterium zur Abgrenzung der Entwicklungsstadien der Gesellschaft voneinan- der, etwa der Agrar- von der Industriegesellschaft, fungiert bekanntlich die Glie- derung der Wirtschaft in folgende drei Sektoren, deren begrifflich-theoretische Ba- sis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von COLIN CLARK (1905-1989) und JEAN FOURASTIÉ (1907-1990) 109 gelegt wurde (vgl. Geißler 1996, 28): • primärer Sektor: Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, • sekundärer Sektor: Industrie, Handwerk, Bergbau, • tertiärer Sektor: Dienstleistungen (vgl. Fourastié 1954, 119 ff.). Ein Vergleich der Verteilung der ökonomischen Indikatoren Wertschöpfung und Beschäftigungszahl innerhalb dieser Wirtschaftssektoren lässt nun erkennen, dass in Deutschland der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft um 1890 vollzogen war, denn von da an dominierte die industriekapitalistische Pro- duktion sowohl die Wertschöpfung als auch das Beschäftigungssystem (vgl. o. Bild 137, S. 240 und Bild 138, S. 241). Die konsequente Anwendung dieses Kri- teriums legt darüber hinaus den Schluss nahe, dass die Zeit der Industriegesell- schaft seit Mitte der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts abgelaufen zu sein scheint und die Entwicklung in ein neues Stadium eingetreten ist, das eine Neu- 109 COLIN CLARK: The Conditions of Economic Progress. 1940 (deutsch 1952) JEAN FOURASTIÉ: Le Grand Espior du XXe Siècle. 1949 (deutsch 1954) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 243 ] bestimmung des Stellenwerts menschlicher Arbeit erforderlich macht (s. u. Kapi- tel 6 Zukunft von Arbeit und Beruf, S. 361 ff.). Die Entstehung der Voraussetzungen dieser Industrialisierung sowie deren Verlauf und Folgen dürfen nun keinesfalls als monokausale, isolierte Entwicklungsstränge gesehen werden, sondern als das Zusammenwirken folgender phasenverschobe- Voraussetzungen und Faktoren der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts INDUSTRIELLE REVOLUTION IDEOLOGISCHE REVOLUTION Aufklärung Liberalismus Nationalismus KAPITAL Akkumulation WIRTSCHAFTS- REVOLUTION Gewerbefreiheit Marktorientierung Kapitalismus TECHNIK Natur- wissenschaft TECHNOLOGISCHE REVOLUTION Energie Transport Produktion BODEN „Land- befreiung“ AGRAR- REVOLUTION Bauernbefreiung Landkonzentration Agrartechnik ARBEIT Menschen Bild 139: Das Zusammenspiel der Voraussetzungen und Faktoren der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts (Dandl) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 244 ] ner, aber eng aufeinander bezogener und einander ebenso durchdringender wie überlagernder revolutionärer Prozesse (vgl. o. Bild 139, S. 243): • Da ist zunächst eine grundlegende ideologische Revolution, die, den Ideen der Aufklärung (Freiheit, Gleichheit, Eigentum) verpflichtet, geistige Grenzen sprengte und damit sowohl den Liberalismus als auch den Nationalismus ini- tiierte. Während der Liberalismus das ökonomische Denken und Handeln re- volutionierte, wurden durch den Nationalismus die politischen Rahmenbedin- gungen für die Industrialisierung optimiert. • Daneben entfalteten sich die Wirkungen der Agrarrevolution, die mittels Be- freiung der Bauern aus feudalen Zwängen, Konzentration der landwirtschaft- lichen Nutzflächen sowie rasch zunehmendem Technikeinsatz ein sprunghaf- tes Bevölkerungswachstum induzierte und damit die personellen Vorausset- zungen für die industrielle Umgestaltung und Ausweitung des sekundären Sektors beisteuerte (vgl. dazu Pierenkemper 1989, bes. 7-25). • Symptom und Motor des Wandels zugleich war die technologische Revolu- tion, die einerseits durch den Übergang von der „Hand-Werkzeug-Technik“ zur „Maschinen-Werkzeug-Technik“110 und andererseits durch die Erschlie- ßung neuer Technologien der Energieumwandlung und -flexibilisierung die Entwicklung industrie-kapitalistischer Produktionsverfahren sowie effizienter Transportsysteme ermöglichte. • Einen wesentlichen Beitrag zur Umwälzung leistete auch die ökonomische Revolution, die auf der Basis der Gewerbefreiheit (Aufhebung des Zunft- zwangs) und der Konzentration einer markt- und gewinnorientierten Produk- tion (Konkurrenz) im arbeitsteilig und wissenschaftlich organisierten Fabrik- system die Rahmenbedingungen für eine profitorientierte Kapitalverwertung (Kapitalismus) schuf. 110 Diese Begrifflichkeit wurde von AKOS PAULINYI zur Beschreibung des Wandels der Technik „in formverändernden Produktionsprozessen“ eingeführt, um vor allem die häufig unterschätzte Bedeutung der Entwicklung der Werk- zeugmaschinen für die industrielle Revolution würdigen zu können: „Für eine technologische Bestimmung der Tren- nungslinie zwischen beiden Techniken ist [...] das entscheidende Kriterium, wie und wodurch die Relativbewegung zwischen Werkstück und Werkzeug bestimmt wird. [...] In der Maschinen-Werkzeug-Technik müssen diese Funktio- nen an eine technische Vorrichtung übertragen sein. Das vom Menschen bewußt geplante und vorausbestimmte Ergebnis des technischen Vorganges ist also im ersten Fall direkt vom Menschen und im zweiten Fall von der vom Menschen geschaffenen Konstruktion der Vorrichtung abhängig“ (Paulinyi 1999, 17; vgl. auch 33 ff. und Paulinyi 1989, 90 ff. sowie 1997, 322 ff.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 245 ] • Nicht zuletzt bedurfte die endgültige Durchsetzung der Industriegesellschaft auch einer politischen Revolution. Anders als in Frankreich ist hier 1848/49 zwar der Versuch gescheitert, liberale Bürgerechte von unten durchzusetzen. Die Herstellung des einheitlichen deutschen Wirtschaftsraumes (Zollverein 1834, Reichsgründung 1871) gegen die Interessen der deutschen Duodezfürs- ten trägt jedoch die Züge einer „Revolution von oben“ (vgl. Wehler 1995, 252 f.). Diese interdependenten Veränderungsprozesse konstituieren durch ihr Zusam- menwirken die vier, alle modernen kapitalistischen Industriegesellschaften charak- terisierenden Faktoren in ihrer bis in unsere Gegenwart gültigen Ausprägung: • Arbeit: freie Disposition der Arbeitskraft (Entfeudalisierung) und deren Ver- mehrung (Bevölkerungswachstum); Trennung in Unternehmer als Besitzer der Produktionsmittel und Arbeiter, die gegen Lohn ihre Arbeitskraft verkaufen; • Boden: freie Verfügbarkeit über den Boden (Ende der feudalistischen Grund- herrschaft) als Produktionsfaktor für die Expansion der Nahrungs- und Roh- stoffgewinnung, die Industrieansiedlung und zum Ausbau der Infrastruktur; • Kapital: Einsatz des akkumulierten Kapitals zum Aufbau kapitalintensiver, ar- beitsteilig organisierter Produktionsstätten (Fabrik mit charakteristischer Kombi- nation von Arbeits- und Kraftmaschinen) sowie effizienter Transportsysteme; • Technik: Neu- und Weiterentwicklung produktiver Technologien und Arbeits- maschinen (Naturwissenschaften); wissenschaftlich begründete Zeitstrukturen zur Disziplinierung und Kontrolle der Arbeiter sowie des Produktionsprozesses. Im Folgenden wird nun zu zeigen sein, dass das komplexe Zusammenspiel dieser Prämissen und Faktoren auf dem positiv konnotierten Arbeitsbegriff der Aufklä- rung aufbaut, diesen in der Folge jedoch so auf seinen ökonomischen Aspekt re- duziert, dass er die menschliche Arbeit fast ausschließlich als beruflich organisier- te Erwerbsarbeit definiert. Parallel dazu wird die Arbeit zum primären Indiz des Menschseins, also zum dominierenden, nachgerade religiös überhöhten Wert in sei- ner auch heute noch weithin gültigen Form ideologisiert (vgl. Ribolits 1997, 27 ff.). Diesen Vorgang mit relevanten sozioökonomischen und politischen Daten zu syn- chronisieren, verlangt ein Höchstmaß an didaktischer Reduktion, handelt es sich doch hierbei um einen Zeitraum, in dem sich einerseits die Ereignisse auf politi- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 246 ] scher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Ebene nahezu überstürz- ten und verdichteten und zu dem andererseits eine kaum mehr überblickbare Fülle an Quellen und Forschungsliteratur existiert. 5.1.3 „Conditio humana“ Eine der wichtigsten Folgen und zugleich Mitursache für die eingangs skizzierte retardierte Entwicklung Deutschlands war, dass die aufklärerische Theorie anders als etwa in England oder gar in Frankreich, wo sie sich 1789 mit revolutionärer Dynamik Bahn brach, nur sehr gemächlich Eingang fand in die politische Praxis (vgl. z. B. Böhme 1981, 22 ff. und Wehler 1989/b, 347 ff.). Dies gilt besonders für die auch in deutschen Territorien bereits im 18. Jahrhundert einsetzende, aber sich nur zögerlich - im Süden schneller, im Norden und Osten langsamer - durch- setzende „Bauernbefreiung“.111 Da sie die außerhalb der städtischen Burgfrieden in feudaler Abhängigkeit lebenden Menschen aus ihrer „selbstverschuldeten Un- mündigkeit“ und damit auch unmittelbar aus den tradierten Arbeitsbeziehungen emanzipierte, musste dieser Vorgang nicht nur ökonomisch organisiert, sondern auch ideologisch integriert werden. Den Sklaven schon gar nicht, aber auch Leib- eigenen gegenüber musste vordem nicht begründet werden, warum ihre Existenz unauflösbar mit der Verrichtung der „niederen Tätigkeiten“ verknüpft war, dies er- gab sich zwingend aus Definition und Rechtsstatus ihres Standes. Mit der „Entde- ckung und Entfaltung des modernen Individuums“ (van Dülmen 1997, 130) und seiner Herauslösung aus den feudalen Bindungen, dem System wechselseitiger Treue- und Schutzverpflichtungen, musste für den „freien“ Menschen die Pflicht zur Arbeit zwangsläufig neu begründet und Arbeitsleid in Arbeitsfreud’ umgedeutet werden. Aber aus welchem Grund sollte das selbstständig gewordene Individuum, dem das Selbstdenken von KANT nachgerade zur Pflicht gemacht worden war, den seit Menschengedenken als Strafe und Ausschlusskriterium erlebten Fluch der Arbeit nun plötzlich freiwillig als Verheißung akzeptieren und die damit verbundenen Mühen und Anstrengungen nicht mehr als Last, sondern gar als Lust empfinden? 111 Die unter dem Begriff „Bauernbefreiung“ zusammengefassten Reformmaßnahmen zur Auflösung des grundherrli- chen Feudalsystems „enthielten meistens die folgenden fünf Schritte: 1. Die Aufhebung der persönlichen Bindungen. 2. Die Umwandlung der Dienste und der anderen Naturalleistungen in Geldleistungen. 3. Die Verleihung des Eigentums an Boden, Gebäuden und Inventar an die Bauern verbunden mit einer Aufhe- bung der bisherigen Verpflichtungen und der Schaffung neuer Leistungspflichten in Form der Ablösungen. 4. Die Auflösung der Gemeinheiten (Allmenden usw.) und die Beseitigung der Gemengelage (Separation). 5. Die Aufhebung der ständischen Patrimonialgerichtsbarkeit und der Polizeigewalt. [...] Die Zeit der größten Intensität der Reformmaßnahmen lag zwischen 1765 und 1850“ (Henning 1979, 42 f.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 247 ] Es war keine Geringerer als GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL, der dies an ver- schiedenen Stellen seines umfangreichen Werkes philosophisch begründete. In seinen ab 1822 gehaltenen Berliner „Vorlesungen über die Philosophie der Ge- schichte“ 112 entwirft er unter anderem einen spezifischen Arbeitsbegriff, in- dem er aus seiner Definition menschli- cher Arbeit113 als dialektisches „Bei-sich- sein im Anders-sein“ deduziert, dass sich das „selbstbewußte Ich“ in Freiheit erst durch „Tätigkeit und Arbeit“ konstituieren kann, denn die Philosophie, so HEGEL, habe die Erkenntnis gewonnen, „daß alle Eigenschaften des Geistes nur durch die Freiheit bestehen, alle nur Mittel für die Freiheit sind, alle nur diese suchen und hervorbringen; es ist dies eine Erkenntnis der spekulativen Philosophie, daß die Freiheit das einzige Wahrhafte des Geistes sei. […] Der Geist ist das Bei- sich-selbst-sein. Dies eben ist die Freiheit, denn wenn ich abhängig bin, so beziehe ich mich auf ein andres, das ich nicht bin; ich kann nicht sein ohne ein Äußeres; frei bin ich, wenn ich bei mir selbst bin. Dieses Beisichselbstsein des Geistes ist Selbstbewußtsein, das Bewußtsein von sich selbst. Zweierlei ist zu unterscheiden im Bewußtsein, erstens, daß ich weiß, und zweitens, was ich weiß. Beim Selbstbewußtsein fällt beides zusammen, denn der Geist weiß sich selbst, er ist das Beurteilen seiner eignen Natur, und er ist zugleich die Tätigkeit, zu sich zu kommen und so sich hervorzubringen, sich zu dem zu machen, was er an sich ist. […] Der Endzweck der Welt [ist] das Bewußt- sein des Geistes von seiner Freiheit und ebendamit die Wirklichkeit seiner Freiheit 112 HEGEL las zu diesem Thema ab dem Wintersemester 1822/23 alle zwei Jahre bis zu seinem Tod insgesamt fünf- mal. Gedruckt erschienen die „Vorlesungen“ erst posthum im Jahre 1837 (vgl. Jens 1988, Bd. 7, 525). 113 Der Grund dafür, dass „HEGEL die Arbeit zum Thema der Philosophie erhebt“, ist nach RIEDEL in dessen Einsicht in den „grundlegenden Arbeitscharakter der neuzeitlichen Geschichte“ zu suchen. HEGEL habe „die Arbeit des Men- schen und den Geist-Begriff der Metaphysik als ‚Arbeitsvorgang’ gedacht, weil den Arbeitscharakter der Neuzeit ge- sehen, gedacht und in seiner Philosophie auf den ‚Begriff’ gebracht hat“ (Riedel 1965, 73; zu HEGELs Arbeitsbegriff vgl. z. B. Barzel 1973, 12 ff.; Henrich 1999 und Riedel 1965, bes. 62 ff.). Bild 140: HEGEL als Lehrer am Katheder. Lithografie von FRANZ KUGLER (1808-1858) 1828 (Delius 2000, 80) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 248 ] überhaupt. […] Dieser Endzweck ist das, was Gott mit der Welt will, Gott aber ist das Vollkommenste und kann darum nichts als sich selbst, seinen eignen Willen wollen. Was aber die Natur seines Willens, d. h. seine Natur überhaupt ist, dies ist es, was wir, indem wir die religiöse Vorstellung in Gedanken fassen, hier die Idee der Freiheit nennen. Die jetzt aufzuwerfende unmittelbare Frage kann nur die sein: welche Mittel gebraucht sie zu ihrer Realisation? [Es] ist die Betätigung, Verwirk- lichung, und deren Prinzip ist der Wille, die Tätigkeit des Menschen überhaupt. Es ist nur durch diese Tätigkeit, daß jener Begriff sowie die an sich seienden Be- stimmungen realisiert, verwirklicht werden, denn sie gelten nicht unmittelbar durch sich selbst. Die Tätigkeit, welche sie ins Werk und Dasein setzt, ist des Menschen Bedürfnis, Trieb, Neigung und Leidenschaft. Daran, daß ich etwas zur Tat und zum Dasein bringe, ist mir viel gelegen, ich muß dabei sein, ich will durch die Voll- führung befriedigt werden. Ein Zweck, für welchen ich tätig sein soll, muß auf irgend- eine Weise auch mein Zweck sein; ich muß meinen Zweck zugleich dabei be- friedigen, wenn der Zweck, für welchen ich tätig bin, auch noch viele andre Seiten hat, nach denen er mich nichts angeht. Dies ist das unendliche Recht des Sub- jekts, daß es sich selbst in seiner Tätigkeit und Arbeit befriedigt findet“ (Hegel 1966, 58-65). Auch wenn HEGEL weder Art noch Inhalt der menschlichen Arbeit erläutert und le- diglich von abstrakter „Tätigkeit“ spricht, wird sehr deutlich, dass er die eigentliche Funktion der Arbeit nicht in dinglicher oder geistiger Produktion selbst sieht, son- dern in ihrem Beitrag zur Erfüllung des „Endzwecks“, der nicht in der unmittelbaren Befriedigung materieller Bedürfnisse besteht, sondern in der Konstituierung des Menschen als solchen. HANS FRAMBACH macht in diesem Zusammenhang in sei- ner Habilitationsschrift auf HEGELs „logisch brillanten und optimistischen Gedanken“ aufmerksam, dass „der Knecht, der zum Nutzen des Herren an die physische Arbeit gebunden ist, dank eben dieser Arbeit, indem er die Dinge formt, sich selbst befreit, damit sein knechtisches Bewußtsein überwindet und letztlich dadurch seine Freiheit auch gegenüber dem Herren erlangt, der zur Arbeit nur in negativer Beziehung steht, nämlich als rein passiv Genießender. Indem der Knecht etwas bearbeitet, vergegen- ständlicht er sein eigenes Selbst in etwas Anderem, was standhält und um so selb- ständiger wird, je mehr sich der Arbeitende in die bearbeitete Sache hineinlegt. Und indem der Knecht nun - im Unterschied zu seinem Herrn, der nur die reifen Früchte 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 249 ] der Arbeit seines Knechtes genießt - weltbildend wirkt, gewinnt er durch dieses Fin- den seiner selbst im Gegenstand seiner Arbeit einen eigenen selbstischen Sinn, ei- nen ‚Eigensinn’, also eine Art Freiheit innerhalb seiner Knechtschaft. Das knechti- sche Bewußtsein wird selbstbe- wußt, es kommt durch dienende Arbeit am Schluß zu sich selbst, obwohl es sich den Gegenstand seiner Arbeit nie völlig aneignen kann und ihn seinem Herrn zum Genuß überläßt. Vermittels der Arbeit also, so HEGEL, kehrt sich das Herr-Knecht-Verhältnis um, Arbeit schafft Selbstbe- wußtsein und macht den Arbei- tenden frei“ (Frambach 1999, 140; Hervorhebungen von mir. HD.). RAINER HANK postuliert deshalb, HEGEL sei „der größte Philosoph der Arbeit. Erst ‚am Anderen seiner selbst’ kommt das Subjekt - durch Arbeit - zu sich selbst. Aus dem Sündenfall wird eine Gnade, denn der Verstoß ermöglicht erst diesen Prozeß der Selbstauslegung. Der Prozeß der neuzeitlichen Umwertung der Arbeit ist darin begriffen. Die Vertreibung aus dem Paradies ist dann nicht mehr Folge einer Sünde, sondern notwendige Bedin- gung für die Selbstbewußtwerdung des Menschen. In der Arbeit des Menschen realisiert Gott selbst sich in der Welt. Durch Arbeit wird der Mensch zum Mit- schöpfer, auf den Gott angewiesen ist, von dem er schließlich auch abhängig ist. Er, der jenseits der Arbeit steht, wird hineingezogen in das Prozeßgeschehen der Arbeit. Arbeit ist Medium der Menschwerdung. So ungeheuerlich dieser Ge- danke ist, so selbstverständlich ist er unterdessen geworden: Arbeit ist conditio humana. Wer nicht arbeitet, kann nicht Mensch sein. Mühe und Last ist Arbeit nur noch akzidentiell“ (Hank 1995, 85). HEGELs HERR-KNECHT-MODELL Herr Knecht genießt arbeitet Er schafft nichts, er bleibt genießend, was er ist, deshalb fehlt ihm die Dimension des Zukünftigen, des Veränderlichen und Veränderbaren. Er ist produktiv, die menschengemachte Welt ist das Produkt seiner Arbeit, er hat die Möglichkeit, durch Arbeit sich selbst zu bilden. Er „entfremdet“ das Produkt der Arbeit. Er ist das Resultat seiner Arbeit. Beharrung Fortschritt Der Knecht kann ohne den Herrn, dieser aber nicht ohne den Knecht leben. „Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist demnach das knechtische Bewußtsein“ (Hegel 2001, 152) Bild 141: Schema des dialektischen Herr-Knecht-Modells nach HEGELs „Phänomenologie des Geistes“ (Dandl) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 250 ] Ein wahrhaft revolutionärer Gedanke HEGELs von enormer Sprengkraft, wie sich in der Folgezeit erweisen sollte, denn er leistete nichts weniger als bisher gültige Begrif- fe auf den Kopf zu stellen: Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt der deutschen Aristokratie die Arbeit weithin noch als das Kennzeichen des Nichtmenschseins, gehörte sie doch aus ihrer Sicht seit Menschengedenken zur Sphäre der Sklaven und Leibeigenen, Menschenstatus mochten Adelige im Wesentlichen nur denen zubilli- gen, die ihr Leben der Muße widmen konnten und vor allem eines nicht mussten: körperlich arbeiten. Das besitzende Bürgertum sah in der Arbeit, JOHN LOCKE zweckmäßig verkürzend, in erster Linie den Rechtsgrund für den eigenen materiellen Wohlstand und las deshalb aus HEGELs Thesen wohl eher Legitimation denn Kritik der Knechtschaft. Nicht zuletzt verschob HEGEL mit seinem Postulat den Ursprung einer zentralen Ar- gumentationskette der Aufklärungsphilosophie. Während die Aufklärer das aus dem Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit konstruierte System der Menschen- rechte als unveräußerlichen Teil der Wesenseigenschaft des Menschseins definierten, macht HEGEL nun das menschliche Arbeitsvermögen zur Prämisse eben dieser Menschenrechte, indem er festsetzt, das Menschsein werde überhaupt erst durch Arbeit konstituiert und realisiert. Da sowohl theoretische Existenz als auch prak- tische Wirkung der Menschenrechte unauflöslich an das reale Dasein von Menschen gebunden sind, wird die Arbeit damit quasi zum Urgrund aller Menschenrechte. Mit seinem Diktum hat HEGEL die Arbeit also zur absoluten Conditio sine qua non des Menschseins erhöht und damit den Arbeitsbegriff des wissenschaftlichen Sozialis- mus114 fundiert (vgl. u., S. 256 ff.). Darauf gestützt sieht der heute oft als „Vater der Sozialstaatsidee“ apostrophierte Sozialphilosoph LORENZ VON STEIN (1815-1890)115 bereits 1852 in der Arbeit „die Betätigung der freien Selbstbestimmung der Persön- lichkeit in der Natur und damit die lebendi t. 114 Auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Vertretern des vorwissenschaftlichen (utopischen) Sozialismus, die den Inhalt des neuzeitlichen Arbeitsbegriff ebenfalls wesentlich beeinflussten (vgl. dazu Frambach 1999, 149-158), muss im Rahmen dieser Arbeit aus den bereits genannten Gründen verzichtet werden. Zu nennen wären hier z. B.: JEAN CHARLES LÉONARD DE SISMONDI (1773-1842), COMTE DE SAINT-SIMON (1760-1825), CHARLES FOURIER (1772-1837), ROBERT OWEN (1771-1858), LOUIS BLANC (1813-1882) und nicht zuletzt der Anarchist JOSEPH PROUDHON (1809-1865). 115 „Für die Arbeitsauffassung im Sozialismus ist, neben HEGEL, auch LORENZ V. STEIN von besonderer Bedeutung. […] Vor allem wird der Sozialismus […] in Deutschland durch V. STEINs Werk ‚Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich’ (Leipzig 1842) eigentlich erst bekannt. Seine ökonomische Geschichtsauffassung nimmt elementare Bausteine des folgenden Sozialismus vorweg. V. STEIN ist der erste Theoretiker, der eine realistische Analyse von den gesellschaftlichen Bewegungen gibt und dabei eine Theorie der Revolution und des Klassenkamp- fes darlegt“ (Frambach 1999, 146). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 251 ] […] Sie ist das wirkliche Werden der Freiheit des Menschen; sie ist darum absolut notwendig, und in diesem Sinne ist die Menschheit zur Arbeit geschaffen“ (zitiert nach van Dülmen 1998, 282). Der eine Bereich der politischen Praxis, in dem diese radikale Umwertung des Ar- beitsbegriffs ihre Wirksamkeit entfaltete, war - wie bereits angedeutet - der ländli- che Feudalismus. Die schrittweise „Befreiung“ des noch immer zu großen Teilen leibeigenen Bauernstandes von allen feudalen Bindungen, also von der Bindung an die Person des Leibherren einerseits und andererseits von der an die „Schol- le“, bedeutet zweierlei: Erstens konnte nach der rechtlichen „Befreiung“ der Bauern nicht mehr der Leibherr über deren Arbeitskraft verfügen, sondern allein deren Eigentümer, nämlich das freie Individuum selbst, und zweitens standen damit auch Grund und Boden zur freien Disposition; mehr noch, die adeligen Grundbesitzer waren jetzt, da sie durch den Verlust ihres - im Wort- sinne - „Humankapitals“ von der Haupt- quelle ihrer materiellen Existenz ge- trennt waren, sogar existenziell ge- zwungen, ihr Grundeigentum durch Verpachtung oder Verkauf gewinnbrin- gend zu verwerten. Der ökonomischen Nutzung des Bodens zur Rohstoffgewin- nung, Industrieansiedlung und Entfaltung der Infrastruktur verbunden mit einer sprunghaften Expansion der Städte, deren Recht und Grundeigentum bisher am Burgfrieden geendet hatte, stand damit nichts mehr im Wege. Das urbane Handwerk ist der andere Bereich, in dem die Neudefinition des Ar- beitsbegriffs ihre Dynamik entfaltete. Ideeller Ausgangspunkt dafür war die Kon- kretisierung des durch die Aufklärung postulierten Rechts des Individuums auf persönliches Eigentum, das wiederum durch menschliche Arbeit erworben und legalisiert wird. Aus dieser Festsetzung folgt logisch, dass dem souveränen Ein- Bild 142: Nach der Auflösung der Zünfte traten berufsorien- tierte Gewerbevereine an deren Stelle. Tafel eines schwäbischen Gewerbevereins: „Verein der unterschiedlichen Hand- werke 1841“ (Erichsen/Laufer 1985, 68). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 252 ] zelnen auch das Recht zukommen muss, über sein Arbeitsvermögen frei zu ver- fügen und es nach eigenem Gutdünken zum Eigentumserwerb und damit zur dau- erhaften Existenzsicherung einzusetzen. Allen revolutionären Umwälzungen zum Trotz ist es weder im 18. noch im 19. Jahrhundert gelungen, dieses aus dem indi- viduellen Arbeitsvermögen abgeleitete Menschenrecht auf Arbeit auch als mate- rielles Individualrecht zu realisieren (vgl. Pankoke 1990, 46 ff.). Dagegen vermochten die Träger der neuen Industrialisierung, die mit ihren Entscheidungen über die ökonomische Kapitalverwertung zunehmend an die Grenzen des zünfti- gen Handwerks stießen, ihre ökonomischen Interessen mit dem individuellen Recht auf Arbeit zu verquicken und erfolgreich umzumünzen in die Forderung nach einer allgemeinen Gewerbefreiheit116, die jedermann das Recht eröffnen sollte, jeden Produktionszweig in beliebigem Umfang mit jedweder Produktions- technik zu eröffnen und zu betreiben (vgl. Henning 1979, 62 f.). Gegen den erbit- terten Widerstand der Zünfte und Bruderschaften, der Meister und Gesellen, die die „Ehre“ des Alten Handwerks vor der Modernisierung zu bewahren suchten (vgl. Pankoke 1990, 50 ff.), wurden in den deutschen Territorien zwischen 1731 („Reichs- schluss“ oder Reichszunftordnung) und 1868 (gesetzliche Regelung in Bayern) mit der Einführung der Gewerbefreiheit „folgende Beschränkungen aufgehoben: • Ständische (Herkunfts-)Beschränkungen, d. h. auch ein Adliger oder ein Bauer konnte die gewerbliche Produktion für den Markt beginnen; • Vorbildungsbeschränkungen, d. h. es wurde keine fachliche Ausbildung (Lehrzeit, Gesellenzeit) mehr gefordert; • Staatliche, kommunale oder Zunftbeschränkungen, d. h. es war nicht mehr die Genehmigung der entsprechenden Behörden und Institutionen erforderlich; • Kapazitätsbeschränkungen, d. h. es gab keine Begrenzung des Produkti- onsvolumens oder der Beschäftigtenzahl; • Beschränkungen der Produktionsweise, d. h. der Gewerbetreibende konnte jede Technik anwenden. 116 Der Begriff Gewerbefreiheit „kam Mitte der 1770er Jahre auf, vermutlich als Übersetzung bzw. Nachbildung der französischen ‚liberte de commerce’, die 1776 in Frankreich sogar Gesetz wurde, entstammte sachlich aber der Kaufmannssprache. Naturrechtlich aufgeladen, meinte es mehr als nur die ungehinderte Berufsausübung in techni- scher Hinsicht, sondern war Ausfluß des Anspruchs, den ein jeder Mensch auf ‚Freiheit überhaupt’ hatte“ (Dipper 1995, 168 f.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 253 ] Die Einführung der Gewerbefreiheit war verbunden mit • der Aufhebung der Zünfte in der alten Form und der Überlassung nur weni- ger nicht die Produktionssphäre berührender Aufgaben an neue handwerkli- che Vereinigungen (z. B. soziale Hilfen), • der Aufhebung der Qualitätsgarantien durch Zünfte oder auch durch den Staat (z. B. in Form der Leggen) und • der Einführung der vollen Konkurrenz zwischen den einzelnen Produzenten“ (Henning 1979, 62). Da die mit der Auflösung der feudalen (Land) und der ständischen (Städte) Bin- dungen materialisierte Freiheit des Individuums also gleichbedeutend war mit der Freisetzung menschlicher Arbeit, musste sich zwangsläufig auch der Rechtscha- rakter des Arbeitsverhältnisses fundamental ändern. Das vordem auf wechsel- seitiger Treue- und Fürsorgepflicht (feudum) basierende feudale Herr-Knecht- Bild 143: Stilistische Anklänge an MENZELs Darstellung industrieller Arbeit sind hier unverkennbar (vgl. o. Bild 131, S. 229), aber anders als MENZELs Realismus idealisiert FRANZ WIESENTHALs zwanzig Jahre später (1898) entstandenes Ölgemäl- de „Die Hammerschmiede“ die verschwindende Arbeitweise des vorindustriellen Handwerks (Kropf 1987, Bd. 1, o. P.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 254 ] Verhältnis sowie die ständisch-zünftige Regulierung der persönlichen und ökono- mischen Beziehungen zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen verwandelten sich nun in ein an Marktgesetzen orientiertes, frei zu vereinbarendes Vertrags- verhältnis117 zwischen souveränen, allerdings asymmetrischen Vertragspart- nern: auf der einen Seite der Unternehmer (Kapitalist) als Besitzer der Produkti- onsmittel und „Käufer“ von Arbeitskraft, auf der anderen Seite der besitzlose Lohnarbeiter (Proletarier) als „Anbieter“ von Arbeitskraft. Menschliche Arbeit war also durch „Bauernbefreiung“ und „Gewerbefreiheit“ endgültig zur massenhaft handelbaren, wertäquivalenten Ware und damit der Handel mit ihr zum Charakte- ristikum industriekapitalistischer Gesellschaften geworden. Die Kennzeichnung der Arbeitskraft als Ware liefert das Stichwort für den Auftritt KARL HEINRICH MARX’ (1818-1883), der in seinem 1867 erstmals publizierten „Kapi- tal“ ausführt: „Der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine […] spezifische Ware vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft. Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehn wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leib- lichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Be- wegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert“ (Marx 1969, 138). Es darf wohl als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass die menschli- che Arbeit und der Arbeitsbegriff den „Archimedische[n] Punkt“ (Frambach 1999, 161) des Theoriekonzepts MARX’ bilden und es muss auch nicht weiter begründet werden, dass angesichts des Umfangs seines Werkes das Thema hier keinesfalls erschöpfend behandelt werden kann.118 Die Frage, warum man sich nach dem Un- tergang des europäischen „Realsozialismus“ überhaupt noch mit MARX beschäftigen muss, hat die bis 1995 in Bochum lehrende Sozialhistorikerin und Poli- tikwissenschaftlerin HELGA GREBING meines Erachtens bereits 1966 ein für allemal gültig beantwortet: „Die Leistung von MARX und ENGELS sollte heute nicht an der 117 „Die Abschaffung dieser ständisch-feudalen Fesseln im Rahmen der STEIN/HARDENBERGischen Reformen von 1807 - sie beseitigten unter anderem den Zunftzwang und die Gutsuntertänigkeit in Preußen - stellte Rechtsgleich- heit der Personen her. Sie bildete überhaupt die Voraussetzung für die Anerkennung der Arbeitsvertragsfreiheit. Für die gewerblichen Beschäftigten wurde sie erstmals ausdrücklich durch § 18 des Gesetzes ‚über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe’ von 1811 anerkannt. Die Vorschrift lautete: ‚Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbstständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitnehmern ist, vorbehaltlich der durch Gesetz begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Übereinkunft’“ (Seifert 2002, 156). Wie bereits eingangs erklärt, will ich die konkrete Entwicklung des Arbeitsrechts im Rahmen dieser Studie nicht nachzeichnen. Sollte VISUBA aber diesen Aspekt einbeziehen wollen, bietet der hier zitierte Aufsatz von ACHIM SEIFERT dafür eine sehr gute Basis. 118 Deshalb kann auch den Wandlungen der Bedeutung der Kategorie Arbeit in MARX’ Früh- und Reifeschriften aus den schon mehrfach angesprochenen (Zeit-)Gründen nicht nachgegangen werden, obwohl ich mir der Tatsache sehr wohl bewusst bin, dass „sich die MARXschen Begriffe im System selbst mehrfach verändert haben“ (Barzel 1973, 25; vgl. dort speziell zu dieser Fragestellung 24-78; zur kritischen Bewertung des Arbeitsbegriffs bei MARX vgl. z. B. Kolakowski 1981, bes. Band 1, 113 ff; Fetaiti 2001, bes. 107 ff.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 255 ] Richtigkeit oder Fragwürdigkeit ihrer Theorien, nicht an dem Wert oder Unwert ihrer Voraussagen und erst recht nicht an den ideologischen und politischen Fehldeutun- gen ihrer Auffassungen gemessen werden, sondern an ihrem ‚realen Humanismus’, an ihrem Bemühen um die Befreiung des Menschen als ‚ein erniedrigtes, ein ge- knechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen’. Die Auswirkungen des Den- kens von KARL MARX auf den Verlauf der Geschichte und auf die sich mit dem Men- schen befassenden Wissenschaften kann gar nicht überschätzt werden“ (Grebing 1975, 34). Darum soll der Darstellung der Konzeption MARX’ im Folgenden angemes- sen Raum gegeben werden, nicht zuletzt deshalb, weil nicht nur nach meiner Ansicht die von MARX aus der Analyse der englischen Frühindustrialisierung entwickelte Dar- stellung der kapitalistischen Produktionsweise nach wie vor als äußerst scharfsinnig anzusehen ist. Zwar sind viele seiner Prognosen bereits zu seinen Lebzeiten durch die Wirklichkeit ad absurdum geführt worden119, aber MARX hat, wie RAINER GEIßLER nachvollziehbar darlegt, „die besonderen Merkmale und Mechanismen der kapitalisti- schen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bereits im 19. Jahrhundert in der ‚Kritik der politischen Ökonomie’ (1859) und im ‚Kapital’ (ab 1867) in wichtigen Punkten tref- fend analysiert. Wenn man den MARXschen Begriffen ihre kritisch-polemische Spitze nimmt, lassen sich die wesentlichen Charakteristika des Kapitalismus in den vier fol- genden Punkten zusammenfassen: 1. Privateigentum an Produktionsmitteln: Eine kleine Klasse von Kapitalbesit- zern verfügt privat über die Produktionsmittel und gerät dadurch zur großen Klasse der lohnabhängigen Arbeiter in einen grundsätzlichen Interessenge- gensatz, der die sozialen und politischen Konfliktlinien zunehmend bestimmt. 2. Erzeugung von Mehrwert: Stark vereinfacht besagt das Konzept des Mehrwerts, daß die Arbeiter mehr Werte schaffen, als ihnen in Form der Löhne rückerstattet wird (‚Ausbeutung’ der Arbeiter). Der andere Teil der Wertmenge, für den die Arbeiter keinen Gegenwert in Form von Lohn erhal- ten - der ‚Mehrwert’ -, geht in die Verfügungsgewalt der Kapitalbesitzer über, die ihn z. T. in ihr Unternehmen reinvestieren und dadurch ihr Kapital ständig vermehren (‚Akkumulation’ des Kapitals). 119 Alle Versuche MARX’, seine Prognosen im ‚Kapital’ ‚wissenschaftlich’ zu abzusichern, können als gescheitert gel- ten, denn sie erweisen sich „letztlich nur als Produkt eines geschichtsphilosophischen Schemas, […] an dem MARX über alle Phasen seines Denkens hinweg, gegen die Evidenz der Empirie, festgehalten hat - eines geschichtsphilo- sophischen Schemas, das seinerseits eine säkularisierte Variante religiös-messianischer Heilserwartung darstellt“ (Pohlmann 1997, 183; vgl. auch Pohlmann 1995, 23 ff.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 256 ] 3. Gewinnstreben (‚Profitmaximierung’) ist der vorherrschende Antrieb der Wirtschaftsordnung. 4. Marktkonkurrenz ist die zentrale Steuerungsinstanz der Produktion“ (Geiß- ler 1996, 25). Bereits die Notizen des jungen MARX’ aus dem Jahre 1844 belegen, dass er sich von Anfang an intensiv mit HEGELs Philosophie auseinandergesetzt und dabei aus dessen Theorie neben anderem auch den Arbeitsbegriff in die eigene Systematik übernommen hat. So kommentiert MARX nicht nur HEGELs „Dialektik“ positiv, son- dern auch, dass dieser die menschliche Arbeit als entscheidenden Faktor bei der „Selbsterzeugung des Menschen“ auffasst und den Menschen „als Resultat seiner eignen Arbeit begreift“, kritisiert aber im gleichen Atemzug, dass der Philosoph „nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative“ sieht und sie ausschließlich als „abstrakt geistige“ akzeptiert: „Das Große an der HEGELschen ‚Phäno- menologie’ und ihrem Endresultate - der Dialektik der Negativität als dem bewe- genden und erzeugenden Prinzip - ist also einmal, daß HEGEL die Selbsterzeu- gung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entge- genständlichung, als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eignen Arbeit begreift. […] Er erfaßt die Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende Wesen des Menschen; er sieht nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative. Die Arbeit ist das Für- sichwerden des Menschen innerhalb der Entäußerung oder als entäußerter Mensch. Die Arbeit, welche HEGEL allein kennt und anerkennt ist die abstrakt geistige“ (Marx 2001/a, 574 ff.). MARX adaptiert für sein Konzept HEGELs Hypothese, dass der Mensch ein sich durch Arbeit selbst produzierendes Wesen sei, und versucht dessen von ihm scharf kritisierte und verworfene begriffliche Abstraktion auf zweifache Weise zu vermeiden. Zunächst bindet er den Prozess der Selbstproduktion des Menschen an die gesellschaftliche Praxis, sprich, die gesellschaftliche Arbeit: „Die Voraus- setzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahie- ren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Le- bensbedingungen, sowohl die vorgefundenen wie die durch ihre eigne Aktion er- 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 257 ] zeugten. Diese Voraussetzungen sind also auf rein empirischem Wege konstatier- bar. […] Bestimmte Individuen, die auf bestimmte Weise produktiv tätig sind, ge- hen diese bestimmten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ein. Die em- pirische Beobachtung muß in jedem einzelnen Fall den Zu- sammenhang der gesellschaft- lichen und politischen Gliede- rung mit der Produktion empi- risch und ohne alle Mystifikati- on und Spekulation aufweisen. […] Diese Weise der Produkti- on ist nicht bloß nach der Seite hin zu betrachten, daß sie die Reproduktion der physischen Existenz der Individuen ist. Sie ist vielmehr schon eine be- stimmte Art der Tätigkeit dieser Individuen, eine bestimmte Art, ihr Leben zu äußern, eine be- stimmte Lebensweise derselben. Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt also zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren. Was die Individuen also sind, das hängt ab von den materiellen Bedingungen ihrer Produktion. Diese Produktion tritt erst ein mit der Vermehrung der Bevölkerung. Sie setzt selbst wieder einen Verkehr der Individuen untereinander voraus. Die Form dieses Verkehrs ist wie- der durch die Produktion bedingt“ (Marx 2001/b, 20-25). Mit seinem zweiten Postulat zur Vermeidung der abstrakten Vergeistigung der Ka- tegorie Arbeit durch HEGEL erweist sich MARX „als anthropologischer Radikalist“ (Groth 1978, 25), ist doch aus seiner Sicht der Mensch als gesellschaftliches In- dividuum Kreator der humanen Welt. Dies aber nicht aufgrund einer freien, rücknehmbaren Willenentscheidung, sondern weil die Arbeit ein unablösbarer Teil des menschlichen Existenzmodus’ ist und damit die menschliche Gattung un- widerruflich von den Tieren abgrenzt. Der Mensch ist also ein „homo laborans“, Bild 144: Im Gegensatz zur Arbeit ist Wohnen und Leben der Handwer- ker und Arbeiter im frühen 19. Jahrhundert kaum bildlich dokumentiert. Die Originalbildunterschrift zu dieser Grafik, die 1848 in der Leipziger Illustrirten Zeitung abgedruckt war, lautet: „Neujahrsfeier des armen Mannes in der ganzen Welt“. Holzstich, (Erichsen/Laufer 1985, 103) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 258 ] der sich letztlich nur durch Arbeit selbst verwirklichen kann, ja, er muss sogar ar- beiten, um als „Gattungswesen“ überhaupt Mensch zu sein. Folglich definiert MARX Arbeit als bewusste, zielgerichtete Anwendung der menschlichen Ar- beitskraft mit dem dreifachen Zweck, sich die Natur verfügbar zu machen, seine Bedürfnisse zu befriedigen und sich als humanes Individuum zu verwirklichen: „Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Arbeitskraft konsumiert sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten läßt. […] Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin er seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Der Mensch tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueig- nen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie ver- ändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlum- mernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßig- keit. […] Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen aus- schließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeis- ter vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resul- tat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, al- so schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natür- lichen bewirkt, verwirklicht er im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckgemäße Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausfüh- rung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt. Die einfachen Momente des Arbeitspro- zesses sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel“ (Marx 1969, 148 f.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 259 ] Doch worin besteht nun der negative Aspekt menschlicher Arbeit, den HEGEL nach MARX’ Urteil nicht berücksichtigt hat? Er wurzelt direkt im Warencharakter der Arbeitskraft, also darin, „daß der Arbeiter zur Ware und zur elendesten Ware herabsinkt, daß das Elend des Arbei- ters im umgekehrten Verhältnis zur Macht und zur Größe seiner Produkti- on steht, daß das notwendige Resultat der Konkurrenz die Akkumulation des Kapitals in wenigen Händen […] ist“ (Marx 2001/a, 510). Die Setzung der Arbeit als anthropologische Kon- stante hat für MARX die Konsequenz, und in diesem Punkt folgt er durchaus JOHN LOCKE120, dass „ursprünglich“ ausschließlich derjenige das Resultat einer Arbeit nutzen durfte, der seine Arbeitskraft „freiwillig“ in das jeweilige Produkt investiert hatte. Doch die his- torische Entwicklung der Gesell- schaftsformationen lässt „die freie Ar- beit und den freien Genuߓ (Marx 2001/a, 507) nicht zu, sondern zwingt den Menschen aus existenziellen Gründen dazu, seine Arbeitskraft als Ware zu verkaufen. Dies bedeutet, „seine Arbeit ist nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürf- nisse außer ihr zu befriedigen“ (Marx 2001/a, 514; zum Warencharakter der Ar- beit vgl. u., S. 280). Ergo tritt ihm sowohl die Arbeit als auch deren Ergebnis, das Produkt selbst, „als ein fremdes Wesen, als eine von den Produzenten unabhän- gige Macht gegenüber“ (Marx 2001/a, 511). 120 So weist etwa MANFRED BROCKER in seiner großen LOCKE-Studie nach, dass MARX „in der Eigentumstheorie von LOCKE ausgehen [musste], um die revolutionäre Forderung nach der ‚Expropriation der Expropriateurs’ erheben und plausibel begründen zu können. Indem er genau dies tat, indem er sich der ‚naturrechtlichen’ Lesart der Ar- beitstheorie bediente, erwies er sich als genuiner Lockeaner!“ (Brocker 1992, 334). Bild 145: Der Mensch als „Zubehör der Maschine“ (vgl. u., S. 280). Künstlerische Umsetzung der Kritik an der ent- fremdeten Industriearbeit. HEINRICH HOERLE „Fabrik- arbeiter“ 1922 (Kropf 1987, Bd. 2, 115) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 260 ] Für diesen Lebenszusammenhang prägte MARX den Begriff „Entäußerung“ oder „Entfremdung“: „Die Entäußrung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeu- tung, nicht nur, daß seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einer äußern Existenz wird, sondern daß sie außer ihm, unabhängig, fremd von ihm existiert und eine selbständige Macht ihm gegenüber wird, daß das Leben, was er dem Gegenstand verliehn hat, ihm feindlich und fremd gegenübertritt“ (Marx 2001/a, 512). Dies, nämlich die Entfremdung des Arbeiters vom Produkt seiner Arbeit, ist der grundle- gende Aspekt dieser Kategorie, aus dem sich nach MARX noch weitere Entfrem- dungszusammenhänge ergeben: „Eine unmittelbare Konsequenz davon, daß der Mensch dem Produkt seiner Arbeit, seiner Lebenstätigkeit [= Arbeit], seinem Gat- tungswesen entfremdet ist, ist die Entfremdung des Menschen von dem Men- schen“ (Marx 2001/a, 517). Diese multiple Entfremdung des Menschen materiali- siert sich im Industriekapitalismus in der konkreten Ausbeutung des Verkäufers der Arbeitskraft (Lohnarbeiter) zum Zweck der Akkumulation des durch sie pro- duzierten Mehrwertes in den Händen des Aufkäufers der Arbeitskraft (Kapitalist). 5.1.4 „Die Teilung der Arbeit“ Die Entfremdung ist jedoch nicht ausschließlich industriekapitalistisches Spezifi- kum, hier wird sie lediglich auf die Spitze getrieben, vielmehr begleitet sie die Ge- nese der menschlichen Gesellschaft in unterschiedlicher quantitativer und qualita- tiver Ausprägung von Anfang an121, denn sie hat ihren Ursprung in der Arbeitstei- lung, die für MARX als „naturwüchsiger Produktionsorganismus“ (Marx 1969, 81) unmittelbare Folge des Zusammenlebenslebens der Menschen in einer Sozietät ist (vgl. o. Anm. 20, S. 51). Während etwa „Robinson auf seiner Insel […] ver- schiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen [hat] und daher nützliche Arbeiten ver- schiedener Art verrichten [muß], Werkzeuge machen, Möbel fabrizieren, Lama zähmen, fischen, jagen usw.“ (Marx 1969, 55), verteilt sich in menschlicher Ge- meinschaft die zu leistende Gesamtarbeit sowohl auf verschiedene Ebenen als auch auf Individuen oder Gruppen: „Hält man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die Trennung der gesellschaftlichen Produktion in ihre großen Gattun- gen, wie Agrikultur, Industrie usw., als Teilung der Arbeit im allgemeinen, die Son- 121 Vgl. JÜRGEN KUCZYNSKI (1904-1997): „Entfremdung ist eine uralte Erscheinung in der Geschichte des Menschen. […] Der Kapitalismus aber bringt Entfremdungserscheinungen ganz neuer Art, die die vorangehenden Gesell- schaftsordnungen […] nicht kannten“ (Kuczynski 1981, 127). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 261 ] derung dieser Produktionsgattungen in Arten und Unterarten als Teilung der Arbeit im besondren, und die Teilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt als Teilung der Arbeit im einzelnen bezeichnen“ (Marx 1969, 312; vgl. dazu auch Braverman 1977, 63 ff.). Eine Teilung der Arbeit im eigentlichen Sinne wird dies für MARX a- ber erst „von dem Augen- blicke an, wo eine Teilung der materiellen und der geistigen Arbeit eintritt, [weil damit] die Wirklich- keit gegeben ist, dass die geistige und materielle Tä- tigkeit - dass der Genuß und die Arbeit, Produktion und Konsumtion verschie- denen Individuen zufallen. […] Mit der Teilung der Arbeit […] ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, […] ferner der Widerspruch zwischen dem Interesse des einzelnen Individuums oder der einzelnen Familie und dem gemeinschaftlichen Interesse aller Individuen, die miteinander verkehren. […] Und endlich bietet uns die Teilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon dar, daß […] die eigne Tat des Menschen ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht“ (Marx 2001/b, 31 ff.). Indem MARX die Arbeitsteilung zum Fokus seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ macht, folgt er durchaus den von ihm scharf kritisierten Klassikern der politischen Ö- konomie. Nicht von ungefähr beginnt etwa der im schottischen Kirkcaldy geborene ADAM SMITH seine mehr als 800 Seiten umfassende Untersuchung über den „Wohlstand der Nationen“ mit den Worten: „Die Arbeitsteilung dürfte die produkti- ven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern. Das gleiche gilt wohl für die Geschicklichkeit, Sachkenntnis und Erfahrung, mit der sie überall eingesetzt oder verrichtet wird“ (Smith 2003, 9). Im Anschluss daran demonstriert er anhand eines konkreten Beispiels die Bedeutung der Zerteilung der Arbeit für die „großen Gewerbezweige, die für den Massenbedarf der Bevölkerung produzie- ren“ (Smith 2003, 9). Der Schotte führt mit seinem Exempel also die neue fabrik- Bild 146: Industrielle Arbeitsteilung im Arbeitssaal der Maschinenfabrik Gablonz. Zeichnung um 1835 (Kropf 1987, Bd. 1, 105) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 262 ] mäßige Produktionsweise vor und zeigt dabei, dass aufgrund einer exakt geplan- ten Organisation des Arbeitseinsatzes die Arbeitsproduktivität erheblich gestei- gert werden kann. Das qualitativ Neue daran ist, dass sich die Teilung der Arbeit nicht mehr wie bisher im Handwerk oder in der Manufaktur am Produkt, sondern am Arbeitsprozess orientiert. Bei ADAM SMITH heißt es dazu wörtlich: „Wir wollen daher als Beispiel die Herstellung von Stecknadeln122 wählen, ein recht unschein- bares Gewerbe, das aber schon häufig zur Erklärung der Arbeitsteilung diente. Ein Arbeiter, der noch niemals Stecknadeln gemacht hat und auch nicht dazu ange- lernt ist (erst die Arbeitsteilung hat daraus ein selbständiges Gewerbe gemacht), so daß er auch mit den dazu eingesetzten Maschinen nicht vertraut ist (auch zu deren Erfindung hat die Arbeitsteilung vermutlich Anlaß gegeben), könnte, selbst wenn er sehr fleißig ist, täglich höchstens eine, sicherlich aber keine zwanzig Na- deln herstellen. Aber so, wie die Herstellung von Stecknadeln heute betrieben wird, ist sie nicht nur als Ganzes ein selbständiges Gewerbe. Sie zerfällt vielmehr in eine Reihe getrennter Arbeitsgänge, die zumeist zur fachlichen Spezialisierung geführt haben. Der eine Arbeiter zieht den Draht, der andere streckt ihn, ein dritter schneidet ihn, ein vierter spitzt ihn zu, ein fünfter schleift das obere Ende, damit der Kopf aufgesetzt werden kann. Auch die Herstellung des Kopfes erfordert zwei oder drei getrennte Arbeitsgänge. Das Ansetzen des Kopfes ist eine eigene Tätig- keit, ebenso das Weißglühen der Nadel, ja, selbst das Verpacken der Nadeln ist eine Arbeit für sich. Um eine Stecknadel anzufertigen, sind somit etwa 18 ver- schiedene Arbeitsgänge notwendig, die in einigen Fabriken jeweils verschiedene Arbeiter besorgen, während in anderen ein einzelner zwei oder drei davon aus- führt. Ich selbst habe eine kleine Manufaktur dieser Art gesehen, in der nur 10 Leute beschäftigt waren, so daß einige von ihnen zwei oder drei solcher Arbeiten übernehmen mußten. Obwohl sie nun sehr arm und nur recht und schlecht mit dem nötigen Werkzeug ausgerüstet waren, konnten sie zusammen am Tage doch etwa 12 Pfund Stecknadeln anfertigen, wenn sie sich einigermaßen anstrengten. Rechnet man für ein Pfund über 4000 Stecknadeln mittlerer Größe, so waren die 10 Arbeiter imstande, täglich etwa 48 000 Nadeln herzustellen, jeder also unge- fähr 4800 Stück. Hätten sie indes alle einzeln und unabhängig voneinander gear- beitet, noch dazu ohne besondere Ausbildung, so hätte der einzelne gewiß nicht 122 Der amerikanische Soziologe RICHARD SENNET weist darauf hin, man solle beachten, dass SMITH als anschauli- ches Beispiel nicht etwa eine Nadel-, sondern eine „eine Nagelfabrik“ verwendet habe: „Es handelt sich nicht, wie manchmal gesagt, um moderne Nähnadeln - die ‚pins’ des 18. Jahrhunderts entsprechen eher unseren Reißzwe- cken oder kleinen Nägeln, wie sie beim Schreinern gebraucht werden“ (Sennet 1998, 44). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 263 ] einmal 20, vielleicht sogar keine einzige Nadel am Tag zustande gebracht. Mit an- deren Worten, sie hätten mit Sicherheit nicht den zweihundertvierzigsten, vielleicht nicht einmal den vierhundertachzigsten Teil von dem produziert, was sie nunmehr infolge einer sinnvollen Teilung und Verknüpfung der einzelnen Arbeitsgänge zu erzeugen imstande waren“ (Smith 2003, 9 f.). Die in dieser Passage geradezu enthusiastisch gefeierte Errungenschaft der pro- zessualen Arbeitsteilung, die im Rahmen der modernen, rational geplanten und durchgeführten industriellen Produktionsorganisation zur Quelle des allgemeinen Wohlstands wird, betrachtet der sachliche Analytiker ADAM SMITH nun keineswegs als Folge wissenschaftlicher Analyse, sondern schreibt ihre Entstehung der menschlichen Natur zu: „Die Arbeitsteilung, die so viele Vorteile mit sich bringt, ist in ihrem Ursprung nicht etwa das Ergebnis menschlicher Erkenntnis, welche den allgemeinen Wohlstand, zu dem erstere führt, voraussieht und anstrebt. Sie ent- steht vielmehr zwangsläufig, wenn auch langsam und schrittweise, aus einer na- türlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge gegeneinander auszu- tauschen“ (Smith 2003, 16). Bild 147: Rücksichtsloses Streben nach Gewinnmaximierung, aber auch der Glaube, Arbeit erziehe per se zu Ausdauer, Geschick- lichkeit, Disziplin, Fleiß, Ordnung etc. machten zunächst blind für die negativen Auswirkungen der Industrialisierung z. B. in Form der Kinderarbeit in der Fabrik. Zeichnung der Leipziger Illustrirten Zeitung 1858 (Müller 1985, 364) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 264 ] Aber bereits SMITH beurteilt die Wirkungen der Arbeitsteilung aus gesamtgesell- schaftlicher und individueller Perspektive nicht gleichermaßen positiv. Im Gegen- teil. Im „Fünften Buch“ seines Klassikers, in dem er die „Finanzen des Landes- herrn oder des Staates“ abhandelt, warnt er in seiner Darstellung der „Ausgaben der Bildungseinrichtungen für die Jugend“ (Smith 2003, 645-668) ausdrücklich vor den überaus negativen Auswirkungen der durch die Arbeitsteilung monotonisierten Tätigkeit auf den an seinem Arbeitsplatz unmittelbar davon betroffenen einzelnen Menschen und fordert staatliche Gegenmaßnahmen: „Mit fortschreitender Arbeits- teilung wird die Tätigkeit der überwiegenden Mehrheit derjenigen, die von ihrer Ar- beit leben, also der Masse des Volkes, nach und nach auf einige wenige Arbeits- gänge eingeengt, oftmals auf nur einen oder zwei. Nun formt aber die Alltags- beschäftigung ganz zwangsläufig das Verständnis der meisten Menschen. Je- mand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand zu üben. Denn da Hindernisse nicht auftreten, braucht er sich auch über deren Beseitigung keine Gedanken zu machen. So ist es ganz natürlich, daß er verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. Solch geistige Trägheit beraubt ihn nicht nur der Fähigkeit, Gefallen an einer vernünftigen Unterhaltung zu finden oder sich daran zu beteiligen, sie stumpft ihn auch gegenüber differenzierten Emp- findungen, wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte, ab, so daß er auch vielen Din- gen gegenüber, selbst jenen des täglichen Lebens, seine gesunde Urteilsfähigkeit verliert. […] Selbst seine körperliche Tüchtigkeit wird beeinträchtigt, und er verliert die Fähigkeit, seine Kräfte mit Energie und Ausdauer für eine andere Tätigkeit als der erlernten einzusetzen. Seine spezifisch berufliche Fertigkeit, so scheint es, hat er sich auf Kosten seiner geistigen, sozialen und soldatischen Tauglichkeit erwor- ben. Dies aber ist die Lage, in welche die Schicht der Arbeiter, also die Masse des Volkes, in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich gerät, wenn der Staat nichts unternimmt, sie zu verhindern“ (Smith 2003, 662 f.). Diese von SMITH kritisierten negativen Nebenwirkungen der Arbeitsteilung liefern KARL MARX den Punkt, an dem er ein Menschenalter später den Hebel der Kritik ansetzen kann. Er sieht die Arbeitsteilung nicht mehr nur als Beeinträchtigung der „geistigen, sozialen und soldatischen Tauglichkeit“ des Einzelnen, sondern brand- 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 265 ] markt sie als Wurzel aller der kapitalistischen Produktionsweise entspringenden Übel, denn für ihn ist sie die eigentliche Ursache dafür, „daß alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit in der kapitalistischen Form sich auf Kosten des individuellen Arbeiters vollziehn; daß alle Mittel zur Entwicklung der Pro- duktion in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Produzenten umschlagen, daß sie den Arbeiter in einen Teilmenschen verstümmeln [vgl. o., S. 238: Schillers Kritik an dieser Entwicklung], ihn zum Anhängsel der Maschine entwürdigen, mit der Qual der Arbeit ihren Inhalt vernichten, ihm di rbeitsprozesses entfremden, im selben Maße, worin derselbe si dige Potenz einverleibt; daß sie die Bedi n er arbeitet, be- ständig anormaler machen, ihn während des Arbeitsprozesses der kleinlichst gehäs- sigen Despotie unterwerfen, seine Lebenszeit in Arbeitszeit verwandeln, sein Weib und Kind unter, das Juggernautrad des Kapitals schleudern. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Aus- dehnung der Akkumulation wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, sich verschlechtert. Das Gesetz endlich, welches die relative Surpluspopulation oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Ak- kumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeits- qual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d. h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert“ (Marx 1969, 595; Hervorhebungen von mir. HD.). Wer nun meint, diese hier kurz skizzierten sozialen Verwüstungen gehörten längst einer Vergangenheit an, die wir glücklich überwunden haben, übersieht, dass wir sehr wohl noch Zeitgenossen durch Arbeitsteilung ausgelöster sozialer Verstüm- melungen schlimmsten Ausmaßes sind. Wir haben sie durch deren „Export“ in die Dritte Welt lediglich aus unserem Blickfeld entfernt, nicht aber aus der Welt ge- schafft: „Das Elend der Dritten Welt, man kann es nicht oft genug betonen, ist die Kehrseite der Erfolgsgeschichte des Marktes in den Industrieländern“ (König 1990/b, 328). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 266 ] Aus der Analyse MARX’ ergibt sich zwangsläufig, dass die Arbeitsteilung der al- leinige Schlüssel ist für die Auflösung der inhumanen Entfremdungszusammen- hänge und damit die Beseitigung aller negativen Aspekte der menschlichen Arbeit. Im dritten, von FRIEDRICH ENGELS (1820-1895) redigierten und 1894 aus dem Nachlass herausgegebenen Band des „Kapitals“ erläutert MARX, wie ein solcher Lösungsansatz aussehen könnte. Seiner optimistischen Ansicht nach wird die ka- pitalistische Produktionsweise, das „Reich der Notwendigkeit“, in dem der Mensch aus existenziellen Gründen in entfremdete Arbeitsverhältnisse gezwungen ist, letztlich durch ein „Reich der Freiheit“ überwunden werden. Darin wird nicht etwa die Arbeit abgeschafft sein, was ja unmöglich wäre, da dies - wie oben gezeigt - einer Abschaffung des Menschen selbst gleich käme123, sondern die Arbeitstei- lung, wodurch nach Logik der MARXschen Theorie zwangsläufig die Entfremdung sowie der Zwangs- und Warencharakter der Arbeit aufgehoben werden und die „freiwillige“ Arbeit als „Selbstzweck“ restituiert wird. Die Basis dafür werde, so MARX, der technologische Fortschritt mittels humanisierten Maschineneinsatz und Ar- beitszeitverkürzung bereit stellen: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, auf- hört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürf- nisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen mögli- chen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Na- turnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse [wachsen]; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kon- trolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigs- ten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem 123 Um Fehlinterpretationen vorzubeugen sei explizit darauf hingewiesen, dass MARX die Arbeit nicht als einziges Gat- tungsmerkmal nennt. Zu den „Wesenskräften“ des Menschen zählt er darüber hinaus die Eigenschaften und Werte Gesellschaftlichkeit, Freiheit, Bewusstheit und Universalität (vgl. Heller 1972, 9). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 267 ] Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Ar- beitstags ist die Grundbedingung“ (Marx 1980, 828; Hervorhebungen von mir. HD.). Hiermit, denke ich, sollte die zent- rale Rolle der Arbeit in der Konzep- tion MARX’ hinreichend dargetan sein. Deutlich geworden ist damit aber auch, dass die Schnittmenge zwischen den im Übrigen antago- nistischen Konzepten der liberal-ka- pitalistischen Nationalökonomie auf der einen und denen der marxisti- schen Ökonomie auf der anderen Seite durch die axioamtische Überhöhung des Arbeitsbegriffs gebildet wird. Beide Konzepte se- hen in der Arbeit „eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige [!] Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“ (Marx 1969, 24); mit anderen Worten: das ent- scheidende Kriterium des Mensch- seins überhaupt. In diesem Zusammenhang ist auch auf einen zweiten Aspekt hinzuweisen, in dem sich die Erklärungsmuster der ansonsten als Antipoden auftretenden Lager über- schneiden: Beiden Positionen gemeinsam ist der auf naturwissenschaftlicher Weltsicht und technologischer Entwicklungsdynamik ruhende, nahezu bedin- gungslose Glaube daran, dass der technische Fortschritt die Produktivkräfte positiv entfesseln werde. Während es der bürgerlichen Seite dabei in letzter Kon- sequenz um die Optimierung der Kapitalverwertung geht, verbindet die marxisti- sche damit die Hoffnung auf die Beförderung des transitorischen Prozesses der Bild 148: Mit seiner Zeichnung „Die Zerstörung der alten Welt“ aus dem Jahre 1892 kritisiert ALBERT ROBIDA (1848-1926) den naiven Fortschrittsglauben seiner Zeitgenossen: Der Wagen links entsorgt die „Tradition“, während Arbeiter unter Anleitung von Unternehmern Dynamit in den Berg schieben, um die alte Welt zu sprengen. Das alte I- deal (Engel rechts unten) wendet sich resigniert ab. Im Hintergrund trium- phiert der mit Konstruktionswinkel und Glühbirne „bewaffnete“ monströse Fortschritt und links blickt man in die neue, verqualmte Industrieland- schaft (Württembergisches Staatstheater 1977, Bd. II, o. O.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 268 ] Entfremdung, durch den die Arbeitsteilung letztlich aufgehoben und das „Reich der Freiheit“ realisiert werden wird. Sowohl aus der bürgerlichen als auch aus der marxistischen Perspektive betrachtet, „bilden die Jahre zwischen 1850 und 1890 eine Epoche praktisch ungebrochener Technikbegeisterung und weit verbreite- ten Fortschrittglaubens. Die Weltausstellungen, die seit 1851 in dichter Folge veranstaltet wurden, demonstrierten die Triumphzüge des Ingenieurgeistes und industrieller Fertigkeiten. In ganz Europa wurde die Nachricht von sich überstür- zenden, gegenseitig in rascher Folge überbietenden Erfindungen gehört. Der Techniker, der Erfinder, der Forscher, der wagemutige Unternehmer - das waren die Heroen eines bürgerlichen Zeitalters. Vielfältige Produkte der technischen Zi- vilisation drangen in den Alltag ein. Gasbeleuchtung, Wasserleitungen, Straßen- bahnen, Aluminiumgeschirr, Petroleum, schließlich Elektrizität, Telefon und Tele- graf - eine Innovation jagte die andere. Die Welt war im Aufbruch, ihr Fortschritt unübersehbar“ (Sieferle 1984, 146; Hervorhebungen von mir. HD.; vgl. Giedion 1987, 50 ff.). Das technologische Großsymbol dieses Fortschritts und zugleich „Zentralort industrieller Arbeit“ (Ruppert 1983, 9) ist die Fabrik. 5.1.5 „Zentralort industrieller Arbeit“ Was aber ist die historische Neuerung des Produktionsortes Fabrik, die ihn grund- sätzlich vom Werkraum des Handwerkers oder der Manufaktur unterscheidet? Es sind nicht die Lohnarbeit, der Kapitaleinsatz, die Arbeitsteilung oder die Mechanisie- rung für sich genommen, all dies existierte auch in hergebrachten Organisationsfor- men der Arbeit, es ist vielmehr die auf wissenschaftlichen Kriterien basierende Kom- bination dieser Faktoren mit dem Ziel, durch Intensivierung des Arbeitsprozesses die Arbeitseffizienz und Arbeitsproduktivität so zu steigern, dass eine materiellen Gewinn erzeugende Massenproduktion von Gütern möglich wird. Die Industriepro- duktion „zeichnet sich durch die fünf folgenden Merkmale aus: 1. Die Technik wird systematisch zur Gütererzeugung eingesetzt: Maschinen und Maschinensysteme ersetzen die Produktion mit der Hand und mit ein- fachen Handwerkszeugen. 2. Die maschinelle Produktionsweise steigert die Produktivität und ermöglicht Groß- und Massenproduktion. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 269 ] 3. Produziert wird nicht in kleinen Gruppen wie in der Familie oder in Kleinstbetrie- ben, sondern in Großgruppen bzw. Großbetrieben (Fabriken). 4. Dadurch wird ein höherer Grad an Arbeitsteilung möglich. 5. Die Betriebe werden nach dem unternehmerischen Rationalitätsprinzip ‚mehr für weniger’ geführt“ (Geißler 1996, 24). Die ersten Schritte in diese Richtung waren technologische Neuerungen in der britischen Textilproduktion, mit denen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert die bisherigen Begrenzungen der Produktion bedingt durch fluktuierende Energie- versorgung einerseits und menschliche Defizite andererseits durchbrochen wer- den konnten. AKOS PAULINYI fasst diese grundlegenden technischen Veränderun- gen zu Beginn der industriellen Revolution zusammen in „vier zentrale Faktoren: Arbeitsmaschinen für die Formveränderung, Steinkohle als Energieträger, Dampfmaschinen als Energieumwandler und Eisenerzeugung auf Steinkohlen- basis. Zwei weitere waren: die Techniken der Stoffumwandlung sowie die Transporttechnik, weil ohne ihre Leistungsfähigkeit zu steigern, ohne die ‚Ver- kürzung von Zeit und Raum’, das gesamte ökonomische System zum Stillstand gebracht worden wäre“ (Paulinyi 1997, 278; Hervorhebungen von mir. HD.). Von Großbritannien aus ergriff der Industrialisierungsprozess in der Folge sowohl den Kontinent als auch die Vereinigten Staaten von Amerika und ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlagerten sich dann auch die Innovationszentren nach Deutschland (Chemieindustrie, Elektroindustrie) und in die USA.124 Zwei revolutionäre, die Fabrikproduktion in der noch heute gängigen Form erst er- möglichende Neuerungen kamen aus den Vereinigten Staaten von Amerika nach Eu- ropa: die wissenschaftliche Betriebsführung (scientific management) und das Fließband (assembly line), verbunden mit den Namen FREDERICK WINSLOW TAYLOR (1856-1915) und HENRY FORD (1863-1947). Erfunden wurde das Fließband aber nicht wie landläufig oft angenommen von FORD, sondern es entstand, so berichtet GIEDION, bereits 1784/85 abseits der industriellen Zentren in den „Wäldern von Dela- ware“, wo der Farmersohn OLIVER EVANS (1755-1819) im Tal des Redclay Creek 124 Ich denke, der Industrialisierungsprozess als solcher muss hier nicht im Detail nachgezeichnet werden, die leicht zugängliche Literatur zu diesem Thema ist Legion. Deshalb an dieser Stelle nur eine ganz kleine Auswahl wichtiger und im Rahmen dieser Arbeit benützter Standardwerke: Hahn 1998 (bester Überblick über „Grundprobleme und Tendenzen der Forschung“); Henning 1979; Kellenbenz 1981; Kiesewetter 1989; König 1997 (Bd. 3 und 4); Landes 1973; Otten 1986; Paulinyi 1989; Pierenkemper 1996; Pohlmann 1997; Rupert 1983; Selmeier 1984; Wehler 1995. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 270 ] eine Mühle baute, „in der das Getreide die verschiedenen Mahlprozesse ohne menschlichen Eingriff stockungslos und in kontinuierlicher Produktionslinie durch- lief. […] OLIVER EVANS hat das endlose Band und verschiedene Arten von Förder- anlagen eingeführt, die in allen Stadien der Produktion aufeinander abgestimmt sind. Die drei Formen, die er von Anfang an benutzte: das endlose Band, die Becherkette und die ar- chimedische Schraube, auch Mehl- schraube genannt, bilden bis heute die drei Arten des Fördersystems. Im einzelnen wurden diese Elemen- te später technisch weiterentwi- ckelt, an der Methode selbst aber gab es nichts zu ändern. […] Nach zwischengeschalteten Arbeitsvor- gängen wurde das Getreide zu den Mühlsteinen hinab und von diesen wieder zurück in den obersten Stock geleitet. Es machte also [...] den Weg durch alle Stockwerke, von unten nach oben und von oben nach unten, ähnlich, wie die Autokarosserien in den Fordwerken 1914. […] Die Müller der Umgegend besichtigten sie und sahen, daß alle Operationen des Mahlens ohne irgendwelche Mitarbeit vonstatten gingen, Säubern, Zermahlen, Beuteln, ohne menschliches Zutun. […] 1790 erhielt OLIVER EVANS ein Patent für seine Methode, Mehl herzustellen und zu mahlen“ (Giedion 1987, 106 f.). Die im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer häufigeren Versuche - etwa durch JO- HANN GEORG BODMER (1786-1864) in Manchester oder durch Fleißbandmecha- nismen in den Schlachthäusern von Cincinnati und Chicago - die Produktion zu verstetigen, wurden Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend durch Bemühungen er- gänzt, die Arbeitsbewegungen und den Zeitverbrauch des einzelnen Arbeiters zu studieren sowie den gesamten Arbeitsablauf und die Betriebsorganisation wissen- schaftlich zu erfassen und zu rationalisieren. Das Ziel dabei war, die Betriebskos- Bild 149: Vom Handwerk zum Fabriksystem: Die Entwicklung der C. Reichenbach’schen Maschinenfabrik & Eisengießerei (1844 oben) zur Maschinenfabrik Augsburg (1882), der späteren M.A.N. (Zwehl 1985, 198). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 271 ] ten zu senken und die Produktion zu steigern. Als systematischer Theoretiker die- ser neuen rationalen Organisationsform des Produktions- und Arbeitsprozesses profilierte sich der nordamerikanische Ingenieur FREDERICK W. TAYLOR, der mit seinen beiden Schriften ‚Shop Management’ (1903) und ‚Principles of Scientific Ma- nagement’ (1911) die wissenschaftliche, durchrationalisierte Betriebsführung und Produktionsorganisation begründete: „Nach FREDERICK WINSLOW TAYLOR machen drei Prinzipien das Wesen der wissenschaftlichen Produktionsorganisation aus: a) das Kontrollprinzip, nach dem die Kontrolle über den gesamten Arbeits- und Produktionsprozeß bei der Betriebsleitung und nicht bei den einzelnen Arbeitenden liegt; b) das Entgeistigungsprinzip, das vorsieht, daß die Werkstatt von jeder denk- baren geistigen Arbeit befreit wird, was zu einer Trennung von denkender Vorstellung bzw. Planung und konkreter Ausführung und somit zur systema- tischen Dequalifizierung lebendiger Arbeit führt; c) das Pensumprinzip, das vorschreibt, daß die Betriebsleitung die zu leisten- de Arbeit eines jeden Arbeitenden wenigstens einen Tag vorher aufs genau- este ausdenkt und festlegt“ (Gil 1997, 38 f.; Hervorhebungen von mir. HD.; vgl. Mikl-Horke 2000, 70 ff.). Diese Organisationsprinzipien ermöglichten es den Unternehmern, Aufteilung und Koordination von maschinell mechanisierter und menschlicher Arbeitskraft zu- nehmend präziser zu planen und damit konsequent an den Rentabilitätskriterien der Kapitalverwertung zu orientieren. Die wissenschaftliche Betriebsführung TAY- LORs wurde unterstützt durch die Raum-Zeit-Studien des Psychologen FRANK B. GILBRETH (1868-1924), der sich der Filmkamera bediente und sogar eigene „Be- wegungsaufzeichner“ entwickelte, um die Arbeitsvorgänge visuell darzustellen, damit nach Optimierungsmöglichkeiten für einzelnen Bewegungsphasen gesucht werden konnte (vgl. Giedion 1987, 125 ff.). HENRY FORD kommt schließlich das Verdienst zu, die Prinzipien der Mechanisierung (Fließbandmontage), der Ökonomisierung (wissenschaftliche Betriebsführung) und der Standardisierung (Auswechselbarkeit der Werkzeuge und Bauteile durch Nor- mierung) in seiner 1913/14 aufgebauten Autofabrik in Highland Park in Detroit so er- folgreich miteinander zu kombiniert zu haben, dass diese Methode in den folgenden Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 272 ] Jahrzehnten zu Modell und Metapher der industriellen Massenfertigung wurde. Heu- te bezeichnen die Begriffe „Taylorismus“ und „Fordismus“ (vgl. Mikl-Horke 2000, 70 und 79) das in den 30er bis 50er Jahren in den USA entstandene, nach dem Zweiten Weltkrieg in andere Industriestaaten transferierte kapitalistische System industrieller Massenproduktion und intensiver Kapitalakkumulation, das den Men- schen und seine Arbeitskraft zu technischen Größen und ökonomischen Faktoren de- gradiert. Die Kritik an dieser als inhuman gebrandmarkten Arbeitsorganisation125 wurde zunächst nahezu ausschließlich als grundsätzliche Kapitalismuskritik durch den Marxismus formuliert, was die Suche nach systemimmanenten Lösungsan- sätzen lange Zeit behinderte. Erst als gegen Ende der 1950er Jahre immer deutlicher wahrgenommen wurde, dass auch die marxistischen Volkswirtschaften der realsozia- listischen Welt gezwungen waren, tayloristisch-fordistische Prinzipien anzuwenden, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können, wurden Konzepte für eine „Humanisie- rung der Arbeitswelt“ (vgl. Holler/Tully 1981; Buggert 1999, 194 ff.) entwickelt, um im Rahmen der Systemkonkurrenz die Überlegenheit der kapitalistischen Produkti- onsweise zu demonstrieren. Unter dem Druck der sich in den 1960er Jahren in der BRD verschärfenden Gesell- schaftskritik, die den industriellen Arbeitsbedingungen hierzulande ein erhebliches „Humanitätsdefizit“ (Holler/Tully 1981, 19) attestierte, sowie aufgrund neuer Er- kenntnisse der Motivationsforschung schlossen sich deshalb Anfang der 1970er Jahre z. B. die deutschen Autohersteller (AUDI, BMW, Daimler-Benz, Ford, Opel, NSU und VW) sowie wichtige Zulieferer zum Arbeitskreis „Neue Arbeitsstrukturen in der deutschen Automobilindustrie“ zusammen (vgl. Buggert 1999, 194), die Bundes- regierung beschloss 1974 ein Aktionsprogramm „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens“ (vgl. Holler/Tully 1981, 16). Während es der Industrie dabei vor allem um eine Steigerung der Arbeitsqualität und -produktivität ging, verfolgte die Administration vorrangig das Ziel, die Kriterien der sozialen Marktwirtschaft auch in der industriellen Produktion selbst stärker zu verankern. Ansatzpunkt der Konzepte zur „Versöhnung von Humanität und Produkti- vität“ ist vor allem „die Fließbandfertigung mit ihren negativen Auswirkungen, für die 125 Zu den Auswirkungen der „Rationalisierung und Massenproduktion“ durch die Maßnahmen TAYLORs und FORDs vgl. König 1997/b, 427 ff. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an CHARLIE CHAPLIN (1889-1977), der in seinem Film Modern Times (1936) die Auswirkungen der Fließbandarbeit auf den Menschen genial karikierte (vgl. u. Bild 195, S. 358; Mazlish 1998, 118). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 273 ] extreme Arbeitsteilung mit diktiertem Zwangstempo sowie zu kurz bemessene Takt- zeiten verantwortlich gemacht werden. Nach skandinavischem Vorbild werden auf der Grundlage des Aufgabenwechsels (Job rotation), der Aufgabenvergrößerung (Job enlargement) und Aufgabenbe- reicherung (Job enrichment) Ver- suche mit neuen Arbeitsstrukturen unternommen. Einige Betriebe streben Verbesserungen dadurch an, daß sie die langen und un- überschaubaren Bänder auflösen und zu kleineren Montageeinhei- ten übergehen; andere Betriebe sehen die Lösung des Problems eher in mit Aufgaben angereicher- ten Einzelarbeitsplätzen. Der be- deutsamste Ansatz zur Verbesse- rung der Arbeitsbedingungen wird der, bei dem sowohl ausführende Arbeiten als auch dispositive Funktionen Ar- beitsgruppen übertragen werden und das Kollektiv als Ganzes in die Verantwor- tung für das zu erbringende Arbeitsergebnis genommen wird“ (Buggert 1999, 194; Hervorhebungen von mir. HD.). Die Umstrukturierungen setzten also bei der zentralen Voraussetzung des tayloristisch- fordistischen Fabriksystems an, die Arbeitskräfte sowohl wegen des hohen Kapitalein- satzes für die technologische Ausstattung als auch wegen der wi triebsorganisation am Standort der Maschinen zu konzentrieren. Die dafür notwendige strikte Trennung des Arbeitsplatzes von Haus und Familie hatte zwangsläufig zur Folge, dass sich ab dem 19. Jahrhundert die hergebrachten Familienstrukturen endgül- tig auflösen mussten. In der vorindustriellen Epoche wurde die Familie auch als Ar- beitsverband aufgefasst, dem in Stadt und Land ni h Ehe und Geburt verbundenen Personen angehörten, sondern auch Lehrlinge, Gesellen, Gesinde, Knechte und Mägde, die in familiär abhängi m Status mit der Kernfamilie zusammen lebten. Der Historiker OTTO BRUNNER (1898-1982) hat für diesen Sozialverband 1956 den Begriff „Ganzes Haus“ geprägt, „um die gesamte ‚alteuropäische’ Wirtschaftsweise Bild 150: Fließband zur Massenproduktion kleiner Gussteile für Ei- senbahnbremsen bei Westinghouse (Pittsburg, USA). Links werden die Gussformen auf das Band geladen, rechts von Hand gefüllt. Erschie- nen im Scientific American am 4. Juni 1890 (Brentjes 1987, 355) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 274 ] in ihrer Verquickung von hierarchischen St Nahrungsgarantie zu charakterisieren“ (Völker-Rasor 2000, 152). Zwar sollte dieser eine gewisse Idylle implizierende Begriff nicht darüber hinwegtäu- schen, dass das Ganze Haus keineswegs symmetrische Beziehungen beschreibt, sondern streng hierarchisch-patriarchalische, doch kennzeichnet er eine relative Ein- heit von Leben und Arbeit in ländlicher Heimarbeit und im urbanen Handwerk, also jene auf persönlichen Beziehungen basierenden Strukturen, die den dort integrierten Menschen Orientierung und soziale Sicherheit vermittelten. Dagegen bedeutete Fab- rikproduktion für die Arbeitenden nicht nur die Trennung von den Produktionsmitteln (Werkzeuge und Maschinen), die nun den kapi kräftigen Fabrikeignern gehörten, sondern auch die das Lebensrisiko des Einzelnen steigernde Auflösung der Einheit von Arbeitsplatz und Wohnung (vgl. Sauer 1984/b). Die ländlichen Heim-Arbeitenden mussten ihre hergebrachten Arbeits- und Lebensgewohnheiten ebenso aufgeben wie die urbanen Handwerksgesellen und Lehrlinge. Sie waren nun selbst für Nahrung, Unterkunft und soziale Absicherung verantwortlich, sie mussten den täglichen, oft ein, zwei Stunden in Anspruch nehmenden Fußweg in die Fabrik auf sich nehmen und waren dort vom maschinendiktierten Arbeitsrhythmus des Fabriksystems ebenso existentiell abhängig wie von den gewinnorientierten Produktionsstrategien des Fa- brikherren. Die erfolgreiche Entfaltung des Fabriksystems setzte also einen neuen, für die industrielle Produktionsweise brauchbaren Typus von Arbeiter mit Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß, Ausdauer, Disziplin, Gewissenhaftigkeit, Ordnung, Hingabe, Un- terordnungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit etc. voraus. Da eine solche in- dustriöse Gesinnung dem vorindustriellen Arbeitsethos fremd war, hatten die ge- sellschaftlichen Sozialisierungs- und Disziplinierungsinstanzen Schule, Militär und Bü- rokratie einerseits sowie Zucht- und Arbeitshäuser andererseits bereits in der Frühin- dustrialisierung die Aufgabe übernommen, den im Industriekapitalismus funktionie- renden Menschentypus des „dressierten Arbeiters“ (Ehmer/Meißl 1984; vgl. auch o., S. 168 f. sowie u. Bild 152 „Fabrikordnung“, S. 276) zu produzieren. Der französische Philosoph MICHEL FOUCAULT (1926-1984)126 „dokumentiert u. a. in ‚Überwachen und Strafen’, wie ein ‚monastisches’ Disziplinierungsmodell in der modernen Arbeitsgesellschaft und insbesondere im Arbeitsraum der Fabrik durch- 126 Eine kritische Würdigung der Thesen FOUCAULTs findet sich in TREIBER/STEINERTs Untersuchung „Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen“ (1980, 77 ff.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 275 ] gesetzt wird, welches a) die Zeit quan- tifiziert und verschiedene Zeiten von- einander trennt (die Zeit des Betens, die Zeit des Arbeitens, die Zeit der Er- holung); b) die dabei zu verrichtenden Tätigkeiten in minutiöser Zerlegungsar- beit festlegt; c) für zyklische Wiederho- lungen sorgt, deren repetitives Wieder- kommen einen bestimmten Lebens- rhythmus als Machtstrategie durchsetzt. […] Mit seiner konkreten Realisierung ver- ändern sich nicht nur die Arbeits- und Produktionsprozesse sondern auch die konkreten Lebensformen, die Zeit- und Raumauffassungen, die Erwartungen und überhaupt das Vergesellschaf- tungsmodell als solches. Die Zeit der Arbeit wird von der freien Zeit (von der Freizeit) getrennt. Die während der Ar- beitszeit (im Fabrikraum) zu verrichten- den Tätigkeiten werden von den Fab- rikherren und Produktionsorganisatoren genau festgelegt, so daß jedes den Ar- beitsrhythmus störende Denken über- flüssig wird, was u. a. zu einer degra- dierenden Dequalifizierung der auf eine solche Weise verwerteten menschli- chen Arbeitskraft führt. Das repetitive Wiederkehren eines standardisierten Rhythmus sorgt für die mechanische Durchtrainierung des menschlichen Produk- tionsfaktors“ (Gil 1997, 39 f.; vgl. dazu auch Ehmer/Meißl 1984, 28 ff. und Kößler 1990, bes. 141 ff.). Bild 151: Symbole der Industrialisierung und Disziplinierung: Fabrikglocke (oben, 1872) und Stechuhr (1920). „Die arbeits- teilige, auf Maschinen ausgerichtete Produktionsweise in den Fab- riken verlangte einen peinlich genau einzuhaltenden Zeitplan.“ (Kropf 1987, 91) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 276 ] Dieser Prozess der „Fabrikation des zuverlässigen Menschen“ (Treiber/Steinert 1980) war an der Schwelle zum 20. Jahrhundert so weit gediehen, dass GEORG KERSCHENSTEINER (1854-1932) in seiner berühmten „Preisarbeit“ aus dem Jahre 1901 die Arbeit selbst „als das zweckmäßigste Mittel zur staatsbürgerlichen Erzie- Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Straub & Söhne in Altenstadt 1853 § 1. Jeder Arbeiter soll sich zur bestimmten Stunde, welche je nach dem Wechsel der Jahres- zeit und den Verhältnissen festgesetzt wird, bei der ihm angewiesenen Arbeit in der Fabrik einfinden. § 2. Durch eine Glocke oder durch ein anderes bekanntgemachtes Zeichen wird die Ein- und Ausgangszeit der Arbeiter angekündigt und nach Belieben der Fabrikvorsteher noch durch einen besonderen Anschlagzettel bekanntgemacht, zu welcher Zeit sich jeder Arbeiter an seinem Arbeitsplatz einzufinden hat. Es ist jedem Arbeiter verboten, seinen Platz zu verlassen, bevor zum Ausgang und zur Schließung des Fabrikgebäudes das Zeichen gegeben wird. [...] § 8. Ein friedliches Betragen wird den Arbeitern zur strengen Pflicht gemacht. Wer sich Strei- tigkeiten, Beschimpfungen und Tätlichkeiten zu Schulden kommen läßt, unterwirft sich der Strafe, welche der Fabrikaufseher oder Inhaber gegen ihn erkennen wird. § 11. Der Arbeiter, welcher durch einen anderen Weg als den gewöhnlichen Eingang in die Fabrik kommt, oder sie verläßt, wird als verdächtig angesehen und bestraft. § 12. Die Strafen bestehen in Lohnabzügen, welche sich nach Verhältnis und Umständen richten, und im Wiederholungsfall erhöht werden, jedoch den Betrag von vier Gulden nicht übersteigen. § 13. Die erhobenen Geldstrafen (worunter aber die Entschädigungen nicht verstanden sind) werden zur Unterstützung kranker und beschädigter Arbeiter verwendet. [...] § 15. Jedem Arbeiter wird glei Decompte zurückbehalten und bei Lohnerhöhung vervollständigt. Den Hasplerinnen und anderen Arbeitern, welche a facon bezahl , welche von zwei zu zwei Wochen stattfinden, der Ertrag der letzten Woche (ob solche mehr oder weniger Arbeitstage umfasse) rückständig. Nur bei ordnungsmäßigem Aus- tritt wird Lohn und Decompte bezahlt. [...] § 17. Der Arbeiter, welcher seinen Dienst in der Fabrik aufgeben will, ist verpflichtet, seinen Austritt sechs Wochen vorher, und zwar an einem je nach zwei Wochen eintretenden Zahltage, den Fabrikinhabern oder einem Aufseher anzuzeigen; bei Kindern wird die Aufkündigung nur von den Eltern oder Versorgern angenommen. [...] § 22. Die Fabrikbesitzer sind jedoch zur augenblicklichen Entlassung des Arbeiters ohne Ver- gütung von Lohn und Decompte berechtigt. [...] Bild 152: Disziplinierung als Erziehung zur Arbeit: Auszüge aus der Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Straub&Söhne in Altenstadt (Enzensberger 1972, Bd. 2, 16 ff.; vgl auch Ruppert 1983, 53 ff.) [Erläuterungen: Decompte = zurückbehaltener Lohn; à facon = im Stücklohn]. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 277 ] hung“ zur Erziehungsinstanz für die „bürgerlichen Tugenden“ aufwerten konnte: „Welcher Art nun die erziehlich wirkende Arbeit sei, das ist im allgemeinen gleich- gültig. Nur eine Bedingung erscheint notwendig, daß der Mensch bei ihr ‚fröhlich’ sein könne. Das trifft dann am meisten zu, wenn sie das Interesse des Zöglings zu gewinnen vermag. Ob sie dann am Studierpult oder am Zeichentische, an der Drehbank oder am Webstuhl, auf freiem Felde oder in der Werkstatt, im Dienste der Güterproduktion oder im Dienste praktischer Nächstenliebe den Menschen in ihre Zucht nimmt, ist gleichgültig. Denn aller wahrhaften, ernsten Arbeit ist das ei- ne eigentümlich, daß sie jene Willensbegabungen übt, welche die Grundlagen der wichtigsten bürgerlichen Tugenden sind: Fleiß, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, Be- harrlichkeit, Aufmerksamkeit, Ehrlichkeit, Geduld, Selbstbeherrschung, Hingabe an ein festes, außer uns liegendes Ziel“ (Kerschensteiner 1906, 36 f.). Hier zeigt sich, dass in der Hochindustrialisierung das frühindustrielle Prinzip der Erziehung zur Arbeit umgeschlagen war in Erziehung durch Arbeit und industriöse und bür- gerliche Gesinnung zu einem untrennbaren Tugendkomplex verschmolzen hatte. 5.1.6 „Ihr habt die Macht in Händen“ In ihrer ersten Phase hatte die Industrialisierung allerdings Arbeits- und Lebensbedin- gungen erzeugt, die den Arbeitenden kaum Anlass und Gelegenheit boten „fröhlich“ zu sein. Sie erfuhren tagtäglich am eigenen Leib die eklatante Diskrepanz zwischen der Realität und den optimistischen Prognosen der klassisch-liberalen Nationalöko- nomie in der Tradition ADAM SMITH’, individuelle Arbeit erzeuge Wohlstand und legiti- miere allein privaten Reichtum, individuelles Profitstreben schlüge nicht nur zum Nut- zen der Kapitaleigner und des Staates aus, sondern verbessere vielmehr die soziale Lage der Arbeitenden. Im Gegensatz dazu erlebte die Masse der arbeitenden Men- schen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielmehr, dass „das kapitalistische Wirtschaftssystem in seinen Anfangsstadien eine Arbeits- und Elendshölle in die Welt setzte, dergleichen jedenfalls die europäischen Völker nie gekannt hatten“ (Arendt 1960, 251). Da an dramatischen Schilderungen dieses als soziale Frage bekannten historischen Vorgangs in der Fachliteratur kein Mangel herrscht, soll er hier lediglich durch die nachstehende Grafik zusammengefasst und so veranschaulicht werden, dass einerseits die Ursachen für die gravierende Verschlechterung der Lebens-, Ar- beits- und Rechtssituation für die körperlich Arbeitenden und damit auch die für die Entstehung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts aufgezeigt werden und anderer- seits der Begriff selbst mit konkreten Inhalten gefüllt wird: Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 278 ] Arbeitskontext • niedrige Löhne (Tagelöhner) • Kinder- und Frauenarbeit • lange Arbeitszeit • fehlende Sicherheit am Arbeitsplatz • harte Disziplin und Betriebsstrafen • entfremdete Arbeit (Arbeitsteilung) Lebenskontext • Leben am Existenzmi- nimum, Überschuldung • Auflösung der Groß- familienstrukturen • fehlende soziale Sicherungen (Krankheit, Unfall, Alter...) • Wohnungselend (Slums, Mietskasernen) • Massenarmut, Not, Hunger, Krankheit... Rechtskontext • Landverlust und Eigentumslosigkeit • fehlende politische Rechte • Abhängigkeit vom Unternehmer (Trucksystem) • Koalitions- und Streikverbot • soziale Deklassierung (Proletarier) Soziale Frage Fabriksystem Verstädterung Gewerbe- freiheit Bevölkerungs wachstum Proletarisierung nicht konkurrenzfähige Handwerker Bauern- befreiung Landflucht verarmter Bauern Pauperisierung Entstehung und Inhalt der sozialen Frage im 19. Jahrhundert industrielle Reservearmee Bild 153: Der Begriff soziale Frage des 19. Jahrhunderts bezeichnet die massiven sozialen Auswirkungen des Industrialisierungsprozesses auf Lebens-, Arbeits- und Rechtssituation der arbeitenden Menschen. Reiches Material, das die soziale Lage der Arbeiterschaft w rend der Industrialisierungsphase in Deutschland anschaulich illustriert, etwa autobiografische Quellen und Statistiken zu Arbeitszeiten und Löhnen, zu Frauen- und Kinderarbeit etc., findet sich z. B. in den Sammelbänden von WOLFGANG EMMERICH („Proletarische Lebens- läufe“) und HANS MAGNUS ENZENSBERGER („Klassenbuch“) sowie im 3. Band der „Geschichte des Alltags des deut- schen Volkes“ von JÜRGEN KUCZYNSKI (Grafik: Dandl). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 279 ] Die mannigfaltigen Ursachen dieser eng mit der Durchsetzung des Industriekapita- lismus’ verknüpften sozialen Frage lassen sich in vier Komplexe bündeln: • Desorganisation traditioneller sozialer Bindungen und Sicherungsstrukturen auf dem Land (Bauernbefreiung, Auflösung der Familie); • Deregulierung des städtischen Handwerks und des handwerklichen Arbeitsmarktes (Gewerbefreiheit, Auflösung der Zünfte); • Dequalifizierung der Arbeit infolge der kapitalistischen Organisation des Arbeitsprozesses (Fabriksystem, Arbeitsteilung); • Steigerung der Arbeitsnachfrage und Überangebot an Arbeitskraft (starkes Bevölkerungswachstum, Binnenwanderung). Auf die durch diese Prozesse ab Mitte des 18. Jahrhunderts ausgelöste „Massen- armut“ (vgl. Abel 1978, 196 ff.) und deren zu erwartende krisenhafte Zuspitzung (Pauperismus) sowie auf den Zusammenhang zwischen Kapitalakkumulation und Verarmung hatte der Berliner Feldprediger und Pastor JOHANN PETER SÜßMILCH (1707-1767) bereits 1762 in seiner systematischen Untersuchung der „Göttlichen Ordnung“ 127 aufmerksam gemacht: „Reichtum ist eine Mutter der Armut und er machet viele Dürftige. Die Erwerbung des Reichtums durch Handlung und Fabriken geschieht durch Hände, die fast niemals reich werden, und die bey einer Theuerung oder bey Entstehung eines Krieges und bei einem Stooß der Fabriken schaaren- weise in das tiefste Elend versinken“ (zitiert nach Pankoke 1990, 43; zum Lebens- standard von Arbeitern in frühindustrieller Zeit vgl. Puschner 1985). Deshalb musste den Zeitgenossen noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zeichen der sich beschleunigenden Industrialisierung die Perpetuierung dieser Pauperisierung und Proletarisierung wahrscheinlicher erscheinen als eine Besserung der Lage, zumal sie sich durch die 1845 von FRIEDRICH ENGELS’ publizierte systematische Studie über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ in ihren Ansichten bestä- tigt sehen konnten: „Aber noch viel demoralisierender als die Armut wirkt auf die 127 Der komplette Titel der Studie lautet: „Die göttliche Ordnung / in den Veränderungen / des / menschlichen / Ge- schlechts, / aus / der Geburt, Tod und / Fortpflantzung / desselben / erwiesen von /Johann Peter Süßmilch, / Predi- ger beym hochlöblichen Kalcksteinischen / Regiment. Nebst einer Vorrede / Herrn C. Wolffens./ Berlin. Zu finden bey J. C. Spener / 1741. Zwyter Theil, worin die Beförderungs- und Hinderungsmittel der Bevölkerung betrachtet, die christliche Religion wider Montesquieu gerettet, die Zahl der Menschen auf der Welt und in einigen alten und neuen grossen Städten bestimmt und die übrigen Ordnungen in der Fortpflanzung und im Sterben der Menschen nach den Jahren der Krankheiten erwiesen werden. Berlin, 2. Auflage 1762“. JOHANN PETER SÜßMILCH gilt als Pio- nier der Bevölkerungsstatistik, der das gesamte methodische und materielle bevölkerungsstatistische Wissen seiner Zeit zusammengefasst und wesentlich ergänzt hat (vgl. Pankoke 1990, 286). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 280 ] englischen Arbeiter die Unsicherheit der Lebensstellung, die Notwendigkeit, vom Lohn aus der Hand in den Mund zu leben, kurz das, was sie zu Proletariern macht. Unsre kleinen Bauern in Deutschland sind großenteils auch arm und leiden oft Mangel, aber sie sind weniger abhängig vom Zufall, sie haben wenigstens etwas Festes. Aber der Proletarier, der gar nichts hat als seine beiden Hände, der heute verzehrt, was er gestern verdiente, der von allen möglichen Zufällen abhängt, der nicht die geringste Garantie für seine Fähigkeit besitzt, sich die nötigsten Lebens- bedürfnisse zu erwerben - jede Krisis, jede Laune seines Meisters kann ihn brotlos machen -, der Proletarier ist in die empörendste, unmenschlichste Lage versetzt, die ein Mensch sich denken kann. Dem Sklaven ist wenigstens seine Existenz durch den Eigennutz seines Herrn gesichert, der Leibeigne hat doch ein Stück Land, wo- von er lebt, sie haben wenigstens für das nackte Leben eine Garantie - aber der Pro- letarier ist allein auf sich selbst angewiesen und doch zugleich außerstande gesetzt, seine Kräfte so anzuwenden, daß er auf sie rechnen kann. Alles, was der Proletarier zur Verbesserung seiner Lage selbst tun kann, verschwindet wie ein Tropfen am Ei- mer gegen die Fluten von Wechselfällen, denen er ausgesetzt ist und über die er nicht die geringste Macht hat. Er ist das willenlose Objekt aller möglichen Kombinati- onen von Umständen und kann vom Glück noch sagen, wenn er nur auf kurze Zeit das nackte Leben rettet“ (Engels 1979, 184). Auf der Basis dieser Analyse entwarf KARL MARX in den folgenden zwei Jahrzehn- ten seine Theorie von der naturgesetzlich vorbestimmten Selbstzerstörung des In- dustriekapitalismus infolge der Proletarisierung fast aller Gesellschaftsmitglieder, der Dequalifizierung der Produzenten sowie der absoluten Verelendung des Pro- letariats, die er 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei“ skizzierte und 1867 im ersten Band des „Kapitals“ ausformulierte: „In demselben Maße, worin sich die Bourgeoisie, d. h. das Kapital, entwickelt, in demselben Maße entwickelt sich das Proletariat, die Klasse der modernen Arbeiter, die nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt. Die- se Arbeiter, die sich stückweis verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt. Die Arbeit der Proletarier hat durch die Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung der Arbeit allen selbständigen Cha- rakter und damit allen Reiz für den Arbeiter verloren. Er wird ein bloßes Zubehör 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 281 ] der Maschine, [vgl. o. Bild 145, S. 259] von dem nur der einfachste, eintönigste, am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird. Die Kosten, die der Arbeiter verur- sacht, beschränken sich daher fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Un- terhalt und zur Fortpflanzung seiner Rasse bedarf. Der Preis einer Ware, also auch der Arbeit, ist aber gleich ihren Produktionskosten. In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab. Noch mehr, in dem- selben Maße, wie Maschinerie und Teilung der Arbeit zunehmen, in demselben Maße nimmt auch die Masse der Arbeit zu, sei es durch Vermehrung der Arbeits- stunden, sei es durch Vermehrung der in einer gegebenen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigten Lauf der Maschinen usw. […] Je weniger die Handarbeit Geschick- lichkeit und Kraftäußerung erheischt, d. h., je mehr die moderne Industrie sich ent- wickelt, desto mehr wird die Arbeit der Männer durch die der Weiber verdrängt. Ge- schlechts- und Altersunterschiede haben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiterklasse. Es gibt nur noch Arbeitsinstrumente, die je nach Alter und Ge- schlecht verschiedene Kosten machen. […] Der moderne Arbeiter, […] statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch rascher als Bevölke- rung und Reichtum. Es tritt hiermit offen hervor, daß die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbe- dingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen. […] Die wesentlichste Bedingung für die Existenz und für die Herrschaft der Bourgeois- Klasse ist die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des Kapitals: Die Bedingung des Kapitals ist die Lohnarbeit. Die Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich. Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bour- geoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der gro- ßen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weg- gezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eignen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich“ (Marx/Engels 1972, 30 ff.; Hervorhebungen von mir. HD.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 282 ] Die zehn Gebote der Arbeiter 1849 Erstes Gebot: Du sollst arbeiten. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. So steht es ge- schrieben. Und doch essen Viele, die nicht arbeiten. Das muß aufhören. Zweites Gebot: Du sollst keinen Müssiggänger neben dir dulden. [...] Drittes Gebot: Du sollst keine Sklavenarbeit verrichten. Alle Menschen sind frei und gleich. Es wird Keiner als Sklave geboren. Es braucht keiner ein Sklave zu werden, deine Arbeit kann und muß eine freie sein, eine solche, die deinen Neigungen und Fähigkeiten ent- spricht, deinen Geist nicht erschlafft und deinen Leib nicht erdrückt. Nicht zum Vortheil eines Andern sollst du arbeiten und zum Nachtheil deiner selbst. Nicht als Sklave für ei- nen Herrn sollst du arbeiten, sondern als freier Mann für dich und deinen Bruder, der gleichfalls wiederum für dich und sich arbeitet. Die einzigen Sklaven, die es geben soll auf dieser Welt, das sind die Maschinen, die dem Menschen unterthan sind. Viertes Gebot: Du sollst gerechten Lohn für deine Arbeit fordern. Wenn man dir sagt: »die Geschäfte gehen schlecht, dein Lohn muß verkürzt werden, du mußt dich fügen in die schlechte Zeit ec.« - und dir so nach und nach den gerechten Lohn entzieht und dich zum elendesten der Lastthiere macht, so antworte du: »die schlechte Zeit macht ihr, nicht ich. Eurer Habsucht, eurer unersättlichen Geldgier, eurer tollen Konkurrenz wegen gehen die Geschäfte schlecht; ihr überrennt euch Einer den Andern, und in euren Fall wollt ihr uns Arbeiter mit hineinziehen. Das muß aufhören! Wir haben den Preis der Waaren zu bestimmen. Wir, die sie schaffen, nicht ihr. Wir wollen einen gerechten Lohn für unsre Arbeit, denn jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth.« Fünftes Gebot: Du sollst keinen Hunger leiden. [...] Ein Narr, der für Andere arbeitet und für sich hungert. Sechstes Gebot: Du sollst nicht in zerrissenen Kleidern gehen. [...] Siebentes Gebot: Du sollst dich deines Lebens freuen. [...] Achtes Gebot: Du sollst in Ehren leben. Ehre! d.h. es soll Keiner über dir stehen und dich verhöhnen: »Arbeiter, unwissender Arbeiter, armer Arbeiter!« Nein, du sollst zu Jenen sa- gen, die bisher von deinem Schweiße sich genährt. »Müssiggänger, arme Müssiggänger! Ich verzeihe euch, was, ihr an mir verschuldet. Ich reiche euch die Bruderhand. Auch ihr sollt in Ehren leben, durch eure Arbeit!« Neuntes Gebot: Du sollst dein Ohr verschließen vor den Pfaffen. Der Baum der Erkennt- niß ist der Baum des Lebens. Die Pfaffen, die nichts thun und doch schwelgen wollen, scheuchen dich zurück vom Baum der Erkenntniß. »Nicht hier, sagen sie, sollst du genie- ßen, sondern jenseits. Hier dulde, dort oben wirst du belohnt.« So bieten sie dir ein Schaugericht, um das wirkliche selbst zu genießen. Du aber sollst erkennen, daß das Recht zu leben zugleich das Recht »glücklich zu sein«, hier glücklich zu sein ist. Zehntes Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Nur so gelingt es dir, der Knechtschaft dich zu entziehen. Nur so kannst du wahrhaft frei sein, denn Freiheit und Gleichheit gehen nur von einem Dritten: der Brüderlichkeit aus. Bild 154: „Du sollst arbeiten!“ Nicht nur das Recht auf, sondern die Pflicht zur Arbeit stand am Anfang der Arbeiterbewegung, die sich damit von Adel und Großbürgertum distanzierte. Aus: Die Verbrüderung Nr. 46, 9. März 1849 (Zwehl 1985, 282 f.) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 283 ] Als diese von MARX im „Manifest“ apostrophierte „revolutionäre Vereinigung“ ver- standen sich die nach 1848 in den deutschen Staaten entstehenden zwei Säulen der marxistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Interessen der mit der industriekapitalistischen Fabrikarbeit entstehenden proletarischen Arbeiterklasse128 zu bündeln versuchten. Die eine Säule bildeten die solidarischen Zusammenschlüs- se von Arbeitern gleichartiger Tätigkeitsbereiche zu Gewerkschaften mit dem Ziel, unmittelbare Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen (vgl. Ritter 1976, bes. 55 ff.), die andere stellten die sozialistischen Arbeiterparteien dar, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV), gegründet 1863 durch den Anwalt FERDINAND LASSALLE (1825-1864), und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, initi- iert 1869 durch den Drechsler AUGUST BEBEL (1840-1913) und den Lehrer WILHELM LIEBKNECHT (1826-1900)129, die als politische Interessenvertretung der Arbeiterschaft grundlegende gesellschaftliche Veränderungen anstrebten. Mit revolutionärer Rhetorik und reformerischer Praxis versuchten Gewerkschaften und Sozialdemokratie die ver- meintlich „naturnotwendig“ eintretende soziale Revolution zu moderieren. KARL KAUTSKY (1854-1938), ab 1883 Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitung „Die Neue Zeit“ und einer der Autoren des 1891 beschlossenen Erfurter Programms der SPD, prägte dafür 1893 in seiner „Neuen Zeit“ die Formel: „Wir sind Revolutionäre, und zwar nicht bloß in dem Sinne, in dem die Dampfmaschine ein Revolutionär ist. Die soziale Umwälzung, die wir anstreben, kann nur erreicht werden mittels einer poli- tischen Revolution, mittels der Eroberung der politischen Macht durch das kämpfende Proletariat. […] Die Sozialdemokratie ist eine revolutionäre, nicht aber Revolutionen machende Partei. Wir wissen, daß unsere Zi werden können, wir wissen aber auch, daß es ebensowenig in unserer Macht steht, 128 Nach der Definition von JÜRGEN KOCKA unterscheiden sich „die Angehörigen von Klassen nicht durch besonderes Recht, nicht durch spezifische Teilhaberechte und zunächst einmal auch nicht durch besondere Lebensführung [von denen eines Standes]. Klassen sind vielmehr gesellschaftliche Großgruppen, deren Angehörige die ökonomische Stel- lung und, daraus folgend, gleiche Interessen teilen, sich - der Tendenz nach - auf dieser Grundlage als zusammenge- hörig begreifen und entsprechend handeln, und zwar im Unterschied, in Spannung und im Konflikt mit den Angehöri- gen anderer Klassen, die eine andere ökonomische Stellung und, daraus folgend, andere, entgegengesetzte Interes- sen besitzen. [Mit der ökonomischen Stellung] ist die Stellung auf dem Markt - besser auf den Märkten - gemeint, also das ‚Eigentum’ im Sinne des Verfügungsrechts über Produktionsmittel, Arbeitskraft oder spezifische Leistungskompe- tenz, die im ungleichen Tausch auf dem Markt angeboten und verwertet werden. Wo keine Märkte, dort keine Klassen“ (Kocka 1990/a, 34). 129 Die beiden anfangs in heftige ideologische Fehden verwickelten sozialdemokratischen Arbeiterparteien schlossen sich auf dem Einigungskongress von Gotha (22.-27. Mai 1875) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zu- sammen. Am 21. Oktober 1878 wurde mit dem „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialde- mokratie“ die „sozialdemokratische Organisation und - mit Ausnahme der Teilnahme an Wahlkämpfen und der Wahrnehmung von Parlamentsdebatten - jedes öffentliche Auftreten ihrer Mitglieder“ (Freyberg u. a. 1975, 29) ver- boten. Da die Sozialdemokratie aber dennoch ihren politischen Einfluss ständig steigern konnte, wurde das „Sozia- listengesetz“ 1890 nicht mehr verlängert, und 1891 verabschiedete die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), so der neue Name, auf dem Erfurter Parteitag ein neues Programm. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 284 ] diese Revolution zu machen, als in der unserer Gegner, sie zu verhindern. Es fällt uns daher auch gar nicht ein, eine Revolution anstiften oder vorbereiten zu wollen. […] Diese sogenannte friedliche Methode des Klassenkampfes, die sich auf die unmilitärischen Mittel, Parlamentarismus, Streiks, Demonstrationen, Presse und ähnliche Pressionsmittel beschränkt, hat in jedem Land um so mehr Aussicht, beibe- halten zu werden, je wirksamer dort die de- mokratischen Institutionen sind, je größer die politische und ökonomische Einsicht und die Selbstbeherrschung der Bevölke- rung“ (Potthoff 1978, 182 f.). Doch schon als „Das Kapital“ 1867 in Druck ging, zeichnete sich ab, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar die Entfremdungsprozesse weiter intensi- vierten, die Entwicklung des proletarischen Lebens aber nicht geradewegs in jene von MARX prognostizierte absolute materielle Verelendung führen würde. Dennoch hielt die Arbeiterbewegung in ihren Kampflie- dern (vgl. u. Bild 157, S. 289) unverdrossen daran fest und noch 1891, als sich die ma- terielle Lage der Arbeitenden bereits er- kennbar zum Besseren gewendet hatte, prophezeite die SPD in ihrem neuen Erfur- ter Programm dem Proletariat und den „versinkenden Mittelschichten“ (Kleinbürger und Bauern) „wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer Existenz, des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedri- gung, der Ausbeutung“ (Potthoff 1978, 178). Erster wesentlicher Grund für die Besserung der materiellen Situation war, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge der Konzentration landwirtschaftli- cher Nutzflächen (Fruchtwechsel, Flurbereinigung durch Auflösung der Allmenden und Gemengelagen) und des verstärkten Einsatzes von Maschinen (Dampfpflug) Bild 155: Die Scherenbewegung von Preisen und Löhnen im Vergleich. Im Gegensatz zur agrarischen Epoche (links) eilen in der industriellen Epoche (rechts) die Löhne den Preisen vor- aus. Dies ist als Indikator für eine langsame Verbesserung der ökonomischen Situation zu interpretieren (Abel 1978, 287 f.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 285 ] und Chemie (Kunstdünger) in der Landwirtschaft die Ernährungsprobleme mehr und mehr überwunden werden konnten. Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker WILHELM ABEL (1904-1985) diagnostiziert sogar einen sozialgeschichtlichen „Entwicklungs- bruch in der Mitte des 19. Jahrhunderts“ und belegt diesen mit dem Verweis auf die Lohn- und Preisentwicklung: „Setzt man die Endpreise der agrarischen Periode als Anfangspreise der industriellen, so kehren sich die Scheren um: die Löhne eilten nunmehr allen anderen Preisen weit voraus [vgl. o. Bild 155, S. 284] […]. Im Zeitalter der Industrien verlor die Landwirtschaft die ihr von den Klassikern zu- gewiesene Funktion eines Lohnweisers und Preisregulators in der Volkswirtschaft. Die Gewerbe übernahmen die Führung. Sie lösten die Löhne aus der Fessel der ‚abnehmenden Bodenerträge’ und ermöglichten oder erzwangen einen Akzentwan- del, verbunden mit ungemeiner Steigerung der landwirtschaftlichen Bemühungen. War in der vorindustriellen Periode jede Maßnahme zur Mehrung der Produktion auf Arbeit und Boden verwiesen, die relativ billig, aber mit nur geringer Wirksamkeit zur Verfügung standen, so verlagerte sich jetzt der Schwerpunkt des Aufwandes auf die produzierten Produktionsmittel, das ist das Kapital, das in rasch wechselnden und immer ergiebiger werdenden Formen dem Landwirt zur Verfügung gestellt werden konnte“ 130 (Abel 1978, 287 f.; Hervorhebung von mir. HD.). Ein zweiter gewichtiger Grund für die von vielen so nicht erwartete Wendung zum Besseren ist, dass sich die Verhältnisse auf dem neu entstandenen Ar- beitsmarkt zum einen deshalb stabilisierten, weil die nun in immer rascheren Tempo expandierende Industrie (sekundärer Sektor) dem Angebot an pauperi- sierter und proletarisierter Arbeitskraft durch Ausweitung der Arbeitsgelegenhei- ten eine schnell wachsende Nachfrage gegenüberstellte und weil im kausalen Zusammenhang damit auch das Arbeitsangebot im tertiären Sektor stark zu- nahm.131 Unter dieser „Dienstleistungsrevolution […] wird verstanden, daß die In- dustrialisierung niemals in dem stattgefundenen Umfang möglich gewesen wäre, 130 KARL HEINRICH KAUFHOLD hat dies in seiner Studie über die Entwicklung des „handwerklichen Lebensstandards in Deutschland im 19. Jahrhundert“ im Wesentlichen bestätigt: „Die Massenarmut (der Pauperismus) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte auch vor dem Handwerk nicht halt; seine Einkommensverhältnisse bewegten sich, auf das Ganze gesehen, zwischen dürftig und ausreichend. […] Die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zumindest trendmäßig zu beobachtende allgemeine Verbesserung des Lebensstandards kam auch den im Handwerk Beschäftig- ten zugute: Alle vorliegenden Angaben weisen eine nachhaltige, nicht geringe Erhöhung der nominalen und, soweit zu ermitteln, auch der realen Einkommen aus, die sich wahrscheinlich gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahr- hunderts beschleunigte. […] Der Vergleich zwischen der handwerklichen Einkommensentwicklung im stark industriali- sierten Bezirk Arnsberg und im wenig industrialisierten Bezirk Münster deutet freilich auf einen im ganzen positiven Ef- fekt der Industrialisierung für die wirtschaftliche Lage im Handwerk“ (Kaufhold 1979, 160). 131 Es dauerte allerdings bis 1927, ehe mit dem „Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ das im Prinzip bis heute wirksame Regelwerk zur Steuerung der auf dem Arbeitsmarkt konkurrierenden Interessen fest in- stalliert wurde (vgl. Faust 1982, 253 ff.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 286 ] wenn nicht zugleich das Angebot an Infrastrukturdiensten, wie Verkehr und Er- ziehung, und an vermittelnden Dienstleistungen, wie Groß- und Einzelhandel, gestiegen wäre. […] Mit der Ausweitung des Produktionsapparates, der Anwen- dung neuer Technologien und wachsendem Wohlstand wuchs zugleich die Nachfrage nach einer Reihe neuartiger Dienstleistungen, die auf der Angebots- seite zu einer wachsenden Arbeitsteilung und Spezialisierung führte. Diese Aus- weitung nicht manueller Tätigkeiten blieb jedoch nicht ausschließlich auf den Dienstleistungssektor beschränkt, sondern griff später auch auf den gewerbli- chen Sektor über, mit einem entsprechenden Wachstum des Büro- und techni- schen Personals“ (Pierenkemper/Tilly 1982, 139 f.). Als dritte markante Ursache für die positiven Veränderungen muss schließlich die Tatsache hervorgehoben werden, dass die Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt auf Dauer nicht ausschließlich von den Kapitalinteressen bestimmt werden konnten. Unter dem Druck der demografischen Entwicklung (Bevölkerungsexplosion, Bin- nenwanderung, Urbanisierung), der politischen Ereignisse (1830 Revolution in Frankreich, 1848 Umsturzversuche in zahlreichen deutschen und europäischen Monarchien) sowie der Zuspitzung und aggressiver werdenden Entladung der so- zialen Spannungen (zunehmende Unterschichtenproteste, „Maschinenstürmerei“, Aufstand der schlesischen Werber 1844, Streiks etc.)132 wurden aus ganz unter- schiedlichen Motiven aktive Lösungsansätze für die soziale Frage gesucht und z. T. auch realisiert. Da ich auf die zahlreichen einschlägigen Vorschläge und Maß- nahmen im Rahmen dieser Arbeit nicht im Detail eingehen kann, beschränke ich mich im Folgenden auf eine den wesentlichen Kern erfassende, gebündelte Zu- sammenfassung der Maßnahmen und Ziele: • Selbsthilfe der Betroffenen: a) durch Solidarität untereinander und ge- meinsame (Streik-)Aktionen (Gewerkschaften, Arbeiterbewegung); b) durch friedliche Eroberung der politischen Macht und parlamentarische Reformen (sozialdemokratische Partei ab 1863/1869); c) durch eine soziale Revoluti- on zur Beseitigung der Ausbeutung (Marxismus) (vgl. z. B. Grebing 1975; Klönne 1980; Schulz 1981). 132 Zur demografischen Entwicklung vgl. Marschalck 1984, bes. 27-52; zur Urbanisierung Reulecke 1985, bes. 36-67; zum Unterschichtenprotest Herzig 1988, bes. 22-97 und zu den politischen Ereignissen und sozialen Spannungen in den deutschen Territorien sehr ausführlich Wehler 1989/b und 1995. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 287 ] • Betriebliche Sozialpolitik: Wohlfahrtseinrichtungen patriarchalisch-autoritärer („Herr im Haus“) Unternehmer (z. B. Betriebskrankenkassen, betriebliche Un- terstützung in Notlagen und im Alter, Werkswohnungen und -kantinen) nach dem Prinzip „Alles für den Arbeiter - nichts durch den Arbeiter“ mit dem Ziel, die Machtstrukturen zu sichern sowie Qualität und Quantität der Produktion stetig zu steigern (vgl. Kocka 1990/b, 426 ff.). • Karitative Initiativen: Individuelle „Taten rettender Liebe“ zur Linde- rung persönlicher Not als konse- quente Praxis religiöser Tugenden sowie des christlichen Glaubens133 (z. B. Caritas 1897, Evangelischer Arbeiterverein, Gesellenvereine/Ge- sellenhäuser) sowie deren Umset- zung in christliche Realpolitik durch Zusammenarbeit mit dem Staat und gesellschaftlichen Gruppen (Zentrumspartei) mit dem Ziel Not lindernder Reformen (vgl. Grebing 1975, 36 ff.). • Staatliche Gesetzgebung: Parla- mentarische Sozialpolitik (z. B. Ver- bot der Kinderarbeit ab 1839/1853, Gesetze gegen das Trucksystem 1849, Bismarcksche Sozialgesetz- gebung: Krankenversicherung 1883, Unfallversicherung 1884, Invaliden- und Altersversicherung 1889) mit den Zielen, die Arbeiterschaft mit dem Staat im Allgemeinen und der Monarchie im Besonderen zu versöhnen und die erstar- kende Sozialdemokratie zu bekämpfen (vgl. Wehler 1995, 907 ff.). 133 Katholisch: ADOLF KOLPING (1813-1865), FREIHERR VON KETTELER (1811-1877) Evangelisch: JOHANN HINRICH WICHERN (1808-1881), FRIEDRICH VON BODELSCHWINGH (1831-1910) Bild 156: Postkarte zum 1. Mai 1910: Die Illustration einer Strophe aus GEORG HERWEGHs (1817-1875) „Bundes- lied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (1864) ist Ausdruck proletarischen Selbstbewusstseins, das die Ar- beit als Wurzel des gesellschaftlichen Reichtums definiert: „Mann der Arbeit, aufgewacht! / Und erkenne deine Macht! / Alle Räder stehen still, / Wenn dein starker Arm es will.“ Seit 1890 wird der 1. Mai von der Arbeiterbewegung als „Tag der Arbeit“ gefeiert (Regenhardt/Tatsch 2002, 127). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 288 ] • Export und Verschleierung der sozialen Frage:134 Aggressiver Imperialismus (Erwerb von Kolonien) und Sozialimperialismus (Sicherung der Machtstrukturen nach innen) mit den Zielen, ein Ventil für den demografischen Druck zu schaf- fen, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen sowie zugleich die emanzipatorische und systemsprengende Dynamik des Liberalismus und vor allem der sozialisti- schen Arbeiterbewegung nach außen abzulenken (vgl. Wehler 1995, 985 ff.). Diese, den unterschiedlichsten Interessen und Ideologien verpflichteten Lösungs- ansätze dokumentieren zum einen, dass der technologische Fortschritt nicht per se zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen führte, sondern diese in massiven sozialen Konflikten erst durchgesetzt werden mussten. Zum anderen zeigen sie, dass viele der angedeuteten Konfliktlösungsstrategien nicht als Versuche gelten können, die soziale Frage im Kern zu lösen, sondern als Maßnahmen zu werten sind, die negativen sozialen Auswirkungen der Industrialisierung dadurch be- herrschbar zu machen, dass die antagonistischen Interessen im Indus- triekapitalismus nicht aufgehoben, sondern so austariert oder auch nur verschlei- ert würden, dass sich ihre explosive Dynamik neutralisierte. Es darf aber nicht übersehen werden, dass das tayloristisch-fordistische System auch über immanente Faktoren verfügte, die seinen Erfolg sicherten. So „ermög- lichte die Steigerung der Arbeitsproduktivität auf längere Sicht auch eine fühlbare Erhöhung des Lohnniveaus der in der Industrie Beschäftigten. Große Teile der Ar- beiterschaft konnten damit zu Konsumenten industriell erzeugter Massenprodukte werden. Das bedeutete, daß ihre traditionellen, auf ‚nacktes Überleben’ orien- tierten Reproduktionsformen sukzessive von einem ‚Konsummodell’ überlagert und schließlich weitgehend ersetzt wurden. […] Die bis in das zwanzigste Jahr- hundert hinein (trotz Kapitalismus) relativ unberührt gebliebenen traditionellen Formen der Arbeitskräftereproduktion - die überwiegend agrarisch geprägten So- zialbeziehungen, Konsumgewohnheiten und Lebensformen - erfuhren nun erst, im Zusammenhang mit industriewirtschaftlicher Arbeitsorganisation und der Massen- produktion von Konsumgütern, ihre grundlegende Veränderung. Die arbeitende 134 Dass die Kolonialpolitik des Deutschen Reiches von Anfang an auch die Funktion hatte, die politisch auszutragen- den Konflikte zwischen den herrschenden Eliten und der gesellschaftlich nicht integrierten Arbeiterschaft zu ver- drängen, „und die Kolonialfrage als Instrument politisch-sozialer ‚Ablenkung’ von inneren Schwierigkeiten diente, ist allerdings - insbesondere von den Betroffenen - durchaus erkannt worden. Am schärfsten hat auf diese Zusam- menhänge bereits am 4. März 1885 WILHELM LIEBKNECHT (SPD) im Reichstag hingewiesen und die Kolonialfrage als ‚Export der sozialen Frage’ bezeichnet“ (Gründer 1985, 30). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 289 ] Bevölkerung begann damit immer mehr auch in Form der ‚Reproduktion ihrer Ar- beitskraft’ zu Wirtschaftswachstum und Kapitalakkumulation beizutragen, [denn] die ökonomisch-rationale Arbeitsorganisation [ermöglichte] auch, daß die Arbeiter über höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten an ihrer eigenen intensivierten Aus- beutung mitpartizipierten. Von Anfang an konnte sich die Arbeiterbewegung dem- entsprechend auch der Faszination des Modells eines ‚gezähmten Kapitalismus’ nie vollständig entziehen. Ihre diesbezüglich anfänglich jedoch durchaus noch ambivalente Haltung, wich in den nächsten Jahrzehnten zunehmend der Vorstel- lung eines auf Wachstum und Technokratie gegründeten funktionierenden kapita- listischen Weges in eine durch ‚Wohlstand für alle’ gekennzeichnete bessere Zu- kunft“ (Ribolits 1997, 105 ff.). Die Arbeitsmänner Wer schafft das Gold zutage, Wer hämmert Erz und Stein? Wer webet Tuch und Seide? Wer bauet Korn und Wein? Wer gibt den Reichen all ihr Brot und lebt dabei in bittrer Not? Das sind die Arbeitsmänner, das Proletariat! Wer plagt vom frühen Morgen sich bis zur späten Nacht? Wer schafft für andre Schätze, Bequemlichkeit und Pracht? Wer treibt allein das Weltenrad und hat dafür kein Recht im Staat? Das sind die Arbeitsmänner, das Proletariat! Rafft eure Kraft zusammen und schwört zur Fahne rot! Kämpft mutig für die Freiheit! Erkämpft euch beßres Brot! Beschleunigt der Despoten Fall! Schafft Frieden dann dem Weltenall! Zum Kampf, ihr Arbeitsmänner! Auf, Proletariat! Ihr habt die Macht in Händen, wenn ihr nur einig seid! Drum haltet fest zusammen, dann seid ihr bald befreit. Drängt Sturmschritt vorwärts in den Streit, wenn auch der Feind Kartätschen speit! Dann siegt ihr, Arbeitsmänner, das Proletariat! Bild 157: Text: JOHANNES MOST (1846 in Augsburg - 1906 in Cincinnati, USA); Musik: „Zu Mantua in Banden“. „Das Lied ist eines der frühesten und revolutionärsten Lieder der deutschen Sozialdemokratie, das auch weite in- ternationale Verbreitung fand. JOHANNES MOST dichtete die Verse im Jahre 1870 während seiner Haft im Wiener Landgerichtsgefängnis, von wo sie heimlich herausgeschmuggelt wurden. Nach seiner Ausweisung aus Österreich ging MOST nach Leipzig, wo er 1871 im Selbstverlag die erste Auflage seiner ‚Sechs Proletarier-Lieder’ herausgab, zu denen auch die ‚Arbeitsmänner’ gehörten“ (Lammel 1973, 106 f., 224). 1874-1878 war MOST Reichstagsabgeordneter der Chem- nitzer Sozialdemokraten. In dieser Zeit saß er mehrmals in Haft und als am 21. Oktober 1878 das Gesetz „gegen die ge- meingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ erlassen wurde, verließ MOST kurz vor Weihnachten das Deutsche Reich Richtung England. Dort wandte er sich dem Anarchismus zu und wanderte schließlich 1882 in die USA aus, wo er 1906 starb (vgl. Thieme 2000). Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs hatte sich so der bis heute wirksame Ar- beitsbegriff konstituiert, der in der Folge sowohl die kapitalistischen als auch die nach 1917 entstandenen realsozialistischen Industriegesellschaften als Arbeits- gesellschaften zementierte und die Frage nach dem eigentlichen Sinn menschli- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 290 ] menschlicher Arbeit in den Hintergrund drängte. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass das Arbeitsverständnis der diversen gesellschaftlichen Gruppierungen - von der marxistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung über den bürgerlichen Libera- lismus bis hin zu den konservativ-klerikalen Deutschnationalen - spätestens ab der Wende zum 20. Jahrhundert trotz terminologischer Unterschiede nunmehr eine gemeinsame Schnittmenge aufwies. Diese wird bereits 1875 im Gothaer Pro- gramm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands in das Axiom gegossen: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur“ 135, das seinerseits die „allgemeine Arbeitspflicht, nach gleichem Recht, jedem nach seinen vernunftge- mäßen Bedürfnissen“ (Potthoff 1978, 176) begründet. Ein Blick in die beispielhaft herausgegriffene katholische Soziallehre erweist, dass diese Grundposition durchaus in nahezu allen Lagern konsensfähig war und bis in die Gegenwart ist: „Zur Zeit LEO XIII. [Pontifikat: 1878 - 1903] wird ausführlich von der Pflicht zur Arbeit gesprochen. Die ‚arbeitenden Stände’ sollen, so heißt es in Rerum Novarum [1891]‚ vollständig und treu die Arbeitsleistung’ verrichten, ‚zu welcher sie sich frei und mit gerechtem Vertrag verbunden haben’. Die folgenden Päpste, PIUS XI. in Quadragesimo Anno [1931], PIUS XII. in seiner Pfingstanspra- che vom 1.6.1941 und auch JOHANNES XXIII. in Mater et Magistra, [1961] haben den Gedanken der Pflicht zur Arbeit aufgegriffen. In Laborem Exercens [1981 von JOHANNES PAUL II.] werden gleich mehrere Begründungen aufgezählt. Dem Men- schen obliegt nämlich die Pflicht zur Arbeit, • weil es der Schöpfer ihm aufgetragen hat, • wegen seiner menschlichen Natur, ‚für deren Erhaltung und Entwicklung die Arbeit erforderlich ist’, • weil der Mensch seiner Familie, den anderen Menschen der Nation, der Ge- sellschaft oder der Menschheit die Arbeit schuldet“ (Kramer 1982, 46). Die historisch neue Qualität des modernen Arbeitsbegriffs bestand darin, dass durch die Ökonomisierung von (Erwerbs-)Arbeit einerseits und deren Idealisierung ande- 135 Diese, aus seiner Sicht, kontextfreie Definition des Arbeitsbegriffs hat KARL MARX in seinen „Randglossen zum Pro- gramm der deutschen Arbeiterpartei“ scharf kritisiert: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist e- bensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. […] Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehö- rig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn gerade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen ge- macht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben“ Marx 1978, 17). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 291 ] rerseits auch der primäre Zweck der Arbeitsverausgabung ambivalent umgedeutet wurde. Während die eine Seite, der Käufer von Arbeitskraft, den Arbeitsprozess in erster Linie in Gang setzt, um durch das Schaffen von Mehrwert die Rendite des ein- gesetzten Kapitals zu vergrößern, dient er der anderen Seite, den Verkäufern der Ar- beitskraft, dazu, ihre gesellschaftliche Stellung durch ihre Arbeit zu legitimieren, ja so- gar ihre Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung erst nachzuweisen. Dass die so verstandene menschliche Arbeit im Verlauf des 20. Jahrhunderts in den beiden gegensätzlichen Gesellschaftssystemen, wenn auch aus konträren Motiven, „zur neuen Religion“ (Sullerot 1972, 65) stilisiert wurde, lässt sich an der Verfassungssitu- ation in den beiden 1949 gegründeten deutschen Staaten beispielhaft darlegen. Die sozialistische Deutsche Demokratische Republik hatte mit Formulierungen, die an das Gothaer Programm von 1875 erinnern, in Artikel 24 ihrer Verfassung nicht nur das Recht auf, sondern auch die Pflicht zur Arbeit verankert: „(1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf seinen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl ent- sprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Quali- fikation. Er hat das Recht auf Lohn nach Qualität und Quantität der Arbeit. Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche haben das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung. (2) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden ar- beitsfähigen Bürger. Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden ei- ne Einheit. (3) Das Recht auf Arbeit wird gewährleistet • durch das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln; • durch die sozialistische Leitung und Planung des gesellschaftlichen Re- produktionsprozesses; • durch das stetige und planmäßige Wachstum der sozialistischen Produk- tivkräfte und der Arbeitsproduktivität; • durch die konsequente Durchführung der wissenschaftlich-technischen Revolution; • durch ständige Bildung und Weiterbildung der Bürger und • durch das einheitliche sozialistische Arbeitsrecht“ (Sieger 1978, 74). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 292 ] Die individuelle Arbeitsverausgabung, deren Entlohnung sowie die damit verbun- denen Risiken waren dieser Systemlogik zufolge also ohne Rücksicht auf kapita- listische Rentabilität in die gesellschaftliche Gesamtarbeit integriert, im Gegenzug aber dem in Artikel 9 der Verfassung fixierten „Grundsatz der Leitung und Planung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche“ (Sieger 1978, 54) unterworfen und somit der individuellen Entscheidung gänzlich entzogen. Weil die Arbeit hier explizit zur absoluten Verfassungsnorm überhöht war, gehörte zwar das Problem der Arbeitslosigkeit nicht zur Verfassungswirklichkeit der DDR, dafür existierte aber die in Artikel 24 ebenfalls garantierte freie Arbeitsplatzwahl sowie andere damit zusammenhängende Freiheiten lediglich de jure, de facto war der Einzelne hingegen vollständig abhängig von den zentralen Planungsentschei- dungen der staatlichen Instanzen (vgl. Fey 1982, 49 ff.). Anders hingegen die Verfassungsentscheidung der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Das Grundgesetz kennt weder ein Recht auf noch eine Pflicht zur Arbeit, sondern formuliert in Artikel 12 drei ökonomische Grundfreiheiten: zum einen das Recht auf Berufsfreiheit, zum anderen die freie Wahl des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte und zum dritten die grundsätzliche Freiheit von Arbeitszwang: „(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig“ (Hesselberger 1996, 134). Die Möglichkeit für den Einzelnen, diese de jure verbrieften Freiheiten auch de facto in Form eines Arbeitsplatzes zu realisieren, ist in diesem Fall prinzipiell ab- hängig von den jeweiligen Entscheidungen der den Arbeitsmarkt konfigurierenden und steuernden Kräfte: von Individuum (Anbieter von Arbeitskraft und deren Käu- fer), Wirtschaft, Gesellschaft und Staat (auf nationaler und globaler Ebene), so- wie von deren Potential, sich in Konfliktsituationen konkurrierender Interessen durchzusetzen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass in diesem System sowohl die Entscheidungskriterien als auch die Durchsetzungsfähigkeit von grundlegender 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 293 ] Bedeutung sind. Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in der BRD seit den 1950er Jahren in Relation gesetzt zur Einkommens- und Vermögensverteilung veranschaulicht recht eindrucksvoll, dass diese in industriekapitalistischen Syste- men zuerst von der Logik der Kapitalverwertung diktiert werden. Die nachgerade mystische Überhöhung des Arbeits- ethos wird in diesem Kontext erst deut- lich, wenn man sich die dramatischen Auswirkungen der ab den 70er Jahren massenhaft auftretenden Arbeits-Lo- sigkeit vor Augen führt: „Der Mensch der spätkapitalistisch-bürgerlichen Ge- sellschaft arbeitet ja keineswegs nur deshalb, um ökonomisch zu überleben, er definiert sich über die Arbeit, sie ist das strukturierende Merkmal seiner Existenz, und sie vermittelt ihm sein Selbstverständnis als Mensch. Ohne gesellschaftlich honorierte Arbeit ist er nicht ‚bloߒ in seinem materiellen Dasein gefährdet, ohne eine derartige Arbeit ver- liert der heutige Bewohner der industrialisierten Länder faktisch seine gesamte ideel- le Existenzbasis. Wodurch unsere Sozietät überhaupt erst zu dem geworden ist, was wir heute mit dem Begriff Arbeitsgesellschaft zusammenfassen, ist die - mit jedem Generationsschritt reibungsloser ablaufende - allgemeine Verinnerlichung eines ‚aus sich selbst’ begründeten Werts des Arbeitens jenseits ‚bedürfnisorientierter Notwen- digkeiten’. Die gegenwärtige Verringerung des Gesamtausmaßes der zur Verfügung stehenden, gesellschaftlich honorierten Arbeit ist - um noch einmal am anfangs er- wähnten Bild vom ‚Kapitalismus als Religion’ anzuschließen - somit mit dem Verbot einer identitäts-stiftenden Kulthandlung vergleichbar und kann dementsprechend von den Gesellschaftsmitgliedern nur im Sinne einer massiven psychischen Destabili- sierung wahrgenommen werden“ (Ribolits 1997, 19). Der oben angestrengte Vergleich legt den Schluss nahe, dass in tayloristisch- fordistisch organisierten, auf Massenproduktion und -konsum ausgerichteten In- dustriegesellschaften jeglicher Provenienz sowohl Inhalte als auch Bedingungen der Produktion grundsätzlich zweitrangig - seit dem Ende der Systemkonkurrenz Bild 158: Modernisierung einer antiken Mythologie: Der Ar- beiter als Sisyphos. Zeichnung nach einem Gemälde von HANS LOOSCHEN mit dem Titel „Die Arbeit“ 1911 (Glaser 1984, 149) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 294 ] wohl sogar drittrangig - sind und unter kapitalistischen Vorzeichen sogar zu der Si- tuation führen, die der Soziologe OSKAR NEGT bereits Mitte der achtziger Jahre als den „Grundskandal unserer Gesellschaft“ bezeichnet hat: „Sie droht an ihrem Reichtum und ihren Überschußprodukten zu ersticken und ist gleichwohl außer- stande, Millionen von Menschen das zivilisatorische Minimum für eine mensch- liche Existenzweise zu sichern: nämlich einen Arbeitsplatz, einen konkreten Ort, an dem sie ihre gesellschaftlich gebildeten Arbeitsvermögen anwenden können, um von bezahlter Leistung zu leben. Es ist dabei zunächst noch keine Rede von Selbstverwirklichung in der Arbeit, sondern nur von der bloßen Möglichkeit, durch gegenständliche Tätigkeit, und sollte sie auch noch so entfremdet sein, die materiellen Grundlagen der Existenz zu sichern. […] Arbeitslosigkeit ist ein Ge- waltakt, ein Anschlag auf die körperliche und seelisch-geistige Integrität, auf die Unversehrtheit der davon betroffenen Menschen. Sie ist Raub und Enteig- nung der Fähigkeiten und Eigenschaften, die innerhalb der Familie, der Schule und der Lehre (vorausgesetzt, diese Ausbildungsstufe wird überhaupt noch er- reicht) in der Regel in einem mühsamen und aufwendigen Bildungsprozeß erwor- ben wurden und die jetzt, von ihren gesellschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten abgeschnitten, in Gefahr sind, zu verrotten und schwere Persönlichkeitsstörungen hervorzurufen“ (Negt 1984, 7 f.). 5.1.7 „Deutsche Arbeit“ In Deutschland über die Geschichte der Arbeit hierzulande zu sprechen heißt, auch jene Besonderheit darstellen, die in dieser Form in anderen Sozietäten nicht anzutreffen ist: die ideologische Vereinnahmung der Arbeit durch den deutschen Nationalismus und ihre Pervertierung zum massenmörderischen Instrument. Die gemeinsamen Anstrengungen der deutschen Territorien bei der Niederwerfung NAPOLEONs hatten nach 1813 die latent vorhandenen nationalistischen Emotionen angefacht. Auf der Suche nach Kriterien, die eine deutsche Identität zu stiften und einen imaginären deutschen Nationalcharakter zu definieren vermochten, stieß das deutsche Bürgertum schließlich auf so Hehres wie deutsche Sprache und deutschen Geist, deutsches Recht und deutsche Ehre, deutsche Frauen und deutsche Treue und schreckte auch nicht davor zurück, Banales wie „deutschen Wein und deutschen Sang“ in den Olymp der „deutschen“ Werte aufzunehmen, wie es 1841 HOFFMANN VON FALLERSLEBEN (1798-1874) im „Lied der Deutschen“ 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 295 ] tat.136. Das kommende Deutschland, das man al eb- nis der gescheiterten Revolution von 1848 nun nicht mehr selbst schaffen, sondern als Geschenk Gottes aus der Hand der Fürsten empfangen wollte, werde - so nicht wenige deutsche Dichter und Denker - eine „Kulturnation“ sein, während man bei an- deren doch allenfalls von schnöder Zivilisation sprechen könne, weil nämlich das deutsche Wesen zutiefst von Idealismus durchtränkt sei, während das englische, französische und gar das amerikanische lediglich auf banalem Materialismus basier- ten. Dieses sendungsbewusste Selbstverständnis musste zwangsläufig dazu führen, dass auch der Arbeitsbegriff mit vermeintlich speziell „deutschen“ Inhalten aufgeladen wurde. Für den Münchner Kulturhistoriker WILHELM HEINRICH RIEHL (1823-1897)137 war dies laut Aussage seiner 1861 publizierten, über 300 Seiten umfassenden Studie „Die deutsche Arbeit“ ohnehin selbstverständlich, denn „jedes Volk arbeitet nach sei- ner Art. Der Griff, womit es die Arbeit anfasst, der Blick, mit dem es das Wesen der Arbeit erkennt, das Maß, nach welchem es Fleiß, Talent und Erfolg werthet, sind Ur- kunden seiner tieffsten Charakterzüge. Die Seele des Volkes springt aus seiner Idee der Arbeit hervor, wie aus seiner Praxis der Arbeit. Darum kann man ebenso gut Volkskunde im Erforschen der Volksarbeit studiren, wie die Lehre und Geschichte der Arbeit in der Volkskunde neue und reiche Quellen suchen muß. Dieser Gedanke be- geisterte und leitete mich bei der vorli e zeigen, wie sich deutscher Geist in deutscher Arbeit kundgibt. […] Nicht was das deutsche Volk arbei- tet, soll erzählt werden, sondern wie es arbeitet, wie es über die Arbeit denkt, und wie es sich selber zu einem immer reineren Ideale der Arbeit erzogen hat,“ weshalb sich der „deutsche Arbeitsgeist“ vor dem aller anderen Völker auch auszeichnet „durch die sittliche Hoheit, mit welcher er Motiv und Ziel rbeit fasst und durch den Universalismus, kraft dessen er alle Zweige der Arbeit gleichmäßiger als irgend eine andere Nation durchgebildet und zur eigenthümlichen Entwicklung geführt hat“ (Riehl 1861, 3, 12). So wie die individuelle Arbeit die Persönlichkeit des Einzelnen bil- det, ist für RIEHL die „nationale Arbeit“, das Werkzeug zur Schaffung einer deutschen 136 Das auf der damals noch nicht zu Deutschland gehörenden Insel Helgoland entstandene „Lied der Deutschen“ wur- de 1922 die Nationalhymne der Weimarer Republik. Das deutsche Kaiserreich (1871-1918) hatte keine offizielle Hymne. Bei festlichen Anlässen wurde entweder die „Kaiserhymne“ („Heil Dir im Siegeskranz“) oder die „Wacht am Rhein“ intoniert. 137 WILHELM HEINRICH VON RIEHL (geadelt 1883), Kulturhistoriker und Novellist. Der Sohn eines Schlossverwalters studierte in Marburg, Tübingen und Gießen Theologie, Kunstgeschichte und Philosophie, wandte sich dann aber als Publizist der Kulturgeschichte und der Politik zu. 1854 wurde er an der Universität München zum Professor für Staatswirtschaftslehre berufen und 1885 zum Direktor des Bayerischen Nationalmuseums sowie zum Generalkon- servator der Kunstdenkmäler und Altertümer Bayerns bestellt. Er starb 1897 in München. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 296 ] Nation: „Es ist die nationale Arbeit, durch welche wir unsere Volkspersönlichkeit be- haupten und fortbilden“ (Riehl 1861, 58). Dass er damit ein Dogma des deutschen Nationalismus’ formuliert hatte, dokumentiert ein Gedicht aus dem Jahre 1878: Deutsche Arbeit Deutsche Arbeit, sei gepriesen, Die vollführt der deutsche Geist, Der den Einheitspfad gewiesen, Als der Kaiserthron verweist. Deutsche Arbeit mit den Waffen Hat den Schlußstein angebracht, Hat das Deutsche Reich geschaffen Eisern durch des Eisens Macht. Deutsche Arbeit mit dem Hammer, In dem ruߒgen Ehrenkleid, Warum du allein voll Jammer In so thatgewalt’ger Zeit. Deutsche Arbeit mit der Spindel Mit dem Webstuhl mit der Hand, Schnüren sollst du stumm dein Bündel? Wandern aus dem Vaterland? Deutsche Arbeit - „Schlechter Trödel!“ Ruft man auslandstoll dir zu - Doch ich sag: dem Aschenbrödel Winkt dereinst der Königschuh. Deutsche Arbeit, mutig weiter Kämpfe für dein Heimatrecht! Sieh! es wächst die Schar der Streiter, Und schon neigt sich das Gefecht. Deutsche Arbeit, gern zum Frieden Überbrückest du die Kluft Wird dir nur gerecht beschieden Deutsche Sonne, deutsche Luft. Webstuhl sause, Amboß sprühe, Segenspendend fort und fort! Deutsche Arbeit, wachse, blühe: Deutschen Reiches Grund und Hort. SCHERENBERGs Text, der nicht nur im Titel eine deutliche Anleihe nimmt bei RIEHL, greift in weihevollem Pathos dessen Thesen auf und meldet gewisserma- ßen Vollzug: Der arbeitende deutsche Geist habe den Grundstein gelegt für die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs und jenes Gewölbe aufgeführt, in das 1870/71 die deutschen Waffen mit ihrer „Arbeit“ endlich den „Schlußstein“ ein- fügten. Da das Gedicht 1878 in der Endphase der seit 1873 anhaltenden großen „Gründerkrise“ entstanden ist, beklagt der Autor aber auch deren negative Auswir- kungen: sie versetze das Handwerk in einen beklagenswerten Zustand und ver- treibe die handwerkliche Arbeit sogar aus dem Vaterland. In der fünften Strophe prangert SCHERENBERG schließlich die „Cheap-and-bad“- Kampagne (billig und schlecht) der englischen Industrie gegen Importe aus Deutschland an. Der reale Hintergrund dafür war, dass die deutschen Produzen- ten versuchten, die Rezession von 1873-1879 mittels billiger Imitate und Export zweit- und drittklassiger Massenware durchzustehen, was auf der Weltausstellung Bild 159: Der Autor dieses Gedichts aus dem Jahre 1878 ist ERNST SCHERENBERG (1839-1905). Als HOFFMANN VON FALLERSLEBEN 1874 starb, widmete ihm SCHERENBERG einen Nachruf und trug diesen bei dessen Beerdigung am offenen Grab vor (Tetzner 1892, 354 f.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 297 ] in Philadelphia 1876 zu einer derart negativen Selbstdarstellung der deutschen In- dustrie geführt hatte, dass diese sogar in Deutschland scharf kritisiert worden war. Enttäuscht kommentierte z. B. 1877 HERMANN GROTHE, Herausgeber der bekann- ten „Deutschen Allgemeinen Polytechni- schen Zeitung“ (Engineering, Revue Po- lytechnique), die peinliche Präsentation der deutschen Industrie auf der Weltaus- stellung in den USA: „Ich behaupte, daß Deutschland selbst auf Ausstellungen zweiter Größe, wie in Moskau 1872, Neapel 1870, Amsterdam 1869 sich nicht so jämmerlich präsentiert hat wie hier. Abgesehen von der unverantwort- lichen Lückenhaftigkeit der Vorführung ist auch für eine schöne Anordnung der vorhandenen Objekte nichts getan. Mit Ausnahme der Buchhändlerausstel- lung, der Ausstellung chemischer In- dustrie, der Kruppschen Kanonen, der Gasmaschinen, der Berg- und Hütten- produkte präsentiert sich alles schlecht geordnet und schlecht arrangiert. Und al- le diese Ausstellungen enthalten nichts Neues, ja, sie enthalten meist Altes, Unschönes und längst Bekanntes in keines- wegs vollendeter Ausführung. Selbst die Königliche Porzellanfabrik darf hiervon leider nicht ausgeschlossen wurden... Die Schamröte steigt jedem Deutschen auf, wenn er diese deutsche Stümperei an einem Ehrenplatz in der Ausstellung er- blickt“ (zitiert nach Weber 1997, 241). Ihren Höhepunkt erreichte die britische Kampagne gegen Billigimporte 1887, als das britische Parlament mit dem „Merchandise Marks Act“ eine Kennzeichnungs- pflicht für ausländische Importware einführte, wonach deutsche Waren das „Made in Germany“ tragen mussten (vgl. Brandstätter/Hubmann 1977138). In diesem Fall erwies sich SCHERENBERGs trotzige Erwiderung, dem „Aschenbrödel“ winke „der- 138 Auf S. 4 wird dort für die Novellierung des britischen Handelsrechts allerdings mit dem 23. August 1877 ein falsches Datum angegeben. Korrekt ist der 22. August 1887 (vgl. König 1997/b, 272; Kirbach 1987). Bild 160: Deutsche Arbeit. Kampagne gegen Importware: Vom 19. bis 26. September 1931 fand in München die Deut- sche Woche statt, in der die Geschäfte nur in Deutschland hergestellte Waren zeigten und verkauften. Plakat (Arnold 1972, Nr. 85) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 298 ] einst der Königsschuh“, allerdings durchaus als prophetisch, denn aus dem als „Makelzeichen“ gedachten Stigma wurde bald darauf ein bis in unsere Tage posi- tiv fortwirkendes „Markenzeichen“ für deutsche „Wertarbeit“. So gesehen, war also der Appell des Textes an Selbstbewusstsein und Gerechtigkeitssinn durchaus er- folgreich. Das Gedicht schließt mit dem erneuten Hinweis auf die segenspenden- de Wirkung deutscher Arbeit und betont deren Bedeutung als Grundlage und Schatz für die künftige Entwicklung des Deutschen Reiches. Der Text zeigt, dass mittlerweile der sich selbst als internationalistisch-emanzipa- torisch begreifenden Arbeitsauffassung der Arbeiterbewegung („Proletarier aller Länder“) ein nationalistisch-sendungsbewusster Arbeitsbegriff gegenüber stand, der jenen Ton anschlug, der in den folgenden Jahrzehnten vor allem dadurch sei- ne fatale Wirksamkeit entfaltete, dass er die „deutsche Arbeit“ mit dem Antisemi- tismus verknüpfte. Auf diese Weise wurde Arbeit zum Ausgrenzungskriterium und konnte zuletzt sogar zum Werkzeug für die Vernichtung bestimmter Menschen- gruppen mutieren. RIEHLs antisemitische These, es bestehe „ein scharfer Unter- schied in der Idee der Arbeitsehre und Arbeitssittlichkeit, der den Semiten vom Arier trennt, [und darum] fürchtet der Gebildete das nationale Gepräge der jüdi- schen Geistesarbeit als ein dem deutschen Volkscharakter widerstrebendes“ (Riehl 1861, 63 f.; Hervorhebung von mir. HD.), nimmt sinngemäß bereits jenes berüchtigte Diktum des Historikers HEINRICH VON TREITSCHKE (1834-1896) aus dem Jahre 1879 vorweg, das dann im 20. Jahrhundert die Nationalsozialisten zu ihrer Kampfparole machten, mit der sie die Ausrottung des Judentums begründe- ten: „Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Ge- danken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!“ (Treitschke 1965, 13; Hervorhebung von mir. HD.). Zwar war der Anti- semitismus, dessen religiöse Wurzeln bis in die Zeit der ersten Kreuzzüge zurück- reichen, keine genuin deutsche „Erfindung“, doch LUTHER hatte ihm einen neuen Aspekt hinzugefügt, indem er den Juden pauschal Wille und Fähigkeit zu ehrlicher Arbeit absprach und sie als wucherische, ausbeuterische Schmarotzer diffamierte: „Jawohl, sie halten uns Christen in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen sie dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 299 ] und wohl von unserem erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, daß wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein [...], sind also unsere Herren, wir ihre Knechte“ (zitiert nach Schatz/Woeldike 2001, 17). Im 19. Jahrhundert wurde der ursprünglich religiös motivierte Antisemitismus mit der Rassenideologie verbunden und zusammen mit Nationalismus und Sen- dungsbewusstsein zu einer gefährlichen Mixtur amalgamiert. Für die Juden war die Situation spätestens zu diesem Zeitpunkt aussichtslos geworden, denn galt das Jüdischsein erst einmal als genetisch verankert, konnte auch die Taufe keine Rettung mehr bringen vor Ausgrenzung und Verfolgung. Das besonders Perfide am rassisch begründeten Antisemitismus ist, dass er in Verbindung mit dem Beg- riff der „deutschen Arbeit“ eine ideologische Rechtfertigung für die physische Ver- nichtung der europäischen Juden lieferte. In einer Zeit, in der die Fähigkeit zur Erwerbsarbeit soeben zum absoluten Kriterium des Menschseins aufgewertet wor- den war, grenzte man die Juden aus der menschlichen Gattung aus, indem man Bild 161: Diese antisemitische Karikatur betont die angebliche physiognomische Andersartigkeit der Juden und verbindet diese mit negativen Charaktereigenschaften, um Juden als schädliche „Fremdkörper“ im Volksorganismus diffamieren zu können. Ironischer- weise haben die Nationalsozialisten den demagogischen Charakter solcher Diffamierungen selbst entlarvt mit der im September 1941 verfügten Vorschrift, die die Deutschen jüdischen Glaubens mittels eines sichtbar zu tragenden gelben Sternes stigmatisierte. „Flie- gende Blätter“ 1869 (Schoeps/Schlör 1995, 174) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 300 ] man ihnen die Arbeitsfähigkeit grundsätzlich absprach. Zugleich stempelte man sie, da sie ja trotz ihrer „angeborenen Unfähigkeit“ an den Schalthebeln der Macht saßen, zum Sündenbock für alle politischen und wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. Vor dem Hintergrund dieser neuen Qualität des Antisemitismus’ zeichnet sich auch das fatale Missbrauchspotential des Anfang des 20. Jahrhun- derts von den Reformpädagogen definierten utilitaristischen Menschenbildes in scharfen Konturen ab. Besonders deutlich macht dies jene bekannte Formel vom „brauchbaren Menschen“, die der wahrlich nicht des Antisemitismus’ verdächtige GEORG KERSCHENSTEINER 1904 in seinem Aufsatz „Berufs- oder Allgemeinbil- dung?“ publiziert hatte: „Der Weg zum idealen Menschen führt nur über den brauchbaren Menschen. Der brauchbare Mensch ist aber derjenige, der seine und seines Volkes Arbeit erkennt und den Willen und die Kraft besitzt, sie zu tun. Nur in dem Maß, wie ihm dieses gelingt, kann eine Nation ihn als Menschen be- werten“ (Kerschensteiner 1954, 47 f.).139 Um nicht missverstanden zu werden, sei es noch einmal ausdrücklich betont: KERSCHENSTEINER soll hier keineswegs als Vordenker des Nationalsozialismus diskreditiert werden. Dennoch muss man meiner Ansicht nach sehr wohl die Paral- lelen zu jenem Arbeitsbegriff aufzeigen, den ADOLF HITLER (1889-1945) 1925/26 in „Mein Kampf“ formuliert hatte: „Der völkische Staat [wird] zu einer prinzipiell ande- ren Einstellung dem Begriff Arbeit gegenüber gelangen müssen. Er wird, wenn notwendig selbst durch jahrhundertelange Erziehung, mit dem Unfug, körperliche Tätigkeit zu mißachten, brechen müssen. Er wird grundsätzlich den einzelnen Menschen nicht nach der Art seiner Arbeit, sondern nach Form und Güte der Leis- tung zu bewerten haben. […] Die Wertschätzung des Menschen muß begründet werden auf der Art und Weise, in der er seiner ihm von der Allgemeinheit über- antworteten Aufgabe gerecht wird“ (Hitler 1933, 482/484). Diese Arbeitsdefinition bekräftigte 1929 der spätere „Reichsminister für Volksaufklärung und Propagan- da“, JOSEPH GOEBBELS (1897-1945), in der von ihm gegründeten Zeitung „Der 139 Die Formel vom „brauchbaren“ Menschen findet sich 1935 wörtlich in einer Parteitagsrede des Reichsarbeitsführers K. HIERL (vgl. u. Anm. 153, S. 309). Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten anlässlich der 10. Wiederkehr seines Todestages (15. Januar 1932) zeigen, dass die Nationalsozialisten den vermeintlich geistesverwandten KER- SCHENSTEINER tatsächlich als einen der ihren vereinnahmen wollten. Das Münchner Schulreferat hatte vorgeschla- gen, ihm ein Denkmal zu errichten, ihm eine Straße sowie eine Bibliothek zu widmen, an seinem Wohnhaus in der Münchner Möhlstraße 39 eine Gedenktafel anzubringen und den „Erzieher zu Gemeinschaft und Staatserziehung“ am 16. Januar 1942 im Deutschen Museum im Rahmen einer aufwändigen Feier zu ehren. Letztlich entging KER- SCHENSTEINER der Schande einer Aufnahme in die nationalsozialistische Walhalla aber deshalb, weil das Münch- ner Kulturamt einwandte, der ehemalige Stadtschulrat habe „in der Judenfrage ohne Zweifel versagt“, schließlich habe er den Antisemitismus wiederholt abgelehnt und ihn sogar öffentlich als „Dummheit“ bezeichnet. (Die Doku- mente zu diesem Vorgang liegen im Münchner Stadtarchiv: Bestand Bürgermeister und Rat, B. u. R. 570/3). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 301 ] Angriff“ 140 und leitete daraus zugleich eine Arbeitspflicht für alle „Volksgenossen“ ab: „Das Wesen der Arbeit beruht darin, daß sie Werte schafft. Es ist nicht so aus- schlaggebend, welche Arbeit ich tue, sondern vielmehr wie und in welcher Gesin- nung ich sie verrichte. [...] Wir proklamieren demzufolge die Pflicht des Volksge- nossen zu arbeiten, geistig oder körperlich, und zwar muß seine Arbeit sich dem Ganzen einfügen. Sie darf nicht dem Interesse der Gesamtheit zuwiderlaufen, sie muß ihm dienen. [...] Die Volksgemeinschaft der schaffenden Menschen! Das ist das Ziel, dem der nationalsozialistische Kampf entgegenstrebt“ (zitiert nach Janka 1997, 262). Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass sich die Vorstellung vom „brauchbaren Menschen“ (vgl. Anm. 153, S. 309) vorzüglich in die nationalsozialis- tische Volksgemeinschaftsideologie141 integrieren und damit passgenau in jene „Logik“ einfügen ließ, wonach die Juden auch über die Definition des Arbeitsbe- griffs terminologisch systematisch aus der menschlichen Gemeinschaft aus- gegrenzt und letztlich zu vernichtungswürdigem Ungeziefer deklassiert wurden. Dass HITLER die Juden in diesem Sinne von Anfang an für „unbrauchbar“ hielt, be- legt eine seiner frühesten dokumentierten öffentlichen Reden, in der er am 13. August 1920 im Münchner Hofbräuhaus die Frage, „Warum sind wir Antisemi- ten?“, unter anderem mit der jüdischen Arbeitsauffassung begründete: „Es ent- spricht der Auffassung, die sich das Judentum von der Arbeit selber machte; Ar- beit ist ihm nämlich nicht die selbstverständliche sittliche Pflicht, sondern nur ein Mittel höchstens zur Erhaltung des eigenen Ich. Das ist in unseren Augen nicht Arbeit. […] Und wir wissen, daß diese Arbeit einst bestand im Ausplündern wan- dernder Karawanen und daß sie heute besteht im planmäßigen Ausplündern ver- schuldeter Bauern, Industrieller, Bürger usw. und daß sich die Form wohl geändert hat, daß aber das Prinzip das gleiche ist. Wir nennen das nicht Arbeit, sondern Raub“ (zitiert nach Weyrather 2004, 32). 140 Von GOEBBELS im Juli 1927 gegründete Propagandaschrift, die unter dem Motto: „Für die Unterdrückten! Gegen die Ausbeuter!“, einen aggressiven Antisemitismus propagierte. Anfangs erschien Der Angriff monatlich, ab Oktober 1929 zweimal wöchentlich und ab dem 10. Mai 1933 als Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront mit einer Auflage von zuletzt 300.000 Exemplaren (vgl. Benz, 1998, 362). 141 „Die Volksgemeinschaftsideologie bildete ein Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung. Sie war zent- raler Mythos des Dritten Reiches und neben dem Hitler-Mythos das wirkungsvollste Mittel nationalsozialistischer Propaganda- und Integrationstechnik. […] Was der Nationalsozialismus unter Volksgemeinschaft verstand, hat kei- ner anschaulicher zum Ausdruck gebracht als ADOLF HITLER selbst: ‚Über Klassen und Stände, Berufe und Konfes- sionen und alle übrige Wirrnis des Lebens hinweg erhebt sich die soziale Einheit der deutschen Menschen ohne Ansehen des Standes und der Herkunft, im Blute fundiert, durch ein tausendjähriges Leben zusammengefügt, durch das Schicksal auf Gedeih und Verderb verbunden.’“ (Möller 2001, 91 f.; Das Hitler-Zitat stammt aus seiner Rede zum „Heldengedenktag“ am 10. März 1940. Vgl. Domarus 1965, Bd. II.1, 1479). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 302 ] Der rassistisch-antisemitische „Topos der ‚deutschen Arbeit’ “ (Türk 2000, 289) als integraler Bestandteil der NS-Ideologie lieferte die Legitimation für das Vorgehen der Nationalsozialisten gegen die als arbeitsunfähige und arbeitsunwillige „Pa- rasiten im Körper anderer Völker“ und „Schmarotzer“ diffamierten Juden142 und sollte nach HITLERs Phantasmagorien auch Garant sein für „den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und sein wird“ (Hitler 1933, 557). Die reale Möglichkeit, der Theorie die Praxis folgen zu lassen, wuchs den Na- tionalsozialisten schließlich am 30. Ja- nuar 1933 zu, als ihnen das deutsche Bürgertum die Regierungsgewalt aus- lieferte. Auf dem Höhepunkt der Welt- wirtschaftskrise, die zugleich eine fun- damentale Arbeitskrise aller großen Industriegesellschaften war, wurde in Deutschland die Regierungsgewalt an die NSDAP übertragen, und der „Füh- rer“ dieser selbst erklärten „Arbeiterpar- tei“ 143 versprach in seiner ersten Rund- funkansprache als Reichskanzler am 1. Februar 1933, diese Krise innerhalb von vier Jahren zu überwinden: „Die Aufgabe, die wir lösen müssen, ist die schwerste, die seit Menschengedenken deutschen Staatsmännern gestellt wurde. Das Vertrauen in uns allen aber ist un- begrenzt: denn wir glauben an unser Volk und seine unvergänglichen Werte. Bau- 142 Gebetsmühlenartig wiederholt HITLER in „Mein Kampf“, der Jude „ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarot- zer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins aber gleicht ebenfalls der von Schmarotzern: wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab“ (Hitler 1933, 334). 143 „Daß die nationalsozialistische Partei entgegen ihrer Namensgebung zu keinem Zeitpunkt eine ‚Arbeiterpartei’ war, konstatierten schon die zeitgenössischen Kritiker des Nationalsozialismus und machten die Dominanz mittelständi- scher sozialer Lagen in Mitgliederbestand und Wählerschaft des Nationalsozialismus (bzw. des italienischen Faschis- mus) zum Ansatzpunkt von Theorien, die die Organisationswei , die politische Strategie, die Ideologie und die gesell- schaftliche Funktion nationalsozialistischer bzw. faschistischer Bewegungen auf die sozialen Zwischenschichten der bürgerlichen Gesellschaft, ihre historischen Vergesellschaftungsformen und ihre typischen mentalen Prädispositionen zurückführten […]. Diese Charakterisierung der sozialen Basis des Nationalsozialismus ist im Prinzip von der histori- schen und sozialwissenschaftlichen Forschung bis heute nicht revidiert worden“ (Heuel 1989, 15). Bild 162: Mythos Arbeit: Parole im Monatsprogramm „Kraft durch Freude“ vom Mai 1939 (Kropf 1987, Bd. 2, 127) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 303 ] ern, Arbeiter und Bürger, sie müssen gemeinsam die Bausteine liefern zum neuen Reich. […] Die nationale Regierung wird das große Werk der Reorganisation der Wirtschaft unseres Volkes mit zwei großen Vierjahresplänen lösen: Rettung des deutschen Bauern zur Erhaltung der Ernährungs- und damit Lebensgrundlage der Nation. Rettung des deutschen Arbeiters durch einen gewaltigen und umfassen- den Angriff gegen die Arbeitslosigkeit. […] Binnen vier Jahren muß der deutsche Bauer der Verelendung entrissen sein. Binnen vier Jahren muß die Arbeitslosigkeit endgültig überwunden sein. […] Nun, deutsches Volk, gib uns die Zeit von vier Jahren, und dann urteile und richte uns!“ (zitiert nach Domarus 1965, Bd. I.1, 192 ff.). Die erste Phase dieses so genannten „Angriffs gegen die Arbeitslosigkeit“ war hauptsächlich geprägt durch öffentlichkeitswirksamen Aktionismus, der in der Proklamation des 1. Mai zum „Feiertag der nationalen Arbeit“ 144 gipfelte, den HIT- LER 1933 vor über einer Million Menschen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ze- lebrierte „als Tag der Wiedergewinnung unserer eigenen Kraft und Stärke und damit auch zugleich jener schaffenden Arbeit, die keine engen Grenzen kennt und nicht gebunden ist an die Gewerkschaft, an Fabriken und Kontore.“ Im Folgenden geht der Redner natürlich ausführlich auf die Bedeutung des Maifeiertags für die nationalsozialistische Arbeitsgesellschaft ein: „Das ist der Sinn des 1. Mai, der von nun an die Jahrhunderte hindurch in Deutschland gefeiert werden soll, daß an ihm alle die, die im großen Räderwerk unserer schaffenden nationalen Arbeit tätig sind, zueinander finden und [sich] einmal im Jahre die Hände reichen mögen in der Erkenntnis, daß nichts geschehen kann, wenn nicht alle ihren Teil an Leistung und an Arbeit dabei vollbringen. Und so haben wir als Motto dieses Tages den Satz gewählt: Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter! […] Dieser 1. Mai soll zugleich dem deutschen Volke die Erkenntnis vermitteln: Fleiß und Arbeit allein schaffen nicht das Leben, wenn sie sich nicht vermählen mit der Kraft und dem Willen eines Volkes. Fleiß und Arbeit, Kraft und Wille, wenn sie zusammen wirken, erst wenn hinter der Arbeit die starke Faust der Nation zu Schutz und Schirm sich erhebt, kann wirklicher Segen erwachsen. Und weiter soll dieser Tag dem deut- schen Volke zum Bewußtsein bringen: Deutsches Volk! Du bist stark, wenn Du 144 Das Gesetz über die Einführung eines Feiertags der nationalen Arbeit vom 10. April 1933 bestimmte: „Der 1. Mai ist der Feiertag der nationalen Arbeit.“ Mit dem Gesetz über die Feiertage vom 27. Februar 1934 wurde der 1. Mai so- gar zum deutschen Nationalfeiertag ausgerufen: „Der nationale Feiertag des deutschen Volkes ist der 1. Mai. […] Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über die Einführung eines Feiertags der nationalen Arbeit vom 10. April 1933 außer Kraft“ (http://www.documentarchiv.de/ns.html). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 304 ] eins wirst, wenn Du den Geist des Klassenkampfes und Deiner Zwietracht aus Dei- nem Herzen reißest. Du kannst hinter Deine Arbeit eine unerhörte Kraft stellen, wenn Du die Arbeit verbindest mit dem Lebenswillen Deines gesamten Volkstums! […] Kopf- und Handarbeiter dürfen niemals gegeneinander stehen. Deshalb rotten wir jenen dünkelhaften Sinn aus, der so leicht den einzelnen befällt und von oben herunterschauen läßt auf die Kameraden, die ,nur’ am Schraubstock stehen, an der Maschine oder hinter dem Pflug“ (zitiert nach Domarus 1965, Bd. I.1, 259 ff.; Her- vorhebungen von mir. HD.).145 Wer Ohren hatte, der konnte deutlich hören, dass HITLER mit dieser Rede be- reits die einen Tag später mit aller Här- te als Teil der „Gleichschaltung“ von Staat und Gesellschaft durchgeführte gewaltsame Zerschlagung der sozialis- tischen Gewerkschaften ankündigte. 146 An deren Stelle trat am 10. Mai 1933 die auf einem „Kongreß der Deutschen Arbeit“ mit Pomp und Pathos gegründe- te Deutsche Arbeitsfront (DAF), deren Funktion im Rahmen der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ ihr Führer, Dr. ROBERT LEY (1890-1945), mit den mar- tialischen Worten umschrieb: „Die Ar- beitsfront darf die soziale Schichtung nicht mehr kennen. […] Man wird einen gemeinsamen Nenner für die Arbeit an sich haben. Es wird keinen Unternehmer, Arbeiter und Angestellten mehr geben, es wird den Begriff des Arbeitsmenschen geben, den deutschen Arbeitsmenschen. […] Wer hergeht und organisiert einen Unternehmer- oder Arbeitgeberverband, wer den Profitgeist organisiert, der muß 145 Die Funktion des 1. Mai 1933 im Prozess der ideologischen Integration der Arbeiterschaft in den nationalsozialisti- schen Staat wurde von EBERHARD HEUEL in seiner materialreichen Dissertation „Der umworbene Stand“ ausführ- lich analysiert (vgl. Heuel 1989, 42-187). 146 Detaillierten Aufschluss über die Geschichte und Organisation der Arbeit sowie der Arbeiter in der NS-Diktatur in den Jahren 1933 bis 1939 bieten zum einen die 1999 erschienene monumentale Monografie von MICHAEL SCHNEIDER und zum anderen die Dissertation von GÜNTER MORSCH aus dem Jahre 1993. Bild 163: Postkarte zum 1. Mai: Die „Arbeiter der Stirn und der Faust“ vereinen sich unter dem Patronat des „Füh- rers“ (Möller u. a. 2001, 128). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 305 ] weg. Das ist ein Todfeind der Nation. Wer Lohndrückerei und Betriebsverhetzung organisiert, muß augenblicklich vernichtet werden. Man muß Organisationen schaf- fen, die im Gegenteil die Zerklüftung […] mit Klammern und Bändern umgeben und immer mehr umschlingen“ (zitiert nach Pankoke 1990, 169; vgl. zur DAF vor allem Schneider 1999, 168-243). Auf die zahlreichen berufs- und sozialpolitischen Funktio- nen der DAF sowie deren Unterorganisationen, die auf diesem Selbstverständnis gründen, werde ich im Rahmen der Analyse des nationalsozialistischen Berufskon- zepts noch zurückkommen (vgl. u., S. 334 ff.). In der als „Arbeitsschlacht“ proklamier- ten Anfangsphase der NS-Diktatur klan- gen die permanenten Erfolgsmeldun- gen über rückläufige Arbeitslosenzah- len folglich wie Frontberichterstattung. Kaschiert wurde mit dieser Rhetorik, dass die „Erfolge“ nur zum kleineren Teil zurückzuführen waren auf die im „Ersten und Zweiten Gesetz zur Ver- minderung der Arbeitslosigkeit“ be- schlossenen konkreten Arbeitsbe- schaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand 147 oder auf die Initiativen zur Durchsetzung eines zentral geplanten „Arbeitseinsatzes“.148 Wirksamer waren in dieser Zeit die auf ideologischen Vorentscheidungen basierenden Maß- nahmen zur Remilitarisierung der Ge- sellschaft sowie die Eingriffe in die Arbeitslosenstatistik und den Arbeitsmarkt etwa mit der administrativ verordneten „Förderung der Handarbeit“ 149 oder die politisch und rassisch begründeten Entlassungen von Arbeitnehmern, die im Falle der Be- 147 Bau von Autobahnen, Straßen („Bau der Straßen ADOLF HITLERs“) und Kanälen; Instandsetzung und Bau von öf- fentlichen Gebäuden; Abschaffung der Kfz-Steuer, Steuersenkungen etc. 148 Vollmachten zu Lohn- und Preiskontrollen für den „Treuhänder der Arbeit“, Ausbau des bereits 1931 gegründeten freiwilligen Arbeitsdienstes 149 Z. B. durch das Verbot arbeitssparenden Maschineneinsatzes und durch Kampagnen gegen den „Rationalisie- rungswahnsinn“. Bild 164: Plakat, das die 1935 eingeführte Arbeitsdienstpflicht feiert als Erziehung zu „Arbeit, Freude, Zucht und Volkskameradschaft“ 1936 (Berg 1994, 63). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 306 ] rufsbeamtenschaft mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (7. April 1933) sogar einen scheinlegalen Anstrich erhalten hatten. Da die Bestim- mungen des Gesetzes jedoch nicht nur im Beamtenapparat zur Anwendung kamen, sondern auch vielen anderen Gesell- schaftsbereichen als Vorbild dienten, ge- hörten im Prinzip alle Angestellten und Arbeiter zum Kreis der Betroffenen. Laut Berufszählung von 1925 gehörten im Deutschen Reich 84.000 Angestellte und Beamte, 50.600 Handelsangestellte und 24.000 Arbeiter und Hausangestellte der jüdischen Glaubensgemeinschaft an (vgl. Barkai 1988, 41; Möller u. a. 2001, 208). Nach 1933 entfalteten vor allem die gleichgeschalteten Berufsverbände enor- men Druck auf die Firmen, das Berufs- beamtengesetz analog anzuwenden und ihre jüdischen Mitarbeiter zu entlassen. Die tatsächliche Zahl der davon Betroffe- nen lässt sich heute wohl kaum mehr feststellen, man rechnet aber damit, dass es im Jahre 1933 kaum mehr als 13.000 und in den Folgejahren sogar noch weniger Entlassene waren (vgl. Schneider 1999, 301), da die Unternehmer in der Privatwirtschaft meist trotz ideologischer Vorgaben nicht rassistisch-antisemitisch kalkulierten, sondern Einstellungen und Entlassungen an ökonomischen Kriterien orientierten. Anders dagegen jüdische Großfirmen wie der Schuhwarenkonzern „Leiser“, der Glühbirnenproduzent „Osram“, die Gummiwaren- fabrik „Fromm“ oder die Maschinenfabrik „Orensteiner&Koppel“: Sie konnten dem Druck der Deutschen Arbeitsfront und ihrer Betriebszellenorganisationen auf Dauer nicht standhalten und haben deshalb den überwiegenden Teil ihrer jüdischen Beleg- schaft entlassen (vgl. Barkai 1988, 42). In diesen Kontext gehören auch die ideologisch motivierten Versuche, die Frauen vom Arbeitsmarkt zu verdrängen. Anlässlich der Eröffnung der Berliner Ausstellung „Die Frau“ am 18. März 1933 umriss Reichsminister JOSEPH GOEBBELS für seine Bild 165: Die Frau als Mutter. Das Plakat des 1934 von der NS-Volkswohlfahrt gegründeten Hilfswerks „Mutter und Kind“ propagiert das nationalsozialistische Idealbild der Frau. (Schneider 2001, 112). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 307 ] Zuhörerinnen und Zuhörer Rolle und Funktion der Frau im NS-Staat, indem er das traditionelle patriarchalische Frauenbild mit der völkisch-rassistischen Familienideo- logie des Nationalsozialismus 150 verknüpfte: „Es wird Ihnen bekannt sein: die natio- nalsozialistische Bewegung hält als einzige Partei die Frau aus der unmittelbaren Ta- gespolitik fern. […] Nicht weil wir die Frauen nicht achteten, haben wir sie aus dem parlamentarisch-demokratischen Ränkespiel, das die Politik der vergangenen vier- zehn Jahre in Deutschland bestimmte, ferngehalten. Nicht, weil wir in der Frau et- was Minderwertiges, sondern weil wir in ihr und ihrer Mission etwas Anderwertiges sehen, als die Bestimmung, die den Mann erfüllt. Deshalb waren wir der Überzeu- gung, daß die Frau und vor allem die deutsche Frau, die ja mehr als jede andere im besten Sinne des Wortes Frau ist, auch auf anderen Gebieten als der Mann ihre Kräfte regen und ihre Fähigkeiten einsetzen muß. […] Den ersten, besten und ihr gemäßesten Pl ilie, und die wunderbarste Aufgabe, die sie erfüllen kann, ist die, ihrem Land und Volk Kinder zu schenken, Kinder, die Geschlechterfolgen fortsetzen und die Unsterblichkeit der Nati- on verbürgen. [...] Im Dienst am Volksganzen kann die Frau am ehesten in der Ehe, in der Familie und in der Mutterschaft sich ihrer hohen Sendung bewußt werden. […] Wir sind der Überzeugung, daß ein sozial reformiertes Volk seine erste Aufgabe wie- der darin sehen muß, der Frau die Möglichkei hre eigentliche Aufgabe, die Mission der Familie und der Mutter wieder zu erfüllen“ (zitiert nach Wiggershaus 1984, 15 f.). Diese Zielsetzungen glaubte man mit verstärkten Kampagnen gegen das „Doppelverdienertum“, mit einer „Überführung der weiblichen Arbeitskräfte in die Hauswirtschaft“ oder mit „Ehestandsdarlehen“, die mit Geburten zurückbezahlt („ab- gekindert“) werden konnten, erreichen zu können. DÖRTE WINKLER weist in ihrer Dissertation allerdings nach, dass diese Maßnah- men nur im politischen Bereich, wo die Frauen aus allen Führungspositionen ent- fernt wurden, und in Sparten griffen, auf die der Staat direkten Zugriff hatte (Be- hörden, Schulen und Universitäten, akademischen Berufe in Justiz und Medizin), denn „Unternehmer waren in der Regel nicht gewillt, auf die billigere Arbeit von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten zu verzichten. Den Behörden gegen- über rechtfertigten sich die Unternehmer dafür mit dem Argument des volkswirt- schaftlichen Nutzens, denn nur mit billigerer Frauenarbeit könnten sie auf dem in- 150 Zur Rolle der Frauen und der Bedeutung der Frauenarbeit in der NS-Diktatur vgl. bes. Winkler, 1977, 38 ff.; Wig- gershaus 1984, 15 ff. und Frevert 1986, 200 ff. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 308 ] ternationalen Markt preislich konkurrenzfähig bleiben, ihre Gewinne steigern und so dem Schrumpfungsprozeß der deutschen Wirtschaft entgegenwirken. In der Textil-, Bekleidungs- und papierverarbeitenden Industrie, in denen über die Hälfte der Arbei- ter Frauen waren, und in der Elektro-, Nichteisenmetallwarenindustrie sowie in den Industrien für Feinmechanik und Op- tik, bei denen ein Drittel der Belegschaft weiblich war, hatte sich gerade aus den älteren, verheirateten Arbeiterinnen in den Betrieben ein eingearbeiteter Stamm von Facharbeiterinnen gebildet, der durch ungelernte oder branchenfremde männliche Arbeiter nicht zu ersetzen war“ (Winkler 1977, 46). Demnach könne nicht davon gesprochen werden, die Frauen seien durch die Arbeitsbeschaf- fungspolitik gänzlich aus dem Arbeits- markt gedrängt worden, vielmehr habe sich, so WINKLER weiter, die aufwändige, aber real wenig wirksame NS-Propagan- da gegen die Frauenarbeit bis in die Ge- genwart als Vorurteil in den Köpfen erhalten. Spätestens mit Beginn des zweiten Vier- jahresplans (1936) und verstärkt während des Krieges habe man wegen des Fachar- beitermangels die offizielle Propaganda sogar unterlaufen und weibliche Arbeitskräfte anwerben müssen. Die von vielen geforderte Arbeitsdienstpflicht und die totale Mobi- lisierung der Frauen für den Arbeitseinsatz habe HITLER jedoch persönlich verhindert. Doch nicht nur das Frauenbild wurde mit der NS-Ideologie „gleichgeschaltet“, auch die sozialistische Solidaritätsidee der Arbeiterbewegung wurde so in die völkische „Gemeinnutz“-Rhetorik umgemünzt, dass mit ihrer Hilfe eigennützige Arbeit als „jü- disch-materialistisch“ und damit als der deutschen „Volks- und Leistungsgemein- schaft “ 151 wesensfremd stigmatisiert werden konnte: „Die Verbindung eines rassistisch radikalisierten Nationalismus mit einem faschistisch gedrehten Sozia- 151 Aus der Verordnung des Reichskanzlers über Wesen und Ziel der Deutschen Arbeitsfront vom 24. Oktober 1934 (zi- tiert nach Michalka 1994, 57; vgl. u. S. 334). Bild 166: Werbung um die Frauen für den Kampf an der „Heimatfront“. Plakat 1943 (Berg 1994, 67) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 309 ] lismus bildete das propagandistische Bezugssystem, um nach der Machtergrei- fung HITLERs ‚Gleichschaltung’ auch für die Welt der Arbeit durchzusetzen und zugleich ‚Gemeinschaftsfremde’ vom ‚Recht auf Arbeit’ auszugrenzen. Das ‚Gesetz zur Ordnung der na- tionalen Arbeit’ [vom 20. Januar 1934] zwang dazu, das Führer- prinzip auch auf der betrieblichen Ebene - im Mitarbeiterverhältnis von ‚Betriebsführern’ und ‚Gefolg- schaft’ -durchzusetzen. ‚Im Betrie- be arbeiten die Unternehmer als Führer des Betriebes, die Arbeiter und Angestellte als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Be- triebszwecke und zum gemeinsa- men Nutzen von Volk und Staat’ (§ 1)“ (Pankoke 1990, 170). Bis zum Ende des Jahres 1934 war es zwar gelungen, die Arbeit ideologisch fast völ- lig gleichzuschalten,152 den Durchbruch zur Vollbeschäftigung erzielte das Regime aber erst 1937 als Folge der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Arbeits- dienstpflicht153 im Jahre 1935 sowie dem 1936 verkündeten zweiten Vierjahresplan, womit die Kriegsvorbereitungen in Deutschland in ein konkretes Stadium traten (vgl. Henning 1997, 154). In einer geheimen Denkschrift über die Aufgaben des Vierjah- resplans ordnete Hitler im August 1936 an: „Ich stelle damit folgende Aufgabe: I. Die deutsche Armee muß in vier Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in vier Jahren kriegsfähig sein“ (zitiert nach Hofer 1982, 86). 152 Dies sollte sich z. B. in dem gigantischen „Denkmal der deutschen Arbeit“ materialisieren, das die Familie KRUPP VON BOHLEN UND HALBACH 1935 für den Eingang der Krupp-Werke in Essen in Auftrag gab: „Gut zwanzig Meter breit mit über zwei Meter hohen martialischen Hüttenarbeitern stellt es einen Höhepunkt des Industriebildes unter dem Nationalsozialis- mus dar.“ Es wird zwar erst 1942, dafür aber mit umso mehr ra isch-nationalistischem Pathos enthüllt, das die Arbeiter als „Soldaten der Technik“ und „neue Lebensmacht“ feiert, in der sich „die beste Substanz unserer Rasse“ verkörpere (vgl. Türk 2000, 294 f. und Schirmbeck 1980, 379 ff.). 153 Auf dem „Parteitag der Freiheit“ im September 1935 in Nürnberg wies der Reichsarbeitsführer KONSTANTIN HIERL (1875-1955) dem am 26. Juni 1935 gesetzlich verankerten Reichsarbeitsdienst folgende Aufgaben zu: „Der pflicht- gemäße Arbeitsdienst ist das früher zwischen Schule und Wehrdienst fehlende Glied in der Kette der staatlichen Einrichtungen zur Erziehung unserer Jugend. Im Arbeitsdienst soll die Jugend beiderlei Geschlechts zu Arbeitern für ihr Volk, zu brauchbaren Gliedern der arbeitenden Volksgemeinschaft erzogen werden. […] So wirkt der Ar- beitsdienst als große Schule der Nation“ (Hierl 1935, 81 ff.; Hervorhebungen von mir. HD.). Bild 167: Aus dem 1936 erschienenen antisemitischen Kinderbuch von ELVIRA BAUER „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid“. Im Reim neben dem Bild heißt es u. a.: „Auch eine Tafel dabei steht, / Die allen Menschen groß ver- kündt’, / Daß Juden unerwünschet sind! / Den Deutschen nur gehört die Luft, / Drum Freundchen Jude, hier verduft!“ (Zentner/Bedürftig 1993, 32, Farbtafel 3). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 310 ] Diese Instrumentalisierung der Arbeit wurde verbrämt mit einer ideologischen Ver- herrlichung der Arbeit durch einen ins Religiöse übersteigerten Arbeitskult. Im von GOEBBELS propagierten „NS-Feierjahr“, das die liturgischen Feiern des Kirchenjahres imitierte und diese auf längere Sicht wohl ganz ersetzen sollte, nahm das Regime je- de Gelegenheit zur kultisch-religiösen Überhöhung der Arbeit wahr, etwa bei Be- triebsappellen, Werkfeiern und Kameradschaftsabenden, bei Appellen des Reichsar- beitsdienstes oder bei Feiern der Deutschen Arbeitsfront und ihrer Unterorganisation und natürlich bei den Reichsparteitagen. Seinen Höhepunkt erreichte der Kult jeweils am 1. Mai mit seinen kultischen Requisiten wie Aufmärschen, Appellen, Eidzeremo- nien, Fahnen, Trommeln, Fanfaren, Standarten, Liedern und diversen Singspielen als psychologisch-propagandistische Stimuli: „Das Kulthafte der Feiern wurde ver- stärkt durch das Sprechen einer chorischen Dichtung, […] die den Wechsel des Sprechens zwischen Priester und Gemeinde in der katholischen Messe nachahmte. Für die 1. Mai-Feier 1936 ließ Goebbels glei sche Dichtungen produzieren und zwar jeweils von den NS-Dichtern Böhme, Schumann und Menzel. Die chori- schen Dichtungen sollten bei den örtlichen Maifeiern die Rundfunkübertragung der Führerrede aus Berlin umrahmen und so eine einheitliche Feierliturgie […] durchset- zen. […] Bei den Maifeiern wählte man die Übertragung der Führerrede aus dem Rundfunk, […] um die überall gleichzeitig stattfindenden Maifeiern zu einem reichs- einheitlichen religiösen Kulterlebnis werden zu lassen“ (Weyrather 2004, 21 f.). Ein bezeichnendes Textbeispiel für den Kultstatus der Arbeit im „Dritten Reich“ lie- ferte der begeisterte HJ-Führer und Mitarbeiter der Reichsjugendführung, der NS- Schriftsteller HANS BAUMANN (1914-1988),154 mit seiner 1936 entstandenen und zu entsprechenden Anlässen wiederholt im Radio gesendeten chorischen Dichtung „Die neue Stadt“, in der es u. a. heißt: „[…] Und der Arbeit, allem Schaffen brecht ihr eine neue Bahn, alles Werkzeug wird zu Waffen, eurem Willen untertan. Brausend geht ein Losungsrufen, daß die Arbeit macht uns frei. Daß nur frei sind, die sie schufen, eine Welt bricht da entzwei. […] Tragt die Arbeit in die Sterne, sie gehört den Knechten nicht. Daß ein jeder von euch lerne: Denn die Arbeit ist das Licht. […]“ (zitiert nach Weyrather 2004, 18). 154 Aus BAUMANNs Feder stammt auch eines der berühmtesten Nazilieder „Es zittern die morschen Knochen“ mit dem berüchtigten Refrain: „Wir werden weitermarschieren, / wenn alles in Scherben fällt, / denn heute gehört uns Deutschland / und morgen die ganze Welt“ (vgl. Loewy, 1983, 274). Trotz seiner abstoßenden Machwerke im Sinne der NS-Ideologie zählt der dtv-Verlag BAUMANN „zu den renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendbuchauto- ren“ (http://www.dtvjunior.de/jugendbuch/_autor_anzeige.cfm?id=5), ein Hinweis auf seine Tätigkeit vor 1945 fehlt. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 311 ] BAUMANNs Metaphorik ist unübersehbar eine Mixtur aus aggressiven und religi- ösen Motiven. Die Soldaten der Arbeit (Arbeiter) bereiten mit ihren willentlich und gezielt gebrauchten Waffen (Werkzeug) gewaltsam den Weg für Neues, indem sie die Arbeit vom knechtischen Dasein, also von allem Irdischen erlösen und zum Teil des Himmels erheben, damit diese von dort das Licht, 155 die Erleuchtung für uns alle bringen kann. Ganz offen wird hier das christliche Erlösungsmotiv variiert und übertragen auf die Arbeit, die zum Lichtbringer, zum Gott erhöht wird, der sei- nerseits als Erlöser auftritt und diejenigen befreit, die an ihn (die Arbeit) glauben, und damit zugleich die Welt in zwei Lager, in Freie und in Unfreie teilt, denn „die Arbeit macht uns frei.“ Dieser Vers zitiert jenen „pathologischen Mythos“ (Türk 155 HITLER hatte auch die Lichtmetapher für den Antisemitismus instrumentalisiert. In seinem kruden Weltbild ist der Jude „der unerbittliche Todfeind jedes Lichtes, der Hasser jeder wahren Kultur“ (Hitler 1933, 346). Bild 168: Das „vielleicht markanteste Beispiel für den braunen Arbeitskult bietet J F THORAKs [1899-1952] Autobahndenkmal. […] Vier nackte Riesen, deren Gesichter man als ‚heroisch’ bezeichnete, wuchten einen Felsbrocken vorwärts.“ Die heroisierende Plastik zeigt die Arbeiter als trutzige Kraftathtleten, die ihre Anstrengung in den Dienst der Volksgemeinschaft stellen, und verschlei damit die er- niedrigenden Umstände, unter denen sie ihre Arbeitskraft einsetzen. Zeichnung (Gamm 1962, 99 f.; vgl. Schirmbeck 1980, bes. 379 ff.) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 312 ] 2000, 294), mit dem bereits lange vor 1936 die „Schutzhäftlinge“ am Eingang des ersten in Deutschland eingerichteten Konzentrationslagers in Dachau156 „begrüßt“ wurden: „Arbeit macht frei“. RUDOLF HÖß (1900-1947), der spätere Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz, dessen Karriere als SS-Mann in Dachau be- gonnen hatte, erläutert in seinen 1947 während der Untersuchungshaft in Krakau entstandenen autobiografischen Aufzeichnungen, wie er diesen Satz verstanden wissen wollte: „Die Arbeit nimmt im Leben des Gefangenen einen breiten Raum ein. Sie kann dazu dienen, ihm sein Dasein erträglicher zu gestalten, sie kann aber auch zu seinem Untergang führen. Jedem gesunden Gefangenen, in normalen Verhält- nissen, ist die Arbeit ein Bedürfnis, eine innere Notwendigkeit. Notorischen Faulen- zern, Tagedieben und sonstigen asozialen Schmarotzern allerdings nicht, sie kön- nen ganz gut ohne Arbeit weitervegetieren ohne die geringsten seelischen Schmer- zen. Die Arbeit hilft ihm über die Leere der Gefangenschaft hinweg. Sie läßt die Widrigkeiten der Haftalltäglichkeit in [den] Hintergrund treten, wenn er von ihr erfaßt ist, wenn er sie freiwillig tut - gemeint ist hiermit die innere Bereitschaft dazu -, be- friedigt sie ihn. Findet er gar eine Beschäftigung in seinem Beruf, oder eine seinen Fähigkeiten entsprechende, ihm zusagende Arbeit, so hat er damit eine psychische Basis errungen, die so leicht nicht zu erschüttern ist, auch nicht durch noch so wid- rige Umstände. - Wohl ist die Arbeit in Strafhaft und KL Pflicht, Zwang. Doch leistet im allgemeinen jeder Gefangene bei richtigem Einsatz freiwillig Beachtliches. Seine innere Zufriedenheit hierüber wirkt sich auf seinen ganzen Zustand aus. Wie umge- kehrt die Unzufriedenheit mit der Arbeit ihm auch sein ganzes Dasein zur Last wer- den lassen kann. […] So ist auch die Devise: ‚Arbeit macht frei’ zu verstehen. Es bestand die feste Absicht EICKEs157, diejenigen Häftlinge, gleich welcher Sparte, die durch dauerhafte, fleißige Arbeitsleistung aus der Masse hervorstachen, zur Ent- lassung zu bringen, auch wenn Gestapo und Reichskriminal-Polizeiamt gegenteiliger Ansicht waren. Es sind auch so einige Fälle zustande gekommen. Durch den Krieg wurde aber die gute Absicht zunichte“ (Höß 1979, 64 ff.). 156 Unter der Überschrift „Konzentrationslager für Schutzhäftlinge in Bayern“ meldete der Völkische Beobachter am Dienstag, dem 21. März 1933: „Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager mit einem Fassungsvermögen für 5000 Menschen errichtet werden“ (zitiert nach Comité o. J., 43). 157 Gemeint ist THEODOR EICKE (1892-1943), der erste Kommandant des Konzentrationslagers Dachau. EICKE, „der als Lagerkommandant von Dachau die erste Lagerordnung für ein Konzentrationslager entwickelt hatte, machte als Inspekteur der KZs die von ihm in Dachau angewandten grausamen Unterdrückungsmethoden für alle KZs verbind- lich. Von den SS-Wachmannschaften in den Lagern forderte er unbedingte Härte und Befehlserfüllung. Die Toten- kopfdivision führte er rücksichtslos und mit hohen Verlusten“ (Weiß 1998, 108). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 313 ] Welch groteske Verdrängungsleistung! Schließlich war die hier reklamierte „gute Ab- sicht“ Teil einer Politik, die Millionen Juden zuerst schrittweise aus dem bürgerlichen Arbeitsleben ausgrenzte und am Ende mittels mörderischer Zwangsarbeit vernichtete. Weder in den Konzentrations- noch in den Vernichtungslagern war der Arbeitseinsatz der Häftlinge primär an ökonomischen Aspekten orien- tiert,158 sondern an der Terrorlogik des Nationalsozialismus, die von den Beteiligten so internalisiert worden war, dass sie auch ihre ei- gene Mitwirkung an der „Vernich- tung durch Arbeit“ problemlos mit ihrem „deutschen“ Arbeitsethos zur Deckung bringen konnten. Zum Beleg dafür sei noch einmal HÖß zitiert, wie er sich managerhaft an die ihm 1940 übertragene Aufgabe erinnert, das Vernichtungslager Auschwitz aufzubauen und als Kommandant zu leiten: „Die Aufgabe war nicht leicht. Ich sollte in kürzester Frist aus dem bestehenden, zwar gebäudemäßig gut erhaltenen, aber vollständig verwahrlosten und von Ungeziefer wimmelnden Komplex ein Durchgangslager für 10.000 Häftlinge schaffen. […] Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen. Mein Ehrgeiz ließ dies nicht zu. Ich sah nur noch meine Arbeit. […] Wollte ich meiner Aufgabe gerecht werden, so mußte ich der Motor sein, der unermüdlich, rastlos zur Arbeit am Aufbau antrieb, der immer und immer wieder alle vorwärtstreiben und mitreißen mußte, ganz gleich, ob SS-Mann oder Häftling. Ich hatte ja nicht nur mit den kriegsbedingten Schwierigkeiten, mit all den widrigen Verhältnissen beim Aufbau zu kämpfen, sondern auch täglich, ja stündlich mit der Lauheit, Nachläs- sigkeit, dem nicht Mit-ziehen-wollen meiner Mitarbeiter. […] Jeder in Deutschland hatte sich voll und ganz einzusetzen, daß wir den Krieg gewinnen konnten. […] Auf diesem Weg Zusammenbrechendes durfte mich nicht aufhalten. Es mußte 158 Dies gilt allerdings ausschließlich für die Zwangsarbeit der Juden, die spätestens ab 1940 zur Vernichtungsarbeit geworden war (vgl. Goldhagen 1996, 335 ff.), nicht hingegen für das Millionenheer überwiegend polnischer und rus- sischer Zwangsarbeiter, denen in Landwirtschaft und Rüstungsindustrie ihre Arbeitskraft abgepresst wurde (vgl. da- zu Pankoke 1990, 179 ff.; Aly/Heim 1991). Bild 169: Am Eingang zum Konzentrationslager Dachau wurden die Häftlinge mit der zynischen Losung „begrüßt“: „Arbeit macht frei.“ (Comité o. J., 62). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 314 ] gegenstandslos werden gegenüber dem Endziel: daß wir den Krieg gewinnen müssen. So sah ich zu jener Zeit meine Aufgabe. An die Front durfte ich nicht, ich hatte daher in der Heimat für die Front das Äußerste zu leisten. […] Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, daß ich weiß, was arbeiten heißt, und daß ich Arbeitsleistung wohl abzuschätzen vermag. Mit mir selbst zufrieden war ich stets nur, wenn ich ein gut Stück Arbeit voll- bracht hatte“ (Höß 1979, 64 ff.). Mit dem gewaltsamen Ende der NS-Diktatur im Mai 1945 hatte auch der rassistisch aufgeladene deut- sche Arbeitsbegriff ausgedient. Aus einem kurzen Prozess des Exorzismus der nun verfemten Elemente der NS-Ideologie ging ein demokratisch geläutertes Arbeitsethos hervor, das nach wie vor Sekundärtu- genden wie Fleiß, Disziplin, Gehorsam, Pflichterfüllung, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnung etc. (vgl. o. Bild 170) favorisierte und damit, wenn auch nun nicht mehr am völkischen Gemeinwesen orientiert, nach der staatlichen Reorganisation 1949 in West und Ost seine Wirkungen entfaltete. Leichter als die Bundesrepublik Deutsch- land (BRD) hatte es in diesem Fall die Deutsche Demokratische Republik (DDR) mit ihrer ideologischen Neuorientierung, die ihren legalistischen Rahmen in der oben be- reits behandelten Aufwertung der Arbeit zur grundlegenden Verfassungsnorm der DDR fand (s. o. S. 291 f.). Nach offizieller Lesart war dort unter Führung der Arbeiter- klasse mit dem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat eine neue Herrschafts- und Gesellschaftsordnung entstanden, die sich deshalb mit dem NS-Erbe nicht mehr be- lastet sah, weil sie mit der Vergangenheit vollständig gebrochen, den nationalsozialis- tischen Geist radikal ausgemerzt, seine Protagonisten ausgeschlossen und bestraft sowie alle Ebenen in Staat und Gesellschaft auf eine antifaschistische Doktrin einge- schworen hatte (vgl. Vollnhals/ Schlemmer 1991, 168 ff.). Schon im Vorfeld der Staatsgründung konnte deshalb in Ostdeutschland „die ‚Arbeit’ als vorpolitische Identitätsquelle, wenn nicht als Beleg antifaschistischer Gesinnung fungieren. In der späteren DDR schlug sich dieser Zusammenhang in Bild 170: Wandspruch im Konzentrationslager Dachau mit „deut- schen“ Tugenden. Zeitgenössische Propagandaaufnahme (Berg 1994, 53) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 315 ] offiziell-politischen Manifestationen bezüglich des ‚Staats der Arbeit’ und seiner ‚Helden’ nieder. Die traditionellen deutschen Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Gehorsamkeit wurden gerade in der für die DDR so charakteristischen, ideolo- gischen wie auch praktischen Ver- staatlichung der Arbeitskraft erhalten und erneuert. Es handelt sich hier um eine Fortsetzung jenes Aspekts der nationalsozialistischen Nationalisierung der Arbeit, mit welchem die tausch- wertbestimmte Entfremdung der ‚abs- trakten Arbeit’ zugunsten der Bindung und Wertschätzung der Arbeitskraft an das nationale Ideal vermeintlich auf- gehoben werden sollte“ (Schatz/- Woeldike 2001, 146). Nicht zuletzt deshalb sah die DDR-Führung kein Problem darin, den Maifeiern und an- deren Jubelfesten der sozialistischen Arbeit ein formales Gepränge zu ge- ben, das in vieler Hinsicht fatal an die Fahnen- und Fanfarenorgien der NS- Zeit erinnerte. Kann man also schon im Falle der DDR nicht von einem gründlichen „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“ (Mitscherlich 1982, 24) der deutschen Vergangen- heit sprechen, so gilt dies für die BRD noch viel weniger. „Angesichts des Trüm- merfeldes“159, das die NS-Diktatur hinterlassen hatte, erwiesen sich die demokra- tisch gewendete, entpolitisierte Arbeitsideologie und die „unschuldige deutsche Arbeitstugend“, die sich in einer nachgerade sprichwörtlichen „Arbeitswut“ mate- rialisierten (vgl. Schatz/Woeldike 2001, 146 ff.), als zentrales Mittel zur kollekti- ven Verdrängung, indem man die Schuldfrage einfach aus der Agenda strich und Restauration und Wiederaufbau als Ziele ausgab. HANNAH ARENDT stellte 1950 159 Mit diese Formulierung beginnt die Präambel der Bayerischen Verfassung, die am 1. Dezember 1946 per Volksent- scheid beschlossen wurde und am 2. Dezember in Kraft trat (vgl. Wenzel 1995, 79). Bild 171: „Zupacken!“ fordert dieses Plakat aus dem Jahre 1947 und der Imperativ wurde zum Leitspruch der Nachkriegs- jahre der Deutschen in Ost und West. Warum dies in dieser Form nötig geworden war, schien niemanden mehr zu interessieren (Wasmund 1986, 197). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 316 ] anlässlich eines „Besuchs in Deutschland“ fest: „Unter der Oberfläche hat die Ein- stellung der Deutschen zur Arbeit einen tiefen Wandel erfahren. Die alte Tugend, unabhängig von den Arbeitsbedingungen ein möglichst vortreffliches Endprodukt zu erzielen, hat einem blinden Zwang Platz gemacht, dauernd beschäftigt zu sein, einem gierigen Verlangen, den ganzen Tag pausenlos an etwas zu han- tieren. Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern und für die zerstörten Wahrzeichen ein Ach- selzucken übrig haben oder wie sie es einem verübeln, wenn man sie an die Schreckenstaten erinnert, welche die ganze übrige Welt nicht losläßt, dann be- greift man, daß die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirk- lichkeit geworden ist“ (zitiert nach Schatz/Woeldike 2001, 146; Hervorhebungen von mir. HD.). Diesen Befund bestätigen ALEXANDER (1908-1982) und MARGARETE MITSCHER- LICH (*1917) mit ihrer 1967 publizierten Analyse „Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens“, in der sie darlegen, dass der wirtschaftlich- materielle Erfolg der BRD zu einem Teil auf einer gelungenen Verdrängungsleis- tung basiert: „Statt einer politischen Durcharbeitung der Vergangenheit als dem geringsten Versuch der Wiedergutmachung vollzog sich die explosive Entwicklung Bild 172: … und es wurde zugepackt: Trümmerfrauen bei der Schutträumung (Eppler 1999, 102) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 317 ] der deutschen Industrie. Werktätigkeit und ihr Erfolg verdeckten bald die offenen Wunden, die aus der Vergangenheit geblieben waren. […] Im Zusammenhang mit dieser wirtschaftlichen Restauration wächst ein charakteristisches neues Selbstge- fühl. […] Die große Majorität der Deutschen erlebt heute die Periode der national- sozialistischen Herrschaft retrospektiv als die Dazwischenkunft einer Infektions- krankheit in Kinderjahren“ (Mitscherlich 1982, 23/25). Das entpolitisierte, auf rastlose Tätigkeit gerichtete Arbeitsethos der Nachkriegs- zeit, trug wesentlich bei zum bundesrepublikanischen „Wirtschaftwunder“ der 1950er und 60er Jahre, das zusammen mit der durch die Gewerkschaften erfoch- tenen Partizipation der Arbeiter und Angestellten am kapitalistischen Wirtschafts- wachstum eine privatisierende, in Konsum erstarrende „Mittelstandsgesellschaft“ (SCHELSKY; vgl. u., S. 347) hervorbrachte. Die massive, Ende der 1960er Jahre z. T. sogar in Gewalt umschlagende Kritik der nachwachsenden Generationen an diesen Verhältnissen brachte schließlich eine neuen Regierung ins Amt, deren re- formerisches Programm der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der BRD, WILLY BRANDT (1913-1992), in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 in die berühmte Formel goss: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 318 ] 5.2 Beruf 5.2.1 „Kurssturz in der Wertung des Berufs“ Die in den deutschen Territorien ab 1810 - regional zwar sehr unterschiedlich und auch zeitlich phasenverschoben - gegen den Widerstand des Handwerks durch- gesetzte Gewerbefreiheit markiert in Verbindung mit dem industriellen Wandel auch in der Berufsgeschichte den Beginn einer neuen Epoche. Die gewerberecht- liche Deregulierung der feudalen und ständischen Strukturen löste die enge Bin- dung der Beruflichkeit an die Zünfte und beendete damit deren berufliches Defini- tionsmonopol. Die dadurch in Gang gesetzte Erosion der überkommenen Be- rufsstände160 und die damit einher gehende Sinnentleerung des ständisch- zünftigen Berufsbegriffs bewirkte einen „Kurssturz in der Wertung des Berufs bis fast zum Nullpunkt“, der an der Wende zum 20. Jahrhundert in eine massive „Be- rufskrisis“ (Dunkmann 1922, 6) mündete. Stimuliert wurde diese Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine rasante Bevölkerungsvermeh- rung und die damit einhergehende Expansion der Städte sowie durch den sich stetig beschleunigenden technologischen Fortschritt, der vor allem das ländliche Heimgewerbe und das Verlagswesen (Textilverarbeitung) ruinierte und zugleich die Genese neuer Berufe (Metallverarbeitung, Elektroberufe) induzierte161. Dieser tief greifende Prozess rückte bisher ihrem Umfang nach eher randständige gesell- schaftliche Erwerbstätigkeiten ins Zentrum der Entwicklung mit der Folge, dass die Berufswelt durch neue Großgruppen abhängig Beschäftigter grundlegend um- strukturiert und darüber hinaus die Berufsarbeit zunehmend feminisiert wurde: • Zum einen fanden die aus Handwerk, Verlag und ländlichem Heimgewerbe entlassenen „Arbeitslosen“ sowie die neu auf den „Arbeitsmarkt“162 drängen- 160 WILHELM HEINRICH RIEHL hatte in seiner Studie, die 1851 erstmals erschien und noch zu seinen Lebzeiten mehrere Auflagen erlebte, die Berufe als „unechte Stände“ charakterisiert und scharf kritisiert, dass die „Worte ‚Stand’ und ‚Be- ruf’ noch immer als Synonyma“ verwendet werden. Als natürliche Stände mit Tradition ließ er nur den Adel, die Bürger und die Bauern gelten und sah diese Ordnung bedroht durch die Entstehung jenes „vierten Standes“, dessen Bildung aus den „entarteten Elementen jener Stände“ er als Zeitgenosse miterlebte (Riehl 1976, 176, 205 ff.). 161 Auf die Genese neuer Berufe in diesen Bereichen muss hier nicht weiter eingegangen werden, denn diese Thematik wird in folgenden Teilkonzepten für VISUBA ausführlich behandelt: BUX, Hans: Metalltechnik: Fahrzeuge. München 2004; MOOS, Josef: Metalltechnik. Fertigung. München 2004; HEINRICH, Werner: Berufsentwicklung im Bereich der Elektroenergie. München 2003; ROOS, Martin: Elektrotechnik. Telekommunikation. München 2004. 162 Aufgrund dieser dynamischen Entwicklung des „Arbeitsmarktes“ im 19. Jahrhundert bildete sich ab 1890 in Deutsch- land eine öffentliche Arbeitsvermittlung heraus, die schließlich 1927 mit dem „Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ integraler Bestandteil der Arbeitsmarktpolitik wurde und dies in seinen wesentlichen Ele- menten auch bis heute blieb (vgl. Faust 1982, 253 ff.). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 319 ] den Jahrgänge Beschäftigung im schnell expandierenden industriellen Fab- riksystem und formten so die neue „Klasse“ der lohnabhängigen Fabrikar- beiter, deren gruppenbildendes Charakteristikum neben der politischen Recht- und Eigentumslosigkeit zunächst eine prinzipielle „Berufslosigkeit“ war (vgl. Kocka 1990/b, bes. 373 ff.). • Daneben eröffneten die sprunghafte Zunahme der Planungs- und Verwal- tungstätigkeiten in der Produktion (wissenschaftliche Betriebsführung), die Umstellungen und Expansion im Handel (Distribution der Massenprodukte, Warenhäuser), die Expansi- on der Banken und Versiche- rungen sowie die Übernah- me neuer (sozialer) Aufga- ben durch den Staat (Bil- dung, Krankheit, Alter) vor al- lem Frauen neue Beschäfti- gungsmöglichkeiten im Dienst- leistungsbereich163, wodurch sich jene Gruppe unselbst- ständiger Erwerbstätiger herausbildete, die unter dem Sammelbegriff der Angestellten firmiert (vgl. Schulz 2000, 12-30; Pierenkemper 1982/b, 121 ff.). Parallel dazu hatte das deutsche Handwerk als traditioneller Träger des Berufsge- dankens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine durchaus ambivalente Entwick- lung genommen. HANS-ULRICH WEHLER macht in den vier Friedensjahrzehnten des Kaiserreichs zwischen 1871 und 1914 drei, z. T. gegenläufige, die Entwick- lung des Handwerks prägende Prozesse aus: • Für bestimmte Bereiche wie Bau- und Nahrungsmittelgewerbe oder Klemp- ner und Metallhandwerk diagnostiziert er „eine kräftige Expansion und Kon- zentration […], die zu großen, überaus leistungsfähigen Betrieben führte.“ • In anderen Gewerben (z. B. Schneider, Schuster oder Möbelschreiner) brachten „Stagnation und Schrumpfung“ das Handwerk an den Rand seiner 163 Vgl. dazu das VISUBA-Teilkonzept: BRUCHHÄUSER, Hanns-Peter und HORLEBEIN, Manfred: Konzeptualisierung des Bereichs Wirtschaft und Verwaltung innerhalb des Modellversuchs VISUBA beim Deutschen Museum Mün- chen. Magdeburg/Frankfurt a. Main 2004. Bild 173: Der Taylorismus kontrolliert die Tätigkeit der „berufslosen“ Industriearbeiter auf die „100stel“ Sekunde genau. Anzeige aus der Taylor-Zeitschrift, Heft 1 1920 (Kropf 1987, Bd. 1, 133) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 320 ] Existenz und nur zu oft erfolgte „aus einer proletaroiden Soziallage […] der Übergang in die Lebenswelt des Proletariats.“ • Und „schließlich dehnte sich der Unterschied zwischen Stadt- und Land- handwerk weiter aus“, da sich die expansiven, fortschrittlichen Gewerbe vor allem in den Städten konzentrierten (vgl. Wehler 1995, 683). Es ist wohl nicht zuletzt auf die sozialprotektionistische Gewerbepolitik des Kai- serreichs mit ihren Handwerkerschutzgesetzen zurückzuführen, dass das Hand- werk in Deutschland trotz krisenhafter Zuspitzungen sowohl die Auswirkungen der Gewerbefreiheit von 1869/1871 als auch die „Umstellung auf den Primat der In- dustrie“ (Wehler 1995, 685) meistern konnte. Das durch die Depression der 1870er Jahre verstärkte Bestreben, den „alten Mittelstand“, zu dem sich ja vor al- lem das traditionsbewusste Stadthandwerk rechnete, gegen Tendenzen der Sozi- aldemokratisierung zu immunisieren und als konservatives Wählerpotential zu stabilisieren, schlug sich in der Bereitschaft der Administration nieder, den Hand- werksmeistern entgegenzukommen, die eine zumindest teilweise Restauration ih- rer alten berufsständischen Privilegien forderten. Nach einer Reihe kleinerer Zu- geständnisse gelang 1897 mit der Handwerkernovelle schließlich der Durch- bruch, denn sie erlaubte der Handwerkerschaft nun mit der „fakultativen Zwangsinnung“ und dem Aufbau von Handwerkskammern eine an die Zünfte erin- nernde korporative Interessenvertretung. Als schließlich 1908 der „kleine“ Befähi- gungsnachweis als obligatorische Voraussetzung für die Lehrlingsausbildung durchgesetzt wurde, war der postzünftige Berufsbegriff praktisch per Gesetz für die handwerkliche Erwerbstätigkeit reserviert und seine Anwendung auf die Lohn- arbeit in der tayloristisch-fordistischen Industrie ausgeschlossen, was KARL DUNK- MANN 1922 in seiner „Lehre vom Beruf“ zu der Feststellung veranlasste: „Während so der Unternehmer selbst und seine höheren Mitarbeiter im Betrieb noch von ei- gentlichem Beruf reden mögen, so ist diese Bezeichnung für die Arbeitszerlegung innerhalb der Industrie völlig ausgeschlossen. So entsteht ein Dualismus im sozia- len Leben von nie zuvor gekannter Schärfe. Nicht um den Dualismus von arm und reich handelt es sich, dieser war immer da und wurde auch immer ertragen, son- dern um den Gegensatz von Berufsträgern und Berufsentwurzelten. Der Gegen- satz ist kein wirtschaftlicher, sondern ein ethischer“ (Dunkmann 1922, 158). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 321 ] Diese von DUNKMANN hier diagnostizierte, auf die prinzipielle „Berufslosigkeit des modernen Fabrikarbeiters“ (Mooser 1984, 52) abzielende „Berufskrisis“ muss auch als Folge der Auflösung des zünftig-ständischen Berufsbegriffs und dessen huma- nistisch-idealistischer Neudefinition gesehen werden. Da infolge der explosionsar- tigen Zunahme der tayloristisch-fordistischen Industriearbeit mit ihren inhumanen Arbeitsbedingungen, ihrer von Maschinen diktierten Monotonie und ihrer antiintel- lektuellen Spezialisierung der Widerspruch zwischen der Theorie der aufkläre- risch-emanzipatorischen Idealisierung der Arbeit und ihrer industriekapitalistischen Realität mit Händen zu greifen war, verengte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bild 174: „Die letzte Schicht am Hammer Fritz, 1911. Ein Rohr wird geschmiedet: um seinen Umfang ‚anpassen’ zu können, wird ein rundes ‚Gesenk’ im Rohrinneren gehalten. Der Kranführer (rechts) muß dessen Höhe über die Steuerung der Ketten genau halten. Auf dem erhöhten Stand löst der Hammerführer mit dem langen Gestänge, durch Öffnen des Ventils, die Schläge aus. Fünf- zig Jahre lang ist der Hammer in Betrieb gewesen. Als man 1860 daran ging, den Untergrund zu befestigen, mußte eine große Zahl von Eichenstämmen eingerammt und in mehreren Schichten gelegt werden. Denn dieser gewaltige Dampfhammer war auf ein bis da- hin nicht erprobtes Fallgewicht von 600 Zentnern konstruiert, um schwere Schiffswellen, Geschützteile und Kurbelachsen mit bis zu 65 Tonnen Gewicht ausschmieden zu können. Er löste die zwei bis dahin benützten schweren Stielhämmer alter Bauart von 65 und 140 Zentnern Fallgewicht ab. Die Investition für diesen Hammer betrug 600.000 Taler. Er wurde wegen seiner gigantischen Kraft als Symbol des ‚prometheischen’ neuen Zeitalters immer bestaunt. Als eines der ersten Werkstücke wurde ein riesiger Gußstahlblock von 20000 kg durchgeschmiedet, der 1862 auf der Londoner Weltausstellung gezeigt wurde. Solche Schaustücke kamen dem zeitty- pischen Hang entgegen, der wachsenden Größe industrieller Produkte Bewunderung zu zollen. Fünf Jahre später, 1867, wurde auf der Weltausstellung in Paris die ebenfalls hier geschmiedete Kanone ‚Dicke Berta’ dem Publikum präsentiert. Sie festigte den Ruf der Essener Gußstahlfabrik als führenden Waffenhersteller, der schließlich Kanonen in die ganze Welt lieferte“ (Bild: Brandstät- ter/Hubmann 1977, 61; Zitat: Ruppert 1983, 108 f.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 322 ] die ideologische Funktion der Arbeit mehr und mehr auf die Berufsarbeit. Signum des Menschseins war nun nicht mehr die menschliche Arbeit im Allgemeinen, sondern die Berufsarbeit im Speziellen. Diese Fokussierung steht hinter der be- kannten provokativ-apodiktischen These, die GEORG KERSCHENSTEINER 1904 formulierte: „Die Berufsbildung steht an der Pforte zur Menschenbildung“ (Ker- schensteiner 1954, 48). Begründet und inhaltlich gefüllt wurde diese Behauptung in den folgenden Jahren hauptsächlich von seinen eine Generation jüngeren Zeit- genossen und Wegefährten. Zu nennen sind hier vor allem THEODOR LITT (1880- 1962), KERSCHENSTEINERs Freund, der Münchner Pädagoge ALOYS FISCHER (1880-1937) und nicht zuletzt EDUARD SPRANGER (1882-1963), der 1920 anläss- lich des XIII. Deutschen Fortbildungsschultags in Dresden der Berufsschule die Aufgabe zuwies, „ihren Schülern den Beruf als das wesentliche Mittel zur Menschwerdung eindringlich zu machen“ (Spranger 1975, 57). Dies lässt zudem erkennen, dass die zu Beginn des 20. Jahrhunderts allseits apostrophierte Krise der Beruflichkeit zugleich eine Krise der Berufsausbildung war, deren Wurzeln allerdings keineswegs ausschließlich in den neuen industriellen Arbeitsformen zu suchen sind, sondern bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreichen. 164 5.2.2 „Die Wendung vom Fach zum Beruf“ Mit scharfen Worten hatte 1896 der Leipziger Fortbildungsschuldirektor THEODOR SCHARF die damalige Krise beruflicher Ausbildung und deren verderbliche Folgen gegeißelt: „Die Freizügigkeit, die Gewerbefreiheit und ganz besonders der In- dustrialismus haben die Bande der gesellschaftlichen Verhältnisse früherer Zeiten gelöst. Das familiäre Einvernehmen, das vordem zwischen Arbeitgeber und Ar- beitnehmer bestand, ist selten zu finden. Es ist eine gegenseitige Emanzipation eingetreten, und infolgedes sieht der Arbeitgeber, der Meister, der Lehrherr in dem Arbeiter, Lehrlinge oder Gehilfen nur die bezahlte Kraft, die möglichst hoch aus- genützt werden muß. [...] Von einer Anteilnahme an dem physischen und seeli- schen Wohle dieser bezahlten Arbeitskraft will man in den meisten Fällen nichts wissen; man überläßt den jugendlichen Menschen sich selbst und fragt nicht dar- nach, was mit dem erhaltenen Lohne gemacht, ob er zu Luxus oder Völlerei ver- 164 Da die Berufs(aus)bildung nicht das Kernthema der vorliegenden Studie ist und zudem Geschichte und Theorie des dualen Systems (Lernorte Betrieb und Schule) in anderen Teilkonzepten VISUBAs detailliert dargestellt werden, kann ich diese Thematik im Folgenden kurz abhandeln. Vgl. dazu: DEMMEL, Walter und PÄTZOLD, Günter: Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf. München/Dortmund 2004. MASLANKOWSKI, Willi: Bedeutende Theore- tiker der Bildung und Berufsbildung. Königswinter 2004 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 323 ] wendet wird oder nicht, man kümmert sich nicht darum, was vor und nach der Ar- beit und in den Zwischenpausen die in Lohne stehenden Arbeitskräfte treiben, wenn sie nur während der Arbeit ihre Schuldigkeit thun, ja man sieht sogar dem und jenem, weil sie sonst tüchtige Arbeiter sind, durch die Finger und nimmt ein ungebührliches Benehmen, ein nicht immer anständiges Verhalten mit in den Kauf. [...] Was würden die alten Zunftmeister des Mittelalters sagen, wenn sie von solcher Ignoranz hören müssten“ (zitiert nach Stratmann 1992/a, 1). Die hier anklingenden Probleme der Berufsausbildung begannen aber nicht erst mit „Freizügigkeit, Gewerbefreiheit und Industrialis- mus“, wie SCHARF andeutet, son- dern nahmen bereits Ende des 18. Jahrhunderts ihren Anfang, denn zu dieser Zeit setzte „der Neuhu- manismus […] die begriffliche Trennung von Bildung und Ausbil- dung durch, unterbrach damit die schulpolitischen Tendenzen der Aufklärung, begründete die päda- gogische Disqualifizierung von Be- ruf und gesellschaftlicher Arbeit und zog das Interesse der Päda- gogik gerade in dem Augenblick von der Ausbildungsproblematik ab, in der sie von Projektmacherei zu groß angelegten Realisierungen führen mußte“ (Blankertz 1969, 13 f.; Hervorhebung von mir HD.). Diese Abkoppelung beruflicher Bildung von der Allgemeinbildung geht wesentlich auf WILHELM VON HUMBOLDT (1767- 1835) zurück, dessen Bildungskonzeption165 den bereits aus der Antike bekannten dichotomischen Bildungsbegriff erneuerte, der die intellektuell-wertvolle, das ei- 165 Folgende Stelle aus seinem „Plan zur Errichtung des litauischen Stadtschulwesens“ dient häufig als Beleg für die HUMBOLDTsche Position: „Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muß ab- gesondert und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bil- dung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen noch vollständige Bürger einzelner Klassen. Denn beide Bildungen - die allgemeine und die spezielle - werden durch verschiedene Grundsätze geleitet. Durch die allgemei- ne sollen die Kräfte, d. h. der Mensch selbst gestärkt, geläutert und geregelt werden; durch die spezielle soll er nur Fertigkeiten zur Anwendung erhalten“ (zitiert nach Münch 1977, 56 f.). Bild 175: Blick in die Werkstatt für die Massenfertigung von Telefun- ken-Geräten bei Siemens&Halske in Berlin. Fotografie um 1900 (Brandstätter/Hubmann 1977, o. P.) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 324 ] gentliche Menschsein konstituierende Bildung scharf trennt von der manuell-min- derwertigen, dem niederen Bereich der körperlichen Bedürfnisse zugeordneten Bildung, und der damit letztlich bis in unsere Tage eine Gleichstellung beruflicher Bildung mit der Allgemeinbildung blockiert.166 Die negativen Auswirkungen dieser „Trennung von Bildung und Ausbildung“ kamen in der Praxis allerdings erst voll zum Tragen, nachdem die jahrhundertelang als zentrale berufliche und ständische Sozialisationsinstanz fungierenden Zünfte eliminiert waren und sich neue Möglich- keiten sozialer Mobilität abzuzeichnen begannen. Die Herauslösung der menschlichen Arbeit aus dem aufklärerischen Konzept der Emanzipation durch Bildung mit der Konsequenz, dass das Bildungsangebot für den arbeitenden „vierten Stand“ in der Folge auf das Notwendigste beschränkt wurde, erwies sich als wesentliche Ursache für jene von THEODOR SCHARF in obi- gem Zitat so sehr beklagte „Erziehungslücke“. Ihres emanzipatorischen Kontexts entkleidet, konnten Bildung im Sinne von Menschenbildung, Bildung um ihrer selbst willen und Mußeerziehung zu Privilegien des Bürgertums und damit zum wirksamen Instrument der Abgrenzung der bürgerlichen Welt von jener der Arbei- terschaft umfunktioniert und damit deren sozialer Aufstieg durch Bildung und vor allem ihre Teilhabe an der Macht weitgehend blockiert werden. In seiner „Festrede zum Stiftungsfest des Dresdener Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872“ hatte der Sozialdemokrat WILHELM LIEBKNECHT (1826-1900) dargelegt, dass die organisierte Arbeiterschaft diese Blockade unter dem Schlagwort „Wissen ist Macht“ mit eigenen Bildungsangeboten zu durchbrechen gedachte: „Knowledge is power - Wissen ist Macht! Wohl ist das ein wahres Wort. Wissen ist Macht. Wis- sen gibt Macht, und weil es Macht gibt, haben die Wissenden und Mächtigen von jeher das Wissen als ihr Kasten-, ihr Standes-, ihr Klassenmonopol zu bewahren und den Nichtwissenden, Ohnmächtigen - von jeher die Masse des Volkes - vor- zuenthalten gesucht. So ist es zu allen Zeiten gewesen, so ist es noch heute. [...] Das Wissen ist unter dem Verschluß der Herrschenden, den Beherrschten unzu- gänglich, außer in der Zubereitung und Verfälschung, die den Herrschenden be- liebt. […] Der heutige Staat und die heutige Gesellschaft, die [wir] bekämpfen, sind Feinde der Bildung; so lange sie bestehen, werden sie verhindern, daß das Wis- 166 Vgl. dazu Maslankowski 1998 sowie das VISUBA-Teilkonzept: LIPSMEIER, Antonius: Gesellschaftliche Bewertung beruflicher Bildung. Karlsruhe 2004. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 325 ] sen Gemeingut wird. Wer da will, daß das Wissen allen gleichmäßig zuteil werde, muß daher auf die Umgestaltung des Staats und der Gesellschaft hinwirken. Sie, meine Herren, die Mitglieder des Arbeiterbildungsvereins, haben dies begriffen. Sie haben begriffen, daß der Tempel der Wissenschaft dem Volke verschlossen, die Zugänge der Bildung durch eine chinesische Mauer abgesperrt sind. Der Schlüssel des Tempels muß erobert, die Mauer niedergerissen werden. Das Mittel ist die politische, die soziale Agitation. […] Verzichten wir auf den Kampf, auf den politischen Kampf, so verzichten wir auf die Bildung, auf das Wissen. ‚Durch Bil- dung zur Freiheit’, das ist die falsche Losung, die Losung der falschen Freunde. Wir antworten: Durch Freiheit zur Bildung! Nur im freien Volksstaat kann das Volk Bildung erlangen. Nur wenn das Volk sich politische Macht erkämpft, öffnen sich ihm die Pforten des Wissens. Ohne Macht für das Volk kein Wissen! Wissen ist Macht - Macht ist Wissen!“ (Liebknecht 1981, 24 ff.). Da dieses Konzept allem An- schein nach Erfolge zeitigte, die weder durch das Verbot sozialdemokratischer Organisationen („Sozialistengesetz“ 1878-1890) noch durch die BISMARCKsche Sozialpolitik (vgl. o., S. 287) oder dessen Mittelstandsförderung im gewünschten Maße einzudämmen waren, suchte die Administration um die Wende zum 20. Jahrhundert vordringlich Mittel und Wege zur Integration der Arbeiterjugend in die industrialisierte Monarchie (sehr ausführlich dazu: Stratmann 1992/a). In die- sen Kontext gehört auch der im Frühjahr 1900 von der „Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt“ ausgelobte Preis für die beste Antwort auf die Frage: „Wie ist unsere männliche Jugend von der Entlassung aus der Volksschule bis zum Eintritt in den Heeresdienst am zweckmäßigsten für die staatsbürgerliche Gesellschaft zu erziehen?“ (zitiert nach Kerschensteiner 1906, V) Den Preis errang der Münchner Stadtschulrat GEORG KERSCHENSTEINER, der kur- zerhand seine Begründung für die von ihm in München initiierte und bereits be- schlossene Reform der beruflichen Bildung unter dem Titel „Staatsbürgerliche Er- ziehung der deutschen Jugend“ als Wettbewerbsbeitrag eingereicht hatte. Sein Credo war, man müsse „die Erziehung zur beruflichen Tüchtigkeit an die Spitze stellen. Sie ist die conditio sine qua non aller staatsbürgerlichen Erziehung“ (Ker- schensteiner 1906, 16). Diese Erziehungsaufgabe konnte nach KERSCHENSTEI- NERs Überzeugung aber weder der bereits existierenden allgemeinen Fortbil- dungsschule noch den Handwerksmeistern übertragen werden, denn „die allge- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 326 ] meine obligatorische Fortbildungsschule war den Schülern gleichgültig, den Meis- tern lästig, den Lehrern ein Gegenstand vergeblicher Liebesmüh“ (Kerschenstei- ner 1954, 121) und „unser Meisterstand ist im allgemeinen, dank der unglaubli- chen Vernachlässigung, die man ihm Jahrhunderte hindurch hat angedeihen lassen, untauglich zur Erziehung und vor allem zur staatsbürgerlichen“ (Ker- schensteiner 1906, 44 f.). Deshalb setz- te er in München, der Haupt- und Resi- denzstadt des Königreiches Bayern, zwischen 1901 und 1910 die Umgestal- tung der allgemeinen in eine nach Ge- werben gegliederte, die betriebliche Ausbildung begleitende Pflichtfortbil- dungsschule durch und weil damit „das Programm der beruflich organisier- ten Pflichtfortbildungsschule endgültig zur allgemein akzeptierten Leitlinie der Fortbildungsschulpolitik“ (Greinert 1993, 57) wurde, kann man in KERSCHENSTEINERs Münchner Schulreform zu Recht die Initialzündung für die Entstehung der institutionalisierten dualen Berufsausbil- dung in Deutschland sehen. 167 Mit seiner Idee der Integration der Berufserziehung in die staatsbürgerliche Sozialisa- tion öffnete KERSCHENSTEINER den sinnentleerten Berufsbegriff für neue Inhalte und Funktionen, die er aus einem utilitaristischen Menschenbild und seinem idealistisch- objektivistischen Staatsbegriff deduzierte: „Die Aufgabe der staatsbürgerlichen Erzie- hung ist also, die Bürger so zu erziehen, daß ihre Tätigkeit bewußt oder unbewußt, di- rekt oder indirekt dazu dient, den konkreten Verfassungsstaat, den sie bilden, diesem unendlich fernen Ideale eines sittlichen Gemeinwesens näher und näher zu führen. Ziel und Aufgabe sind damit für alle Zeiten und Verhältnisse unveränderlich gegeben. Welcher Art auch die Rechtsverfassung des konkreten Staates jeweils sein mag, und 167 Ausführlich äußert sich dazu das VISUBA-Teilkonzept: DEMMEL, Walter und PÄTZOLD, Günter: Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf. München/Dortmund 2004. Bild 176: Titelseite der „Gekrönten Preisschrift“ von GEORG KERSCHENSTEINER 1901 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 327 ] welcher Art auch die bürgerliche Beschäftigung des Zöglings im Rahmen dieses Rechtsstaates ist, der Bürger wird, indem er dem Ideale dient, immer zugleich auch im rechten Dienst der bestehenden Verfassung sich befinden, mag sie seiner Staatsauffassung entsprechen oder nicht“ (Kerschensteiner 1912, 32 f.). Indem er die berufliche Ausbildung zum tüchtigen Handwerker als Dienst am „konkreten Verfas- sungsstaat“ aufwertet, wird die Berufsarbeit allgemein zum Dienst an der Volksge- meinschaft idealisiert und damit nicht nur die individuelle „innere“ Berufsfunktion, sondern auch die soziale, gesellschaftlich vermittelte Gemeinschaftsfunktion des Be- rufes neu definiert und idealistisch überhöht. Sein Freund ALOYS FISCHER bringt dieses Berufsverständnis 1924 in seinem pro- grammatischen Aufsatz über die „Humanisierung der Berufsschule“ auf den Punkt: „Das Wiedererwachen des Berufsgedankens ist ein Symptom für diese Wen- dung; denn im Beruf wird die Bezogenheit der Arbeit, die sonst Spiel, Erwerb oder Notdurft bleibt, auf eine letzte sachliche Bestimmung geglaubt oder mindestens gesucht, mindestens auf die Menschlichkeit, die humanitas, welche als erst durch die Arbeit sich selbst gestaltend und vollendend gesehen wird. So ist die Wen- dung vom Fach zum Beruf Symptom einer tieferen Wendung vom Teilmen- schentum zum Vollmenschentum, wächst die Berufsbildung über die Facherzie- hung hinaus durch den humanistischen Endzweck auch der Arbeit, muß deshalb Bild 177: Zahlreiche Künstler der Weimarer Republik setzten sich kritisch mit der industriellen Arbeitsalltag auseinander. HANS SCHMITZ (1896-1977) „Arbeiterausbildung“. Linolschnitt 1921 (Institut 1985, 214) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 328 ] die Erziehung und Bildung außer der Abrichtung für beschränkte Wirtschaftszwe- cke und der Tauglichmachung für eine Leistung Vorkehrungen für die Entwicklung und Pflege der Humanität enthalten. Daß dabei das Zeitalter der ersten Morgen- dämmerung einer neuen Lebensanschauung in der Wahl der Mittel, die diese Humanisierung der Arbeitserziehung gewährleisten sollen, sich wieder vergriff, - so, wenn sie statt des Menschen den Staatsbürger im Arbeiter, den Ge- sellschaftsgenossen im Fachmenschen kultivierte - kann nicht überraschen, darf aber auch nicht als letztbefriedigende Lösung akzeptiert werden. Beruf im echten Sinn und Berufsgesinnung erwachsen nur auf dem Boden einer Weltanschauung, und darum ist die Linie, in der sich die weitere Entwicklung vollziehen wird, zwei- fellos in der Umschaffung der heutigen Bildung als eines Dressursystems für irdi- sche Arbeitszwecke zu einem Organ der persönlichen Weltanschauungsschöpfung zu suchen und zu erwarten“ (Fischer 1950, 348; Hervorhebungen von mir. HD.; zu FISCHERs und KERSCHENSTEINERs Berufsbegriff vgl. Müllges 1967). Diese Idealisierung des Berufs, die auf der Prämisse beruht, „daß zwischen Ar- beit und Beruf ein bedeutender Unterschied vorliegt, [denn] im Begriff des Berufs liegt unendlich mehr, als in dem der Arbeit“ (Dunkmann 1922, 174), dominierte bis weit in die 1960er Jahre hinein die Diskussionen über ein adäquates Berufskon- zept. Dies setzt deshalb in Erstaunen, weil sich der hergebrachte Berufbegriff aus- schließlich am überkommenen handwerklichen Berufsideal vergangener Zeiten orien- tieren wollte und auch konnte, weil die Arbeitspraxis der tayloristisch-fordistischen In- dustrie als Folge einer hoch spezialisierten prozessualen Arbeitsteilung zunächst weder eine umfassende, zu einer Berufstätigkeit führende Ausbildung noch Be- rufsarbeit als solche vorsah, sondern sich mit einem zeitlich wie inhaltlich auf das Notwendigste beschränkten Anlernen der Arbeitskräfte für die jeweils auszufüh- rende reduzierte und weitgehend standardisierte Einzeltätigkeit begnügte: „Das Fehlen von Lehrlingen wurde im 19. Jahrhundert als wichtigstes Merkmal der Fab- rik angesehen“ (Pätzold 1989, 271). Die Hinwendung der Industrie zur Beruflich- keit und die Fixierung der Industrieberufe setzte zwar bereits in den 1890er Jahren ein, vollzog sich aber endgültig erst in der Epoche der Weimarer Republik. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 329 ] 5.2.3 „Der Beruf ist eine Funktion der Gemeinschaft“ Die ökonomische Notwendigkeit, auch die industrielle Arbeit in beruflichen Katego- rien zu systematisieren und die Ausbildung zu standardisieren, zeichnete sich be- reits vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend deutlicher ab, denn ungelernte und an- gelernte Arbeitskräfte waren aufgrund der technischen Entwicklung immer we- niger in der Lage, die steigenden Qua- lifikationsanforderungen in den Indus- triebetrieben zu erfüllen: „Vor allem für die Fachkräfte in den Bereichen des Maschinenbaus, der Elektrotechnik und der Eisenhüttenindustrie wurden je nach Einsatzort die Beaufsichtigung, Handhabung, Bedienung, Wartung oder Reparatur von Maschinen und Werk- zeugen sowie das Verständnis für Ar- beitsvorgänge und -zusammenhänge, die außerhalb ihres engeren Arbeitsge- bietes lagen, immer bedeutsamer. Der handwerklich versierte, ‚wendige’, tech- nisch durchgebildete, ‚denkende Fach- arbeiter’ wurde deshalb als Leitbild maßgebend für den Ausbau einer ei- genständigen industriellen Berufsausbildung, und die Lehrwerkstatt wurde, auch wegen der fehlenden planmäßigen und systematischen Ausbildungsmöglichkeiten in den Produktionsstätten, zum entscheidenden Ausbildungs- und Erziehungs- ort. […] Programmatisch erklärte der Leiter des Arbeitsausschusses für Berufs- ausbildung, DR. FRANZ SCHÜRHOLZ, 1926 in seinem Einleitungsartikel zur Heraus- gabe der Zeitschrift ‚Technische Erziehung’: ‚Der Fortschritt der Technik, die Ver- vollkommnung der Maschinen und damit verbunden die verbesserten Arbeitsver- fahren stellen an das berufliche Können der Arbeiter veränderte und wachsende Ansprüche. [...] Weil die industrielle Betriebspraxis diesen Entwicklungen schneller Bild 178: Diese Allegorie illustriert die Universalität der Elek- trizität als Energiequelle für die „mechanische Bearbeitung der Rohstoffe“ (Glaser 1981, 31). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 330 ] Rechnung tragen muß als die handwerkliche, ergeben sich Trennungsnotwendig- keiten der Berufsausbildung.’“ (Pätzold 1989, 271; Hervorhebungen von mir. HD.; vgl. Muth 1985, 318 ff.). Die Bestrebungen, Industrieberufe mit normierter Ausbildung zu installieren, er- hielten bereits 1908 einen institutionellen Rahmen durch die Gründung des Deut- schen Ausschusses für Technisches Schulwesen (DATSCH), der zusammen mit dem 1925 ins Leben gerufenen Arbeitsausschuss für Berufsbildung (AfB) die Ein- teilung in Facharbeiter, angelernte Arbeiter und ungelernte Arbeiter durchsetzte. Das ebenfalls 1925 gegründete Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA) übernahm dagegen die Entwicklung von Ausbildungsprogrammen mit der Zielsetzung, die industrielle Berufsarbeit ideologisch mit den unternehmerischen und staatlichen Interessen zu harmonisieren. Zu diesem Zweck knüpfte DINTA an dem von DUNKMANN 1922 in seiner „Lehre vom Beruf“ formulierten „soziologi- schen Berufsbegriff“ an, der den Beruf zwar zum Wert adelte, der das menschli- che Individuum definiert, ihn aber zugleich völlig aus der subjektiven Sphäre indi- vidueller Interessen löste und zur ausschließlichen Gemeinschaftsfunktion stilisier- te: „Der Beruf ist eine Funktion der Gemeinschaft, er ist abgezogen von ihr überhaupt nicht da und ist nur in dem Grade da, als die Beziehung auf die Ge- meinschaft wirksam ist. Er ist daher zunächst eine Funktion, und darauf ist be- sonders zu achten. […] Wie die Glieder eines Organismus verschiedenartige Leis- tungen verrichten, die einen wirkliche ‚Arbeit’, die anderen nur als ‚Wachtposten im Bild 179: Massenproduktion in der Elektro-Kleinmotorenfabrik der AEG. Foto um 1900 (Regenhardt/Tatsch 2002, 160) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 331 ] Daseinskampf’, so auch in der sozialen Gemeinschaft. Beruf ist einfach eine ‚Funktion’, und zwar des Ganzen, nicht eine Funktion des einzelnen. Berufsarbeit ist freilich immer und überall eine bewußte, wache Tätigkeit, insofern eine Inan- spruchnahme des Individuums, aber doch stets und notwendig im Dienst der Ge- meinschaft und aus den Lebenskräften derselben“ (Dunkmann 1922, 189 f.). Das auf dieser Vorgabe beruhende Ausbildungsprogramm des DINTA wurde ab Mitte der 1920er Jahre in den Lehrwerkstätten der Großbetriebe praktiziert. Sie versuchten „mit ihren psychotechnischen Eignungsprüfungen und ihrer ‚strengen Disziplin’ den neuen ‚deutschen Arbeitertyp’ zu formen. Betriebliche Ausbildung und Arbeit wurden zum ‚Exerzierplatz des praktischen Lebens’, in der die ‚Solda- ten der Arbeit’168 ausgebildet werden sollten. Holz wie Eisen wurden als die Werk- stoffe angesehen, die die kämpferischen Eigenschaften des deutschen Menschen, wie Kraft, Zähigkeit und Disziplin, zur Entfaltung bringen und den ‚wehrhaften und führbaren Menschen’ erziehen sollten. […] 1933 wurde das DINTA in die DAF ein- gegliedert und ging 1935 gänzlich in einem ‚Amt für Berufserziehung und Betriebs- führung’ auf. Die durchgängige Richtschnur seiner Arbeit - der Dreiklang tüchtiger 168 So der Titel eines Buches von ROBERT LEY, das 1938 erschienen ist. Bild 180: Lehrwerkstätte der Siemens-Schuckert-Werke in Nürnberg. Anfangsausbildung und Dreherei. Fotografie um 1918 (Schneider/Stockmeyer 1994, 12) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 332 ] Fachmann, wendiger Könner und anständiger Mensch - wurde jetzt dadurch er- gänzt, daß in den Jugendlichen ein ‚nationalsozialistisches Gewissen’ hervorge- bracht werden sollte. Der Führergedanke und die Gemeinschaftsideologie sollten zur Sinngebung der einzelnen Persönlichkeit führen. Die DINTA-Auffassungen der prinzipiellen Höherrangigkeit der Gemeinschaft vor der individuellen Existenz deckten sich in hohem Maße mit der nationalsozialistischen Ideologie, so daß es nach 1933 kaum nötig war, eine Anpassung der DINTA-Theorie an die Ideologie des Nationalsozialismus vorzunehmen“ (Pätzold 1989, 277 f.; vgl. dazu auch Pät- zold 1987, 91 ff.; Seubert 1976, 70 ff. und 1977, 61 ff.). Die von DUNKMANN formulierte Ge- meinschaftsfunktion des Berufs präg- te also den nationalsozialistischen Berufsbegriff, der, wie das nachste- hende Zitat aus dem 1942 entstan- denen Entwurf eines Berufserzie- hungsgesetzes dokumentiert, sei- nerseits nahtlos in die rassistisch- antisemitische und antikommunisti- sche Ideologie der „Volksgemein- schaft“ integriert war: „Dem Wort ‚Be- ruf’ liegt ‚Berufung’ zu Grunde, ein Begriff, der seinerseits eine beson- dere, Dienst und Entfaltung fordernde Kraft und eine bestimmte Anlage des ein- zelnen voraussetzt. Entgegen früheren Anschauungen, die teils kirchlich- dogmatisch, teils individualistisch-, teils kollektivistisch-materialistisch, teils univer- salistisch-ständisch bestimmt waren, betont die nationalsozialistische Lehre vom Beruf, daß diese Berufung von der Volksgemeinschaft und der durch die Volks- zugehörigkeit begründeten rassischen Anlage des einzelnen Volksgenossen ausgesprochen wird. Dabei ist die Volksgemeinschaft also schon der entschei- dende Ausgangspunkt, nicht erst das erwünschte Ergebnis: Nicht durch den Beruf zur Volksgemeinschaft, sondern von der Volksgemeinschaft her zum Beruf als ei- ner Entfaltung und Steigerung der Ordnung und Kraft der Volksgemeinschaft. Be- ruf ist in diesem nationalsozialistischen Sinne somit eine von der Volksgemein- schaft ermöglichte und geforderte Funktion, ein Dienst, der zugleich für den Bild 181: Psychotechnische Eignungsprüfung. Aus der Originalbild- unterschrift: „Die Aufmerksamkeitsprüfung. Der Prüfling steht in einem Feld, in welchem an allen Seiten viele kleine Glühbirnen befestigt sind. Plötzlich leuchtet eine der vielen kleinen Lampen auf. Die Zeit vom Aufleuchten bis zum Auffinden und Auslöschen der Lampe wird mit einem Zeit- messer festgestellt“ (Schneider 1999, 367). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 333 ] Volksgenossen natürliche Sinnerfüllung und Entfaltung seiner Persönlich- keit ist. Diese Berufsauffassung deckt sich mit der nationalsozialistischen Ar- beitslehre, denn deutsche Arbeit ist nach nationalsozialistischer Auffassung Dienst und Entfaltung der Persönlichkeit in der Volksgemeinschaft und für die Volksgemeinschaft. […] Danach kann man Arbeit und Beruf wohl gegenwärtig am besten so zusammenstellen: Arbeit im nationalsozialistischen Sinne ist Beruf.169 Beruf ist eine durch den Dienst-, den Einsatz- und den Persönlichkeitsgedanken gekennzeichnete besondere Haltung bei der Arbeit. Allein die Ausübung der Arbeit als Beruf sichert den dauernden Bestand der Volksgemeinschaft“ (Pätzold 1982, 96). Diese Definition verdeutlicht einmal mehr, dass eine Bewertung des nationalsozia- listischen Berufskonzepts stets von der Tatsache auszugehen hat, dass auch die- ses integraler Bestandteil der NS-Ideologie war. Jede Darstellung der Neuordnung der Beruflichkeit in der NS-Zeit muss daher deren innenpolitische Funktion bei der Umsetzung der rassistisch-antisemitischen Politik ebenso berücksichtigen wie die außenpolitischen Zielsetzungen. Da die außenpolitischen Forderungen: „Revision des Versailler Vertrages“ und Gewinnung von „Lebensraum im Osten“,170 „legali- siert“ durch das auf dem Sozialdarwinismus basierende „Recht des Stärkeren“, unausweichlich in einen Krieg münden mussten, orientierte sich die beruflich Neu- formierung in der NS-Zeit primär nicht an berufsspezifischen und wirtschaftlichen, sondern an ideologischen und militärischen Kategorien.171 169 Die ausdrückliche Festlegung, Arbeit und Beruf seien für den Nationalsozialismus Synonyme, hat zur Folge, dass die beiden Termini auch im Rahmen dieser Studie für die NS-Zeit nicht gegeneinander abgegrenzt zu werden brau- chen und die oben dargestellten ideologischen Implikationen des Arbeitsbegriffs (vgl. o. S. 300 ff.) auch dem Termi- nus Beruf zugeordnet werden können (vgl. dazu auch Wolsing 1977, 22). 170 HITLER hatte in „Mein Kampf“ das Ziel unmissverständlich formuliert: „Demgegenüber müssen wir Nationalsozialis- ten unverrückbar an unserem außenpolitischen Ziele festhalten, nämlich dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern. […] Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bo- denpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Li- nie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken. […] Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zu- sammenbruch. Und das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende Russlands als Staat sein. Wir sind vom Schicksal ausersehen, Zeugen einer Katastrophe zu werden, die die gewaltigste Bestätigung für die Rich- tigkeit der völkischen Rassentheorie sein wird“ (Hitler 1933, 739, 742 f.). 171 Leider gilt noch immer die bereits von PÄTZOLD 1989 getroffene und von KIPP und MILLER-KIPP 1995 bestätigte Feststellung, dass gerade im Bereich der Erforschung des nationalsozialistischen Berufskonzepts noch erhebliche Lücken zu schließen seien (vgl. Pätzold 1989, 263; Kipp/Miller-Kipp 1995, 25). Einen Beitrag zur Schließung dieser Lücken leistet im Rahmen von VISUBA das Teilkonzept: BAUER, Thorsten: Genese des Dualen Systems der Be- rufsausbildung am Beispiel der luftfahrttechnischen Berufe. Aufarbeitung der Geschichte und Entwicklung von Aus- stellungskonzepten im Rahmen des Modellversuchs VISUBA. Kassel 2003, bes. S. 55-148. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 334 ] Die zentrale Funktion bei der Umsetzung der NS-Ideologie in die Arbeits- und Be- rufspraxis des NS-Staates hatte die DAF übernommen, deren Status und Aufga- ben am 24. Oktober 1934 mit der Verordnung des Reichskanzlers über Wesen und Ziel der DAF verbindlich festgelegt wurden: „Die Deutsche Arbeitsfront ist die Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust. In ihr sind ins- besondere die Angehörigen der ehemaligen Gewerkschaften, der ehemaligen An- gestelltenverbände und der ehemaligen Unternehmervereinigungen als gleichbe- rechtigte Mitglieder zusammengeschlossen. […] Ziel der Deutschen Arbeitsfront ist die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, daß jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzen für die Volksge- meinschaft gewährleistet“ (zitiert nach Michalka 1994, 57 f.). Zur Realisierung die- ser Zielsetzungen schaltete die DAF konkurrierende Organisationen wie die 1928 gegründete Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) weitgehend aus, drängte den Einfluss von Behörden wie des Reichsarbeitsministeriums zu- rück und baute eine weit verzweigte Organisation mit 35.000 hauptamtlichen und Bild 182: Das Werbeplakat aus dem Jahre 1940 zeigt die Tätigkeitsgebiete und die Organisation der Deutschen Arbeitsfront (Möller u. a. 2001, 135). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 335 ] einer Million ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf, die im Jahre 1938 fast 20 Millionen DAF-Mitglieder repräsentierten, verwalteten und rundum betreuten (vgl. Schneider 1999, 172 ff.). Dieser umfassende Betreuungsanspruch der DAF wurzelte zu einem Teil auch im persönlichen Machtwillen und in der ideologischen Überzeugung ROBERT LEYs. Mit seinen eigenen Worten: „Das Volk ist ein Kind, störrisch, trotzig und unartig, wie nun Kinder einmal sind, und ebenso gläubig und treu und liebebedürftig, wie Kinder es sind. Ein Volk will betreut werden, und es muß betreut werden. Das Volk hat einen Anspruch darauf, von seiner Führung gehegt und gepflegt zu werden. Es war die größte Torheit des demokra- tischen Systems, zu glauben, daß sich ein Volk selbst führen kann.“ Daraus lei- tete er den Anspruch ab: „Die Arbeits- front muß den Alltag des Menschen ordnen. [...] Sie muß dafür sorgen, wie der Mensch an seinem Arbeitsplatz ein- geordnet ist“ (zitiert nach Schneider 1999, 195). Im Vordergrund dieser all- umfassenden Betreuung der „Volksge- nossen“ stand also nicht das Ziel, die Arbeitswelt zu humanisieren und das tägliche Leben der Arbeitnehmer zu verbessern, vielmehr sollte sie die Men- schen rüsten für den von der NS-Ideologie ständig beschworenen Überlebenskampf der Gemeinschaft und diese vorbereiten auf den für unausweichlich gehaltenen Kampf um den „Lebensraum im Osten“. Um diese systemimmanente „Rundum- Betreuung der Arbeitnehmer“ möglichst effizient realisieren zu können, verteilte die DAF ihre vielfältigen Aufgaben auf eine kaum überschaubare Zahl von Institutionen, deren Kompetenzbereiche sich z. T. überschnitten. Hier eine knappe Zusammen- fassung der wichtigsten dieser „Ämter“ und ihrer Aufgaben: Bild 183: Werbeplakat (1933) für die Deutsche Arbeitsfront. Die Grafik veranschaulicht die NS-Ideologie, man habe „Ar- beiter der Stirn und der Faust zusammengeführt“ und damit „das einem überheblichen Intellektualismus ent- sprungene Vorurteil, daß Handarbeit etwas Minder- wertiges sei, ausgerottet“ (Bild: Arnold 1972, Nr. 98; Zi- tat: Hierl 1935, 82). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 336 ] • Das Amt Werkschar und Schulung hatte die Funktion, die nationalsozialisti- sche Kampfmoral der Arbeiterschaft durch ideologische Schulung zu festigen und die uniformierten „Werkscharen“ sollten als Multiplikatoren die Kampag- nen der DAF vor Ort in den Betrieben unterstützen. • Das Arbeitswissenschaftliche In- stitut (AWI) widmete sich sozialpo- litischen Forschungen sowie der Untersuchung von Problemen der Lohnpolitik mit dem Ziel, Anre- gungen für die nationalsozialisti- sche Gestaltung des Arbeits- und Sozialrechts zu entwickeln. • Die umfassenden Aufgaben der sozialen und gesundheitlichen Be- treuung und Beratung sowie der Hilfe in sozialen Notlagen waren auf mehrere Einrichtungen verteilt: auf das Amt für Rechtsberatungs- stellen (Fragen des Arbeitsrechts und Vertretung in Arbeitsgerichts- prozessen, Rechtsschutz), das Frauenamt (Schutz der Frau als „Mutter des Volkes“, Haushaltsberatung), das Jugendamt (Erziehung der Jugendlichen in ihrer Berufsarbeit zu Trägern des nationalsozialistischen Denkens, Überwa- chung der Lehrlingsausbildung), das Reichsheimstättenamt (Beratung von Bauträgern in Fragen des Wohnungs- und Siedlungswesens, Planung der Inf- rastruktur in Wohnsiedlungen), das Amt Haus und Heim (Förderung der „deut- schen Wohnkultur“) sowie auf das Amt für Volksgesundheit (ärztliche Betreu- ung im Betrieb, körperliche Ertüchtigung am Arbeitsplatz, Beratung in Frage der „Rassenhygiene“). • Die Entwicklung von Konzepten und Programmen zur Berufsausbildung und Leistungsförderung sowie die Überwachung ihrer Realisierung oblag dem Amt Berufserziehung und Betriebsführung. Die Arbeit des Amtes wurde we- Bild 184: Die Originalbildunterschrift: „Betriebgemein- schaft = Volksgemeinschaft. Die Werkschar-Kapelle erfreut in den Arbeitspausen die Gefolgschaft durch fröhliche Weisen“ (Schneider 1999, 575). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 337 ] sentlich geprägt durch dessen Leiter, KARL ARNHOLD (1884-1970),172 der zu- vor Chef des DINTA gewesen war. Als ehemaliger Freikorps-Kämpfer, fana- tischer Antisemit und ab 1933 überzeugter Nationalsozialist ging er von der Annahme eines spezifisch „deutschen Arbeitscharakters“ aus. Deshalb sah er die Aufgabe seiner Institution vor allem darin, die in Berufser- ziehung und Berufsarbeit wirken- den „blutmäßigen Kräfte“ zu stär- ken und so zur „wehrhaften Arbeit“ zu befähigen. Daneben hatte ARN- HOLDs Amt die Aufgabe, Ba- sisdaten für die zentrale Berufs- lenkung zu ermitteln, und selbst- verständlich nahm es auch massi- ven Einfluss auf die Lehrlingsaus- bildung, u. a. durch den seit dem 1. März 1934 jährlich stattfinden- den Reichsberufswettkampf, an dem zuletzt 1939 3,5 Millionen ju- gendliche Wettkämpfer teilnah- men: „Die Berufswettkämpfe dien- ten […] einerseits zur propagandistischen Aufwertung der Arbeit und ande- rerseits zur Stärkung der Leistungsbereitschaft sowie der Wirtschaftskraft“ (Schneider 1999, 216; vgl. dazu bes. Wolsing 1977, 496-545). • Das Amt Soziale Selbstverantwortung hatte dafür zu sorgen, dass sich auf allen Gebieten der Sozialwirtschaft der Gedanke der Selbstverantwortlichkeit durchsetzte. In diesem Zusammenhang führte das Amt den Leistungswett- kampf der deutschen Betriebe um die Auszeichnung als „Nationalsozialisti- scher Musterbetrieb“ durch. Bewertet wurden dabei die Umsetzung des Füh- rerprinzips, der Umfang der betrieblichen Sozialleistungen, die Maßnahmen zur Berufserziehung, die Sicherheit am Arbeitsplatz etc. Eng damit verbun- 172 ARNHOLD konnte wie so viele andere nach 1945 seine Karriere u. a. als Leiter der Holzfachschule Bad Wildungen ungebrochen fortsetzen und wurde 1960 sogar mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet (vgl. Kipp 1995, 31 f.; zur Betriebspädagogik KARL ARNHOLDS vgl. bes. Wolsing 1977, 33-63). Bild 185: Aufruf zum Reichsberufswettkampf (Zentner/Be- dürftig 1993, 256, Farbtafel 6) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 338 ] den war das Aufgabenfeld des Amtes Schönheit der Arbeit, „die Arbeitswelt des schaffenden Menschen schön, würdig und gesund zu gestalten, und zwar nicht nur mit dem Ziel einer Leistungssteigerung, sondern auch aus kul- turellen Gründen“ (Schneider 1999, 225; vgl. dazu bes. Friemert 1980). • Die populärste Einrichtung der DAF war aber ganz sicher die NS- Gemeinschaft Kraft durch Freude (KdF), die am 27. November 1933 mit dem Ziel gegründet wurde, die gesamte Freizeit der deutschen Arbeitnehmer in die nationalsozia- listische Ideologie der „Volksge- meinschaft“ zu integrieren. Am at- traktivsten war hier wohl das Ange- bot des Amtes Reisen, Wandern, Urlaub, das mit großem propagan- distischen Aufwand beworbene günstige Urlaubsreisen ins Ausland und Schiffsreisen organisierte; den zuhause Gebliebenen stellte das Amt Feierabend deutsch- und hei- mattümelnde Freizeitaktivitäten von der Volkstanzgruppe über Filmvor- führungen bis zu Theater- und Opernaufführungen zusammen, das Freizeit- programm des KdF-Sportamtes umfasste Leibesübungen gemäß den natio- nalsozialistischen Ertüchtigungsidealen und die Gesellschaft zur Vorberei- tung des Deutschen Volkswagens versprach „in 10 Jahren jedem schaffen- den Deutschen einen Volkswagen“ (Schneider 1999, 232). • Nicht zuletzt unterhielt die DAF mit dem Amt Information, einen eigenen Spit- zeldienst, der gezielt ehemalige Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten überwachte und dabei eng mit der Gestapo kooperierte. Von Anfang an hatte sich die DAF-Gemeinschaft aktiv am Aufspüren charakter- lich und politisch Missliebiger beteiligt und sie den staatlichen „Umerzie- Bild 186: Propagandaplakat der Abteilung „Reisen und Wandern“, der erfolgreichsten der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ (Berg 1994, 65) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 339 ] hungsmaßnahmen“ ausgeliefert, und wer den rassischen Anforderungen der DAF nicht entsprach, blieb ohnehin von allen Serviceleistungen der Organi- sation ausgeschlossen (vgl. Hanke 1967, 203). MICHAEL SCHNEIDER kommt in seiner detaillierten Analyse der Rolle der DAF im NS-Staat, auf die sich auch meine obigen Ausführungen stützen, zu dem abschließenden Urteil: „Schließlich sei nicht übersehen, daß die DAF auch eine Art Personalreserve für den weiteren Aufstieg im ‚Dritten Reich’ bot. Wer sich in den Führungsetagen der DAF be- währt hatte, konnte auf der Karriereleiter aufsteigen. FRITZ TODT [1891-1942] war Leiter des DAF-Amtes für technische Wissenschaften bevor er Chef des Baus der Autobahnen und des Westwalls und schließlich 1940 erster Minister für Be- waffnung und Munition wurde; ALBERT SPEER, [1905-1981], sein Nachfolger als Minister, hatte sich seine ersten Sporen als Leiter des DAF-Amtes ‚Schönheit der Arbeit’ verdient; und BODO LAFFERENTZ [1897-1974], der Leiter des Amtes ‚Reisen, Wandern, Urlaub’, wurde erster Chef des VW-Werks. Insgesamt war es also die Aufgabe der DAF, die für die Politik des Regimes notwendige Loyalität der Arbeitnehmerschaft zu sichern. Das gelang ihr mit der für das ‚Dritte Reich’ kennzeichnenden Mischung aus realen sozialen Ver- besserungen, überschwenglicher Propaganda sowie umfassender Organisation und Kontrolle, eben ‚Erziehung’ der Arbeitnehmer in Betrieb und Freizeit. Und die Ar- beitnehmer nahmen die materiellen Vergünstigungen mit, die ihnen die DAF bot - doch ob sie sie dafür schätzten, das war eine andere Frage“ (Schneider 1999, 242). Spätestens ab 1938 standen aber dann sämtliche Angebote und Leistungen der DAF unter dem Primat der Kriegsvorbereitung und wurden deshalb verstärkt an den Zielen Erhöhung der Leistungsbereitschaft und Erziehung zur „wehrhaften Arbeit“ ausgerichtet. Bild 187: Plakat für eine Kampagne des Amtes „Schönheit der Arbeit“ aus dem Jahre 1935 (Friemert 1980, Abb. 11) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 340 ] Parallel zu den Aktivitäten der DAF wurde die ideologische Gleichschaltung der Beruflichkeit auch über die schulische Berufsausbildung und die Berufspädagogik, auf die ja der NS-Staat konkurrenzlosen Zugriff hatte, vorangetrieben. Wichtiger als die entsprechende Gestaltung der Lehrpläne war dabei die „Säuberung“ der Lehrkörper auf allen Ebenen und die Neubesetzung der Stellen mit Lehrkräften, „die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“, wie es im „Berufsbeamtengesetz“ ausdrücklich hieß. Allen „diesen Pä- dagogen war eins gemeinsam: Berufserziehung erschien ihnen als das Instrumen- tarium, mit dem die Ansprüche der nationalsozialistischen Herrschaftsordnung an das Individuum zu verwirklichen waren“ (Seubert 1977, 37). Zu ihnen gehörten viele derjenigen, die wie KARL ABRAHAM, KARL ARNHOLD, WALTHER LÖBNER, OTTO MONSHEIMER, FRIEDRICH SCHLIEPER, FRITZ URBSCHAT u. v. a. nach dem Ende des NS-Regimes die bundesrepublikanische Berufspädagogik der 1950er und 1960er Jahre prägten (vgl. Seubert 1977). KIPP/MILLER-KIPP bringen dieses erstaunliche Skandalon in ihren „Erkundungen im Halbdunkel“ auf die eher beschwichtigend entdramatisierende Formel: Die „Berufspädagogik hat sich den herrschenden wirt- schaftlichen und politischen Interessen im Dritten Reich dienlich gemacht. Ein per- soneller Wechsel folgte diesem Engagement nicht“ (Kipp/Miller-Kipp 1995, 38). Dieses Fazit gilt allerdings für die beiden 1949 gegründeten deutsche Staaten nicht in gleicher Weise. 5.2.4 „Leistungen für die menschliche Bildung“ Im Vorfeld der Gründung der BRD hatten die Besatzungsmächte in den Westzo- nen infolge des Bruchs der Anti-Hitler-Koalition nach der ersten Entnazifizierungs- und Entlassungswelle bereits 1946 ihren Kurs geändert und beim Aufbau der öf- fentlichen Verwaltungen und der Restauration der westdeutschen Wirtschaft wie- der verstärkt auf die „belasteten“ Fachkräfte zurückgegriffen: „Die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten war im wesentlichen bereits Ende 1948 abge- schlossen. In Hessen waren 1945 im Zuge der amerikanischen Entlassungspraxis 34 Prozent der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes entlassen worden. Mitte 1949 befanden sich alle - bis auf 2 Prozent - wieder in Amt und Würden. Ende 1948 be- saßen nach Statistiken der Militärregierung 41,5 Prozent der Beamten der Bayeri- schen Staatsregierung einen ‚Nazi Taint’; von ihnen waren zwei Fünftel durchge- hend im Dienst beibehalten und drei Fünftel nach Abschluß ihres Spruchkammer- 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 341 ] verfahrens wieder übernommen worden. […] Für ehemalige Nationalsozialisten schließlich, die während der Besatzungszeit ihre Wiederanstellung nicht erreichen konnten, bot das 1951 erlassene Ausführungsgesetz zum Artikel 131 des Grund- gesetzes neue Möglichkeiten. Auf diesem Weg kamen zwischen Juli 1951 und März 1953 rund 39.000 Personen zu einer erneuten Anstellung im Staatsdienst. Der hohe Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder trug erheblich zur Leistungsfähig- keit von Verwaltung und Wirtschaft und damit zum schnellen Wiederaufbau nach dem Krieg bei“ (Vollnhals/Schlemmer 1991, 62). Anders war dieser Prozess der Entnazi- fizierung hingegen auf dem Gebiet der späteren DDR verlaufen. In der sowje- tisch besetzten Zone (SBZ) „bewirkten die von 1945-1948 durchgeführte Ent- nazifizierung und die gleichzeitig vor- genommene Säuberung des Lehrstoffs eine grundlegende Umgestaltung der Lehrerschaft und der Bildungsinhalte. Nach Kriegsende gab es in der SBZ an den allgemeinbildenden Schulen 39.346 Lehrerinnen und Lehrer, von denen über 20.000 wegen ihrer Zugehörigkeit zu NS-Organisationen aus dem Schul- dienst entlassen bzw. nicht wieder ein- gestellt wurden. Ähnlich war es im Hochschulbereich. An der Universität Leipzig konnten von 222 Lehrkräften nur 52, an der Universität Halle von 165 nur 70 ihre Lehrtätigkeit wieder aufnehmen. Wahrend sich an den Hochschulen die Maßnahmen zur Heranbildung einer parteipolitisch zuverlässigen ‚neuen Intel- ligenz’ erst am Anfang der fünfziger Jahre umfassend auswirken konnten, wurde im Schulwesen die Auswechslung von vorhandenen und die Ergänzung von feh- lenden Lehrkräften durch die kurzfristige Ausbildung von sog. Neulehrern inner- halb weniger Jahre herbeigeführt. Im April 1949 waren von den insgesamt 65.207 Lehrern an Grund- und Oberschulen 45.244 (69,3 %) Neulehrer. […] Analog zur Bild 188: Den Schutzumschlag dieses 1980 in der DDR einge- führten Lehrbuchs zierte ein in Chemnitz (damals Karl-Marx- Stadt) stehendes Bronzerelief von JOHANN BELZ mit dem Titel: „Kampf und Sieg der revolutionären deutschen Arbeiterklasse“ (Kossok 1981). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 342 ] weitreichenden Auswechslung des Lehrkörpers beschränkte sich die erforderliche Säuberung der Bildungs- und Erziehungsinhalte ebenfalls nicht auf die Entfernung faschistischen Gedankenguts“ (Führ/Furck 1998/b, 13). Im Entnazifizierungsgrad, in ihren ideologischen Grundlagen sowie in der Reichweite staatlicher Regelung und Normierung unterschieden sich Berufskonzeptionen und Ausbildungssysteme 173 der beiden 1949 gegründeten deutschen Staaten also erheb- lich, aber „vom Ausland her gesehen wiesen beide deutsche Staaten bestimmte ge- meinsame Merkmale der beruflichen Ausbildung auf, die trotz der politischen und ökonomischen Systemunterschiede bestehen blieben. Am wichtigsten war die be- triebszentrierte Form der Facharbeiterausbildung mit begleitendem theoretischen Un- terricht in einem staatlich geregelten und kontrollierten System normierter Ausbil- dungsberufe, im Unterschied zu einer primär schulisch organisierten Berufsausbil- dung oder einer rein betrieblichen Lehre. Obwohl man in der DDR die in der Bundes- republik hierfür verwendete Bezeichnung ‚duales System’ ablehnte, handelte es sich auch dort um ein Nebeneinander von berufspraktischem und schulischem Lernen. Die Bezeichnung Lehrling und Lehrlingsausbildung wurde, im Gegensatz zur Bundes- republik, auch amtlich beibehalten. Unter Berufsausbildung verstand man ausschließ- lich die Ausbildung für Facharbeiterberufe, wobei der Facharbeiterbegriff alle Perso- nen umfaßte, die eine Ausbildung in einem der 308 Ausbildungsberufe (1984) erfolg- reich abgeschlossen hatten“ (Eppelmann 1997, 139).174 Es zeigt sich also, dass auch in der gesellschaftlichen Realität der sozialistischen DDR, zu deren Gründungsmythen der radikale Traditionsbruch gehörte, jener von der deutschen Berufstradition geprägte, auf der gesellschaftlichen Arbeitsteilung beruhende traditionelle Berufsbegriff durchschlug, der in der Berufsarbeit eine andauernde, an eine Qualifikation gebundene, die individuelle und gesellschaftli- che Existenz sichernde Tätigkeit sah. Dies bedeutete für die an der marxistisch-le- ninistischen Ideologie orientierte DDR, den Widerspruch zwischen der arbeitsteili- gen Realität der sozialistischen Gesellschaft und der MARXschen These, alleine die Überwindung der Arbeitsteilung ermögliche die Auflösung der Entfremdungs- 173 Auf die Entwicklung der Berufsausbildung im Verlauf des 20. Jahrhunderts muss ich hier im Einzelnen nicht einge- hen, denn im Rahmen VISUBAS wird dieses Thema sehr ausführlich in folgenden Teilkonzepten behandelt: DEM- MEL, Walter und PÄTZOLD, Günter: Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf. München/Dortmund 2004; BECKMANN, Bernhard: Ziele, Prinzipien und Funktionen beruflicher Bildung. Magdeburg 2004. 174 Zur Darstellung des Berufskonzepts der DDR und ihres Berufsbildungssystems vgl. bes. Fey 1982; Waterkamp 1987, 169-226; Biermann 1990 und Führ/Furck 1998/b, 257-279. 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 343 ] zusammenhänge und den Übergang zum Kommunismus (vgl. o., S. 266), in ihrer Berufsauffassung aufheben zu müssen. Dieses Dilemma suchte die DDR definito- risch zu lösen, indem sie die Disponibilität des Facharbeiters als Mobilität in den sozialistischen Persönlichkeits- und Berufsbegriff integrierte und die Berufsbildung terminologisch eng mit der Allgemeinbildung verknüpfte: „Die Disponibilität ist ein objektives Erfordernis der modernen Großproduktion. Sie bedeutet vor allem viel- seitige Einsetzbarkeit des Facharbeiters im Arbeitsprozeß. Sie ist Disposition des Facharbeiters, den gesellschaftlich notwendigen Wechsel der Arbeit vollziehen zu können. Die berufliche Disponibilität als wichtige Bedingung und wesentlicher Be- standteil der allseitig entwickelten Persönlichkeit wird im Sozialismus auf der je- weiligen Qualifikationsstufe u. a. durch eine wissenschaftlich fundierte Grundla- genbildung gesichert, die engste Beziehungen zur Allgemeinbildung hat. Diese breite Grundlagenbildung trägt in der Berufsausbildung maßgeblich dazu bei, • die Facharbeiter zu befähigen, in die Prozesse und funktionalen Beziehun- gen der Produktion und der ihnen zugrunde liegenden Gesetze und Prinzi- pien einzudringen; • bei den Facharbeitern das Vermögen zu entwickeln, sich auf der Grundlage des angeeigneten Wissens nach Abschluß der Ausbildung ständig weiterzubilden; • Motive, Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen zu entwickeln, die die Facharbeiter benötigen, um in einer modernen wissenschaftlich organisier- ten und geleiteten Produktion Arbeitsergebnisse hoher Qualität zu erreichen. In der Berufsausbildung ist die Gewährleistung einer hohen Disponibilität auf dem Wege einer breiten Grundlagenbildung untrennbar mit der Konzeption zur Ver- breiterung der Profile der Ausbildungsberufe insgesamt verbunden“ (Zentralinstitut 1984, 19). Zielstellung dieser durch eine „breite Grundlagenbildung“ zu schaffenden „Dispo- nibilität“ des Facharbeiters war, den Vorwurf, die sozialistische Gesellschaft basie- re auf einer der kapitalistischen Spezialisierung gleichenden entfremdeten Berufs- arbeit, zu entkräften. Welche gesellschaftliche Rolle dabei dem als Produkt aus sozialistischer Allgemeinbildung und sozialistischer Berufsausbildung verstande- nen Beruf zugeschrieben wurde, ergibt sich aus den Funktionen der beruflichen Bildung in der DDR: Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 344 ] „Das Ziel der sozialistischen Berufsausbildung besteht darin, sozialistische Fach- arbeiter mit einem festen Klassenstandpunkt, gefestigtem politischen Wissen und soliden beruflichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auszubilden, die • sich als Angehörige der Arbeiterklasse ihrer Verantwortung für die weitere Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft bewußt sind, • als Patrioten des sozialistischen Vaterlandes, als Internationalisten und feste Freunde der Sowjetunion denken und handeln, • bereit sind, den Sozialismus gegen alle Feinde zuverlässig zu schützen, • den Anforderungen gerecht werden, die sich aus der Intensivierung, aus der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und aus der sich vertiefenden sozialistischen ökonomischen Integration ergeben, und die fähig und bereit sind, zum Leistungszuwachs in der Volkswirtschaft beizutragen. Das Ziel der sozialistischen Berufsausbildung ist unmittelbarer Ausdruck der grundlegenden gesellschaftlichen Anforderungen an den Facharbeiter als Prototyp der sozialistischen Arbeiterpersönlichkeit“ (Zentralinstitut 1984, 22 f.). Während die DDR also sowohl die individuell-subjektiven Aspekte der Beruflich- keit als auch das Berufskonzept insgesamt voll in den stalinistischen Marxismus- Leninismus integrierte und so dem gesellschaftlichen Primat unterordnete, res- taurierte in der BRD - zugespitzt formuliert - das Personal des untergegangenen NS-Staates das Berufskonzept der Weimarer Republik175 und assimilierte dabei auch eine Reihe von Elementen, die der Nationalsozialismus dem tradierten Be- rufskonzept hinzugefügt hatte. Zu nennen wären hier vor allem (vgl. Pätzold 1989, 264 ff.): • der „große Befähigungsnachweis“ (eingeführt 1935 als Voraussetzung für die Lehrlingsausbildung sowie das reguläre Erlernen eines Handwerks als Be- dingung für die Niederlassung als selbstständiger Handwerker und den Ein- trag in die Handwerksrolle); 175 ROLF SEUBERT weist in seiner Analyse des „berufspädagogischen Erbes und seiner Betreuer“ sogar nach, dass das bundesrepublikanische Berufskonzept in den 1950er Jahren nicht nur durch das Personal der NS-Zeit, sondern auch durch deren „Denkstrukturen“ zutiefst geprägt war: „Die Wiederherstellung einer funktionierenden kapitalistisch organisierten Wirtschaft mit ebenso großen Aufstiegschancen wie Leistungsanforderungen bot den in der Vergan- genheit eng mit ihr verbündeten Theoretikern und Praktikern der Berufserziehung die Gelegenheit, sich wieder zu Wort zu melden: Entnazifizierung hatte sie verschont oder nur mild getroffen. Sie restaurierten Denkstrukturen, die sie in zwölf Jahren liebgewonnen hatten“ (Seubert 1977, 179). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 345 ] • die „Ordnungsmittel“ Berufsbild, Berufsbildungsplan, Berufseignungsanforde- rungen, Prüfungsanforderungen (Grundlage für die Regelung der industriellen Berufsausbildung, 1936 erarbeitet durch den DATSCH: „Leitsätze zur Aner- kennung von gelernten Facharbeiterberufen und von Lehrberufen“); • die Gleichstellung von handwerklicher und industrieller Berufsausbildung so- wie die gleichberechtigte Zulassung der von der Industrie- und Handelskam- mer geprüften Facharbeiter zur Meisterprüfung (1936/1938); • die einheitliche Neugliederung des beruflichen Schulwesens in Berufsschule, Berufsfachschule und Fachschule verbunden mit einer Durchlässigkeit zu Technischen Hochschulen und akademischen Berufen (1937 verfügt durch Erlass des Reichserziehungsministeriums; vgl. Hoffmann 1962, 213); • die Einführung der Berufsschulpflicht und des „Gleichlaufs“ von betrieblicher und schulischer Ausbildung, was einer gesetzlichen Festschreibung der dua- len Ausbildung als Regelform der Berufsausbildung gleichkam (per Reichs- schulpflichtgesetz vom 6. Juli 1938). Die erwähnte schnelle Restaura- tion der „Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Verwaltung“ in der BRD basierte jedoch nicht nur auf dem „hohen Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder“ in öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft, sondern auch auf dem spezifisch deutschen, politischen Katastro- phen gegenüber erstaunlich resis- tenten Berufskonzept, das sowohl den Zusammenbruch des Kaiser- reichs und die Zerstörung der Weimarer Republik als auch den erneuten System- wechsel und die damit verbundene Demokratisierung nahezu unbeschadet über- standen hatte. Die Suche nach den „unersetzlichen Werten“ (Seubert), die das durch die Implosion der NS-Ideologie auch im Berufsbereich entstandene Werte- vakuum zu füllen vermochten, rückte in der BRD die Bedeutung des Berufs für die Bild 189: Ausbildung zum Geigenbauer: Meister und Auszubildender bei der Montage eines Cellos. Für Tätigkeiten wie diese mag die Berufs- definition SCHARMANNs 1956 (vgl. u., S. 346) noch tauglich gewe- sen sein, für die zunehmend automatisierte Industrie jedoch längst nicht mehr (Schneider/Stockmeyer 1994, 16). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 346 ] Menschenbildung wieder in den Vordergrund. Dies musste nahezu zwangsläufig zu einer Renaissance der reformpädagogischen Theorien KERSCHENSTEINERs, FI- SCHERs, SPRANGERs u. a. führen, denn „sie stellen sich auf den Standpunkt des Berufes und der an ihm orientierten Erziehung, um sie sozusagen ‚von innen’ her in ihren Leistungen für die menschliche Bildung zu ergründen. Sie geben also das Anliegen der Menschenbildung nicht preis, sondern konfrontieren es mit der ihm angeblich unversöhnbaren Problematik des Berufes und der Berufserziehung. Die berufliche Erziehung ist für sie nicht ein Ort außerhalb des Bildungsgedankens, sondern gerade diejenige Stelle, an der dieser konstituiert und als tragfähig erwie- sen werden muߓ (Müllges 1967, 8). In der Bundesrepublik wurde infolgedessen der an den Prinzipien Identität, Quali- fikation, Komplexität, Kontinuität, Ganzheitlichkeit orientierte idealistische Berufs- begriff reaktiviert, für den der Psychologe THEODOR SCHARMANN (1907-1986) im Jahre 1956 folgende Definition formulierte: „Beruf soll vielmehr heißen eine freie, möglichst kontinuierlich ausgeübte, vorwiegend auf Eignung und Neigung gegrün- dete, erlernte und spezialisierte sowie entgeltliche Dienstleistung, die als Funktion einer arbeitsteilig organisierten Wirtschaft der Befriedigung materieller oder geisti- ger Bedürfnisse dient. Diese Definition ist eine relative, sie gilt nicht für jede Form der Arbeitsbesonderung, sondern nur für diejenige der bürgerlich-industriellen Ge- sellschaft des abendländischen Kulturkreises und seiner Ausstrahlungsbereiche. Als soziale Funktion wird der Beruf getragen von einem differenzierten Leistungs- ethos, dessen Normen von den herrschenden Sozialprinzipien und gesellschaftli- chen Produktionsverhältnissen bestimmt werden. Die pflichtgemäße Erfüllung die- ser Normen fällt dem einzelnen umso leichter, je mehr ihre Anforderungen der in- dividuellen Eignung und Neigung (Interesse) entsprechen, d. h. der dem Berufs- gedanken immanente Freiheitsbegriff durch die Entfaltung der individuellen Kräfte und Fähigkeiten potentiell verwirklicht wird“ (Scharmann 1956, 2). Bereits zur Zeit seiner Formulierung zeichnete sich jedoch ab, dass dieses Berufs- konzept zu antiquiert war, um für die im schnellen Wandel ffene Industriegesell- schaft der BRD allgemeine Gültigkeit beanspruchen zu können (vgl. Meier 1957). Aber der im Zeichen des Wirtschaftswunders prosperierende und zugleich an massi- vem Arbeitskräftemangel leidende „große Konsumverein“ (Glaser 1991, 189) Bun- desrepublik Deutschland ignorierte die Kritik der Wissenschaft an seinem überholten 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 347 ] idealistischen Berufskonzept ebenso wie deren begründete Forderung nach einer „realistischen Wendung“ (Roth 1962), die sich auf eine empirische Auseinan- dersetzung „mit dem Berufsproblem, genauer mit dem Verhältnis von Berufs- denken und Berufswirklichkeit“ (Abel 1963, 3) stützte. Dies mag auch deshalb erstaunen, weil der Berufsbegriff in der Diskussion um die von dem Soziologen HELMUTH SCHELSKY (1912-1984) Mitte der 1950er Jahre entwickelte These, die bundesre- publikanische Gesellschaft sei eine „ni- vellierte Mittelstandsgesellschaft“ (vgl. Schäfers 1976, 54 f.) eine zentrale Rolle spielte.176 So stellte z. B. KARL MARTIN BOLTE dieser Nivellierungsthese das von ihm entwickelte Schichtenmodell gegen- über. Die Struktur dieses als „Boltezwie- bel“ bekannten Gesellschaftsmodells wird anhand eines multiplen Statusindex’ ermittelt, der sich aus Einzelindizes zu- sammensetzt wie Alter, Bildung, Ein- kommen und Beruf, zu dem BOLTE an- merkt: „Für die Gegenwart hat sich in modernen Industriegesellschaften immer wie- der die Berufsposition als einer der brauchbarsten Indikatoren erwiesen“ (Bolte 1967, 253). Trotz dieser wissenschaftlichen Relevanz stießen die Erkenntnisse der Berufs- und der Berufsbildungsforschung wie die des Darmstädter Berufspädagogen HEIN- 176 BERNHARD SCHÄFERS hebt noch 1979 die Bedeutung des Berufskonzepts für gesellschaftliche Strukturanalysen ausdrücklich hervor: „Struktur und Wandel der Berufe in einer Gesellschaft sind zusammen mit den Grundlagen der Wirtschaftsverfassung […] das wichtigste Strukturmerkmal eines ökonomischen Systems und damit der Gesell- schaftsstruktur überhaupt. Qualifikation und Häufigkeit der einzelnen Berufe sind zugleich ein Indikator für den Ent- wicklungsstand einer Gesellschaft“ (Schäfers 1979, 168). Heute wird diese Dominanz der Determinante „Beruf“ al- lerdings kritisiert, die sog. „Lagenmodelle“ arbeiten stattdessen mit dem Begriff der „sozialen Lage“ oder der „Le- benslage“, um auch „horizontale Ungleichheiten“ analysieren und beschreiben zu können (vgl. Hradil 1999, 366). Bild 190: Vollautomatische Bandzerteilanlage zum Zuschnitt von Walzblech. Fotografie 1960 (Cube 1964, 53) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 348 ] RICH ABEL (1908-1965) kaum auf öffentliche Resonanz. So zeitigte auch seine bereits 1963 publizierte Untersuchung des „Berufsproblems“ zunächst weder praktische noch politische Auswirkungen, obwohl sie zu dem auch heute noch gültigen Resümee kommt: „Die Erziehung zu einem Berufsbewußtsein kann heute nicht mehr wie früher vom ‚Vollberuf’ ausgehen, sondern sie hat dem gesellschaftlichen Strukturwandel Rechnung zu tragen durch die Anerkennung des terminierten und dynamisierten Be- rufes,“ und daraus die Forderung ableitet: „Erziehung zum Beruf hat in der opferberei- ten Hilfe zu bestehen, dem jungen Menschen einen sicheren Standort im Berufsleben durch eine seinem menschlichen Vermögen wie den Anforderungen in der Arbeits- welt gerecht werdende Ausbildung zu geben und ihn auf seine Verantwortung in freier Entscheidung vorzubereiten“ (Abel 1963, 198 f.). Neue Relevanz erhielt die Frage, inwieweit das Berufskonzept noch zeitgemäß sei, als Mitte der 1960er Jahre die erste Wirtschaftkrise der bundesrepublikanischen so- zialen Marktwirtschaft die vom Wirtschaftswunder geprägte Selbstgewissheit der vollbeschäftigten Arbeitsgesellschaft erschütterte. Der rasante technologische Wan- del im produktiven Sektor, der in zunehmendem Tempo konserviertes Berufswissen entwertete, und die ursächlich mit der Automatisierung verbundene, zunächst lang- sam, ab Mitte der 1970er Jahre immer schneller ansteigende Arbeitslosigkeit ließen das Konzept des idealisierten Lebensberufs immer fragwürdiger erscheinen. Die Krise der kapitalistischen Wirtschaft lieferte zudem den ebenfalls ab Mitte der 1960er Jahre zunehmend lauter und aggressiver werdenden marxistischen Ge- sellschaftskritikern jene Argumente, die diese gegen die Nivellierungstheoretiker in Stellung bringen konnten. Hinzu kam, dass im Zusammenhang mit dem 1964 von GEORG PICHT (1913-1982) initiierten Streit um die fällige Reform des bundesdeut- schen Bildungswesens („Die deutsche Bildungskatastrophe“; vgl. Markert 1976, 150 ff.) auch der bereits seit fast 50 Jahren schwelende Konflikt zwischen Staat und Wirtschaft um eine gesetzliche Regelung der Berufsausbildung wieder aufflamm- te. Während der demokratische Sozialstaat auf der einen Seite seine Verpflichtung betonte, im Berufsbereich per Gesetz einen am Gemeinwohl orientierten wirt- schafts-, sozial- und bildungspolitischen Interessenausgleich herstellen zu müs- sen, ging es den Arbeitgebern auf der anderen Seite vor allem darum, ihre kapita- listischen Verwertungsinteressen zu wahren. Der 1969 in die Form des Berufsbil- dungsgesetzes (BBiG) gegossene Kompromiss, der schließlich den Primat der 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 349 ] betrieblichen Ausbildung festschrieb und die schulische unberührt ließ, hatte im- merhin zur Folge, dass damit das „duale System“177 der Berufsausbildung konsoli- diert wurde, obwohl dieser Terminus im Gesetz selbst gar nicht auftaucht (vgl. Grei- nert 1993, 90 ff.; Führ/Furck 1998/a, 448 ff.; Stratmann/Schlösser 1992/b, 109 ff.). Der gesellschafts- und kapitalis- muskritische Diskurs der späten 60er und frühen 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nahm natürlich auch den in der Bundes- republik restaurierten traditionellen Berufsbegriff, der die modernen Arbeitverrichtungen mit handwerk- lichen Idealen aus vorindustriellen Zeiten kategorisierte, ins Visier und deshalb mehren sich in dieser Zeit die Versuche, den „Beruf in der modernen Gesellschaft“ (Daheim 1967) neu zu definieren. Vor allem die um Theoriebildung be- mühte Berufssoziologie versuchte den Berufsbegriff zu entmythologisieren und pragmatisch so in den gesellschaftlich-ökonomischen Kontext zu integrieren. Aber selbst so umfassend angelegte Arbeiten wie die von HANS ALBRECHT HESSE, der 1972 in seiner Studie „Berufe im Wandel“ anhand von Kriterien wie Fremd- und Selbststimmungsgrad, Erwerbs- und Versorgungschancen oder Ansehen und Ein- fluss versuchte, Beruf und Profession voneinander abzugrenzen178, konnten sich letztlich nicht durchsetzen. Noch weiter als er ging SABINE KUDERA, die in ihrer Unter- suchung von „Arbeit und Beruf“ wegen „des problematischen Bedeutungsgehalts des Berufsbegriffs“ einfach ganz auf diesen verzichtet und stattdessen nur noch pauschal von „Erwerbstätigkeit“ spricht, denn dies drücke „das allen beruflichen Tätigkeiten Gemeinsame und zugleich das für sie Spezifische, d. h. das, was sie von anderen 177 Mit Geschichte und Struktur des dualen Systems beschäftigt sich im Rahmen VISUBAs das Teilkonzept DEMMEL, Walter und PÄTZOLD, Günter: Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf. München/Dortmund 2004. 178 Daraus entwickelte HESSE folgende Definitionen: „Beruf soll heißen ein planvoll konstruiertes Muster zur Qualifizierung und zum Tausch von Arbeitskraft, das spezifische Qualifikationserwartungen mit spezifischen Arbeitsleistungen sowie mit relativ niedrigen, in der Regel auf Erwerbs- und Versorgungschancen beschränkten Entschädigungschancen kom- biniert und dessen Konstruktion primär dem Interesse an der Beschaffung von Arbeitskraft zu dienen bestimmt ist. […] Profession soll heißen ein planvoll konstruiertes Muster zur Qualifizierung und zum Tausch von Arbeitskraft, das spe- zifische, zumeist monopolisierte Arbeitsleistungen mit spezifischen, zumeist verschärften Qualifikationserwartungen sowie mit relativ hohen Chancen auf Erwerb und Versorgung sowie auf Ansehen und Einfluß kombiniert und dessen Konstruktion primär dem Interesse an der Verwertung von Arbeitskraft zu dienen bestimmt ist“ Hesse 1972, 130 f.). Bild 191: Lochkartenabteilung der Norddeutschen Affinerie Ham- burg, 1962 (Kosok/Rahner 1999, 113) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 350 ] menschlichen Tätigkeiten unterscheidet, aus: den mit der Tätigkeit verbundenen Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts“ (Kudera 1976, 10). Dieser Traditions- bruch könnte zwar auf den ersten Blick durchaus Zustimmung erheischen, schließlich ist der Berufsbegriff mit enormen ideologischen Altlasten kontaminiert und zudem wird ihm vorgeworfen, er sei zur leeren „Worthülse“ verkommen und bezeichne häufig Strukturelemente der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die in der modernen Realität längst nicht mehr existierten. BECK/BRATER haben mit ihrer 1977 vorgestellten „sub- jektbezogenen Theorie der Berufe“ aber gezeigt, dass KUDERAs Problemlösung des- halb zu kurz greift, weil sie das Berufsverständnis eindimensional auf ökonomisch bewertete Tätigkeitsbezeichnungen reduziert und dabei das Subjekt des Handelns ignoriert. Sie schlagen deshalb vor, den Berufsbegriff aus der Perspektive der arbei- tenden Personen zu definieren: „Es muß sich bei den Berufen vielmehr um struktu- rierte Angebote, also um Arbeitsvermögen, die mit Personen (Arbeitskräfte) verbun- den sind, handeln. Die Berufsstruktur kann dann nicht als eine Gliederung von Ar- beitsverrichtungen, sondern muß sinnvollerweise als eine solche von persönlichen Arbeitsfähigkeiten gesehen werden, die erst auf spezielle Komplexe miteinander ver- bundener Tätigkeiten angewendet werden müssen. Die Übersetzung dieses Arbeits- angebots (Fähigkeitsangebots) in tatsächliche Arbeitsverrichtungen setzt also bereits den Vermittlungsprozeß des Arbeitsmarktes voraus. Auch sprachlich bleiben viele der Berufsnamen verständlich und auf einen einheitlichen Gegenstand bezogen, wenn man sie dementsprechend als Bezeichnungen des typischen, spezifisch kombinierten Arbeitsvermögens von Personen interpretiert - als Bezeichnungen, die überdies eine bestimmte gesellschaftliche Stellung der Personen indizieren. […] Dementsprechend läßt sich eine Definition der Berufe vorschlagen, nach der es sich bei Berufen um gesellschaftlich normierte und institutionalisierte Zusammensetzungen und Abgren- zungen der zu Erwerbszwecken einsetzbaren Arbeitsfähigkeiten von Personen han- delt; als institutionalisierte Strukturbestände erscheinen diese Berufe als den einzel- nen Personen vorgegebene Schablonen, nach denen ihr Arbeitsvermögen ‚gebün- delt’, spezialisiert, definiert und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Berufe stellen damit gleichsam bestimmte Typen der Ware Arbeitskraft dar, in deren jeweiliger Ausprägung sich die allgemeinen gesellschaftlichen Bestimmungen der Lohnarbeit mit typischen, konkret nützlichen, nur in fremdbestimmten Produktions- prozessen realisierbaren Gebrauchswerten der Arbeitskraft vermitteln“ (Beck/Brater 1977, 17; vgl. Bolte/Treutner 1983, bes. 12-81). 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 351 ] Berufe sind demnach als spezifische Fähigkeitsmuster zu interpretieren, die das In- dividuum in einem sowohl auf dessen Fähigkeitspotential als auch auf die Fähig- keitskombinationen des jeweiligen Berufsschnitts abgestimmten, gesellschaftlich organisierten, institutionalisierten Lernprozess erwirbt, um sie auf dem Arbeitsmarkt anzubieten (vgl. Deißinger 1998, 141). BECK/BRATER räumen dabei ein, dass ihr Be- rufsbegriff das in der Praxis zwischen dem als Beruf gekennzeichneten „Arbeitsver- mögen“ des Einzelnen und der tatsächlichen „Arbeitsverrichtung“ regelmäßig beste- hende problembeladene Spannungsverhältnis nicht erfasst, halten dem aber als Vorteil entgegen, ihre Definition eröffne „den Zugang zur Analyse der inhaltlichen Be- stimmtheiten unterschiedlicher Arbeitsfähigkeiten unabhängig von der (technisch- organisatorischen) Determination von Arbeitsinhalten am Arbeitsplatz; er erfaßt so die Tatsache, daß die produktiven Fähigkeiten der Menschen in unserer Gesellschaft fi- xiert, spezialisiert und auf Kategorien von Arbeitenden verteilt sind. Er stellt damit eine Voraussetzung dar zur Klärung der Bedeutung, die den unterschiedlichen Inhalten von Arbeitsvermögen - neben seinen formalen Bestimmungen - einerseits im Rah- men der gesellschaftlichen Organisation der Produktion und Nutzung von Arbeits- kraft, andererseits für die Bestimmung der sozialen Lage und Lebenschancen der Ar- beitenden zukommt“ (Beck/Brater 1977, 21; vgl. Bolte 1988, 10). Aus heutiger Sicht muss aber festgestellt werden, dass die unter dem Schlagwort „Entberuflichung“ Mitte der 1970er Jahre begonnenen Bemühungen von BECK/BRATER sowie einer Reihe Anderer um eine den gesellschaftlichen Wandel erfassende Neudefinition des Berufsbegriffs bisher aus zwei Gründen nicht er- folgreich waren: Einerseits machte die Diskussion „möglicher Alternativbegriffe wie Tätigkeit, Fähigkeit und Qualifikation deutlich, daß diese nicht geeignet sind, die Komplexität, die durch das Berufskonzept abgebildet wird, zu beschreiben“ (Meyer 2000, 44), und andererseits erwies sich das auf einer jahrhundertlangen Tradition beruhende Berufsverständnis in Deutschland bis in unserer Tage als außerordent- lich reformresistent. Auf den durchaus diskussionswürdigen Vorschlag von RITA MEYER, wie dieses Dilemma überwunden werden könnte, wurde eingangs bereits hingewiesen (vgl. o., S. 49, Bild 19). Ich bin davon überzeugt, dass die Realisie- rung der durch den Modellversuch VISUBA konzeptionierten Ausstellung ein we- sentlicher Beitrag zu der Debatte um einen zeitgemäßen Berufsbegriff wäre und dessen Klärung sehr wahrscheinlich einen Schritt voran bringen könnte. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 352 ] 5.3 Visualisierung (Leitobjekt: Elektromotor) 5.3.1 Zentralbereich Für die Entscheidung, die Epoche des „idealisierten Arbeitsbegriffs“ mit dem Leit- objekt Elektromotor zu symbolisieren, sprechen eine Reihe von Gründen. Die meiner Ansicht nach wichtigsten sind: • Dynamomaschine und Elektromotor gehören wie die Dampfmaschine zu den „Leitfossilien der industriellen Revolution“ (Müller 2003) des 19. Jahrhun- derts. Ihre Eigenschaften wie Vermehrung des Primärenergievorrats (Was- serkraftwerke), Förderung der Standortunabhängigkeit der industriellen Pro- duktion (Energiefernübertragung) sowie der prozessualen Arbeitsteilung (An- triebsdifferenzierung), Erweiterung der Transportkapazitäten (Eisenbahn) und Ermöglichung längerer Arbeitszeiten (Beleuchtung), um nur einige zu nennen, sprengten bisherige technologische Grenzen und initiierten damit eine neue Phase der Industrialisierung. Der Elektromotor stellt zudem das Symbol dar für die Diffusion des technischen Fortschritts in die handwerkli- che Produktion. Während die Dampfmaschine für Kleinbetriebe zu teuer und deshalb unrentabel war, ermöglichte der an einen Dieselgenerator oder an das entstehende Stromnetz angeschlossene Elektromotor den Einsatz der neuen Maschinentechnologie auch im Handwerk. • Anders als in Großbritannien wurde die Elektrotechnik (neben der chemi- schen Industrie) Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigen Leitsek- toren der Hochindustrialisierungsphase Deutschlands: „Die elektrotechni- sche Industrie leitete im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen neuen Wachstumszyklus der deutschen Volkswirtschaft ein bzw. eine Revolution, an der die Grundlagenforschung maßgeblichen Anteil hatte. […] Den indus- triellen Durchbruch ermöglichte aber erst die Entdeckung des dynamo- elektrischen Prinzips durch WERNER SIEMENS [1816-1892] im Jahre 1866, das die Grundlage dafür war, daß mechanische in elektrische Energie um- gewandelt werden konnte. […] Die Starkstromtechnik schuf die entscheiden- de Voraussetzung für den Bau stromerzeugender und stromangetriebener Maschinen, was sich in der Bildung von Großkonzernen niederschlug. […] Das spektakuläre Ereignis anläßlich der Elektrotechnischen Ausstellung 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 353 ] 1891 in Frankfurt am Main, nämlich Starkstrom vom 175 km entfernten Kraftwerk Lauffen am Neckar zu übertragen, kann als Beginn einer gewalti- gen Entwicklung angesehen werden, die heute noch nicht abgeschlossen ist. […] Die Dynamomaschine sowie der Elektromotor verdrängten mehr und mehr die schwerfälligen, unbeweglichen und rußigen Dampfmaschinen“ (Kie- sewetter 1989, 218 ff.). • Der Münchner Ingenieur OSKAR VON MILLER (1855-1934) ist nicht nur der Gründer des Deutschen Museums 179, sondern auch einer der entschiedensten Befürworter und Förderer der Elektrifizierung Deutschlands. Als gelernter Was- serbauingenieur, der nach einer Lösung dafür suchte, wie das rie- sige Energiepotential des Was- sers industriell nutzbar gemacht werden könnte, erkannte er früh die Möglichkeiten der Elektrizität und der Elektrotechnik. Bereits 1882 organisierte der gerade Sie- benundzwanzigjährige im Münch- ner Glaspalast die erste elektro- technische Ausstellung Deutschlands. Obwohl das in diesem Rahmen durch- geführte Experiment einer Energiefernübertragung über 57 km (von Mies- bach nach München) wegen des verwendeten Gleichstroms nur unbefriedi- gende Ergebnisse zeitigte, galt er auf diesem Gebiet als einer der „profilier- testen Experten, sowohl elektrotechnisch wie ausstellungsmäßig“ (Histori- 179 Als Gründungsdatum gilt der 25. Mai 1903, denn an diesem Tag „legte OSKAR VON MILLER in einem hierzu geladenen Münchener Kreise den Gedanken der Errichtung eines Museums vor, in welchem durch Meisterwerke der Naturwis- senschaft und Technik deren historische Entwicklung dargestellt, eine Ruhmeshalle für ihre Urheber geschaffen und al- len Schichten der Bevölkerung eine lebendige Anschauung von der naturwissenschaftlich-technischen Kulturarbeit ge- boten werden sollte. Der bereits in voller Reife durchdachte Plan entzündete sofort begeisterte Zustimmung. Nachdem die Staatsregierung die Überlassung des freigewordenen ‚Alten Nationalmuseums’ unter der Bedingung zugesagt hat- te, daß ein bestimmter Fonds zur Verfügung gestellt sei, und nachdem diese Bedingung innerhalb einiger Wochen durch eine Sammlung in München erfüllt war, konnte am 28. Juni 1903 die konstituierende Sitzung des Vereins ‚Muse- um von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik’ stattfinden“ (Matschoß 1929, 7). Bild 192: OSKAR VON MILLER. Fotografie um 1925 (Matschoß 1929, Frontispiz) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 354 ] sches Museum 1991, 24), weshalb er 1890 mit der Organisation der geplanten Internationalen Elektro-technischen Ausstellung betraut wurde, die 1891 in Frankfurt am Main eröffnet werden sollte. OSKAR VON MILLER hat offenbar da- für gesorgt, „daß aus der Ausstellung für Elektrotechnik eine konzeptionell e- lektrotechnische Ausstellung wurde, eine Ausstellung also, die nicht nur ‚Ge- fäߒ der Exponate war, sondern Themen inszenierte“ (Historisches Museum 1991, 24). Allegorik und Metaphorik der Ausstellung (vgl. u. Bild 193 Ausstel- lungsplakat, S. 356, ) belegen eindrucksvoll, dass die gesamte Ausstellung von ihm als Manifestation des Fortschritts inszeniert wurde. • Elektrifizierung ist die Materialisierung der aufklärerisch-emanzipatorischen Lichtmetapher schlechthin, und die in Aussicht stehende grenzenlose Verfüg- barkeit von Energie wurde damals weithin interpretiert als Chance, den histori- schen Prozess von Aufklärung, Emanzipation und Selbstverwirklichung auf eine qualitativ neue Stufe zu heben. In welchem Ausmaß die Elektrifizierung zu Be- ginn des 20. Jahrhunderts in allen Industriegesellschaften zum unangefochte- nen Sinnbild nicht nur des technischen, sondern auch des gesellschaftlichen Fortschritts geworden war, belegt die Rede LENINS (1870-1924) auf dem VIII. Gesamtrussischen Sowjetkongress im Dezember 1920, in der dieser die Elek- trifizierung Russlands sogar zur unabdingbaren Prämisse des Kommunismus erklärte: „Solange wir in einem kleinbäuerlichen Lande leben, besteht für den Kapitalismus in Rußland eine festere ökonomische Basis als für den Kommu- nismus. Das darf man nicht vergessen. Jeder, der aufmerksam das Leben auf dem Lande beobachtet und es mit dem Leben in der Stadt verglichen hat, weiß, daß wir die Wurzeln des Kapitalismus nicht ausgerissen und dem inneren Feind das Fundament, den Boden nicht entzogen haben. Dieser Feind behauptet sich dank dem Kleinbetrieb, und um ihm den Boden zu entziehen, gibt es nur ein Mittel: die Wirtschaft des Landes, auch die Landwirtschaft, auf eine neue techni- sche Grundlage, auf die technische Grundlage der modernen Großproduktion zu stellen. Eine solche Grundlage bildet nur die Elektrizität. Kommunismus - das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes. Sonst wird das Land ein kleinbäuerliches Land bleiben, und das müssen wir klar erkennen. Wir sind schwächer als der Kapitalismus, nicht nur im Weltmaßstab, sondern auch im Inneren unseres Landes. Das ist allbekannt. Wir haben das erkannt, 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 355 ] und wir werden es dahin bringen, daß die wirtschaftliche Grundlage aus einer kleinbäuerlichen zu einer großindustriellen wird. Erst dann, wenn das Land elek- trifiziert ist, wenn die Industrie, die Landwirtschaft und das Verkehrswesen eine moderne großindustrielle technische Grundlage erhalten, erst dann werden wir endgültig gesiegt haben. […] Kürzlich bot sich mir Gelegenheit, in einer entlege- nen Gegend des Moskauer Gouvernements, im Kreis Wolokolamsk, einem Bauernfest beizuwohnen. Dort hatten die Bauern elektrische Beleuchtung erhal- ten. Es wurde eine Kundgebung im Freien veranstaltet, und ein Bauer trat auf und hielt eine Rede, in der er dieses neue Ereignis im Leben der Bauern be- grüßte. Er sagte: Wir Bauern lebten in Finsternis, und nun ist bei uns ein Licht aufgegangen, ein ‚unnatürliches Licht, das unsere bäuerliche Finsternis erhel- len wird’. Ich wunderte mich nicht über diese Worte. Gewiß, für die parteilose Bauernmasse ist das elektrische Licht ein ‚unnatürliches’ Licht, für uns aber ist es unnatürlich, daß die Bauern und Arbeiter jahrhunderte-, jahrtausendelang in solcher Finsternis, in Elend, in Unterdrückung durch die Gutsbesitzer und Kapi- talisten leben konnten. Dieser Finsternis kann man nicht so schnell entrinnen. Aber wir müssen es jetzt dahin bringen, daß jedes Kraftwerk, das wir bauen, wirklich zu einem Stützpunkt der Aufklärung wird, daß es sozusagen die elekt- rische Bildung der Massen fördert. Wir haben ei fizierungsplan aus- gearbeitet, die Realisierung dieses Plans ist indes auf Jahre berechnet. Wir müssen diesen Plan um jeden Preis verwirklichen und die Frist hierfür verkür- zen. […] Wir müssen es dahin bringen, daß jede Fabrik, jedes Kraftwerk zu ei- ner Stätte der Aufklärung wird, und wenn Rußland sich mit einem dichten Netz von elektrischen Kraftwerken und mächtigen technischen Anlagen bedeckt ha- ben wird, dann wird unser kommunistischer Wirtschaftsaufbau zum Vorbild für das kommende sozialistische Europa und Asien werden. (Stürmischer, nicht enden wollender Beifall)“ (Lenin 1959, 58; Hervorhebungen von mir. HD.). • Die Elektrotechnik eignet sich besonders gut dafür zu zeigen, wie neue techno- logische Entwicklungen vollkommen neue Berufe induzieren. Im Rahmen des Moduls 3 von VISUBA wurde von WERNER HEINRICH ein Visualisierungskonzept zur „Berufsentwicklung im Bereich der Elektroenergie“ entwickelt, in dem er u. a. ausführlich auch auf diesen Aspekt der berufsgeschichtlichen Auswirkungen der Erfindung des Elektromotors eingeht. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 356 ] Bild 193: Das Plakat der „Internationalen Elektro-technischen Ausstellung“ in Frankfurt am Main 1891: Der Gefessel- te (PROMETHEUS) reicht mit seiner Rechten unter Sprengung seiner Ketten der als weibliche Allegorie dargestellten Elektrizität ein Bündel Blitze und berührt mit einem von ihnen deren rechten Zeigefinger. Während die übrigen Blitze wirkungslos verzucken, taucht der eine durch die Elektrizität die Stadt (Welt) in gleißende Helligkeit und bringt den aufgeklärten Menschen das Licht der Aufklärung. Darüber hinaus kann das Plakatmotiv auch als Symbol verstanden werden für die Überwindung der Grenzen der Ener- gieverteilung. Lithografie nach einem Entwurf von FRANK KIRBACH (Historisches Museum 1991, 328) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 357 ] 5.3.2 Insellösung im DM Das Leitobjekt Elektromotor kann im DM sinnvoll nur mit der Abtei- lung „Starkstromtechnik“ im Erdgeschoß verknüpft werden. Hier „zeigen zwei Themenberei- che den Beitrag des Museums- gründers OSKAR VON MILLER zur Starkstromtechnik: die beiden grundlegenden Erstversuche zur Energieübertragung auf große Entfernungen (1882 über 57 km von Miesbach nach München mit 1400 Volt Gleichspannung, 1891 über 175 km von Lauffen nach Frankfurt [Main] mit 15000 Volt Drehstrom) und den Bau des ersten Alpenkraftwerks, des Walchensee- Kraftwerks (1924)“ (Deutsches Museum 2000, 34). Die Visualisierung dieser Thema- tik erfordert zwingend eine sehr enge Kooperation mit dem von WERNER HEINRICH erarbeiteten VISUBA-Teilkonzept „Berufsentwicklung im Bereich der Elektroenergie“. Deshalb kann ich auf die detaillierte Erarbeitung eines eige- nen Vorschlags verzichten und mich darauf beschränken, die Leitziele zu formulie- ren. Da die Thematik der Epoche des idealisierten Arbeitsbegriffs in die Gegen- wart hereinreicht, muss sie auch mit den Themen des Moduls 2 „Entwicklung und Struktur der Berufsbildung in Deutschland“ synchronisiert werden: „Lehren und Lernen im Kontext von Arbeit und Beruf“, „Aktuelle Strukturen beruflicher Bildung“, „Berufsinformationssysteme und Datenbanken zur beruflichen Aus- und Weiterbil- dung (Berufsberatung)“ und „Internationalisierung beruflicher Bildung“. Bild 194: Einer der ersten Elektromotoren mit einer Leistung von ca. 0,02 PS, konstruiert von MORITZ HERMANN JACOBI (1801- 1874) in Königsberg: „Seine klar gegliederte Maschine bestand aus drei Teilen: einem System von aufeinanderwirkenden Elektromagneten, dem Kommutator und der Batterie. Vier hufeisenförmigen Elektromagneten auf dem festen Holzrah- men stehen vier weitere Elektromagnete auf einer drehbaren Scheibe gegenüber. Verbunden mit dieser Scheibe ist eine drehbare Welle, auf der der Kommutator sitzt. Er wird aus vier Kupferscheiben gebildet, von denen die erste mit der zweiten und die dritte mit der vierten leitend verbunden sind. Zur Unterbrechung sind nichtleitende Ebenholzsegmente eingelassen. Die Abtastung geschieht mit Hebeln, deren ande- re Enden in mit der Batterie verbundene Quecksilbernäpfe eintauchen“ Stahlstich, 1835 (Lindner 1985, 92 f.). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 358 ] 5.3.3 Leitziele der Visualisierung Das Leitobjekt Elektromotor • soll als Symbol stehen für die Bedeutung der Elektroindustrie als „Leit- sektor“ in der Hochindustrialisierungsphase Deutschlands. Während die deutsche Maschinenbauindustrie in erster Linie als erfolgreiche Adaption englischer Vorbilder zu sehen ist, die anfangs vor allem auf Imitation setzte, handelt es sich bei der hiesigen Elektroindustrie um eine originäre Entwick- lung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit eine technologische Füh- rungsrolle einnahm. • soll als Sinnbild gesehen werden für die mit der neuen Technik verknüpfte Erwartung eines sozialen Fortschritts. So wurde z. B. mit der Verbreitung des Elektromotors die „sozial- politische Kalkulation“ verbun- den, dass sich dadurch insbe- sondere die soziale Lage des kleinen und mittelständischen Handwerks, das durch die in- dustrielle Konkurrenz in Be- drängnis gebracht worden war, wieder verbessern werde (vgl. Historisches Museum 1991, 33). • sensibilisiert für den Zusammenhang zwischen neuen Technologien und der Entstehung völlig neuer (Industrie-)Berufe und ermöglicht die Veranschaulichung des schnellen Wandels solcher Berufe in jüngster Zeit (Nachrichtentechnik, IT-Berufe...). Mit der Elektrotechnik entwickeln sich z. B. durch die Entstofflichung des Gegenstands (elektrischer Strom) spezielle neue Tätigkeiten, die nicht mehr bloße Verfeinerungen oder Spezia- lisierungen beim Umgang mit Rohstoffen und Werkzeugen sind wie etwa beim Übergang vom Schlosser zum Uhrmacher, aber auch einem sich stän- dig beschleunigenden Wandel unterliegen. Bild 195: Fortschrittskritik und geniale Visualisierung der Auswir- kungen industrieller Fließbandarbeit auf den arbeitenden Menschen: CHARLY CHAPLIN (1889-1977) in „Modern Times“ 1936 (Kropf 1987, Bd. 1, 132; vgl. o. Anm. 125, S.272) 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800 - 1975) [ 359 ] 5.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 5 Idealisierter Arbeitsbegriff (1800-1975) Ort der Realisierung Exponate und „Zubehör“ Besucher- Aktivitäten PC-Station und Software Flachware etc. Fläche (ca.) Zentral- bereich Elektromotor (Original aus dem 19. Jahr- hundert) Koordination mit AG 3: „Berufs- entwicklung im Bereich der Elektroenergie“ (Heinrich) Film: CARLY CHAPLIN „Modern Times“ (Filmraum bzw. Monitor mit Sitzgelegen- heiten) Recherche am PC Koordination mit AG 3: „Berufs- entwicklung im Bereich der Elektroenergie“ (Heinrich) Film ansehen PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Erläuterungen zum Exponat Verweis auf Insel (Kontext der Ausstel- lung) Faltblatt oder Broschüre mit Hintergrund- informationen zum Film etc. 15 m2 Koordination mit den Themen des Moduls 2: „Entwicklung und Struktur der Berufsbildung in Deutschland“ PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Insel im DM in der Abteilung „Starkstrom- technik“ (Erdgeschoß) Koordination mit AG 3: „Berufsent- wicklung im Bereich der Elektro- energie“ (Heinrich) PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) Erläuterungen zu den Exponaten Bezug zum Zentralbereich (Kontext der Ausstellung) 5 m2 Bild 196: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 5: Idealisierter Arbeitsbegriff (1800-1975) 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 361 ] 6 Zukunft von Arbeit und Beruf „Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?“ HANNAH ARENDT (1906-1975) 180 Versetzen wir uns gedanklich um 100 Jahre zurück in das Jahr 1904 und stellen uns vor, der damals wohl innovativste Schulpolitiker des Deutschen Reiches, der promo- vierte Mathematiker und Stadtschulrat der bayerischen Haupt- und Residenzstadt München, GEORG KERSCHENSTEINER, hätte anlässlich seines 50. Geburtstages (* 29. Juli 1854) darüber nachgesonnen, auf welche gesellschaftlichen, politischen und technologischen Veränderungen sich das von ihm in München ins Leben gerufene berufliche Schulwesen in den kommenden 10, 20, 30 oder gar 100 Jahren einzu- stellen haben werde. Sicher wäre er davon ausgegangen, dass das Deutsche Kaiser- reich und die wittelsbachisch-bayerische Monarchie auch künftig den politischen Handlungsrahmen setzten, schließlich hatte er in seiner berühmten „Preisschrift“ aus dem Jahre 1901 mit Bestimmtheit festgestellt, beide Staatswesen befänden sich der- zeit in einem „Zustand, der wohl nie wieder wird wesentlich geändert werden können“ (Kerschensteiner 1906, 14). Nur eineinhalb Jahrzehnte später waren sie an den Fol- gen des Ersten Weltkrieges zerbrochen und wohl nicht zuletzt deshalb ist KER- SCHENSTEINER auch 1919 aus seinem Amt als Stadtschulrat demissioniert. Hätte er 1904 etwa angesichts der zunehmenden Zahl elektrischer Bogenlampen in der Münchner Innenstadt und des raschen Ausbaus der elektrischen Straßenbahn das ganze Ausmaß der Elektrifizierung und ihrer Auswirkungen auf die künftige Arbeits- und Berufswelt vorausgesehen? Hätte er, da erst sehr wenige Autos über Münchens Chausseen mehr holperten als fuhren, die gewaltige Dimension der Erfindungen der Herren GOTTLIEB DAIMLER (1834-1900), CARL BENZ (1844-1929), und RUDOLF DIE- SEL (1858-1913), der übrigens seit 1901 sein Nachbar im Münchner Stadtteil Bogen- hausen war, einschätzen und ahnen können, wie grundlegend diese Innovationen dereinst Lebensweise und Umwelt der Menschen verändern sollten? 180 Arendt 1960, 11 f. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 362 ] Oder hätte er mit Blick auf das den Kinderschuhen noch kaum entwachsene Te- lefon die erstaunliche Karriere dieses Kommunikationsmittels und seine enor- men Auswirkungen prognostizieren können? Wohl kaum und noch viel weniger hätte er die Folgen von politischen Katastrophen und technologischen Glanzleis- tungen in seine Überlegungen einbeziehen können, die im Jahre 1904 noch ganz im Dunkel der Zukunft verborgen lagen: von der Kernspaltung bis zur Solartech- nik, von der Biotechnologie bis zur Gentechnik, von der Petrochemie bis zur Mik- roelektronik, vom revolutionären Ende des Kaiserreichs bis zur verbrecherischen NS-Diktatur und vieles, vieles mehr. Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, dass GEORG KERSCHENSTEINER, gewiss einer der fähigsten und kreativsten Köp- fen seiner Zeit, der sich umfassender Kenntnisse über den Stand zeitgenössi- scher Wissenschaft und Technik rühmen konnte, von der Situation im Jahre 2004 ein Bild entworfen hätte, das allenfalls entfernteste Ähnlichkeit mit den tat- sächlichen Gegebenheiten unserer Gegenwart gehabt hätte. Es wäre ihm wohl kaum besser ergangen als jenen zweiundzwanzig Frauen und Männern aus unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen181, die sich an der ersten europäischen „Delphi-Studie“ beteiligten, die 1910 unter dem Titel „Die Welt in 100 Jahren“ publiziert wurde. Auf die Frage, wie die Welt im Jahre 2010 aus- sehen werde, gab es kaum zutreffende, dafür aber umso mehr wunderliche, z. T. sogar absurde Antworten: Nur Weniges blieb so nah an der Wirklichkeit wie die Erwartung, das kommende werde das „das drahtlose Jahrhundert“ sein, denn „alles, was wir jetzt durch den Draht senden, können wir auch auf drahtlosem Wege senden“; völlig abwegig klingt dagegen die Prognose, uns stehe „das Jahrhundert des Radiums“ bevor, denn statt elektrischer Beleuchtung „wird das Radium das Licht der Welt geworden sein.“ Zwar sagte die Pazifistin BERTHA VON SUTTNER das atomare Patt des Kalten Krieges durchaus scharfsinnig vor- her: „Wir sind im Besitz von so gewaltigen Vernichtungskräften, daß jeder von zwei Gegnern geführte Kampf nur Doppelselbstmord wäre“, und auch EDUARD BERNSTEIN meinte zu Recht, die Demokratie werde „in spätestens hundert Jah- ren der Kompaß des ganzen sozialen Lebens“ sein, aber die meisten anderen 181 Darunter z. B. die Friedensnobelpreisträgerin BERTHA VON SUTTNER (1843-1914), der sozialdemokratische Politiker und Reichtagsabgeordnete EDURAD BERNSTEIN (1850-1932), die schwedische Reformpädagogin ELLEN KEY (1849-1926), der Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker HERMANN BAHR (1863-1934), der Reichskommissar für Deutsch-Ostafrika KARL PETERS (1856-1918) und der Komponist WILHELM KIENZL (1857-1941). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 363 ] Voraussagen kommen über solch naive Spekulationen wie die der Volks- aufklärerin ELLEN KEY nicht hinaus: „In hundert Jahren sind alle großen Erfin- dungen der Neuzeit vervollkommnet, und ihre beiden großen Bewegungen - die Frauen- und die Arbeiterbewe- gung - haben ihre Ziele erreicht. […] Alle modernen Sommerfri- schen sind submarine Villen- städte, denn die Landschafts- schönheiten der Erde sind alle zerstört, teils durch Verwertung für die Industrie, durch Ge- bäude, Kabel und dergleichen mehr, teils durch die noch bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in Luftballons ge- führten Kriege. Die ‚Landwirt- schaft’ wird jetzt in chemischen Fabriken betrieben, und in die- sen vollzieht sich die Arbeit, wie überall, durch Drücken auf Serien elektrischer Knöpfe. […] Alle Männer und Frauen haben den Tag in vier gleiche Arbeits- pensa eingeteilt: sechs Stunden Schlaf, sechs Stunden Arbeit bei den elektri- schen Drückern, sechs Stunden im Parlament und sechs Stunden Gesellschafts- leben“ (Brehmer 1988, 117 f.). Aber auch in späteren Zeiten mit erheblichem Aufwand und wissenschaftlichem Anspruch erstellte Zukunftsentwürfe erzielten kaum höhere Trefferquoten. So enthält z. B. der von dem amerikanischen Futurologen HERMAN KAHN (1922- 1983) 1967 im Auftrag der „American Academy of Arts and Sciences“ für den „Ausschuß für das Jahr 2000“ erarbeitete, über 400 Seiten umfassende For- schungsbericht „The Year 2000“ eine Tabelle mit „100 technischen Neuerungen, welche im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts sehr wahrscheinlich realisiert Bild 197: Anlässlich des Jahrhundertwechsels mehrten sich Prognosen über die künftige technologische Entwicklung Hier eine Karikatur des Münch- ner Bilderbogens aus dem Jahre 1895 zu der Frage, wie die Verkehrssi- tuation in der bayerischen Residenzstadt im 20. Jahrhundert beschaffen sein werde (Brentjes 1987, 324). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 364 ] werden“ (Kahn/Wiener 1968, 66 ff.; Hervorhebung von mir. HD.). Bei großzügig- ster Auslegung kann man sagen, dass 24 der 100 Prognosen teilweise oder ganz vor allem deshalb eingetreten sind, weil sie so allgemein formuliert sind wie diese: „Im Geschäftsleben allgemeine Verwendung von Computern für Aufbe- wahrung, Verarbeitung und Wiedergabe von Informationen“ (S. 69), während die übrigen heute meist so abwegig klingen wie etwa die Annahme einer allgemei- nen „Verwendung atomarer Sprengstoffe für Erdaushebungen und im Bergbau“ (S. 67). Man kann die Trefferquote zwar erhöhen, wenn man statt punktueller Vorhersagen eine wahrscheinliche Bandbreite angibt, doch welchen Aussage- wert haben Hochrechnungen wie etwa die des Nürnberger Instituts für Arbeits- markt- und Berufsforschung, das Anfang der 1980er Jahre mit der Prognose aufwartete, man müsse in der BRD im Jahr 2000 mit 1,0 bis 7,3 Millionen Er- werbslosen bei 0,4 bis 4,6 Millionen registrierten Arbeitslosen rechnen? (vgl. Stopp 1990, 15). Zentrale Ursache für das Scheitern nahezu aller Zukunftsprognosen ist, dass die komplexen Interaktionen der einzelnen Variablen der betrachteten Systeme deshalb modellhaft nicht zu erfassen und zu berechnen sind, weil vor allem in sozialen Systemen stets Entwicklungen auftreten, die „wohl Ergebnisse mensch- lichen Handelns [sind], nicht jedoch Ergebnisse menschlicher Absichten und Pla- nung“ (Willke 1999, 40), und weil naturgemäß keine Methode denkbar ist, mit der dieses als Emergenz 182 bekannte Phänomen berücksichtigt werden könnte. Die Erkenntnis, dass Zukunft nicht das Produkt linearer Entwicklungen und rationaler Entscheidungen ist, sondern vielmehr das nicht vorhersagbare Ergebnis des Zusammenwirkens einer kaum überschaubaren Zahl empirischer und emergen- ter Variablen, relativiert auch den Wert von Modellen und Szenarien, die auf ei- ner präzisen rationalen Auswertung vergangener Prozesse beruhen. 182 ADAM SMITH hat dafür bekanntlich bereits 1776 die Metapher der „invisible hand“ geprägt. In seiner Untersuchung über den „Wohlstand der Nationen“ erläutert SMITH das Phänomen, wonach der Einzelne mit seinen egoistischen Zielen auch das Wohl der Allgemeinheit fördere, selbst wenn er dies gar nicht beabsichtige: „Und er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfül- len er in keiner Weise beabsichtigt hat. Auch für das Land selbst ist es keineswegs immer das schlechteste, daß der einzelne ein solches Ziel nicht bewußt anstrebt, ja, gerade dadurch, daß er das eigene Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun“ (Smith 2003, 371; Hervorhe- bung von mir. HD.). Ein sehr bekanntes Beispiel für verfehlte Zukunftsprognosen lieferte bereits zu SMITHs Zeiten der englische Pfarrer ROBERT MALTHUS (1766-1834) mit seinem spektakulären Bestseller „Über die Bedingungen und Folgen der Volksvermehrung“, in dem er 1798 der Menschheit eine Katastrophe prophezeite, weil die Nah- rungsmittelproduktion mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten werde. MALTHUS irrte, weil er offensicht- lich die fundamentalen Auswirkungen der sich damals in England bereits ankündigenden industriellen Revolution nicht in seine Überlegungen einbeziehen konnte und so wurden die von ihm beschworenen Grenzen bis in unsere Gegenwart nicht erreicht. 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 365 ] Erst kürzlich hat der Wirtschaftswissenschaftler und Journalist ERIK HÄNDELER mit seiner Studie über „Die Geschichte der Zukunft“ von sich reden gemacht, in der er den Vorschlag unterbreitet, Aussagen über die künftige gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung und davon abhängige Entscheidungen auf die „Wellentheorie“ des russischen Ökonomen NIKOLAI KONDRATIEFF (1892-1938). zu stützen. KONDRATIEFF hatte in den 1920er Jahren die gesamtgesellschaftli- chen Auswirkungen technologischer Basisinnovationen während der Indust- rialisierung untersucht und seine Erkenntnisse 1926 in einem Aufsatz über „Die langen Wellen der Konjunktur“ publiziert. Seiner Ansicht nach werden die langen konjunkturellen Wellen durch wachs- tumshemmende Faktoren gesteuert. Können diese wie z. B. der Energiemangel Ende des 18. Jahrhunderts durch eine Basiserfindung (Dampfmaschine) über- wunden werden, dann expandiert die Konjunktur so lange, bis sie an neue Grenzen (etwa mangelnde Transportmöglichkeiten) stößt. Die dadurch ausge- löste Konjunkturkrise (Wellental) kann erst durch eine neue, dieses Problem beseitigende Erfindung (Eisenbahn) überwunden werden (vgl. o. Bild 198). Ge- stützt auf die Arbeiten LEO A. NEFIODOWs, der die Reichweite der Theorie KON- DRATIEFFs bis in die Gegenwart verlängert hat, sieht HÄNDELER die Ursache für die derzeitige Krise darin, dass wir uns seit 2002 in der Abschwungphase des „fünften Kondratieffs“ befinden. Sie werde aber in absehbarer Zukunft vom Auf- Bild 198: Die Anhänger der Theorie NIKOLAI KONDRATIEFFs schreiben die „langen Wellen“ der konjunkturellen Ent- wicklung in Industriegesellschaften linear fort und zählen deshalb bisher fünf lange Wellen. Die tieferen Ursachen der konjunkturel- len Probleme der Gegenwart sind demnach darin zu suchen, dass wir uns derzeit in der „Kondratieffschen Abschwungphase“ der fünften Welle befinden (Händeler 2004, 11). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 366 ] schwung des „sechsten Kondratieff“ abgelöst, „der vom Streben nach Gesund- heit angetrieben werde“ (Händeler 2004, 13).183 Meiner Ansicht nach kann KONDRATIEFFs Theorie zwar als Strukturmodell zur Be- schreibung der bisherigen Entwicklungen durchaus überzeugen,184 als Grundla- ge für die Prognose künftiger Prozesse arbeitet sie aber keineswegs zuverlässi- ger als andere Erklärungsansätze, da auch mit ihr emergente Faktoren nicht be- rücksichtigt werden können. Vertraut man KONDRATIEFF und seinen Anhängern, ist man wie HÄNDELER davon überzeugt, dass der nächste lange Aufschwung mit Sicherheit kommen wird, Aussagen über die auslösende(n) Basisinnovation(en) und deren gesellschaftliche Auswirkung haben aber auch auf dieser Grundlage nach wie äußerst spekulativen Charakter. Zusammenfassend kann man also feststellen, dass alle Prognosen über die Entwicklung komplexer Systeme nur Lotteriecharakter haben können, was der dänische Physiker und Nobelpreisträger NIELS BOHR (1885-1962) mit kluger Ironie auf den Punkt brachte: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“. Deshalb will ich mich im Fol- genden mit aller gebotenen Vorsicht darauf beschränken, einige wahrscheinliche globale Trends der künftigen Entwicklung von Arbeit und Beruf zu skizzieren.185 Zu bedenken ist dabei auch, dass die vorliegende Studie unter anderem die Funk- tion hat, aktuelles Material für die Gestaltung der Ausstellung im DM zu eruieren und aufzuarbeiten. Da sich Vorhersagen über künftige Entwicklungen durch be- sonders kurze Halbwertszeiten auszeichnen, will ich mich hier nicht in wenig er- giebigen Spekulationen ergehen, die möglicherweise zu Beginn der Realisierung der Ausstellung längst wieder überholt sein werden. 183 Bei NEFIODOW heißt es zur „Basiserfindung“ des „sechsten Kondratieff“: „Zu den neu aufkommenden Akteuren zählen insbesondere die neuen Unternehmen der Biotechnologie, die ganz neue Wege für die Behandlung und Heilung bisher unheilbarer Krankheiten wie Krebs, Rheuma, Asthma, Diabetes, Multiple Sklerose und Alzheimer erschliessen [sic!] und darüber hinaus Voraussetzung für den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft sind. Zu den neu aufkommenden Märkten gehört die psychosoziale Gesundheit. Im fünften Kondratieffzyklus kommt es auf die Informationsflüsse in technischen Systemen und zwischen Mensch und Maschine an. Im nächsten, im sechsten Kondratieff wird es auf die Informationsflüsse im Menschen - der psychischen Informationsverarbeitung - und zwischen den Menschen - den In- formationsbeziehungen - ankommen“ (Nefiodow o. J.; ausführlich stellt er dies dar in: Nefiodow 1996, 91-121). 184 Obwohl auch dies in der Fachliteratur nicht unumstritten ist. Eine kritische Würdigung der Kondratieff-Theorie liefert z. B. eine Studie ULRICH WEINSTOCKs, der zu dem Ergebnis kommt: „Alle herangezogenen Untersuchungen, die sich in Originalbeiträgen mit den langen Wellen beschäftigt haben, haben keinen Nachweis langer Wellen erbracht“ (Weinstock 1964, 120). 185 Meine Thesen stützen sich auf die Auswertung folgender Publikationen (in alphabetischer Reihenfolge): Altva- ter/Mahnkopf 1999; Arnold 2003; Bayerische Landeszentrale 1986; Bundesministerium für Wirtschaft 1995; Beck 1998; Beck 2000; Bierter/Winterfeld 1998; Biffl/Lutz1998; Brun 1985; Bullinger 2001; Claussen u. a. 2002; Dengel/Schröter 1997; Dostal 1995; Dostal u. a. 1998; Dostal u. a. 2000; Dostal/Kupka 2001; Friedrichs/Schaff 1982; Giarini/Liedtke 1998; Gorz 1998; Händeler 2004; Heuser 1996; Jäger u. a. 2001; König u. a. 1990/a; Krämer u. a. 1997; Matthes 1983; Matuschek u. a. 2001; Meadows u. a. 1972; Negroponte 1997; Otten 1986, Bd. 2; Ribolits 1997; Rifkin 2004; Rueth 2002; Schanz 1992; Sennet 1998; Stopp 1990; Willke 1999. Die Publikationen von DOSTAL/KUPKA, GIARINI/LIEDTKE und WILLKE bieten nach meiner Einschätzung aufgrund der seriösen Methodik und der Fülle zuverlässigen Materials derzeit die beste Basis für die Realisierung der Ausstellung. 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 367 ] 6.1 Arbeit Im Gegensatz zu manch anderer scheint HANNAH ARENDTs im Motto dieses Kapi- tels zitierte Prognose (vgl. o., S. 361), den modernen „Arbeitsgesellschaften“ stehe eine „verhängnisvolle“ Entwicklung bevor, zu Beginn des dritten Jahrtausends zu- mindest in Deutschland Wirklichkeit geworden zu sein: Die Zahl der dauerhaft Ar- beitslosen nimmt hierzulande seit Jahren kontinuierlich zu und immer mehr jun- gen Menschen misslingt der Einstieg in das Berufs- und Erwerbsleben. Wachsen- des Sozialprodukt und steigende Unternehmensgewinne, sich jährlich wiederho- lende Exportrekorde der deutschen Wirtschaft sowie eine zunehmende Zahl an Wohlhabenden in Deutschland belegen, dass die Ursache für diese fatale Ent- wicklung nicht etwa in einer allgemein sinkenden Arbeitsleistung der Gesellschaft zu suchen ist, sondern vielmehr darin, dass sowohl die Produktionsprozesse als auch die Dienstleistungen so rationalisiert werden, dass menschliche Arbeits- kraft mehr und mehr entbehrlich wird. 186 Als „verhängnisvoll“ erweist sich dieser Vorgang vor allem aus zwei Gründen: ers- tens deshalb, weil Arbeit in der Form von Erwerbsarbeit, wie oben ausführlich 186 Eine kleine Blütenlese an Schlagzeilen aus dem Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung im August 2004 mag dies belegen: „Export treibt Wachstum“ (11.08.), „Mehr Umsatz mit weniger Beschäftigten“ (17.08.), „Weltwirtschaft boomt wie seit 25 Jahren nicht mehr“ und auf der gleichen Seite „Mehr Arbeit für weniger Beschäftige“ (20.08.), „Exportboom beschleunigt Wachstum in Deutschland“ (13.08.), „Immer noch fehlen 20.000 Lehrstellen“ (30.08.), „Logistikmarkt boomt“ (27.08.), „Kaum Hoffnung für den Arbeitsmarkt“ (25.08.), „Zahl der wohlhabenden Deutschen steigt. Superreiche besonders begünstigt“ (23.08.). Bild 199: Arbeitsgesellschaft ohne Erwerbsarbeit? Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1950 bis 1996 (Berg, 2001, 507) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 368 ] dargelegt, in unserer Gesellschaft nicht bloß rationales Mittel zur Existenzsiche- rung ist, sondern für die übergroße Mehrzahl der Menschen Quelle gesellschaftli- cher Anerkennung und individueller Wertschätzung und somit Arbeitslosigkeit als Ausgrenzung und persönliches Versagen erlebt wird, und zweitens deshalb, weil unser gesamtes Sozialsystem, das ja nicht nur die Lebensrisiken für den Einzelnen kalkulierbar gestalten, sondern auch die gesamte Gesellschaft stabili- sieren soll, darauf beruht, dass jeder, der arbeiten will, auch in einem für die indus- trielle Arbeitsgesellschaft typischen standardisierten Arbeitsverhältnis Beschäfti- gung findet. Das Dilemma unserer Gesellschaft ist ganz offensichtlich, dass menschliche Arbeitskraft in rasantem Tempo zum unverkäuflichen Ladenhüter, ein akzeptabler Ersatz für deren persönlichkeits- und gesellschaftsstabilisierenden Funktionen aber noch nicht angeboten wird. „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“ fragt der Wirtschaftsredakteur UWE JEAN HEUSER zu Beginn seiner bereits 1996 publizierten Studie über die Trans- formation der traditionellen Industriegesellschaften in die „Tausend Welten“ der Informations- und Wissensgesellschaft und kommt zu dem Ergebnis, wir erleb- ten derzeit „Die Auflösung der Gesellschaft im digitalen Zeitalter“ (so auch der Un- tertitel seiner Untersuchung). Die heute die Weltwirtschaft dominierenden Volks- wirtschaften noch immer als Industrienationen zu apostrophieren, sei deshalb nichts anderes als „ein riesiger Irrtum - und nicht nur ein semantischer. In den so- genannten Industrieländern wie Japan, den Vereinigten Staaten oder Deutschland arbeitet heute im Durchschnitt nicht einmal mehr jeder Dritte in der Industrie. Nur noch eine Minderheit der Erwerbstätigen stellt tatsächlich etwas her. Die große Mehrheit verdient ihr Brot mit der einen oder anderen Form von Dienstleistung. Ob Bankangestellter, Versicherungskauffrau, Verkäufer, Programmiererin, Redakteur oder Sekretärin - immer mehr Menschen arbeiten im sogenannten tertiären Sektor der Wirtschaft. Und immer mehr Menschen verdienen ihr Geld im Umgang mit In- formationen und Wissen. Sie schaffen Informationen, suchen sie, verarbeiten sie, verwalten sie, verkaufen sie. Statt mit Rohstoffen haben sie es tagein, tagaus mit Symbolen zu tun“ (Heuser 1996, 11 f.). Das Bundesministerium für Wirtschaft hat- te diese Bewertung bereits 1995 in seinem „Report“ zur Informationsgesellschaft auf die griffige Formel gebracht: „Chip und Computer verändern die Welt radikaler als Dampfmaschine, Webstuhl, Strom und Traktor. […] Information ist zum vierten 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 369 ] großen Wirtschaftsfaktor geworden - so wichtig wie Rohstoffe, Arbeit und Kapital. […] Das Wachstum der Zukunft wird ein Wachstum durch Wissen sein“ (1995, 2 f.). Nach Meinung nahezu aller relevanten Experten kann man also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der derzeit stattfindende „Abschied von der Industriegesellschaft nicht nur eine oberflächliche Veränderung ist, sondern eine tiefgreifende Revolution, daß es nicht nur um eine neue ökono- mische Kategorie geht, sondern um einen dramatischen Wandel des wirtschaftli- chen und sozialen Fundaments der ehemaligen Industrieländer. […] Die Zeiten- wende ist vergleichbar mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft im vergangenen Jahrhundert“ (Heuser 1996, 12). 6.1.1 „Ideenökonomie der Wissensarbeiter“ Die These, dass ein solch fundamentaler Wandel auch im Bereich Arbeit und Be- ruf nicht folgenlos bleiben kann, ist gewiss ein Allgemeinplatz, dagegen ist es, wie oben bereits dargelegt, ungleich schwieriger, Dimension und Richtung der Verän- derungen abzuschätzen. Eine Analyse der zahlreichen zu diesem Thema erschie- nenen Publikationen187 verdeutlicht, dass diese bei aller Unterschiedlichkeit der Akzente und trotz ihrer in Details oft sehr divergierenden Bewertungen und Prog- nosen relativ einheitlich davon ausgehen, dass die folgenden grundlegenden „Me- gatrends“ die Arbeitswelt der näheren Zukunft prägen werden: • Automatisierung: Die bereits Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts einsetzende und sich in dessen letztem Viertel ständig beschleunigende „mikro- elektronische Revolution“ brachte zunächst einen Automatisierungsschub im industriellen Produktionsbereich. Dort ersetzten anfangs numerisch gesteuerte Werkzeug- und Produktionsmaschinen und ab Ende der siebziger Jahre zu- nehmend Industrieroboter die manuelle menschliche Arbeit. Im Jahre 1980 waren in deutschen Werkhallen etwa 1300 Industrieroboter zur Werkzeug- und Werkstückhandhabung im Einsatz. Bis zum Jahr 1990 wuchs deren Zahl auf 28.240 an und hatte sich bis 1995 mit 56.175 Automaten erneut nahezu ver- doppelt. 188 Der daraus entstandene enorme Produktivitätszuwachs lässt sich ebenfalls in Zahlen dokumentieren: Im Jahr 1970 wurde in der BRD in 187 Eine Übersicht über die von mir zu diesem Thema ausgewerteten Titel findet sich oben in Anm. 185, S. 366. 188 Quelle: DIE ZEIT Nr. 25, 14. Juni 1996 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 370 ] 41,7 Milliarden Arbeitsstunden eine reale Wirtschaftsleistung von 1543 Milli- arden Mark189 erbracht, 1995 reichten 47,6 Milliarden Arbeitsstunden, um ei- ne Leistung im Gegenwert von 3023 Milliarden Mark zu erwirtschaften. Da isoliert arbeitende Auto- maten die Möglichkeiten der rechnergesteuerten Produk- tion aber bei weitem nicht ausschöpfen, wurde in den achtziger Jahren unter dem Schlagwort Computer Integra- ted Manufactering (CIM)190 damit begonnen, über die mechanische Arbeitsverrich- tung hinaus auch den Infor- mationsfluss zwischen den einzelnen Bereichen der Produktion zu automa- tisieren. Diese interne Vernetzung der Unternehmen ermöglichte Verände- rungen der hierarchischen Organisationsstrukturen, die unter den populären Schlagwörtern „lean production“ und „Toyotismus“ bekannt sind (vgl. Baukrowitz 2001, 225 f.). Ziel dieser „flachen“ Organisationsmodelle mit op- timierter horizontaler Kommunikation ist die total vernetzte „fraktale Fa- brik“ 191, in der alle für die Produktion notwendigen Steuerungs- und Informa- tionsprozesse so miteinander verknüpft werden, dass die spezialisierten teil- autonomen Subeinheiten („Fraktale“) hochflexibel auf alle Eventualitäten des Produktionsprozesses reagieren und damit die unterschiedlichsten Auf- träge komplett erledigen können. Offen bleibt bisher allerdings, welche Rolle 189 Bruttoinlandsprodukt zu Preisen von 1991 (Zahlen für 1995 ohne neue Bundesländer). Quelle: DIE ZEIT Nr. 16, 12. April 1996 190 Im Idealfall ist CIM ein computergestütztes Produktionsplanungs- und Steuerungssystem (PPS), das alle mit der Produktion zusammenhängenden Betriebsbereiche integriert: CAD (Computer Aided Design = mit Rechnereinsatz verbundene Technik des Konstruierens), CAM (Computer Aided Manufacturing = Steuerung von Maschinen, ver- fahrenstechnischen Anlagen und Transport- und Lagersystemen) und CAP (Computer Aided Publishing = Erstel- lung von typographisch aufgearbeiteten Dokumenten), CAQ (Computer Aided Quality Assurance = in die Produkti- on integriertes Qualitäts- und Funktionsmanagement) (vgl. Frieß/Steiner 1996, 11). 191 Der Begriff „fraktale Fabrik“ wurde Anfang der 1990er Jahre vom Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft zur För- derung der angewandten Forschung, HANS-JÜRGEN WARNECKE, in die Diskussion eingeführt. Er zielt darauf, die hierarchischen Strukturen der tayloristischen Betriebsorganisation durch „viele kleine Regelkreise“ zu ersetzen, die auf der Basis von „Selbstgestaltung, Selbststeuerung, Selbstorganisation, Selbstoptimierung“ die Flexibilität der Un- ternehmen steigern (vgl. Frieß/Steiner 1996, 10 ff.). Bild 200: Industrieroboter ersetzen zunehmend menschliche Arbeits- kraft. Fotografie 1980er Jahre (Kropf 1987, Bd. 1, 185) 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 371 ] in dieser „Vision“ (WARNECKE) der Mensch und seine Arbeitskraft letztlich noch spielen werden. • Informatisierung: Da wie gesagt in den achtziger Jahren des letzten Jahr- hunderts der betriebsinterne Informationsfluss verstärkt ins Zentrum der Überlegungen der Rationalisierungstheoretiker und -praktiker rückte, wird in diesem Zusammenhang auch von einer Informati- sierung der Arbeit gespro- chen. Dies darf nun kei- neswegs so verstanden werden, als hätte die In- formation im bisherigen Produktionsprozess keine Rolle gespielt. Im Gegen- teil. Der Erfolg des spät- mittelalterlichen und früh- neuzeitlichen Handelska- pitalismus beruhte natürlich zu einem Gutteil auf Entscheidungen, die sich auf verlässliche Informationen stützten, und die im 19. Jahrhundert endgültig etablierte kapitalistische Produktionsweise setzte zum Zweck der Profitma- ximierung von Anfang an auch auf systematische Informationssammlung und -verarbeitung, wie die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchsetzenden Prozesse der Verwissenschaftlichung (TAYLOR) und Standardisierung (FORD) der Arbeitszusammenhänge deutlich zeigen (vgl. o., S. 269 ff.). Das qualitativ Neue im ausgehenden 20. Jahrhundert war also nicht etwa die Informationsverarbeitung als solche und auch nicht die rapide Zunahme der Informationsmenge, sondern die Organisation der Informationssysteme und deren Rückwirkung auf die Strukturierung des Arbeitsablaufes in den Betrieben. Kern der Rationalisierung durch Informatisierung ist eine „neue Ökonomie der Zeit“ als „Waffe im Wettbewerb“ auf vier Ebenen: erstens Ab- bau der Zeitpuffer in allen Geschäfts- und Produktionsprozessen; zweitens Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit in Forschung, Entwicklung, Produktion, Logistik und Dienstleistungserstellung; drittens Intensivierung der Zeitnut- Bild 201: Vollautomatische Prozesssteuerung und -überwachung in einem Profilwalzwerk (Bayerische Landeszentrale 1986, 102) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 372 ] zung durch Integration und zeitparallele Bearbeitung und viertens Steige- rung der Reflexivität des Systems durch Lernfähigkeit und Controlling (vgl. Altvater/Mahnkopf 1999, 277 f.). Die technologische Voraussetzung dafür entstand bereits in den 1980er Jahren mit der Entwicklung und raschen Verbreitung des Personalcomputers, der Entstehung neuer Vernetzungs- strukturen (Client-Server) und der Anbindung der lokalen/betriebsinternen Netze an öffentliche weltweite Informations- und Kommunikationssyste- me. Erst das Zusammenwirken dieser drei Komponenten ermöglicht es den Unternehmen, den standardisiert-hierarchischen Informationsmodus aus der tayloristisch-fordistischen Unternehmensvergangenheit zu überwinden und „flachere“ Kommunikationsstrukturen zu etablieren. • Globalisierung: Die Informatisierung der Arbeit kann ihre transformatorische Dynamik jedoch erst mit der Anbindung der Unternehmen an ein weltweites Netz und der dadurch bewirkten Kompression von Raum und Zeit voll entfal- ten. Diese Vernetzung der Betriebe mit dem Weltmarkt über weltweite In- formations- und Kommunikationssysteme ist die neue Qualität des als Globalisierung die Diskurse dominierenden Prozesses. Durch sie werden die Unternehmensgrenzen durchbrochen, der ökonomische Raum über die nati- onalstaatlichen Grenzen hinweg ausgedehnt, Transaktionen in Echtzeit er- möglicht und damit „internationale Wertschöpfungsketten“ organisiert (vgl. Radermacher 1997, 20). Zwar war die Globalisierung auch zu tayloristisch- fordistischen Zeiten nicht unbekannt (Stichwort „internationale Arbeitstei- lung“; vgl. Fröbel u. a. 1983), doch während sie bis vor kurzem fast aus- schließlich das Kapital mobilisieren konnte und der Faktor Arbeit dabei relativ immobil blieb, vermag sie heute auch die Arbeit selbst zu mobilisieren. Kon- kurrierte noch bis vor wenigen Jahren die immobile Arbeitskraft auf internati- onaler Ebene nur indirekt über Qualität und Preise der von ihr hergestellten Produkte miteinander, so tritt heute die mobile Arbeitskraft weltweit und unmittelbar nicht nur bei der Produktion materieller Güter zueinander in Kon- kurrenz, sondern auch auf dem Gebiet der Dienstleistungen. Die relative Sicherheit der Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor, die bisher dem interna- tionalen Wettbewerb nicht ausgesetzt waren, existiert in der heutigen „Ideen- wirtschaft“ so nicht mehr, denn „auf einmal erlaubt es die Informationstechno- 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 373 ] logie nun, viele Dienstleistungen doch zu transportieren, und zwar nicht lang- wierig und ineffizient, sondern in Sekundenschnelle rund um den Erdball. Zeitungen und Fernsehen berichten mittlerweile von Beispielen für diesen neuartigen globalen Wettbewerb. So betreiben Arbeitskräfte in Südasien schon seit 1992 teilweise das Buchungs- und Verrechnungssystem der deut- schen Lufthansa. Digitalarbeiter in Südamerika konkurrieren auf dem glei- chen Markt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit übertragen sie via Satellit oder Tele- fonleitung zu den Kunden in den westlichen Unternehmen. Neben der Buch- haltung lassen sich so auch Programmierdienste ohne weiteres um die Welt senden. […] Indes kommen die neuen Arbeitsplatzkonkurrenten nicht nur aus Asien. In der Tschechischen Republik, in Polen oder Ungarn sitzen gut aus- gebildete Fachkräfte, die für ein Zehntel des Westlohns die Ergebnisse ihrer Arbeit elektronisch an die Kunden im Westen übermitteln. Das betrifft bei- spielsweise technische Zeichner, Statiker, Konstrukteure. Die Informations- technologie erlaubt eben nicht nur die Übertragung einfacher und standardi- sierter Dienste, sondern auch von anspruchsvollen Arbeite[r]n, die hohe Fle- xibilität verlangen. Sie bedroht nicht nur die Jobs von Billigarbeitern, son- dern auch die moderner Problemlöser - oder, um auf die Ideenökonomie zu- rückzukommen, die Jobs von gut ausgebildeten Wissensarbeitern. Denn über die Datenleitung kommunizieren die Dienstleister rund um den Globus mit den Auftrag- oder Arbeitgebern, sie bekommen notwendiges Feedback und können im Netz gemeinsam mit Spezialisten aus den Unternehmens- zentralen an Dokumenten arbeiten. Auch diese Art direkter Rückkopplung und Fernkooperation ist mittlerweile technisch vielfach kein Problem mehr. So können die weit entfernten Mitarbeiter mit der Zeit lernen, sich verbessern und anspruchsvollere Aufgaben übernehmen. Zudem, und das ist in einigen Branchen wichtig, lassen sich die Dienste hin und her transferieren, ohne daß der Zoll einschreiten oder Einfuhrbeschränkungen greifen würden“ (Heuser 1996, 39 f.; Hervorhebungen von mir. HD.). • Flexibilisierung: Die zunehmende Globalisierung verschärft aber nicht nur die Konkurrenz auf dem internationalen Arbeitsmarkt, sondern zwingt die Produzenten auch dazu, in Technologien zu investieren, die eine flexible Reaktion auf Markttendenzen und Konsumentenwünsche erlaubt und die In- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 374 ] novationszyklen für neue Produkte drastisch verkürzt. Auch diese Form der Flexibilität wurde erst durch die digitale Revolution und das Werkzeug Com- puter ermöglicht. Dabei wird zuweilen übersehen, dass in diesem Zusam- menhang die zentrale Rolle nicht der Hardware - dem Was - zufällt, sondern vielmehr der Software - also dem Wie, weil das, wozu Automaten, Compu- teranlagen und vernetzte Systeme in der Lage sind, vor allem von der sie steuernden Computersoftware und den in ihr zusammenwirkenden Ideen ab- hängt. Diese auf Softwareproduktion und -einsatz basierende „Ideenökono- mie“ unterscheidet sich von der klassischen Ökonomie dadurch, dass für die Herstellung des Produkts zwar die Arbeitskraft von „Wissensarbeitern“ benö- tigt wird und auch einmalig ein gewisser materieller Aufwand (Computer, Energie) notwendig ist, die massenhafte Produktion dann aber automatisiert und praktisch materialkostenfrei abläuft, und dass vor allem das fertige Pro- dukt selbst die „unökonomische“ Eigenschaft besitzt, durch den Gebrauch nicht aufgebraucht zu werden. Da der Computer in allen vier Megatrends eine Schlüsselrolle einnimmt, kann man HÄNDLER sicher beipflichten, wenn er davon ausgeht, dass die Software und ihre Ent- wicklung zu einem immer wichtigeren Bereich der Ökonomie werden wird: „Unter- nehmen brauchen weltweit einzigartige Programmfunktionen, um ihren Wettbe- werbsunterschied auszuspielen. Ständig müssen sie auf neue Ideen und Gesetze re- agieren. Und seit die Informationsflut dazu zwingt, die Entscheidungskompetenz de- zentral an den Ort des Geschehens zu verlagern, müssen Manager sehen, wie sie die notwendigen Daten und Analysen den zuständigen Ebenen zur Verfügung stellen. Der Bedarf an Computerprogrammen wächst in Zukunft also ins Ungeheuerliche“ (Händeler 2004, 222). 6.1.2 „Feminisierung der Arbeit und postmaterielle Werte“ Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Arbeitswelt müssen über den Wandel der technischen und den wirtschaftlichen Paradigmen hinaus auch gesellschaft- lich-kulturelle Veränderungsprozesse einbeziehen. So werden etwa der demo- grafische Wandel mit sinkenden Geburtenraten bei steigender Lebenserwartung (vgl. dazu Bullinger 2001), sich verändernde Geschlechterrollen sowie die zu- nehmende Brüchigkeit des überkommenen Arbeitsethos’ die Umstrukturierung der Arbeitszeit und der Arbeitsorganisation mit beeinflussen. 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 375 ] • Demografie: Hält der derzeitige Trend an, dass immer mehr Frauen kinderlos bleiben, ihr Qualifikationsniveau steigern, nach materieller Unabhängigkeit, indi- vidueller Lebensgestaltung und persönlicher Entfaltung streben, werden in na- her Zukunft bedingt durch die steigenden Erwerbschancen für Frauen im ex- pandierenden Dienstleistungssektor die Frauen zwangsläufig die Hälfte der Er- werbstätigen stellen und damit auch die Arbeitswelt nachhaltig verändern: „Die Erwerbsarbeit der Zukunft wird ‚weiblicher’ - und damit jedenfalls anders, gege- benenfalls besser. Noch ist die Mehrzahl der Frauen auf typische ‚Frauenar- beitsplätze’ mit niedriger Qualifikation und Bezahlung festgelegt, während nur eine Minderheit der Frauen in hochqualifizierten und gut bezahlten Berufen tätig ist. Doch der Wandel der Arbeitsanforderungen kommt den Frauen entgegen: sie können offener auf andere zugehen, fragen, zuhören, neue Ideen aufneh- men. Frauen müssen sich nicht ständig etwas beweisen und wirken viel integra- tiver, vorausgesetzt, sie haben sich noch nicht den Spielregeln der von Männern dominierten Wirtschaft ausgeliefert“ (Willke 1999, 231). Eine steigende Frauen- erwerbsquote erfordert auch ein neues Rollenverständnis der Männer, da sie künftig mehr Arbeit übernehmen müssen, die bisher Frauen vorbehalten war wie Haus-, Familien-, Erziehungs- und Beziehungsarbeit. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern muss umorganisiert werden, denn bisher sind es doch überwiegend noch die Frauen, die zusätzlich zur Erwerbsarbeit die Kinder versorgen und oft auch noch ältere Menschen pflegen. Derzeit sind in Deutsch- land etwa 35 % der erwerbstätigen Frauen, aber nur 4% der erwerbstätigen Männer teilzeitbeschäftigt. Eine steigende Frauenerwerbsquote wird zur Folge haben, dass auch Männer die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeiten und Arbeits- organisation nützen müssen. Da etwa ab 2010 die steigende Lebenserwartung den durch die sinkenden Geburtenraten ausgelösten Nachwuchsmangel kompensieren muss, wird der derzeit die Arbeitswelt dominierende „Jugendwahn“ ersetzt werden müssen durch ein vorurteilsfreies Bild über ältere Arbeitnehmer. Die Unternehmen werden zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit wieder verstärkt auf das Know-how der Älteren zurückgreifen und deshalb Maßnahmen unterstützen müssen, mit denen die berufliche Kompetenz der „Humanressourcen“ über die gesamt Erwerbsbiografie hinweg weiterentwickelt werden kann. Dies wird den altersbedingten Personalabbau reduzieren und die Beschäftigungschancen Älterer erhöhen. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 376 ] • Werte: Mit dem technologischen, wirtschaftlichen und dem oben kurz skiz- zierten sozialen Wandel wird auch eine spürbare Veränderung der arbeitsbe- zogenen Normen und Wertvorstellungen verbunden sein. Je mehr die Auf- wertung der Eigenarbeit und der Reproduktionsarbeit das Leitbild der „Ar- beitsgesellschaft“ verblassen lässt, desto mehr wird die bisher dominierende berufsorientierte Erwerbsarbeit ihre Bedeutung als „Schlüsselkategorie“ des individuellen und gesellschaftlichen Lebens einbüßen und ihre Rolle an die Arbeitsinhalte abtreten. Man darf aber erwarten, dass „die Erosion arbeits- zentrierter Orientierungsmuster nicht zu einer sinkenden, sondern zu einer anderen Arbeitsethik [führt]. Die Identitätsbildung ist nicht länger um Er- werbsarbeit zentriert, vielmehr wird Arbeit als ein Lebensbereich neben an- deren gesehen: Familie, Freizeit, Eigentätigkeit, Bildung, Politik, Kultur etc., die relativ aufgewertet werden. Arbeitsorganisation und Arbeitsinhalte müs- sen dem Wunsch nach sinnerfüllender Tätigkeit angepasst werden. Auf der Grundlage einer hinreichenden materiellen Sicherung treten postmaterielle Werte in den Vordergrund - nicht alternativ, sondern zusätzlich zu den bishe- rigen“ (Willke 1999, 210; vgl. u. 6.3, S. 390 ff.). Bild 202: Wandel der Arbeitswelt durch Automatisierung und Informatisierung: Links VW-Arbeiter bei der Montage des VW-Käfers im Jahre 1950 und rechts die Montage des VW- Polo durch Industrieroboter 1996. Menschen übernehmen in dieser Fabrikhalle nur noch die „Gewährleistungsarbeit“ (Der Spiegel 1997, 193). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 377 ] 6.2 Beruf 6.2.1 „Das berufsorientierte Normalarbeitsverhältnis geht zu Ende“ Es kann wohl keinen Zweifel darüber geben, dass die oben in aller Kürze skizzier- ten räumlichen, zeitlichen und strukturellen Entgrenzungstendenzen die Industrie- gesellschaft in eine fragmentierte Informationsgesellschaft mit „tausend Arbeits- welten“ (Heuser) transformieren und damit zwangsläufig sowohl die Beruflichkeit selbst als auch den tradierten Berufsbegriff nachhaltig verändern werden. Aus Bild 203: Diese vielfach publizierte Grafik, die den erwarteten Wandel der Arbeitslandschaft der BRD zeigt, wurde vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg auf der Basis des 1998 erschienenen Prognos Deutschland Report Nr. 2 erarbeitet (Bundesanstalt 1999, 2). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 378 ] den gerade zu diesem Themenbereich oft erheblich divergierenden Prognosen192 über Inhalt und Dimension des bereits seit längerem im Gang befindlichen Wandels lassen sich folgende Gemeinsamkeiten herauspräparieren: • Auf den ersten Blick scheint die Transformation der Arbeit auf der Berufs- ebene hauptsächlich zu bewirken, dass in immer kürzeren Zyklen neue Be- rufe entstehen, aber auch wieder verschwinden. Dies ist aber nur die Ober- fläche, wesentlich bedeutender für die künftige Entwicklung ist, dass darunter Prozesse wirken, die zur Folge haben, dass künftig immer mehr Menschen nur noch temporär in häufig wechselnden und immer neuen Tätigkeiten be- schäftigt sein werden. Neue zeitlich oder räumlich nicht fixierte Arbeitsformen wie die verschiedenen Varianten der Telearbeit, der Projektarbeit und der Selbstständigkeit werden zunehmend die traditionellen berufsorientierten Arbeitverhältnisse mit ihrer hergebrachten inhaltlichen, zeitlichen und räumli- chen Stabilität der Arbeitsleistung auflösen. Diese inkonstanten Tätigkeiten verlangen vom Einzelnen steigende Flexibilität auf verschieden Ebenen so- wie den kontinuierlichen Nachweis von Qualifikation beim Bemühen um An- schlussbeschäftigung und erfordern deshalb die Fähigkeit zu „lebenslangem Lernen“ innerhalb und außerhalb der Arbeit. Dies hat wiederum zur Folge, dass die bislang die Beruflichkeit definierenden Kategorien Identität, Konti- nuität und Ganzheitlichkeit für das künftige Berufsverständnis nur noch von geringer Bedeutung sein werden. • Das hohe Tempo des Transformationsprozesses und die sich dadurch künf- tig noch beschleunigende Erosion der Beruflichkeit bewirken, dass Staat und Gesellschaft ihre Rolle bei der Definition von Berufen einbüßen werden und damit der institutionalisierte Beruf auch seine seit 1969 im Berufsbil- dungsgesetz verankerte stabilisierende Funktion als gesellschaftspolitisches Instrument und Ordnungsregulativ für das Zusammenwirken der Akteure der Berufsbildung verlieren wird. Man kann also erwarten, dass die bis- herigen Funktionen des Berufs als individuelle und gesellschaftliche Soziali- sationsinstanz, als Regulativ für den Arbeitsmarkt sowie bei der Zuteilung formaler Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft noch mehr marginalisiert werden als dies bereits heute erkennbar ist. 192 Zusätzlich zu den o. in Anm. 185, S. 366 genannten Publikationen sei in diesem Zusammenhang noch ausdrücklich verwiesen auf Lipsmeier 1998 und Meyer 2000. 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 379 ] Bild 204: Die realen Zahlen des Wandels der bundesdeutschen Berufswelt bestätigen in ihrer Tendenz die Prognose aus den 1990er Jahren (vgl. o. Bild 203, S. 377, iwd 29/2004, 7). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 380 ] • Berufsarbeit in der Informationsgesellschaft stellt sich zunehmend dar als Wis- sensarbeit (innovative Tätigkeiten im Bereich der Forschung, Entwicklung, Pla- nung etc.), als „Gewährleistungsarbeit“ (Tätigkeit zur Aufrechterhaltung und Optimierung automatisierter Produktionsprozesse) und entweder als primäre Dienstleistungsarbeit (der Produktion unmittelbar vor- oder nachgelagerte Tä- tigkeiten) oder als sekundäre Dienstleistungsarbeit (Tätigkeiten im Bereich der Beratung, Betreuung, Bildung etc.) mit steigenden fachlichen und sozialen Anforderungen wie Abstraktionsfähigkeit, Systemdenken, Experimentierfähigkeit, Teamfähigkeit, Kreativität, Reflexivität... Deshalb wird die Berufswelt in Zukunft noch mehr als heute geprägt sein durch zwei gegenläufige Tendenzen: Zunah- me von Tätigkeiten mit hoher Komplexität und steigenden Qualifikationsanforde- rungen einerseits sowie Abnahme von Beschäftigungsmöglichkeiten für Minder- qualifizierte und Personen ohne Ausbildung: „Tätigkeiten im Dienstleistungsbe- reich, die höher- und hochqualifiziert sind, können eindeutig als Gewinner des Strukturwandels bezeichnet werden; allerdings wird es auch hier starken Konkur- renzdruck geben. Verlierer des Strukturwandels sind einfache Tätigkeiten, für die eine berufliche Qualifizierung nicht notwendig ist. Einfache Tätigkeiten werden weiterhin an Bedeutung verlieren. Tätigkeiten mittleren Qualifikationsniveaus mit Berufsqualifizierungen im produktionsorientierten Bereich sind ebenfalls rückläu- fig, im Dienstleistungsbereich hingegen bleibt die Situation stabil“ (Biffl/Lutz 1998, 11). Dies wird zur Folge haben, und di Zahl der Arbeitslosen kann als Beleg dafür gelten, dass Berufsarbeit künftig für einen immer kleiner werdenden Teil der Bevölkerung reserviert sein wird. • Als Folge der Entberuflichung und der Abkoppelung der Berufsausbildung von der Berufstätigkeit entwickelt sich die Berufsbildung in Richtung einer neuen Form der Allgemeinbildung, weil nämlich die berufsspezifischen zunehmend durch multiple (Schlüssel-)Qualifikationen ersetzt werden müssen, die universal anwendbar sind. WERNER DOSTAL u. a. vom Nürnberger Institut für Arbeits- und Berufsforschung sehen darin aber auch eine Chance: „Vordergründig scheint also der Beruf in seiner überkommenen Form mit dem Übergang in eine nach- industrielle Gesellschaft zwar seine Bedeutung zu verlieren, aber gleichzeitig zeigen sich Tendenzen, die eine Renaissance beruflicher Strukturen erkennen lassen. Die gewachsenen Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeit führen zu neuen Varianten, bei denen der Berufsbezug in unterschiedlicher, oft in gegensätzli- cher Weise erkennbar ist“ (Dostal 1998, 455). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 381 ] Dies sieht auch RITA MEYER so, wenn sie in ihrer Studie über die „Qualifizierung für moderne Beruflichkeit“ eine operable Definition für „die berufsförmige Organi- sation von Arbeit“ vorschlägt, mit der die definitorischen Fehlstellen des über- kommenen Berufsbegriffs ergänzt und die durch ihren steten Wandel gekenn- zeichnete Beruflichkeit der Zukunft erfasst werden könnte: „Beruflichkeit organi- siert Arbeit, Erwerb und Qualifikation in so- zialen Dimensionen. Dazu gehört zunächst, daß die Ausübung der Tätigkeit von mehre- ren Personen wahrgenommen wird und daß sie auf eine gewisse Dauer gestellt ist. Ein weiteres Kriterium für die Berufsförmigkeit von Arbeit ist erfüllt, wenn eine dauerhafte Ausübung von Tätigkeiten zudem durch ge- setzliche Formen der Institutionalisierung normativ begleitet wird. […] Eine berufsför- mige Organisation von Tätigkeiten deutet sich auch an, wenn soziale Merkmale der Angehörigen einer ‚Tätigkeitsträgergruppe’ oder Berufsgruppe vergleichbar werden: diese Merkmale können sich auf die Art der Tätigkeit, die Qualifikation, die Funk- tion, die Stellung, die Interessen sowie das Zustandekommen einzelner Berufs- elemente beziehen. […] Beachtung finden sollte in der Auseinandersetzung um moderne Beruflichkeit, daß die soziale Organisation von Arbeit über den Beruf immer ein sozialer Prozeß ist, in den spezifische Interessen einfließen. […] Als Merkmale einer modernen Beruflichkeit deuten sich gegenüber der traditi- onellen Berufsform folgende Elemente an: • geringe Institutionalisierung, • geringe Fachlichkeit, • permanente Veränderung, • hohe Individualisierung, • Dekontextualisierung, • Selbstorganisation, • Autonomie, • keine Begrenzung“ (Meyer 2000, 179 ff.; Hervorhebung von mir. HD.). Bild 205: Auf der Suche nach einem zukunftsorientier- ten Berufsbegriff (Kurzidim 2000, 174) Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 382 ] Jenseits solcher Definitionsvorschläge und der Unsicherheit künftiger Szenarien kann zweierlei mit einiger Sicherheit festgestellt werden: erstens, dass das Ziel der Vollbeschäftigung auch in der postindustriellen Gesellschaft eine nicht erfüllba- re Vision193 bleiben und zweitens, dass das berufsorientierte „Normalarbeitsver- hältnis“ als Kennzeichen der Industriegesellschaft unweigerlich zu Ende gehen wird. Sollen die derzeit ablaufenden Transformationsprozesse von Arbeit und Be- ruf unter diesen Bedingungen auf humane Weise bewältigt werden, ergeben sich daraus zumindest zwei Konsequenzen: • Die auf das Arbeitsleben vorbereitende Ausbildung junger Menschen ist an die neue Situation anzupassen. • Das während der Industrialisierung entstandene Arbeitsethos ist durch ein neues (altes?) zu ersetzen. An der öffentlichen Diskussion um die Zukunft von Arbeit und Beruf fällt auf, dass sie fast ausschließlich auf die Erwerbsarbeit fokussiert ist und dabei meist die Ge- samtheit von individueller und gesellschaftlicher Arbeit außer Acht lässt. Die wäh- rend der Industrialisierung herausgebildete ethische Überhöhung und Idealisie- rung menschlicher Arbeit in Gestalt der beruflichen Erwerbsarbeit hat völlig in den Hintergrund gedrängt, dass sich menschliche Arbeit nicht nur in einer, sondern in drei Kategorien darstellt: einmal als berufliche Erwerbsarbeit, zum zweiten als öf- fentliche (politische) Arbeit und drittens als private (reproduktive) Arbeit. Da ge- sellschaftliche Wertschätzung nahezu ausschließlich den beiden ersten Formen zuteil wird, kommt die dritte bei Überlegungen, wie die „Krise der Arbeitsgesell- schaft“ zu überwinden sein könnte, nur selten in den Blick. Doch im Übergang „vom System standardisierter Vollbeschäftigung zum System flexibel-pluraler Un- terbeschäftigung“ (Beck 1998, 222) muss nicht nur das Verhältnis der einzelnen Arbeitsformen zueinander neu definiert, sondern auch eine Antwort auf die Frage gefunden werden, welche Funktionen in einer Informationsgesellschaft der Muße zukommen sollen (vgl. u. 6.2.2, S. 385 ff.). In diesem Zusammenhang ist noch ein- 193 Ein Blick in die Vergangenheit zeigt ohnedies, dass es den Zustand der Vollbeschäftigung außer in Kriegs- und wirt- schaftlichen Ausnahmezeiten wie in der BRD zwischen 1953 und 1965 zu keiner Zeit und an keinem Ort der Welt gegeben hat. Der Schock der ersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit 1965/66 hat in der BRD dazu geführt, dass der deutsche Bundestag 1967 die Vollbeschäftigung neben Preisniveaustabilität, Wirtschaftwachstum und außen- wirtschaftlichem Gleichgewicht als wirtschaftspolitisches Ziel gesetzlich verankerte („Stabilitätsgesetz“). Es ist wohl eher deren ideologischer Brauchbarkeit zu verdanken als ihrer praktischen Realisierbarkeit, dass diese Ziele sowohl in den Lehrplänen der Schulen als auch in neueren Lehrbüchern in Form des „magischen Vierecks“ noch immer fröhliche Urständ feiern (vgl. z. B. Granados/Gurgsdies 1999, 1 ff.). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 383 ] einmal daran zu erinnern, dass die hermetische Trennung von leistungsorientierter Arbeit in einem zeitlich streng regulierten „Normalarbeitsverhältnis“ und müßig- gängerischer Freizeit erst in neuerer Zeit entstanden ist: „Arbeiten und Wohnen, Arbeit und ‚Leben’ bildeten vor der Industrialisierung weithin eine räumliche und zeitliche Einheit. Der Lebensrhythmus der meisten Individuen und Gruppen war in die ‚Arbeitszeit’ integriert, die auf dem Lande grundsätzlich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang dauerte. Auch in den gewerblichen Berufen der städtischen Be- völkerung entsprach die Arbeitszeit mehr den Tageslichtphasen und dem Zyklus der Auftragslage als einer abstrakten Zeitbudget-Einteilung. Die vorindustrielle ‚Arbeitszeit’ schloß also auch längere Pausen sowie Gelegen- heiten zur Befriedigung natürlicher und kultureller Lebensbedürfnisse ein. Bei die- ser Gemengelage von Arbeits- und Nicht-Arbeitszeit könnte ein bloß formaler Ver- gleich von rechtlich normierten Arbeitszeiten […] leicht zu falschen Schlüssen über die tatsächliche Dauer der Arbeit und deren Bedeutung für die Lebensgestaltung der arbeitenden Bevölkerung verleiten. Bei genauerer Untersuchung ergibt sich nämlich der verblüffende Befund, daß in der vorindustriellen Gesellschaft die tat- Bild 206: Ein Trend, der auch in Zukunft anhalten wird: Die Beschäftigungschancen ungelernter Arbeitskräfte haben sich in den vergangenen 20 Jahren weiter verschlechtert, während die Akademiker in der Regel vom Wandel der Berufswelt profitierten (iwd 29/2004, 6). Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 384 ] sächliche Arbeitszeit im Montanbereich sowie in den Wirtschaftssektoren Hand- werk und Handel durchaus schon der Arbeitszeitdauer moderner Industriegesell- schaften entsprach und nicht selten sogar darunter lag“ (Otto 1990, 53). Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass die meisten der kreativen Vorschläge (vgl. o. Anm. 185, S. 366), wie der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ beizukommen wäre, am Umfang der Arbeitszeit und an der Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf die einzelnen Menschen ansetzen, denn - um mit ANDRÉ GORZ zu spre- chen - „nur die Befreiung von der ökonomisch zweckbestimmten Arbeit durch Ar- beitszeitverkürzung und die Entwicklung von ‚Alternativen zur Lohnarbeit’ in Ge- stalt anderer, selbstbestimmter und selbstgesteuerter Tätigkeitsweisen können den (Lohn)arbeitseinsparungen einen Sinn verleihen, die unweigerlich aus der lau- fenden technologischen Revolution hervorgehen. Das Konzept einer Gesell- schaft der befreiten Zeit, in der alle Arbeit finden, aber immer weniger öko- nomisch zweckbestimmt arbeiten müssen - dieses Konzept ist der mögliche Sinn der gegenwärtigen historischen Entwicklung. Es vermag die verschiedenen Bestandteile der sozialen Bewegung in einer gemeinsamen Perspektive zu verei- nen; denn • erstens geht es aus einer Weiterführung der vergangenen Kämpfe und Er- fahrungen der Arbeiterbewegung hervor; • zweitens geht es über diese Kämpfe und Erfahrungen dadurch hinaus, daß es sie auf Ziele ausrichtet, die ebenso den Interessen der Beschäftigten wie denen der Arbeitslosen entsprechen, es vermag also ihre Solidarität und ih- ren gemeinsamen politischen Willen zu festigen; und • drittens kommt es dem Bestreben einer großen Anzahl von Frauen und Männern entgegen, die Macht über und in ihrem Leben (wieder-)zuerlangen“ (Gorz 1998, 313 f.; vgl. Negt 1984). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 385 ] 6.2.2 „Ohne Muße keine (berufliche) Bildung“ Es fehlen also nicht die visionären und konstruktiven Ideen zur humanen Bewälti- gung dieser Transformation, was fehlt, sind vielmehr die Bereitschaft und der Wille derjenigen, die über gesellschaftliche Definitionsmacht verfügen, neue und unkon- ventionelle oder gar System verändernde Lösungen zu suchen, denn sie unterbrei- ten zur Lösung der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ stattdessen Vorschläge aus der Mottenkiste der frühkapitalistischen Industrialisierung, wenn sie beispielsweise dazu auffordern, die Wochen- und Lebensarbeitszeiten wieder zu verlängern. Diese Unfähigkeit zu System transzendierendem Denken wurzelt unter anderem wohl auch im nach wie vor starren Festhalten an dem vor und während der indus- triellen Revolution entstandenen Arbeitsbegriff. Dabei ist auch die Kritik an der ideo- logisch überhöhten und nun in der postindustriellen Gesellschaft erst recht kontra- produktiv wirkenden Funktion der Erwerbsarbeit durchaus keine „Erfindung“ des ausgehenden 20. Jahrhunderts. KARL MARX’ Schwiegersohn, PAUL LAFARGUE (1842-1911), hat bereits im Jahre 1880 die vom kapitalistischen Bürgertum wie von seinen marxistischen Kritikern gleichermaßen betriebene Idealisierung der Arbeit als „verderbliches Dogma“ qualifiziert und ein „Recht auf Faulheit“ reklamiert: „Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalisti- sche Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herr- schende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde, und be- schränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und un- würdige Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wiederum zu Ehren zu bringen gesucht. […] Jehovah, der bärtige und sauertöpfische Gott, gibt seinen Verehrern das erhabenste Beispiel idealer Faulheit: nach sechs Tagen Arbeit ruht er auf alle Ewigkeit aus. […] Und auch das Proletariat, die große Klasse der Produ- zenten aller zivilisierten Nationen, die Klasse, die durch ihre Emanzipation die Menschheit von der knechtischen Arbeit erlösen und aus dem menschlichen Tier ein freies Wesen machen wird, auch das Proletariat hat sich, seinen historischen Beruf verkennend, von dem Dogma der Arbeit verführen lassen. Hart und schreck- lich war seine Züchtigung. Alles individuelle und soziale Elend entstammt seiner Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 386 ] Leidenschaft für die Arbeit. […] Unser Jahrhundert wird das Jahrhundert der Arbeit genannt; tatsächlich ist es das Jahrhundert der Schmerzen, des Elends und der Korruption“ (Lafargue 1969, 19 ff.; vgl. Asholt/Fähnders 1991, 81 ff.). Daran gilt es sich heute zu erinnern, wenn wir darüber diskutieren, mit welchen Inhalten wir das antiquierte industrielle Arbeitsethos den neuen Erfordernissen einer Informations- und Wissensgesellschaft anpassen können. Eine wesentlich Rolle wird in diesem Prozess auch der künftigen Gestaltung des deutschen Bildungssystems im Allgemeinen und der anstehenden Reform der Be- rufsbildung im Besonderen zukommen. In den letzten Jahren häufen sich ja nachgerade die Negativschlagzeilen, mit denen auf die Bildungsmisere hierzu- lande hingewiesen wird. Nach dem Pisa-Fiasko fällte jüngst eine Studie der Orga- nisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) in einem Vergleich der Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme der 30 OECD-Mitgliedsstaa- ten laut Süddeutscher Zeitung „ein vernichtendes Urteil: Deutschland fällt in punc- to Bildung weltweit weiter zurück. Drei Jahre nach dem schlechten Abschneiden in der ersten Pisa-Studie und trotz der seitdem eingeleiteten Veränderungen droht das deutsche Bildungssystem vollends den Anschluss an die wichtigsten Indust- rieländer zu verlieren“ (15.09.2004). Nach dem eingangs dieses Kapitels Ausgeführten wäre es meiner Ansicht nun die falsche Strategie, in die Zukunft gerichtete Entscheidungen völlig von einer mit welchen Mitteln auch immer erstellten Zukunftsprognose abhängig zu machen, denn schließlich ist, wie oben dargetan wurde, kein Verfahren vorstellbar, das eine auch nur ansatzweise zukunftsgewisse Vorhersage ermöglichte. Gerade im Hin- blick auf den sich stetig beschleunigenden und zuweilen unvorhersehbare Rich- tungen nehmenden Wandel scheint die einzig Erfolg versprechende Möglichkeit, künftige Herausforderungen zu bewältigen, die zu sein, die Strukturen flexibel zu gestalten und vor allem die in ihnen agierenden Menschen so auszubilden, dass sie auf die Entwicklungen nicht nur reagieren, sondern sie aktiv mitgestalten kön- nen. Obwohl es nicht Aufgabe dieser Studie sein kann, detaillierte Vorschläge für eine Reform der beruflichen Bildung zu unterbreiten, erlaube ich mir hier dennoch einige Andeutungen. Zunächst sei auf die Anregungen der emeritierten Frankfurter Wirtschaftspädagogin INGRID LISOP hingewiesen, die 2003 drei Problemkreise formuliert hat, die im Rahmen einer Reform „angegangen werden müssten: 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 387 ] 1. Die von der gesellschaftlichen und qualifizierenden Realität abgekoppelte, verselbstständigte Kategorie der Beruflichkeit und die daran geknüpfte Ord- nungspolitik läuft Gefahr, dass das Duale System in sich zusammenbricht und dass dann diejenige chaotische, dequalifizierende Modularisierung greift, die man zu Recht verhindern will. Nicht das Duale System und sein Berufs- bezug bilden dagegen das Bollwerk. Vielmehr ist an neue Kombinationen von Allgemeinbildung und fachlicher Qualifizierung zu denken. 2. Durch Standardisierungen einerseits, Komplexitätsanreicherungen anderer- seits entsteht eine Segmentierung. Sie verlangt auf der einen Seite Professi- onalisierung, auf der anderen legt sie eher ein modularisiertes Baukastensys- tem als Organisationsform der Qualifizierung nahe. Damit ist nicht automa- tisch sozialen Deregulierungen Tor und Tür geöffnet. Die Kopplung von Be- rufsbildungspolitik und Sozial- bzw. Tarifpolitik ist an ihre Grenzen gelangt. Zur Sicherung der zugrundeliegenden politischen Ziele dieser Kopplung müssen neue Wege gesucht werden. 3. Es bedarf dringend breiter interdisziplinärer Forschung zur Beseitigung der Passungsprobleme zwischen Qualifikationsforschung und Lehrplan- bzw. Ausbildungsplanentwicklung“ (Lisop 2003, 44). Deshalb sollte die Reform der beruflichen Bildung meiner Ansicht nach zwin- gend die 2001 vom Forum Bildung vorgestellten „Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen“ berücksichtigen. Die dazu formulierten „Leitsätze“ gehen aus von den drei „Zieldimensionen“ von Bildung und Qualifikation: „Entwicklung der Per- sönlichkeit, Teilhabe an der Gesellschaft und Beschäftigungsfähigkeit“ und entwi- ckeln sodann folgende sechs Thesen, wie diese zu erreichen seien: • „Kompetenzansatz statt Wissenskanon: In einer auf Pluralität und ständigem Wandel gegründeten Gesellschaft kann der Weg zur Realisierung dieses um- fassenden Bildungsbegriffs nur über den Erwerb von Kompetenzen führen, die den Einzelnen zur Orientierung und zum produktiven Umgang mit Pluralität und Wandel befähigen. Zu diesen Kompetenzen zählen vor allem: Lernkompetenz (Lernen des Lernens), die Verknüpfung von ‚intelligentem’ inhaltlichen Wissen mit der Fähigkeit zu dessen Anwendung, methodisch-instrumentelle (Schlüs- sel-)Kompetenzen, insbesondere im Bereich Sprachen, Medien und Naturwis- senschaften, soziale Kompetenzen sowie Wertorientierungen. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 388 ] • Lernen des Lernens: Lernprozesse selbst müssen wesentlich stärker zum Gegenstand von Bildung werden. Lernkompetenz (Lernen des Lernens) kann nicht durch ein neues Schulfach vermittelt werden, sondern muss in das Ler- nen von Inhalten fachlicher Lehr-/Lerneinheiten in allen Bildungsabschnitten ab dem Kindergarten integriert werden. • Fach- und Methodenkompetenz: Fachkompetenz setzt solides inhaltliches Wissen voraus. Zur Fachkompetenz gehört aber gleichermaßen die Fähigkeit zur Anwendung dieses Wissens; dieser Aspekt muss stärkeres Gewicht in Lehre und Unterricht erhalten. Hinzu kommen überfachliche (Schlüssel-)Kom- petenzen insbesondere im Bereich Sprach- und Medienbeherrschung sowie in den Naturwissenschaften. Fachliches Wissen und überfachliche Kompe- tenzen dürfen nicht isoliert voneinander vermittelt werden. • Soziale Kompetenzen: Der Erwerb sozialer Kompetenzen erfordert reflek- tierte soziale Erfahrungen. Diese werden begünstigt durch Gruppenunter- richt, Teamarbeit und Konfliktlösungsaufgaben. • Werte erfahren: Orientierung im Wandel setzt - auch und gerade in Bil- dungseinrichtungen - Gelegenheiten zum Erfahren und Reflektieren von Werten und zur Entwicklung von Perspektiven voraus. • Kompetenzerwerb in der Lebens- und Arbeitswelt: Kompetenzen werden nicht nur in den klassischen Bildungsinstitutionen erworben, sondern in star- kem Maße auch in der Lebens- und Arbeitswelt. Bildungseinrichtungen müs- sen sich daher noch stärker öffnen für ihr soziales, kulturelles und wirtschaft- liches Umfeld. Kompetenzen, die außerhalb von formaler Bildung erworben worden sind, müssen anerkannt und in formale Bildungsprozesse einbezo- gen werden“ (Arbeitsstab 2001, 7 ff.). Und nicht zuletzt müsste eine zukunftsorientierte Reform der beruflichen Bildung meines Erachtens auch den Ansatz ERICH RIBOLITS’ berücksichtigen, der seine Habilitationsarbeit zu der Frage, ob der Mensch tatsächlich erst durch Arbeit zum Menschen wird, mit der bedenkenswerten These schließt: „Ohne Muße keine (be- rufliche) Bildung, [denn] Muße als Prinzip humaner Lebensgestaltung ist Vorausset- zung für ein Heraustreten des Menschen aus der gesellschaftlichen Determiniertheit und für ein Heranwachsen von Individuen, die in der Lage sind, die gesellschaftli- 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 389 ] chen Bedingungen in die Richtung humaner Entfaltungsmöglichkeiten zu verändern. Der Muße einen entsprechenden pädagogischen Stellenwert einzuräumen bedeutet gegen die Desorientierung, Entfremdung und mangelnde Urteilsfähigkeit des heuti- gen Menschen anzuarbeiten. Muße ist die Voraussetzung des freien, unverzweck- ten Individuums. Sie stellt somit die Grundlage für eine qualitative Weiterentwick- lung der Gesellschaft dar - einer Weiterentwicklung in Richtung einer Überwindung der sich als fortschreitende ökonomische Verzweckung von Natur und Mensch arti- kulierenden Arbeitsgesellschaft zu einer Gesellschaft, die - wie es THEODOR W. ADORNO in seiner ‚Minima moralia’ ausdrückt - ‚vielleicht der Entfaltung überdrüssig [sein wird] und aus Freiheit Möglichkeiten ungenutzt läßt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen’“ (Ribolits 1997, 271, 300). So betrachtet zeigt sich auch, dass die Entscheidung, das vom Modellversuch VISUBA entwickelte und der Öffentlichkeit vorgelegte Konzept für eine Daueraus- stellung über die „Entstehung und Entwicklung der Berufsausbildung in Deutsch- land“ im Deutschen Museum zu realisieren, nicht nur dekorativen Charakter hät- te, sondern gewiss einen gewichtigen Beitrag dazu leisten könnte, die dringend notwendige Diskussion über die zukunftsorientierte Anpassung des Berufsbil- dungssystems in Deutschland voran und einer Entscheidung näher zu bringen. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 390 ] 6.3 Visualisierung (Leitobjekt: Computer) 6.3.1 Zentralbereich Als Leitobjekt für die Epoche 6 Zukunft von Arbeit und Beruf im Zentralbereich wurde der Computer ausgewählt, weil er zum einen wie kein anderes Gerät als Signum des dramatischen Wandels der Arbeits- und Berufswelt gelten kann und damit die derzeit ablaufende Transformation der Industriegesellschaft in eine In- formations- und Wissensgesellschaft symbolisiert, und weil zum anderen die auf den Computern installierte Software - wie oben dargestellt - aller Voraussicht nach die weitere Entwicklung von Arbeit und Beruf wohl noch nachhaltiger beein- flussen wird als bisher schon geschehen. Die bereits angesprochene Installation des Computers in einer Einheit mit dem Faustkeil (vgl. o. 1.3, S. 55 ff.) schließt gewissermaßen den Kreis des bisherigen Geschehens von den Anfängen bis zur Gegenwart und öffnet zugleich eine Perspektive in künftige Prozesse, über die ei- ne Reihe anderer Aspekte des Modellversuchs VISUBA integriert werden kann, wie ein Blick auf einige Visualisierungsmöglichkeiten des beispielhaft herausge- griffenen Teilkonzepts „Wirtschaft und Verwaltung“ (Horlebein/Bruchhäuser) zeigt: „Jugend gründet“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hält mit seinem Internetspiel „Jugend gründet“ eine interessante interaktive Simulation bereit. „Zielgruppe dieses Spiels sind Schülerinnen und Schüler, die eigene Ideen für Hightech- Produkte entwickeln und anschließend einen Businessplan für ein Unternehmen zur Herstellung dieser Produkte aufstellen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gründen anschließend - virtuell - ihr eigenes Unternehmen und führen dieses über die ersten vier Geschäftsjahre. Ist bei der Gründungsidee vor allem die kreative Auseinandersetzung mit Zukunftstechnologien gefragt, muss in der Planspielpha- se in erster Linie betriebswirtschaftliches Wissen unter Beweis gestellt werden“ (Weitere Informationen unter www.jugend-gruendet.de). Der PC, auf dem diese Simulation läuft, könnte zudem als virtueller Telearbeitsplatz gestaltet werden. Zu diesem Thema finden sich im Internet zahlreiche weitere Angebote, die sich ebenfalls für eine Verwendung in Rahmen VISUBAs eignen. Hierzu noch ein Bei- spiel: 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 391 ] Virtuelle „Karriereberatung“ Eine Reihe von Firmen bieten wie z. B. die Commerzbank im Internet sog. Online- Assessments und interaktive Bewerbertests in Form einer „interaktiven Karrierebe- ratung“ an. Hier können Bewerberinnen und Bewerber, die sich für einen Berufsweg bei der Commerzbank interessieren, ihre Eignung dafür mit Hilfe des Programms „Hotstaff“ einem ersten Test unterziehen: „Dabei werden Verkaufsfähigkeit, Sozial- kompetenz, Bankwissen und methodisches Vorwissen getestet. Wer sich unter www.hotstaff.de einträgt, landet in einer 3-D-Simulation der Frankfurter Firmenzent- rale, wo er sich bis zur Chefetage hocharbeiten muss. Am Ende, nach etwa einer Stunde, steht die Auswertung der Testergebnisse. ‚Wir konfrontieren den Teilneh- mer mit einer Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdbild und zeigen auf, für welche Bereiche er sich am besten eignen würde’, erklärt PETER REGGENTIN- MICHAELIS, bei der Commerzbank für das E-Cruiting zuständig. 15 000 Spieler jähr- lich bewegen sich durch die Simulation“ (Englert 2002). VISUBA will aber nicht nur virtuelle Karriereberatung, sondern konkrete Hilfe in möglichst vielen Fragen der Berufsberatung bieten. Zentrale Bedeutung wird in diesem Zusammenhang dem in den Zentralbereich der Ausstellung integrierten Berufsinformationssystem 194 zukommen, das über die aktuellen Strukturen des Berufsbildungsystems der BRD informiert und mit allen externen Angeboten und Datenbanken zu diesem Thema vernetzt sein wird. Zudem ist in diesem Bereich der Ausstellung eine „Aktionsfläche“ geplant, die den verschiedensten Akteuren der Berufsbildung, von den Berufsschulen über die betrieblichen Ausbilder bis hin zu Lehrerausbildung und beruflicher Weiterbildung ein Forum bieten soll. 6.3.2 Insellösung im DM Da die Epoche 6 mit dem völlig neu konzipierten Zentrum Neue Technologien (ZNT) des DMs verknüpft und der Zentralbereich VISUBAs im ZNT realisiert wer- den soll, kann man in diesem Falle eigentlich nicht mehr von einer „Insellösung“ in Sinne der internen Dezentralisierung sprechen, vielmehr wird hier die primäre Aufgabe der Visualisierung sein, die Schnittstelle zwischen VISUBA und dem ZNT zu gestalten, die durch die Computersoftware gebildet wird. Auf einer eige- 194 Vgl. folgende VISUBA-Teilkonzepte: HANF, Georg: Berufsinformationssysteme und Datenbanken zur beruflichen Aus- und Weiterbildung. Bonn 2004 MASLANKOWSKI (2004/c), Willi: Aktuelle Strukturen beruflicher Bildung. Königswinter 2004 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 392 ] nen Homepage skizziert das DM die Zielsetzung seiner im Aufbau befindlichen neuen Abteilung: „Das ZNT öffnet die Labors und zeigt aktuelle Forschung. Dau- erhaft angelegte Kernausstellungen werden den ‚molekularen’ und ‚digitalen’ Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts gewidmet: jenen ‚Werkzeugen’ der Forschung, auf denen die aktuellen Fortschritte in Wissenschaft und Technik be- ruhen“ (www.deutsches-museum.de/dmznt/; Hervorhebungen von mir. HD.). Als Beispiel für die Ein- satzmöglichkeiten dieser „digitalen Schlüsseltechno- logien“, zu denen ja gerade die Computersoftware und ihre Entwicklung zählen, stellt die Homepage des ZNT einen über das Inter- net im sogenannten remo- te_lab fernzusteuernden Roboter vor, der sich auch als interaktive Visualisie- rungsmöglichkeit für VISU- BA eignet: „Ferngesteuerte Roboter sind in Wissenschaft und Technik nicht mehr wegzudenken. Überall dort, wo es für Menschen zu mühsam oder zu gefährlich wäre, kommen ferngesteuerte Roboter zum Einsatz: Sie erkunden den Boden der Tiefsee, nehmen Gesteinsproben auf dem Mars, fahnden nach Lecks in Rohrlei- tungen und helfen bei der Demontage abgeschalteter Kernkraftwerke. Mit unse- rem Versuch lernen Sie auf spielerische Art Möglichkeiten und Grenzen der Robo- tertechnik kennen. […] Ein Spielzeugroboter mit einer Videokamera an Bord ist in einem Labyrinth unterwegs. Sie steuern ihn, indem Sie über die Pfeiltasten seine Bewegungsrichtung vorgeben. Versuchen Sie, den Roboter zum Spiegel zu fah- ren, in dem Sie ihn betrachten können! Eine Seitenwand des Labyrinths ist durch- sichtig. Werfen Sie von hier aus einen Blick nach draußen! […] Es gibt eine Menge Orte, an denen Menschen gar nicht oder nur unter höchst gefährlichen Bedingun- gen arbeiten können. […] Um dennoch möglichst gefahrlos und kostengünstig in diese Bereiche vorzudringen, bedient sich der Mensch ferngesteuerter Augen und Bild 207: Neue Berufe: Produktion von Computer-Chips im Reinraum als Schnitt- stelle zwischen VISUBA und dem ZNT des Deutschen Museums (Kropf 1987, Bd. 1, 182). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 393 ] Ohren: Er benutzt Roboter, die für ihn tauchen, graben, ins Weltall fliegen oder Minen suchen. […] Bei unserem Roboter handelt es sich um ein Kettenfahrzeug, das mit einer Videokamera ausgestattet ist. [...] Über das Internet kann man dem Ro- boter Befehle erteilen, in welche Richtung er sich bewegen soll: vorwärts fahren, rückwärts fahren, auf der Stelle nach links oder nach rechts drehen. Während die Energieversorgung und Videoübertragung über Kabel erfolgt, werden die Steuerbe- fehle drahtlos an das Fahrzeug übermittelt“ (Link zur Homepage des remote_lab: www.deutsches-museum.de/dmznt/znt/0b_remotelab.html). Dieses Beispiel deutet die hervorragenden Möglichkeiten für eine Kooperation zwi- schen VISUBA- und ZNT-Team bei der Entwicklung von Visualisierungen für die Epoche 6 Zukunft von Arbeit und Beruf an, macht andererseits aber auch deutlich, dass diese natürlich sehr stark von den Vorentscheidungen des DMs abhängig sind. Um Redundanzen und Arbeiten für den Papierkorb zu vermeiden, ist es sinnvoll, mit der konkreten Ausarbeitung einer Konzeption für die inhaltliche Einbindung VISU- BAs in das ZNT und detaillierte Visualisierungsmöglichkeiten erst dann zu begin- nen, wenn die Realisierung VISUBAs tatsächlich beschlossen worden ist. 6.3.3 Leitziele der Visualisierung Bezogen auf die VISUBA-Thematik müssen in diesem Fall in enger Kooperation mit dem ZNT-Team Möglichkeiten gefunden werden, den sich derzeit vollziehen- den Wandel von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft zu visu- alisieren. Dazu kann zunächst die oben bereits erwähnte Konfrontation des Faust- keils mit Computer und Software eingesetzt werden (vgl. o., S. 55 ff.), denn die Gegenüberstellung dieser Werkzeuge aus so weit auseinander liegenden Epo- chen der Menschheitsgeschichte kann folgende Aspekte veranschaulichen: • Steigerung der Komplexität und des Abstraktionsgrades der Werkzeuge auf verschiedenen Ebenen: Herstellung, Funktions- und Wirkungsweise, An- wendung und Wirkung; • Wandel der Mensch-Werkzeug-Beziehung: Entmaterialisierung der Werk- zeuge (vom Feuerstein zur Software) und Abnahme der sinnlichen Erfahr- barkeit; Reduktion der Bedeutung menschlicher Körperkraft und Zunahme der Bedeutung des Intellekts; Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 394 ] • Wandel der Produkt-Werkzeug-Beziehung: Entmaterialisierung der unmit- telbaren, physikalischen Werkzeugwirkung (vom Hammerschlag zum Maus- klick); Auflösung des Zusammenhangs zwischen Material, Funktion/Wirkung und Form. Aus der Sicht von VISUBA wird es besonders darauf ankommen, in Zusammenar- beit mit dem ZNT-Team Visualisierungsmöglichkeiten zu finden, die • den Wandel der Berufswelt und des Stellenwerts der Beruflichkeit („tau- send Arbeitswelten“, Erosion traditioneller Berufe und Entstehung neuer Be- rufe, Verkürzung der „Halbwertszeit“ beruflichen Wissens, Job statt Beruf…) sicht- und erfahrbar machen; • die in den letzten Jahren dramatisch zunehmende Geschwindigkeit sowie die daraus folgenden Konsequenzen dieses Wandels (Verkürzung der Inno- vations- und Beschäftigungszyklen, Flexibilität, Projektarbeit, lebenslanges Lernen…) bewusst machen; • sensibilisieren für die Veränderung der beruflichen Qualifikationsanforde- rungen (sinkende Beschäftigungschancen für Minderqualifizierte, steigende Nachfrage nach Höherqualifizierten; vgl. o., Bild 206, S. 383). 6 Zukunft von Arbeit und Beruf [ 395 ] 6.3.4 Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 6 Zukunft von Arbeit und Beruf Ort der Realisierung Exponate und „Zubehör“ Besucher- Aktivitäten PC-Station und Software Flachware etc. Fläche (ca.) Zentral- bereich mit direkter Integration in das ZNT Computer mit Software PCs und Soft- ware für Visualisierungen (ausgewählte Beispiele): • Netzspiel des BMBF, zugleich ge- staltet als vir- tueller Telear- beitsplatz • Virtuelle „Kar- riereberatung“ im Internet • Experiment im remote_lab des DMs Computermöbel und Sitzgelegen- heiten für Zu- schauer/innen Kooperation mit HORLEBEIN/ BRUCHHÄUSER „Wirtschaft und Verwaltung“ und mit dem ZNT-Team des DM Recherche am PC Spiel und Eigen- erprobung am vernetzten PC: • Spielen der interaktiven Simulation „Jugend grün- det“ mit Arbeit am Telear- beitsplatz • Spielen des E-Cruiting- Spiels „Hotstaff“ der Commerz- bank • Spiel mit dem Roboter im remote_lab • Online- Berufs- beratung (Infosystem) PC mit Hintergrund- informationen und Links (intern und extern) PCs für Arbeits- platzsimulation, Spiele, Experi- mente, die Integ- ration in das ZNT sowie für die Online- Berufsberatung Erläuterungen zum den Exponaten Faltblatt oder Broschüre mit Hinweisen zu den Spielen, Simulationen und Experi- menten sowie mit Hinter- grundinforma- tionen Integration in das ZNT 30 m2 Bild 208: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 6: Zukunft von Arbeit und Beruf Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess 7 Zusammenfassung [ 397 ] 7 Zusammenfassung Der Wandel des Arbeits- und Berufsbegriffs in Abhängigkeit vom jeweiligen sozia- len, politischen, ökonomischen und technologischen Kontext muss die Folie bilden für eine Ausstellung mit dem Ziel, die „Entstehung und Entwicklung der Berufsaus- bildung in Deutschland“ zu visualisieren. Das Auftauchen von Werkzeugen aus Menschenhand vor ca. 2,5 bis 1,8 Millionen Jahren als erster materieller Nachweis menschlicher Arbeit markiert den Beginn des für VISUBA relevanten Betrachtungs- zeitraums, der sich, orientiert an der Wertschätzung menschlicher Arbeit, in sechs Epochen gliedern lässt. Die prinzipielle museale Nichtdarstellbarkeit der Kategorie Arbeit sowie die Intention, die Ausstellung als „bildungsaktive Einrichtung“, als Lern- und Erlebnisort für ausgewählte Zielgruppen zu konzipieren, erfordert eine an Leit- objekten orientierte und besucheraktivierende Ausstellungskommunikation. Ursprünge von Arbeit und Beruf (prähistorische Zeit) Diese erste Epoche rückt zunächst die überragende Bedeutung der Kategorie Arbeit für die menschliche Geschichte ins Blickfeld, indem sie deren vier grundlegende Funktionen für den Menschen illustriert: Kompensation physiologischer Mängel, Si- cherung der materiellen Existenz, Befriedigung der Bedürfnisse und Bestimmung der Stellung in der (Um-)Welt (Selbstverwirklichung). Zudem soll sie verdeutlichen, wie und warum sich durch Arbeitsteilung beruflich organisierte Arbeit herausgebildet hat. Die Visualisierung dieser Zusammenhänge mittels der Leitobjekte Faustkeil und „Gletschermann-Ensemble“ (Ötzi) sowie deren Konfrontation mit dem Werkzeug Computer der Epoche 6 erzeugt Spannung, die die Besucherinnen und Besucher dazu motivieren soll, sich mit der Ausstellungsthematik auseinanderzusetzen. Das Leitobjekt Faustkeil macht bewusst, dass der Mensch das einzige Wesen im Öko- system Erde ist, das nicht nur Werkzeuge benützt, sondern diese selbst funktional gestaltet und zur Werkzeugherstellung selbst wiederum Werkzeuge entwickelt und einsetzt. Die Fähigkeit zu Herstellung und Gebrauch von Werkzeugen erweist sich als ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung der Gattung Mensch, denn sie entzieht den Menschen bestimmten natürlichen Selektionsmechanismen und er- möglicht ihm damit eine sich von den Umweltbedingungen lösende Entwicklung. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 398 ] Die zeitliche und regionale Verbreitung der Werkzeuge belegt, dass das in diesem Zusammenhang gewonnene spezielle Erfahrungswissen an nachfolgende Gene- rationen weitergegeben worden sein muss. In der Besucherwerkstätte erlebt das Publikum selbst die Nachahmung (Imitatio) als ursprüngliches Lernprinzip. Das zweite Leitobjekt, der „Gletschermann“, demonstriert mit der Vielfalt und Komplexität der bei ihm gefundenen Geräte und Werkzeuge die früh in der Ge- schichte einsetzende Spezialisierung einzelner Menschen auf bestimmte Tätigkei- ten. Das Ensemble visualisiert den Prozess der horizontalen Arbeitsteilung, aus der sich Vorformen von Berufen entwickelten, deren spezielle Kenntnisse und Fä- higkeiten sowie Werkzeugformen, -herstellung und -einsatz durch Imitation tradiert wurden. Aus der Konfrontation des Faustkeils mit dem zur Präsentation eingesetz- ten Computer ergeben sich weitere Leitziele für die Visualisierung. Bei allen Leitobjekten im Zentralbereich sollte ein Informations-Terminal platziert werden, das alle wesentlichen Daten zum sozio-ökonomischen Kontext der Objek- te sowie der zugehörigen Berufe und der jeweiligen Berufsausbildung zugänglich macht und sie mit den entsprechenden Abteilungen des DMs verbindet. Über die Informationsterminals sollte außerdem der Zugang zu externen Ausstellungen und Daten(banken) gewährleistet sein (externe Dezentralisierung). Insellösung: Altamira-Austellung Die Leitobjekte Faustkeil und „Ötzi“ im Zentralbereich sollen in Bezug gesetzt wer- den zur Altamira-Ausstellung im 2. Stock des DMs. Nach der vom Museum geplan- ten Umgestaltung kann das Ausstellungspublikum hier seine Eindrücke über die Entstehung von Arbeit und Berufen in der Vorzeit vertiefen. Negativer Arbeitsbegriff (3500 v. Chr. – 750 n. Chr.) Wie der Sisyphosmythos andeutet, empfanden die Menschen der europäischen Anti- ke harte körperliche Arbeit als Gottesstrafe. Eine quellen- und ideologiekritische Ana- lyse von Werken antiker Autoren ergibt, dass die manuelle Arbeit in der griechischen und römischen Antike zwar als Mittel zur Sicherung der Autarkie der Gemeinschaft auf den verschiedenen Ebenen durchaus geschätzt, von der herrschenden Elite aber als Ausschlusskriterium benützt wurde. Physische Arbeit war in der Antike deshalb 7 Zusammenfassung [ 399 ] verachtet, weil sie nicht um ihrer selbst willen verrichtet wurde, sondern um Lebens- notwendiges herbeizuschaffen. Die Deklassifizierung der körperlichen Arbeit wurde in den antiken Gesellschaften in die vertikale Arbeitsteilung integriert und diente der ideologischen Legitimation sowohl der Befreiung der herrschenden Eliten von der manuellen Arbeit als auch der Sklavenarbeit. Da der Pyramidenbau zu den erstaunlichsten und außergewöhnlichsten Arbeitsleis- tungen der menschlichen Geschichte zählt, sollte die Epoche des negativen Arbeits- begriffs im Zentralbereich durch das Leitobjekt Pyramide symbolisiert werden. Es hat die Funktion, zwei grundlegende „Erfindungen“ der urbanen Kulturen zu ver- anschaulichen: die Ergänzung der horizontalen Arbeitsteilung (Berufe) durch die vertikale (Herrschaft) und die soziale Organisation gesellschaftlicher Arbeit in Be- rufen. Die vertikale Teilung der Arbeit in Hand- und Kopfarbeit integrierte die Arbeit in Herrschaftsideologie und Herrschaftsstrukturen, Arbeit diente als Instrument der Entmündigung des Individuums (Sklavenarbeit). Die Organisation menschlicher Arbeit und die Koordination des Arbeitseinsatzes durch den Staat steigern Effi- zienz und Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit und ermöglichen dadurch die Realisierung von Großprojekten (Pyramiden). Das Beispiel Pyramidenbau visuali- siert, wie die Differenzierung der Arbeit in Be rieben wurde und in welchem Ausmaß die Speziali ierung innerhalb der Berufe zunahm. Die präzisen Bau- werke gelingen aber auch deshalb, weil nun die Wissenschaft Kenntnisse bereitstellt, die in das Berufswissen integriert werden. Di unahme des komplexen Berufswissens er- forderte frühe Formen der Formalisierung und der Methodisierung zur Tradierung, aber Imitatio blieb weiterhin das Grundprinzip der Wissensvermittlung. Insellösung: Abteilung „Maß und Gewicht“ Im Zentralbereich sollte die Nachbildung eines der rund 2,3 Millionen ca. ein Kubikmeter großen Quader, aus denen di pyramide besteht, aufgestellt und mit den Werk- zeugen konfrontiert werden, mi en Hilfe er aus dem Fels ochen und weiter bear- beitet wurde. Da die Vermessung eines der Kernprobleme des Pyramidenbaus darstellt, bietet es sich an, den Zentralbereich mit der Abteilung „Maß und Gewicht“ des DMs zu verbinden und die Themen dort mittels Model dimensionalen Puzzles und Simu- lationsspielen publikumsaktivierend zu visualisieren. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 400 ] Ambivalenter Arbeitsbegriff (750 – 1500) Die namengebende Ambivalenz dieser Epoche des Arbeitsbegriffs zeigt sich in drei- facher Hinsicht: erstens in einer zwiespältigen Haltung des im Abendland kulturprä- genden Christentums zur Arbeit, zweitens in der Ausprägung der sich seit dem 12. Jahrhundert herausbildenden Trennung in zünftiges Stadthandwerk auf der einen Seite und Landarbeit sowie gewerbliche Lohnarbeit auf der anderen und drittens in der gegensätzliche Wertschätzung von Landarbeit und bürgerlichem Handwerk. Mit dem Wort „Arbeit“ verbindet der mittelalterliche Mensch zunächst Mühe, Mühsal und Not, die man leidet, aber auch Kampfesnot und Strafe. Deshalb „arbeiteten“ die Handwerker nicht, sie „werkten“. Arbeit bedeutete im Mittelalter lange Zeit fast aus- schließlich Landarbeit, deren Effizienz durch Innovationen der Klöster gesteigert wur- de. Dies ermöglichte im Hochmittelalter die Entstehung einer großen Zahl von Städ- ten, die sich durch ein hoch arbeitsteili rtschaftssystem aus- zeichneten, das durch Handel und handwerkliches Gewerbe geprägt war. Mit zu- nehmender Individualisierung und Differenzierung des städtischen Handwerks ent- standen die Korporationen der in Handwerk und Handel Tätigen (Gilden, Zünfte und Bauhütten) und zugleich wandelte sich der Berufsbegriff zum Standesbegriff. Be- rufsausbildung im urbanen Handwerk war deshalb zugleich ständische Sozialisation. Die Leitobjekte Dreschflegel und Buch veranschaulichen zunächst die Ambivalenz der Wertschätzung der Arbeit: einerseits die körperlich harte, die Menschen prägende und dequalifizierende Landarbeit, andererseits die hohen gesellschaftlichen Status vermittelnde Handwerkskunst der Buchproduktion („Schwarze Kunst“). Sie symboli- sieren zum zweiten den Gegensatz von Zunfthandwerk und Landarbeit: zunehmende Spezialisierung, Differenzierung und strenge Reglementierung des urbanen Hand- werks durch die Zünfte einerseits und Universalität, deregulierte „Ganzheitlichkeit“ und Naturgebundenheit der Landarbeit anderseits. Das Leitobjekt Buch visualisiert als Produkt hoch spezialisierter Berufstätigkeit die Institutionalisierung und die beginnen- de Formalisierung (schriftliche Wissensweitergabe durch Bauhüttenbücher) der Aus- bildung in den Zünften, Gilden und Bauhütten und weist auf die sozialintegrativen Funktionen der Berufsorganisationen hin (Standeserziehung, Wanderschaft). Der Dreschflegel symbolisiert dagegen eine „Beruflichkeit“, die sowohl bei der Anfertigung des Werkzeugs und des Werkstücks als auch bei dessen Handhabung nur minimale Qualifikationen erforderte. 7 Zusammenfassung [ 401 ] Insellösung: Abteilungen „Agrar- und Lebensmitteltechnik“, „Drucktechnik“ Die Details für die Visualisierung der Themen dieser Epoche und vor allem die Möglichkeiten einer Aktivierung des Museumspublikums werden in den Teilkon- zepten Agrarwirtschaft und Umweltschutz (KÜSTER) sowie Drucktechnik und Neue Medien (KRAUS) entwickelt. Ökonomisierter Arbeitsbegriff (1500 – 1800) Den Anfang dieser Epoche markieren zwei bedeutende Geistesströmungen: Hu- manismus und Renaissance. Die von den kulturgeschichtlichen Neuerungen des europäischen Humanismus’ (Menschenbild) und der Renaissance (Weltbild) be- wirkte Verschiebung des geistigen Koordinatensystems justiert auch den Wert menschlicher Arbeit neu: „Labor omnia vincit improbus“ (Unermüdliche Arbeit über- windet alles). Dieser Umdeutung des Arbeitsbegriffs, mit der die Arbeit zu einer grundsätzlich positiven Wesenseigenschaft des Menschen aufgewertet wurde, konnte die absolutistische Ständegesellschaft letztlich nicht Stand halten. Die Auf- klärung bewirkte mit ihrer Aufforderung an den Menschen, sich aus seiner „selbstver- schuldeten Unmündigkeit“ zu emanzipieren, den bis in unsere Tage nachhaltigsten Wandel des Arbeitsbegriffs. Dessen Ökonomisierung und endgültige Zurichtung für die Bedürfnisse der kapitalistischen Produktionsweise geht zurück auf die Arbeiten von JOHN LOCKE und ADAM SMITH. MARTIN LUTHERs bleibende Leistung ist es, den Begr zung in die deutsche Sprache eingeführt und mit organisierter menschlicher Tätigkeit verknüpft zu haben. Trotz seiner Veranker m vorindustriellen Handwerk steht der durch die Aufklärung säkularisierte indivi ufsgedanke in scharfem Gegen- satz zur korporativen Berufsauffassung der Zünfte. Das Leitobjekt dieser Epoche, die „eiserne Räderuhr“, ist das Symbol für das bis in unsere Tage dominierende naturwissenschaftlich-mechanistische Weltbild und es illustriert zudem die Bedeutung des Faktors Zeit und der Zeitmessung für den Be- reich der Arbeit von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Darüber hinaus ver- anschaulicht das Leitobjekt die Verwissenschaftlichung des Berufswissens (Ener- giespeicherung, Verstetigung der Energieabgabe, Pendel, Zahnrad- und Überset- zungsberechnungen, Miniaturisierung…) und demonstriert die Transformation tra- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 402 ] ditioneller in neue Berufe. Der Prozess der Transformation traditioneller Berufe kann vorzüglich veranschaulicht werden am Beispi herzunft in Augsburg, das bis zum 17. Jahrhundert als europäisches Zentrum der Uhrenherstellung galt. Im Zentralbe- reich ist als Aktivierungselement ein Comput piel vorgesehen, das auf unterhaltsam-in- formative Weise in die Themen di er Epoche einführen soll. Insellösung: Abteilung „Zeitmessung“ Es bietet sich an, dieses Thema mit der Abteilung „Zeitmessung“ des DMs zu verknüp- fen. Wie tiefgreifend die Arbei welt durch die Implementierung des Zeitdiktats umstruktu- riert wurde, verdeutlichet di sche Weiterentwicklung der Uhren zur Erfassung der Arbeitszeit in Zusammenhang mit der Analyse und Ausschöpfung der Rationalisie- rungspotentiale im Arbeitsprozess und stellt so die Verbindung her zur Arbeits- und Be- rufswelt der Gegenwart. Idealisierter Arbeitsbegriff (seit 1800) Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit verwandelten in der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts die menschliche Arbeitskraft in ei ei verfügbaren Ware. Dies war neben den technologischen und politischen Veränderungen eine wesentliche Voraussetzung der in- dustriellen Revolution. Das technologische Großsymbol der Industrialisierung ist die Fab- rik. Die historische Neuerung des Produktionsortes Fabrik war die auf wissenschaftlichen Kriterien basierende Intensivierung des Arbeitsprozesses, der Arbeitseffizienz und die Steigerung der Arbeitsproduktivität bei gleichzeitiger Diszipli equalifizierung der (angelernten) Fabrikarbeiter mit dem Ziel, eine materiellen Gewinn erzeugende Mas- senproduktion von Gütern zu organisieren. Die Entwicklung der Wertschätzung der Arbeit kennzeichnen zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits wurde die theoretische Arbeitsfähigkeit des Menschen zur absoluten conditio humana aufgewertet und als basaler Indikator des Menschseins mystisch überhöht, andererseits reduzierte die industriekapitalistische Massenproduk- tion die praktische Arbeitsverausgabung auf ihren ökonomischen Kern und degene- rierte sie damit zur buchhalterischen Größe. Die soziale Organisation der Arbeit in Form von Berufen wurde durch die Auflö- sung der Zünfte in eine Qualifikations- und Legitimationskrise gestürzt, die deregu- 7 Zusammenfassung [ 403 ] lierte handwerkliche Berufsausbildung verkam unter den ökonomischen Zwängen der Fabrikkonkurrenz zunehmend zu bloßer „Lehrlingszüchterei“. Die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts initiierte Schutzpolitik des Deutschen Reiches zur Un- terstützung der Verlierer der Modernisierung (Handwerk, Kleinhandel, Bauern) und zur Immunisierung dieser Gruppen gegen die sozialreformerischen und system- sprengenden Kräfte (Arbeiterbewegung) förderte die idealisierende Restauration der handwerklichen Beruflichkeit. Parallel dazu entwickelte aber die Industrie ei- gene berufliche Qualifizierungsstandards (Lehrwerkstätte), während mit dem Aus- bau des zweiten beruflichen Lernortes Schule zugleich das „duale System“ der Berufsausbildung entstand. Dieser Prozess wurde mit der Benennung als „Berufs- schule“ (1937) und der Einführung der allgemeinen Berufsschulpflicht (1938) wei- ter vorangetrieben. Der im 19. Jahrhundert aufkommende deutsche Nationalismus entwarf als ideolo- gisches Konstrukt den Begriff der „deutschen Arbeit“ und verband ihn mit dem rassischen Antisemitismus, der den Juden die Arbeitsfähigkeit absprach und sie damit aus der menschlichen Gattung ausgrenzte. Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, die die „nationale Arbeit“ zum Kult erhoben, wurde die arisierte Arbeitsideologie in eine politische Praxis umgesetzt, die unter dem Euphemismus „Endlösung der Judenfrage“ und der zynischen Losung „Arbeit macht frei“ die Ver- nichtung der europäischen Juden durch Arbeit organisierte. Die nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur in den beiden deutschen Staa- ten installierten Berufskonzeptionen und Ausbildungssysteme unterschieden sich in ihren ideologischen Grundlagen sowie in der Reichweite staatlicher Regelung und Normierung erheblich. Trotz dieser politischen und ökonomischen Systemunter- schiede waren aber die betriebszentrierte Form der Facharbeiterausbildung mit be- gleitendem theoretischen Unterricht in einem staatlich geregelten und kontrollierten System normierter Ausbildungsberufe als Gemeinsamkeiten erkennbar geblieben. Während jedoch die DDR sowohl die individuell-subjektiven Aspekte der Beruf- lichkeit als auch das tradierte deutsche Berufskonzept in den stalinistischen Mar- xismus-Leninismus integrierte, restaurierte in der BRD - zugespitzt formuliert - das Personal des untergegangenen NS-Staates das Berufskonzept der Weima- rer Republik und assimilierte dabei auch eine Reihe von Elementen, die der Na- tionalsozialismus dem tradierten Berufskonzept hinzugefügt hatte („großer Befä- Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 404 ] higungsnachweis“, Ordnungsmittel, Gleichstellung von handwerklicher und indus- trieller Berufsausbildung, Neugliederung des beruflichen Schulwesens, Berufs- schulpflicht, duale Ausbildung). Die Suche nach sog. „unersetzlichen Werten“, die das durch die Implosion der NS- Ideologie entstandene Wertevakuum zu füllen vermochten, führte in der BRD in den 1950er Jahren zu einer Renaissance der reformpädagogischen Theorien KERSCHENSTEINERs, SPRANGERs u. a. und zu einer Reaktivierung des Konzepts des idealisierten Lebensberufs, das bereits zur Zeit seiner Formulierung zu anti- quiert war, um für die im schnellen Wandel begriffene Industriegesellschaft der BRD Gültigkeit beanspruchen zu können. Aber die im Zeichen des Wirtschafts- wunders prosperierende und zunehmend an massivem Arbeitskräftemangel lei- dende bundesdeutsche Konsumgesellschaft nahm die kritischen Anregungen der Wissenschaft, die eine „realistische Wendung“ hin zu einer „Verschränkung von Berufsidee und Berufswirklichkeit“ forderte, zunächst kaum zur Kenntnis. Erst die vom technologischen Wandel und der krisenhaften Entwicklung der kapi- talistischen Wirtschaft angetriebene „Systemkritik“ konnte ab Mitte der 1960er Jah- re einen Wandel evozieren. Sichtbares Zeichen dafür ist das 1969 beschlossene „Berufsbildungsgesetz“ (BBiG), das den Primat der betrieblichen Ausbildung fixier- te und das „duale System“ der Berufsausbildung konsolidierte. Die von der Kritik entfachte Diskussion um eine grundlegende Erneuerung des Berufsbegriffs und des Berufskonzepts führte in der Folge zu einer wahren Flut von Vorschlägen für eine inhaltliche Füllung des Berufsbegriffs bis hin zu der Forderung, auf das Be- rufskonzept ganz zu verzichten. Aus heutiger Sicht muss festgestellt werden, dass die unter dem Schlagwort „Entberuflichung“ unternommenen Bemühungen um ei- ne den gesellschaftlichen Wandel erfassende Neudefinition des Berufsbegriffs bisher deshalb nicht erfolgreich waren, weil die vorgeschlagenen Alternativbegriffe wie Tätigkeit, Fähigkeit und Qualifikation nicht geeignet sind, die Komplexität her- gebrachter Beruflichkeit abzubilden, und weil sich das auf einer jahrhundertlangen Tradition beruhende Berufsverständnis in Deutschland als außerordentlich reform- resistent erwies. Das Leitobjekt Elektromotor wurde für diese Epoche ausgewählt, weil es als Symbol für die Bedeutung der Elektroindustrie als „Leitsektor“ in der Hochindustrialisierungspha- 7 Zusammenfassung [ 405 ] se Deutschlands gelten kann. Während die deutsche Maschinenbauindustrie in erster Linie als erfolgreiche Adaption englischer Vorbilder zu sehen ist, handelt es sich bei der hiesigen Elektroindustrie um eine originäre Entwicklung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit eine technologische Führungsrolle einnahm. Zweitens soll der Elektromotor als Sinnbild gesehen werden für die mit der neuen Technik verknüpfte Erwartung eines sozialen Fortschritts. So wurde z. B. mit der Ver- breitung des Elektromotors das sozialpolitische Kalkül verbunden, dadurch werde sich die wirtschaftliche und soziale Lage des durch die Industriekonkurrenz be- drohten kleinen und mittelständischen Handwerks nachhaltig verbessern. Drittens visualisiert der Elektromotor den Zusammenhang zwischen technologischen Neu- erungen und der Entstehung vollkommen neuer (Industrie-)Berufe. Mit der Elektro- technik entwickelten sich z. B. durch die Entstofflichung des Gegenstands (elektri- scher Strom) spezielle neue Tätigkeiten, die nicht mehr bloße Verfeinerungen oder Spezialisierungen beim Umgang mit Rohstoffen und Werkzeugen sind wie etwa beim Übergang vom Schlosser zum Uhrmacher. Insellösung: Abteilung „Starkstromtechnik“ Diese Thematik kann sinnvollerweise nur mit der Abteilung „Starkstromtechnik“ im Erdgeschoß des DM verknüpft werden. Hier stehen die Originale von Elektromoto- ren aus dem 19. Jahrhundert und hier würdigen zwei Themenbereiche den Beitrag des Museumsgründers OSKAR VON MILLER zur Starkstromtechnik (Energieüber- tragung über große Entfernungen und Bau des Walchensee-Kraftwerks). Zukunft von Arbeit und Beruf Weil Vorhersagen über die Entwicklung komplexer Systeme aus systemimmanen- ten Gründen allenfalls Lotteriecharakter haben, was der dänische Physiker und Nobelpreisträger NIELS BOHR (1885-1962) mit kluger Ironie auf den Punkt brachte: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, sollen le- diglich globale Trends der künftigen Entwicklung von Arbeit und Beruf umrissen werden. Nach vorherrschender Meinung wird der derzeitige Transformationspro- zess zum „Ende der Arbeitsgesellschaft“ in der bis heute gültigen Formation füh- ren und damit eine völlige Neubewertung der gesellschaftlichen Rolle von Arbeit und Beruf unumgänglich machen. Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 406 ] Der derzeitigen „Arbeitsgesellschaft“ geht die Erwerbsarbeit aus, weil sowohl die Pro- duktionsprozesse als auch die Dienstleistungen so rationalisiert werden, dass menschliche Arbeitsleistung zunehmend entbehrlich wird. Verhängnisvoll ist dies, weil die Arbeit für die übergroße Mehrzahl der Menschen nicht nur Mittel zur Existenzsi- cherung, sondern auch Quelle gesellschaftlicher Anerkennung und individueller Wert- schätzung ist und weil das Sozialsystem der BRD auf dem für die industrielle Arbeits- gesellschaft typischen standardisierten „Normal-Arbeitsverhältnis“ basiert. Das Di- lemma unserer Gesellschaft ist offenbar, dass menschliche Arbeitskraft in rasantem Tempo zum Ladenhüter wird, ein akzeptabler Ersatz für deren persönlichkeits- und gesellschaftsstabilisierenden Funktionen aber noch nicht gefunden ist. Der für diese Entwicklung neben anderen Faktoren ursächliche Wandel der Arbeitswelt zeigt fol- gende grundlegende Tendenzen: • Automatisierung sowohl der mechanischen Arbeitsverrichtungen (Produktion) als auch des Informationsflusses (Dienstleistung); • Informatisierung (Rationalisierung des Informationsflusses durch Neuorgani- sation der Informationssysteme); • Globalisierung (Vernetzung der Betriebe und Märkte über weltweite Informa- tions- und Kommunikationssysteme); • Flexibilisierung (Zwang zu flexibler Reaktion auf Markttendenzen und Kon- sumentenwünsche als Folge von vernetzter Globalisierung). Diese den Transformationsprozesses der Industriegesellschaft charakterisieren- den Entwicklungen verändern zwangsläufig sowohl die Beruflichkeit selbst als auch den Berufsbegriff. Nach dem bisherigen Kenntnisstand scheinen sich folgen- de Tendenzen abzuzeichnen: • Immer mehr Menschen werden nur noch temporär in häufig wechselnden und neuen Tätigkeiten beschäftigt sein oder gar nur noch beauftragt werden. Inkonstanz und zunehmende Komplexität der Tätigkeiten verlangen vom Ein- zelnen steigende Flexibilität, mehr Qualifikation sowie die Fähigkeit zu „lebenslangem Lernen“. • Die Erosion der Beruflichkeit bewirkt, dass die Gesellschaft ihre Rolle bei der Definition von Berufen einbüßen und der Beruf damit auch seine stabilisie- 7 Zusammenfassung [ 407 ] rende Funktion als persönliche und gesellschaftliche Sozialisationsinstanz verlieren wird. • Berufsarbeit stellt sich zunehmend dar als Wissensarbeit, als „Gewährleistungs- arbeit“ zur Aufrechterhaltung und Optimierung automatisierter Produktionspro- zesse und/oder als Dienstleistungsarbeit mit steigenden fachlichen und sozialen Anforderungen. Berufsarbeit wird künftig für einen immer kleiner werdenden Teil der Bevölkerung reserviert sein. • Berufsbildung entwickelt sich in Richtung einer neuen Form der Allgemeinbil- dung, weil die berufsspezifischen Qualifikationen zunehmend durch multiple Schlüsselqualifikationen ersetzt werden müssen, um die Chancen auf dem sich rasch wandelnden Arbeitsmarkt zu sichern. Daraus kann sich aber auch eine Renaissance beruflicher Strukturen entwickeln. Als Leitobjekt für diese Epoche wurde der Computer gewählt, weil er als Signum dieses dramatischen Wandels der Arbeits- und Berufswelt gelten kann und weil die auf den Computern installierte Software zugleich die derzeit ablaufende Trans- formation der Industriegesellschaft in eine Informations- und Wissensgesellschaft symbolisiert. Die Konfrontation der Werkzeuge Computer und Faustkeil schließt den Kreis des Geschehens, verbindet damit die einzelnen Themen VISUBAs mit- einander und weist zugleich voraus auf zukünftige Entwicklungen. Insellösung: Abteilung „Zentrum Neue Technologien“ (ZNT) Epoche 6 bildet die Schnittstelle zur derzeit neu entstehenden Abteilung „Zentrum Neue Technologien“ (ZNT) des DMs, wo auch der Zentralbereich VISUBAs reali- siert werden soll. Mittel und Methoden, den derzeitigen Transformationsprozess von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft zu visualisieren, müssen deshalb in enger Kooperation mit dem ZNT-Team ausgewählt und gestaltet werden. Faustkeil und Computer/Software bieten sich aus der Sicht VISUBAs hierfür des- halb an, weil die Gegenüberstellung dieser Werkzeuge so weit auseinander liegen- der Epochen der Menschheitsgeschichte folgende Aspekte visualisiert: • die Steigerung der Komplexität und des Abstraktionsgrades der Werkzeuge auf verschiedenen Ebenen: Herstellung, Funktions- und Wirkungsweise, An- wendung und Wirkung, Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 408 ] • den Wandel der Mensch-Werkzeug-Beziehung: Entmaterialisierung der Werkzeuge (vom Feuerstein zur Software) und Abnahme der sinnlichen Er- fahrbarkeit; Reduktion der Bedeutung menschlicher Körperkraft und Zunah- me der Bedeutung des Intellekts, sowie • den Wandel der Produkt-Werkzeug-Beziehung: Entmaterialisierung der un- mittelbaren, physikalischen Werkzeugwirkung (vom Hammerschlag zum Mausklick); Auflösung des Zusammenhangs zwischen Material, Funkti- on/Wirkung und Form. Darüber hinaus wird es aus der Sicht VISUBAs besonders darauf ankommen, in Zusammenarbeit mit dem ZNT-Team Visualisierungsmöglichkeiten zu finden, die • den derzeitigen und künftigen Wandel der Berufswelt und des Stellenwerts der Beruflichkeit sicht- und erfahrbar machen, • die in den letzten Jahren dramatisch zunehmende Geschwindigkeit sowie die daraus folgenden Konsequenzen dieses Wandels ebenso bewusst machen wie dessen Chancen. In diesem Sinne könnte die Realisierung des vom Modellversuch VISUBA erarbei- teten Konzepts im Deutschen Museum einen gewichtigen Beitrag dazu leisten, den in Deutschland gebräuchlichen Berufsbegriff der gegenwärtigen Entwicklung anzupassen und zugleich die dringend notwendige Diskussion über die zukunfts- orientierte Anpassung des Berufsbildungssystems hierzulande voran zu bringen. 8 Verzeichnis der Bilder und Tabellen [ 409 ] 8 Verzeichnis der Bilder und Tabellen Alle Fundstellen für die nachfolgend aufgelisteten Abbildungen sind in der zugehörigen Bildlegende dokumen- tiert. Da diese Arbeit keinerlei kommerzielle, sondern ausschließlich wissenschaftliche Zwecke verfolgt, werden mit der Verwendung des Bildmaterials meines Wissens keine Rechte Dritter tangiert. Sollte dies aber dennoch der Fall sein, werden die Inhaber von Urheberrechten gebeten, sich mit dem Autor in Verbindung zu setzen. Falls das Material wie vorgesehen zur Visualisierung der geplanten Ausstellung verwendet werden soll, wird dies selbstverständlich nur mit Genehmigung der jeweiligen Rechteinhaber geschehen. Jede kommerzielle Nutzung der von mir für diese Studie angefertigten Grafiken bedarf meiner ausdrücklichen Zustimmung. Bild 1: Entwurf für die räumliche Umsetzung des Ausstellungskonzepts....................................................................15 Bild 2: Strukturierung der geplanten Ausstellung in Module und Einzelthemen.........................................................17 Bild 3: Museale Rauminszenierung im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim ................................19 Bild 4: Gestaltungsmöglichkeit für eine Informationsstele mit integriertem Terminal...............................................21 Bild 5: Handlungsorientierte Ausstellungskommunikation.............................................................................................25 Bild 6: Die „Eisenbahnhalle“ des Deutschen Museums als Standort für ZNT und VISUBA ..................................28 Bild 7: Planskizze für den geplanten Umbau der Halle...................................................................................................28 Bild 8: Museale Objektinszenierung „Schweißen“ in der Deutschen Arbeitsschutzausstellung................................30 Bild 9: Besucherwerkstätte: Schüler bei der Arbeit mit einem Handsteinbohrer.........................................................33 Bild 10: Exponate zum Ausprobieren. Deutsche Arbeitsschutzausstellung DASA in Dortmund ...........................35 Bild 11: Hand&Werk - Hände und Werkzeug im Arbeitsprozess: Feilübung, 1999...................................................39 Bild 12: Evolution und Werkzeugentwicklung. Grafik .................................................................................................40 Bild 13: Mindestens 1,8 Millionen Jahre altes Geröllgerät, sog. „Pebble tools“.......................................................42 Bild 14: 33.000 Jahre alte Skulptur eines Mammuts aus Mammutelfenbein.................................................................43 Bild 15: Hand&Werk - Hände und Werkzeug im Arbeitsprozess: Dateneingabe, 1990.............................................44 Bild 16: Die vier Grundfunktionen menschlicher Arbeit. Grafik ..................................................................................45 Bild 17: Synopse der Aspekte und Erscheinungsformen menschlicher Arbeit............................................................46 Bild 18: Hand&Werk - Hände und Werkzeug im Arbeitsprozess: Montieren eines Röhrensockels, 1992..............47 Bild 19: Der zweidimensionale Berufsbegriff konstituiert das Prinzip der Beruflichkeit. Grafik..............................49 Bild 20: Die Ursituation des Lehrens und Lernens: das Imitatioprinzip.......................................................................52 Bild 21: Werkzeugherstellung in der Jungsteinzeit. Rekonstruktion..............................................................................53 Bild 22: Faustkeil aus Gerwisch bei Magdeburg, rund 250.000 Jahre alt ......................................................................55 Bild 23: Besucherwerkstätte: Schülerin und Schüler beim Schleifen von Steinbeilen.................................................56 Bild 24: Rekonstruktion des „Gletschermannes“ im Archäologiemuseum Bozen......................................................57 Bild 25: Titelseite des Begleitbuchs zur Altamira-Ausstellung im Deutschen Museum..............................................59 Bild 26: Auswahl aus den Gerätschaften, die bei Ötzi gefunden wurden.....................................................................61 Bild 27: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 1: Ursprünge von Arbeit und Beruf....................................62 Bild 28: Älteste überlieferte Abbildungen einer Stadt. Steinrelief um 1500 v. Chr......................................................65 Bild 29: Arbeitskoordination beim Schlepptransport einer Kolossalstatue. Relief um 2000 v. Chr..............................67 Bild 30: Ägyptischer Steinmetz mit Kupfermeißel und Schlegel....................................................................................68 Bild 31: Ägyptischer Steinmetz mit einem Doleritstein zur Feinbearbeitung der Steinblöcke ..................................69 Bild 32: Müllerin. Ägyptische Kalksteinfigur um 2250 v. Chr...........................................................................................70 Bild 33: Verschiedene Techniken des Spinnens mit der Handspindel. Zeichnung um 1900 v. Chr.........................71 Bild 34: Die „Arbeit“ des Sisyphos. Griechisches Vasenbild 6. Jht. v. Chr......................................................................73 Bild 35: Werkstatt eines Bronzeschmieds. Griechisches Vasenbild 5. Jht. Chr............................................................75 Bild 36: Werkstatt eines Schuhmachers. Griechisches Vasenbild um 640 v. Chr........................................................77 Bild 37: Schmied und Zuschläger am Amboss. Giechisches Vasenbild 6. Jht. v. Chr....................................................79 Bild 38: Platon. Porträtbüste...............................................................................................................................................80 Bild 39: Römische Messerschmiede bei der Arbeit. Relief 1. Jht. n. Chr.....................................................................83 Bild 40: Römische Bauarbeiter errichten eine Ziegelmauer. Wandgemälde 4. Jht. n. Chr.........................................85 Bild 41: Griechische Frauen beim Spinnen und Weben. Griechisches Vasenbild um 550 v. Chr. ...........................87 Bild 42: Werkstatt eines römischen Schlossers. Relief aus Aquileia..............................................................................89 Bild 43: Nike bekränzt einen Vasenmaler. Griechisches Vasenbild 5. Jht.. v. Chr..........................................................90 Bild 44: Römischer Baukran mit Tretrad. Relief 1. Jht. n. Chr.......................................................................................91 Bild 45: Römischer Werkstattkran mit Tretrad. Relief ....................................................................................................93 Bild 46: Chorobat, antikes Messgerät zur Nivellierung. Zeichnung .........................................................................95 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 410 ] Bild 47: Zeichnung für ein Pyramidenmodell...................................................................................................................96 Bild 48: Experimentelle Archäologie: Nachbau einer Pyramide in der Nähe von Gizeh...........................................97 Bild 49: Werkzeuge der Pyramidenbauer...........................................................................................................................98 Bild 50: Simulationsspiel: Ökolopoly von Federic Vester...............................................................................................99 Bild 51: Schulkinder in der Abteilung „Maß und Gewicht“ des Deutschen Museums............................................ 101 Bild 52: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 2: Negativer Arbeitsbegriff ............................................... 102 Bild 53: Pflügende Bauern. Miniatur aus dem Jahre 1396-1397.................................................................................. 105 Bild 54: Fronarbeit im Feudalismus. Buchmalerei 15. Jht............................................................................................ 107 Bild 55: Die Umstrukturierung des dritten Standes vom Früh- zum Spätmittelalter. Grafik.................................. 108 Bild 56: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 600 bis 1800................................................................................ 109 Bild 57: Männer und Frauen bei gemeinsamer Feldarbeit. Gemälde aus dem Spätmittelalter........................................... 111 Bild 58: Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies. Holzschnitt 1476 ............................................... 112 Bild 59: Mönche spalten bei Rodungsarbeiten einen Baum. Initialbuchstabe 12. Jht. ............................................. 113 Bild 60: Älteste europäische Darstellung der Arbeit an einem Trittwebstuhl. Federzeichnung Mitte 13. Jht..................... 114 Bild 61: Anleitung zum Pflügen mit einem Ochsengespann. Lehrbuch-Illustration 12. Jht. .................................. 115 Bild 62: Schmiede vor den Toren der Stadt. Holzschnitt 1488................................................................................... 116 Bild 63: Städte und Stadtbevölkerung in Deutschland von 800 bis 1400................................................................... 118 Bild 64: Städtische Sozialstruktur um 1350 nach Tätigkeitsmerkmalen................................................................... 118 Bild 65: Bauhandwerker beim Stadtausbau. Holzschnitt 1499......................................................................................... 119 Bild 66: Zimmerleute auf der Baustelle. Miniatur 1389/1400 ..................................................................................... 121 Bild 67: Symbolische Darstellung des Schmiedehandwerks. Miniatur um 1340....................................................... 122 Bild 68: Pastetenbäckerin am Ofen mit Straßenverkauf. 1492 .................................................................................... 123 Bild 69: Weber- und Schusterwerkstätte. Federzeichnung Anfang 13. Jht................................................................ 124 Bild 70: Klosterplan von St. Gallen aus dem Jahre 820 n. Chr. Rekonstruktionszeichnung................................... 125 Bild 71: Catalogus gloriae mundi des Barthélmy des Chasseneux. Holzschnitt 1546............................................... 127 Bild 72: Ein Zunftmeister kontrolliert zwei Handwerksgesellen. Buchmalerei 1482 ............................................... 128 Bild 73: Lehrjunge mit Werzeugen. Gemälde 15. Jht.................................................................................................... 129 Bild 74: Einsatz der Haspel für den Lastenaufzug auf der Baustelle. Buchillustration um 1280............................ 130 Bild 75: Das Nürnberger Handwerkerverzeichnis von 1363....................................................................................... 133 Bild 76: 1500 Jahre Spinnen mit der Handspindel. 5. Jht. v. Chr. u. 11. Jht. n. Chr................................................. 134 Bild 77: Frauenarbeit auf einer Kirchenbaustelle. Buchmalerei 1447/50................................................................... 135 Bild 78: Seite aus dem Musterbuch des Villard de Honnecourt um 1120/30........................................................... 138 Bild 79: Arbeit mit dem Dreschflegel. August-Allegorie 1356.......................................................................................... 140 Bild 80: Besucherwerkstatt: Schüler erproben den Umgang mit dem Dreschflegel................................................. 141 Bild 81: Mittelalterlicher Schreiber am Schreibpult. Holzschnitt 1526....................................................................... 142 Bild 82: Darstellung einer Druckerei aus dem 16. Jht................................................................................................... 142 Bild 83: Buchdruck nach dem Gutenberg-Verfahren. Rekonstruktionszeichnung 1997......................................... 143 Bild 84: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 3: Ambivalenter Arbeitsbegriff ......................................... 145 Bild 85: Der Wandel des Weltbildes von Flammarion. Holzschnitt 1888 ................................................................. 148 Bild 86: Titelkupfer zur Bilderfolge „Nova reperta“ des Ioannis Stradanus. Ende 16. Jht...................................... 149 Bild 87: Leonardo Da Vinci: „Der Mensch des Vitruv“. Tinte auf Papier um 1490................................................ 151 Bild 88: Raffael: „Die Schule von Athen“. Fresko 1508-1511..................................................................................... 152 Bild 89: Vergil: „Labor omnia vincit improbvs“. Kupferstich-Emblem 1579........................................................... 153 Bild 90: Häusliche Landarbeit im Weichbild der Stadt. Straßburger „Vergil“ 1502 ................................................. 155 Bild 91: Idealbild der Insel Utopia. Kupferstich 1516 .................................................................................................. 157 Bild 92: Wasserrad getriebene Nockenwelle mit Schwanzhammer. Kupferstich 1698............................................ 159 Bild 93: Pieter Bruegel d. Ä.: „Das Schlaraffenland“. Öl auf Holz um 1560............................................................. 161 Bild 94: Die europäische „Preisrevolution“ im 16. Jht.. Grafik................................................................................... 163 Bild 95: Bevölkerungsentwicklung im 17. Jht. in Deutschland. Tabelle..................................................................... 164 Bild 96: Frauen beim Erzklauben an der „Klaubetafel“. Holzschnitt 1556.................................................................. 166 Bild 97: Ländliche Arbeitsteilung: Frauen bei der Flachsverarbeitung, Männer beim Dreschen............................ 167 Bild 98: „Das Rasp- oder Zuchthaus.“ Kupferstich nach 1699................................................................................... 168 Bild 99: Öffentlich vollzogene Arbeits-, Ehren- und Policeystrafen. Kupferstich 17. Jht....................................... 171 Bild 100: Arbeit an der „Drahtziehmühle. Holzschnitt 1540 .................................................................................. 173 Bild 101: Vorindustrielle Maschinenarbeit am Zeinhammer. Kupferstich 1698....................................................... 175 Bild 102: Immanuel Kant. Anonymes Porträt um 1790................................................................................................. 178 Bild 103: Der „Topos des neuen Menschen“ der Aufklärung. Kupferstich 1794 .................................................... 179 Bild 104: Energiequelle Wasser: Mühle mit oberschlächtigem Wasserantrieb. Kupferstich 1735........................... 181 Bild 105: Energiequelle Wind: Bockwindmühle. Gemälde um 1614.......................................................................... 183 Bild 106: Energiequelle Tier: Göpelwerk zum Getreidemahlen. Konstruktionszeichnung 16. Jht........................ 185 8 Verzeichnis der Bilder und Tabellen [ 411 ] Bild 107: Energiequelle Mensch: Tretrad, angetrieben von zwei Personen. Holzschnitt 1556...................................187 Bild 108: Energiequelle Mensch: Haspelwinde. Holzschnitt 1556...............................................................................189 Bild 109: Otto von Guericke: Versuch zum Nachweis der Wirkung des Luftdrucks. Kupferstich 1672.......................191 Bild 110: Galileo Galilei: Nachbau einer von ihm konstruierten Räderuhr mit Pendel. 1640 .................................193 Bild 111: Georgius Agricola: „De Re Metallica Libri XII“. Titelseite 1556................................................................195 Bild 112: Zwei Darstellungen aus Agricolas „De Re Metallica“. Holzschnitte 1556....................................................197 Bild 113: Arbeiter am Kupferhammer. Kupferstich 1698.............................................................................................199 Bild 114: Erwerbstätige im sekundären Sektor in Deutschland um 1800. Tabelle....................................................200 Bild 115: Heimgewerbe im Verlag: Leinenweber an einem Trittwebstuhl.. Federzeichnung 1610.............................201 Bild 116: Manufaktur: Die „Schelhornsche Kottonfabrick“. Aquarell um 1800 .......................................................203 Bild 117: Manufaktur: arbeitsteilige Rasiermesserproduktion. Kupferstich 1783......................................................205 Bild 118: Die Technik des Kupferstichs im 16. Jht.. Kupferstich Ende 16. Jht.........................................................209 Bild 119: „Der Uhrmacher“. Kupferstich 1698 ...............................................................................................................210 Bild 120: Handwerkliche Arbeitsteilung: Werkstatt eines Steinschneiders. Kupferstich 1698....................................212 Bild 121: Beruf als Ständesymbol: fünf Vertretern des Ständestaates. Holzschnitt 1526.........................................213 Bild 122: Arbeitsteilung: Schriftgießer bei der Arbeit Kupferstich 1698........................................................................215 Bild 123: Arbeitsteilung: „Der Saitenmacher“. Kupferstich 1698 (Weigel 1987, 240a)....................................................217 Bild 124: Spinnstube der Tuchmanufaktur Oberleutensdorf Böhmen .......................................................................218 Bild 125: Schutzumschlag für den Katalog der Ausstellung Die Welt als Uhr“ 1980...............................................219 Bild 126: Französische Laternenuhr ca. 1720 .................................................................................................................220 Bild 127: Uhrmacherwerkstatt im 16. Jht. Kupferstich Ende 16. Jht..........................................................................221 Bild 128: Der Startbildsschirm des Computer-Spiels „Rad der Fortuna.“..................................................................222 Bild 129: Uhrmechanik in der Abteilung „Zeitmessung“ des Deutschen Museums.................................................224 Bild 130: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 4: Ökonomisierter Arbeitsbegriff....................................226 Bild 131: Adolph von Menzel: „Eisenwalzwerk“. Gemälde 1875..................................................................................229 Bild 132: Titelblatt des Katalogs des Druckmaschinenherstellers Koenig&Bauer 1896. .............................................230 Bild 133: Johann Wolfgang Goethe: Proträtzeichnung 1800..............................................................................................231 Bild 134: Modell der für die Saline in Reichenhall bestellten Wattschen Dampfmaschine. 1790............................235 Bild 135: Vorindustrielle Webstube mit Handwebstuhl. Lithographie um 1835 (Bohnsack 2002, 132) ................237 Bild 136: Jean Fourastié: Entwicklung der Beschäftigtenzahl in den drei Wirtschaftssektoren. 1949 Grafik........239 Bild 137: Die Anteile der Produktionssektoren an der Wertschöpfung. Grafik........................................................240 Bild 138: Verteilung der Erwerbstätigen auf die Produktionssektoren von 1800 bis 1994. Grafik.........................241 Bild 139: Voraussetzungen und Faktoren der industriellen Revolution im 18. und 19. Jht.. Grafik .................................243 Bild 140: Hegel als Lehrer am Katheder. Lithografie 1828...........................................................................................247 Bild 141: Schematische Darstellung des dialektischen Herr-Knecht-Modell Hegels. ...............................................249 Bild 142: Tafel eines schwäbischen Gewerbevereins. 1841 ..........................................................................................251 Bild 143: Franz Wiesenthal: „Die Hammerschmiede“. Ölgemälde 1989....................................................................253 Bild 144: Wohnen und Leben der Handwerker und Arbeiter im frühen 19. Jht. Holzstich 1848...........................257 Bild 145: Heinrich Hoerle: „Fabrikarbeiter“. Der Mensch als „Zubehör der Maschine“. 1922..............................259 Bild 146: Anfänge industrieller Arbeitsteilung. Maschinenfabrik Gablonz. um 1835...............................................261 Bild 147: Kinderarbeit in der Fabrik. Zeichnung der Leipziger Illustrirten Zeitung 1858........................................263 Bild 148: Albert Robida: „Die Zerstörung der alten Welt“. Zeichnung 1892............................................................267 Bild 149: Vom Handwerk zum Fabriksystem. 1844 und 1882.....................................................................................270 Bild 150: Fließband zur Massenproduktion kleiner Gussteile. USA 1890..................................................................273 Bild 151: Symbole der Disziplinierung der Arbeiter: Fabrikglocke (1872) und Stechuhr (1920).................................275 Bild 152: Erziehung zur Arbeit: Auszüge aus einer Fabrikordnung. 1853..................................................................276 Bild 153: Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts. Grafik...................................................................................................278 Bild 154: „Die zehn Gebote der Arbeiter“. 1849...........................................................................................................282 Bild 155: Verbesserung der ökonomischen Situation der Arbeiter im 19. Jht. Grafik .....................................................284 Bild 156: Postkarte zum 1. Mai 1910: „Alle Räder stehen still / Wenn dein starker Arm es will.“ .................................287 Bild 157: Johannes Most: „Die Arbeitsmänner“. Arbeiterlied 1870............................................................................289 Bild 158: Hans Looschen: „Die Arbeit“. Der Arbeiter als Sisyphos. Zeichnung 1911.............................................293 Bild 159: Ernst Scherenberg: „Deutsche Arbeit“. Gedicht 1878.................................................................................296 Bild 160: „Deutsche Arbeit“. Kampagne gegen Importware. Plakat 1931.................................................................297 Bild 161: Antisemitische Karikatur. „Fliegende Blätter“ 1869 .....................................................................................299 Bild 162: Parole im Monatsprogramm der Organisation „Kraft durch Freude“. 1939.............................................302 Bild 163: Postkarte zum 1. Mai: Die „Arbeiter der Stirn und der Faust“ vereinen sich. 1938.................................304 Bild 164: Arbeitsdienstpflicht als Erziehung zu „Freude, Zucht und Volkskameradschaft“. Plakat 1936.............305 Bild 165: Die Frau als Mutter. Das nationalsozialistische Idealbild. Plakat 1934.......................................................306 Bild 166: Werbung um die Frauen für den Kampf an der „Heimatfront“. Plakat 1943...........................................308 Herbert Dandl Arbeit und Beruf im historischen Prozess [ 412 ] Bild 167: Bild aus dem antisemitischen Kinderbuch von Elvira Bauer. 1936............................................................... 309 Bild 168: Josef Thorak: Entwurfszeichnung für ein Autobahndenkmal.................................................................... 311 Bild 169: Am Eingang zum Konzentrationslager Dachau: „Arbeit macht frei“.1933.............................................. 313 Bild 170: Losung im Konzentrationslager Dachau mit „deutschen“ Tugenden. Propagandaaufnahme................... 314 Bild 171: „Zupacken!“ fordert das Plakat aus dem Jahre 1947 ...................................................................................... 315 Bild 172: Und es wurde zugepackt: Trümmerfrauen bei der Schutträumung. 1947 ............................................. 316 Bild 173: Anzeige aus der Taylor-Zeitschrift 1920........................................................................................................ 319 Bild 174: „Die letzte Schicht am Hammer Fritz“. 1911 ............................................................................................... 321 Bild 175: Massenfertigung von Telefunken-Geräten bei Siemens&Halske in Berlin. 1900..................................... 323 Bild 176: Titelseite der „Preisschrift“ von Georg Kerschensteiner. 1901.................................................................. 326 Bild 177: Hans Schmitz: „Arbeiterausbildung“. Linolschnitt 1921............................................................................. 327 Bild 178: Eine Allegorie illustriert die Universalität der Elektrizität. Ende 19. Jht....................................................... 329 Bild 179: Massenproduktion in der Elektro-Kleinmotorenfabrik der AEG. Foto um 1900................................... 330 Bild 180: Lehrwerkstätte der Siemens-Schuckert-Werke in Nürnberg. Um 1918..................................................... 331 Bild 181: Psychotechnische Eignungsprüfung der DINTA. Foto................................................................................. 332 Bild 182: Tätigkeitsgebiete und Organisation der Deutschen Arbeitsfront. Plakat 1940......................................... 334 Bild 183: Werbeplakat für die Deutsche Arbeitsfront. 1933........................................................................................ 335 Bild 184: Werkschar-Kapelle der DAF........................................................................................................................... 336 Bild 185: Aufruf zum Reichsberufswettkampf. Plakat.................................................................................................. 337 Bild 186: Propagandaplakat der Abteilung „Reisen und Wandern“ der DAF........................................................... 338 Bild 187: ampagne des Amtes „Schönheit der Arbeit“. Plakat 1935 .......................................................................... 339 Bild 188: Johann Belz: „Kampf und Sieg der revolutionären deutschen Arbeiterklasse“. Bronzerelief................ 341 Bild 189: Geigenbauer: Meister und Auszubildender bei der Montage eines Cellos................................................ 345 Bild 190: Vollautomatische Bandzerteilanlage zum Zuschnitt von Walzblech. 1960............................................... 347 Bild 191: Lochkartenabteilung der Norddeutschen Affinerie Hamburg. 1962 ......................................................... 349 Bild 192: Oskar von Miller. Porträtfotografie um 1925................................................................................................ 353 Bild 193: Plakat der „Internationalen Elektro-technischen Ausstellung“ in Frankfurt a. Main 1891 .................... 356 Bild 194: Einer der ersten Elektromotoren. Konstrukteur: Moritz Hermann Jacobi.Stahlstich 1835................... 357 Bild 195: Fortschrittskritik: Charly Chaplin (1889-1977) in „Modern Times“. 1936................................................ 358 Bild 196: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 5: Idealisierter Arbeitsbegriff........................................... 359 Bild 197: Karikatur des Münchner Bilderbogens zur Verkehrssituation 1900.......................................................... 363 Bild 198: Die „langen Wellen“ der Konjunkturentwicklung nach Nikolai Kondratieff. Grafik............................. 365 Bild 199: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der BRD 1950 bis 1996. Grafik........................................................ 367 Bild 200: Industrieroboter ersetzen zunehmend menschliche Arbeitskraft. 1980er Jahre....................................... 370 Bild 201: Vollautomatische Prozesssteuerung und -überwachung in einem Profilwalzwerk.................................. 371 Bild 202: Wandel der Arbeitswelt durch Automatisierung. VW-Produktion 1950 und 1996. ................................ 376 Bild 203: Wandel der Arbeitslandschaft der BRD 1995-2010. Grafik........................................................................ 377 Bild 204: Wandel der bundesdeutschen Berufswelt. Grafik......................................................................................... 379 Bild 205: Auf der Suche nach einem zukunftsorientierten Berufsbegriff .................................................................. 381 Bild 206: Beschäftigungschancen für ungelernte Arbeitskräfte und für Akademiker. Grafik................................. 384 Bild 207: Chip-Produktion: Schnittstelle zwischen VISUBA und ZNT.................................................................... 392 Bild 208: Ressourcen für die Visualisierung der Epoche 6: Zukunft von Arbeit und Beruf................................... 395 9 Quellen und Literatur [ 413 ] 9 Quellen und Literatur Im Folgenden wird das gesamte für diese Arbeit verwendete Material, das entweder zitiert oder auf das explizit verwiesen wird, ohne weitere Untergliederung in alphabetischer sowie bei Titeln von Autorinnen/Autoren mit glei- chem Familiennamen in chronologischer Reihenfolge dokumentiert. Ergänzende, evtl. auch aus externen Quellen ermittelte bibliografische Daten und Informationen wie Ort, Jahr, Erstauflage und ggf. Titel der Erstausgabe, Übersetzungen oder Textkonkordanzen werden den Einträgen in eckigen Klammern, Hinweise auf Buchreihen, Taschenbuchausgaben etc. in runden Klammen hinzugefügt. In allen Fällen wird sowohl für die Fundstellenan- gabe beim Zitat oder Verweis als auch für die chronologische Einordnung in das Literaturverzeichnis ausschließ- lich das Erscheinungsjahr der tatsächlich benützten Ausgabe verwendet. A ABEL (1963), Heinrich: Das Berufsproblem im gewerblichen Ausbildungs- und Schulwesen Deutschlands (BRD). Eine Unter- suchung. Braunschweig 1963 ABEL (1978), Wilhelm: Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter. Dritte, neubearbeitete und erweiterte Auflage. Hamburg und Berlin 31978 [1966] ABEL (1986), Wilhelm: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland. Göttingen 31986 [1972] (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1352) AGRICOLA, Georg: De Re Metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen. Wiesbaden 2003 [Unverän- derter Nachdruck der von Conrad Matschoß besorgten Faksimileausgabe des VDI-Verlags Berlin 1928. 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Durch den weitberümpten Hans Sachsen Ganz fleissig beschrieben / und in Teutsche Reimen gefasset / Sehr nutz- barlich und lustig zu lesen […] Gedruckt zu Franckfurt am Mayn 1568] (= Insel-Bücherei Nr. 133) ANDRESEN, Carl u. a. (Hg.): Lexikon der Alten Welt. 3 Bände. Augsburg 1994 [1990, Erstdruck 1965] ARBEITSSTAB Forum und Bildung (Hg.): Bildungs- und Qualifikationsziele von morgen. Vorläufige Leitsätze und Exper- tenbericht. Bonn 2001 (= Materialien des Forum Bildung 5) ARENDT, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 1960 [englische Originalausgabe: The human Condition. Chicago 1958] ARISTOTELES: Politik. Übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes. Mit einer Ein- leitung von Günter Bien. Hamburg 41990 [1981, Erstdruck 1880] (= Philosophische Bibliothek, Band 7) ARNOLD, Friedrich (Hg.): Anschläge. Politische Plakate in Deutschland 1900-1970. 166 Blätter in den Druck- und Papier- farben der Originale. Hgg. und kommentiert von Friedrich Arnold. 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