'Muster ohne Wert'
Zur Funktionalisierung und Marginalisierung des Musters
Dissertation
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der Philologie
im Fachbereich 16
der Universität Dortmund
vorgelegt von
Kerstin Kraft
Bochum 2001
Inhaltsverzeichnis
Das Mustern des Musters   5
Das Muster als Suchkategorie   6
Die Holzwege der Etymologie   6
Die Muster der Natur   8
‘Was, wenn überhaupt etwas, ist ein Muster?’   9
Limitrophie – Vom methodischen Umgang mit Mustern  10
Musterbildungsprozesse als Zeichen manueller Intelligenz  12
Das textile Modell  12
Musterbildungsprozesse als Zeichen visueller Intelligenz  15
Der Beobachter  15
Das Ordnen der Ordnung – Zum Forschungsstand des Themas  16
Musterbücher  17
Handbücher  21
Ornamenttheorie  28
Die Dimensionen des Musters – Eine performative Gliederung  33
Die strukturelle Dimension des Musters  36
Repetition  36
Mimesis und Repräsentation  39
Die dynamische Theorie der weltlichen Muster  43
Ordnung  44
Symmetrie  45
Mathematisierung des Symmetriebegriffs  45
Symmetriebrüche  49
Symmetrie und Schönheit  51
Rhythmus  53
Die textile Dimension des Musters  59
0,5-d Textile Fraktalität  63
1-d Textile Eindimensionalität  64
String Revolution  64
Nodologie  66
Enfilade  69
Der Faden in Metaphern und Mythen  71
1,5-d Textile Fraktalität  75
2-d Textile Zweidimensionalität  75
Flächenerzeugende textile Muster  76
Maschenstoffe  76
Textile Notationen  78
Geflechte  80
Ethnomathematik  81
Kettenstoffverfahren  84
Bildwirken  84
Gewebe  86
Gewebebindungen  87
Streifen und Karos  90
Kleinmuster  91
Binarität der Weberei  92
Die Dominanz des Gewebes  93
Textilverbundstoffe  95
Filzen  96
Flächenverzierende textile Muster 101
Färbeverfahren 100
Stoffbemalung 103
Leonardo und Dürer 104
Stoffdruck 106
Patchwork 109
Applikationstechniken 110
Stickerei 110
Der Kreuzstich 110
Nadelmalerei 112
Nadelspitze 112
Musterbücher und Mustertücher – Notationen textiler Techniken 114
2,5-d Textile Fraktalität 117
3-d Textile Dreidimensionalität 118
Doppel- und Florgewebe 119
Orientteppiche 120
TechnoTextiles 123
3,5-d Textile Fraktalität 124
4-d Textile Vierdimensionalität 125
Die Muster der Tarnung 125
Das Abbilden und Beschreiben von Mustern 126
Das Muster als Differenzierer 128
Das Muster als Mittel der Distinktion 130
Mustergerechtigkeit 133
‘Kleidsame’ Muster 134
4,5-d Textile Fraktalität 139
Die kognitive Dimension des Musters 140
0,5-d Literale Fraktalität 141
1-d Die Linearisierung des Denkens und Handelns 141
Die Sprache 141
Die Schrift 143
Das Muster in Sprache und Schrift 146
1,5-d Literale Fraktalität 152
2-d Die zweidimensionale Herstellung der Wirklichkeit 152
Das Bild 156
Perspektive 157
Escher, Thomkins, Hucleux 158
Das Muster in der Bildwissenschaft 160
Arabesken 162
Der Text 164
Textuelle Wissensmuster 164
Textilunterricht mit Jacques Derrida 167
Hypertextualität 173
Die Karte 176
Mapping 177
Tanzschriften 184
Architekturale Karten 189
Mnemotechnische Karten 190
Geometrie 193
Cybergeographie 196
Die Zahl 198
Quantität und Qualität 198
Musiknotationen 198
Die bunte Welt der Zahlen 202
2,5-d ‘Neue Medien’ 206
3/4-d Die Magie hinter der Magie ist das Muster 207
Konstruktive Wahrnehmung 208
Mathematische Morphologie 209
Konchyliomanie 210
Das Muster als Modell 212
Die Muster der Masse 214
Kalkulationismus 218
Komplexität 221
Die seltsame Schleife 223
Abbildungsverzeichnis 227
Erfassungsbogen 231
Literaturverzeichnis 233
Abbildungen
5Das Mustern des Musters
‘Muster ohne Wert’ sind Waren, die „zollamtlich als Waren ohne Wieder-
veräußerungswert angesehen werden und zollfrei bleiben (z.B. Stofflappen).“1
Ich stelle diese sehr spezielle Definition des Musters meinen Ausführungen voran, da
sie symptomatisch für den Umgang mit dem Muster und dessen Marginalisierung ist.
Ziel der Untersuchung ist es, zu zeigen, daß das Muster – und auch der ‘Stofflappen’
– einen benennbaren Wert besitzt. Dieser Wert äußert sich in vielfältigen
Funktionalisierungsweisen: Der Mensch macht sich das Muster zunutze.
Meine zentrale These bezieht sich auf die Funktion des Musters: Mustererkennung
und -produktion sind Teil der kognitiven Grundausstattung des Menschen und dienen
als Mittel der Weltstrukturation/-aneignung.
Die Instrumentalisierung des Musters durch den Menschen ist Bestandteil der kul-
turellen Praxis und verweist auf das Muster als Bedeutungsgenerierendes. Das Muster
als Ausdruck manueller und visueller Intelligenz ist ein vom Menschen Konstruiertes
und somit auch Historisches, das Muster ist ein kulturelles Artefakt.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist, daß die menschliche Wahrnehmung sowie
natur- und kulturwissenschaftliche Darstellungsmodi der Muster dieser Kon-
struktivität und Historizität unterworfen sind.
Die konstruktivistische Sicht ermöglicht die Ausführung der limitrophen, grenz-
überschreitenden Bewegungen zur Erschließung und Zusammenführung neuer
Handlungsfelder. Hierdurch lassen sich strukturelle Gemeinsamkeiten des Musters
erkennen: die Repetition, die Dimensionalität, die Symmetrie und der Rhythmus.
Die Materialität der Muster verweist auf die Relation von Mensch und Muster: Der
Mensch erkennt und produziert Muster.
Das Textile ist eine mögliche Form der Materialisierung des Musters. Wie zu zeigen
sein wird, ist das Textile mit seinen Mehrfachcodierungen besonders geeignet, den
Trägerbegriff der Ornamentwissenschaft zu erweitern. Durch eine genuin textile Sicht
auf das Muster wird es von einem akzidentiellen Ornamentum zu einem
mehrdimensionalen Substantiellen, das das Textile konstituiert. Diese Konstituierung
zeigt sich in den technomorphologischen Darstellungen.
Die Mehrfachcodierung bezieht sich demzufolge auf das Technische des Textilen, auf
dessen Trägerfunktion für das Muster und auf den Menschen als Erfinder und Nutzer
dieser Techniken und als Träger der Textilien.
Die Teilhabe des Musters am Erfahrungs- und Erkenntnisprozeß des Menschen und
somit seinen ‘Wert’ zu bestimmen, ist Ziel der Untersuchung. Die zentrale
Fragestellung richtet sich dementsprechend auf die bedeutungskonstituierende
Funktion des Musters.
Ich werde nun mein Vorgehen und den Aufbau der Untersuchung ausführlich be-
schreiben, Referenzwerke und -systeme einführen und eine eigene Definition des
Musters entwickeln, die seine Strukturelemente benennt.
                                                 
1
 dtv-Lexikon (1997): s.v. ‘Muster’
6Das Muster als Suchkategorie
Für die Suche nach dem Muster wird der Begriff in zweifacher Weise operationali-
siert. Zum einen wird das Wort Muster auf seine Reichweite, seine Bedeutung und
seine Herkunft hin befragt. Zum anderen wird die Erscheinung des Musters, seine
materielle Ausformung gesucht. Diese beiden Suchrichtungen begrenzen das Feld.
Die anschließend zu treffende Auswahl aus diesem sehr weiten Feld geschieht hin-
sichtlich der beabsichtigten Funktionsbestimmung des Musters.
Die Holzwege der Etymologie
Die Sichtung verschiedener Lexika zeigt, daß das Wort ‘Muster’ im Deutschen eine
zweifache Bedeutung hat. Das Muster kann einerseits Modell oder Vorbild und
andererseits ein Mittel der Flächenverzierung sein.2 Beide Bedeutungen sind im
alltäglichen Gebrauch zu finden. In anderen Sprachen wird diese Differenz durch
unterschiedliche Wörter gekennzeichnet. Im Englischen unterscheidet man ‘pattern’
von ‘model’ und im Französischen ‘modèle’, ‘patron’ und ‘dessin’. Diese Wörter
finden wiederum als Fachbegriffe wie Dessinierung, Patrone oder Patternpraxis
Eingang ins Deutsche. Wie ich noch ausführen werde, besteht der innere
Zusammenhang der Begriffe in der Idee der Repetition.
Das Muster als Modell, Vorlage oder Vorbild findet kaum wissenschaftliche
Beachtung. Als Warenprobe, Gebrauchsmuster oder ‘Muster ohne Wert’ ist es Be-
standteil wirtschaftlicher Prozesse und der Wirtschafts- und Technikgeschichte.
Das ‘flächenverzierende’ Muster wird meist der Ornamentik einverleibt, um dort als
Motiv kategorisiert zu werden. Unter dem Stichwort ‘Ornament’ findet man in
Nachschlagewerken der Kunst die Definition als Schmuckwerk, als einzelnes Ver-
zierungsmotiv.3 Diese Motive werden wiederum als Muster benannt: Tannenzweig-
muster, Schachbrettmuster, Granatapfelmuster etc.4 Eine Folge dessen ist der
synonyme und vermischende Gebrauch der beiden Begriffe, den ich an den ent-
sprechenden Stellen kennzeichnen werde. Das in der Literatur nicht explizit
formulierte, aber als trennendes zu interpretierende Moment ist das Flächenhafte des
Musters. Dies läßt sich auch im Sprachgebrauch nachweisen: Die ‘Verzierungen’ von
Flächen wie Tapeten, Teppichen und Stoffen werden als Muster bezeichnet. Das
Muster ist jedoch – wie ich zeigen werde – weder ausschließlich flächenhaft
(zweidimensional) noch ist es zwingend als Verzierung, als rein Schmückendes zu
verwenden.
Ein Blick auf die Herkunft der Wörter ‘Muster’ und ‘Ornament’ erschließt weitere
Bedeutungen. Das lateinische Verb ‘monstrare’ bedeutet ‘zeigen, weisen, be-
zeichnen’, von ihm leitet sich das Muster ab.5 Demnach hat das Muster verweisenden
                                                 
2
 Zedler (1739); Grimm (1885); Meyer (1976); dtv-Lexikon (1997): s.v. ‘Muster’
3
 vgl. beispielsweise: Jahn (1989) oder Lexikon der Kunst (1975): s.v. ‘Ornament’
4
 Lexikon der Kunst (1975): s.v. ‘Ornament’
5
 Kluge (1995); Pfeifer (1989); Duden (1963): s.v. ‘Muster’, ‘Monstranz’, ‘demonstrieren’. Auch
die Wörter ‘Monstranz’(14. Jh.), ‘Demonstration’ (16. Jh.) oder ‘Monster’ (16. Jh.) leiten sich von
dem Verb ‘monstrare’ ab. Gezeigt wird Unterschiedliches (die geweihte Hostie, die öffentliche
7Charakter, zeigt oder bezeichnet etwas. Dies legt es nahe, das Muster als ein zu
lesendes, zu dekodierendes, als eine Art Schrift zu verstehen. Eine solche Zuordnung
zu Sprache und Schrift wird jedoch nur für das Ornament vorgenommen.6 Diese dem
Ornament zugeschriebene Eigenschaft wird für das Muster nicht in die Definition
übernommen. Das Entscheidende für das Muster ist nicht, was es zeigt, sondern daß
es etwas zeigt.
Eine Etymologie des Ornamentes führt zum Lateinischen ‘ornare’, das ‘ordnen,
ausrüsten, schmücken’ bedeutet.7 Im allgemeinen wird das Ornament in seiner Be-
deutung als Schmückendes verwendet – der synonyme Gebrauch des ‘Deko-
rationsmotives’8 verweist hierauf – und als eine Grundform künstlerischen Ausdrucks
begriffen.9 Der Rekurs auf die Herkunft des Wortes läßt den Ordnungsgedanken
Eingang in die Interpretation finden. Der Kunsthistoriker Günter Irmscher expliziert
die griechische Herkunft des Ornaments in Verbindung mit dem Kosmos- als
Ordnungsbegriff.10 Das Standardwerk zur Ornamentik von Ernst H. Gombrich vereint
diese Aspekte schon in seinem Titel ‘Ornament und Kunst. Schmucktrieb und
Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens’. Das Ornament ist
demnach dem Schmuck und der Verzierung zuzuordnen.
Die Kunstwissenschaft schließt das Ornament aus ihren Gattungen aus, betrachtet es
als „ein der Schönheit additiv angestücktes Beiwerk“11, das für sich nicht existieren
kann. Trotz dieser akzeptierten Trägergebundenheit wird innerhalb der Kunst- und
Kulturwissenschaft die Funktion des Trägers entweder gar nicht thematisiert oder
marginal in den Bereichen Kunstgewerbe und Kunsthandwerk allein unter
materialtechnischen Aspekten angesprochen. Das Ornament und damit implizit das
Muster werden als solches betrachtet und ungeachtet ihres Vorkommens klassifiziert
und systematisiert.12 Sollten sie doch mit einer Deutung bedacht werden, so
beschränkt sich diese meist auf eine Ornamentkritik, so daß „eine zusammenfassende
Darstellung der europäischen Ornament-Deutung seit langer Zeit im Desideraten-
Katalog kunstwissenschaftlichen Forschens“ steht.13
Die Sichtung der kunst- und kulturwissenschaftlichen Literatur wird zeigen, daß die
Eigenschaft des Schmückens beim Ornament in den Vordergrund gestellt und daß das
Muster dem Ornament in dieser Interpretation und ohne eigenen Stellenwert
subsumiert wird.
Die Sprachwissenschaft ist nicht in der Lage, eindeutige Hinweise auf die Definition
des Musters zu geben. Wie der Sprachkritiker Hans-Martin Gauger nachweist, ist dies
                                                                                                                                      
Meinung, das Abnorme), der Gestus verbindet die Wörter. Die historischen Zuordnungen sind
unsicher und führen im Zusammenhang mit dem Muster nicht weiter.
6
 Wersin (1953), auf dessen Publikation noch eingegangen wird, beschreibt das Ornament als eine Art
Vorstufe der Schrift. (S. 25) Bei anderen Autoren sind diese Verbindungen zur Sprache durch die
Verwendung von Begriffen wie ‘Syntax’ (Gardin: 1978) und ‘Grammatik’ (Jones: 1997) impliziert.
7
 vgl. Kluge (1995); Duden (1963): s.v. ‘Ornament’, ‘ordnen’
8
 Wilson (1996): S. 11
9
 Lexikon der Kunst (1975): s.v. ‘Ornament’
10
 Irmscher (1984): S. 1
11
 Kroll (1987): S. 7. Kroll weist auf das Bemühen einzelner (er nennt Hermann Bauer und F. Piel, die
das Ornament als Kunstgattung resp. als Kategorie einführen) hin, das Ornament als eigene Kategorie
zu veranlagen. Als Kategorie der Kunst würde das Ornament eine andere Stellung einnehmen. (S. 154)
12
 Die Lexika nehmen meist nur den Begriff des Ornaments auf, das Muster findet keinen Eintrag. Vgl.
Jahn (1989); Lexikon der Kunst (1975)
13
 Kroll (1987): S. 8, 1
8kein Einzelfall.14 Das Wort und auch seine etymologische Herleitung können jedoch
dazu dienen, Assoziationen aufzurufen und Verbindungen herzustellen. In dieser
Weise habe ich den Begriff des Musters genutzt. Die Verwendung der Etymologie als
Beweis oder als Ausgangspunkt von Analogiebildungen und Metaphorologien ist
hingegen kritisch zu sehen. Dies wird an verschiedenen Stellen der Untersuchung
gezeigt. Dieses Benennen schiefer Analogien oder Metaphern und ihrer Herkunft
bezieht sich ausschließlich auf das textile Feld und soll auf den sprachlichen Umgang
mit Textilien, auf die philologisch-etymologische Vereinnahmung textiler Techniken
und Produkte aufmerksam machen. Wie zu zeigen sein wird, steht dieser
textilsprachliche Gebrauch den elementaren Funktionen textiler Techniken entgegen.
Die Muster der Natur
Muster begegnen uns in der Natur in vielfältiger Weise. Tiere und Pflanzen können
Muster ‘tragen’, aber auch Wolken, Sand oder Steine bilden Muster.
Das Muster spielt in den Naturwissenschaften – im Gegensatz zu den Kunst- und
Kulturwissenschaften – eine wichtige Rolle. Die Verwendung des Begriffs erscheint
jedoch diffus, eher intuitiv und durch die Alltagssprache geprägt. Synonyme Begriffe
sind die ‘Struktur’ oder auch das ‘Strukturmuster’.
Im Schlußwort der Tagung an der Akademie Leopoldina zur ‘Musterbildung und
Mustererkennung’ macht Braun-Falco auf die Schwierigkeiten einer Definitions-
findung aufmerksam und begründet dies mit der Diversifikation von Muster-
bildungen.15 Anhand der Beiträge von Medizinern, Chemikern, Biologen, Physikern
und Mathematikern auf dieser Tagung gewinnt man einen ersten Einblick in die
Vielfalt naturwissenschaftlicher Muster. Der Mensch beobachtet die Muster der Natur
und versucht, Muster zu erkennen und Musterbildungsprozesse zu begreifen. In
gewisser Weise wird das Muster je neu definiert, so daß eine Schneckenschale, eine
chemische Reaktion oder auch Herzrhythmen Muster aufweisen können.
Die Mathematik beansprucht für sich, das System schlechthin zu sein, Muster er-
kennen, klassifizieren und ausnutzen zu können.16 Der Mathematiker Keith Devlin
schreibt: „Erst in den letzten zwanzig Jahren ist eine Definition aufgekommen, der
wohl die meisten heutigen Mathematiker zustimmen würden: Mathematik ist die
Wissenschaft von den Mustern.“17 Die Erkenntnisse der Mathematik, ihr Umgang mit
Mustern wird dementsprechend Gegenstand meiner Untersuchung sein. Die Frage, ob
ein alleiniger Anspruch auf das Muster geltend gemacht werden kann, soll
abschließend beantwortet werden. Schon die Mustersuche jedoch macht deutlich, daß
sich die Disziplinen zu mischen beginnen: Bio-Mathematik, Geophysik,
Ethnogeometrie, Bionik, Geoinformatik etc.
Auch die Kognitionswissenschaft beschäftigt sich eingehend mit Mustern, die
kognitive Dimension wird deshalb auch in der vorliegenden Untersuchung viel Raum
                                                 
14
 Gauger (1995): S. 62–81, ‘Der etymologische Holzweg’. Gauger führt dies vor allem auf die
Historizität der Wortbedeutungen zurück.
15
 Köhler (1992): S. 382
16
 Stewart (1998): S. 11; Grünbaum/Shephard (1989): S. 11
17
 Devlin (1998): S. 3. Auch Stewart (1998) schreibt wörtlich: „Mathematik ist die Wissenschaft der
Muster, [...].“ (S. 29)
9einnehmen. In bezug auf eine Definition des Musters bzw. der ‘pattern recognition’
ist sie jedoch weniger hilfreich: „Mustererkennung ist die Erkennung von Objekten
anhand typischer Merkmale, der Muster.“18 Immer wieder stößt man auf Erklärungen
wie diese, die das Wissen um das zu Erklärende, das Muster, schon voraussetzen.
Nun kann man entweder Nicht-Definieren und sich mit der Unschärfe der Um-
gangssprache abfinden oder von einer dem Menschen angeborenen Empfänglichkeit
für Muster ausgehen.19 Für eine Untersuchung, die sich explizit und zentral mit
Mustern beschäftigt, ist eine Definition unerläßlich.
‘Was, wenn überhaupt etwas, ist ein Muster?’20
Das Muster ist kein Ornament. Ex negativo wäre hiermit zumindest die Existenz des
Musters gesichert. Darüber hinaus ist eine distinkte Definition zu formulieren.
Die Durchsicht der Literatur und der (Muster-)Sammlungen dient zunächst dazu, das
Muster definitorisch, inhaltlich und in der Folge disziplinär vom Ornament zu
trennen. Das Muster, und zwar jedes Muster, wird im folgenden als kulturelles
Artefakt begriffen. Diese konstruktivistische Sicht wird noch expliziert, hier gilt es,
den kulturwissenschaftlichen Betrachterstandpunkt zu definieren: Die kunst-
historische Sicht wird verlassen, um das Muster vom Ornament zu lösen und die
Mustersuche zu erweitern.
Die Betrachtung der Muster21 offenbart Gemeinsamkeiten, die sich als wesentliche
strukturelle Elemente des Musters benennen lassen.
Das Muster ist im Gegensatz zum Ornament trägerungebunden. Die Behandlung des
Ornaments als Akzidenz bedeutet den Verlust der Materialität. Das Muster hingegen
ist ein Substantielles. Wie die Ausführungen zum textilen Muster zeigen werden,
wirkt das Muster konstituierend, kann Akzidenz und/oder Substanz sein. Das
bedeutet, daß das Muster mehrdimensional ist.
Die Wiederholung ist das entscheidende strukturelle Element des Musters. Eine
beliebige zu isolierende kleinste Einheit wird in ein, zwei oder mehr Dimensionen
wiederholt. Diese kleinste Einheit, der Rapport, kann ein Motiv, ein Ornament, eine
definierte Lage von Fäden, ein Ton oder eine Bewegung sein. Die Wiederholung
bedingt die potentielle Unendlichkeit des Musters.
Der Begriff der Wiederholung umschließt gleichermaßen die zweite Bedeutung des
Musters als Vorlage oder Patrone. Auch hier ist es die Idee der Wiederholung: Das
Modell erlaubt ein Wieder-holen in der Zeit.
Um aus dem Rapport ein Muster zu machen, muß die Form der Wiederholung
bestimmt werden. Die Wiederholungsvorschrift definiert die Lage der Rapporte
zueinander. Die Symmetrie und der Rhythmus sind als Systeme in der Lage, diese
Raum-Zeit-Relationen zu beschreiben. Sie werden von mir als Wiederholungs-
vorschriften in die Definition eingeführt und als strukturelle Elemente benannt.
                                                 
18
 Wörterbuch der Kognitionswissenschaft (1996): s.v. ‘Mustererkennung’
19
 Dies tut beispielsweise John Barrow (1997): S. 143.
20
 Diese Überschrift ist analog zu einem Essaytitel des Geologen und Zoologen Stephen Jay Gould
gebildet, der über das Zebra und seine strittige Zugehörigkeit zu einer Evolutionseinheit schreibt. Auf
das Zebramuster wird in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein. Gould (1991): S. 351
21
 Das Muster wurde hierfür in unterschiedlichen Disziplinen als Kategorie aufgesucht. Das
Vorgehen der limitrophen Bewegungen wird expliziert.
10
Hieraus ergibt sich folgende Definition: Ein Muster besteht aus kleinsten zu
isolierenden Einheiten, die gemäß der Wiederholungsvorschrift zu einem Ganzen,
potentiell Unendlichen zusammengesetzt werden.
Die Definition beinhaltet die strukturellen Elemente des Musters der Repetition, der
Symmetrie, des Rhythmus und der Dimension. Hieraus ergibt sich eine Markierung
dieser Begriffe, die für die Untersuchung von zentraler Bedeutung ist und der in
einem gesonderten Kapitel Rechnung getragen wird.
Gemäß dieser Definition ist das Muster weder an ein Material, einen Ort, eine
Disziplin oder Zeit gebunden, das heißt, es ist nicht nur als Muster unendlich, sondern
auch in der Vielzahl seiner Vorkommen. Diese Unendlichkeit mußte für eine
Bearbeitung des Themas begrenzt werden. Mein weiteres Vorgehen ist dem-
entsprechend von der Beschäftigung mit Grenzen geprägt.
Limitrophie – Vom methodischen Umgang mit Mustern
Das Limitrophe bezeichnet im Französischen das Angrenzende. Derridas sprachliche
Operation macht es zu einem Vorgang des Angrenzens, das Überschreiten der
Grenzen betonend.22
Ich werde nun anhand dieses Derridaschen Begriffs und der Benennung weiterer
Referenzwerke meinen methodischen Umgang mit den Mustern erläutern und eine
Verortung des Beobachters vornehmen.
Jacques Derrida formuliert für das Collège International de Philosophie einen Teil des
Gründungsberichtes, der sich mit der Stellung der Philosophie, den Diszipli-
nengrenzen und Hierarchien auseinandersetzt.23 Das von ihm vorgestellte Konzept
verweist vor allem auf die Notwendigkeit, die Philosophie in einem ‘Dazwischen’ zu
situieren. Ein Raum-Begriff, den Derrida nicht in dieser Form verwendet, aber durch
die Benennung der ‘intersection’, der ‘interscience’ und der ‘interdisciplinarité’
evoziert und zudem durch weitere Lokalisierungen festigt.
„Ces zones d’instabilité peuvent paraître sauvages et inhabitables au regard d’une certaine
représentation sociale de la recherche organisée. Elles sont en fait des lieux de grande circulation,
les lieux privilégiés pour la formation de nouveaux objets ou plutôt de nouveaux réseaux
thématiques.“24
Um diese instabilen Zonen, das Wilde und Unbewohnbare zu erreichen, gilt es, sich
neue Wege zu bahnen, quer zu gehen, Verstecktes aufzufinden. Derrida spricht nicht
von Transdisziplinarität, jedoch von Transferierungen im weitesten Sinne, von der
‘Limitrophie’. In Absetzung zur Interdisziplinarität, die er als nicht ausreichend
empfindet, da sie lediglich um ein bestehendes Thema neue Kompetenzen gruppiere,
nennt er die ‘intersection transversale’, deren Aufgabe es sei, neue Themen und neue
Methoden der Recherche und der Vermittlung zu kreieren.25 Demzufolge müsse man
nicht nur Disziplinengrenzen überschreiten, bzw. ignorieren, sondern darüber hinaus
die Darstellung, die Sprache aus der Wissenschaft lösen und die Möglichkeiten der
                                                 
22
 Derrida (1990a): S. 565
23
 Derrida (1990a): S. 551–576
24
 Derrida (1990a): S. 565
25
 Derrida (1990a): S. 569
11
Performativität nutzen.26 Derrida benennt das singuläre Ereignis und die Kunst im
weitesten Sinne als Darstellungsmittel und öffnet hiermit dem Akteur, dem
Handelnden die Tür.
Dieses Konzept Derridas betrifft die Philosophie als Disziplin und ihre institutio-
nellen Ausformungen. Dementsprechend werden die Begriffe bei ihm nicht als
Theorien oder Methoden ausgearbeitet.
Die Konzepte der Inter- und Transdisziplinarität, die die Ausführungen Derridas
aufrufen, schließe ich bewußt aus.27 Die Interdisziplinarität hat die Trennung der
Disziplinen zur Voraussetzung, die Transdisziplinarität sucht die Einheit der
Wissenschaft wiederherzustellen.28 Das Konzept der limitrophen Bewegung, das ich
vorschlage, verfolgt ein Phänomen (das Muster) mit einem definierten, auf das
Textile gerichteten Blick. Im Verlauf dieser Bewegung verschieben sich die Grenzen
zwischen den Disziplinen und den Quellengattungen, das Ziel ist das Eröffnen neuer
Dimensionen.
Der Begriff der Limitrophie erscheint für die Entwicklung eines Vorgehens, daß dem
Muster gerecht wird, geeignet. Da es mir um Methodisches, um das Vor-gehen, den
Weg, geht, dynamisiere ich die Limitrophie und werde im folgenden von limitrophen
Bewegungen sprechen. Hierin kommt auch zum Ausdruck, daß man sich von einem
Angrenzenden zu einem Nächsten bewegt. Jede Bewegung für sich ist linear und
erfordert an jeder ‘Grenze’ eine Entscheidung. Das Zusammenführen der
Einzelbewegungen erzeugt eine bestimmbare Dimension, analog zu der Vorstellung,
daß die Ausdehnung in x Richtungen eine x-dimensionale Fläche erzeugt.
Die Polysemie des Wortes Muster führt zu einer ersten limitrophen Bewegung. Die
Handlungsfelder der künstlerischen, handwerklichen, im weitesten Sinne kulturellen
Produktion sowie des wirtschaftlich-merkantilen lassen sich aufrufen. Die
Erscheinung des Musters macht es möglich, Muster in allen Bereichen der Natur-
wissenschaft, des Sports, der Psychologie, der Soziologie etc. aufzufinden. Diese
zweite limitrophe Bewegung in Verbindung mit der ersten erweist sich als wirksames
Mittel der Recherche, der Eröffnung einer neuen Dimension.
Als ungeordnetes Material, als vorübergehend erzeugtes immenses Handlungsfeld,
erschließen sich strukturelle Gemeinsamkeiten aller Muster, deren Kondensat zu
einer Definition führt. Die strukturellen Elemente des Musters – Repetition,
Symmetrie, Rhythmus, Dimension – werden einer weiteren limitrophen Bewegung
unterzogen, so daß neue Felder entstehen. Die Verschränkung der beiden limitrophen
Bewegungen machen Überlagerungen, Konzentrationen und Disparitäten sichtbar
und ermöglichen eine begrenzende Auswahl hinsichtlich der Frage nach der Funktion
des Musters. Gemäß meiner zentralen These gehört die Fähigkeit des Menschen,
Muster zu erkennen und zu bilden, zu seiner kognitiven Grundausstattung. Um dies
zu überprüfen, werden Musterbildungs- und Mustererkennungsvorgänge als der
manuellen und visuellen Intelligenz zugehörig getrennt untersucht.
                                                 
26
 Derrida (1990a): S: 566
27
 Welsch (1995) bezieht sich auf Derrida und verweist auf Mittelstraß. (S. 946)
28
 Mittelstraß (1992) ersetzt den Begriff der Interdisziplinarität durch den der Transdisziplinarität, die
sich nicht zwischen den Disziplinen bewege, sondern in der Lage sei, die ursprüngliche „Einheit der
wissenschaftlichen Rationalität“ wiederherzustellen. (S. 101)
12
Musterbildungsprozesse als Zeichen manueller Intelligenz
Die Hand ist das Organ der manuellen Intelligenz, sie ist Wahrnehmungs- und
Ausdrucksorgan, sowie Werkzeug des Menschen. Der ‘aufrechte Gang’ des
Menschen befreit seine Hand von der Aufgabe der Fortbewegung. Die Folgen dieser
veränderten Körperorganisation sind von elementarer Bedeutung für die Entwicklung
des Menschen. Der Paläontologe André Leroi-Gourhan, dessen Werk ich in
verschiedenen Zusammenhängen referiere, beschreibt diese Entwicklung, die über
den Werkzeuggebrauch und erste rhythmische Äußerungen zur Sprachentwicklung
geführt hat. Dietrich Harth versteht in diesem Sinne Kultur als Verkörperung, den
aufrechten Gang als notwendige Bedingung der Kultur des Menschen.29 Die Hand
diente zunächst unmittelbar als Werkzeug, zu einem Gefäß geformt, schöpft sie
Wasser, die „Finger der beiden Hände, die sich ineinander verflechten bilden den
ersten Korb.“30 In diesen Operationen sind Geste und Werkzeug nicht zu trennen, der
entwickelte Werkzeuggebrauch führt zu einer Trennung, die Leroi-Gourhan als die
„Aktivität der Hand in direkter Motorik“ beschreibt.31 Von hier aus läßt sich die
Entwicklung über die indirekte Motorik hin zur Auslösung eines motorischen
Prozesses und schließlich zur Auslösung eines programmierten Prozesses in der
Gegenwart verfolgen. Solche Rekonstruktionen lassen sich nur mittels
experimentellen Nachvollzugs und anhand weniger Quellenfunde überprüfen. Leroi-
Gourhan schreibt, daß die Technologie als einzige es zulasse, menschliche Akte
kontinuierlich in allen Zeiten zu beobachten. Er entwickelt eine Technomorphologie,
die von den primären Materialien, zu denen auch das Textile gehört, ausgeht.32
Die Musterbildungsprozesse als menschliche Akte können demzufolge anhand von
Technik und Material untersucht werden. Für die vorliegende Untersuchung werden
die textilen Techniken als Modell gewählt, das dazu genutzt wird, das Denken
sichtbar zu machen. Der Begriff der Technik wurde eingeführt, die Gründe für die
Wahl des Textilen und die Verwendung des Modells werden im folgenden erläutert.
Das textile Modell
Ein interdisziplinäres Kolloquium an der Technischen Universität Magdeburg be-
schäftigte sich mit dem ‘sichtbaren Denken’, den „Modellen und der Modellhaftigkeit
in der Philosophie und den Wissenschaften“.33 Ich übernehme die zentrale These des
Kolloquiums, die der Philosoph Jörg Maas einleitend wiedergibt. Er schreibt, daß
„Denken – und zwar das wissenschaftliche Denken reiner Erkenntniszwecke – ohne Denkformen
oder -modelle, die gedacht und damit immer schon benutzt werden, nicht auskommt und daß diese
Modelle trotz des intelligiblen Verwendungsbereichs sinnliche Valenz besitzen, also der
Wirklichkeit entstammen oder zumindest einen engen Bezug zu ihr aufweisen.“34
Es geht also nicht darum, das Modell im Sinne einer Vorlage, wie es die umgangs-
sprachliche Verwendung nahelegt, zu verstehen: Der praktische Nachvollzug von
                                                 
29
 Assmann/Harth (1991): S. 75f
30
 Canetti (1980): S. 240
31
 Leroi-Gourhan (1988): S. 302
32
 Leroi-Gourhan (1971): S. 9f
33
 Maas (1993)
34
 Maas (1993): S. 3
13
(textilen) Mustern ist nicht intendiert. Maas unterscheidet drei Typen von Modellen:
das isomorphe, das paradigmatische und das Analogiemodell. Für die Untersuchung
der Muster ist das letztere von Bedeutung, da hiermit „die Parallelität und Analogie
von Prozessen aus unterschiedlichen und auf den ersten Blick nicht unmittelbar
kompatiblen wissenschaftlichen Kontexten“35 gezeigt wird. Dies bedeutet konkret,
daß das Phänomen des Musters, seine strukturellen Elemente der Dimension, des
Rhythmus’, der Symmetrie und der Repetition anhand eines Modells sichtbar
gemacht werden. Das Modell wird zur „erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretischen
Kategorie“.36
Das Textile ist als Modell geeignet, da seine Mehrdimensionalität die sinnliche
Valenz gewährleistet. Weitere Gründe für die Wahl des Textilen als Material und als
Technik können benannt werden:
Leroi-Gourhan nimmt in seiner Untersuchung ‘L’homme et la matière’ im Kapitel
über die Herstellungstechniken eine Binnengliederung gemäß der körperlichen
Eigenschaften der Materialien vor. Die ‘solides souples’, die weichen Körper, sind
durch ihre permanente Flexibilität charakterisiert, ihnen werden Kork, Papier, Filz
und Leder, sowie Lamellen, Fasern und Fäden zugeordnet.37 Dies entspricht einer
weitgefaßten Definition des Textilen, die sich auf Herstellungstechniken, Bekleidung
und Wohnformen ausdehnt, so wie ich sie verwende.38 Die Verengung der Definition,
die sich etymologisch nachvollziehen läßt,39 auf Textilien als Stoffe und im
besonderen gewebte Stoffe geht einher mit einer Dominanz der Gewebe im
Bekleidungsbereich. Metaphorologisch läßt sich gleichermaßen diese Dominanz
nachweisen. Diese besondere Stellung der Gewebe innerhalb der Textilien und die
Nähe zum Text unter Berücksichtigung der linearen Schrift als Weltbeherrschende
werden in die Betrachtungen miteinbezogen.
Das Vorhandensein textiler Materialien und das Grundbedürfnis des Menschen nach
Bekleidung sind entscheidende Hinweise auf die Eignung des Textilen als Modell für
ein elementares Phänomen wie das Muster, das thetisch als Teil der kognitiven
Grundausstattung des Menschen bestimmt wurde. Die Ursprünge textiler Tätigkeit
sind nur spekulativ zu benennen, der Vergleich mit anderen Techniken läßt die
Formulierung einer anthropologischen Konstante zu. Die Linguistin und Archäologin
Elizabeth W. Barber geht davon aus, daß die Textilproduktion älter ist als die
Töpferei und wahrscheinlich auch als Agrikultur und Lagerhaltung, in jedem Fall
schon immer (bis zur industriellen Revolution) gegenüber anderen Tätigkeiten (auch
der Nahrungsproduktion) die meiste Zeit in Anspruch nahm.40 Dauer und Intensität
der Beschäftigung mit textilen Materialien bedingen die enorme Vielfalt textiler
                                                 
35
 Maas (1993): S. 9
36
 Maas (1993): S. 4
37
 Leroi-Gourhan (1971): S. 234
38
 Laut DIN 60000 werden mit Textilien Faser-, Fäden- und Flächengebilde bezeichnet. Die
Einbeziehung natürlich gewachsener Flächen wie Leder, Fell oder Kork bezieht sich auf typisch textile
Verarbeitungstechniken.
39
 Die Wörter ‘textil’ und ‘Text’ leiten sich vom Lateinischen ‘texere’ ab, das bedeutet neben weben
und flechten auch sehr viel allgemeiner ‘kunstvoll zusammenfügen’. Die enge Verbindung von Text
und Gewebe entspringt demzufolge einer etymologischen Verkürzung. Vgl. Pfeifer (1989) und Duden
(1963): s.v. ‘Text’, ‘textil’
40
 Barber (1991): S. 4
14
Techniken und Muster. Die Verarbeitung zu Bekleidung und das Tragen derselben
sind ein weiterer Multiplikator: „Patterned cloth in particular is infinitely variable
and, like language, can encode arbitrarily any message whatever.“41 Das gewählte
Modell hat dementsprechend eine große Reichweite, sowohl historisch als auch
räumlich: Das Textile ist mehrdimensional. In bezug auf das Muster ist festzuhalten,
daß das Verhältnis zum Textilen ein unmittelbares ist.
Um die Funktion des Musters für das Textile zu bestimmen, werden die textilen
Techniken als Musterbildungsprozesse untersucht. Dies entspricht nicht der üblichen
Sicht auf textile Muster, so daß das vorhandene Quellenmaterial neu befragt und
fachfremde Literatur hinzugezogen werden muß. Ausgangspunkt für die jeweilige
Betrachtung ist die textile Technik mit ihrer der Fachliteratur entnommenen üblichen
Bezeichnung und Ausführung. Die Analysen von Textilien und Abbildungen sowie
die die Einbeziehung fachfremder Sichtweisen bilden die Grundlage der
Beschreibungen. Diese detaillierten Beschreibungen textiler Musterbildung beziehen
den Raum und den Produzenten mit seinen Händen und Gesten ein, denken das
Textile immer vom Muster her. Die elementaren Erfahrungen, die der Mensch anhand
dieser Tätigkeiten macht, lassen die Formulierung einer ontogenetischen Funktion zu.
Henri Focillon widmet dem ‘Lob der Hand’ einen Essay, der ihre Bedeutung
zentralisiert. Ich zitiere die letzten Sätze dieses Essays, da sie den Umfang der Aus-
formungen manueller Intelligenz, denen ich nachgehen werde, formulieren.
„Der Geist bildet die Hand, die Hand bildet den Geist. [...] Die Hand reißt den Tastsinn aus seiner
aufnehmenden Passivität, sie befähigt ihn zur Erfahrung und zur Tat. Sie lehrt den Menschen, den
Raum, das Gewicht, die Dichte und die Zahl in Besitz zu nehmen. Sie erschafft eine nie
dagewesene Welt, und alles darin trägt ihr Gepräge. Sie mißt sich mit der Materie, die sie
verwandelt, mit der Form, die sie umbildet. Sie ist Erzieherin des Menschen und gibt ihm in Raum
und Zeit tausendfältige Gestalt.“42
Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget fundiert diese Betrachtungen durch em-
pirische Untersuchungen. Für die Darstellung der Zusammenhänge werden vor allem
seine Schriften herangezogen. Die Untersuchungen zeigen, daß die Wahrnehmung
der räumlichen Beziehungen aus der Handlung am Gegenstand hervorgehen, also
unmittelbar mit der tätigen Hand in Verbindung stehen.43 Das Gegenständliche des
Textilen, bzw. generell die Verwendung von Modellen der Tätigkeit, bieten die
Möglichkeit, den Beobachter einzuschließen. Heinz von Foerster gelangt anhand
eines Kognitionsmodells von Piaget zu einer Definition des Gegen-Standes als
„Zeichen für stabile Verhaltensweisen“ bzw. als „(be-)greifbares Zeichen für
Eigenverhalten“.44 In diesem Sinne ist die Veranlagung eines Modells im folgenden
zu verstehen: Die Stabilität verweist auf historische Kontinuität und das Verhalten auf
ein Aktives, den Akteur Berücksichtigendes.
Die Beschreibung der textilen Dimension schafft eine neue Sicht auf das Textile, die
die Schlußfolgerung zuläßt, daß das Muster das Textile konstituiert. Der Blick auf das
Prozessuale eröffnet die Möglichkeit, das Textile nicht als Objekt der Kunst- und
Kulturwissenschaft zu verstehen, sondern als Ausformung abstrakten Wissens um
                                                 
41
 Barber (1994): S. 149
42
 Focillon (1958): S. 52
43
 Piaget (1975): S. 13
44
 Foerster (1993): S. 103
15
darstellbare Zusammenhänge. Demzufolge ist der Ausgangspunkt nicht das textile
Produkt, sondern seine Herstellung, die u.a. von arithmetischem und geometrischem
Wissen zeugt.
Die Behandlung des Musters als Materielles am Modell des Textilen verweist auf
seine Konstruktivität und Historizität. Diese Parameter gilt es für die weitere
Untersuchung der Mustererkennung zu bedenken.
Mustererkennungsprozesse als Zeichen der visuellen Intelligenz
Das Wahrnehmungsorgan der visuellen Intelligenz ist das Auge, das eine besondere
Stellung im Körper einnimmt, da es unmittelbar mit dem Gehirn verbunden ist. Die
Bedingungen der visuellen Rezeption von Mustern sind in verschiedenen Disziplinen
von Bedeutung. Dem gegenwärtigen Stand in den Kognitionswissenschaften, der
Wahrnehmungspsychologie, den Neurowissenschaften und verwandten Disziplinen
zufolge ist die menschliche Wahrnehmung ein Konstrukt.45 Das Erkennen eines
Musters ist demnach auch individuell geprägt.46
Meine Beschreibung unterschiedlichster visueller Mittel der Weltstrukturation
konzentriert sich auf den jeweiligen Gebrauch des Musters. Das Erkennen des
Musters ist die Voraussetzung seiner Instrumentalisierung, die benannt wird. Ich
werde zeigen, daß alle Muster eine Funktion erfüllen, nicht sinnloser Zierat sind.
Das Vorgehen zur Beschreibung der kognitiven Dimension des Musters unterscheidet
sich von dem im vorangegangenen Kapitel. Für die Musterbildung wurde das Textile
als Modell gewählt und somit eine Untersuchungsgrundlage geschaffen. Eine
Reflexion der Mustererkennung muß notwendig nach dem Erkennenden fragen.
Zunächst treffe ich eine Auswahl an Mustern, die ich als solche erkannt habe. Die
Quellen und die Handlungsfelder sind heterogener Art. Die weitere Beschreibung, die
der Bestimmung der Funktion des Musters dient, stellt Verbindungen zu anderen
Mustern her – und hier wiederum bevorzugt Muster textiler Art – oder zieht Literatur
heran, die diese Muster auch als Muster erkennt und wiederum als Modell nutzt. In
diesem Fall nutze ich nicht  ein Modell wie das Textile, sondern benenne die
Funktionalisierung des Musters als Modell. Die Beobachtung der Muster und die
Beobachtung der Beobachter dienen als Grundlage zur differenzierten Bestimmung
der Instrumentalisierung der Muster.
Der Beobachter
Die Bedingungen der Beobachtung können technischer Natur sein (das Beobachten
von Mustern auf makro- oder mikroskopischer Ebene) oder sozio-kultureller Art,
wobei das Technische als Kulturelles dem auch einverleibt werden kann. „Der
Beobachter ist ein lebendes System, und jede Erklärung der Kognition als eines
biologischen Phänomens muß eine Erklärung des Beobachters und seiner dabei
gespielten Rolle beinhalten.“47 Meine Beobachterposition ist eine nachmoderne,
textilwissenschaftliche und durch die Frage nach der Funktion des Musters
                                                 
45
 Hofmann (2000)
46
 Den physiologischen Implikationen dieser Aussage werde ich nicht nachgehen, entscheidend für
die Funktionalisierung des Musters, um die es hier geht, ist die Feststellung als solche.
47
 Maturana (1998): S. 26
16
motivierte. Die Positionen anderer ‘Musterbeobachter’ werden jeweils benannt. In
diesem Zusammenhang ist es wichtig zu konstatieren, daß die Gesamtüberlegungen
von der Konstruktivität und Historizität unserer Umgebung ausgehen.48 Demzufolge
begreife ich auch Wissenschaft als kulturelles Artefakt.49 Die Auswahl der Muster ist
deshalb notwendig kontingent. Diese Kontingenz ist jedoch nicht das Thema der
weiteren Ausführungen. Der Begriff der Konstruktivität ist hingegen entscheidend.
Der Physiker Heinz von Foerster, ein Vertreter des Radikalen Konstruktivismus, hat
bereits in den frühen 1960er Jahren Wegweisendes zur Selbstorganisationstheorie
formuliert. Er schreibt, daß die Eigenschaften, die angeblich in den Dingen gegeben
sind, sich als Eigenschaften des Beobachters erweisen.
„Aus konstruktivistischer Sicht entsteht Notwendigkeit durch die Fähigkeit, unfehlbare
Deduktionen zu machen, während der Zufall sich aus der Unfähigkeit ergibt, unfehlbare
Induktionen vorzunehmen. Zufall und Notwendigkeit spiegeln daher einige unserer Fähigkeiten
und Unfähigkeiten und nicht die der Natur.“50
Sprache, Schrift und Bilder werden gemeinhin als Leistungen menschlicher
Kognition betrachtet. Die Mathematik als wichtiges Instrument der Beobachtung des
Musters ist nach Foerster auch ein konstruiertes System: Zahlen und Symmetrie
werden nicht entdeckt, sondern erfunden.
Jean Piagets Untersuchungen, die in diesem Zusammenhang einzuführen sind, haben
Piaget schon früh zu der Überzeugung geführt, daß die Kognition adaptive Funktion
hat und sich nicht die Abbildung der objektiven Wirklichkeit zur Aufgabe macht.
Erkennen ist demnach vor allem ein selbstbezüglicher Prozeß. Diese
Selbstreferentialität, die sich beim Mustern des Musters und beim Ordnen der
Ordnung einstellt, soll hier bedacht, kann aber nicht aufgelöst werden. Dieses Be-
denken drückt sich u.a. in einer noch zu explizierenden performativen Gliederung
aus.
Wenn man das Muster als ein von der visuellen Intelligenz Konstruiertes betrachtet,
verhindert diese Selbstreferentialität die Erkenntnis. Der Kognitionswissenschaftler
Douglas B. Hofstadter denkt intensiv über das Nachdenken nach: Er möchte die
Natur des Denkens erforschen. Das Bild, das er für diese Reflexion verwendet, ist das
der seltsamen Schleife.51 Sein Ausgangspunkt war der  Gödelsche
Unvollständigkeitssatz, dem er einen kurzen Essay widmen wollte. Es kamen Escher
und Bach dazu, es entstand ein dickes Buch und er ‘flicht daraus ein endloses
Band’.52 Ich gehe den umgekehrten Weg: Das textile Motiv nimmt ein ganzes Kapitel
ein, Escher und Bachs Werke offenbaren Muster und die Konstruktivität führt zu
Gödel. Ich übernehme den Begriff der seltsamen Schleife als textiles Bild der
Unendlichkeit selbstbezüglicher Systeme.
                                                 
48
 Für diese Überlegungen war u.a. die Schrift von Dux (2000) von Bedeutung.
49
 Berg/Fuchs (1995): S. 16
50
 Foerster (1993): S. 145
51
 Foerster (1993) beschäftigt sich intensiv mit diesen Formen der Selbstreferenz. Sein Bild ist das der
Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt: Die Kognition errechnet ihre eigenen Kognitionen. (S.
108)
52
 Hofstadter (1985). Der Untertitel des mehr als 800 Seiten umfassenden Buches ist ‘ein endlos
geflochtenes Band’.
17
Das Ordnen der Ordnung – Zum Forschungsstand des Themas
Der an dieser Stelle zu beschreibende Forschungsstand betrifft vor allem die
Referenzsysteme Kunst- und Kulturwissenschaft. Dies geschieht zum einen aufgrund
der Forschungslage, die das Muster als Teil der Ornamentik behandelt. Zum anderen
ist dies dem Verständnis der Textilwissenschaft als kulturwissenschaftliche Disziplin
geschuldet. Die naturwissenschaftlichen Hauptreferenzwerke werden abschließend
benannt. Eine Einordnung der weiteren Literatur erfolgt jeweils im Zusammenhang.
Der Forschungsstand wird bewußt in dieser Weise beschrieben, um auf den Aus-
gangspunkt, das Vorgehen und das Ziel der Arbeit zu verweisen. Der Ausgangspunkt
ist das Muster als Teil der Ornamentik und als Gegenstand der kunsthistorischen
Aufarbeitung. Die Beschreibung der Literatur dient als Hintergrund, den es zu
verlassen gilt. Da sich die Arbeit nicht als interdisziplinäre versteht, werden die
Forschungsstände anderer Disziplinen nicht dargestellt. Das Muster als kulturelles
Artefakt wird mit einem kulturwissenschaftlichen Blick bzw. mit einem das Textile
fokussierenden beobachtet.
Die zitierte etymologische Herleitung des Ornamentbegriffs betont neben dem
Schmückenden das Ordnende. Das Bilden von Systematiken, Kategorien, Klassen,
Typen etc. ist demnach ein die Ordnung ordnendes.
Die meisten Publikationen, die sich explizit53 mit Ornamenten und Mustern be-
schäftigen, bemühen sich um eine solche Ordnung. Monographien über einzelne
Motive – z.B. das Granatapfelmotiv – zeugen von diesem Klassifizierungsdrang.
Diese Publikationen verfolgen vor allem zwei Ziele: Die Muster- und Ornament-
sammlungen dienen entweder als Vorlagen, als ‘Motiv-Schatz’, oder der Bestimmung
eines Ornamentstils. Die umfangreichen Handbücher, die im 19. Jahrhundert
veröffentlicht wurden oder in ihrer Tradition stehen, verbinden diese beiden Ziele,
indem sie einleitend Gedanken zu Ursprung und Entwicklung des Ornaments
anführen und die Sammlung im Anschluß entsprechend geordnet vorstellen. Als
Reinform der Vorlagensammlung können die Musterbücher bezeichnet werden, die
ich zuerst darstelle. Aufgrund ihrer traditionellen Zuordnung zu den Gewerben läßt
sich hier eine Materialorientierung konstatieren, die sich in der Sammlungstätigkeit
der Museen fortsetzt. Die ornamenttheoretischen Schriften suchen nach
Begründungszusammenhängen und bilden hierfür andere Kategorien aus, die meist
der jeweiligen Wissenschaft54 zuzuordnen sind.
Der traditionelle Sprachgebrauch von Musterbuch und Ornamenttheorie, wie er hier
für die Darstellung übernommen wurde, verweist ein weiteres Mal auf die Sub-
ordination des Musters. Eine Mustertheorie existiert nicht.
Die im folgenden vorgenommene Zuordnung zu Musterbuch, Handbuch oder
Ornamenttheorie dient dem leichteren Umgang mit der Materialfülle, die Grenzen
sind – wie meistens – fließend, bzw. sind die Zuordnungen vom Betrachterstandpunkt
abhängig. Trotz des Umfangs ist die Auswahl exemplarisch zu verstehen, eine
                                                 
53
 Publikationen, die sich innerhalb einer bestimmten Epoche, Ethnie oder Technik mit der Thematik
befassen, bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt.
54
 Ornamenttheorien entstehen u.a. innerhalb der Philosophie, der Kunst und Kunstgeschichte, der
Psychologie, sowie den Kulturwissenschaften.
18
historische Darstellung des Ornaments und des Musters ist nicht beabsichtigt. Eine
umfassende Bibliographie zum Ornament hat Dietmar Debes zusammengestellt, auf
andere Werke mit Spezialbibliographien wird hingewiesen.55
Musterbücher
Der Begriff des Musterbuchs rekurriert auf die Bedeutung des Wortes Muster als
Vorlage, als Warenprobe. Das Ornament oder das Textilmuster sind ein möglicher
Inhalt eines solchen Musterbuches. Dementsprechend bildet sich eine Differenzierung
gemäß der Funktionen der Musterbücher heraus.
Diesen Büchern gemein ist das strukturelle Element der Wiederholbarkeit. Ein
Musterbuch, das Warenproben enthält, ist immer dem Merkantilen zuzuordnen. Das
Muster, das als Teil eines Ganzen einen Ausschnitt bedeutet, bietet die Möglichkeit
der Mobilität (Messen), der Übersicht und des Vergleichs der Waren. Bedingung
dieser Möglichkeit ist die Wiederholbarkeit: Der Teil muß für das Ganze stehen und
dabei die Verhältnismäßigkeit aufzeigen. Die Stoffproben dienen hierbei dem
qualitativen und ästhetischen Nachweis und sind nicht als Vorlage der Produktion
gedacht. Die Wiedergabe des ganzen Rapports, der dies ermöglichen würde, wäre zu
aufwendig und kostenintensiv. Lexikalisch wird das Muster in diesem
Zusammenhang als „Gegenstand, der die Beschaffenheit einer Ware kennzeichnet“
definiert, textile Muster sind „unselbständige Teile eines ganzen Stückes.“56 Die mit
der Industrialisierung zunehmende Massenproduktion, die auch eine Form der
Repetition darstellt, bringt eine neue Form des Musterbuchs, bzw. seinen Nachfolger
hervor: den Warenkatalog. Die Untersuchung solcher Musterbücher ist meist
wirtschaftshistorischer Art, eine technische Untersuchung der jeweiligen Waren kann
dem hinzugefügt werden.57 Das Historische Museum in Frankfurt besitzt eine kleine,
unbearbeitete Sammlung von Musterbüchern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die
mir zugänglich gemacht wurde. Im historischen Kontext dienen diese Bücher, die mit
Bestellnachweisen versehen sind, vor allem als Beleg für die rege Handelstätigkeit
und die zentrale Stellung der Stadt Frankfurt als Messeplatz. Eine technische
Untersuchung könnte Datierungshilfen liefern sowie Hinweise auf historische
Bezeichnungen von Techniken und Materialien geben.
Die andere Funktion von Musterbüchern ist ihr Gebrauch als Vorlage, als zu
Imitierendes.58 Diese Art von Musterbüchern findet sich im Kontext von Handwerk,
Kunstgewerbe, musealer Sammlungstätigkeit und auch im häuslichen Bereich. Ihre
Differenzierung ist entsprechend und unterteilt sich ein weiteres Mal in diverse
Techniken59 und Materialien60. Das Zeichnen der Muster hat im 19. Jahrhundert, in
                                                 
55
 Debes (1956) hat fast 2000 Titel zusammengestellt, wobei er Ornamentvorlagensammlungen
unberücksichtigt läßt.
56
 Meyers Enzyklopädisches Lexikon (1976): s.v. ‘Muster’
57
 Zwei Ausstellungen und die zugehörigen Kataloge beschäftigen sich mit dem Thema des
Musterbuchs und des Katalogs. Dascher (1984); Deutsches Klingenmuseum Solingen (2000)
58
 Lexikon der Kunst (1975): s.v. ‘Musterbuch’. Die Definition bezieht „alle in den bildenden Künsten,
vor allem im Kunsthandwerk, verwendeten Zusammenstellungen von Vorlagen“ mit ein.
59
 Stephenson/Suddards (1897)
60
 Ashenhurst (1892); Hefner-Alteneck (1870); (1895)
19
dem der Bedarf an Mustern immens war, einen eigenen Musterzeichnerstand
hervorgebracht.61
Die von mir vorgenommene Sichtung zahlreicher Musterbücher in der Parish-
Kostümbibliothek, dem Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt, der Kunst-
bibliothek Berlin und der Lipperheideschen Kostümbibliothek dient vor allem dem
strukturellen Vergleich. Die häufig auch als Ornamentsammlung62 oder Vorlage-
werk63 bezeichneten Musterbücher sind ausdrücklich zur Nachahmung bestimmt, sie
richten sich an Fabrikanten64, Musterzeichner65, Handwerker66, Kunsthandwerker67
und Hausfrauen68. Einige der Werke verfolgen didaktische Ziele: Die Betrachtung der
unter bestimmten Gesichtspunkten zusammengestellten Sammlungen sollen dem
Erlernen des Zeichnens69, der Geschmacksbildung, dem Erkennen von Stilen und
Entwicklungslinien70 und dem Erfassen von Kompositionsprinzipien71 dienen. Die
Bedeutung, die das Musterzeichnen im 19. Jahrhundert hatte, läßt sich auch durch die
Existenz von Zeitschriften wie ‘Der Musterzeichner’ oder der ‘Allgemeinen
Musterzeitung’ belegen.
Die Sekundärliteratur bietet zu diesem Thema keine umfassende Darstellung. Die
Sammelbände ornamentaler Vorlageblätter von Berliner und Jessen führen in das
Thema ein, beschäftigen sich jedoch vorrangig mit dem Ornamentstich und seiner
technischen Entwicklung.72 Eine Dissertation von 1993 bearbeitet eine Auswahl an
Musterbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts im Kontext mit zeitgenössischen
Ornamenttheorien.73 Annika Waenerbergs Dissertation verfolgt die ornamentale
Rezeption der botanischen Morphologie im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit
Goethes Urpflanzen-Gedanken.74 Im Rahmen ihrer Fragestellung werden
Vorlagewerke, Musterbücher, Kunsttheorien und Abhandlungen zur Pflanzen-
                                                 
61
 Gurlitt (1890): S. 8. Gurlitts Darstellung ist nationalistisch motiviert. Ihm geht es darum, dem
deutschen Musterzeichner eine praxisorientierte Ausbildung anzubieten, um den ‘Franzosen
gleichkommen zu können’. (S. 56) Sano (1980): S. xii–xiv. Hier findet sich ein kurzer historischer
Überblick von Wendy Hefford: „The pattern-drawers and their trade“.
62
 Lessing (1900) dokumentiert die Gewebesammlung des Kunstgewerbemuseums in einer für das 19.
Jahrhundert typischen Form. Die großen Tafeln (ca. 40x50 cm) sind mit Angaben versehen, die sie als
Vorlage brauchbar machen. Die Kurzbeschreibungen enthalten meist keine Hinweise auf die
Gewebebindung, woraus sich schließen läßt, das dieses Wissen vorausgesetzt werden konnte.
Bossert (1924) möchte mit seinem ‘Ornamentwerk’ nicht einen zu kopierenden Motivschatz bieten,
sondern das Empfinden der Gegenwart treffen und anregend wirken.
63
 Leipziger Kunstgewerbemuseum (1880)
64
 Dupont-Auberville (1881) behandelt das Gewebeornament, das er der ‘art industriel’ zuordnet.
65
 Schulze (1886); Lieb (1900) übersetzt die Publikation von R.T. Lord ‘Decorative and fancy textile
fabrics’, sein ‘Handbuch für Musterzeichner’ beschäftigt sich also ausschließlich mit Textilmustern.
66
 Müller (1896)
67
 Blount (1899) möchte mit seinem Buch die ‘ornamentalen Kunsthandwerke’ fördern. Der Entwurf
eines Musters müsse sich nicht an der physischen Natur, sondern an der Klassifikation der Natur
orientieren. (S. 14)
68
 Die ‘Allgemeine Musterzeitung’ trägt den Untertitel: „Album für weibliche Arbeiten und Moden“.
69
 Fischbach (1874). Der erklärte Zweck seiner Veröffentlichung war, ‘Industriellen und Ornamentisten’
brauchbares Material zu liefern und die historische Entwicklung der ‘Webeornamente’ zu erhellen. (S.
5)
70
 Bock (1859) betont das chronologische Erarbeiten der Mustervorlagen, das dem Schüler die
Möglichkeit biete, die Prinzipien der Muster zu erkennen und umzusetzen.
71
 Reichelt (1956) trifft eine Auswahl von Textilornamenten nach gestalterischen Gesichtspunkten.
Anhand der Anschauung (der einführende Text ist nur eine Seite lang) sollen sich die Gesetze der
Flächenkomposition erschließen. (S. 5)
72
 Jessen (1920); Berliner/Egger (1981)
73
 Tzeng (1993)
74
 Waenerberg (1992)
20
morphologie ausführlich befragt. Für die vorliegende Arbeit wurde vor allem die
hergestellte Verbindung zwischen naturwissenschaftlichen Errungenschaften und
Gestaltungsideen und -prinzipien rezipiert.
Margaret Abegg stellt in einer Monographie gedruckte Musterbücher für Stickerei,
Weberei und Spitzen von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert dar.75 Der erste Teil
des Buches rekurriert auf eine Zusammenstellung der Modelbücher des 16. und 17.
Jahrhunderts von Arthur Lotz aus dem Jahr 1933.76 Eine Publikationsreihe aus den
1970er Jahren führt die Tradition der Dokumentation musealer Gewebesammlungen
fort.77 Einleitend wird angemerkt, daß die ‘histoire des motifs de tissu’ noch zu
schreiben sei. Ein Ziel der Publikation sei demnach, hierauf aufmerksam zu machen
und neue Horizonte zu öffnen.78
Auch wenn es nicht Ziel der vorliegenden Arbeit ist, diese Geschichte zu schreiben,
war die Durchsicht der Musterbücher notwendig. Folgende Ergebnisse sind
festzuhalten: Eine trennende Sicht auf Muster und Ornament kann nur implizit
erkannt werden. Das für das Muster charakteristische Wiederholungsmoment wird
jedoch sichtbar, sowie eine unausgesprochene Zuordnung des Musters zum
Technischen im Gegensatz zum Schmückenden und Künstlerischen des
Ornamentes.79 Die Reduktion des Musters auf zwei Dimensionen wird bei der
Betrachtung der Musterbücher, die als Vorlagen dienen, besonders deutlich. Das
Zeichnen macht das Muster zu einem Zweidimensionalen und enthebt es seiner
Materialität.
Die vermittelnde Position des Zeichnens zwischen Material und Technik setzt
Kenntnisse des Musterzeichners voraus, bzw. wird in den didaktisch orientierten
Publikationen die Notwendigkeit konstatiert, dem Musterzeichner ‘Material-
gerechtigkeit’ beizubringen. Georg Bötticher schreibt 1892 in der Musterzeitung:
„Und der Function des zu verzierenden Gegenstandes durch das Muster so zum Ausdruck zu
verhelfen, dass man sogleich erkennt: dies ist eine Tapete und nur eine Tapete, dies ist ein
Möbelstoff und nichts als ein Möbelstoff – das ist doch schließlich das Wichtigste und Haupt-
sächlichste, was einem Musterzeichner beigebracht werden muß.“80
Die Flächigkeit des Musters wird besonders im Zusammenhang mit der Konstruktion
betont: „Die Kunst des Musterzeichnens könnte man wohl als die Anwendung
unseres konstruktiven Sinns auf eine Ebene bezeichnen.“81 In diesen Anweisungen
und Trennungen spiegelt sich die Ausdifferenzierung der Berufe im 19. Jahrhundert
wider. Gleichzeitig liegt in ihnen eine Entwicklung begründet, die immer heftiger
kritisiert wurde: die Beliebigkeit des Ornaments. Diese Entwicklung beginnt mit dem
Zeichnen von Ornamenten in vereinheitlichender Weise, die Farbe, Größe, Technik
und Materialität unberücksichtigt läßt. Ein Musterzeichner, der sich eines
                                                 
75
 Abegg (1978)
76
 Abegg (1978): S. 5. Arthur Lotz: Bibliographie der Modelbücher, Leipzig 1933
77
 Die Sammlungen des Musée Historique des Tissus in Lyon und des Musée de l’impression sur étoffes
in Mulhouse werden in jeweils drei sehr aufwendig hergestellten Bänden dokumentiert. Sano (1976 und
1978) Zwei entsprechende Bände liegen für das Victoria and Albert Museum in London vor. King
(1980)
78
 Sano (1978): S. 18
79
 Berliner/Egger (1981): S. 11f
80
 Georg Bötticher in: Der Musterzeichner, Nr. 11, II. Jg., Juni 1892, S. 70
81
 Walter Crane, in: Zeitschrift für Musterzeichner, Nr. 13, VI. Jg., Juni 1896, S. 99
21
Vorlagenwerkes bedient, kann also die Form eines Eisenbeschlages aus dem 16.
Jahrhundert zu einem Gewebeornament umgestalten. Die Kenntnisse, die im Laufe
des 19. Jahrhunderts von den Musterzeichnern gefordert wurden, bezogen sich meist
auf die Technik, wie zum Beispiel die Weberei oder das Bedrucken von Stoffen.82
Meine Durchsicht der Musterbücher83 hatte neben ihrer Beurteilung als Quellen-
gattung die Absicht der visuellen Anhäufung von Mustern und Ornamenten. Hierfür
ist das Flächenhafte, als Zeichnung oder Fotografie, von Vorteil: Es bedingt eine
schnelle Handhabung – ein Aspekt, der noch anzusprechen sein wird. Der Verlust des
Originalen, des Materiellen, des Räumlichen (bei sogenannten textilen Flachwaren
die Rückseite) muß hierbei immer bedacht werden. Die Sichtung unterschiedlicher
Sammlungen (Deutsches Textilmuseum Krefeld; Privatsammlung russischer
Textildrucke; Gewebesammlung des Rheinischen Industriemuseums) diente zum
einen gleichermaßen der visuellen ‘Anhäufung’ und zum anderen der Erfahrung der
Materialität.84 Hierbei wurde jedoch deutlich, daß sowohl Sammlungs-,
Aufbewahrungs- und Ausstellungspraxis von dem genannten Verlust zeugen bzw. ihn
befördern. Eine Trennung zwischen sogenannten Flachwaren und Kostümen erscheint
aus rein pragmatischen Gesichtspunkten hinsichtlich ihrer Aufbewahrung
einleuchtend.85 Diese Praxis hat jedoch dazu geführt, die Flachwaren nicht nur als
Zweidimensionales aufzubewahren, sondern auch zu untersuchen und auszustellen.
Das Textile wurde seinem Funktionszusammenhang entnommen, um es zu
ikonisieren. Die von mir vorgeschlagene dimensionale Betrachtung der textilen
Muster wird sich als ein Weg erweisen, das Textile als Eigenständiges, zwischen den
Dimensionen oszillierendes zu bestimmen.
Handbücher
Die Untersuchung der Handbücher richtet sich zunächst auf den (definitorischen)
Umgang mit Ornamenten und Mustern. Das von Franz Sales Meyer 1888 ver-
öffentlichte ‘Handbuch der Ornamentik’ stelle ich exemplarisch vor. Die Aufgabe
dieses Handbuch sei es, „das Wichtigste aus dem Gesamtgebiet (der Ornamentik,
Anm. K.K.) in irgend einer systematisch geordneten Reihenfolge zusammen-
zustellen.“86 Meyer möchte sich von anderen Werken, die die Ornamente nach
„Zeiten und Völkern“ ordnen, absetzen und ein „synthetisches System“ erstellen.87 Er
unterscheidet hierfür zunächst zwischen geometrischen Formen und Naturformen und
stellt anschließend die Funktion und die Anwendung der Ornamente vor. Die Kapitel,
die der Funktion und der Anwendung gewidmet sind, sind von starken formalen
Kategorisierungen, von Konventionalismus und Traditionalismus geprägt, typische
Züge dieser Art von Literatur. Eine Definition des Ornaments wird, außer seiner
                                                 
82
 Lieb (1900)
83
 Dem Mustertuch als einer textilen Form des Musterbuches wird im Kapitel ‘Die textile Dimension
des Musters’ ein kurzer Abschnitt gewidmet.
84
 Die Ergebnisse dieser systematischen Sichtung fließen in die Untersuchung ein, sie sind nicht
Gegenstand der Untersuchung und werden nicht dargestellt. Die genannte Privatsammlung wird im
folgenden als ‘russische Sammlung’ bezeichnet.
85
 Die Gewebesammlung des Deutschen Textilmuseums Krefeld wird flachliegend in Objektschränken,
nach Größe und Erhaltungszustand der Fragmente sortiert, aufbewahrt.
86
 Meyer (1990): S. 1 (Unveränderter Nachdruck der 12. Auflage von 1927)
87
 Meyer (1990): S. 2
22
Einführung als „künstlerischer Schmuck“, nicht gegeben. Die explizierte
Differenzierung zwischen geometrischer Form und Naturform kann jedoch in
Hinblick auf eine distinkte Definition von Ornament und Muster interpretiert werden.
„Entweder wird das Ornament dadurch hervorgerufen, daß nach den Gesetzen der Rhythmik, der
Regelmäßigkeit und Symmetrie Punkte und Linien gereiht und verbunden, geometrische Figuren
gebildet und zerlegt werden, oder es entsteht in der Weise daß der ornamentierende Mensch Dinge
der Außenwelt wiederzugeben versucht.“88
Demnach ist das geometrische Ornament, das ich als Muster definiere, von
Rhythmus, Reihung (Wiederholung) und Symmetrie abhängig. Meyer spricht von
‘Netzen’, ‘Bändern’ und ‘Flachmustern’.89 An anderer Stelle spricht er von ‘un-
begrenztem Flachornament’, zu dessen Wesen es gehöre, daß es nach allen Seiten hin
beliebig ausgedehnt werden könne, „indem die einzelnen Bestandteile der Zeichnung,
das sog. Muster, eine stete Wiederholung zulassen.“90 Diese Trennung von Ornament
und Muster entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch und findet sich implizit in
vielen Abhandlungen zum Ornament. Die Beschreibung Wersins bestätigt diesen
Sachverhalt: „Wenn im folgenden von Ornament gesprochen wird, so ist damit stets
die rhythmische Einheit gemeint, die man als Muster zu bezeichnen pflegt. Das
Muster selbst besteht, wie der Vers aus Versfüßen, aus den ornamentalen
Einzelgliedern, denen das Motiv entspricht, als dasjenige, was sich im Muster
wiederholt.“91 Demzufolge ist das Motiv, also das Ornament, austauschbar. Das
Entscheidende ist das, was Wersin ‘rhythmische Einheit’ nennt. Entsprechend der
von mir formulierten Definition des Musters ist die rhythmische Einheit die
Wiederholungsvorschrift. In dieser Lesung verkehrt sich das Verhältnis von Muster
und Ornament gegenüber der klassischen Hierarchie: Das Ornament wird zu einem
untergeordneten Element des Musters. Christie etwa folgt einer solchen Gewichtung,
ohne dies zu kommentieren. In seinem Handbuch ‘Pattern designs’ werden die
Begriffe Muster und ‘designs’ synonym verwendet, bzw. wie im Titel von ‘Pattern
design’ gesprochen. Das Ornament wird dem Muster untergeordnet, es ist lediglich
ein Musterelement, dessen Entwicklungsformen beschrieben werden.92 Gegenüber
der deutschsprachigen Literatur scheint das Muster im angelsächsischen Raum
zumindest nominell höher geschätzt zu werden. Joan Evans, die 1931 ein
grundlegendes Werk vorgelegt hat, schreibt:
„Pattern is an art not only of representation, but also of rhythm; it tends to exclude illusion in
favour of symmetry. But paradoxically, just because of this stylization, the relation between the
perception that inspired its creation and the pattern created is often more obvious than it can be in
the more representational ‘fine’ arts.“93
Den untersuchten Handbüchern ist zum einen dieser undifferenzierte Gebrauch der
Begriffe gemein, zum anderen das Anliegen zu klassifizieren. Die Klassifizierungen
können sich an unterschiedlichen Merkmalen orientieren. Audsley nimmt
beispielsweise eine Klassifizierung aufgrund der Formen – ohne Berücksichtigung
der Farbgebung – vor. Er stellt Mäander-Ornamente zusammenfassend vor und be-
                                                 
88
 Meyer (1990): S. 12
89
 Meyer (1990): S. 13
90
 Meyer (1990): S. 303
91
 Wersin (1953): S. 15
92
 Christie (1929): S. 25f; 45f
93
 Evans (1976): S. XXXV
23
zeichnet sie im beschreibenden Text immer wieder als Muster.94 Eva Wilson ordnet
ihr Handbuch der Ornamente nach Motiven, wobei auch sie die Einzelmotive wie
Tier- und Fabelwesen mit dem Begriff des Ornaments in Verbindung bringt und
‘Spiralen und andere laufende Motive’ als Muster bezeichnet.95 Andere Zuordnungen
sind auf Epochen oder Ethnien ausgerichtet.
Diese Auflistung soll nicht weitergeführt werden, sondern anhand eines zweiten
Aspektes, der Dimension, die von mir postulierte Differenz von Ornament und
Muster belegt werden. Die Betrachtung der Dimension ist eng mit dem Medium
verbunden, entsprechend wurde die Darstellungsform der Ornamente und Muster in
den Handbüchern berücksichtigt.
Die Trägergebundenheit wurde bereits als ein wichtiges definitorisches Moment des
Ornaments gekennzeichnet. Kroll beschreibt das Ornament als „appliziertes Artefakt
[...], das immer an eine vorhandene Trägersubstanz gebunden ist“.96 Dieser
Trägersubstanz kommt im allgemeinen keine Bedeutung zu, findet höchstens
summarische Aufmerksamkeit.97 Durch die Vernachlässigung des Trägers und der
Materialität des Ornamentes wird es möglich, das Ornament als ein Abstraktes – als
reine Form – und der Flächenkunst Zugehöriges zu behandeln. Der Kunsthistoriker
Günter Irmscher definiert: „Ornamente und ornamental verwendete Motive existieren
ausschließlich in der Flächendimension.“98 Diese Definition läßt sich im- oder
explizit auch an anderer Stelle finden, so ist vom reinen ‘Flachornament’ die Rede,
dessen völlige Zweidimensionalität durch keinerlei Schraffur oder Schatten zerstört
werden dürfe.99 Die Durchsicht der Abbildungen zahlreicher Handbücher liefert die
visuelle Bestätigung: Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich um Schwarz-Weiß-
Abbildungen, meist als technische Zeichnung, seltener als Skizze ausgeführt, die das
Charakteristische des jeweiligen Ornamentes zeigen sollen, das gleichzeitig
kategorienbildend wirkt. Audsley ordnet die Ornamente in „Fret Ornament, Diaper
Ornament, Interlaced Ornament, Powdered Ornament“ und Mischformen. Schwarz-
Weiß-Zeichnungen, die die Grundform des jeweiligen Ornamentes zeigen, illustrieren
seine Erklärungen.100 Ähnliches findet sich bei Ward (oder auch Day und Christie)101,
der neben den Zeichnungen, die auf das Wesenhafte reduziert sind (z.B. Ornament-
variationen aus der Kreisform abgeleitet), zusätzlich Zeichnungen von ornament-
tragenden originalen Flächen beifügt (z.B. ornamentierte Buchdeckel) oder Foto-
grafien derselben.102 Auch Hein, der ‘künstlerische Wirbeltypen’ klassifiziert, ver-
fährt in dieser Weise: Die Vorlagen für seine Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind
unterschiedlichster Art und umfassen Objekte wie Fayence-Schüsseln, eine Bast-
jacke, Manuskriptmalereien, historische Musterbücher oder Ornamenthandbücher.103
                                                 
94
 Audsley (1968). Der Originaltitel von 1882 lautete ‘Outlines of Ornament in the Leading Styles’.
95
 Wilson (1996): S. 33
96
 Kroll (1987): S. 153
97
 Wörterbuch der Kunst (1989): s.v. ‘Ornament’. Das Ornament „kann aus dem gleichen Material
bestehen oder auch materialverschieden sein.“
98
 Irmscher (1984): S. 6
99
 Hänselmann (1889): S. 43
100
 Audsley (1968)
101
 Day (1887); Christie (1929)
102
 Ward (1896): S. 34, 97, 102
103
 Hein (1929)
24
Das Zeichnerische des Ornamentes, seine Planarität, wird durch diese Form der
Darstellung über die Sehgewohnheit veranlagt. Materialität und Objekthaftigkeit
treten in den Hintergrund, bis sie in völlige Vergessenheit geraten. Das Abzeichnen
eines abgezeichneten Ornamentes wird in den genannten Publikationen nicht
thematisiert, da das Wesentliche des Ornamentes ja seine Form ist. Das Klassifizieren
und Zeichnen der Ornamente und Muster offenbart hierin seine Konstruktivität.
Auch neuere Publikationen verfahren in dieser Weise, beispielsweise Eva Wilsons
Ornament-Geschichte104, so daß die Form der technischen Reproduzierbarkeit von
Abbildungen nicht als Grund für die Vernachlässigung des Materialitätsaspektes
angeführt werden kann. Eine Ausnahme bildet die Publikation von Snodin und
Howard, die jedoch als erklärte Absicht eben nicht die Klassifikation von Orna-
menten haben, sondern eine Sozialgeschichte anhand des Ornamentes verfolgen.
Dementsprechend erfahren die Ornamente keine zeichnerische Verkürzung oder
Interpretation durch die Autoren, sondern werden als Objekte, Teile von Muster-
büchern, Zeichnungen und Fotografien gezeigt.105
Die vorgestellten Handbücher, deren häufig didaktisches Anliegen in meiner Dar-
stellung vernachlässigt wurde, stellen nur eine kleine Auswahl dar106, die vor allem
den Klassifikationsdrang in bezug auf das Ornamentale demonstrieren. Das Attri-
butive und das Zweidimensionale als zwei Merkmale des Ornaments wurden sichtbar.
Die Vereinzelung solcher Aspekte kann zu Übernahmen in andere Disziplinen führen,
z.B. in die Geschlechterforschung, die ein Zusammendenken von Ornament und
Geschlecht vorschlägt. Ein Lesepapier des Zentrums für Frauen- und
Geschlechterforschung stellt das Attributive in den Vordergrund, um es als ver-
bindendes Moment – das Geschlecht haftet dem Körper an wie das Ornament dem
Träger – zu instrumentalisieren.107 Die Flächigkeit des Ornaments in den Vorder-
grund stellend, ist das Ornament Untersuchungsgegenstand der Kunst- und
Kulturwissenschaft, wobei letztere sich methodisch in bezug auf das Ornament an
ersterer orientiert. In diesen Zusammenhängen wird das Muster als Teil der
Ornamentik behandelt.
Mit den folgenden Beispielen möchte ich die Auswirkungen dieser Sicht markieren
und anschließend ein definitorisches Trennungsmoment einführen.
Die Einleitungen vieler Handbücher versuchen sich häufig in der Bestimmung des
Wesens und Ursprungs der Ornaments. Kunstdrang und Schmucktrieb werden als
Ursache für die Entstehung des Ornaments genannt, dessen Ausformungen oft
entwicklungsgeschichtlich hergeleitet werden. Zur Bestimmung des Wesens werden
Symmetrie, Proportion, Maß und Rhythmik angeführt.108 Die Symmetrie ist hiervon
der Aspekt, dem die meisten Untersuchungen gewidmet wurden. Die Schriften des
                                                 
104
 Wilson (1996)
105
 Snodin/Howard (1996)
106
 Das Schriftenverzeichnis von Debes wurde schon erwähnt, es bietet einen umfassenden Überblick.
Eine wissenschaftliche Bearbeitung der Handbücher steht noch aus.
107
 Unveröffentlichtes Lesepapier als Vorbereitung zum Symposion zum Verhältnis von Dekoration und
Abstraktion anläßlich der 300-Jahr-Feier der HdK in Berlin im Sommer 1996.
108
 Ross (1907) erwähnt ‘harmony, balance and rhythm’ schon im Untertitel seines Werkes. Wornum
(1860) möchte durch seine Ornamentanalyse die Prinzipien desselben aufdecken, Symmetrie und
Repetition spielen hierbei eine wichtige Rolle.
25
19. Jahrhunderts spiegeln hierbei die verkürzte Auffassung der Symmetrie als
Spiegelsymmetrie, die eine „Zweiheit in der Einheit“109 bilde. Hänselmann wendet
die Symmetrie nur an, um die Motive, die sich in bezug auf die Lage ihrer Hälften zu
einer Achse gleichen, beispielsweise Tiere, zu charakterisieren.110 Eine Zusammen-
führung des mathematischen Symmetriebegriffs mit der darstellenden Kunst und
Kulturgütern findet erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt.
Da die Symmetrie als Strukturelement des Musters im nächsten Kapitel ausführlich
behandelt wird und die Hauptreferenzwerke dort eingeführt werden, möchte ich
zunächst nur auf zweierlei hinweisen. Ein Blick auf die Titel der Publikationen zeigt
ein weiteres Mal die synonyme Verwendung der Begriffe Ornament und Muster,
wobei eine Tendenz besteht, im Zusammenhang mit Symmetrieanalysen von Mustern
zu sprechen.111
Den Publikationen gemein ist die Behandlung des symmetrischen Musters/
Ornaments als Flächenphänomen. Ungeachtet der drei Symmetriegruppen wird im
Zusammenhang mit angewandter oder darstellender Kunst immer nur von ein- oder
zweidimensionalen Symmetrien gesprochen. Sogenannte Bandornamente besitzen
eine eindimensionale Symmetrie, Flächenornamente eine zweidimensionale,
materialiter zeigen sich solche Symmetrien flächig, da auch das Band zwei
Dimensionen aufweist. Die Muster oder Ornamente, die sich auf dreidimensionalen
Objekten befinden, werden in die Fläche zurückgelesen, um ihre Symmetrieform zu
bestimmen.
Der ungarische Chemiker und Symmetrieforscher István Hargittai hat das Textile als
Modell gewählt, um seinen Studenten die verschiedenen Symmetriegruppen
nahezubringen.112 Anhand von traditionellen ungarischen Stickmustern zeigt er die
sieben eindimensionalen und siebzehn zweidimensionalen Symmetrietypen (Ab-
bildung 3 und 4). Für ihn ist der nachgewiesene, erzieherische Effekt der Anwendung
fachfremder Analogien wichtig, nicht das Sticken.113 Demzufolge sucht er
gezeichnete Stickmustervorlagen aus, keine textilen Stickereien. Er merkt an, daß
man leider für die dreidimensionalen Symmetrien der Kristallographie keine ‘need-
lework analogies’ anführen könne.114 Hätte er nicht die ‘notierte’, zweidimensionale
Form des Textilen, sondern die materielle, dreidimensionale Ausführung als
Demonstrationsmittel gewählt, wäre diese Beschränkung nicht zwangsläufig
gewesen. Hiermit sollte nicht angedeutet werden, daß im folgenden die 230
möglichen dreidimensionalen Symmetrietypen in bestickten ungarischen Volks-
trachten aufgesucht werden (was auch nicht möglich wäre), sondern eine mögliche
Anwendung einer mehrdimensionalen Betrachtung des (textilen) Musters aufgezeigt.
Mit diesem Dimensionsverlust des Musters geht der des Materials einher. Die Sich-
tung der Sammlungen und Fachliteratur hat gezeigt, daß eine materialgerechte oder
auch nur -berücksichtigende Betrachtung der Muster und Ornamente selten ist. Das
                                                 
109
 Hänselmann (1889): S. 94
110
 Hänselmann (1889): S. 94
111
 Müller (1985); Washburn/Crowe (1988); Woods (1936); Hargittai (1986); Walker/Padwick (1977);
Stevens (1981)
112
 Hargittai (1984)
113
 Hargittai (1984): S. 1033
114
 Hargittai (1985): S. 35
26
textile Muster als Objekthaftes verschwindet, es wird wie bereits erwähnt von der
Kunstgeschichte vereinnahmt, die es als Bild behandelt. Ein gutes Beispiel hierfür ist
die Textilsammlung des Staatlichen Museums für angewandte Kunst in München
(‘Die Neue Sammlung’). Die Publikation, die diese Textilien beschreibt, definiert das
Ornament als ein an den Träger gebundenes, das aus einem Bedeutungsgrund
erwachse, aus dem auch der Träger seine Aussage beziehe. Das Muster hingegen
wiederhole Dekoratives nach Belieben auf irgendeinem Träger.115 Dieser wertenden
Definition folgt abschließend eine Einordnung: „Textilien tragen Muster. Ob
bedruckt oder eingewebt – sie haben nichts mit dem oben beschriebenen Wesen des
Ornaments zu tun.“116 Das Textile wird hier auf seine Trägereigenschaften reduziert,
eine Auffassung, die sich – wie zu zeigen sein wird – bestenfalls für bedruckte Stoffe
aufrecht erhalten ließe, die aber vor allem der kunsthistorischen Betrachtung
zuzuschreiben ist. Die Katalogisierung der Gewebesammlung, die Vorhänge,
Teppiche, kleine Kleidungsstücke, Dekorationsstoffe, Fragmente, Tücher, Decken,
Borten und Bänder umfaßt, zeugt gleichermaßen von dieser kunsthistorischen
Einverleibung: Die Stoffmuster werden gemäß ihrer Entwurfsherkunft, d.h.
alphabetisch nach Künstlernamen, mit Karteikarten versehen. Die Kurzbeschreibung
der Muster folgt keiner einheitlichen Systematik.
Die Publikation von Barbara Markowsky, die gleichermaßen aus einer kunst-
gewerblichen musealen Sammlung hervorgegangen ist, weist dem Textilen zumindest
einleitend eigenständigen Charakter zu.117 Das Besondere des Textilen – im
Gegensatz zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen – sei die Unabhängigkeit des
textilen Ornaments von seinem Träger.118 Diese Aussage stimmt jedoch nur bedingt,
da der Entwurf des Musters technischen Vorgaben gerecht werden muß und somit
gewisse Einschränkungen erfährt. Die Katalogisierung und Klassifizierung der
Textilien erfolgt bei ihr nach historischen und kunsthistorischen Gesichtspunkten, die
die Ikonographie in den Vordergrund stellen.
Ein Blick auf andere Publikationen zeigt, daß diese Art der Zuordnung weit verbreitet
ist. Viele Monographien beschäftigen sich mit einem bestimmten Motiv oder Muster,
häufig mit dem Ziel einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung.119 Stil- oder
Epocheneinteilungen, die der Kunstgeschichte entnommen sind wirken
gleichermaßen leitend in bezug auf Ausstellungen oder Publikationen.120 Erfolgt die
Kategorienbildung gemäß des Materials oder einer bestimmten Technik, ist die
Binnengliederung meist trotzdem an Stilen und Perioden interessiert.121
Ansätze zu einer genuin textilen Sicht weisen die Publikationen von Carol Bier und
Brigitte Klesse auf. Carol Bier untersucht die ‘Persian Velvets at Rosenberg’, also
eine vorgefundene Sammlung von Textilien.122 Einer Darstellung der Webtechniken
und verwendeten Materialien folgt eine Beschreibung der Muster. Das Muster wird
                                                 
115
 Wichmann (1990): S. 20
116
 Wichmann (1990): S. 21
117
 Markowsky (1976) bearbeitet die Seidengewebesammlung des Kunstgewerbemuseums Köln.
118
 Markowsky (1976): S. 5
119
 Reilly (1987); Reichelt (1956); Muthmann (1982)
120
 Thornton (1965)
121
 Rothstein (1990); Meller/Elffers (1991)
122
 Bier (1995)
27
einleitend über seine Symmetrieeigenschaft definiert, woraus Bier folgert, daß jedes
Muster anhand seiner Symmetriegruppe beschrieben werden könne.123 Den
Hauptanteil der Dokumentation der Samte bildet trotzdem eine detaillierte
ikonographische Beschreibung der Motive der Muster, u.a. auch in bezug auf ihre
räumliche Wirkung, nicht auf die Dreidimensionalität des Textilen. Es folgen –
typographisch durch eine kleinere Schriftgröße untergeordnet – eine beschreibende
Symmetrieanalyse des Musters, die Benennung der Gewebestruktur, die
Beschaffenheit der Kanten und eine technische Beschreibung der Stoffrückseite. D.h.
genuin textile Eigenschaften des Objektes werden wahrgenommen und beschrieben,
sind jedoch von der Interpretation ausgeschlossen.
Brigitte Klesses Publikation zur Seidenweberei des 14. Jahrhunderts stellt insofern
eine Ausnahme dar, als daß textile Muster und Malerei sich wechselseitig als
Referenz dienen sollen. Ziel der aufwendig recherchierten und dokumentierten
Untersuchung ist die Datierung und Lokalisierung von Seidenstoffen des 13. und 14.
Jahrhunderts. Als Hilfsmittel hierfür wurde die zeitgenössische italienische Malerei
mit dem Hinweis auf die „wirklichkeitsgetreue Wiedergabe“ der Stoffmuster nutzbar
gemacht.124 Auch wenn sich hier eine hierarchische Verkehrung andeutet – die
italienische Trecento-Malerei als Hilfsmittel – bleibt die Untersuchung der
Kunstgeschichte verpflichtet und fokussiert das Ikonographische des Musters. Das
‘Stoffliche’ des Textilen wird nur einleitend angesprochen und hierbei vor allem auf
das Gesetz des Rapports hingewiesen und die Weberei als die reinste Form der
Flächenkunst bezeichnet.125 Der ca. 500 gemalte Muster umfassende Katalogteil
klassifiziert die Muster, bildet ‘Mustergattungen’, die auch die Gliederung der
Kapitel bestimmen. Für die Wiedergabe der Muster wurden diese „auf ihr
graphisches Gerüst in Schwarz-Weiß [...] reduziert“.126 Das heißt die – ohnehin ihrer
haptischen Qualität beraubte – (gewebte) Textilie wird durch die zeichnerische
Reduktion auf eine zu klassifizierende Musterform reduziert. Die Begriffe des
Musters und des Ornaments definiert Klesse nicht, ihr Gebrauch hierarchisiert jedoch
in der üblichen Weise, indem das Gewebeornament die Musterformen umfaßt.
Die Publikation kann zum einen der Einordnung von Originalstoffen hinsichtlich
Entstehungszeit und Herkunft anhand des Kataloges und zum anderen das ‘gemalte
Textilornament’ der kunsthistorischen Stilkritik dienen. Datierung, Werkstatt-
zuordnungen, Stilkritik sind genuin kunsthistorische Anliegen, die sich dem Vor-
haben, eine ‘Kunstgeschichte der Seidenweberei’ zu schreiben, natürlich zur Seite
stellen.127 An manchen Stellen jedoch findet das Textile Berücksichtigung, beispiels-
weise wenn die malerische Darstellungsform des Musters beschrieben wird, ob das
Muster den stofflichen Falten folgt oder nicht. Des weiteren werden textile Elemente,
insbesondere ihre Musterung, als raumkonstituierend identifiziert128, ein Aspekt, den
ich aufgreifen werde.
                                                 
123
 Bier (1995): S. 32
124
 Klesse (1967): S. 483
125
 Klesse (1967): S. 22
126
 Klesse (1967): S. 163
127
 Klesse (1967): S. 17
128
 Klesse (1967): S. 26
28
Mit Blick auf die untersuchten Handbücher zum Thema Ornament/Muster läßt sich
somit abschließend feststellen, daß ein Übersichtswerk zum Textilornament oder -
muster, das einen eigenen Zugang schafft, ein Desiderat bleibt. Die vorhandenen
Arbeiten verfolgen technische oder didaktische Ziele, zollen dem textilen Charakter
der Muster mehr oder weniger Beachtung.129 Da ich im folgenden nach den
Funktionen des Musters frage und das Textile ‘nur’ als Modell für Musterbildung
nutze, wird dieses Desiderat ein solches bleiben. Die Darstellung der Literatur hat
jedoch gezeigt, daß die Notwendigkeit einer Materialorientierung im Sinne einer
eigenständigen Textilwissenschaft besteht. Dem wird an dieser Stelle zum einen
Rechnung getragen durch genuin textile Zugangsweisen und Hinweise auf
textiltypische Eigenschaften und zum anderen durch einen Entwurf für einen
Erfassungsbogen textiler Muster.130 Diese Hinweise auf textile Ubiquität sollen den
Blick schärfen, aber nicht einen ‘textile turn’ beschwören, der die Wahrheit in der
Transparenz eines Organdy sucht...
Ornamenttheorie
Neben den vorrangig an der Praxis orientierten Hand- und Musterbüchern be-
schäftigen sich zahlreiche Publikationen mit der Theorie des Ornaments.131 Da das
Muster gemeinhin als Teil der Ornamentik begriffen wird, dient die von mir vor-
genommene Sichtung der Literatur der Mustersuche und der abgrenzenden
Definition.
Wie schon erwähnt steht es noch aus, eine „Geschichte der Ornamentforschung“ zu
schreiben, und die Forschungslage erweist sich als „eher dürftig“.132 Eine Dissertation
von 1983 bietet eine umfassende Dokumentation der deutschen Ornamentkritik des
18. Jahrhunderts mit einer Auswahl der wichtigsten Schriften im Katalogteil.133 Kroll
trifft in seiner Publikation eine Auswahl von Ornamenttheorien, die vorwiegend aus
dem 19. Jahrhundert stammen. Diese Auswahl umfaßt Texte aus Kunst- und
Architekturtheorie sowie der Ästhetik und Philosophie. Kroll benennt zwei Gründe
für den Rückgang des Interesses am Ornament und an seinen theoretischen
Bestimmungsversuchen im 20. Jahrhundert. Zum einen habe Loos’ Schrift großen
Einfluß gehabt und zu einer „Ent-Aktualisierung“ des Themas geführt, und zum
anderen seien Gesamtdarstellungen zugunsten der Erforschung einzelner Grundfragen
aufgegeben worden.134
Eines der bekanntesten und schönsten Bücher zum Ornament ist die von dem
Architekten und Kunstschriftsteller Owen Jones 1856 veröffentlichte ‘Grammatik der
                                                 
129
 Wilckens (1991) verfolgt die technische Entwicklung der Textilproduktion. Reichelt (1956b) möchte
anhand der textilen Ornamente die Gesetze der Flächenkomposition veranschaulichen, hätte also auch
Tapeten wählen können.
130
 Dieser Erfassungsbogen wurde als Ergebnis der Literatur- und Objektanalysen in den Anhang
aufgenommen und nicht im Text als Darzustellendes eingeführt. Er ist im Sinne einer Anregung für den
Umgang mit textilen Mustern zu verstehen.
131
 Umfangreiche Bibliographien finden sich bei Lüttichau (1983), Kroll (1987) und Waenerberg
(1992).
132
 Kroll (1987): S. 1
133
 Lüttichau (1983)
134
 Kroll (1987): S. 136
29
Ornamente’.135 Die Schönheit des Buches, die zum einen auf der hohen Druckqualität
der Tafeln136 und zum anderen auf der künstlerischen Gestaltung und Anordnung der
Muster- und Ornamentbeispiele beruht, hat seinen Text-Inhalt in der Rezeption
zurücktreten lassen.137 Eine Würdigung seiner Theorien wird Jones durch Ernst H.
Gombrich zuteil, der die ‘Grammatik der Ornamente’ als „grundlegendes Buch
unseres Themas“ bezeichnet.138 Jones beginnt seine Grammatik – ein Begriff auf den
zurückzukommen sein wird – mit 37 Propositionen, die die „anempfohlenen
Principien zur Anordnung der Form und der Farbe in der Architektur und den
decorativen Künsten“ darlegen. Die erste Proposition bezieht sich auf den Ursprung
der dekorativen Künste in der Architektur und die daraus abgeleitete Weisung,
weiterhin als ‘Begleitung’ der Architektur zu fungieren.139 Des weiteren besteht Jones
auf einer geometrischen Konstruktion des Ornaments und einer konventionalisierten
Darstellung von Naturgegenständen.140 Ziel seines Werkes ist es, das Publikum zu
einer Kenntnis der der Kunst zugrundeliegenden allgemeinen Prinzipien zu führen.141
Die sich anschließenden 20 Kapitel sind nach epochalen und ethnisch-geographischen
Gesichtspunkten erstellt worden. Auch hier steht das Einordnen, das Klassifizieren,
das Entdecken von Stilen und Prinzipien im Vordergrund. Die Abbildungen zeigen
sowohl isolierte Einzelmotive als auch fragmentarische Ausschnitte oder
Gesamtdarstellungen von Ornamenten. Die Vorlagen für die Zeichnungen sind
unterschiedlichster Art: Glasfenster, Musterbücher, Teppiche, Illuminationen, Möbel,
Metallarbeiten, Porzellan etc. Ihre Materialität und Dimensionen werden in der
Darstellung vernachlässigt. Diese nivellierende Vernachlässigung schafft für Jones
eine neue, zweidimensionale, Ebene, die er kreativ nutzt. Die textilkünstlerische
Auseinandersetzung von Silke Radenhausen mit Jones’ Werk führt seine Tafeln in die
Dreidimensionalität. Diese „plastische Reartikulation“ diene jedoch weniger dem
Zweck, „der Abstraktion Körperlichkeit zu reinjizieren“, als vielmehr immer schon
Dagewesenes sichtbar zu machen.142 Die Künstlerin rekurriert auf eine Auffassung
von Geschichte, die nicht linear, sondern geschichtet ist. Die Möglichkeit, solche
Schichtungen zu entdecken und zu bearbeiten, bietet nicht jedes Ornamentwerk, um
nicht zu sagen: kein anderes. Radenhausens Interpret sieht das anders und schreibt
über Jones ‘Ornament-Kompendium’, das es sich durch nichts von einem
Tapetenmusterbuch eines Raumausstatters unterscheide.143 Der Vergleich mit anderen
Kompendien und Warenmusterbüchern zeigt jedoch, daß Jones’ Auswahl und
                                                 
135
 Diese ‘Grammar of Ornament’ wurde in England bis 1910 aufgelegt und wird gegenwärtig als
Nachdruck wieder veröffentlicht, aus dem hier zitiert wird. Jones (1997)
136
 Das Original erschien im Folioformat mit 112 chromolithographischen Tafeln, deren Farbqualität
heute noch kaum zu übertreffen sei, so Hanebutt-Benz in der Einführung des Nachdrucks von 1997.
Jones (1997): S. 13
137
 Bspw. gibt es Faksimile-Drucke, die ausschließlich die farbigen Tafeln wiedergeben.
138
 Gombrich (1982): S. 62. Eine Dissertation von 1984 beschäftigt sich ausschließlich mit Jones’
Grammatik und bewertet sie als beste Ornamenttheorie aller Zeiten. Jespersen (1993)
139
 Jones (1997): S. 20
140
 Jones (1997): S. 20f, Proposition 8 und 13
141
 Jones (1997): S. 23, Proposition 37
142
 Radenhausen (1997): S. 15
143
 Radenhausen (1997): S. 13. Darin: Knut Nievers: „Grammatik des Ornaments“, S. 12–17
30
Zusammenstellung erst den (künstlerischen) Mehrwert erzielt, der die Bedingung der
Möglichkeit einer interpretativen Rückübertragung ist.144
Jones’ Schrift und ihm strukturell und inhaltlich verwandte Schriften145 finden über
diese Darstellung hinaus nur illustrativen Eingang in die vorliegende Arbeit.
Die Ornamenttheorien Gottfried Sempers, Alois Riegls und Wilhelm Worringers
begründen auf je verschiedene Art eine Aufwertung des Ornaments innerhalb der
Kunsttheorie. Bei Riegl (1858–1905) ist das Ornament ein mögliches Ausdrucks-
mittel menschlichen, epochentypischen Kunstwollens, anhand dessen er eine Stil-
geschichte schreibt.146 Eine spätere Schrift Riegls stellt das Ornament als objektiven
Ausdruck des Kunstwollens schließlich über das Kunstwerk, das immer
individualistisch sei.147 Diese Form der Hierarchisierung ist für meine Fragestellung
nicht von Interesse, da es nicht darum geht, das Muster als Ornament kunsthistorisch
zu behandeln. Die Hierarchisierung an sich zeugt von einem Bedeutungszuwachs des
Ornaments, und die postulierte Objektivität verweist auf synchronisch und
diachronisch zu bestimmende Merkmale. Ich greife diese positive Lesung des
Ornaments auf, um für das Muster in einem weiteren Schritt die Strukturelemente zu
benennen.
Worringer (1881–1965) folgt Riegl methodologisch, übernimmt die Idee des
Kunstwollens, die sich bei ihm in einem Abstraktionsdrang äußert und der sich in der
Ornamentierung verwirklicht.148 Das Ornament wird hierdurch zur historisch ältesten
Kunstform, die Worringer als ‘höchste, reichste gesetzmäßige Kunstform’ aufgrund
der strengen ‘Lebensausschließung’, wie sie ‘den Völkern auf ihrer primitivsten
Kulturstufe zu eigen’ sei, beschreibt.149 Sich gegen Semper wendend, sieht er
Entstehungszusammenhänge nicht durch Technologie und Herstellungsverfahren
bestimmt, sondern in den jeweiligen ‘psychischen Zuständen’ eines Volkes be-
gründet.150 Kroll interpretiert das Ornament bei Worringer als Mittel der Seins-
vergewisserung und Selbsterhaltung, als von ‘lebensexistientieller Bedeutung’.151
Meine Rezeption Worringers richtet sich auf diese existentiellen Fragen, nicht auf die
Entwicklungsthese von der Abstraktion hin zu einem Naturalisierungsbedürfnis.152
Die Publikationen von Lewis F. Day werden im folgenden exemplarisch vorgestellt.
Sie sind einerseits der (Design-)Theorie zuzuordnen und andererseits als Anleitungen
zum Entwerfen gedacht. Ihre Detaillesung erwies sich als fruchtbar und in Hinblick
auf die formulierte Definition bestätigend. Days mehrbändige Publikation widmet
dem Muster den ersten Band und trennt es eindeutig vom Ornament. Von besonderem
Interesse ist die Einleitung, die um eine Definition bemüht ist. Day definiert als
Schlüsseleigenschaft des Musters die Repetition. „[...] Wherever there is ordered
                                                 
144
 In gewisser Weise ist diese Darstellungsform mit Ernst Haeckels ‘Kunstformen der Natur’
vergleichbar. Die ästhetisierte Präsentation von Quallen und Borstenwürmern inspirierte Muster-
zeichner, Künstler und Naturwissenschaftler. Haeckel (1899)
145
 Racinet (1873); Hulme (1893)
146
 Riegl (1923)
147
 Kroll (1987): S. 68
148
 Worringer (1921): S. 10, 19
149
 Worringer (1921): S. 22
150
 Worringer (1921): S. 74
151
 Kroll (1987): S. 73f
152
 Worringer (1921): S. 81
31
repetition there is pattern.“153 An anderer Stelle schreibt er, daß es unmöglich sei zu
weben, stricken, flechten oder andere mechanische Herstellungsarten auszuführen,
ohne Muster zu produzieren. Day verfolgt im weiteren das Ziel, eine systematische
Methode für den Entwurf von Mustern, von Designs zu entwickeln. Demzugrunde
liegt die angenommene Konstruktivität des Musters, die es wie die Anatomie zu
erkennen gilt, um Klassen, Familien und Strukturen zu bilden. Ziel seines Buches ist
also die Ausbildung des Designers, die Begriffe der Repetition und die
Musterproduktion im Sinne mechanischer Tätigkeit werden nicht explizit weiter
ausgeführt.
Ein Blick auf zwei weitere angelsächsische Publikationen zeugt von einem ähnlichen
Sprachgebrauch, der das Muster als ‘pattern-design’ der Fläche zuordnet und das
Ornament als Motiv innerhalb einer Gesamtornamentik behandelt. William Morris’
Vorlesung richtet sich gleichermaßen an Designer und gibt Hinweise auf
Grundformen, Funktion und Konstruktion der Muster.154 Die bereits erwähnte
Publikation von Christie richtet sich nicht an ein definiertes Publikum. Die von ihm
vorgenommene Klassifikation der Muster verfolgt jedoch ein ähnliches Ziel wie
Morris’ oder Days. Einleitend bemüht er sich um eine Herleitung des Designs aus
dem menschlichen Bedürfnis nach „Informative and Imitative as well as the
Decorative“.155 Im Zusammenhang mit den ‘information-giving patterns’156 werden
die Begriffe Sprache und Schrift verwendet. Christie führt dies nicht weiter aus, der
Grundgedanke, das Muster als Schrift oder Sprache zu verstehen, findet sich jedoch
auch an anderer Stelle. Die Titel ‘The Language of Pattern’157 und ‘A Pattern
Language’158 verweisen auf das Muster als Sprache, die Inhalte und der Umgang mit
Mustern ist jedoch je sehr unterschiedlich. Ohne die Werke an dieser Stelle näher zu
betrachten, kann das Fehlen einer Definition und einer Theorie konstatiert werden.
Auch Jones’ bereits erwähnte ‘Grammar of Ornament’ impliziert die Auffassung des
Ornaments als Sprache, die eine Grammatik besitzt, ähnlich wie Schubert von
Soldern den Ornamentstil als aus feststehenden Typen, die eine Sprache bilden,
definiert159 oder Worringer von einem „grammatikalischen Grundwesen“ spricht160
und Riegl die Metapher der ‘Historischen Grammatik’ wählt.161 Dieser Idee der
Lesbarkeit des Musters und des Ornamentes werde ich nachgehen.
Die von den bisher angesprochenen Publikationen vorgenommenen Klassifikationen
legen die Annahme einer aufzufindenden konstituierenden Struktur, einer
Grammatik, nahe. Den Höhepunkt dieser Auffassung bildet Gardins ‘Code pour
l’analyse des ornements’, der sich um eine einheitliche und elektronisch verarbeitbare
Beschreibung des geometrischen Ornaments bemüht. Sogenannte Zeichen, die das
Ornament konstituieren, werden durch Buchstaben bzw. Silben bezeichnet, eine
                                                 
153
 Day (1977a): S. 2
154
 Morris (1914)
155
 Christie (1929): S. 26
156
 Christie (1929): S. 27
157
 Albarn (1974)
158
 Alexander (1995), die englische Originalausgabe erschien 1977 unter dem genannten Titel.
159
 Schubert von Soldern (1896): S. 5
160
 Kroll (1987): S. 72
161
 Riegl (1966) geht von einer Kunstsprache aus, die jedes Kunstwerk spreche. Folglich gebe es auch
eine historische Grammatik dieser Sprache, metaphorisch gesprochen. (S. 9)
32
definierte Syntax gibt Auskunft über die Ausrichtung. Aus einem einfachen linearen
Muster kann hierdurch „+fiximuli KA’“ werden.162
Neben dieser ‘inneren’ Ähnlichkeit läßt sich gleichermaßen eine äußerliche ent-
decken: die lineare Form. Es wird zu zeigen sein, daß eine solche Analogie nicht
haltbar ist, daß das Muster keine Schrift und auch kein zu dekodierender Code ist.163
Auch Wolfgang von Wersin wählt den Vergleich zu Schrift und Sprache. Er schreibt
wörtlich: „Ornament ist eine Art Sprache, die dort, wo sie lebt, gesprochen und
verstanden wird.“164 Und: „Es wird daher angenommen, daß sich das Ornament
ursprünglich als eine Art Vorstufe der Schrift entwickelt hat, als ein erstes Stadium
der Mittel, mit denen der Mensch versucht, sein geistiges Verhältnis zur Umwelt zu
fixieren.“165 Ein Teil seiner Untersuchung ist der Sprache und der Schrift verpflichtet,
ein anderer – der für uns interessante – rekurriert eher auf den zweiten Teil des Zitats,
das den schlichten Begriff des ‘Mittels’ verwendet. Das Muster (Wersin trennt
Muster und Ornament definitorisch) setzt den Menschen in den Stand, seine
Beziehungen zur Umwelt zu tradieren. Wersin führt die Begriffe Rhythmus, Dynamik
und Ordnung als Mittel der Beschreibung ein. Als strukturelle Elemente werde ich
diese Begriffe nutzen, die Form der Tradierung näher zu untersuchen.
Das als Standardwerk bezeichnete Werk des 20. Jahrhunderts zum Ornament ist das
bereits erwähnte ‘Ornament und Kunst’ von Ernst H. Gombrich. Seine wahr-
nehmungspsychologische Orientierung erweitert den Ornamentbegriff, so daß es als
Referenzwerk herangezogen werden kann. Dies geschieht vor allem in bezug auf
einzelne Begriffe wie Ordnung und Bewegung und eine Verbindung zu Musik und
Tanz. Definitorisch trennt Gombrich Muster und Ornament nicht, mit dem profanen
Hinweis, daß man auch über nicht Definiertes sprechen könne.166 Im Epilog wird
jedoch eine Parallele gezogen, die das Mustermachen als in der Zeit Geschehendes,
Strukturbildendes bezeichnet, im Gegensatz zum Ornament, das nachträglich
schmückt.167 Gombrich führt mit dem Begriff der Zeit das trennende Moment ein.
Eine exemplarisch ausgewählte kunsthistorische Definition des Ornaments impliziert
dies: „[...] Ornamental verwendete Motive [dürfen] sich weder in einer
Handlungskontinuität (zeitliches Moment) noch in einem illusionistischen
Tiefenraum (Aktionsraum) befinden [...]“.168
Das Zitieren einer letzten Definition des Ornaments führt zu einer abschließenden
Trennung des Ornaments vom Muster, die für das weitere Vorgehen grundlegend ist.
„Ornament ist eine Art der Gattung Dekor. Es wird mithin als eine Schmuckform einem Ge-
genstand appliziert, es bleibt dem Gegenstand akzidentell (anders als die Struktur, die dessen
‘substantielle Form’ ist). Als Applikation eignet ihm primär reine Flächigkeit oder flach reliefierter
Auftrag. Bei körperhaften Gebilden, die etwa die volle Masse des Bauwerks oder der Skulptur
erfassen, sprechen wir nur uneigentlich vom Ornament.“169
                                                 
162
 Gardin (1978): S. 29
163
 Die von dem Anthropologen Ben A. Nelson (1985) herausgegebene Publikation versteht Keramik-
muster als Code und bemüht sich um eine objektive Meßbarkeit von Mustern. (S. 1)
164
 Wersin (1953): S. 5
165
 Wersin (1953): S. 25
166
 Gombrich (1982): S. 10
167
 Gombrich (1982): S. 304
168
 Irmscher (1984): S. 6
169
 Hans Heinz Holz: „Die Repristination des Ornaments“, zitiert nach: Müller (1977): S. 181
33
In Absetzung zu dieser Definition und der besprochenen Literatur läßt sich das
Muster als ein Substantielles und Funktionelles, Mehrdimensionales und Materiales
beschreiben.
Die hier erwähnten und andere Ornamenttheorien werden von mir auf verschiedene
Weise genutzt, argumentativ schließe ich mich ihnen nicht an. Die besondere
Bedeutung der Ornamenttheorie Gottfried Sempers wird im Zusammenhang mit der
Einführung des textilen Modells dargelegt.
Den herangezogenen Referenzwerken fachfremder Literatur ist eine Ähnlichkeit in
ihren Konzeptionen gemein. Die Komplexitätsforschung, die Synergetik, die
Emergenz- und Selbstorganisationstheorien suchen nach vereinheitlichenden Prin-
zipien. Das wesentlich Neue dieser Forschungen ist die Orientierung an dynamischen
Prozessen, deren Kennzeichen die Rückkopplung von Wirkungen auf ihre Ursachen
ist.
Die Komplexitätsforschung befaßt sich mit komplexen Systemen, (die Chaos-
forschung gehört in dieses Umfeld), mit Nichtlinearität und vor allem mit Ordnung
und Mustern. Der theoretische Physiker Murray Gell-Mann erklärt sich unsere
komplexe Welt (Oberflächenkomplexität) aus einer strukturellen Einfachheit der
Tiefe.170 Diese Einfachheit ist bedingt durch ihre Musterhaftigkeit, dies implizieren
die Ausführungen Roger Lewins.171 Neben diesen grundlegenden Hinweisen, sind die
an gegebener Stelle einzuführenden Schriften Brian Goodwins, Klaus Mainzers,
Brian Kellys, Ian Stewarts, Douglas B. Hofstadters sowie verschiedene Themenbände
von Bedeutung.
Die Dimensionen des Musters – Eine performative Gliederung
Der Dimension kommt eine besondere Funktion als gliederungsbestimmendes
Moment zu. In einer performativen Geste verweist sie auf zwei wichtige Aussagen.
Zum einen auf die Bedeutung des Betrachterstandpunktes, auf den lebendigen Be-
obachter. Das heißt, die dimensionale Gliederung bedenkt den Beobachter als
lebendes System, das wiederum andere, lebende Systeme – Muster als Ergebnisse
menschlicher Handlungen – beobachtet.172 Die postulierte Konstruktivität wird
hiermit auf einer weiteren Ebene aufgenommen. Zum anderen demonstriert die
dimensionale Binnengliederung der beiden Hauptkapitel die Mehrdimensionalität des
Musters. Der Umfang der beiden Abschnitte zur Zweidimensionalität gibt einen
Hinweis auf eine Dominanz im textilen wie im kognitiven Bereich. Für diese
Dominanz bietet sich eine materialorientierte Erklärung an. Textile Flächen und
Papiere sind mobil und flexibel, diese Handhabbarkeit gewährleistet die Bewegung in
Zeit und Raum.173
                                                 
170
 Lewin (1993): S. 27
171
 Lewin (1993): passim
172
 Maturana (1998): S. 26; Foerster (1993): S. 116
173
 Dieser Gedanke wird nicht im Sinne einer These ausgearbeitet. Die Dimensionen und Eigenschaften
der Materialien, die im Text beschrieben werden, verweisen auf diese Zusammenhänge.
34
Die strukturelle, die textile und die kognitive Dimension des Musters sind in ihrer
Setzung das Ergebnis der limitrophen Bewegungen. Die Binnengliederung der beiden
Hauptkapitel operationalisiert den Dimensionsbegriff ein weiteres Mal.
Im allgemeinen wird der Begriff der Dimension auf die Ausdehnung in die drei
Raumrichtungen angewendet. „Die topologische Dimension ist 0 für isolierte Punkte,
1 für Kurven, 2 für Flächen, 3 für Volumina und so weiter.“174 Die Idee der vierten
Dimension als Zeitfaktor besteht etwa seit 1800: Die Zeit tritt als vierte Koordinate
zur Bestimmung der Raum-Zeit-Welt hinzu.175 Die vier Dimensionen strukturieren
unsere komplexe Welt der Raum-Zeit, sie dienen wesentlich der Orientierung des
Menschen. Diese vier Dimensionen dienen der Gliederung der textilen und
kognitiven Muster. Hierfür wird die übliche Schreibweise von 0 bis n-dimensional in
der Kurzform verwendet (z.B. 1-d für eindimensional).
Die Konstruktivität einer Weltsicht in vier ganzzahligen Dimensionen trat in der
Bearbeitung des Materials immer deutlicher zutage und der Analogie zunehmend in
den Weg. Das Aufbrechen der Dimensionen und die Einführung gebrochener
Dimensionen trägt diesem Aspekt Rechnung. Anhand des textilen Modells läßt sich
dieser Gedanke illustrieren. Analog zu den genannten Dimensionen kann das Textile
zugeordnet werden: der Faden als Linie, der Stoff als Fläche, die Bekleidung oder
textile Architektur als Volumina und Mode und Vergänglichkeit als vierte
Dimension. Die verbleibende Schwierigkeit der Nulldimensionalität führt zur
Chaosforschung. Um das ‘legendäre Fraktal’ zu erklären, wählen die Autoren Briggs
und Peat ein textiles Beispiel: das Wollknäuel.
„Schauen wir es aus großer Entfernung an, so erscheint es als Punkt, hat also die Dimension null.
aus einigen Metern Abstand erkennen wir wieder, daß das Knäuel dreidimensional ist. Was aber
geschieht, wenn wir uns weiter annähern? Dann sehen wir einen aufgewickelten Faden. Die Kugel
besteht aus einer verworrenen Linie und ist also offenbar eindimensional. Bei noch näherer
Betrachtung verwandelt sich diese Linie in eine Säule endlicher Dicke, und der Faden wird
dreidimensional.“176
Es wird deutlich, das die Bestimmung der Dimension vom Betrachterstandpunkt
abhängig ist. Benoît Mandelbrot schlägt deshalb ein qualitatives statt eines
quantitativen Messens vor. Das Ergebnis hiervon ist eine fraktale Geometrie mit
gebrochenen Dimensionen, die den relativen Komplexitätsgrad eines Gegenstandes
angeben.177 Die Aufnahme gebrochener Dimensionen in die Binnengliederung hat
ausschließlich hinweisenden, performativen Charakter. Es handelt sich nicht um
berechnete Dimensionen und nicht um nachweisbare Fraktalitäten im Sinne von
echter Selbstähnlichkeit der textilen und kognitiven Muster.
Das Kapitel ‘Die strukturelle Dimension des Musters’ dient der Erklärung der
Begriffe der Repetition, der Symmetrie und des Rhythmus. Die Einführung erstreckt
sich auf die Literatur und die Benennung der Hauptreferenzen. Die Reduktion auf
diese Begriffe ist ein erstes Ergebnis der Untersuchung und dient der Festigung der
                                                 
174
 Genz (1987)
175
 Abbott (1929); Rucker (1987)
176
 Briggs/Peat (1995): S. 136f
177
 Briggs/Peat (1995): S. 137
35
formulierten Definition des Musters. Assoziierte Begriffe, wie Ordnung,
Repräsentation und Mimesis, erfahren eine Einordnung.
‘Die textile Dimension des Musters’ wird in seinen Ausprägungen analog der vier
topologischen und einigen fraktalen Dimensionen beschrieben. Die Beschreibung der
textilen Muster fokussiert gemäß der These der konstituierenden Funktion des
Musters die Herstellung von Textilien. Die Reduktion und Zuordnung der zahllosen
textilen Muster erfolgt entsprechend textiltechnischer Systematiken. Historische
Kontextualisierungen werden nur in Einzelfällen vorgenommen. Der handelnde
Mensch ist hierbei scheinbar abwesend, das Muster wird zum Akteur. Dieser
‘Rollentausch’ dient der Betonung der Bedeutung des Musters für das Textile und der
Etablierung des Textilen als eigenständiges Ausdrucksmittel, als essentielle
Kulturleistung, die es aus überkommenen Vereinnahmungen und Marginalisierungen
zu lösen gilt.
Das Kapitel ‘Die kognitive Dimension des Musters’ beschäftigt sich mit den Mitteln
der Weltstrukturation des Menschen. Hierbei geht es insbesondere um die visuelle
Erzeugung von Wirklichkeit. Anhand von Beschreibungen und Abbildungen wird die
Teilhabe des Musters am Erkenntnis- und Erfahrungsprozeß des Menschen, seine
Formen der Funktionalisierungen gezeigt. Der letzte Abschnitt des Kapitels deutet die
erwähnte Selbstreferenz des Musters an. Das Muster als dynamisches System
begriffen (deshalb als 3/4-d bezeichnet) ist Gegenstand naturwissenschaftlicher
Untersuchungen. Die Darstellung vollzieht sich nun auf verschiedenen Ebenen,
einerseits bezieht sie sich auf die aufzufindenden Muster und andererseits auf die
Bedeutung der Muster für die Musterwahrnehmung und auf den Umgang der
Wissenschaften mit den Mustern.
‘Die seltsame Schleife’ beschreibt den Zustand der unendlichen Selbstreferenz.
Dieses Sich-zurück-Falten auf sich selbst kann als Aufforderung zum repetitiven
Lesen verstanden werden, formal bedeutet es das Ende der Untersuchung.
36
Die strukturelle Dimension des Musters
Die strukturellen Elemente des Musters wurden bereits benannt: die Repetition, die
Symmetrie und der Rhythmus. Diese Begriffe dienen der Funktionsbestimmung des
Musters, ihre Markierung ist das Ergebnis der limitrophen Bewegungen zur
Eröffnung des Handlungsfeldes. In einer weiteren limitrophen Bewegung werden für
diese Begriffe im folgenden weitere Handlungsfelder erschlossen und für die
Untersuchung nutzbar gemacht.
Ich werde hierfür zunächst weitere Referenzwerke und -autoren der Untersuchung
benennen. Die jeweiligen Ausführungen stellen die Begriffe in ein möglichst weites
Feld und zeigen die Zugehörigkeit verschiedener Definitionen zu ihren Bereichen auf.
Das Ziel sind hierbei nicht abschließende Neu-Definitionen, sondern eine Erklärung
der Anwendung der Begriffe auf die Muster als zusammenführende und nicht
trennende Geste.
Die Repetition ist als wesentliches Charakteristikum des Musters zu kennzeichnen.
Die Symmetrie und der Rhythmus, die ich als Wiederholungsvorschriften bezeichne,
werden zur Differenzierung eingeführt.
Repetition (Wiederholung, Iteration)
Die Begriffe der Repetition und der Wiederholung werden von mir synonym ver-
wendet. Die Iteration, gleichermaßen mit Wiederholung zu übersetzen, wird aus-
schließlich im mathematischen Sinne als wiederholte Anwendung einer Rechen-
vorschrift benutzt. Ausnahmen bilden teilweise die zitierten Texte, andere werden
gekennzeichnet. Derrida ersetzt beispielsweise den Begriff der Repetition bewußt
durch den der Iterierbarkeit, um die Wiederholung mit der Andersheit zu verbinden.1
Die lateinische Vorsilbe ‘re-’ bedeutet ‘wieder, zurück’, also eine Bewegung in Zeit
und/oder Raum. Dementsprechend gibt es viele Begriffe, die die Wiederholung als
Idee in sich tragen: die Retour, der Refrain, das Revival, die Reanimation, die
Reaktion, die Reflektion, die Repräsentation, die Redundanz2. Andere Begriffe
bezeichnen unmittelbar die Form der Wiederholung. Das Serielle wiederholt sich
reihenhaft, das Zyklische kreisförmig, das Oszillierende pendelnd und das
Periodische kehrt in der Zeit wieder.
Das Entscheidende hierbei ist die Rolle des Menschen: Er ist es, der sich wiederholt
(Bewußtwerdung), der etwas wiederholt (Nachahmung), der Wiederholungen
                                                 
1
 Derrida (1988) erklärt den Begriff etymologisch: ‘iter’ leite sich von ‘itara’ ab, das im Sanskrit
‘anders’ bedeute. (S. 298)
2
 Luhmann (1995) weist auf die Schönheit und Ornamentalität dieses Wortes hin, das die Wiederkehr
einer Welle (unda) bezeichnet. (S. 195) Das Ornament als Schmückendes dient hier der Rehabilitierung
eines Wortes, das durch sein repetitives Moment dem Muster zugehört.
37
instrumentalisiert (Regeln, Rituale), der etwas wieder-holt (Mnemosyne)3, der durch
Wiederholungen in Raum und Zeit Muster erzeugt.
Die Wiederholung ist gekennzeichnet durch das sich in diesen Bewegungsmodi
ausdrückende Handlungsmoment. Die Bewegungsformen, ihre Gerichtetheit, werden
gleichermaßen in der Untersuchung berücksichtigt.
Als Grundrichtungen der Bewegungen sind die zirkuläre und die lineare zu benennen.
Für die Beurteilung der Musterbildung und -erkennung leiten sich hieraus die Spiral-
und Schraubenform und die Orthogonalität ab.
Die Spirale als fundamentale Form der belebten Welt hat den Menschen zur Aus-
einandersetzung unterschiedlicher Art angeregt.4 Als Motiv ist sie in der Ornamentik
und der Mystik gegenwärtig. Als Phänomen läßt sich ihre Existenz in zahlreichen
Bereichen nachweisen und untersuchen.5 Als Bewegungsrichtung, d.h. als ein aktiv
Ausgeführtes, körperlich Wahrgenommenes, ist die Spirale für die Musterproduktion
von Bedeutung, wie vor allem anhand des textilen Modells gezeigt wird. Die
Mustererkennung nutzt die Spirale als Kategorie, z.B. der spiralförmigen
Symmetrien.6
Im Gegensatz zur Spirale, die Leben und Tod symbolisieren kann, wird das Gerade
meist als Ausdruck menschlicher Rationalität interpretiert, die sich in der von ihm
konstruierten Welt sehend erfahren läßt. Diese Polarisierung von Spirale und Gerade
ist häufig mit einer Wertung verbunden, die dem historischen Wandel unterworfen
ist. „Die Engel fliegen in Spiralen, der Teufel geradeaus.“7 Diese Vision Hildegards
aus dem 12. Jahrhundert steht in Opposition zur mechanistischen Sicht auf die Welt,
die die Spirale als Chaotisches auszuschließen versucht.
Beide Formen lassen sich jedoch als ‘natürliche’, dem Menschen zutiefst eigene
nachweisen. Es sind die „Körper-Koordinaten (in der binären Zuordnung von
Senkrechte und Waagerechte) [...], die das menschliche Blick- und Handlungsfeld
und damit auch die Wegweiser der materiellen Kultur im Koordinatenkreuz der
dualen Logik festlegen und räumlich verorten.“8 Die am Körper orientierte Wahr-
nehmung legt eine Bewegungsrichtung nahe. Statistische Bildanalysen weisen ein
Vorherrschen horizontaler und vertikaler Linien in unserer Umgebung nach. Neben
dem Horizont und der vertikalen Wuchsrichtung der Pflanzen sind es auch die vom
                                                 
3
 Guarda (1980): „Hier nun tritt die Wiederholung in ihrer zweiten Bedeutung in Funktion: als Wieder-
holung. Insofern Denken und Handeln durch die Faktizität des Daseins bedingt sind, muß sich das
Individuum die Freiheit der Entscheidung als seine ureigenste Möglichkeit allererst aus der
Vergangenheit zurückholen.“ (S. 37) Eine umfassende Rezeption von Kierkegaards Schrift zur
Wiederholung kann und soll hier nicht geleistet werden, sondern lediglich auf diesen zentralen Aspekt
der existenziellen Vermittlung von Denken und Handeln hingewiesen werden.
Die mnemotische Funktion der Wiederholung als Verfahren der ‘Herstellung kultureller Kohärenz’, wie
sie von Assmann dargestellt wird, werde ich ausführen. Assmann (1992): S. 89
4
 Köhler (1992): S. 74. Archimedes, Leonardo da Vinci und auch Goethe, um vielleicht die promi-
nentesten Vertreter zu nennen, haben sich intensiv mit Spiralen befaßt.
5
 Spirale (1985): S. 9. Die Ausstellung mit dem Titel ‘Die Spirale im menschlichen Leben und in der
Natur, eine interdisziplinäre Schau’ gibt einen umfassenden Überblick mit dem erklärten Ziel, einen
Beitrag zu einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise zu liefern, die „einzig und allein aus der Sack-
gasse des geradlinigen, eindimensionalen Fortschrittsdenken neue Wege“ aufzeigen könne.
6
 Hargittai (1992a)
7
 Spirale (1985): S. 12
8
 Assmann/Harth (1991): S. 76
38
Menschen geschaffenen Gebäude, die diese Richtungen bevorzugen und hierdurch
die Wahrnehmungspräferenz evolutionär verstärken.9
Die Untersuchungen des Entwicklungspsychologen Jean Piaget als strukturell orien-
tierte kognitive Theorie eignen sich, die textile und die kognitive Dimension zu
verschränken. In bezug auf die Entwicklung der Raumbegriffe sagt Piaget, daß diese
von der Wahrnehmung bis zu konkreten Operationen gestuft sei.10 Diese Entwicklung
werde ich nicht referieren, sondern ausgehend von der Feststellung, daß die
elementare Wahrnehmung beide Bewegungsformen umfaßt, benenne ich Operationen
und ihren Erkenntniswert. Die Operationen zeige ich anhand textiler Beispiele und im
zweiten Hauptkapitel als Wahrnehmungsmuster in anderen Bereichen. Die
getroffenen Zuordnungen verweisen auf Instrumentalisierungen, eine Wertung im
Sinne einer eindeutigen Gut/Schlecht-Trennung ist jedoch ausdrücklich zu
vermeiden. Das transitorische Raummoment des Einrollens einer Geraden, das sich
an verschiedenen textilen Modellen zeigen läßt, kann helfen, das Hybride zu
veranlagen.
In bezug auf das Muster läßt sich bisher Folgendes konstatieren:
Die Bewegung ist ein Parameter: Ein Passives (das Motiv) generiert durch eine ak-
tive, gerichtete Handlung (die Wiederholung) etwas Neues, sich Differenzierendes
(das Muster). Die Anzahl der Wiederholungen ist ein zweiter Parameter, der vor
allem für Einzelbetrachtungen von Bedeutung ist. Die Wirkung der Einzelelemente
ändert sich in Abhängigkeit zur Quantität der repetitiven Bewegungen.11
Die Motive, die Einzelelemente des Musters, als Benennbares oder Materielles,
spielen in den Ausführungen keine zentrale Rolle, da es nicht um Klassifizierungen
und Kategorienbildungen geht. Inhalt und Form des Motivs werden als sekundär
gegenüber dem Vorgang der Motivproduktion angesehen. Das Erkennen eines
Motivs, das wiederholt werden soll bzw. sich in der Wiederholung präsentiert, setzt
die Fähigkeiten der Abstraktion, des Isolierens, des künstlichen Trennens voraus.12
Das Ergebnis ist ein statisches Motiv, anhand dessen entweder das Prinzip der
Wiederholung erkannt werden kann oder das durch die Wiederholung eine
Dynamisierung erfährt. Mustererkennen und -produktion sind also gleichermaßen von
den Momenten der Isolation und der Wiederholung bestimmt. Die Isolation beinhaltet
ein Begreifen der Welt, eine Form des Umgangs mit dem Kontinuum von Raum und
Zeit. Die Wiederholung konstituiert die Stabilität, bietet die Möglichkeit der
Weltstrukturation als gezielten Prozeß des Erkennens oder Produzierens. Das
Ergebnis der Wiederholung ist das Muster, es zeugt von den Zusammenhängen von
Bewegung und Form und ermöglicht somit Raum- und Zeiterfahrung. Die
Wiederholung konstituiert das Muster, ist sein Hauptcharakteristikum und Ursache
                                                 
9
 „Gehirn als Spiegel der Außenwelt“, in: FAZ, 8. Juli 1998, N3
Auch Piaget benennt – damals ohne statistischen Nachweis digitaler Bildverarbeitung – diese
Richtungen als die stabilsten und am wenigsten beweglichen in unserer Umgebung, die unser
natürliches Bezugssystem konstituieren. Piaget (1975): S. 438
10
 Piaget (1975): S. 160
11
 Arnheim (1979): S. 28
12
 Bewußt wird an dieser Stelle der Begriff des Reduktionismus nicht verwendet, geht es doch vielmehr
um eine Wahrnehmungsleistung, die hier nur als Vorgang beschrieben und an anderer Stelle expliziert
wird.
39
für seine potentielle Unendlichkeit. Die Bestimmung des Motivs als je neuer
Erkenntnisvorgang begründet die postulierte Vielfalt der Muster. Um ein Muster zu
generieren, muß das Motiv auf eine bestimmte Art wiederholt werden, eine
Wiederholungsvorschrift muß definiert bzw. erkannt werden. Wie oben erwähnt,
werden Symmetrie und Rhythmus als Wiederholungsvorschriften und in der Folge als
musterkonstituierend begriffen.
Die von mir postulierte unauflösliche Verbindung von Muster und Wiederholung
bedingt die zentrale Rolle der Wiederholung, die weiterer Darstellung bedarf.
Die Begriffe der Mimesis und der Repräsentation sind mit dem der Wiederholung
verbunden. Die folgende Darstellung benennt die verbindenden und differenzierenden
Momente der Begriffe, die hinsichtlich der Präferenz der Repetition ausschlaggebend
sind.
Mimesis und Repräsentation
Der Begriff der Mimesis, häufig mit Repräsentation oder Imitation gleichgesetzt,13
bezeichnet die aktive Nachahmung eines in der Natur Vorgefundenen durch den
Menschen.14 Hieraus kann eine Verbindung hergeleitet werden, die mimetische von
struktureller Wiederholung trennt. Demnach entspricht eine mimetische Wieder-
holung dem Verhältnis von Kopie und Original (z.B. eine Spiegelung) und eine
strukturelle Wiederholung dem endlos reproduzierten Motiv z.B. einer Tapete.15
Stephen Greenblatt verknüpft die Mimesis, die Repräsentation und die Nachahmung
sehr eng in Hinblick auf die ideologische Bedeutung, die er Repräsentationspraktiken
zuschreibt. Marx paraphrasierend, spricht er von einem ‘mimetischen Kapital’, das in
Form von ‘Repräsentationen, Bildern und Techniken zur Bildproduktion’ angehäuft
und hierdurch zu einem ‘gesellschaftlichen Produktionsverhältnis’ würde.16 Der
‘Besitz’ von Schrift, und im besonderen der linearen, als Repräsentationstechnologie
konstituiere den Blick der Überlegenheit auf das Fremde, auf den Anderen.17 In bezug
auf die Funktionsbestimmung der Muster sind nicht die Blicke, sondern die Mittel
und ihre Eigenschaften, die erst zu diesem besitzenden Blick führen, von Bedeutung.
Neben der von Greenblatt erwähnten Schrift, als dem ‘zentralen Gedächtnismedium’,
werde ich die Karte und das Bild ausführlich behandeln.18
Gunter Gebauer verfolgt die Idee der Mimesis in Verbindung mit den wechselnden
Darstellungsmedien und konstatiert eine Entwicklung von der ‘aneignenden Wie-
derholung’ zu einem ‘Prozeß der Simulation selbstbezüglicher Welten’.19 Seine
Ausführungen münden in einem Mimesisbegriff, der über die Semiotik hinausgeht,
und sprechen von einer ‘grundlegenden anthropologischen Fähigkeit’.20 Das
Handlungsmoment, das ‘rhythmische Agieren’ und die Performanz, die mit der
                                                 
13
 Honderich (1995): S. 569
14
 Ritter (1980): s.v. ‘Mimesis’, H. Koller, Sp. 1398
15
 Naumann (1998): S. 84f
16
 Greenblatt (1998): S. 15f
17
 Greenblatt (1998): S. 24
18
 Assmann (1999): S. 180
19
 Gebauer (1993): S. 334
20
 Gebauer (1993): S. 340
40
Mimesis verbunden sind, unterscheiden sie von kognitiven Erkenntnisweisen.21 Die
Mimesis als Nachahmung begriffen trägt die Wiederholung in sich, betont die
Handlung und verweist auf ein Ursprüngliches. Der Verwendung des Begriffs steht
jedoch seine Historizität entgegen und die damit in Verbindung stehende Konzent-
ration auf den Menschen. Die Wiederholung ist hingegen ein Strukturprinzip, das der
Mensch in der Natur vorfindet (und als nächsten Schritt nachahmen oder aber auch
nur konstatierend beobachten kann). Aus diesem Grund verwende ich den Begriff der
Repetition.
Jacques Derridas zentrales Konzept der Differenz macht „Repräsentation als Ver-
gegenwärtigung unmöglich.“22 Die Nachahmung ordnet er gleichermaßen der
Wiederholung unter. Er schreibt, daß Nachahmung zu keinem Geschmacksurteil
führen könne, da ein solches spontan und autonom sein müsse. Das ‘höchste Muster’,
das der Nachahmung dient, müsse deshalb einer Selbsthervorbringung entspringen.
„Die Selbst-Hervorbringung des Musters (Schablone, Paradigma, Parergon) ist die
Hervorbringung von dem, was Kant zuvor eine Idee nennt [...].“23 Indem Derrida den
Begriff des Musters an Stelle der Idee einführt, betont er den Aspekt der
Wiederholung, der dem Muster innewohnt. Derrida beschreibt weder diese Selbst-
Hervorbringung des Musters, die zu einer Art Urmuster führen muß, noch verwendet
er den Musterbegriff in anderen von mir untersuchten Schriften weiter. Die von ihm
bevorzugten Begriffe der ‘Spur’ und der ‘Differenz’ (différance/différence) mit ihrer
Affinität zur Repetition werden von mir in Beziehung zum Muster gesetzt. Derrida
verwendet den Begriff der Iterabilität, um den Wiederholungsgedanken, den das
Repräsentieren beinhaltet, zum Ausdruck zu bringen und gleichzeitig hieran das
Zeichenhafte, das nie identisch ist, aufzuzeigen. Die ‘unaufhebbare Differenz
innerhalb der Zeichen’, die immer schon Spuren anderer Zeichen in sich tragen,
mache ‘Repräsentation als Vergegenwärtigung unmöglich’.24
Es wird im folgenden jedoch nicht darum gehen, die ‘Krisen der Repräsentation’
auszuloten. Deshalb führe ich den Begriff der Repräsentation nicht als Kategorie ein.
Zum einen ist er historisch überlastet, so daß gar nicht mehr vom Begriff der
Repräsentation gesprochen wird, sondern vom ‘Wortfeld’ oder einem ‘Sinnbezirk’
der Repräsentation25 und man in der Folge Gefahr läuft, sich in Definitionen, Ab-
grenzungen und Historizitäten zu verlieren. Zum anderen, und das ist der wichtigere
Grund, wird das Muster in dieser Arbeit nicht als zu dekodierende
Repräsentationstechnik unter anderen verstanden, sondern als wesentlich Prozeß-
haftes.
Gilles Deleuze geht in seiner Schrift ‘Wiederholung und Differenz’ von dem
Scheitern der Repräsentation aus. Das moderne Denken entspringe diesem Scheitern
und dem Verlust der Identität. Er sieht im Spiel von Wiederholung und Differenz die
Ablösung von Identischem und Negativem.26 Seinen umfangreichen Text zu
                                                 
21
 Gebauer (1993): S. 343
22
 Ritter/Gründer (1992): s.v. ‘Repräsentation’, K. Behnke, Sp. 851
23
 Derrida (1992): S. 134
24
 Ritter/Gründer (1992): s.v. ‘Repräsentation’, K. Behnke, Sp. 851
25
 Ritter/Gründer (1992): s. v. ‘Repräsentation’, E. Scheerer, Sp. 790
26
 Deleuze (1992): S. 11
41
‘Wiederholung und Differenz’ werde ich nur insoweit rezipieren, als daß der Begriff
der Wiederholung die Umgangssprache verlassen kann und eine Differenzierung
erfährt. Ich funktionalisiere die monographische Abhandlung Deleuzes, um die
Wiederholung als ein strukturelles Element zu veranlagen und seine Reichweite und
philosophische Bedeutung anzudeuten.27 Deleuze verwendet an keiner Stelle explizit
den Begriff des Musters, die zentrale Bedeutung der Wiederholung, die Erwähnung
von Symmetrie und Rhythmus und die Einführung der Differenz legen es jedoch nahe
zu überprüfen, ob das Muster nicht eine Visualisierung seiner Ausführungen sein
könnte und hierdurch seine Kategorien umgekehrt auf das Muster angewendet
werden können.
Deleuzes Fragen richten sich auf das ‘Wesen der Wiederholung’: „Es handelt sich um
die Frage, warum sich die Wiederholung nicht durch die Identitätsform im Begriff
oder in der Repräsentation erklären läßt – in welchem Sinne sie ein höheres
‘positives’ Prinzip verlangt.“28 Als Beispiel wählt er die ‘Wiederholung eines
Schmuckmotivs’:
„Eine Figur wird unter einem absolut identischen Begriff reproduziert. [...] In Wirklichkeit aber
verfährt der Künstler nicht auf diese Weise. Er reiht nicht Exemplare der Figur aneinander, er
kombiniert vielmehr jedesmal ein Element eines Exemplars mit einem anderen Element eines
folgenden Exemplars. In den dynamischen Konstruktionsprozeß führt er ein Ungleichgewicht, eine
Instabilität, eine Asymmetrie, eine Art Aufklaffen ein, die nur in der Gesamtwirkung gebannt sein
werden.“29
Deleuze beschreibt die Produktion eines Musters durch einen Künstler, die der von
mir formulierten Defintion entspricht: eine zu isolierende/kreierende kleinste Einheit
wird gemäß einer Wiederholungsvorschrift zu einem Muster zusammengefügt. Dieses
Beispiel zeige, daß es zwei Wiederholungstypen gebe: einen, der nur die abstrakte
Gesamtwirkung betreffe und statisch sei und einen zweiten, der die Wirkursache
betreffe und dynamisch sei.
„Das Wesentliche [...], liegt für uns in der Zergliederung der Kausalität, um in ihr zwei Wieder-
holungstypen zu unterscheiden, einen, der nur die abstrakte Gesamtwirkung betrifft, und ande-
rerseits die Wirkursache. Die eine Wiederholung ist statisch, die andere dynamisch. Die eine
resultiert aus dem Werk, die andere aber ist gleichsam die ‘Evolution’ der Geste.“30
Die von ihm vorgenommene Trennung von Werk und Geste findet eine Entsprechung
in der Mustererkennung und -produktion. Studien zu Rhythmus und Symmetrie
würden die Dualität der Wiederholung bestätigen31 – eine Feststellung, der Deleuze
wenig Kommentar widmet, die für die Betrachtung der Muster hingegen von
Bedeutung ist. Zur Definition der Wiederholung führt Deleuze die Differenz ein und
entwickelt das Modell der zwei Wiederholungsformen weiter. Er schreibt, die
Wiederholung sei in jedem Fall die begrifflose Differenz.32 Und an anderer Stelle
wird die Bedeutung der Differenz für die Definition des Musters noch deutlicher:
„Besteht das Paradox der Wiederholung nicht darin, daß man von Wiederholung nur
                                                 
27
 Darüber hinaus können Deleuzes (1992) Ausführungen für weitergehende Fragestellungen zu
Wiederholung und Muster nutzbar gemacht werden. Er liefert ein differenziertes Modell von Modi und
Typen von Wiederholungen. (S. 38, 360f, 366)
28
 Deleuze (1992): S. 37
29
 Deleuze (1992): S. 37
30
 Deleuze (1992): S. 38
31
 Deleuze (1992): S. 38f
32
 Deleuze (1992): S. 42
42
auf Grund der Differenz oder Veränderung sprechen kann, die sie in den Geist
einführt, der sie betrachtet? Auf Grund einer Differenz, die der Geist der
Wiederholung entlockt?“33 Die Isolation, das Differenzierende wird zur Bedingung
der Möglichkeit der Erkenntnis von Wiederholung und somit von Mustern. Über die
Unterscheidung von Wiederholtem und Wiederholendem, von Subjekt und Objekt
hinaus markiere die Differenz die beiden Wiederholungstypen. Die Differenz kann
den Objekten äußerlich sein oder aber von der Wiederholung umfaßt werden.34 Zur
Beschreibung der beiden Wiederholungstypen zählt Deleuze ihre Eigenschaften auf,
die sich in Gegensatzpaaren zusammenfassen lassen: statisch/dynamisch;
negativ/affirmativ; hypothetisch/kategorisch; Wiederholung der Wirkung/Wieder-
holung der Ursache; extensiv/intensiv; gewöhnlich/singulär; enthüllt/verhüllt;
horizontal/vertikal; Symmetrie/Asymmetrie; materiell/spirituell; nackt/bekleidet.
In bezug auf das durch Wiederholung erschaffene Muster hebe ich diese struktura-
listisch anmutenden Gegenüberstellungen auf, da das Muster in seiner Subjekt-
Objekt-Relation, als Natur-/Kultur-Produkt je neu zu bestimmen ist. Deleuze
argumentiert gleichermaßen für eine Zusammenschau unterschiedlichster Wieder-
holungen (für uns: Muster aller Art), um die „Koexistenz dieser Instanzen in jeder
repetitiven Struktur demonstrieren“ zu können. Er wollte zeigen, „wie die manifeste
Wiederholung identischer Elemente notwendig auf ein latentes Subjekt verwies, das
sich selbst über diese Elemente hinweg wiederholte und dabei eine ‘andere’
Wiederholung im Herzen der ersten ausbildete.“35 Im Schlußkapitel kommt er hierauf
noch einmal zurück und sagt konkret, daß es nicht genüge, die beiden
Wiederholungsformen gegenüberzustellen. „Die lebendige und bekleidete, vertikale
Wiederholung, die die Differenz umfaßt, mußte die Ursache darstellen, aus der nur
die horizontale, materielle und nackte Wiederholung resultiert (bei der man sich
begnügt, die Differenz hervorzulocken).“36
In dieser Form läßt sich eine Verbindung zu den zu beschreibenden Mustern her-
stellen: Die immateriellen Muster („tieferliegende Wiederholungen“37) und ihre
materiellen Äußerungen, deren Feld Deleuze mit „Freiheits-, Natur- und Nomi-
nalbegriffen“38 entsprechend weit faßt, werden zusammengedacht. In diesen
Beschreibungen wird es um Konkretionen hinsichtlich des Akteurs gehen: Der
Mensch produziert und erkennt Muster, nutzt deren Eigenschaft der Wiederholung
auf materieller und immaterieller Ebene, und er belebt die Orte der Wiederholung.
Ein Ort der Verschränkung der beiden Wiederholungsformen ist für Deleuze die
Kunst. Sie ahme nicht nach, weil sie wiederhole, sie sei nicht Abbild, sondern
Trugbild.
„Noch die mechanistischste, alltäglichste, gewöhnlichste und völlig stereotype Wiederholung
findet ihren Platz im Kunstwerk und wird dabei stets im Verhältnis zu anderen Wiederholungen
verschoben, und zwar unter der Bedingung, daß man ihr eine Differenz für diese anderen
Wiederholungen abzulocken vermag.“39
                                                 
33
 Deleuze (1992): S. 99
34
 Deleuze (1992): S. 42, 363
35
 Deleuze (1992): S. 44
36
 Deleuze (1992): S. 359
37
 Deleuze (1992): S. 360
38
 Deleuze (1992): S. 359
39
 Deleuze (1992): S. 364
43
Die ästhetische Reproduktion, die Repetition, habe die Erkenntnis der Differenz zum
Ziel. In diesem Sinne ist die Wiederholung der Repräsentation entgegenstellt.40
Ein weiterer Begriff, der in engem Zusammenhang mit der Wiederholung steht, ist
die Gewohnheit. Deleuze schreibt, die Gewohnheit sei nie eine echte Wiederholung,
aber sie sei es, die der Wiederholung die Differenz entlocke.41 Die „Gründung der
Zeit“ nennt er die erste Synthese, die Synthese der Gewohnheit.42
„Die zweite Synthese, die Synthese des Gedächtnisses, bildete die Zeit als eine reine Vergangen-
heit, und zwar unter dem Gesichtspunkt eines Grunds, der die Gegenwart vergehen und eine
andere heraufkommen läßt. In der dritten Synthese aber ist die Gegenwart nurmehr ein Akteur, ein
Autor, ein zur Selbstauslöschung bestimmtes Handelndes [...] Durch die drei Synthesen hindurch
offenbaren sich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft als Wiederholung, aber in drei sehr
verschiedenen Modi.“43
Die dynamische Theorie der weltlichen Muster
Für den Philosophen Jan-Ivar Linden ist die Gewohnheit gleichermaßen von zentraler
Bedeutung. Er stellt eine direkte Verbindung zu den Mustern der Welt her, die
Dynamisierung bezieht den Menschen von Anfang an ein.44
Der Begriff des Musters erfährt bei Linden keine Definition, das Muster fungiert als
Ausdruck der Gewohnheit.45 „Die Gewohnheit bedeutet die Existenz verschiedener
Muster, denen der Mensch zugehörig ist, und deutet zugleich viele ungewohnte
Muster an, in die wir überhaupt nicht einbezogen sind.“46 Das Muster als rein
Habituelles verstanden ist ein Immaterielles und bildet nur einen kleinen Teil der von
mir ausgewählten Muster. Das Prinzip der Musterbildung ist jedoch qua Definition
immer das gleiche: die Wiederholung, die gleichermaßen die Gewohnheit
konstituiert. Linden weist den Mustern innerhalb einer ‘Theorie der gewohnheitlichen
Bestimmung’ eine zentrale Rolle zu, da erst sie das Verständnis des möglichen
Erfolges des Erkennens ermöglichten.47 „Die gestaltende Kraft der Gewöhnung zeugt
von einer Teilhabe an Mustern, die das stets sich verändernde und auch
erkenntnismäßig akkumulierende Wesen der Erfahrung verständlich machen kann,
ohne dabei von der Idee einer distanzierenden Objektivierung auszugehen.“48 Diese
Teilhabe der Muster am Erfahrungs- und Erkenntnisprozeß, die bei Linden keine
Konkretion im Sinne einer Exemplifizierung erhält, zu schildern, ist das Ziel der
vorliegenden Arbeit. Der Begriff der Störung ist bei Linden sehr wichtig, als
Singuläres, das das Habituelle unterbricht und hierdurch Reflektionsauslöser wird. 49
In bezug auf die Muster dient die Existenz der Störung als Beweis für das Fehlen
eines ‘obersten Interaktions- oder Übergangsmusters’, so daß Linden von einer
‘dynamischen Theorie der weltlichen Muster’ spricht.50 Dies läßt sich mit dem bereits
Gesagten insofern in Einklang bringen, als daß es auch mir um Vielfalt der Muster
                                                 
40
 Deleuze (1992): S. 375
41
 Deleuze (1992): S. 19, 103
42
 Deleuze (1992): S. 111
43
 Deleuze (1992): S. 127
44
 Linden (1997)
45
 Linden (1997): S. 160, 225
46
 Linden (1997): S. 159
47
 Linden (1997): S. 33
48
 Linden (1997): S. 35
49
 Linden (1997): S. 167f
50
 Linden (1997): S. 124f
44
und ihre Bedeutung geht und nicht um eine Hierarchisierung und Kategorisierung, die
dem Muster jegliche Dynamik und Prozeßhaftigkeit nähme.
Ordnung
Ein letzter Begriff soll in Verbindung mit der Wiederholung und dem Muster nicht
unerwähnt bleiben: die Ordnung. Bei Rudolf Arnheim ist der Ordnungsbegriff
zentral, er beginnt seinen ‘Versuch über Ordnung und Unordnung’ dementsprechend:
„Ordnung ist die notwendige Vorbedingung für alles, was der Menschengeist
verstehen möchte.“51 In diesem Sinne steht das Muster in dienender Funktion zur
Ordnung, die Wiederholung ist eine Form Ordnungserzeugung. Das Muster dient
dem Ordnen der Welt, der Aneignung von Raum und Zeit, wie einleitend formuliert
wurde. Arnheim verweist auf den mißverständlichen Gebrauch des
Ordnungsbegriffes und definiert Ordnung folgendermaßen: „Im rein statistischen
Sinne dagegen kann sich der Begriff der Ordnung auf jede Abfolge oder Anordnung
beziehen, von der es unwahrscheinlich ist, daß sie aus bloßem Zufall zustande
kommt.“52
Eine darüber hinausgehende Konkretisierung des Zusammenspiels von Ordnung und
Unordnung im Prozeß der Muster- und Strukturbildung schildert Heinz von Foerster
mit seiner paradigmatischen Formel ‘Order from order and disorder’.53 Wie bereits
erwähnt, hat sich von Foerster schon zu Beginn der 1960er Jahre mit
Selbstorganisationstheorien beschäftigt. Die Entstehung und Differenzierung von
Ordnung ist der Untersuchungsgegenstand dieser Theorien. Der Begriff des Musters
wird in diesen Zusammenhängen meist nur implizit gebraucht. Das Muster ist jedoch
insofern elementar für die Theorien der Selbstorganisation, als daß es Ordnung
anzeigt. Ein chaotischer Zustand definiert sich über das Fehlen von Ordnung: es ist
kein Muster erkennbar.
Die Chaosforschung als Teil dieser Theorien beschäftigt sich gleichermaßen mit
Ordnung und Unordnung, die Übergänge von einem Zustand in den anderen sind hier
von besonderem Interesse. Durch Iterationen, wiederholte Anwendungen derselben
Rechenvorschrift, lassen sich Selbstähnlichkeiten erzeugen, d.h. skaleninvariante
Formen. Ob diese Formen dann Julia-Mengen, Apfelmännchen oder Mandelbrot-
Mengen heißen, ihnen gemein ist die Bedingung der Möglichkeit ihres Erkennens:
das Muster.
Die Funktion des Musters in bezug auf die Theorien der Selbstorganisation läßt sich
schon an dieser Stelle benennen: Die Erkenntnis des Musters als Muster und somit als
Ordnung ist ein wissenschaftlicher Attraktor.
Anhand der Texte von Derrida, Deleuze und Linden konnte der Begriff der Wie-
derholung als Musterkonstituierendes veranlagt werden. Die Relevanz der Repetition
für die Bestimmung der Funktionen der Muster werden die einzelnen Analysen
zeigen.
                                                 
51
 Arnheim (1979): S. 9
52
 Arnheim (1979): S. 26
53
 Foerster (1993): S. 224f
45
Symmetrie
„Symmetrie spricht Künstler und Wissenschaftler gleichermaßen an, sie ist mit dem
den Menschen angeborenen Sinn für Muster aufs engste verbunden.“54
Die Symmetrie als Phänomen in Natur, Wissenschaft und Kunst hat in den letzten
zwanzig Jahren eine umfassende Bearbeitung erfahren.55 Einführend werde ich
diverse Definitionen sowie eine kurze Beschreibung der grundlegenden Symmet-
riebewegungen, die für die späteren Musteranalysen vorausgesetzt werden, geben.
Anschließend wird der Begriff der Symmetriebrechung eingeführt, der eine Betonung
des Prozessualen bedeutet.
Die Symmetrie wird gemäß meiner Definition als ein musterbildendes Prinzip be-
griffen. Ein Prinzip, das der Mensch erkannt hat und anwendet. Barber schreibt,
dieses Erkennen von Symmetrien geschähe auf einem weit niedrigeren Bewußt-
seinslevel als die Wahrnehmung von Motiven und der Gebrauch von Farbe.56
In den Naturwissenschaften wird ein Umgang mit Symmetrien nahegelegt, der diese
als ein Gegebenes, als ein zu Entdeckendes voraussetzt. Diese Differenz ist
entscheidend und begründet die Bedeutungsverschiebung des Symmetrieprinzips in
bezug auf das Muster, die im folgenden erläutert wird.
Hermann Weyl, der 1951 das – nach wie vor – als Standardwerk geltende Buch zur
Symmetrie geschrieben hat, beginnt mit folgender Annäherung:
„Wenn ich nicht irre, wird das Wort Symmetrie in unserer Umgangssprache in zwei Bedeutungen
gebraucht. In dem einen Sinn bedeutet symmetrisch etwas wie wohlproportioniert, ausgeglichen,
und Symmetrie bezeichnet jene Art der Konkordanz mehrerer Teile, durch welche sie sich zu
einem Ganzen zusammenschließen.“57
Dies entspricht der Kurzdefinition, die als Ergebnis einer Begriffsbestimmung von
Rudolf Wille gegeben wird: „Symmetrie (griech. Ebenmaß): Gleichheit von Teilen
als Ausdruck eines Ganzen.“58 Auf die mit Ebenmaß und Proportion hingewiesene
ästhetische Bedeutung der Symmetrie wird später zurückzukommen sein.
Mathematisierung des Symmetriebegriffes
Zunächst geht es um die Symmterie als mathematisches, als geometrisches
Phänomen. Das Entscheidende für die Mathematik ist, die Symmetrie nicht als Sache,
sondern als Transformation, als einen Prozeß zu begreifen.59 „Symmetrie ist eine
Bewegung.“60 Die Art der Transformation, der Bewegung im Raum bezeichnet die
Symmetrieform. Man unterscheidet bilaterale Symmetrien (Spiegelungen), translative
                                                 
54
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 39
55
 Die Sichtung der Literatur geschah hinsichtlich einer Beschreibung der Symmetrie als strukturelles
Element des Musters. Umfassende Darstellung des Themas haben andere geliefert: Weyl (1955); Müller
(1985); Daidalos (1985); Stork (1985); Hargittai (1986); Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft
(1986); Genz (1987); Mainzer (1988); Washburn/Crowe (1988); Hargittai (1992a+b);
Stewart/Golubitsky (1993); Field/Golubitsky (1993)
56
 Barber (1994): S. 297
57
 Weyl (1955): S. 11
58
 Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft (1986): S. 458
59
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 41, 44
60
 Field/Golubitsky (1993): S. 5
46
Symmetrien (Verschiebungen), rotative Symmetrien (Drehungen) und sogenannte
ornamentale und kristallographische Symmetrien, die sich in Fläche und Raum
ausdehnen.61 Die Betrachtung anderer Geometrien und der Gruppentheorie würde zu
weit führen, einzelne Formen von topologischer oder hyperbolischer Geometrie
werden im Text an entsprechender Stelle erläutert. Analog zur dimensionalen
Gliederung der Arbeit werden die Symmetrien in Dimensionen vorgestellt und das
Vokabular mit dem der Musterbeschreibung verschränkt.
0-d Als Identität bezeichnet man die ‘triviale’ Symmetrie einer Form, die sie in
Ruhe besitzt. Mathematisch erzeugt Ruhe, also die Negation von Bewegung,
Identität.62 Durch eine der Transformationen kann diese Identität verändert werden.
Man spricht auch von Selbstabbildungen oder Automorphismen. Eine solche Figur
(Motiv) kann nun im Raum bewegt werden.
1-d Von einer eindimensionalen Symmetrie spricht man bei Wiederholungen des
Motivs in eine Richtung. Es entstehen Streifen- oder Bandornamente, auch lineare
Friese genannt. „Natürlich ist das wirkliche Bandornament nicht im strengen Sinn
eindimensional; aber seine Symmetrie, soweit wir sie jetzt beschrieben haben, bezieht
sich einzig auf seine longitudinale Dimension.“63 Die symmetrische Grundoperation
zur Erzeugung von ‘Bandornamenten’ ist die Translation. In Kombination mit den
anderen Symmetrieoperationen (Spiegelung, Reflexion, Dreh- und Gleitspiegelung)
können maximal sieben (algebraisch) verschiedene Muster entstehen.64 Die
Abbildungen 1 und 2 zeigen diese Symmetrieoperationen.
„Wenn wir also eine Translation t durch die von ihr ausgeübte Verschiebung a kennzeichnen, dann
wird die Iteration oder Potenz tn durch das Vielfache na gekennzeichnet. Alle Translationen, die
ein gegebenes Muster von unendlichem Rapport auf einer Geraden in sich überführen, sind in
diesem Sinn Vielfache na einer Grundtranslation a.“65
Diese Ausführungen Weyls entsprechen der von mir formulierten Definition des
Musters: Die Translation, als eine Symmetrieoperation (Wiederholungsvorschrift),
konstituiert durch Iteration (Wiederholung) das potentiell unendliche Muster, das sich
aus den Rapporten zusammensetzt.
Die Symmetrie als mathematisches Problem ist demnach ein Zeugnis der Muster-
erkennung: Eine Wiederholung wird wahrgenommen, der Rapport isoliert und die
Wiederholungsvorschrift erdacht und überprüft. Menschliche Artefakte zeugen von
einem experimentellen Umgang mit den Symmetrieoperationen. Die Muster, die sich
auf Gebrauchsgegenständen oder Architekturen der Antike finden lassen, zeugen von
einem Symmetrieverständnis avant la lettre.66 Müller bezeichnet die Bandornamente
als die „wohl historisch ersten mathematischen Kunstformen. [...] Die ersten
Beispiele fallen etwa in die Zeit der Erfindung der Schrift.“67 Hier deutet sich die
                                                 
61
 Weyl (1955). Eine Symmetrie der Ausdehnung ist die Dilatationssymmetrie, die beispielsweise die
Beziehung zwischen einer Karte und dem Territorium, das sie darstellt, beschreibt. Stewart/ Golubitsky
(1993): S. 280
62
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 42
63
 Weyl (1955): S. 54. Weyl verweist hier auf die eingangs beschriebene Relativität des Dimensions-
begriffes.
64
 Müller (1985): S. 38f
65
 Weyl (1955): S. 52
66
 Washburn/Crowe (1988): S. 3
67
 Müller (1985): S. 29
47
Nähe des Musters zur Mathematik und zur (linearen) Schrift ein weiteres Mal an.
Müller geht hierauf nicht ein, da es ihm um die mathematische Theorie der
Symmetrie und nicht zentral um Muster geht. Auch Washburn/Crowe fokussieren die
Symmetrie, nutzen die Mathematik zur stilistischen Analyse von Design in
materieller Kultur.68 Die Symmetrie dient in diesem Grundlagenwerk zur angewand-
ten Symmetrieforschung der Kategorienbildung und Klassifizierung von Mustern
(engl. designs). „Although the designers saw the rhythm and repetition inherent in the
patterns, they never discovered that patterns could be more systematically, precisely,
and objectively described by their symmetries.“69 Die Autoren liefern ausführliche
Erläuterungen und materielle Beispiele für die verschiedenen Symmetrieoperationen
und somit die methodische Grundlage für Symmetrieanalysen.70
Die präzise Darstellung und Anwendung der Begriffe bei Washburn/Crowe soll kurz
erläutert und in der Folge übernommen werden. Der Begriff des Musters (pattern)
wird ausschließlich für potentiell unendliche ‘figures’ verwendet.71 In bezug auf
Symmetrieeigenschaften werden nur Designs mit translativer Symmetrie als Muster
bezeichnet. Die Autoren erstellen eine Hierarchie, die das Muster zu einem speziellen
Design und das Design wiederum zu einer speziellen Figur macht.72 Eine Figur
besitzt demzufolge keinerlei Symmetrie. Durch eine Symmetrieoperation kann sie zu
einem Design werden, das wiederum durch Translationen in eine oder mehrere
Richtungen zu einem Muster werden kann.
Die Symmetrie, als mathematische Eigenschaft, die Muster generiert, dient den
Autoren Washburn und Crowe als Mittel des Kulturvergleichs, der Stilanalyse und
der Datierung.73 Sie benennen ‘patterns as manifestations of ideas’74 und führen
unterschiedlichste materielle Muster zusammen, die sie auf ihre Symmetrie hin
analysieren. Das methodische Vorgehen wurde im Erfassungsbogen übernommen.75
Eine Auswertung des Materials wird hier wie dort nicht vorgenommen – im Sinne
einer durchgeführten Untersuchung/Feldforschung. Washburn und Crowe gehen von
einer fundamentalen Bedeutung der Muster aus und nutzen den mathematischen
Begriff der Symmetrie als kategorienbildendes Moment, als Grundlage
strukturalistischer Untersuchungen. Die Neutralität des Symmetriebegriffs wird
hierfür postuliert: im Gegensatz zu beispielsweise der Idee der Zentralperspektive sei
die Symmetrie nicht partikularistischen Stilkriterien verschrieben.76
Ein textiles Modell für eindimensionale Symmetrie sind die schon erwähnten
ungarischen Stickereien. (Abbildung 3)
                                                 
68
 Washburn/Crowe (1988): S. 3
69
 Washburn/Crowe (1988): S. 7
70
 Die Untersuchungen von Washburn (1986), Crain/Block (1991) und Bier (1995) sind Untersuchungen
von materieller Kultur (Textilien), die die Symmetrie als ‘Werkzeug’ einführen und sich methodisch auf
Washburn/Crowe beziehen.
71
 Washburn/Crowe (1988): S. 45
72
 Der Begriff des Ornaments wird von den Autoren nur zitierend verwendet. Die in der Einleitung als
allgemein übliche dargestellte Verwendung des Ornamentbegriffes ließe einen synonymen Gebrauch zu
allen drei Begriffen zu.
73
 Washburn/Crowe (1988): S. 269
74
 Washburn/Crowe (1988): S. 41
75
 Der Erfassungsbogen wurde vollständig aus dem Fließtext entnommen und wird im Anhang einge-
führt und anhand eines Beispiels erläutert. (Anhang S. 36, 37)
76
 Washburn (1983): S. 6
48
2-d Neben den sieben verschiedenen eindimensionalen ‘Bandornamenten’ unter-
scheidet man siebzehn unterschiedliche zweidimensionale Flächenmuster (Abbildung
4). Die Anzahl der möglichen Variationen bezieht sich in allen Fällen auf einfarbige
Muster. D.h. die Form wird in den Vordergrund gestellt, das Augenmerk auf
Repetition und Symmetrie gelenkt. Um ein Muster beschreibbar zu machen, bzw.
zunächst seine Symmetrien erkennen zu können, wird ihm ein Gitter, eine Art
Koordinatennetz unterlegt, dessen Grundform nicht orthogonal sein muß. Die Zellen
eines solchen Gitternetzes können fünf verschiedene Grundformen besitzen, die die
beiden Bewegungsrichtungen der Translation (diskrete Bewegungsgruppe) enthalten
(Abbildung 5). Eine international festgelegte Notation gibt zusätzlich Information
über die Drehung und die Spiegelachsen.77 Das Gitternetz als Hilfsmittel
veranschaulicht die Idee der geschlossenen Fläche. Damit wird die Unterscheidung
von Motiv und Grund aufgehoben: das Motiv bildet gemeinsam mit dem Grund eine
Einheit (Rapport), die durch Symmetrieoperationen in sich überführt wird
(Wiederholung). Die mathematische Auseinandersetzung mit diesen Mustern wird
daher häufig als Parkettierungsproblem bezeichnet. Grünbaum und Shephard haben
das Standardwerk zu diesen Problemen geschrieben.78 In der Kunst beschäftige man
sich schon lange mit Mustern, die Wissenschaft der ‘tilings and patterns’ – hiermit ist
die Beschäftigung mit den mathematischen Eigenschaften der Muster gemeint – sei
verhältnismäßig jung und unabgeschlossen.79 Die Publikationen der letzten Jahre (vor
allem der 1980er) zeugen von den hergestellten Verbindungen: Die Kunst erfährt
mathematische Analysen, und die Mathematik nutzt die Kunst als Illustration ihrer
Theorien.80 Die textile Auseinandersetzung mit Parkettierungen erzeugt
Patchworkdecken und andere textile ‘Flächen’, die im Kapitel zur textilen
Zweidimensionalität vorgestellt werden.
3-d Die Beschäftigung mit dreidimensionalen Symmetrien wird als Kristallo-
graphie bezeichnet. Im Gegensatz zu den zweidimensionalen Symmetrieaus-
formungen, die eine reichhaltige Rezeption in der Geisteswissenschaft gefunden
haben, werden räumliche Muster vorwiegend in der Naturwissenschaft analysiert.
„Wir schmücken Flächen mit ebenen Ornamenten; die Kunst hat sich nie mit
räumlichen Ornamenten abgegeben; sie finden sich jedoch in der Natur. Die
Atomanordnungen im Kristall sind solche Muster.“ Abgesehen von dem ver-
mischenden Gebrauch des Ornament- und Musterbegriffs gibt Weyl den Hinweis auf
die Existenz dreidimensionaler Muster, die die Kristallographie mit Hilfe des
Symmetriebegriffs beschreibbar macht. Analog zu den oben gezeigten fünf Gitter-
netzen gibt es vierzehn Raumgitter (Bravaisgitter), die 230 verschiedene ‘Muster’
zulassen.81 Ziel der Kristallographie ist es, diese ‘Muster’ zu erkennen, zu be-
                                                 
77
 Washburn/Crowe (1988): S. 58f
78
 Grünbaum/Shephard (1989) Hier finden sich ausführliche Erklärungen mit Bildbeispielen,
Washburn/Crowe beziehen sich in ihren Ausführungen vor allem auch in bezug auf die Notation
hierauf.
79
 Grünbaum/Shephard (1989): S. 11
80
 Der Begriff der Kunst wird hierfür meist in einem sehr weiten Sinn verstanden. Beispielhaft für eine
solche Zusammenführung sei hier die Ausstellung und Publikation ‘Symmetrie in Kunst, Natur und
Wissenschaft’ (1986) in Darmstadt genannt. Siehe auch: Daidalos (1985)
81
 Mainzer (1988): S. 157
49
schreiben und Erkenntnisse hinsichtlich der chemischen und physikalischen Eigen-
schaften der Kristalle (kristallisierter Zustand fester Materie) abzuleiten.82 Der Begriff
des Musters wird auch hier nicht explizit und durchgängig verwendet, die Definition
der dreidimensional periodisch angeordneten Bausteine verweist jedoch auf die
Kategorien Symmetrie und Repetition.83 Das Textile kann auch hier als Modell
fungieren und zeigen, daß es zumindest in diesem Bereich der Kunst ‘räumliche
Ornamente’ gibt.
4-d Die vierte Dimension wird hier nicht als mathematisch Höherdimensionales
verstanden, sondern wie oben erwähnt als Zeitliches und Bewegtes begriffen werden.
Ergänzend zu den drei Symmetrien im Raum, kann man auch von Zeitsymmetrien
sprechen.84 Anhand des Zeitpfeils, einer gängigen Visualisierung der Zeit, läßt sich
das Symmetrieverhalten verdeutlichen: Ein bestimmtes Intervall, z.B. eine Minute,
wird als Distanz auf der Linie dargestellt, die Translation verschiebt dieses Intervall,
weitere Wiederholungen ergeben eine Zeitskala in Minuten. Das Einbeziehen der Zeit
in die Beobachtungen bedeutet, daß man ein System nicht als Statisches, in einer
Momentaufnahme definiert, sondern als ein Dynamisches begreift. Ähnlich wie für
die räumlichen Dimensionen ist auch hier der Betrachterstandpunkt wichtig. Im
Vergleich zu der Dauer eines menschlichen Lebens besitzt ein Felsen eine sehr hohe
Zeitsymmetrie, einen quasi stationären Zustand.85 Ein in die Luft geworfener Ball
beschreibt den sehr häufig vorkommenden und leicht zu beobachtenden Typ von
Zeitumkehrsymmetrie. Es handelt sich hierbei um eine Zeitspiegelung und eine
räumliche Transformation: Der höchste Punkt, den der Ball erreicht, markiert die
Spiegelachse. Das Leben als Wachstum und Verfall begriffen ist gleichermaßen ein
dynamisches System, das Symmetrien und Muster aufweist.
Symmetriebrüche
Die Symmetrie spielt in den Naturwissenschaften eine entscheidende Rolle, da sie für
die Formulierung einer einheitlichen Theorie als grundlegend angesehen wird.86 Die
Vorstellung einer vollkommenen Symmetrie als einziger Urkraft und ihrer Brechung
durch den Urknall ist beispielsweise entscheidend für die Superstringtheorie.87 Für die
folgenden Betrachtungen ist hier lediglich die Annahme der Symmetrie als
vereinheitlichendes Prinzip von Bedeutung, die naturwissenschaftlichen Theorien
werden nicht behandelt.88 Die Symmetrie wird sich hierbei als ein von den
Naturwissenschaften genutztes Mittel erweisen, Muster zu beschreiben, und die
Symmetriebrechung als ein mustererzeugendes. Dementsprechend wird die
Symmetrie immer nur in Hinblick auf das Muster befragt.
                                                 
82
 Borchardt-Ott (1987): S. 1
83
 Borchardt-Ott (1987): S. 6
84
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 74
85
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 76
86
 Mainzer (1988): S. 1
87
 Kaku/Trainer (1993): S. 144. Eine umfassende Darstellung der Superstringtheorie gibt Greene (2000).
88
 David Peat entwirft beispielsweise das Gegenbild einer dynamischen Komplexität, die Formen und
Strukturen relativer Dauer hervorbringt. Er vermutet, daß die Wahrheit wahrscheinlich zwischen diesen
beiden Entwürfen von absoluten Gesetzen und Kontingenz zu finden ist. Peat (2000): S. 11
50
Der Mathematiker Ian Stewart geht davon aus, daß wir in einem Universum voller
Muster leben und das Denksystem, das in der Lage sei, diese Muster zu analysieren,
die Mathematik sei. „Jedes Verständnis der Natur muß ein Verständnis für diese
vorherrschenden Muster einschließen. [...] Es muß ein allgemeines Prinzip geben, das
sich hinter diesen Mustern verbirgt; [...].“89 Abgesehen von Stewarts Grundannahme
der Ubiquität von Mustern ist das Verhältnis von Muster und Symmetrie von
Interesse. Das Muster wird als das beschrieben, das wir wahrnehmen, seine
Ähnlichkeiten registrieren, aber nicht erklären können. Die Symmetrie liefert ein
mögliches Erklärungsprinzip: „Durch das Studium der Symmetrien versucht die
Mathematik, die tieferliegenden abstrakteren Aspekte geometrischer Gestaltungen
einzufangen.“90 Devlin formuliert hier sehr viel spezieller als Stewart, beide instru-
mentalisieren die Symmetrie, um das Muster zu erklären. Dementsprechend kann die
Symmetrie als eine mögliche Eigenschaft des Musters angesehen werden. „Symmetry
is a working concept.“91 Diese Definition von Alan MacKay wird präzisiert durch
eine Beschreibung des Arbeitens, die mit der von mir für das Muster angeführten,
übereinstimmt: Habe man einmal eine Symmetrie erkannt, könne man sie im
folgenden in ein Motiv und die Wiederholungsregel zerlegen.92
Die oben beschriebenen Symmetrieformen vermitteln einen statischen Charakter. Ein
Muster in seiner Objektform, als Vase, Textiles o.a., wird anhand seiner Symmetrie
beschrieben und kategorisiert, das sichtbare Muster wird hier zum Ergebnis eines
Prozesses, der als solcher meist nicht wahrgenommen wird. Die Beobachtung der
Natur läßt zwar auch diese Art der Mustererkennung zu (indem Momentaufnahmen
z.B. von Pflanzen betrachtet werden), die Naturwissenschaften sind jedoch vielmehr
an den Musterbildungsprozessen interessiert. Die Begriffe Symmetrie und
Symmetriebrechung verweisen auf dieses Verhältnis von Statik und Dynamik.
Stewart gibt ein Beispiel aus der Natur, das hier wiedergegeben werden soll. Eine
Sandwüste kann sich nur als Fiktion im absoluten Ruhezustand befinden und eine
umfassende Symmetrie ausbilden, d.h. jeder Punkt an ihrer Oberfläche ist zu jedem
anderen äquivalent. Diese Form der Symmetrie wird gemeinhin nicht als Muster
erkannt. Erst durch die Brechung der Symmetrie entstehen Muster: Durch ein
gleichbleibendes Wehen des Windes in eine Richtung wird eine Translations-
symmetrie erzeugt. Um diese wiederum zu brechen, müsse ein periodisches Muster
paralleler Streifen, die rechtwinklig zur Windrichtung liegen, gebildet werden. Nun
entsteht das, was die Geologen Querdünen nennen. Diese Prozesse lassen sich in
anderen Bereichen nachweisen (Zellbildung, Wasserbewegung und auch die oben
schon erwähnte Urknalltheorie). Klaus Mainzer schreibt, Symmetriebrüche erwiesen
sich als Komplexitätsreduktionen umfangreicherer Strukturen und seien mit der
Entstehung neuer Muster verbunden.93 Auf eine einfache Formel gebracht, bedeutet
dies: Je niedriger die Symmetrie, desto größer die Mustererkennung.
                                                 
89
 Stewart (1998): S. 102f
90
 Devlin (1998): S. 166
91
 Alan L. MacKay: But what is symmetry?, in: Hargittai (1986): S. 19–21, hier: S. 19
92
 Hargittai (1986): S. 19
93
 Mainzer (1988): S. 653
51
Stewart versteht die Symmetrieerzeugung als eine Form der Replikation, also als eine
Art der Wiederholung oder, wie ich es formuliert habe, als Wiederholungsvorschrift.
Die Übertragbarkeit dieser abstrakten Mathematik der Symmetriebrechung wird im
letzten Kapitel behandelt. Hier geht es zunächst darum, die Symmetriebrechung als
musterbildendes Prinzip einzuführen und den prozessualen Charakter zu betonen.
Symmetrie und Schönheit
Zahlreiche Publikationen behandeln die Symmetrie zentral und stellen keine explizite
Verbindung zum Muster her, wie Stewart, Mainzer und Devlin es tun, und wie es von
mir beabsichtigt ist. Der schon erwähnte Symmetrieforscher Hargittai schreibt der
Symmetrie eine grundlegende Rolle zu, die sie zu einem Äquivalent von Raum und
Zeit mache.94 Die Erforschung der Symmetrie geschieht dementsprechend
disziplinenübergreifend. Die von Hargittai herausgegebene Publikation sucht die
Symmetrie in Bereichen der unterschiedlichen Naturwissenschaften und auch in den
Kunst- und Kulturwissenschaften auf.95 Die Folgepublikationen Hargittais behandeln
spezielle Symmetrien (die Fünffach-Symmetrie und die Spiral-Symmetrie96), die
Symmetrien werden also gemäß dem Muster, das sie bilden, kategorisiert. Dieses
Verhältnis von Muster und Symmetrie wird bei Hargittai nicht benannt und auch an
anderer Stelle nicht thematisiert. Geht man jedoch von dem oben beschriebenen
Verhältnis von Muster und Symmetrie aus, erweisen sich die Publikationen als
wahrer ‘Musterschatz’.
Die Ausstellung zu ‘Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft’ in Darmstadt ging
gleichermaßen von der Symmetrie als einem übergreifenden Phänomen aus und
versucht, die Frage nach einem „universell wirkenden Prinzip im Plan der
Schöpfung“ zu beantworten. Ein umfangreiches Katalogwerk soll dieses ehrgeizige
Vorhaben unterstützen.97 Auch hier eröffnet sich dem Betrachter ein weites
Disziplinenfeld, das eben durch diese Weite beeindruckt und in seiner Opulenz
erfreut. Eine explizite Antwort erhält man jedoch nicht, Umfang und Varietät der
Symmetriedarstellungen sollen scheinbar für sich selbst sprechen.
Eine umfassende Bearbeitung des Themas liefert Klaus Mainzer. Anhand seiner
Ausführungen werde ich abschließend die für die Untersuchung des Musters ent-
scheidenden Gedanken entwickeln.
Die Symmetrie dient unserer Wahrnehmungsorientierung und der Organisation
unserer Vorstellungskraft. Hieraus leitet Mainzer auch den ästhetischen Grund des
Vorkommens der Symmetrie in der darstellenden Kunst und der Musik ab. Unser
Denken und Erkennen ist gleichermaßen von Symmetriestrukturen bestimmt, indem
es das Einfache als das Wahre annimmt.98 Dies führt zum Einzug der Schönheit in die
Wissenschaft. Steven Weinberg erläutert den Schönheitsbegriff im Zusammenhang
mit einer physikalischen Theorie. Es ginge hierbei nicht um mechanische Schönheit
im Sinne von hübschen Symbolen, die ein gefälliges Muster auf einer Seite
                                                 
94
 Hargittai (1986): S. IX
95
 Hargittai (1986)
96
 Hargittai (1992a+b)
97
 Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft (1986)
98
 Mainzer (1988): S. 12
52
produzieren. Es ginge auch nicht um die Eleganz einer Formel, Eleganz sei etwas für
Schneider. Es seien Einfachheit und Unvermeidbarkeit, sozusagen der Zwang der
Schönheit, der überzeuge. Beides gehorche den Regeln der Symmetrie.99 Bei
Weinberg wird die Schönheit zu einem Parameter der Wahrheits-, und Symmetrie zu
einem Mittel der Theoriefindung. Der Wissenschaftsphilosoph James McAllister
untersucht diese Zusammenhänge eingehend.100 Der Einfluß ästhetischer Kriterien auf
wissenschaftliches Handeln sei unbestritten. Brian Greene schreibt beispielsweise,
daß sich die Beschreibung von Aspekten des Universums, die sich dem Experiment
der theoretischen Physik entziehen, an ästhetischen Gesichtspunkten orientiert. Mit
der Bemerkung, daß sich diese Methode (!) bisher als nützlich und erkenntisfördernd
erwiesen habe, wird die Ästhetik als Hilfsmittel legitimiert.101 McAllisters Anliegen
ist es nun, genau diese Subjektivität aufzuzeigen. Er schreibt, es gebe keine
überzeugenden Beweise für die Existenz relevanter, konstanter, ästhethischer
Qualitäten. Jede wissenschaftliche Revolution bringe auch neue ästhetische Kriterien
hervor.102 Die Definition von Schönheit in bezug auf Theorien unterliegt also genauso
epochalen und kulturellen Veränderungen, wie es Mode, Malerei oder der
menschliche Körper tun.
Für die Musterforschung ist eine strukturell ähnliche Annahme zu bemerken, auf die
im letzten Kapitel eingegangen wird. Das Auftauchen von Mustern indiziert demnach
nicht Wahrheit, wie es die Symmetrie angeblich tut, sondern Sinn. Ian Stewart
verknüpft diese beiden Momente, wie oben schon beschrieben, indem er die Muster
erkennt, Gemeinsamkeiten konstatiert und die daraus abgeleitete Sinnhaftigkeit durch
Symmetrieprinzipien zu erklären sucht.103
Das Muster wird meist der Symmetrieforschung einverleibt, hilfreich sind hierbei die
Begriffe der Asymmetrie, der Dyssymmetrie, der Antisymmetrie104 und der
Symmetriebrüche. Diese Begriffe und die damit verbundenen Theorien stehen immer
in Abhängigkeit zum Symmetriebegriff. Asymmetrie kann nicht ohne Symmetrie
gedacht werden. Besonders deutlich wird dies bei den Symmetriebrüchen, die als
musterbildend beschrieben wurden. Diese Symmetrie, die gebrochen werden kann,
wird als ein Gegebenes, als ein zu Entdeckendes angenommen. Die Konstruktivität
dieser Annahme wird selten reflektiert. Mainzers Darstellung formuliert diese Frage,
ihre Beantwortung ist jedoch nicht Absicht seiner Publikation: „Unter den
Bedingungen der modernen Physik stellt sich dem Philosophen verschärft die Frage,
ob die Symmetrien bloß erkenntnistheoretische Projektionen in die Natur sind und
sich als heuristische Prinzipien zur naturwissenschaftlichen Theoriebildung
zweckmäßig erweisen oder ob sie als Selbstorganisationsprinzipien der Natur
verstanden werden können.“105
                                                 
99
 Weinberg (1993): S. 106–108
100
 McAllister (1993); McAllister (1998)
101
 Greene (2000): S. 199
102
 McAllister (1996): S. 203
103
 Stewart (1998): passim
104
 „Antisymmetry: If, together with an operation of symmetry, some quality (e.g. a colour of a configu-
ration or the direction of rotation of a magnetic moment inside a crystal) changes, we speak [...] of
antisymmetry.“ Hargittai (1986): S. 784
105
 Mainzer (1988): S. 13
53
Das Muster und damit auch die Symmetrie werden, gemäß meiner These, als Kon-
strukte verstanden, nicht als Gegebenes. Ich gehe davon aus, daß es immer der
handelnde Mensch ist, handelnd in der Erkenntnis oder der Produktion von Mustern,
die er generiert und sich ihrer bedient.106 Dies bedeutet für das weitere Vorgehen, den
Gegensatz von Natur und Kultur zu entschärfen. Die Natur wird entweder
wissenschaftlich oder künstlerisch bearbeitet, sie wird interpretiert. Kultur kann im
Gegenzug als ein Symmetriebruch definiert – Muster werden produziert – und als
Dynamisches und nicht als Summe statischer Artefakte behandelt werden.
Die Symmetrie als Strukturelement wird innerhalb der Untersuchung unterschiedliche
Funktionen erfüllen. Sie ist zum einen analytisches Instrument und wird in der oben
dargestellten Weise genutzt, um Artefakte als Momentaufnahme, als gefrorene
Handlung begriffen, zu beschreiben. Hierbei soll auch das Verlassen der Fläche
mitgedacht werden. Eine sogenannte textile Fläche, ein Gewebe beispielsweise, hat
eine Vorder- und eine Rückseite, ist also genaugenommen ein Dreidimensionales.
D.h. hier gilt es, eine weitere Symmetrie zu bestimmen, die das Verhältnis von
Vorder- und Rückseite beschreibt. Hieraus entwickelt sich die Frage nach der
Symmetrie des Handelns, also nach dem Menschen, der (textile) Muster produziert.
Zum anderen wird die Symmetrie als theoretisches Phänomen dem Muster
gegenübergestellt und weitere Bestimmungen ihres Verhältnisses und ihrer jeweiligen
Bedeutungen durchgeführt.
Rhythmus
„A crystal lacks rhythm from excess of pattern, while a fog is unrhythmic in that it
exhibits a patternless confusion of detail.“107
Dieses Zitat von Alfred North Whitehead verweist auf das Verhältnis von Symmetrie,
Rhythmus und Muster. Der Musterexzeß, das heißt ein maximales Gleichmaß,
verhindert Rhythmizität, während das Fehlen von Mustern als unrhythmisch
empfunden wird, aber definitionsgemäß höchste Symmetrie besitzt (der Nebel ist mit
der oben beschriebenen Wüste zu vergleichen). Die Abhängigkeit der genannten
Begriffe vom Betrachterstandpunkt, von der Dimension und vom Empfinden, der
kulturellen Prägung des Betrachters, wird ein weiteres Mal ersichtlich.
Die Beschäftigung mit der Symmetrie hat gezeigt, daß es sich hierbei in erster Linie
um eine mathematische Auseinandersetzung handelt. Demzufolge ist die Symmetrie
ein Instrument zur präzisen Beschreibung eines Musters. Der Umkehrschluß besagt,
daß jede Abweichung von der Symmetrie das Muster zerstört. Der Mensch nimmt
jedoch auch Wiederholungen als Muster wahr, die keine strenge Symmetrie besitzen.
Der naturwissenschaftliche Begriff der Dyssymmetrie bezeichnet solche Symmetrien
mit geringen Abweichungen. Da es mir aber vor allem um den Menschen und sein
Handeln geht, wird der Begriff des Rhythmus’ dem der Dyssymmetrie vorgezogen.
                                                 
106
 siehe hierzu: Gerdes (1990): S. 33. Gerdes beschreibt die Auswahl symmetrischer Formen für Werk-
zeuge anhand von Produktionstraditionen und nicht als Imitationen symmetrischer Muster der Natur. Er
widerspricht hiermit beispielsweise Hermann Weyl.
107
 Hargittai (1986): S. 21
54
Mit dieser Begriffswahl verbindet sich eine bestimmte Auffassung des Rhythmus-
begriffes, die Rhythmus nicht als Wiederholung eines Gleichen, sondern als Wie-
derholung eines Ähnlichen versteht. Diese Definition des Rhythmus’ in Opposition
zum Metrum oder Takt ist nicht selbstverständlich, die Diskussion hierzu soll an
dieser Stelle nicht aufgegriffen, sondern nur auf sie hingewiesen werden.108 Der
Rhythmus ist ein weiteres Wiederholungsphänomen, das meistens als
zeitstrukturierend und dem Tanz und der Musik zugehörig interpretiert wird. Der
Tanz, aber auch das Gehen oder Hüpfen des Menschen erzeugt Rhythmus im Raum.
Das Leben selbst, sein Herzschlag ist rhythmisch, so daß Zollna vom Rhythmus als
einer „anthropologischen Grundkonstitution menschlichen Handelns und
Wahrnehmens“ spricht.109 Demzufolge läßt sich überall Rhythmus finden: in der
Bewegung, der Sprache, in Raum und Zeit, in Lebensvorgängen. Viele
Wissenschaftsdisziplinen beschäftigen sich mit dem Rhythmus, der sich einer
geistigen Durchdringung des Phänomens hinsichtlich einer definitorischen Über-
einstimmung verwehrt. Als Phänomen ist der Rhythmus nicht zu begreifen, seine
physische Evidenz, alle Sinne ansprechend, ist jedoch nicht zu verleugnen.110
Ich werde einen Rhythmusbegriff vorstellen, der das Verhältnis von Muster und
Rhythmus, Symmetrie und Repetition aufzeigt. Rhythmizität wird hierfür als eine
Eigenschaft des Musters begriffen. Das Muster kann somit als sichtbares Produkt des
Rhythmus, eines dynamischen Prozesses, verstanden werden.111
Um im folgenden den Rhythmus als Strukturelement für das Muster zu veranlagen,
habe ich die Schriften Deleuzes, Lefebvres und Leroi-Gourhans herangezogen,
ergänzt durch Beiträge aus anderen Disziplinen und einem monographischen Text
zum Rhythmus von Hanno Helbling.
Helbling beginnt mit einer Abgrenzung des Rhythmus’ gegen den Takt, indem er die
beiden Phänomene mit Regelmaß und Gleichmaß verschränkt. Das variable
Regelmaß des Rhythmus’ sei in der Lage zu ordnen, Zeit und Raum zu gliedern.112
Diese Ordnung ist jedoch eine andere als die der Symmetrie – die dem Gleichmaß des
Taktes entspricht –, sie ist von Wahrnehmungsdifferenzen abhängig.113 Differenzen,
die auf subjektiver Wahrnehmung basieren oder mit dem Betrachterstandpunkt in
Zusammenhang stehen. Hierin liegt die denotative Unklarheit des Begriffes
begründet. Helbling vermeidet bewußt eine definitorische Formulierung wie: ‘Unter
Rhythmus verstehen wir...’114 und führt eine zirkumskriptive Abgrenzung durch. Das
rhythmische Moment in einer Ordnung sei das der Gefährdung: „Rhythmisches
                                                 
108
 Zollna (1995) gibt einen ausführlichen Überblick über das Thema Rhythmus in der geisteswissen-
schaftlichen Forschung und stellt die Probleme der Definition und der Abgrenzung dar.
109
 Zollna (1995): S. 12
110
 Kraft (1989): S. 6
111
 Hierzu läßt sich ein weiteres Mal Alfred N. Whitehead zitieren: „A rhythm involves a pattern
and to that extent is always self-identical. But no rhythm can be a mere pattern; for the rhythmic
quality depends equally upon the differences involved in each exhibition of the pattern. The
essence of rhythm is the fusion of sameness and novelty; so that the whole never loses the essential
unity of the pattern, while the parts exhibit the contrast arising from the novelty of their detail. A
mere recurrence kills rhythm as surely as does a mere confusion of differences.“ Zitiert nach: Kraft
(1989): S. 16
112
 Helbling (1999): S. 8
113
 Helbling (1999): S. 25
114
 Helbling (1999): S. 11
55
Geschehen setzt erst ein, wo Ordnung unter Druck gerät, wo sich das Feste dem
Beweglichen aussetzt und dieses an jenem einen Widerstand findet.“115 Das
Phänomen des Rhythmus befindet sich also im Spannungsfeld zwischen Chaos und
Ordnung.116
Die schon erwähnte Aufsatzsammlung zur Symmetrie enthält auch einen Beitrag zur
Visualisierung von Musik, der Rhythmus und Symmetrie in der oben vorge-
schlagenen Weise differenziert:
„Hermann Weyl seems to consider music under a single dimension, summarizing it as rhythm. I,
however, consider rhythm to be a succession of regular, repeated intervals. Its result could
resemble translatory symmetry, but we must remember that equal intervals do not produce rhythm.
Common sense dictates that rhythm is symmetry because it creates a symmetrical pattern. But
there is a difference between rhythm and symmetry. The first is a creative act and the second a
formal result.“117
Hermann Weyls Interpretation von Rhythmus bezieht sich auf eine rein zeitliche
Ausdrucksform, die, entsprechend der Idee des Zeitpfeils, eindimensional ist.118
Rhythmus soll hier, wie in anderen Publikationen auch, jedoch mehrdimensional
begriffen werden.119 Die Gegenüberstellung von Kreativität und Formalismus findet
gleichermaßen Eingang in die Ausführungen.
Elias Canetti nutzt den Begriff des Rhythmus’ zur Charakterisierung der Masse, der
sein philosophisches Hauptwerk gewidmet ist. Die rhythmische Masse sei im
Gegensatz zur stockenden Masse durch Bewegung bestimmt, ihr Massengefühl werde
kunstvoll hervorgerufen.120 Canettis Rhythmusbeschreibungen beziehen sich auf eine
konkrete, massenhafte, Erzeugung von Rhythmus. Er schreibt, der Rhythmus sei
ursprünglich ein Rhythmus der Füße. Das älteste Wissen des Menschen sei das um
die Kenntnis der Tiere gewesen, die er im Rhythmus ihrer Bewegungen
kennengelernt habe. Die früheste Schrift, die er lesen konnte, seien die Spuren der
Tiere, als eine Art Notenschrift, gewesen.121 In bezug auf die Bildung von Massen
und ihrer Wirkung ist der Rhythmus der Füße entscheidend, beim Marschieren oder
beim Kriegstanz. Die Dauer dieser rhythmischen Massengebilde ist dementsprechend
von der menschlichen Physis abhängig.122 Canetti faßt den Begriff des Rhythmus’
bewußt sehr eng, um ihn zu einem beschreibenden Moment der Masse und somit zu
einem Instrument der Macht zu machen. Dieser Aspekt des Rhythmus’, der als
strukturelles Element des Musters zwar sehr viel weiter gefaßt wird, soll bedacht
                                                 
115
 Helbling (1999): S. 33
116
 Eine medizinische Nutzung der ‘Chaosforschung’ sind Untersuchungen zum Herzrhythmus: Ein
gesundes Herz weist eine Schlagfrequenz auf, die den Regeln des deterministischen Chaos gehorcht,
also scheinbar zufällig und unvorhersehbar ist. Je mehr Ordnung das Muster der Herzschläge zeigt,
desto näher ist der Mensch dem Tod. GEO-Wissen: Chaos und Kreativität, Nr. 3/83402, 11/1993, S.
139
117
 Roberto Donnini: The visualiziation of music: symmetry and asymmetry, in: Hargittai (1986): S.
435–463, hier: S. 448
118
 Donnini bezieht sich wahrscheinlich auf eine Stelle aus Weyls Schrift zur Symmetrie: „In der ein-
dimensionalen Zeit ist die Wiederholung in gleichen Intervallen das musikalische Prinzip des
Rhythmus.“ Weyl (1955): S. 56
119
 Helbling behandelt Rhythmus als sichtbares (räumliches), hörbares (zeitliches) und spürbares (raum-
zeitliches) Phänomen. Helbling (1999): S. 11
120
 Canetti (1980): S. 27
121
 Canetti (1980): S. 28f. Auf die linearen Analogien von Schrift, Spur und Rhythmus und die Ver-
bindung zum Muster wird zurückgekommen.
122
 Canetti (1980): S. 27
56
werden. Die Möglichkeiten der Instrumentalisierung von Mustern aufgrund ihrer
rhythmischen Eigenschaften gilt es zu überprüfen.
Rhythmus und Symmetrie produzieren Muster, indem sie etwas wiederholen, die Art
der Wiederholung ist das Entscheidende. Für die Symmetrie wurde in die Form der
statischen und der dynamischen Wiederholung unterschieden (Symmetrie und
Symmetriebrüche). Der Rhythmus als metrische Wiederholung eines Gleichen
definiert, wie es teilweise geschieht (s.o.), ist ein Statisches, bzw. wie Deleuze es
formuliert, ist sie die abstrakte Wirkung einer rhythmischen Wiederholung.123 Für die
Untersuchung der Muster ist jeweils die dynamische Form der Wiederholung
interessant.
Für Leroi-Gourhan ist der Rhythmus zusammen mit dem Werturteil – als eine
Fähigkeit, die nur der Mensch besitze – eine basale Kategorie. Seine Argumentation,
die, nach den Quellen der Fähigkeit zur Wahrnehmung von Bewegung und Form
fragend, zu den Rhythmen und Werten gelangt, deren Reflektion zur Schaffung von
Raum und Zeit geführt habe, skizziere ich nun.124 Der Hinweis auf die
physiologischen Rhythmen des Körpers, der sich in einer von Rhythmen orga-
nisierten Welt (Jahreszeiten, Tag- und Nachtwechsel u.a.m.) befindet, läßt die Fun-
damentaliät der Bedeutung von Rhythmen für den Menschen erahnen. Sie integrieren
den Menschen in Raum und Zeit. Leroi-Gourhan nennt die tanzende Bewegung als
eine Möglichkeit, den alltäglichen Zyklus zu unterbrechen, und das rhythmische
Marschieren als Mittel der Konditionierung von Massen. Eine Funktionalisierung von
muskulärer Rhythmizität ist also gleichermaßen zwischen Ordnung und Chaos
möglich. Neben den physiologischen Rhythmen sind auch die technischen
Operationen von muskulärer, auditiver und visueller Rhythmizität bestimmt. Die
Bewegung der Beine, der Gang des Menschen, produziert Rhythmen, zu denen sich
nun auch die Bewegungen der Arme gesellten.125
Leroi-Gourhan betont die Dynamik des Rhythmus und seine kreative Schöpferkraft.
Das Lebendige, die Handlung, die Geste stehen hierbei im Vordergrund: Der
Rhythmus wird nicht als Abstraktum, als Ergebnis analysiert, sondern als Erzeuger
gekennzeichnet. „Die Rhythmen sind die Schöpfer von Raum und Zeit, zumindest für
das Subjekt; Raum und Zeit werden nur in dem Maße erlebt, wie sie in einer Hülle
von Rhyhtmen materialisiert sind. Die Rhythmen sind zugleich die Schöpfer der
Formen.“126 Und sie können als Schöpfer von Mustern betrachtet werden.
Der französische Philosoph Henri Lefebvre entwickelt eine Rhythmusanalyse, die
methodische und theoretische Grundlegungen zum Ziel hat. Er schlägt eine um-
fassende Beschäftigung mit dem Phänomen Rhythmus, die Begründung einer eigenen
Wissenschaft vor.127 Ich werde nun die ‘Elemente der Rhythmusanalyse’ skizzieren
und in Hinblick auf die hier projizierten Musteranalysen befragen.
                                                 
123
 Deleuze (1992): S. 39
124
 Leroi-Gourhan (1988): Kap. XI
125
 Leroi-Gourhan (1988): S. 384
126
 Leroi-Gourhan (1988): S. 384
127
 Lefebvre (1992): S. 11
57
„La rythmanalyse ici définie comme méthode et théorie poursuit ce labeur millénaire, de façon
systématique et théoretique, en rassemblant des pratiques très diverses et des savoirs très
différents: médecine, histoire, climatologie, cosmologie, poésie (poétique), etc. Sans omettre bien
entendu la sociologie et al psychlologie, qui occuppent le premier plan et fournissent
l’essentiel.“128
Lefebvre möchte den Rhythmus als konkretes Konzept, nicht als Objekt ver-
schiedener Künste behandelt wissen. Die Konkretion schlägt sich in der praktischen
Nutzung und der Beschreibung eines zukünftigen Berufsbildes, dem des
Rhythmusanalytikers, nieder. Die meisten der im Zusammenhang mit dem Muster
benannten Begriffe bespricht Lefebvre in der theoretischen Einführung und bildet
anschließend Kategorien. Er schreibt, daß es keinen Rhythmus ohne Repetition in
Zeit und Raum gebe, d.h. keinen Rhythmus ohne Regel.129 Die Wiederholung könne
jedoch nie absolut sein, sie sei eine Fiktion.130 Das jeweils Andere in der Wie-
derholung begründe die Differenz. Mit diesen beiden, hier schon besprochenen,
Begriffen bildet Lefebvre das erste Kategorienpaar. Er unterscheidet zwischen
zyklischer und linearer Wiederholung und benennt diese beiden Bewegungsformen
als weitere Kategorie. Man dürfe jedoch nicht Rhythmus mit Bewegung verwechseln
und müsse zwischen Mechanischem und Organischem unterscheiden.131 Die oben
angesprochene Opposition zwischen Rhythmus und Takt respektive Metrum löst
Lefebvre auf, indem er von qualitativen und quantitativen Aspekten des Rhythmus’
spricht. Diese Kategorien, die teilweise Oppositionspaare bilden (kontinuierlich –
diskontinuierlich; entdeckend – schöpferisch), seien nicht so angelegt, daß sie sich
ausschließen. Rhythmen könnten natürlich und rationell sein oder auch weder das
eine noch das andere.132
Neben der Bildung von Kategorien sei es notwendig, einen Ausgangspunkt festzu-
legen.133 An dieser Stelle verweist Lefebvre auf die Relativität des Rhythmus, dessen
Betrachtung immer im Vergleich zu anderen geschehe. Das Naheliegendste sei hier
der Mensch mit seinen Lebensrhythmen. Die Analyse der Rhythmen, bzw. die
vorangegangene Wahrnehmung und Klassifizierung derselben, könne zu einem
Perspektiven- und somit zu einem Konzeptionswechsel führen.134 Der Rhythmus
dient dem Analytiker als ein Werkzeug, das Raum und Zeit zu verbinden sucht.
Hierfür werden alle Sinne aktiviert, von der Erfahrung zum Konkreten voran-
schreitend.135 Lefebvre stellt sich für die Zukunft einen Rhythmusanalytiker vor, der
ein Labor und Patienten hat. Seine Ausbildung müßte mit der Schärfung seiner Sinne
und einer Wahrnehmungsmodifikation beginnen, transdisziplinär sein und die Mittel
der Repräsentation (also der Schriftlichkeit der Rhythmen) bereitstellen. Die Analyse
der Rhythmen müßte zu Anbeginn des sozialen Lebens einsetzen. Diese historische
Kenntnis könne für die Gegenwart relevant sein, therapeutisch eingesetzt werden.
Arhythmische Bewegungen dienten hierbei als Indikatoren von Mißstimmungen,
                                                 
128
 Lefebver (1992): S. 27
129
 Lefebvre (1992): S. 17
130
 Lefebvre (1992): S. 16
131
 Lefebvre (1992): S. 14
132
 Lefebvre (1992): S. 17f
133
 Lefebvre (1992): S. 19
134
 Lefebvre (1992): S. 29. Lefebvre schlägt hier eine Verschränkung des Rhythmusbegriffs mit dem
Privaten und dem Öffentlichen, dem Inneren und dem Äußeren vor und entwickelt vier Klassen.
135
 Lefebvre (1992): S. 34
58
Konflikten, Eskalationen u.ä. Untersuchungen der Rhythmen innerhalb eines Staates
könnten gleichermaßen gezielte Rhythmisierungen der Gesellschaft durch den Staat
aufdecken, auf den Rhythmus als Manipulationsmittel hinweisen.136
Die Ausführlichkeit, mit der ich Lefebvres Rhythmusanalyse vorgestellt habe, hat
zwei Gründe: Sie ist zum einen seltenes Zeugnis einer monographischen Behandlung
des Rhythmus und zum anderen teilweise auf die Untersuchung der Muster zu
übertragen, da Repetition und Rhythmus hier wie dort zentral behandelt werden. Die
Übereinstimmung in anderen Kategorien (Bewegungsformen, Differenz) lassen eine
Verbindung der Untersuchungen möglich erscheinen, eine gegenseitige Befruchtung
erhoffen. Das Muster kann einerseits als eine Form der Schriftlichkeit von Rhythmen
– Lefebvre macht hierzu keine detaillierten Angaben – begriffen werden, also als eine
Visualisierung der Rhythmen, die für Lefebvre eher den Zeit- als den
Raumphänomenen zuzuordnen sind.137 Das Muster wäre in diesem Fall ein Mittel der
Verräumlichung des Rhythmus’. Andererseits – womit keine inhaltliche Opposition
gemeint ist – kann der Rhythmus als ein Charakteristisches des Musters vorgestellt
werden. Es geht hierbei nicht um Hierarchisierungen, sondern um die Festlegung der
Prioritäten für die vorliegende Untersuchung.
Die Begriffe der Repetition, der Symmetrie und des Rhythmus’ werden im folgenden
als Strukturelemente des Musters zur Funktionsbestimmung genutzt, die durch die
limitrophen Bewegungen erschlossenen Handlungsfelder miteinander verschränkt.
                                                 
136
 Lefebvre (1992): S. 93
137
 Lefebvre (1992): S. 37
59
Die textile Dimension des Musters
„Wesshalb die textilen Künste voranzuschicken sind.“1
Die Darstellung textiler Muster in diesem ersten Hauptkapitel exemplifiziert eine
spezifische Sicht auf das Muster. Das Textile wird als Modell genutzt, um Muster-
bildungsprozesse materialiter als Zeichen manueller Intelligenz vorzuführen. Hiermit
wird gleichzeitig ein genuiner Zugang zum Textilen geschaffen, der das Textile vom
Muster her denkt. Anhand detaillierter Beschreibungen der Musterbildungsprozesse
werden die unterschiedlichen Funktionen der textilen Muster herausgearbeitet. Die
Herstellung, die Repetition der Handlung und somit die herstellende Hand und das
textile Objekt als ‘gefrorene Handlung’ im Sinne einer materialisierten Handlung,
stehen im Vordergrund der technomorphologischen Untersuchung. Dementsprechend
treten das Muster als Textilkonstituierendes und die Hand als Akteure in
Erscheinung. Der handelnde Mensch ist nur scheinbar abwesend, im letzten Abschnitt
werden seine Funktionalisierungsweisen, die vestimentären Instrumentalisierungen
des Musters durch den Menschen beschrieben.
Die Dimensionalität der Textilien gliedert die Ausführungen und spiegelt das all-
gemeine Verständnis eines hierarchischen Herstellungsprozesses: Aus Fasern werden
eindimensionale Fäden erzeugt, die wiederum Muster generieren können. Fasern oder
Fäden können zu einer Fläche, einem Zweidimensionalen auf vielfältige Weise
zusammengefügt werden. Diese Flächen werden mit weiteren Mustern versehen.
Einige der textilen Techniken lassen die Erzeugung dreidimensionaler Objekte zu.
Die Zeit als historisches Moment, als bewegender Mensch führt die vierte Dimension
ein. Die Abhängigkeit der Dimensionszuordnung vom Betrachterstandpunkt, von der
Perspektive, wurde bereits expliziert. Die schematische Übersicht (Anhang S. 35)
verdeutlicht die dimensionalen Zusammenhänge der verschiedenen textilen
Techniken und ihre fraktalen Ausformungen.2
Bevor ich mit der dimensionalen Darstellung beginne, führe ich die Referenzwerke
und die Strukturelemente der Repetition, der Symmetrie und des Rhythmus’ in bezug
auf das Textile ein.
Um das textile Muster als anthropologische Konstante zu veranlagen, ist eine Be-
schäftigung mit seinen ‘Anfängen’ notwendig. Als Referenzwerke dienen hierfür vor
allem die der bereits eingeführten Autoren Leroi-Gourhan und Barber.3
Leroi-Gourhan beschäftigt sich mit Textilien als einem Material unter anderen.
Deshalb wird für die technomorphologischen Bestimmungen Fachliteratur mit
technologischem Schwerpunkt hinzugezogen.
                                                 
1
 Semper (1977): S. 13
2
 Diese Tabelle kann nicht alle existierenden textilen Techniken aufnehmen, verdeutlicht jedoch die
Zusammenhänge und ordnet Techniken zu, die im Text nicht ausführlich bearbeitet werden konnten.
3
 Leroi-Gourhan (1971), (1973), (1988) und Barber (1991), (1994)
60
Die umfassendste Publikation zu dieser Thematik ist die Systematik der textilen
Techniken von Annemarie Seiler-Baldinger. Die Autorin verfolgt die Absicht, eine
einheitliche, wissenschaftlich begründete Terminologie zu erstellen. Die Systema-
tisierung orientiert sich an den Herstellungsverfahren von Textilien jeglicher Art. Die
Systematik wurde vor allem in bezug auf Definitionen und die Binnengliederung
textiler Techniken von mir als Referenzwerk genutzt. Für einige Techniken fügt
Seiler-Baldinger Notationen an, die von Gesetzmäßigkeiten zeugen, die
„mathematisch angegangen werden“ könnten.4 Diesen Aspekt der Notation textiler
Techniken und Muster werde ich in der Darstellung berücksichtigen.
Irene Emery verfolgt mit ihrer Publikation ‘The Primary Structures of Fabrics’ ein
ähnliches Ziel. Sie stellt die Klassifikation in den Vordergrund, die über die Struktur,
also die Beschaffenheit fertiger Textilien, erstellt wird. Hierin unterscheidet sie sich
grundlegend von Seiler-Baldinger. Gemeinsam ist den beiden Autorinnen das
Anliegen, die Möglichkeit der wissenschaftlichen Bearbeitung und Beschreibbarkeit
von Textilien auf der Grundlage einer schlüssigen Systematik, zu schaffen. Sie be-
schreiben Faden- und Stoffbildungstechniken und im Anschluß daran verschiedene
Stoffverzierungstechniken sowie Verfahren der Stoffzusammensetzung.
Die meisten Hand- und Textilwörterbücher wenden sich an eine Fachleserschaft der
Textilindustrie.5 Diese Werke vermitteln eine spezifische Warenkenntnis, deren
Interesse die praktische Anwendung und Aktualität sind. Bei Hofer6 und vergleich-
baren Nachschlagewerken werden zunächst die Faser- und Stoffherstellung be-
schrieben und dann die für die Textilindustrie sehr wichtigen verschiedenen Färbe-
vorgänge und Verfahren der Veredlung (Ausrüstung und Appretur)7. Sofern diese
Techniken mustergenerierend wirken, werden sie in der dimensionalen Darstellung
berücksichtigt.
Es geht mir nicht darum, eine bestimmte Form der Systematisierung oder Katego-
risierung zu favorisieren und zu bestätigen, sondern um die Nutzung technologischer
Beschreibungen zur Funktionsbestimmung des Musters. Die technomorphologische
Untersuchung bezieht deshalb weitere Parameter mit ein, die bereits als
Strukturelemente vorgestellt wurden. Neben den benannten Referenzwerken zur
Repetition, zur Symmetrie und zum Rhythmus sind für die Darstellung der textilen
Muster und ihrer Dimensionen einige Aspekte der Schriften Deleuze/Guattaris und
Sempers von Bedeutung.
Gilles Deleuze und Félix Guattari beschäftigen sich in ‘Tausend Plateaus’ mit den
Dimensionen und Qualitäten des Raumes. Sie entwickeln eine Theorie des Raumes,
die sie u.a. mit einem Modell der Technik verschränken.8 Da sich dieses Modell der
Technik bemerkenswerterweise ausschließlich mit textilen Techniken beschäftigt,
                                                 
4
 Seiler-Baldinger (1991): S. 4
5
 Hünlich (1970); Schierbaum (1993); Hofer (1994)
6
 Ein Standardwerk, das sich zum Vergleich anbietet, da es nicht lexikalisch, sondern auch systematisch
aufgebaut ist. Hofer (1994)
7
 Hofer unterscheidet Appretur und Ausrüstung als nicht waschfeste und waschfeste
Veredlungsmaßnahme. Hierunter fallen Gewebe-, Garn-, Maschen- und Flockeveredlung, sowie
Stoffdruck, Beschichtungen, Kaschierungen und Thermodruck. Hofer (1994): S. 575f
8
 Deleuze/Guattari (1992): S. 658
61
erläutere ich diesen Zusammenhang und mache ihn für die Darstellung im Sinne einer
Gegenlesung nutzbar.
Deleuze/Guattari unterscheiden zwischen glattem und gekerbtem Raum, den sie dem
nomadischen und dem seßhaften Leben, der Kriegsmaschine und dem Staatsapparat
zuordnen. Faktisch würden sich diese beiden Raumtypen vermischen, nur in der
Theorie sei eine abstrakte Unterscheidung möglich.9 Um die Modi der Ver-
mischungen und Übergänge zu beschreiben, wählen die Autoren verschiedene
Modelle: das der Technik, der Musik, des Meeres, der Mathematik, der Physik und
der Ästhetik. Die Auswahl der Modelle wird nicht begründet, es wird lediglich
angemerkt, daß Modelle nicht vervielfacht werden sollten. Der Hinweis auf die
fortwährenden Veränderungen und Übergänge der Räume ist vor allem in Hinblick
auf die politische Dimension ihrer Aussagen von Bedeutung: „Man sollte niemals
glauben, daß ein glatter Raum genügt, um uns zu retten.“10
Die im ‘Modell der Technik’ beschriebenen Techniken sind das Weben und Filzen,
das Stricken und Häkeln, das Sticken und das Patchwork respektive der Quilt.
Aufgrund ihrer Eigenschaften werden die Techniken von den Autoren dem gekerbten
und dem glatten Raum zugeordnet. Das Meßbare und Metrische wird bei diesem und
den anderen Modellen mit dem Eingekerbten, das Fraktale und Unbeschränkte mit
dem Glatten verbunden.
Die durchzuführende Gegenlesung bezieht sich auf dieses Technikmodell
Deleuze/Guattaris, die das Textile und seine Techniken explizit benennen. Die
technomorphologische Untersuchung der textilen Techniken kommt teilweise zu
anderen Ergebnissen. Diese werden umso mehr die Eignung des Textilen – und nicht
der Technik im allgemeinen – als Modell stärken, als sich zeigen wird, daß die von
Deleuze/Guattari sogenannten Vermischungen, Überlagerungen und Komplikationen
sich im Textilen abbilden lassen.
Neben vielen anderen Zuordnungen, die die Autoren für den glatten und den ge-
kerbten Raum treffen, sind die der Spiralform und der Orthogonalität von besonderer
Bedeutung. Diese beiden Eigenschaften wurden in der vorliegenden Arbeit bereits in
bezug auf das Muster als Bewegungsrichtungen benannt. Das (textile) Muster ist also
in der Lage, diese Grundverfaßtheiten zu veranlagen und auch – sehr viel konkreter –
zu materialisieren. Die hier vorgestellte Lesung des Musters verleibt sich die Theorie
des glatten und gekerbten Raumes ein: Die von Deleuze/Guattari dargestellten
Überlegungen können als eine Funktion des Musters benannt werden. Um diese
Verbindungen jeweils zu kennzeichnen, werde ich die Begriffe des glatten und
gekerbten Raumes beibehalten.
Zur Einführung der Strukturelemente der Repetition, der Symmetrie und des
Rhythmus’ in bezug auf das Textile nutze ich die Schriften Gottfried Sempers.
Semper verfolgt in seinem Hauptwerk ‘Der Stil’ die Absicht, die Beziehungen der
Baukunst zu den technischen Künsten darzustellen und einem historischen Ent-
wicklungsgedanken zuzuordnen. Das ‘Werk’ sei zum einen Resultat des ‘materiellen
                                                 
9
 Deleuze/Guattari (1992): S. 658
10
 Deleuze/Guattari (1992): S. 693
62
Dienstes oder Gebrauches’ und zum anderen Resultat des Stoffes, der ‘Werkzeuge
und Proceduren’, die zur Anwendung kommen.11 Die Klassifikation der technischen
Künste erfolgt gemäß der von Semper vorgenommenen Kategorisierung der
Rohstoffe. Der an erster Stelle genannten textilen Kunst wird demzufolge ein
Rohstoff mit den Eigenschaften des Biegsamen und Zähen, dem „Zerreißen in hohem
Grade widerstehend“ und der absoluten Festigkeit zugeordnet.12 Diese exponierte
Stellung behält das Textile bei: Der gesamte erste Teil seiner Schrift ist der textilen
Kunst gewidmet. Semper begründet dies mit der Stellung des Textilen als ‘Urkunst’,
von der alle anderen Künste „ihre Typen und Symbole [...] entlehnten, während sie
selbst (die textile Kunst, Anm. K.K.) in dieser Beziehung ganz selbständig erscheint
und ihre Typen aus sich heraus bildet oder unmittelbar der Natur abborgt.“13 Schon in
einer früheren Schrift hatte Semper auf die Ursprünglichkeit des Flechtens und
Wirkens von Matten und Decken hingewiesen und die zentrale Bedeutung der
Teppichwand für die Kunstgeschichte postuliert.14 Das älteste Ornament sei
gleichermaßen ein Produkt von „Verflechtungen und Verknotungen“15 und auch die
Kunst des Malens und die Reliefskulptur sei aus einer textilen Technik, nämlich aus
den „Webstühlen und den Färbekesseln der betriebsamen Assyrer“,
hervorgegangen.16
Die Kategorienbildungen und detaillierten Beschreibungen, die Semper in seinem
Hauptwerk vornimmt, sollen diese Aussagen beweisen. Ich werde im folgenden eine
Lesung Sempers im Sinne der formulierten These durchführen und nicht die
Beweiskraft hinsichtlich einer Etablierung des Textilen als Urkunst darstellen. Diese
Lesung bezieht sich auf die ästhetischen Grundbegriffe Sempers und die von ihm
vorgenommene Gliederung der textilen Techniken und Materialien.
Im Anhang seines Vorwortes erklärt Semper seinen Umgang mit verschiedenen
Grundbegriffen.17 Er geht hierfür von drei Gestaltungsmomenten aus, die bei „Form-
entstehungen thätig sein können“, die den drei Dimensionen der räumlichen
Ausdehnung entsprechen.18 Hieraus ließen sich wiederum drei „nothwendige Bedin-
gungen des Formal-Schönen“ ableiten: Symmetrie, Proportionalität und Richtung.19
Ebensowenig wie man sich eine vierte Dimension denken könne, gebe es eine weitere
vorstellbare Eigenschaft. Der Begriff der Dimension erscheint an anderer Stelle
weniger explizit: Semper ordnet das Band der Linie, die Decke der Fläche und die
Bekleidung dem Raum zu.20 Die Aufzählung entspricht der Reihenfolge im Text
Sempers und seiner impliziten Argumentationslinie, die die Gleichzeitigkeit der
Entstehung des Bauens und der textilen Techniken zu beweisen sucht.21 Aus den
                                                 
11
 Semper (1977): S. 8
12
 Semper (1977): S. 9f
13
 Semper (1977): S. 13. Der Paragraph 4 ist mit dem bereits zitierten Satz „Weshalb die textilen Künste
voranzuschicken sind“ überschrieben.
14
 Semper (1851): S. 56
15
 Semper (1851): S. 57
16
 Semper (1851): S. 59
17
 Semper (1977): S. XXIf
18
 Semper (1977): S. XXIV
19
 Semper (1977): S. XXIV
20
 Semper (1977): S. 19, 28, 227
21
 Semper (1977): S. 227
63
Begriffen der Symmetrie, der Proportionalität und der Richtung entwickelt Semper
drei „Autoritäten“, die zu den „sichtbaren Repräsentanten eines einigenden Prinzips
werden“.22 Die Erläuterungen zu den Autoritäten führen die Begriffe der
rhythmischen Reihung und der Bewegung ein. Auch wenn Semper diese Begriffe
nicht deckungsgleich zu meinen Ausführungen verwendet und für ihn die Entstehung
des Musters nicht im Vordergrund23 steht, sind diese Übereinstimmungen zu
bemerken und, in Form von Detaillesungen, zu nutzen.
Innerhalb der hergestellten Systematik, der dimensionalen Gliederung, werden die
unterschiedlichen textilen Techniken nicht einheitlich oder schematisch bearbeitet.
Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit in bezug auf die
Möglichkeiten textiler Musterungen und Techniken. Die für die Beobachtung
wichtigen Begriffe sind die Dimension (Raum und Zeit), der Rhythmus, die Sym-
metrie und die Repetition mit ihren Bewegungsrichtungen. Historische, technische,
ethnische und geographische Zuordnungen und Erläuterungen erfolgen nur im
Zusammenhang, sie sind nicht integraler Bestandteil der Darstellung. Die Auswahl
der Beispiele erfolgte gleichermaßen hinsichtlich der Funktionsbestimmung textiler
Muster.
0,5-d Textile Fraktalität
Ludwig Wittgenstein nutzt in seinen ‘Philosophischen Untersuchungen’ im Rahmen
seiner Ausführungen zur Sprache und den Sprachspielen folgende textile Metapher:
„Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, daß irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft,
sondern darin, daß viele Fasern einander übergreifen. [...] Ebenso könnte man sagen: es läuft ein
Etwas durch den ganzen Faden, – nämlich das lückenlose Übergreifen dieser Fasern.“24
Diese textile Metapher des Fadens und der Fasern verweist zum einen auf den zu
besprechenden Gebrauch textiler Metaphern und zum anderen auf den Übergang zum
Eindimensionalen. Gerade im Zusammenhang mit den Sprachspielen, die in den
jeweiligen Handlungssituationen präzisiert werden, wäre jedoch eine Metapher, die
die Technik, den handelnden Menschen miteinbezieht, eingängiger: Das
Herstellungsprinzip, in diesem Fall das Verspinnen des Fadens, ist das ‘Etwas‘, das
durch den Faden läuft. Die Repetition der Bewegung, das Handlungsmuster erzeugt
die Ähnlichkeit, von der Wittgenstein spricht.25
Die Faser ist weder Punkt noch Linie, weder null- noch eindimensional.
Fasern sind das Ausgangsmaterial oder, genauer formuliert, der Ausgangszustand
aller Textilien. Aus Fasern können Fäden oder Faserverbände hergestellt werden. Die
Verfahren zur Herstellung von Fäden werden unter 1-d beschrieben. Faserverbände –
für die es keinen einheitlichen Begriff gibt – können sich in der Fläche und im Raum
                                                 
22
 Semper (1977) bedient sich des Begriffs der Autorität mit Rekurs auf Vitruv, um das „Hervortreten
gewisser formaler Bestandtheile einer Erscheinung“ zu bezeichnen. S. XXXVIII
23
 Semper (1977) bedenkt das Muster mit folgendem Satz: „Die Verschiedenheiten der natürlichen
Farben der Halme veranlassten bald ihre Benützung nach abwechselnder Ordnung und so entstand das
Muster.“ S. 228
24
 Wittgenstein (1984): S. 278
25
 Wittgenstein (1984): S. 276f
64
ausdehnen. Die Herkunft von Fasern kann tierischer, mineralischer, pflanzlicher oder
chemischer Art sein. Ihre Gewinnung ist für die Musterbildung nicht von zentraler
Bedeutung und wird deshalb nicht dargestellt.
1-d Textile Eindimensionalität
Textile Eindimensionalität wird im folgenden als Konkretes (Textil) und als
Abstraktes (Metaphern und Mythologien) vorgestellt. In der Betrachtung des Textilen
wird die Konstruktivität des Eindimensionalen sichtbar, für die Mythen und
Metaphern werde ich zeigen, daß sie genau aus dieser Konstruktivität schöpfen, sich
gewissermaßen über sie legitimieren.
Die Artikulationsformen eindimensionaler textiler Muster sind verhältnismäßig
gering. Der Faden als solcher kann Muster bilden oder aber durch Verdichtungen,
Knotungen und Auffädelungen andere Muster erzeugen. Seine Beschaffenheit kann
in der Weiterverarbeitung mustergenerierend wirken.
Im folgenden wird zunächst die Gewinnung und Herstellung von Fäden beschrieben,
anschließend zwei Möglichkeiten der musterbildenden ‘Weiterverarbeitung’: das
Knoten und das Fädeln.
String Revolution
„So powerful, in fact, is simple string in taming the world to human will and ingenuity that I
suspect it to be the unseen weapon that allowed the human race to conquer the earth, that enabled
us to move out into every econiche on the globe during the Upper Palaeolithic. We could call it the
String Revolution.“26
Die unspektakuläre, und nicht datierbare, ‘Erfindung’ des Fadens hatte für die
Menschheit weitreichende Folgen. Die revolutionäre Kraft des Fadens läßt sich bis
hin zur gegenwärtig aktuellen Stringtheorie verfolgen.27
In bezug auf die textilen Techniken bildet der Faden den ersten materiellen Hinweis
auf die Existenz von Textilien. Der Faden, als langstapelige pflanzliche oder tierische
Faser, ist ein Produkt, das der Mensch in der Natur vorfindet und verarbeiten kann. Er
dient vor allem dem Zusammenfügen von anderen Materialien, wie z.B. Holzstöcken
oder auch Tierfellen, d.h. ersten Kleidungsstücken.28 Seiler-Baldinger beschreibt
verschiedene Formen der Herstellung von Fäden. Eine rudimentäre Verarbeitung des
Rohmaterials besteht im Zerschleißen, Spalten und Zerschneiden des Materials oder
im Ausziehen von Fasern aus Stengeln und Blättern. Das Abhaspeln eines Fadens ist
nur bei speziellen Seidenkokons möglich. Kurze Faserelemente, Blatteile oder
Bastfasern können ineinander verdreht (gedrillt) und gegebenenfalls vorher verknüpft
werden. Diese Techniken werden im allgemeinen ohne Hilfsgeräte ausgeführt.29 Das
                                                 
26
 Barber (1994): S. 45
27
 Die Bezeichnung der Stringtheorie ist durch Gestaltähnlichkeit inspiriert. Die Atome stellte man sich
als Punkte, bzw. Kugeln vor, die Stringtheorie nimmt als Elementarteilchen ‘tanzende Fäden’, ‘winzige
eindimensionale Schleifen’ an. Greene (2000): S. 29
28
 Paläanthropologen datieren Artefakte aus einem thüringischen Steinbruch, „die dazu gedient haben,
Tierhäute zu durchstechen und sie mit Pflanzenfasern zusammenzunähen“ auf ein Alter von ca. 370.000
Jahren. FAZ, 2. Februar 2000, N2
29
 Seiler-Baldinger (1991): S. 8
65
Verspinnen von Fasern geschieht stets mit Hilfe besonderer Geräte. Barber nimmt an,
daß vor 20–30.000 Jahren die ersten Fasern versponnen wurden.30 Textile Funde aus
dieser Zeit sind äußerst selten. Spindeln und Spinnwirtel, die aus dauerhafteren
Materialien bestehen, sind hingegen weltweit verbreitet aufgefunden worden.31 Sie
dienen dem Verspinnen von Fasern, wobei verschiedene Techniken unterschieden
werden.32 Leroi-Gourhan schreibt, daß eine genaue Datierung der ersten Spindeln
nicht möglich sei, ihr Erscheinen aber spätestens mit der Entwicklung der Töpferei
belegt ist.33 Die Grundform der Spindeln und Wirtel ist rund. Hieraus leitet sich die
zirkuläre Grundbewegung (Rotation) der Tätigkeit ab.34 Anhand der Spinnbewegung
läßt sich also eine grundlegende Erfahrung des Zusammenhangs von Form und Be-
wegung ablesen. Eine darüber hinausgehende Differenzierung dieser Erfahrung
erfolgt über die Chiralität des Spinners.35 Die Drehrichtung – der Spin – den die
Spindel erfährt, erfolgt bei einem Rechtshänder im Uhrzeigersinn. Die Art der
Spindel in Verbindung mit der Anfangsdrehbewegung bestimmen den ‘Draht’ (S-
oder Z-Richtung)36 eines Fadens.
Neben dieser zirkulären Bewegung wird beim Verspinnen von Fäden eine zweite
Bewegung ausgeführt: das Strecken oder Ziehen. Hierbei handelt es sich um eine
eindirektionale Bewegung, also eine Linearisierung. Das Ergebnis dieser doppelten
Bewegung ist ein Faden, dessen einzelne Fasern die Form einer gestreckten Helix
zeigen. Aus praktischen und ästhetischen Gründen sollte dieser Faden möglichst
gleichmäßig gesponnen werden. Ein solches Gleichmaß überträgt sich vom
rhythmisch bewegten Körper auf das Produkt. Der Rhythmus als musikalisches
Element zeigt sich auch in der Verbindung von Gesang und Spinnen. Die Abbildung
der spinnenden Venus von Milo (Abbildung 6) zeigt, daß bei dieser Technik des
Spinnens der ganze Körper in die Bewegung einbezogen ist. Das Spinnrad verlegt
diese vertikale Ausrichtung in die Horizontale. Abgesehen von der Demonstration der
Spinnbewegung reizt diese Darstellung zur Frage, ob die Statue in dieser
ursprünglichen, durch Profanität und Weiblichkeit gekennzeichneten Form eine
ähnliche Popularität erlangt hätte.
Ein zeitlicher Sprung in die Gegenwart und somit die weitestgehend industrialisierte
Form der Fadenherstellung gibt einen summarischen Überblick über die
Möglichkeiten, Fäden zu erzeugen und zu gestalten. Schon mit der Auswahl des
Spinnverfahrens (beispielsweise Kammgarn- oder Streichgarnspinnerei) kann Einfluß
                                                 
30
 Barber (1994): S. 43. Der älteste textile Fund stammt aus Lascaux um 15.000 v. Chr., bestehend aus
pflanzlichen Fasern, die zu einer Kordel verdreht wurden. (S. 53)
31
 Textil (2000): S. 14. Seiler-Baldinger schreibt: „Die Fadenbildung mit Hilfe der Spindel ist
weltweit sehr alt und nicht an einen einzigen Herkunftsort gebunden, sondern überall als meist
eigenständige Entwicklung zu betrachten.“
32
 Barber (1991) beschreibt ausführlich die unterschiedlichen Spindeln und Wirtel, die beispielsweise
durch ihre Position (high, low) unterschiedliche Arten des Spinnens hervorbringen. (S. 51ff)
33
 Leroi-Gourhan (1971): S. 249
34
 Leroi-Gourhan (1971): S. 248
35
 Barber (1991) führt die Problematik der vorgefundenen Garne in S- oder Z-Richtung und ihre heutige
Deutung aus. Neben der Chiralität sind regionale Unterschiede, die auf die Verwendung verschiedener
Matrialien zurückgeführt werden, entscheidend. (S. 66f)
36
 Hiermit wird (im engl. gleichermaßen S- und Z-spin oder -directions) die Drehrichtung eines Fadens
markiert. S steht für links- und Z für rechtsgedrehte Fäden. Diese Bezeichnungen sind Zeugnisse der
alles durchdringenden Alphabetisierung: Die aufsteigende bzw. absteigende Diagonale wird anhand der
Formengleichheit mit diesen Buchstaben bezeichnet.
66
auf das Aussehen des Musters genommen werden. Verschiedene mechanische
Vorgänge (Kardieren, Kämmen, Strecken u.a.) dienen der Parallelisierung der Fasern,
bevor diese Versponnen werden. Die erzeugten Garne werden häufig zu Zwirnen
zusammengedreht. Hierbei unterscheidet man Glatt- und Effektzwirne. Qualität und
Art des Zwirnes nehmen direkten Einfluß auf die Musterung. Die Effektspinnerei und
-zwirnerei arbeitet mit farblichen (Jaspé, Mouliné, Melange oder Space-dyeing, das
partienweise Garnfärben) und plastischen Effekten (Flammen-, Noppen-, Loopzwirne
und -garne).
Die Gestaltung der Fäden kann entweder darauf ausgerichtet sein, die Fäden als
solche weiterzuverarbeiten37 oder auf einer weiteren Verarbeitungsebene sichtbar zu
werden. Eine der kompliziertesten Stoffmusterungstechniken ist der Ikat. Die
Komplexität besteht hierbei nicht in der – technisch einfachen – Form des ab-
schnittweisen Einfärbens der Garnbündel, sondern in der Berechnung, die diesem
Abbinden und Färben vorausgehen muß. Man unterscheidet Kett-, Schuß- und
Doppelikat, gemäß den Funktionen der Garnbündel nach dem Färbevorgang. Das
Muster entsteht erst beim Weben, der „Schußfaden sieht vorerst einfach mehrfarbig
gesprenkelt aus“, enthält aber die gesamte vorprogrammierte Musterung.38 Dieses
‘Programm’ kann neben der Färbung, die das Muster entstehen läßt, die Regeln der
Symmetrie nutzen. Faltet man die Garnbündel vor dem Abbinden, erhalten die
gemusterten Flächen eine oder mehrere Symmetrieachsen. Der Ikat stellt insofern die
‘höchste’ ästhetische Ausformung der Erkenntnis des Zusammenhangs von Faden
und Fläche, ein- und zweidimensionaler textiler Form dar. Auf diesen Zu-
sammenhang wird in Verbindung mit den stoffbildenden Techniken zurück-
zukommen sein.
Weitere Formen der Fadenerzeugung sind Filamente und natürlich vorkommende
Fäden, d.h. langstapelige Pflanzenfasern, die für die Darstellung der Muster-
funktionen nicht von Bedeutung sind.39
Nodologie
Betrachtet man das Knoten als Tätigkeit und den Knoten als das Produkt dieser
Tätigkeit, entdeckt man ein komplexes Thema, dessen Umfang mit der Begriffs-
schöpfung der Nodologie nur angedeutet werden soll.40
Das Verknoten oder Verknüpfen von Fasern kann eine Alternative zum Verspinnen
von Fasern darstellen. Das Ziel beider Tätigkeiten ist die Erzeugung eines
                                                 
37
 Ein Beispiel hierfür sind die ‘string skirts’, die schon für das Paläolithikum nachweisbar sind. Diese
Röcke bestehen aus Fäden, die an einem Hüft- oder Taillenband nebeneinander befestigt werden. Da
diese Röcke keine schützende Funktion haben (weder kälteundurchlässig noch blickdicht sind) vermutet
Barber eine symbolische. Das kinetische Moment der losen Fadenenden zieht die Blicke an, verweist
auf die Fruchtbarkeit der Frau. Barber (1994): S. 44, 59
38
 Textil (2000): S. 130
39
 Filamente sind Endlosgarne, die aus den Kokons seidenspinnender Insekten gewonnen oder aus einer
synthetischen Spinnmasse hergestellt werden. Kapok, Hanf, Ramie, Jute, Manilafaser, Sisalhanf und
andere Pflanzenfasern bedürfen nur einer geringen Verarbeitung zur Fadenherstellung und sind deshalb
für Kulturen geringer Mechanisierung von Bedeutung.
40
 Diese Begriffsschöpfung leitet sich vom Lateinischen ‘nodus’ für Knoten ab und bedient
vordergründig das Bedürfnis nach einer Überschrift. Das Auffinden von Knoten in unterschiedlichsten
Bereichen läßt eine Wissenschaft der Knoten, die sich das methodische Vorgehen der hier vorgestellten
limitrophen Bewegung zu nutze machen könnte, nicht mehr so abwegig erscheinen.
67
langen/längeren Fadens. Richtet sich die Anordnung der Knoten nicht nach der Länge
der vorgefundenen Fasern oder Fadenstücke, sondern nach einem Muster, kann dieses
verschiedene Funktionen erfüllen. Die Knoten können auf einer weiteren
Verarbeitungsstufe ein Muster erzeugen und hiermit einen ästhetischen und/oder
praktischen Zweck (Oberflächenvergrößerung) erfüllen. Als Bindungsmoment dient
der Knoten der Bildung von Stoffen (2-d). Die Anordnung der Knoten kann jedoch
auch auf eine Bedeutungsebene verweisen. Das Knoten wird hier zu einer
Mnemotechnik bzw. einer Art Schrift (als Zähl- oder Er-zählhilfe oder vielleicht am
gegenwärtigsten: im Taschentuch). Betrachtet man den Knoten als singuläres
Phänomen, verliert er gleichermaßen seine Eindimensionalität und wird zu einem
komplizierten Raumgebilde (3-d). Das Knoten ist eine Tätigkeit, die sich im Raum
vollzieht: eine komplizierte, topologische Aktion.
Den wahrscheinlich unmittelbarsten Zusammenhang zwischen textilem Knoten und
seiner Funktionalisierung als Meß- und Memoriertechnik zeigt der Knoten als
Bezeichnung der Einheit für die Geschwindigkeit von Schiffen. Diese Bezeichnung
leitet sich direkt von der Tätigkeit des Knoteneintragens in die Logleine in fest-
gelegten Zeitabständen (Logglas) ab.
Der Quipu (oder Khipu) der Inka ist ein Beispiel für den Einsatz des textilen Knoten
als elaborierte Mnemotechnik. Die Inkas verwendeten Quipus (Quetschua für
Knoten), Knotenschnüre, als Hilfsmittel, um Daten und Informationen unter-
schiedlichster Art zu fixieren.41 Ein Quipu besteht aus einem primären Faden
(Schnur), an den weitere Gruppen von Fäden gemäß ihrer Bedeutung geknotet
werden. Es entsteht eine Grundstruktur eines horizontalen und zahlreicher vertikaler
Fäden. Die vertikal angeordneten Fäden können durch Anknüpfen von Fäden auf
unterschiedlicher Höhe erweitert werden. Diese Anordnung der Fäden sowie ihre
Farbigkeit sind bedeutungstragende Elemente. Darüber hinaus sind die Art der
Knoten und ihre Direktionalität konnotiert. Die Direktionalität eines Knotens ist
wiederum abhängig von der S- oder Z-Richtung des Fadens respektive des Garnes
(hier gibt es Kombinationen: Zwei Fäden mit S-Draht können beispielsweise zu
einem Z-Draht-Zwirn verarbeitet werden). Diese Aufzählung ergibt eine unendliche
Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten. Die Interpretationen der Forschung legen
ein binäres oder ein Dezimalsystem zugrunde und erkennen Inhalte
unterschiedlichster Art.42 Auch Zeitgenossen erschloß sich der Inhalt eines Quipu
nicht unmittelbar. Um diesen zu erfassen, brauchte man einen ‘Übersetzer’ (den
quipucamayoc, den Wächter der Knoten). Haarmann weist darauf hin, daß alle
Knotenschnurtechniken von solchen mündlichen Erläuterungen abhängig sind, ihre
Leistung – die Fixierung numerischer Information – sei jedoch sprachunabhängig.43
Am Beispiel des Quipu läßt sich zeigen, daß das Vorhandensein und die Flexibilität
textiler Materialien mit einfachsten Mitteln einen endlosen Reichtum an Be-
deutungsmöglichkeiten generieren können. Ein Quipu spiegelt als fertiges Produkt
                                                 
41
 Woodward/Lewis (1998): S. 290. Diese Daten konnten statistische, chronologische, astrologische,
historische, juristische, geographische Bedeutungsinhalte transportieren.
42
 Woodward/Lewis (1998): S. 290, Anm. 162, 163
43
 Haarmann (1990): S. 58–61; dtv-Lexikon (1997): s.v. ‘Quipu’
68
ein Denksystem, die Art der Wissensorganisation und -speicherung. Das Muster hat
hierbei die Funktion der Kodierung, es konstituiert eine Sprache oder Schrift.
Die Informationsvermittlung wird hier von zwei Parametern, Farbe und Knoten,
getragen. Die symbolische Verwendung von Farben ist weit verbreitet und doku-
mentiert. Ähnliches, systematisiertes ethnographisches Material über Knoten fehlt.44
Leroi-Gourhan schlägt eine Zuordnung nach berufsspezifischen Knotentechniken vor:
Seemannsknoten, Weberknoten, Korbflechterknoten etc.45 In Anbetracht der
Komplexität des Themas lassen sich andere Klassifikationsmerkmale respektive
Zugangsweisen denken, von denen ich im folgenden drei benenne.
Der Knoten als Mittel der Stoffbildung wird unter 2-d behandelt, dem Knoten als
Tätigkeit und als topologisches Phänomen sollen im folgenden noch einige An-
merkungen in bezug auf die Mathematik und die Psychoanalyse gewidmet werden.
„Knoten entstehen durch straffes Anziehen geeigneter Schleifen, Verschlingungen
oder Maschen.“46 „Ein [einfacher] Knoten ist eine geschlossene Kurve, die keine
multiplen Punkte enthält, d.h. keine mehrfachen Überschneidungen.“47 Die erste
Definition, die sich auf die textilen Techniken bezieht, beinhaltet eine einfache
Handlungsanweisung, die die beiden Grundbewegungen des Knotens zeigen: das
Legen einer wie auch immer gearteten Schlaufe und das anschließende Anziehen
derselben. Die textile Anschauung und Nachahmung ist also in der Lage, komplexe
Strukturen zu vermitteln. Piaget, von dem die zweite Definition stammt, nutzt das
Gebiet der Knoten, um die Relation des Umschlossenseins aufzuzeigen. Diese Un-
tersuchungen sollen hier nicht rezipiert werden, sondern nur auf die Möglichkeit
hinweisen, eine genuin textile Technik als Erkenntnismittel für die Entwicklungs-
psychologie zu nutzen und hierüber Feststellungen hinsichtlich anthropologischer
Konstanten zu treffen.
Der Knoten als solcher bilde visuell und motorisch keine ‘guten Formen’, im Sinne
einer wahrzunehmenden Metrik, aus.48 Das bedeutet, daß das Knoten als Tätigkeit
keinen erkennbaren Rhythmus bildet und kein Muster erkennen läßt. Erst die Reihung
von Knoten, die den Wechsel vom Drei- ins Zwei- oder Eindimensionale beinhaltet,
schafft ein Muster und Rhythmen. Der Knoten als topologisches Phänomen und seine
Erzeugung dienen dem Kind – dem Menschen – zur Raumerschließung.
In seiner Ausformung als Krawattenknoten beschäftigt er zwei theoretische Physiker.
Das ausgewiesene Ziel von Thomas Fink und Yong Mao ist es, alle ästhetisch
möglichen Krawattenknoten vorauszusagen.49 Der Blick auf die Entwicklung des
Krawattenknotens habe gezeigt, daß es ca. ein halbes Jahrhundert dauere, bis ein
neuer Krawattenknoten auftauche. Der Maßstab hierfür ist der Eintrag in das Register
der ‘Tie Association of America’. Die Autoren erstellen verschiedene Parameter, um
ein mathematisches Modell zu entwickeln, das die möglichen Krawattenknoten
anzeigt. Innerhalb der entstehenden Klassen von Knoten müsse eine Auswahl nach
                                                 
44
 Ashley (1982). Dieses wohl umfassendste Buch über Knoten stellt die Anwendung in den
Vordergrund, das heißt Zweck und Methode des Bindens werden in Wort und Bild dargestellt.
45
 Leroi-Gourhan (1971): S. 262
46
 Seiler-Baldinger (1991): S. 25
47
 Piaget/Inhelder (1975): S. 138, Anm. 2
48
 Piaget/Inhelder (1975): S. 138
49
 http://www.tcm.phy.cam.ac.uk
69
ästhetischen Gesichtspunkten, die Größe und Form, Symmetrie und Ausgewogenheit
betreffen, getroffen werden. Das Ergebnis ihrer Suche sind 85 verschiedene
Methoden, einen Krawattenknoten zu binden. Von den 85 sind zahlreiche als
Abwandlungen der vier bekannten Knoten (Four-in-hand, Windsor, Pratt und Halber
Windsor) einzuordnen und neun neue Knoten zu registrieren.
Die Symmetrie als Parameter für die ästhetische Akzeptanz resultiere bei einem
Krawattenknoten aus einer ausgeglichenen Anzahl an rechts- und links-‘half-turns’
der Krawattenenden. Ein weiteres Kriterium ist für die Autoren die Festigkeit und
Formbeständigkeit des Knotens. Die historischen Implikationen werden von den
Autoren nicht diskutiert und sollen auch hier nicht nachgetragen werden.50 Es geht
vielmehr darum, eine weitere Verbindung mathematischer Probleme und textiler
Modelle aufzuzeigen. Die mathematische Notation von Krawattenknoten als
Random-Walk in einem triangulären Gitter verweist auf die Komplexität einer
textilen Technik. Hierbei ist zu beachten, daß die Bedingung der mathematischen
Beschreibbarkeit in der relativen Einfachheit (im Vergleich zu zahlreichen anderen
Knoten) eines Krawattenknotens liegt. Diese ‘Einfachheit’ besteht in der
definitorischen Fixierung der Parameter: Beschränkung auf eine Krawatte mit einem
breiten und einem schmalen Ende, determinierte Bewegungsrichtungen, und die –
weniger klar zu formulierenden, aber in Hinblick auf die Funktion zu
berücksichtigenden – ästhetischen Aspekte.
In dem abschließenden Zitat von Jacques Lacan kulminieren die drei Aspekte
Mathematik, Knoten und Raum in exemplarischer Weise. Die Mathematik, hier
insbesondere die Topologie, ist für Lacan in der Lage, an das Reale – und hiermit ist
das Geheimnis des sprechenden Körpers, das Geheimnis des Unbewußten gemeint –
heranzureichen. Er instrumentalisiert die Topologie durch die Visualisierung der
Fadenringe, insbesondere der borromäischen Knoten.51 „Die Knoten in ihrer
Kompliziertheit sind wohl gemacht, um uns relativieren zu lassen die vorgeblichen
drei Dimensionen des Raumes, allein gegründet auf die Übersetzung, die wir machen
von unserem Körper in ein Festvolumen.“52
Enfilade53
Ähnlich wie bei den Knoten sind die Endprodukte einer fädelnden Tätigkeit
keineswegs eindimensional, sondern dreidimensionale Objekte, häufig Ketten. Das
Lineare des Fädelns liegt in seiner Tätigkeit begründet: Ein Objekt, das als solches
wahrgenommen wird, muß durchstochen und anschließend aufgereiht werden.
Hierdurch wird eine bestimmte Form der Reihung, der Wiederholung, die nur ein
Nacheinander zuläßt, produziert.
Leroi-Gourhan beschreibt als erste Zeugnisse menschlichen Interesses an unge-
wöhnlichen Formen die Sammlungen von Muscheln und Fossilien im Moustérien.54
                                                 
50
 Die Publikation, die mittlerweile vorliegt, enthält auch Historisches zur Krawatte und ihren Knoten.
Abbildungen und Beschreibungen der 85 Krawattenknoten ermöglichen einen praktischen Nachvollzug,
die mathematischen Anteile sind auf einen tabellarischen Überblick reduziert. Fink/Mao (2000)
51
 s. hierzu auch: Daedalus (1990): S. 275–305
52
 Lacan (1991): S. 144
53
 Der französische Begriff der Enfilade bezeichnet den Vorgang des Auffädelns im weitesten Sinne:
eine Folge von Räumen läßt sich gleichsam in einer Flucht auffädeln.
70
Muscheln und Schneckengehäuse dienten als Schmuck. Sie wurden unter anderem zu
Ketten aufgefädelt. Über ihre genaue Bedeutung, ob kultisch, religiös, symbolisch
verwendet, läßt sich heute keine definitive Aussage machen.55
Das Fädeln verbindet eine Reihe verschiedener Handlungen zu einer Geste. Das
Erkennen bestimmter Formen und die Fähigkeit der Abstraktion (das Entdecken und
Isolieren von Ähnlichkeiten) sind die Grundlage des Sammelns.56 Eine Möglichkeit,
diese gesammelten Gegenstände zu fixieren, ist das Auffädeln. Der hierfür
notwendige Faden bestimmt die lineare Form und erfordert das Festlegen einer
Reihenfolge. Die Geste des Fädelns ist also eine Reihende, eine Ordnende. Die
Objekte des Fädelns sind vielfältig: Perlen, Hülsenfrüchte, Federn, Muscheln, Zähne,
Knochen, Steine und Klauen sowie Artefakte verschiedenster Art. Viele der in der
Natur vorkommenden Sammelobjekte fallen durch ihre Musterung auf. Das Muster
wird hier als Attraktor der Wahrnehmung und als Selektionsmoment wirksam. Diese
Funktion des Musters sowie die Mustergenerierung von natürlichen Objekten wird im
Kapitel ‘Die kognitive Dimension des Musters’ besprochen.
Die Möglichkeiten der Mustererzeugung beim Fädeln sollen im folgenden nur bei-
spielhaft und jeweils in Verbindung mit ihrer Funktion benannt werden.
Die Beschaffenheit des Objektes, seine Größe, Farbe und Form bilden die Parameter
für die Musterbildung, die hier jedoch nicht klassifiziert werden sollen.
Das Auffädeln von Früchten, um sie zum Trocknen aufzuhängen, unterliegt häufig
rhythmischen Ordnungen, die das Produkt ästhetisieren. Das Anordnen in Einheiten
beim Fädeln kann zudem als Zählhilfe dienen (epistemologischer Gebrauch). Der
Mathematiker Keith Devlin beschreibt das Lochen markierter Formen und das
anschließende Auffädeln auf eine Schnur als einen Schritt in der Entwicklung des
abstrakten Zahlenbegriffes.57 Der Abakus stellt die wohl augenfälligste Funktionali-
sierung des Fädelns dar. Das Auffädeln besonders schöner respektive seltener und
wertvoller Objekte dient dem Schmücken einer Person oder eines Ortes und wird
meist als Mittel der Distinktion eingesetzt oder als eine Art Währung dem Tausch
zugeführt.
Im rituell-symbolischen, religiösen oder spirituellen Bereich spielen Perlenschnüre
häufig eine Rolle: Der Rosenkranz, eine Gebetsschnur mit großen und kleinen Perlen,
dient der volkstümlichen Gebetsreihung, im Buddhismus werden Malas,
Gebetsketten, als Hilfsmittel zum Einprägen der Mantras benutzt, die Schamanen
verwenden Perlenketten zur Beschwörung.
Eine weitere Funktion aufgefädelter Objekte ist die der Kommunikation. Diese Form
der Mitteilung beruht auf Konventionen. Die Biologen Wickler und Seibt bezeichnen
die von ihnen untersuchten Perlenschmuckstücke verschiedener afrikanischer
Stämme als „schriftlose Kommunikation“.58 Die Codierung der Botschaften erfolgt
                                                                                                                                      
54
 Leroi-Gourhan (1981): S. 79
55
 Leroi-Gourhan (1981): S. 83
56
 Die Grundthese in Manfred Sommers ‘philosophischem Versuch’ über das Sammeln besagt, daß der
Mensch immer noch und wesenhaft ein Sammler sei. Sommer (1999)
57
 Devlin (1998): S. 14
58
 Wickler/Seibt (1998): S. 183
71
über eine Art Farbensyntax. Die Farben der Perlen stehen weder für einzelne
Buchstaben noch für ganze Begriffe, sind also weder als Alphabetschrift noch als
ideographisches Notationssystem zu verstehen. Bedeutungsträger sind die Farben
selber, ihre Anordnung und Häufigkeit innerhalb der Sequenzen.59
Das Wort ‘Kette’, ein häufiges Endprodukt des Fädelns, wird im Sinne von einer
‘zusammenhängenden Folge’ für die logische Abfolge, für die Ordnung der Dinge
oder der Ideen verwendet.60 Die ‘Kette der Wesen’ sei lange Zeit eine der
berühmtesten Formeln der westlichen Philosophie gewesen, ein Grundgedanke, der
auf der Annahme einer durchgängigen Vernünftigkeit der Welt beruhe.61 Dies läßt
den Schluß zu, daß der praktische Nachvollzug, die kulturelle Praxis der textilen
Produktion, wesentliche Grundgedanken des Menschen bestimmt.
Der Faden in Metaphern und Mythen
Die lineare Form des Fadens läßt verhältnismäßig wenig Raum für Mustererzeugung.
Vielleicht ist es aber gerade diese Reduktion, die den Faden mit seiner linearen Nähe
zur Schrift noch am ehesten als heute lesbare Schrift erkennen läßt. Das Fädeln
gleicht der Schrift jedoch nur gestisch, in dem Nacheinander der Einzelelemente.
Diese Ähnlichkeit hatte schon viele Folgen, sei es rein begrifflicher oder gedanklicher
Natur.
Die Betrachtung des textilen Fadens hat gezeigt, daß seine Eindimensionalität eine
konstruierte ist, die jedoch trotz allem etymologisch verankert ist. „Linie – [...] Das
Substantiv beruht auf Entlehnung aus lat. linea ‘Leine, Schnur, Faden [...]’, das sich
mit einer ursprünglichen Bedeutung ‘leinene Schnur’ als substantiviertes Adjektiv zu
lat. linum ‘Lein, Flachs, Faden, Schnur’ stellt.“62 Die topologische Dimension von
Linien – Geraden oder Kurven – ist ‘1’.
Der abstrakte Charakter der Linie als geometrisches Gebilde bedingt die Unver-
änderlichkeit dieser Aussage. Der Transfer dieser abstrakten Qualität und der be-
schriebenen möglichen ‘Handlungen’ mit Fäden können als Ausgangspunkt zahl-
reicher Mythen und Metaphern angesehen werden. Die folgende Reflexion be-
schäftigt sich mit der Verwendung textiler Metaphern, nicht mit ihrer Benennung und
Beschreibung. Sie dient der Abgrenzung des textilen Modells gegenüber einem
philologisch-etymologischen Gebrauch des Textilen. Die Sprache kann im Rahmen
des textilen Modells hinweisenden Charakter, beispielsweise auf die Verbreitung und
Allgegenwart des Textilen geben, kann Denkanstoß, aber nicht Beweis sein.
Einige Beispiele sollen den Umgang mit textilen Metaphern und Begriffen de-
monstrieren. Hiermit sollen den Autoren nicht fehlerhafter Umgang mit Metaphern
und daraus resultierende falsche Schlüsse nachgewiesen, sondern die Folgen eines
solchen Umgangs für das Textile gezeigt werden.
                                                 
59
 Wickler/Seibt (1998): S. 171, 178. Die Autoren geben verschiedene Beispiele und erläutern die
statistischen Auswertungen ihrer Untersuchungen.
60
 Auch Derrida (1983) verwendet den Begriff der Kette und differenziert zwischen graphischer und
lautlicher. (S. 115)
61
 Lovejoy (1985): S. 7, 393f
62
 Duden (1963): s.v. ‘Linie’. Vgl. Pfeifer (1989): s.v. ‘Linie’
72
Vilém Flusser verwendet zahlreiche textile Metaphern, um den Prozeß und die Geste
des Schreibens zu verdeutlichen: „...die konkrete Geste des Fädelns, die wir das
‘Schreiben’ nennen“63, benötige lose Elemente (Buchstaben und Ziffern), einen Faden
(die Sprache) und eine Nadel (die Schrift).64 Über die Geste des Fädelns gelangt er zu
dem Schluß, daß prozessuales Denken sich ohne die alphabetische Schrift nicht hätte
entwickeln können.
„Die vorgeschichtlichen Menschen ließen beim Sprechen ihre innere Stimme laut werden, ohne sie
vorher durch die Kategorien der Schrift laufen zu lassen. Wir würden vielleicht sagen: ohne sie zu
kontrollieren. Schreiben ist Kontrolle des Denkprozesses, dank welcher dieser Prozeß überhaupt
erst zum Prozeß wird. Die Schreibmaschine zeigt, wie das Schreiben das Denken verändert; wie es
unmöglich war, vor der Erfindung der alphabetischen Schrift prozessual zu denken: Es fehlte
damals zum Fädeln die Nadel.“65
Die Ausführungen zum Fädeln, zur Enfilade, haben gezeigt, daß das Fädeln auch
ohne eine Nadel möglich ist. Dies ist zugegebenermaßen etwas umständlicher und
zeitintensiver, aber möglich. Berücksichtigt man diese Möglichkeit, erscheint
Flussers Verbindung von Schrift (Nadel) und Denken weniger zwingend. Die An-
schaulichkeit des Textilen, die Flusser nutzen möchte, wird zum Mittel der De-
montage, richtet sich gegen das Gesagte.
Jacques Derrida möchte in seiner Schrift zur Differenz die Bedeutung desjenigen, das
weder ein Wort noch ein Begriff ist (nämlich die différence/différance), zu einem
Bündel zusammenfassen. Er legt explizit Wert auf dieses Wort, da es das geeigneteste
zu sein schien,
„um zu verdeutlichen, daß die vorgeschlagene Zusammenfassung den Charakter eines Ein-
flechtens, eines Webens, eines Bindens hat, welches die unterschiedlichen Fäden und die unter-
schiedlichen Linien des Sinns – oder die Kraftlinien – wieder auseinanderlaufen läßt, als sei sie
bereit, andere hineinzuknüpfen.“66
Derrida wählt den Begriff des Bündelns, um das Zusammenfassen zu illustrieren. Um
diese Illustration quasi zu kolorieren werden, wahllos textile Techniken dem Bündel
einverleibt. Das Zusammenführende des Bindens, des Bündels wird konterkariert
durch das Vielfältige des Textilen: Das Flechten, das Knüpfen, das Weben sind sehr
unterschiedliche textile Techniken.
Michel Serres sucht sehr konkret im Textilen ein neues Erkenntnismodell und findet
es im Gewebe.67 In seinen Ausführungen werden jedoch alle nur irgendwie textil
anmutenden Begriffe wahllos (Hüllen und Schleier; Kabel, Schnüre, Drähte und
Wollfäden; Maschen, Volants, Fransen und Fältelungen)68 zu einer Philosophie
vermengt und vermischt (so der deutsche Untertitel: Eine Philosophie der Gemenge
und Gemische).
Die genannten Texte Flussers, Derridas und Serres’ verweisen beispielhaft auf einen
Umgang mit dem Textilen, der durch Beliebigkeit gekennzeichnet ist. Mittels des
textilen Modells und der technomorphologischen Analysen zeige ich eine andere
Nutzung des Textilen, die von den Techniken und dem handelnden Menschen
ausgeht und nicht Bilder des Schleiers, des Bündels und des Fadens vermischt.
                                                 
63
 Flusser (1993): S. 28
64
 Flusser (1993): S. 28, 30, 34
65
 Flusser (1993): S. 33
66
 Derrida (1990): S. 77
67
 Serres (1993): S. 104, 106
68
 Serres (1993): S. 105
73
Hiermit soll jedoch nicht die weibliche Prägung, die gewöhnlich zur Marginalisierung
des Textilen führt, durch eine männlich-technische ersetzt werden. Das Textile kann
Ausdrucksmittel emotionaler und sinnlicher sowie wissenschaftlicher und
erkenntnistheoretischer Art jenseits geschlechterspezifischer Zuordnungen sein.
Die Mythen zahlreicher Ethnien und Religionen entspringen häufig den Tätigkeiten
der Textilproduktion. Die Mythologien, die symbolische und metaphorische
Verwendung textiler Herstellungsverfahren und Produkte werden von Elisabeth
Barber ausführlich dargestellt.69 Sie schreibt, die textilen Techniken der Frauen
dienten vielen Mythen zur Analogiebildung.70 Als Beispiel benennt sie das Schicksal,
das wie ein Faden von den Schicksalsgöttinnen – Moiren, Nornen, Parzen –
gesponnen würde. Die Linearität der Zeit und des Fadens machen ihre
Produzentinnen zu den Herrscherinnen über das Leben, über die Lebens-Spanne.71
Neben den Mythen, die das Spinnen von Fäden thematisieren, erwähnt Barber die
zahlreichen Mythen, die das Weben in den Vordergrund stellen. Darüber hinaus
benennt sie keine weiteren textilen Techniken, woraus zu schließen ist, daß die
meisten Mythen sich mit dem Spinnen und Weben beschäftigen. Die Dominanz der
Weberei wird noch öfter zu konstatieren sein. Die von Barber untersuchten Mythen
entspringen dem europäischen Raum, ein Vergleich mit außereuropäischen
Mythologien müßte zeigen, inwieweit andere textile Techniken in Mythen verarbeitet
wurden.
Barber schreibt, das Weben sei eine Metapher für den menschlichen Erfindungs-
reichtum. Im Gegensatz zum gesponnenen Faden, dessen Länge vom Schicksal (und
seinen Göttinnen) abhängig sei, symbolisiere der Akt des Webens die Ent-
scheidungsfreiheit des einzelnen Menschen. In dieser Weise werden textile Analogien
bis heute in der Literatur verwendet.
Die folgenden Beispiele aus der Literatur können dies belegen und verweisen darüber
hinaus auf die zentralen Themen des Musters und der Dimension.
Der erste Band von Dieter Fortes Romantrilogie trägt den Titel ‘Das Muster’. Er
erzählt die Geschichte zweier europäischer Familien, die er bis ins 14. Jahrhundert
zurückverfolgt und deren Wege sich im 20. Jahrhundert in Düsseldorf kreuzen. Der
Titel ‘Das Muster’ bezieht sich auf ein Bild, das Forte entwirft:
„Jean Paul, der sich im Alter immer mehr ins Schweigen zurückzog, in Gedanken stundenlang
neben einem Webstuhl stehen konnte, auf die anscheinend langsam aber stetig, und damit doch
schnell ablaufenden Kettfäden starrte, sie mit der vergehenden Zeit, dem vergehenden Leben
verglich; schon das Einziehen der einzelnen Kettfäden in die Litzen als schicksalhafte Bestimmung
des Lebensweges ansah; und den Schußfaden, den das Weberschiffchen rastlos in die Kette einzog,
als den Teil des Lebens, der das Vorgegebene in eine mehr oder weniger phantasievolle Variation
verwandelte, die das Wirken des Menschen, seiner Handlungen und Taten in einem Muster
festhielt, das dem ablaufenden Leben Sinn und Richtung und Halt gab, eben das ausmachte, was
man als ein menschliches Leben bezeichnen durfte, als persönliches Schicksal, das
unverwechselbar sein eigenes Muster hatte.“72
                                                 
69
 Barber (1994) widmet den Mythen ein ganzes Kapitel (10.). Siehe zu dieser Thematik auch: Martens
(1991). Lexika der Mythologie und der symbolischen Formen geben weitere Hinweise.
70
 Barber (1994): S. 235
71
 Barber (1994): S. 235f, 238. Barber stellt den Zusammenhang zwischen ‘span’ und ‘to spin’ her, die
sich im Deutschen gleichermaßen erstellen läßt zwischen ‘spinnen’ und der ‘Spanne’ als etwas
Gezogenes, Gespanntes.
72
 Forte (1992): S. 38
74
Der Kettfaden, dessen Lage und Länge fixiert ist, steht – ganz im Sinne der Mythen –
für das Schicksal, für genetische und soziale Determinanten. Der Schußfaden – hier
differenziert Forte die Analogie – markiert das Individuelle im zeitlichen,
historischen Ablauf. Das Wirken des Menschen erscheint als ein chaotisches und
mehrdimensionales, das in einem Muster festgehalten wird: Das Webmuster
linearisiert das Leben, ordnet es. Das Musterbuch wird zu einer Familienchronik: Es
begleitet die Seidenweberfamilie von Italien bis nach Düsseldorf. Forte strapaziert
diese Bilder des Lebens als Gewebe nicht, beschreibt sie jedoch mit einer Nähe, die
die Wahl des Titels sinnvoll erscheinen läßt.
Ob als Musterbuch oder als Kleidung, die Barber als ‘notebook’ bezeichnet, ist die
Interpretation die eines zu lesenden, historischen Dokumentes. Diese Analogie-
bildung bezieht sich auf die beschriebene etymologische Nähe von Text und textil:
Das Textile muß gelesen werden. In dieser Weise verdeckt das Dokumentarische das
zu Interpretierende. Viele Autoren und Interpreten analysieren die postulierte
Textgeste des Textilen, das Medium, aber nicht das Textile selbst.
Robert Musils Roman ‘Der Mann ohne Eigenschaften’ thematisiert die geistige
Verfassung Österreichs zu Beginn des 1. Weltkrieges. Erzählt wird die Geschichte
des Sekretärs Ulrich, der mit der Planung der ‘Parallelaktion’ des Jahres 1918 betraut
ist. Die Erzählweise ist eine unerzählerische, nur die Person Ulrichs hält den Roman
zusammen. Weder der Erzähler noch der Protagonist Ulrich sind in der Lage, ein
Nacheinander kausaler Zusammenhänge herzustellen. Musil führt eine weitere Ebene
ein und läßt Ulrich genau hierüber nachdenken:
„Und als einer jener scheinbar abseitigen und abstrakten Gedanken, die in seinem Leben oft so
unmittelbare Bedeutung gewannen, fiel ihm ein, daß das Gesetz dieses Lebens, nach dem man
sich, überlastet und von Einfalt träumend, sehnt, kein anderes sei als das der erzählerischen
Ordnung! Jener einfachen Ordnung, die darin besteht, daß man sagen kann: ‘Als das geschehen
war, hat sich jenes ereignet!’ Es ist die einfache Reihenfolge, die Abbildung der überwältigenden
Mannigfaltigkeiten des Lebens in einer eindimensionalen, wie ein Mathematiker sagen würde, was
uns beruhigt; die Aufreihung alles dessen, was in Raum und Zeit geschehen ist, auf einen Faden,
eben jenen berühmten ‘Faden der Erzählung’, aus dem nun also auch der Lebensfaden besteht. [...]
Die meisten Menschen sind im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler. Sie lieben nicht die Lyrik,
oder nur für Augenblicke, und wenn in den Faden des Lebens auch ein wenig ‘weil’ und ‘damit’
hineingeknüpft wird, so verabscheuen sie doch alle Besinnung, die darüber hinausgreift: sie lieben
das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, weil es einer Notwendigkeit gleichsieht, und fühlen
sich durch den Eindruck, daß ihr Leben einen ‘Lauf’ habe, irgendwie im Chaos geborgen. Und
Ulrich bemerkte nun, daß ihm dieses primitive Epische abhanden gekommen sei, woran das
private Leben noch festhält, obgleich öffentlich alles schon unerzählerisch geworden ist und nicht
einem ‘Faden’ mehr folgt, sondern sich in einer unendlich verwobenen Fläche ausbreitet.“73
Musil greift neben dem mythologischen Aspekt der Länge des Lebensfadens auch
seine Beschaffenheit auf: die Linearität, die das Nacheinander bedingt und die
Mannigfaltigkeiten bändigt. Schon die Lyrik berge im Gegensatz zur Erzählung die
Gefahren eines unvorhersehbaren ‘Hineinknüpfens’. Musil stellt dem Epischen das
Unerzählerische und analog hierzu den Faden und die Fläche gegenüber. Die Auf-
reihung, das Eindimensionale erscheinen als Erzeuger der Ordnung, die zumindest
das Private organisieren sollte. Die Öffentlichkeit beschreibt Musil als eine bereits
unerzählerisch und chaotisch gewordene. Die Fragmentarisierung der Welt als Ver-
lust des Epischen wird hier mit dem Bild des Gewebes als Höherdimensionales
                                                 
73
 Musil (1960): S. 650
75
verschränkt. Die Hinzunahme einer Dimension und der damit verbundenen Frei-
heitsgrade eröffnet Ulrich also schon den Weg ins Chaos.
Die Ausmaße dieses ‘Unendlichen’ und ‘Chaotischen’ auszuloten, wird Aufgabe des
Kapitels 2-d sein. In bezug auf die textile Eindimensionalität läßt sich konstatieren,
daß sie eine konstruierte ist und nur als Abstraktes in Metaphern und Mythologien,
also geschrieben oder gesprochen, vorkommt.
1,5-d Textile Fraktalität
Die Herstellung eines besonders dicken Fadens kann durch verschiedene Techniken
erreicht werden. Je nach Technik kann man von einer Fläche, die zu einer Röhre
geschlossen wird oder von einer ‘Säule’, also einem Dreidimensionalen sprechen.
Kordeln, Seile, Schnüre, Zwirne und Taue bezeichne ich deshalb als Fraktale. Die
Techniken zu ihrer Herstellung sind u.a. Häkeln, Stricken, Flechten und
Verzwirnen.74
Ein Beispiel für eine Kordel, die durch das verwendete Material und die ausgeführte
Technik symbolisch aufgeladen wurde, findet sich an einem Muschelmesser der
Kanak (Neukaledonien). Die Kordel wurde aus rotem Flughundhaar in einer kom-
plexen, mehrstufigen Flechttechnik hergestellt: „Zuerst werden 10 Schnüre aus je drei
Elementen gezöpfelt und durch die in die Muschelschale gebohrte Öffnung gezogen.
Dann werden diese 10 Schnüre in einem zweiten Arbeitsgang in einer 2 über 2
Bindung zu einem dichten Vierkantzopf verflochten.“75 Kordeln dieser Art werden
zur Befestigung des Muschelmessers am Faserschurz verwendet oder zeichnen die
Paradebeile der Oberhäuptlinge aus.76
2-d Textile Zweidimensionalität
Der Stoff, als textiles Medium par excellence, wird gemeinhin als Fläche wahr-
genommen und als solche bezeichnet. Das Muster wird im allgemeinen, wie ein-
leitend beschrieben, gleichermaßen als ein Zweidimensionales, bzw. als ein
Flächenschmückendes, definiert. Die folgende Darstellung verfolgt eine andere
Wahrnehmung, die sich zunächst in einer Gliederung in zwei Abschnitte nieder-
schlägt. Der erste Abschnitt untersucht verschiedene sogenannte textile Stoff-
bildungstechniken in Hinblick auf die flächengenerierende Wirkung des Musters. Der
zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den textilen Techniken, die dazu dienen, textile
Flächen zu ‘verzieren’, mit Mustern zu versehen.
Die sich aus der Verwendung unterschiedlichster Fäden und Fasern ergebenden
Musterungsmöglichkeiten werden in die Betrachtungen nicht systematisch aufge-
nommen, da sie von den konstituierenden Mustern zu trennen sind. Ihre Erwähnung
hat exemplarischen oder illustrativen Charakter.
                                                 
74
 Seiler-Baldinger (1991): S. 9
75
 Textil (2000): S. 52
76
 Textil (2000): S. 52. Dort befindet sich auch eine Abbildung.
76
Flächenerzeugende textile Muster
Um eine textile Fläche zu erzeugen, können verschiedene Ausgangsmaterialien
verwendet werden: Fasern, Fäden (endlich/endlos) oder Flächen.77 Die Verbindung
dieser Einzelelemente zu der gewünschten Fläche bezeichnet die Bindung. Der
wiederholte (Rapport/Repetition) Vorgang des Bindens (eine aktive Handlung mit
einer Bewegungsrichtung und Rhythmus) schafft eine ausgedehnte Fläche. Das
Muster als Wiederholungsvorschrift generiert diese Fläche, ihr spezifisches Aus-
sehen. In dieser Betrachtungsweise liegt eine Umkehrung: Das Muster ist nicht mehr
Akzidenz, schmückende Zugabe einer textilen Fläche, sondern Substanz.
Das Muster erzeugt eine je zu beschreibende Kerbung, eine Markierung und Kenn-
zeichnung des Raumes im Sinne Deleuze/Guattaris.
Die Betrachtungen folgen einer Einteilung, die sich an der bereits zitierten Systematik
von Seiler-Baldinger orientiert, in Flächenerzeugung mit einem Faden oder mit
Fadensystemen (Maschenstoffe und Geflechte) und Flächenerzeugung mit einem
fixierten Fadensystem (Kettenstoffverfahren und Gewebe).
Maschenstoffe
Mit Hilfe sogenannter Maschenstoffbildungstechniken kann eine Fläche mit
(theoretisch) nur einem einzigen fortlaufenden Faden gebildet werden. Dieser Faden
kann von endlicher oder endloser Länge sein. Die Verbindung der Fadenabschnitte
wird durch ihre Verkreuzung erzielt.
Das altgermanische Wort ‘Masche’ bedeutet eigentlich ‘Knüpfung, Knoten’.78 Die
weitere sprachgeschichtliche Verfolgung dieser Wortgruppen führt nicht zu einer
eindeutigen Definition, da weitere Wörter wie ‘Schleife, Schlinge’ oder auch
‘stricken, winden, flechten’ hinzutreten.79 Diesen Wörtern gemein ist die Be-
schäftigung mit textilen Fäden, d.h. Materialität und Handlung stellen das ver-
bindende Moment her.
Die Masche kann als das Bindungselement einfädiger Stoffe bezeichnet werden.
Gemäß ihrer Definition entspricht die Masche dem Rapport, also der kleinsten zu
wiederholenden Einheit: „Die Masche beinhaltet den Fadenverlauf bis zu seiner
Wiederholung in einer Tour oder Reihe bzw. bis zu seiner Deckungsgleichheit unter
Berücksichtigung des Verhältnisses zu den benachbarten Touren oder Reihen.“80 Das
Arbeiten in Touren oder Reihen bestimmt die Bewegungsrichtung: die lineare Reihe,
an deren Ende jeweils umgekehrt wird, und die Tour, die zirkulär oder spiralförmig
gearbeitet werden kann.
Bei der „Maschenstoffbildung mit fortlaufendem Faden von begrenzter Länge“
unterscheidet Seiler-Baldinger das Einhängen, Verschlingen und Verknoten.81 Zur
Maschenbildung wird hierbei mit dem Fadenende gearbeitet. Die Verfahren des
Verschlingens und Einhängens weisen eine begrenzte Anzahl von Variations-
                                                 
77
 Seiler-Baldinger (1991) beschränkt ihre Systematik auf textile Produkte, die aus Fäden oder
Fadengruppen hergestellt werden. Eine grundsätzliche Unterscheidung wird zwischen primären
(Maschenstoffen und Geflechte) und höheren (Gewebe) Stoffbildungstechniken getroffen. S. 11
78
 Pfeifer (1989), Kluge (1995), Duden (1963): s.v. ‘Masche’
79
 Pfeifer (1989), Kluge (1995), Duden (1963): s.v. ‘Knoten’, ‘knüpfen’, ‘Schlinge’
80
 Seiler-Baldinger (1991): S. 13
81
 Seiler-Baldinger (1991): S. 13
77
möglichkeiten auf, die von der Anzahl der Fadenverkreuzungen abhängig ist.
Analysen von Seiler-Baldinger ergeben, daß die symmetrische Form der Faden-
führung (eine zur Scheitelachse der Masche spiegelbildliche Fadenführung) bevor-
zugt wird.82 Mit Hilfe eines Schiffchens bzw. einer Nadel werden durch Kombina-
tionen von Verschlingen und Verknoten Spitzen hergestellt, die nach diesen Hilfs-
geräten benannt werden.83 Die Techniken der Maschenstoffbildung mit „beliebiger
Fadenlänge“, also potentiell endlos, sind das Häkeln und Stricken.84
Diese zweite Gruppe soll exemplarisch etwas genauer untersucht werden.85 Die
systematische Trennung von den anderen Techniken orientiert sich an der Fadenlänge
und der daraus resultierenden Verarbeitungsweise. Außer für die einfachste Form
dieser Techniken, die Luftmasche, benötigt man Nadeln als Hilfsmittel. Aus diesem
Grund zählt Seiler-Baldinger das Häkeln und Stricken zu den hochstehenden
primären Techniken.86 Der Gebrauch von Geräten indiziert gemäß Seiler-Baldinger
die Stufe der technischen Entwicklung. Die potentielle Unendlichkeit des Fadens und
somit des zu arbeitenden textilen Werkes als Charakteristisches des Häkelns und
Strickens kann dem zur Seite gestellt werden. Die Erfahrung von Endlichkeit und
Unendlichkeit läßt sich anhand beider Techniken unmittelbar zeigen. Diese Erfahrung
ist als epistemologische Funktion textiler Praxis zu benennen. Während des Strick-
oder Häkelvorgangs, also dem Arbeiten mit einem unendlichen Faden, der als
Fadenschlinge nicht ganz nachgezogen wird, ist der Vorgang jederzeit reversibel. Erst
mit dem Abschneiden des Fadens und dem vollständigen Durchziehen durch die
letzte Masche wird die Arbeit beendet.
Neben dieser Erfahrung vermitteln beide Techniken verschiedene Ebenen des
Raumerlebens. Die Nadel bewegt sich permanent von der Vorder- zur Rückseite der
Arbeit. Das Wenden der Arbeit am Ende einer Reihe verstärkt dieses Bewußtsein
einer Vorder- und Rückseite und somit eines Räumlichen. Beim Stricken werden die
Maschen nach diesem Erscheinungsbild als rechte und linke Maschen benannt. Die
Konnotation von rechts/Außen = Sichtseite/gut und links/Innen = nicht
Sichtbares/schlecht wird hier offenbar. Auf diese Zusammenhänge wird
zurückzukommen sein.
Das Wenden der Arbeit wäre nicht notwendig, wenn beide Hände im Wechsel die
Nadel führen würden. Diese Arbeitsweise ist jedoch nicht üblich, d.h. die Chiralität
                                                 
82
 Seiler-Baldinger (1971): S. 125
83
 Schiffchenarbeiten werden auch als Occhi oder Frivolitäten bezeichnet, Nadelspitzen werden meist
nach ihrem Herstellungsort – Point de Venise, Smyrna-Spitze usw. – benannt. Seiler-Baldinger (1991):
S. 30f
84
 Seiler-Baldinger (1991): S. 31
85
 Seiler-Baldinger (1971) zitiert die Definitionen Bühler-Oppenheims, die hier auch wiedergegeben
werden sollen: „Beim Häkeln werden die Maschen in der Weise gebildet, daß man durch eine oder
mehrere vorgeformte Schlaufen das nächstliegende Fadenstück durchzieht. Man kann dabei waagrecht,
d.h. hin und her, in Schraubenlinie und spiralig (in der Fläche) arbeiten. Die Stoffbildung erfogt stets
von rechts nach links.“ (S. 84) Dieser letzte Satz zeugt von der Dominanz der Rechtshändigkeit: Ein
Häkeln mit der linken Hand und dem damit verbundenen Richtungswechsel ist genauso möglich. „Auch
hier werden die Maschen horizontal aneinander gereiht, dabei zieht man aber das zunächstliegende
Fadenstück durch die senkrecht unter der neu zu bildendenden Masche liegende alte Masche der
vorhergehenden Reihe herauf. Im fertigen Stoff sind deshalb die Maschen auch in senkrechten Reihen
verbunden. Man kann nur waagrecht hin und her oder rundherum stricken, aber nicht in Spiralen.“ (S.
90)
86
 Seiler-Baldinger (1991): S. 31
78
des Arbeiters bestimmt die Arbeitsrichtung, die dementsprechend überwiegend
linksgerichtet ist. Die Arbeitsrichtung bewegt sich beim Stricken in der Horizontalen,
läßt man eine Masche fallen, werden die vertikalen Zusammen-Hänge der Maschen
offensichtlich. Das Häkeln und Stricken in Touren ist gleichermaßen eine
linksdrehende, spiralförmige Raumbewegung, die einen schlauchförmigen Körper
erzeugt.
Weitere elementare Erfahrungen des Raumes und der Bewegung lassen sich anhand
spezifischer Muster (deren Variationsmöglichkeiten praktisch unbegrenzt sind)
machen. Sogenannte Rippenmuster (nach ihrem Aussehen benannt) werden durch das
Stricken von rechten und linken Maschen im Wechsel erzeugt. Das Erscheinungsbild
einer rechten und einer linken Masche, ihre Vorder- und Rückseite können hierdurch
unmittelbar verglichen und ein Zusammenhang hergestellt werden. Der gleichmäßige
Wechsel der Maschenform in dieser Weise erzeugt eine neue Form: Das Strickgut
rollt sich nicht ein, sondern bildet eine plane Fläche, eine gerade Kante. Der
Ausgleich der Kräfte führt hier zu einer sichtbaren Stabilisierung.
Das Zu- und Abnehmen von Maschen an den Kanten des Strickgutes erzeugt eine
diagonal verlaufende Linie. Überträgt man dies auf ein Koordinatensystem, läßt sich
das Verhältnis von der Anzahl abzunehmender Maschen und zu strickender Reihen
berechnen und eine Steigungszahl angeben, im Sinne der Differentialrechnung.
Andere Muster, wie beispielsweise das Zopfstricken, erzeugen eine plastische
Wirkung, also eine räumliche Dimension.
Beide Techniken verfügen über zahlreiche Wahlmöglichkeiten: Die Arbeitsrichtung,
die Bildung der Maschen ist auf der Grundlage einer Vorgabe sehr variabel,
Maschengröße und -dichte können während des Arbeitens ständig verändert werden,
die Größe des Werkstückes ist theoretisch unendlich.
Textile Notationen
Die Vielzahl der Maschenstoffe läßt sich wesentlich schwerer systematisieren als
beispielsweise die Gewebe. Dies zeigt sich in der diffusen Begriffslage und in der
uneinheitlichen Aufzeichnungsform. Die Ethnographie und die Textilindustrie finden
für die Bezeichnungen der Maschenwaren, ihre Bindungsformen und Notationen
keine gemeinsame Basis. Die Textilindustrie, deren Augenmerk auf der maschinellen
Produzierbarkeit liegt, hat interne Standards geschaffen. Dementsprechend werden
Ketten- und Kulierwaren nach Art der Maschenbindung unterschieden. Die
Bindungsbezeichnungen leiten sich von dem Erscheinungsbild der Masche ab: Die
Anordnung der Maschenschenkel und -bogen erzeugt eine rechte und eine linke
Warenseite. Man unterscheidet vier Grundbindungen mit zahlreichen Ableitungen.87
Die Ethnographie hat ihre Bezeichnungen nicht aus einer technischen Praxis abge-
leitet, sondern aus einer künstlich geschaffenen, nicht verbindlichen, Systematik.88
                                                 
87
 Offermann/Tausch-Marton (1978); Uhlmann (1973); Iyer (1991)
88
 Seiler-Baldinger (1991) bemüht sich um vereinheitlichende Bezeichnungen und fügt ihrer Systematik
andere Bezeichnungen hinzu. Bei Begriffsschöpfungen wie „Durchstechendes verhängtes
Verschlingen“ (S. 24) oder „Zweifach eingehängtes verhängtes Sanduhrverschlingen“ (S. 23) nimmt es
nicht Wunder, daß die meisten Techniken unter Sammelbegriffen gefaßt werden.
79
Die Maschenstoffe sind jedoch nicht nur nicht zu benennen, sondern auch nur
unzureichend zu beschreiben.
Die meisten verbalen Beschreibungen bedürfen begleitender technischer oder
stilisierender Zeichnungen. In den meisten Fällen werden die Grundelemente zur
Maschenstoffbildung beschrieben sowie weitere Parameter zur Flächenbildung
benannt. Der eigentliche Vorgang ist zu komplex, um ihn in Worte zu fassen.89 Um
auch die Handlung, die Bewegung zu vermitteln, greift man verstärkt auf Ab-
bildungen zurück. Hierfür muß der Bewegungsablauf gegliedert und in Einzel-
bewegungen aufgelöst werden. Diese einzelnen Arbeitsschritte können dann als
Zeichnung oder Fotografie abgebildet werden. Diese Kombination von Bild und Wort
kommt der traditionellen Vermittlung von Techniken (und Handarbeiten) am
nächsten: Das Gezeigte wird gleichzeitig erklärt.90 Es handelt sich hierbei also um
eine Form der Nachahmung und nicht um eine Notation.
Seiler-Baldinger schlägt für die verschiedenen Techniken mathematische Notationen
vor, die den Fadenverlauf nachzeichnen und in Zahlensymbolen wiedergeben. Diese
Art der Notation ist kompliziert und kommt nicht ohne erklärende Abbildungen aus.
Darüber hinaus läßt sie sich nicht gleichermaßen auf alle Maschenstofftechniken
anwenden. Das Verknoten entzieht sich beispielsweise der mathematischen
Beschreibbarkeit, da die mathematische Knotentheorie „von einem in sich
geschlossenen Idealknoten ausgeht, bei dem das für uns so wichtige Verhältnis zur
Nachbartour irrelevant ist“.91 Die vorgeschlagene Notation dient also weniger der
praktischen Anwendung als der Möglichkeit, mathematische Gesetzmäßigkeiten
textiler Techniken festzustellen und daraus ‘theoretische Überlegungen’ abzuleiten.92
Auch die Textilindustrie hat versucht, Maschenwaren mit mathematischen Methoden
zu beschreiben. Diese Ansätze sind jedoch so unzureichend, daß sie in der Praxis
keine Verwendung finden.93 Da aber die Notwendigkeit besteht, die Kon-
struktionsverfahren (die Bindungen und die daraus sich ergebenden Muster)
aufzuzeichnen, bedient man sich der simpelsten Form: der Abbildung. Hierbei
unterscheidet man zwei Darstellungsformen, die eine jeweils andere Perspektive
einnehmen. Die Abbildung des Maschenbildes zeigt die Aufsicht auf einen
Maschenstoff, auf das Endprodukt, ist also sehr anschaulich, aber auch sehr zeit-
aufwendig. Die ‘Darstellung durch eine technische Patrone als Fadenverlauf’ ist die
in der Industrie gebräuchlichste: Die Nadeln der Maschinen werden schematisch
abgebildet und der Verlauf des Fadens Reihe für Reihe nachgezeichnet.94
                                                 
89
 Hofer (1994) beschreibt beispielsweise die Masche: „Sie besteht aus einer Fadenschleife, die durch
andere Maschen oder Fadenschleifen gehalten wird. Sie besteht aus dem Kopf, den beiden Schenkeln
und zwei Füßen.“ (S. 219) Ohne die dazugehörige Skizze könnte man die Masche auch für ein
anthropomorphes rumpfloses Wesen halten, das nicht alleine stehen kann.
Collingwood (1988) ergänzt seine Beschreibungen durch technische Zeichnungen und Fotografien der
mit der jeweiligen Technik hergestellten Objekte.
90
 Die meisten Zeitschriften, die sich mit Handarbeiten beschäftigen, enthalten sogenannte Bilder-Näh-,
Strick- oder Häkelkurse.
91
 Seiler-Baldinger (1991): S. 25
92
 Seiler-Baldinger (1991). Diese theoretischen Überlegungen beziehen sich auf die Möglichkeiten der
Fadenführung, die durch die Art der mathematischen Beschreibung berechenbar sind. Vgl.
exemplarisch: S. 20, 23
93
 vgl. Offermann/Tausch-Marton (1978): S. 13
94
 Iyer (1991): S. 154
80
Geflechte
Beim Flechten werden mindestens zwei Fadensysteme miteinander zu einer ‘Fläche’
verbunden. Das Flechten ist die textile Technik, die am offensichtlichsten zeigt, daß
textile Muster Fäden, Flächen und Körper generieren können, also eine dimensionale
Zuordnung nicht möglich ist.95
Die zahlreichen Arten des Flechtens werden unterschiedlich systematisiert. Seiler-
Baldinger unterscheidet zwischen Flechten mit einem aktiven und einem passiven
System (Halbflechten) und Flechten mit aktiven Systemen (echtes Flechten).96 Die
entscheidende Differenz zu den Maschenstoffen ist das Arbeiten mit Fadensystemen
im Gegensatz zu Arbeiten mit fortlaufendem Faden. Das Ende der Arbeit, und somit
die Größe des Werkstückes, ist determiniert, es bedarf einer Vorausplanung.
Das Halbflechten kennt verschiedene Bindungsformen, die mit denen der
Maschenstoffbildungstechniken identisch sind: Einhängen, Verschlingen und Knoten.
Das echte Flechten erhält seine Bindung durch das Verkreuzen der Fäden. Die
Bindungsformen entsprechen denen der Weberei. Aufgrund dieser strukturellen
Gleichheit von echtem Flechten und Weben werden die beiden Techniken häufig
zusätzlich über das verwendete Material differenziert.97 Bei Seiler-Baldinger gehört
das Weben den höheren stoffbildenden Techniken an, deren Charakteristikum ein
fixiertes Fadensystem (Kette) ist.98 Letztendlich ist hiermit das gleiche technische
Problem gelöst worden: Die temporäre Fixierung der Kettfäden gewährleistet den
statischen Zustand, der beim Flechten durch das Material von vornherein gegeben ist
und bestehen bleibt.
Die verbreiteste Anwendung des Flechtens ist das Matten- und Korbflechten. Das
Produkt der Korbflechterei ist ein dreidimensionales, das Prinzip der Muster-
erzeugung ist jedoch flächig, also zweidimensional, da es von der Bindungsart ab-
hängt. Die Möglichkeiten der Musterung sind gegenüber denen des Webens ein-
geschränkt. Beim Korbflechten entsteht das Muster zusammen mit der Oberfläche des
Korbes und muß zu Beginn festgelegt werden.99 Die Form des Korbes hingegen kann
während des Arbeitsprozesses gestaltet werden. Die Anzahl der Staken, die den
Kettfäden der Weberei entsprechen, ist im Gegensatz zu diesen variabel. Die
hierdurch erzeugten Objekte sind dreidimensional. Auch die Abwicklung ihrer
Oberflächen erzeugt nicht zwangsläufig eine Fläche, wie beispielsweise bei einer
Zylinderform. Dies zeigt sich bei dem Versuch der Notation, die zwar das Muster als
zweidimensionales, als Bindung festhalten kann, die Formgebung jedoch offenlassen
muß. Rossbach schreibt, daß die Notation von Flechtarbeiten unüblich ist und
                                                 
95
 Die Technik des Flechtens eignet sich auch zur Kordelherstellung, also einer Form der
Fadenerzeugung, und zum dreidimensionalen Schlauchflechten, zum Korbflechten. Vgl. Seiler-
Baldinger (1991): S. 49; Textil (2000): S. 52, 48
96
 Seiler-Baldinger (1991): S. 34
97
 Leroi-Gourhan trifft beispielsweise eine materielle Unterscheidung: Das Flechten werde meist mit
starreren Materialien durchgeführt und eher für den Hausbau und Aufbewahrungsgegenstände genutzt,
die Weberei hingegen mit weicheren Materialien für die Bekleidung. Leroi-Gourhan (1971): S. 269.
Das englische Wort ‘basket-weaving’ demonstriert exemplarisch die begrifflichen Differenzen: Im
Deutschen werden Körbe geflochten, im Englischen gewebt.
98
 Seiler-Baldinger (1991): S. 57
99
 Rossbach (1973): S. 91
81
begründet dies mit dem Hinweis auf die ausschließlich handwerkliche Produktion
von Körben. Das Diagramm eines ‘melonenförmigen Korbes’, das er illustrierend
zeigt, erscheint wie eine Grundrißzeichnung eines nicht zu identifizierenden
Objektes, die keinen Hinweis auf die textile Technik gibt.100 Auch hier bedarf die
Notation weiterer Erklärungen, bedarf der traditionellen Vermittlung.
Das Flechten hat zahlreiche Formen ausgebildet, die teilweise zu eigenen Techniken
mit zusätzlichem Gerät weiterentwickelt wurden. Hierzu gehören das Klöppeln mit
allen Ableitungen zur Spitzenherstellung und Makramee.101 Diese komplexen
Techniken, die aus dem Flechten hervorgegangen sind, bedürften umfassenderer
Untersuchungen, die sich u.a. mit den materialisierten Zahlenverhältnissen
beschäftigen müßten. Mit den geometrischen Implikationen102 des Korbflechtens,
seiner mathematische Substanz, beschäftigt sich die Ethnogeometrie, die im
folgenden vorgestellt wird.
Ethnomathematik
Der Mathematiker Paulus Gerdes ist ein Hauptvertreter der ethnomathematischen
Studien, die sich um „die Auflösung des westlich-eurozentrierten Blickes in der
Historiographie der Mathematik“ bemühen.103 Er selbst definiert die Ethno-
mathematik als eine „kulturelle Anthropologie der Mathematik und des Mathe-
matikunterrichts“.104 Als ein Gebiet der Mathematik, dessen Ursprünge wenig er-
forscht sind, ist die Geometrie Gegenstand seiner Untersuchung.
Gerdes vermutet einen Zusammenhang zwischen der Zahlbegriffsentwicklung und
der Sprachentwicklung, die in der Folge zu einer besseren Erforschung dieser Ge-
biete, im Gegensatz zur schwerer zu reflektierenden Geometrie, geführt habe. Um der
Frühgeschichte der Geometrie nachzuspüren, beschäftigt sich Gerdes mit den
mathematischen Leistungen ehemals kolonialer Völker.105 Das Fehlen schriftlicher
Quellen und die Inkompetenz mündlicher Quellen in Hinblick auf die Fragestellung
hat Gerdes zu einer Methode geführt, die den Tätigkeitsaspekt in den Vordergrund
stellt. „Der Untersuchende erlernt zuerst die gebräuchlichen Herstellungstechniken
von traditionellen Arbeitsprodukten [...] und bei jeder Stufe des
Anfertigungsprozesses stellt er sich die Frage, welche Überlegungen geometrischer
Art spielen eine Rolle, um die nächste Stufe zu erreichen.“106 Durch dieses Vorgehen
könne, ‘verborgenes, geronnenes’ geometrisches Denken aufgefunden werden.107 Die
Tätigkeit des Menschen habe zu seiner Fähigkeit geführt, in der Natur und in seinen
eigenen Produkten geometrische Formen zu erkennen.108
                                                 
100
 Rossbach (1973): S. 103f
101
 vgl. Seiler-Baldinger (1991): S. 55, 56
102
 Das Wort ‘flechten’ beruht auf der indogermanischen Wurzel ‘plek’ für ‘flechten und wickeln’. Das
Flechten erscheint demnach als eine Weiterentwicklung des Faltens: Das indogermanische ‘pel’
bedeutet ‘falten’, seine Erweiterung ist das Wort ‘plek’. Das Wortfeld der Falte umfaßt zahlreiche, hier
schon häufig verwendete Begriffe: implizieren, explizieren, komplex, doppelt, einfach, etc.
Vgl. Pfeifer (1989), Duden (1963): s.v. ‘flechten’
103
 Gerdes (1997): Vorwort von Harald Scheid und Erhard Scholz (unpag.)
104
 Gerdes (1997): S. 1
105
 Gerdes (1990): S. 21
106
 Gerdes (1990): S. 271
107
 Gerdes (1990): S. 271
108
 Gerdes (1990): S. 272
82
Gerdes wählt als untersuchungsleitende Tätigkeit die textile Technik des Flechtens.
Die Wahl der Technik begründet Gerdes zum einen mit ihrer lange nachweisbaren
Existenz und zum anderen mit der Vermutung ihrer erkenntnisgenerierenden
Funktion. Die Regelmäßigkeit des Flechtwerks (und der Weberei als spätere Ent-
wicklung aus dem Flechten) habe den Menschen dazu gebracht, „Muster zu unter-
scheiden und sie in der Kunst und später in geometrischen Figuren und mathe-
matischer Analyse anzuwenden.“109 Demzufolge, und dies gilt es besonders zu be-
tonen, erfüllt das Muster für den Menschen elementare Funktionen. Und: Es ist das
textile Muster. Es ist eine textile Technik, die zur Fähigkeit des Menschen führte,
Muster zu erkennen, nachzuahmen und abstrahierend Erkenntnisse zu formulieren.
Gerdes verbindet den Begriff des Flechtens mit dem des Zopfflechtens aus drei
Elementen, sozusagen als ‘Urform’ des Flechtens.110 Diese Technik bilde sich aus
dem Bedürfnis nach stärkeren Fäden bzw. Seilen heraus.
„Das praktische Bedürfnis zwang den arbeitenden Menschen zum Entdeckungsprozeß des Drei-
Streifen-Zopfes. Die Regelmäßigkeit, der geordnete Wechsel von Oben und Unten des fertigen
Zopfes ist das Resultat menschlich kreativer Arbeit und nicht ihre Voraussetzung. Es sind wirk-
liche, praktische Vorteile der aufgefundenen, regulären Form, die zum wachsenden Bewußtsein
dieser Ordnung und Regelmäßigkeit führen und zum Vergleichen mit anderen Arbeitsresultaten
stimulieren.“111
Dieser ‘Wechsel von Oben und Unten’ ist ein Hinweis auf das Flechten als Vorstufe
der Weberei, deren Grundprinzip diese Art der Fadenführung ist. Der Unterschied der
beiden Techniken liegt im Faltungswinkel, der an den Rändern (Webkante) entsteht.
Gerdes zeigt anhand von Abbildungen, auf welche Weise das Flechten den 45° und
den 90° Winkel ‘produziert’.112
Die Herausbildung der Idee des regelmäßigen Sechsecks, das sich in der Natur bei-
spielsweise als Bienenwabe findet, erläutert Gerdes anhand hexagonal geflochtener
Körbe. Zur Randbefestigung eines Korbes wird der Rand mit Streifen umwickelt. Der
maximale Einfallswinkel beträgt 60°, wenn die Streifen und der Rand gleich breit
sind. Werden nun weitere horizontale Streifen eingeflochten, entsteht ein hexagonales
Muster.113
„In einer dialektischen Wechselwirkung zwischen Zielsetzung, Experimentieren und der Natur und
Form des gebrauchten Materials kann [...] ein erster Hexagonbegriff herausgearbeitet worden sein.
Das Gefühl der Ordnung wächst: Um einen festen Korb mit Löchern herzustellen, ist ein
wiederholbares, regelmäßiges Muster erforderlich.“114
Eine weitere Erkenntnis, ein Nebenprodukt dieser Tätigkeit, ist die Existenz von
Symmetrie, derer der Handwerker sich vielleicht nicht bewußt ist, die aber in jedem
Fall den Anfang der Entwicklung des Symmetriebegriffes darstellt.115
Neben der wahrnehmungsorientierten Herleitung des Vorkommens des rechten
Winkels liefert Gerdes eine experimentelle.116 „Ein häufig vorkommendes Problem,
                                                 
109
 Gerdes (1990): S. 36. Gerdes übernimmt diese Hypothese von Bernal (Anm. 23) und nimmt sie als
Ausgangspunkt seiner experimentellen Forschungen. (S. 39)
110
 Gerdes (1990): S. 69
111
 Gerdes (1990): S. 74, 67
112
 Gerdes (1990): S. 76, 77
113
 Bei Gerdes (1990) finden sich Abbildungen hierzu auf den Seiten 58 und 59.
114
 Gerdes (1990): S. 61
115
 Gerdes (1990): S. 55
116
 Gerdes (1990): S. 49. Gerdes zitiert Hauser, der den rechten Winkel als ältesten geometrischen
Begriff bezeichnet, da dieser sich aus der ‘aufrechten Haltung des auf dem Boden stehenden Menschen’
83
z.B. beim Korb- und Mattenflechten, beim Floß- oder Bootsbau, bei Windschirm-
oder Hüttenherstellung, ist, wie man zwei oder mehr parallele Stöcke, Äste oder
Zweige mit Hilfe dünnerer Fäden oder Streifen fest zusammenbinden soll.“117 Die
lotrechte Verbindung der Einzelteile habe sich als die dauerhafteste herausgestellt.
Gerdes wählt hierfür eine andere textile Technik, eine einfache Form des Nähens. Die
einfachste Weise, ein Rohr mit einer Nadel zu durchbohren, sei lotrecht, da hierbei
der Widerstand der geringste sei. Ziehe man den Faden nun an, nehme er automatisch
eine lotrechte Position ein.118 Neben der Weiterentwicklung des Begriffs des rechten
Winkels wird hierdurch auch die Vorstellung der Grundform des Rechtecks gebildet.
Gerdes schreibt, es habe schon im Paläolithikum Nadeln gegeben, die zur Herstellung
von Matten geeignet wären.119
Die Materialität rechteckiger Matten, ihre Flexibilität, birgt die Möglichkeit weiterer
Erkenntnisse: Das Falten einer rechteckigen Matte zeigt ihre zwei Symmetrieachsen.
Versucht man aus einem flächigen Rechteck einen Raum zu erzeugen, erhält man
eine Zylinderform.120 Dieser Zusammhang von Fläche und Raum ist demnach schon
lange bekannt, seine Existenz und Nutzung erscheint deshalb selbstverständlich. Die
textile Herkunft dieser Erkenntnis, die sich in einem Begriff wie der
‘Mantelabwicklung’121 zwar auffinden läßt, jedoch nicht als solche wahrgenommen
wird, ist im Zusammenhang mit den Funktionen des textilen Musters besonders zu
betonen.
Die Untersuchungen von Gerdes, die nur in Auszügen dargestellt werden, zeugen von
der postulierten Kraft des textilen Modells. Sie führen zu der Erkenntnis, daß der
Mensch mittels seiner Arbeitstätigkeit die Fähigkeit, regelmäßige räumliche Formen
zu erkennen, ausgebildet hat.122 Diese Regelmäßigkeit gründet sich auf symmetrische
Eigenschaften und die Existenz wiederholbarer Muster. Gerdes benennt dies nicht
explizit, aber die Tätigkeiten, die er heranzieht, sind mustergenerierende textile
Techniken bzw. ist umgekehrt zu formulieren: Die Muster generieren die Textilien,
und die geometrischen Formen und Eigenschaften zeugen von einem
Ordnungsverständnis.123
Die Strukturelemente des Musters der Symmetrie, der Repetition, der Dimension und
des Rhythmus’ erhalten in bezug auf die textile Technik des Flechtens konkrete
Bedeutung. Gerdes leitet das Symmetrieverständnis als bewußten Vorgang vor allem
von Gefäßformen ab, die Flechttechniken hätten zu einer Art Vorverständnis
geführt.124 Eine textile Technik wie der Sprang (Kettenstoffverfahren) – der bei
Gerdes keine Erwähnung findet – führt jedoch zu Symmetriebildungen, wie sie
                                                                                                                                      
ergebe. Wie bereits erwähnt wurde, bestätigen neuere Forschungen diese Wahrnehmungspräferenz des
Menschen.
117
 Gerdes (1990): S. 45
118
 Gerdes (1990): S. 48f
119
 Gerdes (1990): S. 50
120
 Gerdes (1990): S. 152
121
 Der Begriff des Mantels bezeichnet ein Kleidungsstück, seine lateinische Herkunft ist allgemeiner
gefaßt und bedeutet ‘Hülle, Decke’. (Pfeifer 1989, Duden 1963: s.v. ‘Mantel’) Der Mantel ist also
immer als Textiles verstanden worden, die Geometrie übernimmt die Vorstellung einer umhüllenden
Fläche, die abgewickelt wird.
122
 Gerdes (1990): S. 61
123
 Gerdes (1990): S. 61
124
 Gerdes (1990): S. 131, 55
84
augenfälliger nicht sein könnten. Es ist also festzuhalten, daß der Umgang mit
flexiblem Material in ein-, zwei- und dreidimensionaler Form zu einem grund-
legenden Verständnis von Symmetrie führt. Die Wiederholung der einzelnen
Arbeitsschritte, ob als Rapport erkannt oder nicht, führt zur Erstellung des ge-
wünschten Objektes. Laut Gerdes fördert dieser repetitive Vorgang die Fähigkeit des
Menschen zu vergleichen. Die Feststellung der Kongruenz, beispielsweise der
hexagonalen Löcher eines geflochtenen Korbes, rege zu Vergleichen mit anderen
Formen an und führe so zum Auffinden ähnlicher Formen in der Natur.125
Kettenstoffverfahren
Das Kennzeichen der Kettenstoffverfahren ist die Verwendung einer fixierten Kette.
Hierüber erfolgt die Zuordnung zu den ‘höheren stoffbildenden Techniken’.126 Die
Fixierung der Kette beinhaltet eine Beschränkung der Bewegungsrichtungen und der
Ausmaße des Werkstückes. Die Bindungsarten entsprechen denen der Geflechte, d.h.
die Einträge in die Kette können durch Wickeln, Binden, Knoten und Verkreuzen
gebunden werden.
Eine Besonderheit bildet die Sprangtechnik, da hierbei nur eine aktive Kette zur
Stoffbildung verwendet wird.127 Die beiden Enden dieser Kette werden fixiert. Für die
Musterbildung werden die Fäden durch eine der oben genannten Bindungsarten
gebunden. Hierbei entsteht spiegelverkehrt das gleiche Muster am gegen-
überliegenden Ende der Arbeit. In der Mitte der Arbeit müssen die Bindungen fixiert
werden. Hierdurch entsteht die für den Sprang charakteristische Mittellinie. Sie
entspricht der Spiegelachse und verweist deutlich sichtbar auf die Symmetrie dieser
Technik. Diese Technik, die seit etwa 1400 v. Chr. durch Funde nachweisbar ist,
erbringt also eine Arbeitsersparnis sowie die praktisch nachvollzogene Erkenntnis der
Achsensymmetrie.
Als eine Sonderform des Eintragsflechtens benennt Seiler-Baldinger das Wirken, bei
dem „die Einträge nicht über die ganze Stoffbreite geführt werden, sondern umkeh-
ren.“128 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Textilindustrie den Begriff
des Wirkens vollständig anders verwendet: Wirkwaren sind Maschenwaren, die auf
einer Wirkmaschine hergestellt werden, die sich von einer Strickmaschine dadurch
unterscheidet, daß alle Nadeln gleichzeitig und nicht nacheinander bewegt werden.129
Bildwirken
Gemäß der Definition von Seiler-Baldinger gehört auch das Bildwirken zu den
Kettenstofftechniken, auch wenn die Gobelins und Tapisserien meist aufgrund der
verwendeten Bindung und des Webstuhls der Weberei zugeordnet werden.130 Charak-
teristisch für die Bildwirkerei ist der Schußeintrag auf einer begrenzten Fläche der
                                                 
125
 Gerdes (1990): S. 61
126
 Seiler-Baldinger (1991): S. 57
127
 Collingwood (1974); Seiler-Baldinger (1991): S. 60–65
128
 Collingwood (1974): S. 72
129
 Hofer (1994): S. 218f
130
 vgl. Seiler-Baldinger (1991): S. 72f und Tietzel (1988): S. 254. Rapp Buri/Stucky-Schürer (1990)
schreiben: „Die Wirkerei ist wie die Weberei eine stoffbildende Technik, in der mit buntem Wollgarn
figürliche Darstellungen und Muster in eine gespannte Kette eingetragen werden.“ (S. 28)
85
Gesamtfläche. Die entstehenden benachbarten Farbflächen können durch
Ineinanderhängen des Eintrags miteinander verbunden werden oder durch einen
Schlitz voneinander getrennt bleiben.
Die verschiedenen Verfahren (Zwirnbinden, Kelimtechnik, Sumaktechnik) zur
Stoffbildung unterscheiden sich vom Weben dadurch, daß für die Einführung des
Eintrags kein Fach gebildet werden kann. Für die Bildwirkerei wird eine Ableitung
der Leinwandbindung verwendet, die dem Schußrips der Weberei entspricht. Die
gewählte Bindung konstituiert das Muster und die entstehende Fläche der Bild-
wirkerei.
Barber spricht in bezug auf die Bildwirkerei von ‘nonrepetitious patterns’.131 Dies
trifft für das Motiv zu, das Muster ist jedoch repetitiv. An dieser Bemerkung Barbers
wird deutlich, wie dominant das bildhafte Sehen ist: Das textile Muster wird von der
Farbe überlagert, sie macht es ‘unsichtbar’. Das Muster ist jedoch elementar für die
Bildwirkerei, es ist die Bedingung der Möglichkeit, auf dem Stoff zu ‘malen’. Der
verwendete Schußrips ist eine Bindung, die den Kettfaden vollständig verdeckt, das
heißt es entstehen homogene Farbflächen mit einheitlicher Ausrichtung.132 Es geht
hierbei jedoch nicht darum, die Malerei perfekt zu imitieren, wie es die spätere
Verwendung von ‘Cartons’ von großen Malern nahelegt zu interpretieren. Vielmehr
suchte man nach technischen Möglichkeiten, flächige Bilder textil herzustellen.
Gegenüber der Wandmalerei besitzt die Bildwirkerei viele Vorteile. Der Hauptvorteil
besteht in der Mobilität und Flexibilität des gewirkten Bildes. Aby Warburg, dessen
Interesse der Mobilität von Bildinhalten in Raum und Zeit gilt, bezeichnet die
Teppiche als ‘bewegliche Bildervehikel’, die gleichsam als ‘Ahnen der Druckkunst’
begriffen werden könnten.133 Erst als die Leinwand als Malgrund der Tafelmalerei
sich durchsetzt, wird die Bildwirkerei verdrängt. Die bisherige Teilung zwischen
kleinformatigen Tafelbildern auf Holz und großformatigen als Gewirk wird
zugunsten der Leinwand aufgegeben.134
Diese Veränderung steht in engem Zusammenhang mit den veränderten Lebens-
bedingungen des Adels: Er gibt seinen ‘itinerant life style’135 nach und nach auf und
bewohnt Häuser, die nicht mehr der Verbesserung der Akustik und der Wärme-
isolierung durch Teppichhängungen bedurften. Auch die Kommunikationsmittel
änderten sich: Beispielsweise im Repräsentationssystem des Sonnenkönigs spielte die
Gobelinmanufaktur, die die ‘histoire du roi’ als Wandteppiche herstellte, innerhalb
der gesamten Propagandamaschine mit Medaillen, Almanachen, Festarchitekturen,
Theatern und Balletten eine untergeordnete Rolle.136
Inwieweit die Bildwirkerei dazu beigetragen hat, der Malerei entscheidende Impulse
zu geben, kann an dieser Stelle nicht geprüft werden. Der Zusammenhang von
                                                 
131
 Barber (1994): S. 154
132
 Rapp Buri/Stucky-Schürer (1990) schreiben: „Daraus wird deutlich, daß dem aktiven Schuß Zeich-
nung und Kolorierung des Bildes, der passiven Kette gewebestützende Funktion zukommt.“ (S. 28)
133
 Hofmann/Syamken/Warnke (1980): S. 79, Kap. 4 „Schlagbilder und Bilderfahrzeuge“, S. 75–83
134
 Das großformatige Tafelbild auf Leinwand verdrängt die Tapisserie ab dem 15. Jahrhundert, und im
19. Jahrhundert setzt sich die Leinwand auch bei den kleinformatigen gegenüber dem Holz als
Malgrund durch. Vgl. Brassat (1992) und Jahn (1989): s.v. ‘Tafelmalerei’
135
 Ginsburg (1991): S. 174
136
 Burke (1995): S. 83, 31–35
86
Tafelmalerei auf Leinwand und der Bildwirkerei ist jedoch offensichtlich. Wegen der
hohen Kosten der gewirkten Bilder wurden Surrogate geschaffen: Auf Tuch oder
Leinwand wurden Bilder gemalt, die vortäuschten, Tapisserien zu sein.137 Vorstellbar
sind auch technische Impulse aus der Wirkerei, die beispielsweise Formen der
Schraffur geschaffen sowie sich andere optische Wirkungen für fließende
Farbübergänge zunutze gemacht hat.138
Dieser kleine Exkurs zur Bildwirkerei diente vor allem dem Aufzeigen von Inter-
pretationsmöglichkeiten jenseits der Ikonographie. Die Beschäftigung mit den
spezifisch textilen Funktionen von Tapisserien und mit ihrer technischen Herstellung
im Detail könnte neue Forschungsergebnisse erbringen.
Gewebe
Allen bisher beschriebenen textilen Techniken ist die Form der Repetition gemein-
sam: eine Repetition der Einzelbewegung. Diese Einzelbewegung verschränkt die
Fäden auf eine bestimmte Art: die Bindung, die das Muster vorgibt. Die Technik des
Webens läßt eine Automatisierung zu, die die Form der Wiederholung, die Art der
Bewegung verändert. Die Mechanisierbarkeit des Webens als Hauptgrund für die
Dominanz gegenüber anderen textilen Techniken – bzw. Alleinherrschaft in
wirtschaftlicher Hinsicht – zu nennen, erscheint plausibel. Es gibt jedoch auch
strukturelle Eigenschaften, die die Vorherrschaft des Gewebten erklären.139
Das Verb ‘weben’ beruht auf einer indogermanischen Wurzel, die „weben, flechten
und knüpfen, sich hin und her bewegen, wimmeln“ bedeutet.140 Das Charakteristische
des Webens ist also die Bewegungsform. Es handelt sich um eine lineare Bewegung
in der Fläche (im Gegensatz zur bereits erwähnten Spindel, die eine zirkuläre
Raumbewegung vollzieht), eine Bewegung, die einen definierten Anfangs- und
Endpunkt besitzt. Aus der strengen Linearität zweier Fadensysteme ergibt sich ein
durch Orthogonalität bestimmtes Fadengebilde, eine Fläche. Brigitte Klesse schreibt,
bei der Weberei habe man es mit der reinsten Form der Flächenkunst zu tun. Sie
begründet dies mit der „selbständigen Existenzfähigkeit“ und der Simultaneität der
Entstehung von Grund und Muster.141 Diese Gründe treffen für andere stoffbildende
Techniken gleichermaßen zu, entscheidender scheint auch hier wieder die
Herstellungs-, und damit verbunden, die Bewegungsform zu sein. Der Weber hat sich
qua Technik von der räumlichen Erfahrung des Textilen entfernt. Das
Weberschiffchen bewegt sich hin und her und nicht mehr erfahrbar über und unter
den Kettfäden.
Die Variationen der Weberei – ihre Muster – werden durch das Ausgangsmaterial,
Fäden jeglicher Art, und durch die Wahl der Bindung hervorgerufen. Textilanalysen
des Textilmuseums in Washington weisen einen Zusammenhang von
                                                 
137
 Brassat (1992): S. 37
138
 Das Mischen der Farben auf der Palette wird durch das ‘Mischen im Auge’ ersetzt, indem die
Schußfäden farbig wechseln. Die Techniken des degradé, der hachure und der Parallelschraffur werden
bei Rapp Buri/Stucky-Schürer (1990) beschrieben. (S. 31)
139
 Das französische Wort für Webstuhl ‘le métier’ gibt einen etymologischen Hinweis auf die zentrale
Stellung der Weberei: Es bedeutet auch ‘Handwerk’.
140
 Pfeifer (1989), Duden (1963): s.v. ‘weben’
141
 Klesse (1967): S. 22
87
Materialeigenschaften der Fasern und Fäden und der Entwicklung der einfachen
Bindungsarten nach.142
Die Bindung der Fäden, von Kette und Schuß, erfolgt durch Verkreuzen. Dieses
Verkreuzen gibt dem Gewebe Zusammenhalt und Struktur. Gewebe werden meist
nach Art und Weise der Bindung eingeteilt. Grundsätzlich sind einflächige, doppel-
und mehrflächige Bindungen zu unterscheiden. Zu den einflächigen Bindungen
gehören die Tuch- oder Leinwandbindung, die Köperbindung und die Atlas- oder
Satinbindung. Von diesen drei Grundbindungen können weitere Bindungen durch
Ableitung oder Kombination entwickelt werden. Durch doppel- und mehrflächige
Bindungen werden Doppelgewebe unterschiedlichster Art hergestellt, deren Kenn-
zeichen mehrere Kett- und Schußfadensysteme sind. Bilden diese zusätzlichen Kett-
oder Schußfäden Polschlingen (aufgeschnitten oder nicht aufgeschnitten), spricht man
von Florgeweben. Diese Gewebe weisen meistens einen großen Unterschied
zwischen Vorder- und Rückseite auf und können sich, wenn auch minimal, in den
Raum ausdehnen. Aufgrund dessen werden sie im Kapitel zur textilen Drei-
dimensionalität behandelt.
Der Rapport eines Gewebes markiert den Punkt, an dem sich die Bindeweise in Kett-
und Schußrichtung wiederholt. Ein diagonaler Versatz kann keinen Rapport bilden,
die Möglichkeiten der Musterbildung gegenüber Maschenstoffen oder auch Drucken
sind entsprechend eingeschränkt.
Um ein Gewebemuster reproduzieren zu können, wird seine Bindungsform als
Patrone festgehalten. Eine Patrone ist eine technische Zeichnung, die auf
Kästchenpapier durch Ausfüllen oder Nicht-Ausfüllen der Kästchen die Kett-
hebungen bzw. -senkungen angibt (Die Abbildung 7 zeigt eine Patrone, die in
anderem Zusammenhang besprochen wird). Die schon erwähnte Nähe zum Koor-
dinatensystem wird hier am deutlichsten. Wird für die Musterung jedoch mehr als ein
Kettfaden- und ein Schußfadensystem benötigt, können diese nicht in die Patrone
eingezeichnet werden. Hierfür wird entweder eine zweite Patrone oder ein
Gewebeschnitt (in Kett- oder Schußrichtung) abgebildet, der den Verlauf der Fäden
verdeutlicht. Die Patronenzeichnungen werden durch Bindungskurzzeichen, die durch
eine DIN-Norm (61101) verbindlich festgesetzt sind, ergänzt. Mit Hilfe dieser
numerischen Kurzzeichen wird eine eindeutige Verständlichkeit erzeugt, die die
Grundlage für die Umsetzung in Computerprogramme ist.143
Gewebebindungen
Die einfachste Bindung, die Leinwandbindung, bindet sowohl Schuß- als auch
Kettfaden nach jeder Hebung und Senkung ein, d.h. es wird ein größtmöglicher
Zusammenhalt durch eine maximale Anzahl an Bindungspunkten erzeugt. Diese
Erfahrung maximaler Stabilität läßt sich leicht experimentell erarbeiten. Dasselbe
Prinzip, respektive Muster, wird beim Mauern einer Wand angewendet, der Versatz
der Fugen dient der gleichmäßigen Verteilung der Druckkräfte. Wie ich zeigen
                                                 
142
 Bellinger (1950): Der Seide wird die Dreherbindung, der Baumwolle die Leinwandbindung, der
Wolle die Tapisserie und Leinen oder Seide die Ripsbindung als Ergebnis der Untersuchung
zugeordnet.
143
 Adebahr-Dörel/Völker (1989): S. 107
88
werde, bietet das erkennbare Muster und sein experimenteller Nachvollzug in diesem
Zusammenhang eine Erklärung jenseits von Sempers Bekleidungsprinzip und
anderen Analogieschlüssen.
Semper schreibt, die Architektur habe als ‘Letztgeborene der Künste’ die ‘formellen
Gesetzmäßigkeiten’ der ornamentalen Urkunst übernommen.144
„Wie das Flechtwerk das Ursprüngliche war, so behielt es auch später, als die leichten Matten-
wände in feste Erdziegel-, Backstein- oder Steinquadermauern sich umgestalteten, der Wirklich-
keit oder bloß der Idee nach, die ganze Wichtigkeit ihrer früheren Bedeutung, das eigentliche
Wesen der Wand.“145
Um den textilen Ursprung der Bauteile zu begründen, zieht Semper die „Lautsprache
der Urgeschichte der Künste zur Hülfe“, die in der Lage sei, die „Aechtheit der
Auslegung“ zu bestätigen. „In allen germanischen Sprachen erinnert das Wort Wand,
(mit Gewand von gleicher Wurzel und gleicher Grundbedeutung,) direkt an den alten
Ursprung und den Typus des sichtbaren Raumabschlusses.“146 Abgesehen von der
nationalen und eurozentristischen Sicht Sempers sollte ein Wortfeld etwas genauer
betrachtet werden: Die Wörter ‘Wand’ und ‘Gewand’ verweisen weniger auf ein
allgemeines Bekleidungsprinzip als auf eine technische Grund- und Be-
wegungsform.147 Als verbindendes Moment ist die Technik und die Tätigkeits-
erfahrung zu benennen. Eine bestimmte Art des Verbundes läßt sich für verschiedene
Materialien feststellen. Mauerwerk entsteht zwar sehr viel später als Gewebe, daraus
eine Evolutionsfolge abzuleiten, erscheint trotzdem fragwürdig. Das Prinzip, das sich
an der Leinwandbindung zeigt, kann immer wieder erkannt werden (jedes Kind
erkennt es beispielsweise mit Hilfe von Legosteinen sehr schnell, ohne jemals gewebt
zu haben). Die Verbindung, die sich herstellen läßt, bezieht sich auf das Muster: Es
wird als stabilitätskonstituierend erkannt und reproduziert, als Objekthaftes leitet es
die Wahrnehmung und ermöglicht den Vergleich.
Die Einfachheit (im Wortsinn: die Leinwandbindung benötigt nur ein Fach) der
Bindung und ihr Name haben ihr zu mehr Aufmerksamkeit (auch dies ist relativ)
verholfen als den anderen Gewebebindungen und ihren Ableitungen. Die beiden
folgenden Zitate bilden eine Ausnahme im Umgang mit Gewebebindungen.
„Der Länge nach werden mindestens vier sogenannte Kettfäden ausgebreitet. [...] Zu diesem
elementaren Gespann gesellen sich mindestens vier weitere mobile, Schussfäden genannt, die nun
abwechslungsweise über und unter die Konstante der Kettfäden gezogen werden. Summen und
Singen werden erlaubt. Heben und Senken verhelfen in symmetrischer Sequenz den einzelnen
Fäden zu einer relevanten oder redundanten Position. Wer so weit ist, hat das Syntagma eines
Minimalmusters und dessen einmalig vollständige Wiederholung vor Augen. [...] Köperbindungen
etwa nehmen sich mehrere Kett- und Schussfäden vor, bei denen sich der Ort der Verbindung in
der Diagonale graduell verschiebt. Bei Atlasbindungen verhindern Fortschreiten und Steigung der
Zahl der Fäden das Berühren der Bindungspunkte. Vorstellbar werden am Werk auch vertrackte
Kompositbindungen, die einfache Einzelgewebe als Binnensysteme auffassen, die miteinander
verschränkt werden. Die Endlichkeit des Zaubers und des Reichtums an Varianten werden einzig
von der Wahrscheinlichkeit bestimmt – und von der Haltbarkeit.“148
                                                 
144
 Kroll (1987): S. 48
145
 Semper (1851): S. 57
146
 Semper (1977): S. 229
147
 Das Verb ‘winden’ und seine Kausativform ‘wenden’ beruhen auf der indogermanischen Wurzel mit
der Bedeutung des Drehens und Flechtens. Die Wörter Wand, Gewand und auch das Fach werden
hiervon hergeleitet. Pfeifer (1989), Kluge (1995), Duden (1963): s.v. ‘winden, wenden’, ‘Fach’,
‘Gewand’, ‘Wand’.
148
 Heiz (1993): S. 3
89
Das Besondere dieser Beschreibung ist, daß sie sich zwar mit den Bindungstechniken
der Weberei beschäftigt, aber keine technische ist. Es geht vielmehr um Orte der
Verbindung und Bewegungen. Beschrieben wird eine Interaktion zwischen
Gewebebindung (Muster) und den Kett- und Schußfäden. Der Mensch als Produzent
des Gewebes, der die Erkenntnisse der Symmetrie und Repetition anwendet, tritt hier
nicht in Erscheinung. Das Tuch wird als Objekt, als ein Gegen-stehendes, dem
Menschen Fremdes behandelt.
Ganz anders Ellen Harlizius-Klück, die Freud als eine in ‘textilen Strukturen nicht
unbewanderte Leserin’ liest. Sie beschreibt anhand eines Traumes die Enthüllungs-
qualitäten einer ‘textilen Blickorganisation’. Es handelt sich hierbei nicht um
irgendeinen Traum, denn der Träumende heißt Sigmund Freud. Er, sein Traum und
seine Traumdeutung werden von der Autorin unter den Aspekten der ‘enthüllenden
Texte’ und der ‘verhüllenden Textilien’ untersucht. Das folgende, lange Zitat ist
exemplarisch zu verstehen. Der Gedanke der Wiederholung, des Rapports, der
Bindung, der Ordnung kommt hier zum Tragen und wird an einem Beispiel, der
Köperbindung, demonstriert, muß also nicht in der verkürzenden systematisierenden
Reduktion verharren, sondern kann sich entfalten:
„Der Traumrapport fällt verdächtig knapp aus.149 Verdächtig deshalb, weil die Ordentlichkeit ja ein
Zeichen bewußter Bearbeitung ist, wie Freud mehrfach bemerkt. Ein besonderer Verdacht fällt auf
die Kunstfertigkeit des Rapports. Nicht nur die Verdichtung des Ganzen des Traumes im ersten
Satz ist bemerkenswert, auch das Überspringen der drei Stufen in einem Satz auf die vierte Stufe
wird in vier Sätzen beschrieben, wobei der vierte über die drei vorangehenden Sätze
zurückspringend sich auf den vorangegangenen Abschnitt bezieht. Das 3+1=4 Schema ist bei
Freud schon an anderen Stellen bemerkt worden. [...] Die Kunstfertigkeit des Rapports, dessen
Ordentlichkeit dem ansonsten eher krausen und mäandernden Stil der Traumdeutung eher
fernliegt, bringt zusammen mit Toilette, Toile Tuch, Tritte, Stiefel, Schäfte und der 3+1-
Arithmetik den in textilen Strukturen nicht unbewanderten Leser auf die Spur einer anderen
‘flotten’ Treppe. Stellt man sich nämlich vor, Freud würde hier die Tritte eines Vierschaft-Web-
stuhls betätigen, so wäre er dabei eine Köperbindung zu weben, bei der der Schussfaden
treppenförmig versetzt über die drei Kettfäden springt. [...] Der Bindungsrapport besteht hier aus
4x4 Fäden. Er ist als Z-förmiger Grat auf der Oberfläche des Köper- oder Twill-Gewebes sichtbar
und zeigt uns jenes Treppenbild ohne Tiefe, in dem der Traum verfangen ist. [...] Jene antike
Weberei weist strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Traum auf. Ihre Kette, die praetexta, gibt dem
Gewebe nicht nur die Maße vor und strukturiert die Musterungsmöglichkeiten, sondern sie ist
bereits selbst ein Gewebe, meist purpurfarben. [...] Dieser Trennstab (der das Fach bildet, Anm.
K.K.) hieß kairos: rechter Augenblick. Beim Weben des Twillstoffes benutzte man zusätzlich 3
Litzenstäbe, kanones, was eine regelmäßige Wiederholung bezeichnet. 3+1=4 Stäbe also und die
geschickte Handhabung von ‘rechtem Augenblick’ und ‘regelmäßiger Wiederholung’ erzeugten
die Gewebe der Prähistorie [...].“150
Die Autorin fügt ihrer Beschreibung der Köperbindung eine Patrone hinzu, die die
spezifische Treppenform verdeutlicht. Verdeutlicht auch gegenüber dem Gewebe:
Die Notation betont das Getreppte, das Gewebe die Diagonale als Linie. Dieser
Eigenständigkeit der Notation wird noch nachzugehen sein.
Harlizius-Klück nutzt ein Gewebemuster zur Durchdringung von Bewußtseins- und
Zeitebenen. Dieser Deutung der Köperbindung möchte ich nicht inhaltlich
nachgehen, sondern eine strukturelle Nutzung vorgeschlagen. Die textile Schulung
                                                 
149
 Freud beschreibt seinen Traum folgendermaßen: „Ich gehe in sehr unvollständiger Toilette aus einer
Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres Stockwerk. Dabei überspringe ich jedesmal drei
Stufen, freue mich, das ich so flink Treppen steigen kann. Plötzlich sehe ich, dass ein Dienstmädchen
die Treppen herab- und also mir entgegenkommt. Ich schäme mich, will eilen, und nun tritt jenes
Gehemmtsein auf, ich klebe an den Stufen und komme nicht von der Stelle.“ Sigmund Freud, Die
Traumdeutung, Frankfurt/Main 1991, zitiert nach Harlizius-Klück (2000): S. 4
150
 Harlizius-Klück (2000): S. 14f
90
des Lesers eröffnet die Möglichkeit, die chaotische Form der Traumdeutung durch
ein Muster zu ordnen. Der 3/1-Rhythmus erzeugt ein getrepptes Muster, das sich im
Treppenlaufen, im Erzählrhythmus und in der Weberei findet. Das Wechselspiel von
regelmäßiger Wiederholung und rechtem Augenblick bringt das Muster hervor, das
durch ein Unvorhergesehenes, das Dienstmädchen, gestört oder zerstört wird. Die
Störung oder Auflösung von Mustern, ihre optische Auswirkung, verweisen demnach
auf eine Bedeutungsebene.
Die beiden Zitate lassen den Eindruck eines Ungleichgewichtes entstehen, das sich
eigentlich umgekehrt verhält: Die meisten Publikationen beschäftigen sich aus
technischer, technologischer oder historischer Sicht mit Geweben. Manche, wie
eingangs beschrieben, bedienen sich ihrer als Metaphern und vernachlässigen hierbei
die technischen Gegebenheiten.
Streifen und Karos
Die Veränderung der Struktur und das Einfärben der Fäden erhöht die Anzahl der
Musterbildungsmöglichkeiten. Effektzwirne wurden bereits erwähnt, die bei ihrer
Verarbeitung entstehenden Stoffe sind meist nach ihnen benannt.151
Beim Buntweben wird das Muster durch den Einsatz verschiedenfarbiger Kett- und
Schußfäden erzielt. Durch Zettelbrief152 und Schußfolge werden die muster-
generierenden Farbwechsel bestimmt. Gemäß der Anordnung von Kette und Schuß
entstehen Streifen- und Karomuster sowie sogenannte Kleinmuster. Sigrid Barten
schreibt, das Weben mit farblich unterschiedlichen Fäden sei die früheste Art der
Gewebemusterung gewesen.153 Semper führt generell die Entstehung von Mustern auf
diesen Farbwechsel zurück.154 Eine Aussage, die sich schwerlich überprüfen läßt, der
man jedoch Musterdefinitionen, die Gewebebindung und -struktur miteinbeziehen,
gegenüberstellen kann. Wichtiger als die Datierung der Entstehung scheint mir die
Betonung des elementaren Charakters dieser Musterungsform, die das Spezifische
des Gewebes – seine Orthogonalität – besonders klar hervortreten läßt.
Der Streifen in Schußrichtung ist der technisch am leichtesten zu erzielende, der
Streifen in Kettrichtung bedarf der Vorüberlegung. Das Karierte kombiniert die
beiden Varianten und übernimmt ihre Freiheitsgrade in der Gestaltung. „...Nach
mittelalterlichem Empfinden ist zum Beispiel das Gewürfelte nur eine Steigerung des
Gestreiften“155 – eine Aussage, die sich webtechnisch herleiten läßt.
Mit dem Einsatz unterschiedlicher Farben (oder Materialien und Strukturen) und
durch die Variation der Streifenbreite, die optisch einen Vorder- und Hintergrund
erzeugen (bzw. auch optische Täuschungen), lassen sich unendlich viele verschiedene
Muster produzieren, die sich einer systematisierten Beschreibung entziehen. Eine
Ausnahme hierzu bilden die schottischen Tartans: Da sie einen Bedeutungsgehalt
                                                 
151
 Zu den Strukturveränderungen gehören Flammen, Noppen, Knoten und Schlingen, die Bouclé,
Noppé, Frotté u.a. Stoffe bilden. Vgl. Hofer (1994): S. 335–338
152
 Die Kette eines Gewebes wird auch als Zettel bezeichnet, daher die Ableitung Zettelbrief, sowie das
Verb ‘anzetteln’, das im eigentlichen Sinne ‘ein Gewebe durch Aufziehen der Kettfäden beginnen’
bedeutet. Vgl. Kluge (1995), Duden (1963): s.v. ‘Zettel’
153
 Barten (1997): S. 9
154
 Semper (1977): S. 228
155
 Pastoureau (1995): S. 28
91
haben – die Clanzuordnung –, muß dieser zu entziffern, Teil eines Codesystems
sein.156 Die von Barten vorgeschlagene Typologie bezieht sich auf die Anordnung der
Streifen (‘Streifensysteme’) auf einer definierten Gewebefläche, dient also vor allem
der Ikonographie.157
Das Charakteristische der Streifen ist jedoch ihre Ausrichtung – quer oder längs –
sowie ihr Verhältnis zum Grund. Diese Ausrichtung, identisch mit dem Grundprinzip
des Webens, dem Verkreuzen von Kette und Schuß, entspricht der elementaren
Wahrnehmung des Menschen, die sich u.a. an unserem Körper orientiert. Karierte
und gestreifte Stoffe akzentuieren, möglicherweise erkenntnisbildend, die
Orthogonalität, die unser Bezugssystem bestimmt und sich graphisch im Koordina-
tensystem am deutlichsten zeigt. Sie wirken als Attraktor der Wahrnehmung. Die
Funktionalisierung dieser Wirkung wird im Kapitel ‘Textile Vierdimensionalität’
beschrieben.
Kleinmuster
Will man sogenannte Kleinmuster (beispielsweise Hahnentritt, Pepita, Fil à Fil)
herstellen, wechseln die Kett- und Schußfäden die Farbe gemäß Zettelbrief und
Schußfolge. Die Abbildung 7 zeigt die Konstruktion eines zweifarbigen Hahnen-
trittmusters, abgeleitet von der Leinwandbindung. Charakteristisch für Kleinmuster
ist ihre Eigenschaft, die Stofffläche vollständig zu mustern. Hierin gleichen sie dem,
was man als regelmäßige Parkettierung bezeichnet.158 Im Gegensatz zu einer Fläche,
die beispielsweise mit Fliesen ausgefüllt werden soll, muß bei einem gewebten
Kleinmuster zusätzlich auf die Gewebebindung Rücksicht genommen werden.
Hieraus ergeben sich Einschränkungen gegenüber vielen anderen Materialien, die
nicht an eine Struktur gebunden sind. Diese konstruktiven Beschränkungen können
jedoch auch stimulierend wirken. Die  Betrachtung verschiedener
Parkettierungsmöglichkeiten, die sich durch Farb- und Texturvariationen ins
Unendliche steigern lassen, läßt Verbindungen zu Gewebemustern erkennen.159
Vergleichbare Muster werden durch Ableitungen der Leinwand- und Köperbindung
erzielt.
Die Kunst des Parkettierens und Musterns sei eine sehr alte und weit verbreitete,
schreiben Grünbaum und Shepard in ihrer Einführung, ihre Wissenschaft jedoch eine
verhältnismäßig junge.160 Die mathematische Kristallographie beschäftigt sich mit
den Problemen sogenannter Parkettierung, mit ihren mathematischen Eigenschaften.
Die Klassifikation der Parkette geschieht gemäß ihrer Symmetrien.161 Begreift man
                                                 
156
 Die Verbindung der Grundfarben erfolgt durch Hinzufügen einer weiteren Farbe. Hieraus ergibt sich
eine mathematische Formel zur Berechnung der verwendeten Farben (x+1) · (x:2), wobei x die Anzahl
der Grundfarben angibt. Vgl. Barten (1997): S. 10
157
 Barten (1997): S. 12
158
 Heesch (1968) definiert folgendermaßen: „Eine Zerlegung (Gleichwort: Parkett) ist eine einfache,
lückenlose Überdeckung der euklidischen Ebene mittels lauter gleich- und möglicherweise auch
gegensinnig kongruenter Exemplare eines zusammenhängenden, meist als beschränkt angenommenen
Bereichs.“ (S. 3)
159
 Grünbaum/Shepard (1989): S. 8f. Hier werden beispielsweise einfache Parkettierungen mit
Backsteinen gezeigt.
160
 Grünbaum/Shepard (1989): S. 11
161
 Bongartz/Borho u.a. (1989): S. 15
92
das Produkt der Weberei gleichermaßen als Fläche, kann es mit den gleichen Mitteln
klassifiziert werden. Die Notationen der Weberei legen einen solchen Umgang nahe.
Die Aufgabe, die sich die Parkettierung stellt, wurde demzufolge in der Weberei auf
besondere Weise gelöst.162
Neben den Kleinmustern gibt es noch zahlreiche andere Formen, ein Gewebe zu
mustern. Die bisher aufgeführten Möglichkeiten betrafen jeweils die gesamte Stoff-
fläche, die von einem Muster mit kleinem Rapport bedeckt wurde. Man kann jedoch
auch größere Motive weben, so daß die Muster auf einem Grund erscheinen. Bei der
Damastweberei wird durch den Wechsel von Kett- und Schußbindung das Muster
erzeugt.163 Als Lampas werden alle Gewebe bezeichnet, die zwei Kett- und zwei
Schußfädensysteme haben, davon einen Grund- und einen Musterschuß.164 Um ein
Motiv auch farblich oder strukturell abzusetzen, also begrenzte (Farb-)Flächen zu
erzeugen, werden meist zusätzliche Schußfäden verwendet. Die beiden Hauptformen
dieser Art der Musterung sind Lancé und Broché. Beim Lancieren bilden zusätzliche
Musterschüsse, die von Webkante zu Webkante verlaufen, das Muster. Beim
Brochieren ist der Eintrag des Schusses – mit Hilfe eines Brochierschützen – auf die
Motivform begrenzt.165
Binarität der Weberei
Für die meisten komplizierten Musterungen waren Webstühle mit einer ent-
sprechenden technischen Ausrüstung notwendig. Schaftwebstühle können nur eine
begrenzte Anzahl von Fächern bilden und nur Gruppen von Kettfäden bewegen. Ein
Musterharnisch ermöglicht, daß einzelne Kettfäden angehoben werden und somit eine
maximale Mustererzeugung gewährleistet ist. Das Maximum entspricht in diesem
Fall der Auflösung des Musters mit seiner Eigenschaft der Wiederholbarkeit:
Rapportlose Jacquardgewebe setzen der Dessinierung keine Grenzen.166 An
Zugwebstühlen oder Zampelstühlen wurden die Harnischschnüre mustergemäß von
sogenannten Ziehjungen gezogen.167 Der Jacquardwebstuhl, von Joseph-Maria
Jacquard um 1805 erfunden, hat diesen Vorgang mechanisiert. Über Lochkarten
werden die Platinen, die den Kettfaden heben, gesteuert.168 Die extreme
Beschränkung, die der Weberei auferlegt ist, nämlich einen Kettfaden lediglich zu
heben oder ruhen zu lassen, hat über Jacquard und Babbage zur Entwicklung des
Urahns heutiger Computer geführt. Das Wesen der Weberei trägt die Binarität
digitaler Medien in sich. Jacquard, aber auch sein Landsmann Falcon, übersetzten
diese binäre Logik von Heben/Nicht-Heben in Loch/Nicht-Loch, was bekanntlich
später in 1 und 0 gewandelt wurde. Charles Babbage (1791–1871) übernahm
                                                 
162
 An dieser Stelle kann lediglich auf die Verbindung kristallographischer Klassifikationen und
Gewebebindungen und die Möglichkeiten, gegenseitiger Nutzung hingewiesen werden.
163
 Tietzel (1988): S. 252
164
 Tietzel (1988): S. 27. „Seit Aufkommen der Lampasgewebe in der Zeit um 1000 sind nahezu alle
Seidengewebe bis hin zu denen, die im 19. Jahrhundert auf Jacquard-Webstühlen hergestellt wurden,
Sonderformen dieses Gewebetyps.“
165
 Markowsky (1976): S. 107f
166
 Diese Technik wird verwendet, um eine freie Musterung ausführen zu können, d.h. großflächige
Muster herzustellen oder auch Gemälde als textile Wandbehänge zu reproduzieren.
167
 Tietzel (1988): S. 18–21
168
 Hofer (1994): S. 127f
93
Jacquards Lochkartensystem für seine Differenzmaschine und die nie gebaute
Analytische Maschine, über die Lady Ada Lovelace sagte, sie webe algebraische
Muster wie der Jacquard-Webstuhl Blumen und Blätter.169 Entscheidend für spätere
Entwicklungen waren die Trennungen, die er vornahm: die Fabrikation materieller
Güter von der Datenverarbeitung170 und innerhalb dieser Maschinen, den Speicher,
die Steuerung, die Anlage und das Informationssystem.171
Auch Leroi-Gourhan bedient sich des Beispiels der Weberei, um den Vorgang des
Exteriorisierens darzustellen:
„Überzeugend ist auch das Beispiel des Webens; bei den alten und am weitesten entwickelten
Stoffen wie denen Perus oder den Brokatstoffen des Orients nimmt die Hand die Kettfäden einzeln
auf, wenn sie den Dekor herstellt. Aber schon recht bald, vielleicht sogar bereits im Neolithikum,
werden die Handgriffe bei der wiederholten Aufnahme eines Fadens auf zwei oder drei beschränkt,
wodurch sich eine Befreiung der Finger ergibt. Aber erst im 19. Jahrhundert erreicht der
mechanische Webstuhl durch die Einführung eines in Lochkarten niedergelegten Programmes das
Niveau, das die bloße Hand schon sehr früh verwirklicht hatte. In beiden Fällen ist der Weg der
gleiche: Auf der ersten Stufe ist die bloße Hand in der Lage, Tätigkeiten auszuführen, die in Kraft
und Geschwindigkeit beschränkt, aber unendlich vielfältig sind; auf der zweiten Stufe wird eine
einzelne Wirkung der Hand isoliert und auf die Maschine übertragen, dies gilt für die Winde
ebenso wie für den Webstuhl; auf der dritten Stufe schließlich restituiert die Schaffung eines
künstlichen rudimentären Nervensystems die Programmierung der Bewegungen.“172
Leroi-Gourhan spricht vom Dekor, der mittels der Einzelbewegungen hergestellt
würde. Viel entscheidender ist jedoch die elementare Erzeugung der Gewebefläche,
die ein mustermäßiges Heben und Senken der Kettfäden verlangt. Die Mechanisie-
rung dieser Bewegungen leitet sich von der Erkenntnis ihrer Wiederholungsvorgänge
und somit ihrer Muster ab.
Es ist festzuhalten, daß es die Textilherstellung, und im besonderen die Muster-
erzeugung, ist, die eine Erfindung inspiriert hat, die unser heutiges Leben bestimmt.
Historische Betrachtungen zur Entwicklung des Computers nennen meist Babbage
und eventuell auch den Namen Jacquard, im Vordergrund stehen hierbei jedoch die
Errungenschaften der Mechanisierung, das Objekt und Produkt dieser
Mechanisierung, die diese gefordert hatten, gerät in Vergessenheit.
Die Dominanz des Gewebes
Die Dominanz gewebter Stoffe gegenüber anderen textilen Techniken läßt sich aus
verschiedenen Blickwinkeln konstatieren, ohne daß sie eine Thematisierung erfährt.
Die extreme Verbreitung gewebter Stoffe und ihrer sozialen Bedeutung sind histo-
risch nachzuvollziehende Auswirkungen, aber nicht Erklärungen für die Verdrängung
anderer Techniken.
Die Weberei bietet äußerst vielfältige Variationsmöglichkeiten, hat aber definiti-
onsgemäß sehr enge Vorschriften: die Orthogonalität, die Bindungspunkte, die
festgelegte Bewegungsrichtung. Es ist denkbar, daß es gerade die Beschränkungen
sind, die den menschlichen Geist herausgefordert haben.
                                                 
169
 Hofstadter (1985): S. 28
170
 Helms (1997): S. 40
171
 Hyman (1987): S. 254f
172
 Leroi-Gourhan (1988): S. 303; Siehe auch: S. 313, 330
94
Die bestechende Einfachheit der Technik hat mit Sicherheit zu seiner Verbreitung,
bzw. ‘Erfindung’ an verschiedenen Orten geführt und somit die Entwicklungs-
möglichkeiten potenziert.
Die Eigenschaften eines Gewebes, relative Stabilität eines trotzdem weichen,
flexiblen Materials, lassen das Gewebe nicht zuletzt gegenüber Geflechten und
Maschenstoffen, die elastisch, dehnbar und häufig durchlässiger sind, als brauchbarer
erscheinen.
Das Gewebe, das unserem Denken und unserer Wahrnehmung anscheinend so sehr
entspricht, verdrängt fast alle anderen textilen Techniken.173 Erst in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts gewinnen Maschenstoffe an Bedeutung. Als Gründe
hierfür werden sich verändernde Lebensgewohnheiten genannt: verstärkte Freizeit-
Aktivität, die Bewegungsfreiheit fordert, und erhöhte Mobilität, die pflegeleichter
Reisekleidung bedarf. Die hierfür gewünschte Elastizität verursacht in der Produktion
jedoch Probleme und erfordert ‘größere Toleranzen’ im Vergleich zu Webwaren. Die
höheren Produktionsgeschwindigkeiten bei Maschenstoffen sind ein weiterer Grund
für ihre Zuwachsraten.174
Als entscheidender Vorzug der Webwaren wird ihre Musterfähigkeit genannt. Aus
technischer Sicht mag dieser Einwand zur Zeit zutreffen – die Industrie beginnt
Anlagen zu entwickeln, muß jedoch jahrhundertelange Erfahrung einholen –, aus
praktisch vorstellbarer Sicht nicht.
Die Betrachtungen der Gewebemuster zeigen, wie stark die Musterbildung der
Orthogonalität verhaftet ist oder – positiv ausgedrückt – wie nachhaltig diese
Grundverfaßtheit den Entwurf zu inspirieren vermag.
Will man nun für Maschenstoffe eine eigene Textil- und Mustersprachlichkeit finden,
sollte man gleichermaßen von der Grundverfaßtheit der Bindung ausgehen und nicht
versuchen, lediglich einen Transfer zu leisten.175 Andere Gesellschaften, der
Vergangenheit oder geographisch fern liegenden Orten angehörende, können mit
ihrem Wissen und ihren Artefakten als Vorbild dienen.
Das Verstricken, Einhängen, Verknoten und Verknüpfen scheint in gewisser Weise
Programm zu sein: Es ist weniger greifbar, weniger reproduzierbar und somit in den
Industriegesellschaften auch weniger verbreitet. Seiler-Baldinger schreibt, daß die
Maschenstoffe in Mittel- und Südamerika vor allem für Transport, Lagerung, Jagd
und Fischfang, aber auch für Bekleidung, Schmuck, Schlaf- und Sitzgelegenheiten
Verwendung finden.176 Die meisten dieser Produkte wurden in den Industrienationen
durch andere Materialien und Herstellungstechniken ersetzt bzw. ihr Bedarf
aufgelöst.
                                                 
173
 Dies gilt nicht nur für den Zeitraum der industriellen Entwicklung. Wilckens (1991) beschreibt die
Entwicklung der textilen Künste von der Spätantike bis um 1500 auf rund 350 Seiten. Den ‘sonstigen
textilen Techniken’, und hiermit ist das ‘Verschlingen, Knoten, Flechten, Sprang und Stricken’ in
Absetzung zum Weben gemeint, sind hiervon sieben gewidmet. Die Stickerei als flächenverzierende
Technik ist an eine gewebte Fläche gebunden und in ihrer Musterung abhängig.
174
 Hofer (1994): S. 212
175
 Hofer (1994) beschreibt Neuentwicklungen, die die Jacquardtechnik übertragbar machen. (S. 214)
176
 Seiler-Baldinger (1971): S. 192
95
Nicht zuletzt ist es wohl die strukturelle Binarität des Gewebes, die es in das logische
Weltbild so ‘nahtlos’ einfügt.
Auch auf der sprachlichen Ebene dominiert das Gewebe. Seine Metaphorizität wurde
schon des öfteren erwähnt und Beispiele konkreter semantischer Zuweisung zitiert.
Bevor im nächsten Abschnitt eine grundlegend andere Form der Flächenerzeugung
beschrieben wird, sollen die Gemeinsamkeiten der bisher dargestellten zusammen-
gefaßt werden.
Allen bisher beschriebenen flächenerzeugenden Techniken ist die Verwendung von
Fäden177 gemein. Durch eine definierte Art der Ver-Bindung werden die ein-
dimensionalen Fäden zu einer zweidimensionalen Fläche zusammengefügt. Die
verschiedenen Bindungsarten lassen sich auf ein Grundprinzip reduzieren: Das
Verkreuzen der Fäden. Der Winkel, in dem die Fäden verkreuzt werden, ist ent-
scheidend für das entstehende Muster.178 Dieses Verkreuzen kann durch eine antago-
nistische Bewegung hervorgerufen werden: Je nach Technik bzw. Be-
trachterstandpunkt ist es ein Auf und Ab (Handweben ohne Fachbildung), ein Vor
und Zurück (Flechten) oder ein Über und Unter. Eine gleichförmige Bewegung
erzeugt keine Verbindung, eine komplexe Bewegung ist nur schwer zu formalisieren
und zu notieren. Lineare Bewegungsformen, wie beispielsweise das Weben, lassen
sich mechanisieren, zirkuläre und spiralförmige hingegen wesentlich schwieriger.
Das heißt, daß neben dem Grundprinzip des Verkreuzens die Bewegung und die
Bewegungsrichtung entscheidend sind.
Das Muster ist nicht technikabhängig,179 es konstituiert die Fläche, seine Wahl wird
durch ästhetische und funktionale Gesichtspunkte geleitet. Darüber hinaus kon-
stituiert das Muster auch den Raum. Es produziert eine linke und eine rechte
Warenseite/Flächenseite (die sich nicht zwangsläufig im Aussehen unterscheiden
muß), die bei der Weiterverarbeitung das Innen und Außen determiniert, also ent-
scheidend zur Raumerzeugung und zum Raumverständnis beiträgt. Bemerkenswert
ist hierbei die Verwendung der Begriffe ‘links und rechts’ (Abseite und Oberfläche),
die eine räumliche Anordnung zur Folge haben, aber in der Wortwahl eine Wertung
vornehmen.180 Besitzt das Muster technische Symmetrie, erzeugt es zwei gleiche
Seiten bzw. wie im Falle des Sprangs eine achsensymmetrische Fläche.
Wie aufschlußreich die Betrachtung der Rückseite unter historischen und technischen
Gesichtspunkten sein kann, beschreibt Francis Muel. Die ‘Entdeckung der
Rückseiten’ des Wandteppichs der Apokalypse von Angers enthüllte seine ur-
sprünglichen Farben und seine technische Perfektion in bezug auf eine sehr saubere
Verarbeitung und ‘sprunglose’ Farbflächenzusammenschlüsse.181
                                                 
177
 Gelegentlich werden auch andere Materialien verwendet, beispielsweise Stoffstreifen, die aber durch
ihre lineare, eindimensionale Zurichtung als ‘Fäden’ definiert werden.
178
 vgl. beispielsweise: Seiler-Baldinger (1991): S. 15, 27 und Hofer (1994): S. 183
179
 Deshalb ist es häufig schwierig bzw. unmöglich, die Herstellungstechnik eines Stofffragmentes zu
bestimmen. Lediglich die Stoffkanten können einen Hinweis auf die Technik geben.
180
 Die rechte Seite im Sinne der richtigen Seite und die linke als die linkische, ungeschickte, schwache.
Kluge (1995), Duden (1963): s.v. ‘recht’, ‘link’
181
 Muel (1996): S. 3, 10
96
Textilverbundstoffe
Die im folgenden beschriebenen Textilverbundstoffe unterscheiden sich grundlegend
von allen bisher erwähnten textilen Flächen.
Die Differenz besteht in der Art der Verbindung. Die Bindungen der beschriebenen
flächenerzeugenden textilen Muster läßt sich auf das Verkreuzen von Fäden
reduzieren. Die nun zu beschreibenden textilen Flächen bilden keine Muster im
definierten Sinne. Sie wurden dennoch in die Darstellung aufgenommen, da sie als
textile Fläche in der Lage sind, Muster auf weiteren Ebenen zu generieren, also als
Ausgangsmaterial für dekorative, konstruktive und kompositive Muster dienen.
Der bezeichnende Name Non-woven-fabrics für einige der Textilverbundstoffe
verweist erneut auf die Vorherrschaft des Gewebes, auf die Verbundenheit des
Textilen mit dem Gewebten. Die größtenteils neu entwickelten Techniken zur
Herstellung von Textilverbundstoffen sollen kurz dargestellt und auf ihre
Möglichkeiten und Konkurrenzfähigkeit überprüft werden.
Ein traditionelles Verfahren zur Herstellung eines Faserverbundstoffes ist das Filzen.
Anhand dieser Technik wird der Zusammenhang zwischen textiler Technik und
Schrift aufgegriffen.
Man unterscheidet heute unter dem Sammelbegriff ‘Textilverbundstoff’ zwischen
Faser- und Fadenverbundstoffen (Non-woven fabrics), Multitextilien (Bondings) und
Laminaten (Beschichtungen).
Der Verbund der Fasern, Fäden oder textilen Flächen erfolgt entweder mechanisch
oder adhäsiv. Kennzeichnend für diese textilen Flächen ist der ungeordnete Zustand
der Fasern und Fäden. Die Bewegungsform zur mechanischen Verfestigung kann als
chaotisch bezeichnet werden.
Unter Faserverbundstoffen „[...] versteht man textile Flächengebilde, bei denen
Fasern mechanisch durch Nadeln (Nadelvlies, Nadelfilz), durch Einwirkung von
Reibung, Wärme, Feuchtigkeit und Druck (Wollfilz) oder adhäsiv durch Verkleben
mittels eines Bindemittels, durch Anlösen oder thermisch durch Verschweißen
(Vliesstoffe) miteinander dauerhaft verbunden werden.“182 Fasern jeglicher Art (in
Abhängigkeit des gewünschten Endproduktes) werden ohne vorherige Paralle-
lisierung/Linearisierung (Spinnverfahren) zu einer Fläche texturiert.
Filzen
Der Filz ist eine besondere Form des Textilverbundstoffes, da sich die Wollfasern
beim Filzen – aufgrund ihrer physiologischen Eigenschaften – ohne zusätzliche
Bindemittel zu einem festen Gebilde verfestigen lassen. Die Verdichtung zu einer
Fläche wird durch Reibung, Druck, Feuchtigkeit und Wärme erzielt, bedarf also
keiner komplizierten Vorrichtungen.183 Hierin liegt die lange Tradition des Filzens
sowie die Nutzung bei nomadischen Völkern184 begründet. In Westeuropa spielen das
                                                 
182
 Hofer (1994): S. 385; Vgl. Braddock/O’Mahony (1998): S. 48. Die Autorinnen differenzieren neben
den adhäsiven und chemischen Bondings des weiteren zwischen kohäsiven und thermischen.
183
 Bellinger (1950): unpag. „Felt is a fabric built up by the interlocking of fibers by a suitable
combination of mechanical work, chemical action, moisture and heat, without spinning, weaving or
knitting.“
184
 Die meisten nomadischen Völker leben in Zelten, einer mobilen Wohnform, meist aus textilem
Material. Im folgenden wird in erster Linie auf die Nomaden Zentralasiens eingegangen, die in Jurten
97
Filzen und seine Produkte eine untergeordnete Rolle,185 meist wird es lediglich im
Zusammenhang mit der Hutproduktion erwähnt und in den ‘Geschichten textiler
Techniken’ gänzlich vernachlässigt.186 Der Mangel an textilen Originalfunden oder an
technischem Gerät (wie die Spindeln als Hinweis auf das Spinnen) macht eine
Datierung des Filzens als technische Errungenschaft und seiner Produkte sehr
schwierig und deshalb die Aussage, Filz sei die früheste textile Ausdrucksform,
fragwürdig.187 Die Ausgrabungen einer Siedlung aus der Zeit 6500/6300 v. Chr.
machten den Gebrauch von Filz wahrscheinlich.188 Die ältesten schriftlichen
Hinweise auf gefilzte Textilien in China gehen zurück auf das Jahr um 2300 v. Chr.
189
 Die Chinesen haben die Kunst des Filzens und die, die sie beherrschten, die
Nomaden, bewundert und ihr geographisches Gebiet als ‘land of felt’ bezeichnet.190
Der Vorgang des Filzens unterscheidet sich von dem des Webens in seiner Ge-
bundenheit an Raum und Zeit grundlegend. Heidi Helmhold führt diese
Zusammenhänge aus und verbindet sie mit den Lebens- respektive Wohnformen: Das
Weben geschieht in einem auf Seßhaftigkeit ausgerichteten Lebenszusammenhang,
während das Filzen einer „diskontinuierlichen Lebensform des Nomadismus“
angehört.191
Die technischen Bedingungen des Filzens und des Webens lassen sich auch auf ihre
Bewegungsformen beziehen. Die Bewegung des Nomaden und des Filzenden ist die
der Wiederkehr, des Nicht-Vorhersagbaren (Unbestimmtheit des Wetters), Nicht-
Planbaren. Das Weben erfordert minuziöse Planung und das Verharren an einem
Ort.192 An diesem Ort, am Webstuhl, oder auf dem Acker bewegt man sich Hin und
Her. Der seßhafte Mensch webt und schreibt in einer linearisierten, geometrisierten
Form, er ist in ein Koordinatensystem eingebunden. Die Bewegung des
Weberschiffchens entspricht der eines pflügenden Ochsen. Die Schriften, die ihre
Schreibrichtung mit jeder Zeile wechseln, werden – nach den Ochsen –
Boustrophedonschriften genannt.193 Und der Ochse und das Haus (Inbegriff des
Seßhaften) gaben dieser Schrift den Namen: alpha-beta. Der Nomade schreibt nicht,
kennt keine linearisierte Bewegungsform, hat keine „Repräsentationstechniken der
Permanenz ausgebildet“.194 Die Behausungen der Nomaden sind nicht aus Stein, und
sie hatten „kein Bedürfnis, eine eigene Schrift zu entwickeln...“, ihr
                                                                                                                                      
leben. Beduinen bewohnen sogenannte ‘schwarze Zelte’ aus Gewebe, nordamerikanische Indianer Tipis
aus Tierhäuten.
185
 Hofer (1994) schreibt, daß Bekleidungsfilz in Deutschland trotz günstigen Preises, hervorragender
Färbbarkeit und leichter Verarbeitbarkeit nur in geringem Umfang verwendet wird. (S. 391)
186
 vgl. Ginsburg (1991) und Wilkens (1991)
187
 Burkett (1979): S. 7. „Although the origin of felt is unknown, in all probability it is the earliest form
of textile, and, like most, has a low survivial rate in archaeological conditions.“
188
 Burkett (1979): S. 8
189
 Burkett (1979): S. 18
190
 Burkett (1979): S. 21
191
 Helmhold (1990): S. 189f
192
 Die Existenz der gewebten schwarzen Zelte der Beduinen steht hierzu nicht im Widerspruch, da sie
als Halbnomaden eine Tendenz zur Seßhaftigkeit aufweisen. Klöne (1990): S. 196. Die Tierhäute der
Tipis weisen eine ähnlich glatte, unstrukturierte Oberfläche auf, wie eine gefilzte Fläche.
193
 Wolf Peter Klein: „Marsch der Buchstaben“, in: FAZ 9. April 1997
194
 Helmhold (2000): S. 194
98
Abstraktionsvermögen, daß sich in der ‘Ornamentierung’, den Mustern, zeige,
erreiche das der Schriftentwicklung.195
Filz bildet kein geordnetes, kein flächenkonstituierendes Muster und entzieht sich
hierdurch einer strukturellen Beschreibbarkeit, der Notation. Gefilzte Flächen werden
jedoch, wie andere textile Flächen auch, mit Mustern versehen. Die Musterung kann
unmittelbar in den Vorgang des Filzens – vor dem Walken – einfließen, indem
dunklere, gefärbte oder strukturierte Wolle eingelegt wird.196 Durch die anschließende
Weiterbehandlung des Vlieses erfahren die Einlagen Verschiebungen. Es handelt sich
also um eine spontane und wenig präzise Form der Musterungstechnik. Inkrustations-
oder Mosaiktechniken hingegen bedürfen genauerer Planung und führen zu einem
exakteren Ergebnis. Aus zwei verschiedenfarbigen Filzflächen werden Muster
ausgeschnitten, anschließend ausgetauscht und mit einfachen Stichen befestigt.197 Ein
Positiv-Negativ-Effekt, wie er bei manchen Webtechniken auf Vorder- und Rückseite
entsteht, wird hier durch den Austausch produziert. Es entstehen zwei Filzdecken, die
jeweils zwei gleiche Seiten aufweisen. Im räumlichen Nebeneinander werden sie als
Gegenstücke erkennbar. Die qualitative Gleichheit des Positivs und Negativs wird
durch die Auswahl komplementärer Farben gesteigert, so daß keine Differenz von
Vorder- und Hintergrund entsteht.198 Die durch die Inkrustationstechnik entstandenen
Muster werden meist durch Quilttechniken und das Anbringen von Kordeln im
ästhetischen wie räumlichen Sinne erhöht. Eine Voraussetzung für diese Art der
Musterung ist die Schnittkantensauberkeit des Filzes, die gleichermaßen für das
‘Pinking’ entscheidend ist.199 Stickereien und Applikationen sind zwei weitere
Techniken, Filz zu mustern.
Das Filzen ist eine sehr ökonomische Flächenerzeugung. Da es nicht an die vor-
gegebene rechteckige Form des Webstuhls gebunden ist, kann ein Teppich bei-
spielsweise eine ovale Form unmittelbar, ohne Verschnitt, erhalten oder auch ein
Kleidungsstück zwei- oder dreidimensional in Form gefilzt werden.200 Auch die
Inkrustationstechnik ist eine sehr sparsame, da sie, ohne einen Rest zu produzieren,
zwei gemusterte Teppiche erzeugt.
Die Anthropologin Stephanie Bunn untersucht die Filzteppiche der Kirgisen. Sie
schreibt, der ‘shyrdak’ strahle eine organische Einheit aus, hervorgerufen durch die
Verbindung von Herstellung, Ausführung und Muster.201 Eine Einheit, die kaum eine
andere Technik aufweisen kann, da die meisten von ihnen in viele Arbeitsschritte auf
viele Menschen und Orte verteilt sind. Aus diesem Verständnis der Einheit heraus hat
Bunn die Interpretation der Muster geführt. Sie befragt hierfür die Untersuchungen
verschiedener Interpreten („western experts“, „Soviet and Kyrgyz scholars“ und
                                                 
195
 Deleuze/Guattari (1992): S. 554
196
 Farkas (1992): S. 45
197
 Farkas (1992): S. 45
198
 Bunn (1997): S. 80
199
 Bei Burkett (1979) finden sich Abbildungen von Filzmänteln mit Stickereien und eingeschnittenen
Mustern (Pinking). (S. 32)
200
 Burkett (1979) beschreibt verschiedene Methoden der Filzmantelherstellung. Abbildungen zeigen,
daß Ärmel und Kapuze der Mantelgrundform zugefügt werden können. (S. 39) Die Möglichkeiten des
plastischen Filzens werden noch erörtert.
201
 Bunn (1997): S. 80
99
„general-interest writers“202) und die kirgisischen Frauen, die die Teppiche herstellen,
und resümiert, daß die Kirgisen mittels der Muster ihre Ideen, ihre Philosophie
ausdrücken. Eine Kirgisin, die Bunn als moderne Schamanin bezeichnet, sagt: „The
beginning of pattern is therefore life.“203 Die Muster und die Technik des Filzens
spiegeln die Einheit des Lebendigen, der Familie und die Einsicht, daß alles mit allem
verbunden ist, sie besitzen eine „epic metaphorical quality“.204
Trotz all dieser Vorzüge ist Filz in Europa meist unerwünscht – in der Politik wie in
der Bekleidung. Das wesenhaft chaotische, unstrukturierte, notational nicht fixierbare
macht den Filz fremd und suspekt.
Die Modellhaftigkeit des Filzes wurde schon angesprochen. Die Filzfläche wird
hierfür als glatte Fläche im Gegensatz zur gewebten als gekerbten Fläche betrachtet.
Deleuze/Guattari ordnen dem Seßhaften den gekerbten Raum, den metrischen Raum
zu, dem das Gewebe mit seinen Eigenschaften der Orthogonalität, der Begrenztheit,
der Bildung von Vorder- und Rückseite angehört. Der Nomade bewege sich in einem
glatten Raum und bediene sich einer Technik der Textilerzeugung, die gleichermaßen
glatt sei, „unendlich, offen und in allen Richtungen unbegrenzt“.205
Dieses Modell von Deleuze/Guattari müßte um weitere, hybride Räume erweitert
werden, um auch andere Wohn- und Lebensformen benennen zu können. In einem
nächsten Schritt bliebe zu prüfen, ob auch ihnen textile Ausdrucksformen zugeordnet
werden können.
Geographische Gegebenheiten und Bewegungszyklen nehmen Einfluß auf die Wahl
des Materials und der Technik. Eine Materialfülle, wie sie beispielsweise die Wälder
Südamerikas bieten, führt zur Herausbildung von Techniken, die ohne Verwendung
aufwendiger Gerätschaften innerhalb kurzer Zeit ausgeführt werden können. Ein
Tragekorb kann sehr schnell aus unbehandelten Pflanzenfasern hergestellt, verwendet
und weggeworfen werden, aber auch geflochtene Behausungen werden bei ‘Auszug’
sich bzw. den Elementen überlassen. Die Tuareg der Sahara hingegen stellen ihre
Zeltdecken aus hartem pflanzlichen Material her, das sie in lange Bänder flechten und
anschließend spiralförmig zusammennähen.206 Eine so aufwendig ausgeführte Arbeit
wird nicht zurückgelassen. Um Aussagen über den Zusammenhang von textilen
Techniken und Lebensformen zu treffen, müßten Einzeluntersuchungen ausgewertet
werden. Die neuere Afrikaforschung, die sich mit der vorkolonialen, schriftlosen
Geschichte Afrikas befaßt, zeigt, daß afrikanische Gesellschaften nicht in Stämmen
organisiert, sondern durch „Mobilität, überlappende Netzwerke und vielfältige
Gruppengemeinschaften gekennzeichnet“ waren.207 Untersuchungen der Textilien der
entsprechenden Gesellschaften könnten nun zeigen, ob das Überlappen der
Netzwerke nur eine europäisch geprägte textile Metapher ist oder sich strukturell
nachweisen läßt.
                                                 
202
 Bunn (1997): S. 85–88
203
 Bunn (1997): S. 88
204
 Bunn (1997): S. 84
205
 Deleuze/Guattari (1992): S. 659
206
 Günther (1988): S. 6
207
 Andreas Eckert: „Geschichte hat viele Quellen“, in: FAZ 2. Februar 2000, Nr. 27
100
Nach diesen Ausführungen zum traditionellen Filzen gilt es, die anderen Textil-
verbundstoffe zu benennen. Sie alle sind technische Entwicklungen jüngeren Datums
und beruhen vor allem auf chemischen, z.T. mechanischen und nicht konstruktiven
Neuerungen.
Durch ein besonderes Verfahren der Faserverschlingung können auch Fasern, die
nicht die Eigenschaften der Wolle besitzen, verfilzt werden. Für Nadelvliese und -
filze werden vor allem synthetische Fasern verwendet, die trocken, mit Hilfe von
Nadelbarren, miteinander verschlungen werden.208
Bei Faser- und Spinnvliesen (Wirrfaservlies) werden zur Verfestigung Chemikalien
(Bindemittel) eingesetzt.
„Bei den Fadenverbundstoffen handelt es sich um flexible, poröse Flächengebilde,
die durch Verfestigung von Garnlagen entstehen. Die Verfestigung kann mechanisch
geschehen, vor allem durch Steppverfahren (Malimo). Adhäsive Verfestigung erfolgt
bei den Fadengelegen [...].“209 Auch bei der Herstellung von Fadenverbundstoffen
entfällt ein ordnender Vorgang. Zwar werden die Fasern zu Fäden linearisiert, im
Anschluß jedoch als Fadengewirr durch Nähen (Nähgewirke) oder Bondings fixiert.
Eine Ausnahme bilden gesteuerte Fadengelege (Bafa).210
Den Multitextilien und Laminaten ist gemeinsam, daß sie auf einer vorgefertigten
Grundware entstehen. Für die Multitextilien werden mehrere textile Flächengebilde
durch Vernähen (Malipol, Maliwatt) oder durch Bondings miteinander verbunden.
Dieses Vernähen und Verkleben kann mustermäßig geschehen und beispielsweise
dazu dienen, in der Webproduktion aufwendige Stoffe wie Cloqué zu imitieren.211 Für
die Laminierung einer textilen Fläche wird entweder die Oberfläche oder Abseite mit
einer filmbildenden Substanz beschichtet. Populärstes Beispiel hierfür ist das
Wachstuch, aber auch Lederimitate werden auf diesem Weg hergestellt.
Die meisten der Textilverbundstoffe werden nicht im Bekleidungsbereich eingesetzt
und sind deswegen weniger bekannt und selten Gegenstand nicht-ingenieur-
wissenschaftlicher Untersuchungen.
Die Wechselwirkungen, die zwischen den technischen Anforderungen an die
Textilien und ihrer Tragbarkeit entstehen, können sich in Zukunft als
Innovationsmotor erweisen. Viele der sogenannten technischen Textilien verlangen
eine andere Verarbeitung und werden auf diesem Wege neue Formen und Schnitte
inspirieren, bzw. das Formen und Schneiden unmittelbar verändern: Offene
Schnittkantenverarbeitung (taglio vivo) und das Versiegeln bei Membran-
verarbeitung212 sind nur zwei Beispiele hierfür. Ein anderer Verwendungszweck der
Textilverbundstoffe ist die Imitation. Viele Stoffe sind aufgrund ihrer Struktur, ihrer
Konstruktion oder der verwendeten Fasern in der Herstellung sehr aufwendig und
                                                 
208
 Hofer (1994): S. 391
209
 Hofer (1994): S. 386
210
 Hofer (1994): S. 386
211
 Cloqué ist ein Doppelgewebe, dessen Obermaterial aus glatten Garnen und das Untermaterial
aus überdrehten Kreppgarnen besteht. Die Verbindung der beiden Gewebe ist durch ein Muster
vorgegeben. Die Naßbehandlung des Stoffes bewirkt ein Einspringen der Kreppgarne, so daß sich
das Obergewebe mustermäßig wölbt und Blasen wirft. Hofer (1994): S. 202
212
 Hofer (1994): S. 429
101
kostenintensiv. Der Einsatz chemischen und physikalischen Wissens, von der
Fasererzeugung bis zur Flächen- und Raumkonstruktion (plastische Textilien mit
Schrumpfmustern und Prägeeffekten), evoziert neue Arbeitsweisen, um Traditionelles
zu imitieren. Diese Entwicklung bedeutet eine intensivere Auseinandersetzung mit
der Oberfläche, mit der Fläche, die nachträglich – und nicht konstruktiv, irreversibel
– ein Muster oder eine Struktur erhält. Das heißt, man benötigt möglichst glatte
Trägerflächen, die preiswert in der Herstellung sind. Dies sind z.B. Kettenwirkwaren,
also keine Gewebe.
Braddock und O’Mahony sehen in der Entwicklung der neuen Textilien die Chance,
Kunst, Design, Ingenieurwissenschaften und Wissenschaft einander näher zu
bringen.213 Der ‘flexible Gebrauch’214 des Materials scheint in engem Zusammenhang
mit seiner Flexibilität und Variationsvielfalt zu stehen, die hier unter dem
musterbildenden Aspekt weiter untersucht werden soll.
Flächenverzierende (dekorative)215 textile Muster
Das Vorhaben, eine Fläche zu verzieren, setzt das Vorhandensein einer textilen
Fläche voraus. Die Darstellung der flächenverzierenden textilen Muster wird diese
Abhängigkeit berücksichtigen. Die zu treffende Auswahl zwischen den bisher be-
schriebenen Musterungsverfahren ist von verschiedenen Aspekten abhängig.
Zum einen gibt es technische Beschränkungen, die ein Vorhaben unmöglich machen
oder sehr kostenintensiv gestalten. Häufig haben solche Beschränkungen zu
Innovationen geführt, sei es zu technischen Neuerungen oder der Schaffung von
kostengünstigeren Imitaten. Zum anderen entscheidet die gewünschte ästhetische
Wirkung.
Beispielsweise wirkt ein gedruckter Pepita anders als ein gewebter. Die Bewertung
dieser Wirkung ist wiederum kontextabhängig: Die Kongruenz der Ebenen bei
gewebtem Pepita kann mit Authentizität und Hochwertigkeit konnotiert, das
Divergieren von Druck und Gewebe als reizvoll emfpunden werden.
Mit der Wahl des Musters der Fläche und des Musters der Verzierung wird die Auf-
fassung ihres Verhältnisses deutlich. Die Kerbung, die der Raum/die Fläche durch die
Musterung erhalten hat, beispielsweise eine köperbindiges Gewebe, kann durch eine
weitere Musterung geglättet werden.
Dies sind Aspekte, die in der Ornament- und Musterforschung hinter der dekorativen
Funktion des textilen Musters zurücktreten, die nur selten und marginal Erwähnung
finden. Als Flächenphänomen der kunsthistorischen Ikonologie zugeordnet, verliert
das Textile seine Eigenständigkeit. Das Motiv steht im Vordergrund, das Material
wird vernachlässigt. Ein anderer Zugang zu dekorativen textilen Mustern ist
technischer Art. Die verschiedenen textilen Techniken werden meist monographisch
mit technologischer, historischer oder kunsthistorischer Schwerpunktsetzung
beschrieben.216
                                                 
213
 Braddock/O’Mahony (1998): S. 6
214
 Braddock/O’Mahony (1998): S. 6
215
 Der Begriff der Flächenverzierung wird beibehalten, da er für die dargestellten Techniken als
Überbegriff eingeführt ist und die Nachträglichkeit dieser Techniken beinhaltet.
216
 Siehe hierzu auch die Darstellung des Forschungsstandes im Kapitel ‘Das Mustern des Musters’.
102
Im folgenden werden verschiedene Verfahren der Musterung benannt und das
Charakteristische des Verfahrens, seine Wirkung auf das Muster sowie seine Grenzen
festgestellt. Es geht also wiederum nicht um eine technologische Erläuterung,
sondern um phänomenologische Zuordnungen, das Auffinden von Gemeinsamkeiten
und die Berücksichtigung des Verhältnisses zur Fläche und zum Raum. Die textilen
Flächen, mit  Ausnahme der  gefilzten, geben als  Ergebnis des
Musterbildungsprozesses eine Struktur, ein Muster vor. Die Verzierungstechnik kann
nun diese Struktur betonen oder ignorieren. Sie ist also in der Lage, die Kerbung zu
verstärken oder zu revidieren, aus der gekerbten wieder eine glatte Fläche machen.
Eine Raumwirkung kann durch die Schaffung von Vorder- und Hintergrund her-
vorgerufen werden. Zudem erhöhen die meisten flächenverzierenden Muster die
Differenz von rechter und linker Warenseite, da die wenigsten Muster technisch
symmetrisch erzeugt werden. Bei technischer Symmetrie führen die ‘verzierenden’
Muster zu einem Symmetriebruch. Auch die meisten traditionellen Techniken, Filz zu
mustern, schaffen zwei zu differenzierende Seiten. Der vormals glatte Raum erfährt
eine erste Kerbung.
Die Reihenfolge, in der die verzierenden Techniken aufgeführt sind, entspricht einer
stufenweisen Erhöhung der textilen Fläche, ist also weder technologisch noch
historisch motiviert. Sofern Formen der Notation bekannt sind, werden diese kurz
beschrieben.
Färbeverfahren
Das Färben von Textilien seit der Jungsteinzeit ist durch Funde gesichert nach-
weisbar.217 Schriftliche Nachweise geben Auskunft über die Aufbereitung der Pflan-
zen oder Tiere zu Farbstoffen und den Vorgang des Färbens.218 Es handelt sich
hierbei um Rezeptbücher, nicht um Musterbücher.
Die Stückfärbung, also das Färben der fertigen Stofffläche, ist heute das häufigste
Verfahren. Im Gegensatz zur Spinn-, Flocke- oder Garnfärbung ist ihre Farbechtheit
geringer. Um nun durch einen Färbevorgang ein Muster zu erzeugen, werden nur
bestimmte Teile eingefärbt. Das Aussparen definierter Partien kann auf chemische
oder mechanische Weise geschehen. Das sogenannte ‘differential dyeing’ macht sich
die unterschiedlichen Farbaffinitäten von Rohstoffen zunutze. Verschiedenartige
Fasern werden mustermäßig verarbeitet und durch ein Farbbad unterschiedlich
eingefärbt.
Unter dem Begriff der Reserveverfahren lassen sich zwei andere Möglichkeit be-
nennen. Zum einen die Reservierung durch pastenförmiges Material. Hierbei wird
eine ‘Paste’ (z.B. Wachs bei der Batiktechnik) mustermäßig auf den Stoff aufgebracht
und nach dem Färben wieder entfernt. Zum anderen gibt es die mechanischen
Verfahren, die die Flexibilität der Textilien nutzen. Durch temporäres Knoten, Binden
(Plangi), Umwickeln, Nähen (Tritik) oder Falten der Fläche wird verhindert, das die
Farbe das gesamte Stück einfärbt. Die Stofffläche verliert hierbei für die Dauer des
                                                 
217
 Müller/Nixdorff (1983): S. 11
218
 Beispielsweise der Papyrus Graecus Holmiensis aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert, der 70
Rezepte enthält. Schneider (1979): S. 13
103
Färbevorgangs ihre Flächigkeit. Für die Mustererzeugung ist eine Plastizität
notwendig, die später nicht mehr als solche zu erkennen ist.
Diese Techniken setzen die Erfahrung des Dimensionswechsels, des Zusammenhangs
von Raum und Fläche voraus bzw. vermitteln diesen.219 Seiler-Baldinger beschreibt
beispielsweise Plangi als eine Sonderform des Abbindens, bei der der Stoff „knopf-
oder kegelförmig“ abgebunden wird.220 Das Ergebnis dieses Färbeverfahrens ist ein
kreisförmiges Muster. Plastisch erfahrbar und durch das Muster sichtbar, wird mit
dieser Technik der Zusammenhang von Radius und Kreis, die immer gleiche Distanz
zum Mittelpunkt, deutlich.
Diese textilen Muster können als Dokumente geometrischen Verständnisses gelesen
und in dieser Weise als Ergänzung zu den Ausführungen über die Ethnomathematik
verstanden werden.
Stoffbemalung
Die wohl bekannteste Form der Stoffbemalung ist die Tafelmalerei.221 Die Leinwand
wird hierfür zur Trägerfläche reduziert, die traditionell nicht sichtbar sein darf. Die
Leinwand, die nun für die Tafelmalerei verwendet wird, ist eine textile Fläche, deren
Bindung eine sehr gleichmäßige ist, die Kett- und Schußfäden zu gleichen Teilen
sichtbar läßt, die Leinwandbindung. Die Verarbeitung einer Leinwand zu einem
Tafelbild läßt die Eigenschaften des Textilen weitestgehend verschwinden: Zum
einen bedarf die Leinwand eines Rahmens, der die Mobilität stark einschränkt, und
zum anderen entsteht durch die Grundierung und den Farbauftrag eine glatte Fläche,
die nach dem Trocknen nicht mehr flexibel ist.
Thomas Raffs Publikation zur ‘Sprache der Materialien’, die sich als eine ‘Anleitung
zu einer Ikonologie der Werkstoffe’ versteht, enthält keinen Hinweis auf die
Verwendung textiler Materialien.222 Eine etwas ketzerische Auslegung der von Raff
vorgestellten Materialhierarchien des Idealismus’ würde dem Textilen einen sehr
hohen Rang zuweisen: Goethe habe die Musik als Stoff- und Handlungsloses, also
nicht Materielles, höher bewertet als die anderen Künste. Auch Kandinsky habe das
Abstrakte über das Materielle gestellt.223 Begreift man nun das Textile als Ephemeres,
Flexibles und Amorphes stünde es demnach dem Immateriellen am nächsten und
somit an der Spitze einer Materialhierarchie, die das Körperhafte, Feste, negativ
konnotiert.
                                                 
219
 siehe hierzu: Seiler-Baldinger (1991): S. 153 oder Robinson (1970): S. 21–27. Die Abbildungen
demonstrieren den Dimensionsübergang und den unberechenbaren Anteil dieser Techniken des Knotens
und Faltens.
220
 Seiler-Baldinger (1991): S. 154
221
 Die Tafelmalerei umfaßt das Malen auf Holz und auf Leinwand, woraus die Vernachlässigung des
materiellen Aspekts des Malgrundes deutlich wird.
222
 Raff (1994): S. 17. Eine einzige Stelle benennt den ‘kunstfremden’ Werkstoff Filz in einer
Aufzählung und – wie fast immer – im Zusammenhang mit Joseph Beuys. Gerade Beuys thematisiert
die Materialität, bedarf also einer Materialikonologie sehr viel weniger als andere Kunstwerke.
223
 Raff (1994): S. 25
104
Das Textile wird jedoch weder bei Raff noch bei anderen Autoren zentral be-
handelt.224 In bezug auf die Tafelmalerei wird der Wert der Farbe diskutiert, der
Holzgrund wird, wenn überhaupt, abwertend beurteilt.225 Eine solche Material-
ikonologie des Textilen soll hier nicht geliefert werden, die Darstellung dieses
Mangels zeigt ein weiteres Mal die Stellung des Textilen, das entweder als Teil des
Kunsthandwerks oder als Textilkunst aus der Kunst ausgeschlossen wird.226
Leonardo und Dürer
Ein sehr textiles (diese Steigerung bezieht sich auf die mehrere Ebenen umfassende
Textilität) – und schönes – Beispiel für den kunsthistorischen Umgang mit Textilien
sind die Gewandstudien Leonardo da Vincis. Das Besondere und – dem
Kunsthistoriker André Chastel zufolge – der geheimnisvollste Aspekt dieser Studien
ist ihre Materialität: Sie sind auf feiner Leinwand und nicht auf dem üblichen Papier
und mit Tempera statt mit der zu Zeiten Leonardos gebräuchlich gewordenen Ölfarbe
ausgeführt worden.227 Statt einer Erklärung stellt Chastel einen Vergleich mit Dürer
an. Beide Maler haben mit Tempera auf sehr feiner Leinwand gemalt, und beide
hätten mit ihren Studien ihre Meisterschaft in bezug auf die Darstellung textiler
Materialien (bei Dürer vor allem die Wiedergabe von Fellen und Pelzen und bei
Leonardo die Faltenwürfe) demonstrieren wollen.228 Betrachten wir also eine dieser
Studien (Abbildung 8), um vielleicht einen anderen Zugang als Stil- und
Werkstattvergleich zu erhalten.229
Die Abbildung 8230 zeigt eine sitzende Figur, deren Gesicht nicht ausgeführt ist. Der
Lichtakzent liegt auf dem linken Bein, das über das rechte geschlagen ist. Der Körper
ist vollständig von der Drapierung bedeckt bzw. ersteht der Körper erst durch die
Drapierung. Oberkörper und Kopf sind nur schwach ausgezeichnet und scheinen sich
gleichermaßen im Hintergrund aufzulösen. An dieser Stelle findet der Übergang von
einer textilen ‘Ebene’ zu einer anderen statt: Die Leinwand als leinwandbindiges
Gewebe wird zum Thema. Der geschulte Blick – unsere Sehgewohnheiten – blenden
diese Sichtbarkeit des Malgrundes automatisch aus. Dieses Ausblenden beruht auf der
Annahme, daß der Malgrund nicht absichtlich sichtbar sein soll, also ein Zeichen des
                                                 
224
 Raff (1994) verweist auf Beiträge der Kunsthistoriker Günter Bandmann und Wolfgang Kemp, die
sich jedoch zunächst, in den 1970er Jahren, um die Etablierung einer Materialikonologie bemühen und
exemplarisch über Holz und Wachs arbeiten. (S. 10ff)
225
 Raff (1994): S. 48f. Raff zitiert u.a. Horaz, der das Holz abwertend beurteilt, indem er seinen
praktischen Nutzen als Schemel oder Heizgut anführt. Sein Urteil über einen textilen Malgrund wäre
wahrscheinlich noch vernichtender gewesen.
226
 An diesen Zuordnungen zeigt sich, daß das Textile keinen Eingang in die Kunstgattungen gefunden
hat. Innerhalb der etablierten Gattungen wird es fast nicht erwähnt und als eine materiell definierte
Kunst führt es ein Außenseiterdasein bzw. wird den materialorientierten Kategorien der angewandten
Kunst neben Glas, Keramik und Porzellan zugeordnet.
227
 Leonardo da Vinci (1990): S. 12, 10
228
 Leonardo da Vinci (1990): S. 13f
229
 Auch die beiden anderen im Katalog enthaltenen Texte von Carlo Pedretti und Françoise Viatte
beschäftigen sich vorrangig mit der Autorschaft und der Datierung der Gewandstudien. Leonardo da
Vinci (1990): S. 15–22, 23–41
230
 Im Katalog als „Gewandstudie für eine sitzende Figur in Dreiviertelansicht nach links“
bezeichnet. „Pinsel und graue Tempera mit Weißhöhungen auf grundierter grauer Leinwand.
29x20 cm, unregelmäßige Ränder mit Spuren abgerissener Fäden. Florenz, Uffizien.“ Leonardo da
Vinci (1990): S. 52
105
Imperfekten ist, bzw. in diesem Fall auf den Studiencharakter zurückgeführt und
deshalb nicht erwähnt wird.
Die von Françoise Viatte zitierten Beschreibungen der Techniken dienen ihr für die
kunsthistorischen Ziele der Zuschreibung, im folgenden erfahren sie eine andere
Lesung. Einem Traktat aus dem 14. Jahrhundert zufolge, stammt die Tempera-
Technik aus Nordeuropa und gelangte durch einen Sticker nach Italien. Zur
Vorbereitung wurde die Leinwand mit gummiertem Wasser getränkt und dann auf
einer wollenen Unterlage bearbeitet. Die Eigenschaft der Wolle, nur sehr langsam zu
trocknen, wurde hier genutzt, um beim Farbauftrag keine Feuchtigkeit zu verlieren.
Zusätzlich wurde die Leinwand immer wieder befeuchtet. Hierdurch seien die Farben
stabil und die Feinheit der Leinwand unberührt geblieben, „so als wäre sie gar nicht
bemalt worden, denn die Farben haben keinen Körper.“231 Mit der Wahl dieser
Technik ist also die Absicht verbunden, die Leinwand in ihrer Eigenschaft zu
erhalten. Die Farbe als Körperloses färbt sie in der Form, wie man einen Stoff färbt:
Seine Struktur, sein Muster, seine Textur bleiben sicht- und fühlbar erhalten.
Die überlieferten Schriften Leonardos und sein Werk zeugen von seinem Interesse an
textilen Materialien. Wie differenziert dieses Interesse war, wird deutlich, wenn er
von der Beschaffenheit des Stoffes (die von seinem Rohstoff und der Stoff-
bildungstechnik abhängig ist) spricht, von seiner Stärke und Dichte, auf der Vorder-
wie auf der Rückseite, von der Energie, die das Material sich zusammenziehen und
dehnen läßt.232 Eine zufällige und noch dazu mehrmals getroffene Wahl für die
Materialien Tempera und Leinwand für Gewandstudien erscheint vor diesem
Hintergrund unwahrscheinlich.
Dürer bezieht den Malgrund auf noch explizitere Weise in seine Studien ein (diesen
Hinweis gibt Chastel, ohne ihn zu nutzen): Statt Weißhöhungen habe er die Leinwand
freigelassen, um das Licht zu setzen.233 Das Freilassen der Leinwand wird sehr viel
später, im Zusammenhang mit der Minimal Art, als Thematisierung des Materials und
somit als ein ‘Ausstieg aus dem Bild’ gewertet.234 Ich möchte Dürer hiermit nicht zu
einem Minimalisten avant la lettre machen, jedoch seine und Leonardos Wahl der
Materialien als eine gezielte kennzeichnen. Für die Darstellung von Gewändern, von
Textilien, wählen beide die Leinwand, die mit Hilfe eines anderen textilen Materials,
der Wolle, präpariert wird. Das heißt, die Technik, der Malgrund und das Motiv sind
textil. Die Vorder- und Rückseite und die Reagibilität des Textilen, die Leonardo so
interessieren setzen sich in der Technik fort: Die Leinwand wird vollständig von der
Farbe durchdrungen, und die Folgen des Ziehens und Spannens der Leinwand läßt
sich dauerhaft an einigen Stellen (beispielsweise am rechten Rand auf mittlerer Höhe)
erkennen. Vielleicht war es nicht zufällig ein Sticker, der diese Technik nach Italien
gebracht hat: Um einen Stickgrund mit einer Vorzeichnung zu versehen, ist es
                                                 
231
 Leonardo da Vinci (1990): S. 31
232
 Leonardo da Vinci (1990): S. 29
233
 Leonardo da Vinci (1990): S. 13
234
 Arch+ (1995): S. 20. Die amerikanische Malerin Agnes Martin (*1912) gilt als Vorläuferin der
Minimal Art. Sie verwendet ungrundierte Leinwand (z.B. Island No. 1, 1960), um den handwerklichen
Prozeß und textile Techniken zu betonen. Ritter (1988): S. 43–48
106
wichtig, daß die Leinwandbindung sichtbar bleibt, da sie die Orientierung für die
Stiche liefert.
Im Gegensatz zum Bemalen von gespannten Leinwände ist das Bemalen von Be-
kleidungstextilien nicht sehr verbreitet. Eine Schwierigkeit besteht darin, daß die
aufgetragene Farbe sich nicht dauerhaft mit dem Stoff verbindet und meist weniger
flexibel ist als die Trägerfläche. Das heißt, die Farbe bröckelt schon durch Bewegung
ab, löst sich beim Waschen meist ganz. Heute sind diese Probleme teilweise
chemisch-technisch zu überwinden, die Kosten für (hand-)bemalte Stoffe
entsprechend sehr hoch. Im (kunst-)handwerklichen Bereich lassen sich Techniken
wie z.B. die Seidenmalerei auffinden. Der feine, leinwandbindige Seidenstoff bietet
einen glatten, dichten Malgrund, so daß bei der Muster- und Motivwahl Struktur,
Warenseite und Richtung vernachlässigt werden können. Der Farbauftrag erfolgt
meist linear, mit pinselähnlichen Geräten oder Kreidestiften. Andere Stoffe, deren
Muster dominanter sind, beispielsweise Maschenstoffe, werden nur sehr selten bemalt
oder bestickt.235 An dieser Stelle lassen sich die hier vorgestellten Formen der
Stoffbemalung wieder zusammenführen: Im allgemeinen wird die Trägerfläche
negiert, d.h. die durch ein Muster gekerbte Fläche (meist eine Leinwandbindung,
auch für die Seidenstoffe) wird geglättet und durch eine distanzierte, mit Hilfsmitteln
ausgeführte Form des Farbauftrags neu gekerbt.
Stoffdruck
Für den Stoffdruck lassen sich in bezug auf die Drucktechnik zwei Grundprinzipien
feststellen, die in Abhängigkeit vom gewünschten Ergebnis ausgewählt werden.
Das Bedrucken mit Farbe beläßt den Stoffgrund in seiner ursprünglichen Farbe und
bildet das Muster direkt ab. Dieser Druckvorgang gehört zu den elementaren
Erfahrungen, da ein rußiger Finger ausreicht, seine Wirkung auf einer Fläche zu
erproben. Die wichtigsten Techniken – von der Kartoffel bis zum Laser – sind:
Blockdruck, Kupferplattendruck, Walzendruck, Perrotindruck und Filmdruck.236 Das
Bedrucken mit einer Reservierungsmasse bedarf weiterer Arbeitsgänge: dem Färben
und anschließenden Entfernen dieser Masse. Nun erscheint das Muster in der Farbe
des Stoffgrundes. Der Blaudruck ist ein prominentes Beispiel hierfür.237 Bei einer
besonderen Form des Reservedrucks wird eine Ätzpaste mustermäßig aufgedruckt,
die anschließende Behandlung mit Chemikalien verändern das Gewebe, es entstehen
sogenannte Ausbrenner oder Dévorants (frz. dévorer – auffressen).238
Die Auswahl der Drucktechnik ist von der Musterung abhängig, dem Verhältnis von
Muster und Grund, der Rapportgröße etc. Der Stoffdruck vollzieht sich stets in der
Fläche. Das heißt, es handelt sich hierbei um eine Technik, die das Textile reduziert,
es glättet und auf seine zu bedruckende Vorderseite beschränkt. Der Modeldruck
rastert diese Fläche, der Walzendruck produziert ein potentiell eindimensional-
unendliches Muster. Wiederum lassen sich elementare mathematische
                                                 
235
 Seiler-Baldinger (1971): S. 122
236
 Meller/Elffers (1991): S. 453
237
 Zur Technik und Geschichte des Blaudrucks in Europa und Japan siehe Walravens (1993).
238
 Hofer (1994): S. 318f
107
Grunderfahrungen ableiten. Das Rastern der Fläche orientiert sich an den be-
grenzenden Kanten des Gewebes, eine Art Koordinatensystem entsteht, anhand
dessen der Versatz des Druckmodels bemessen wird. Das Abrollen der Zylinderform
der Walze verweist auf den Zusammenhang von Rechteck und kreisförmiger
Bewegung und deren unendliche Repetition.
Die zu bedruckende Fläche sollte möglichst wenig Struktur aufweisen, deshalb
werden meist leinwandbindige Gewebe, selten Maschenstoffe und nicht Struktur-
gewebe bedruckt. Der älteste nachzuweisende Zeugdruck stammt aus Indien aus dem
4. Jahrhundert v. Chr., die ältesten Model in Form von irdenen Stempeln werden auf
1500 v. Chr. datiert.239 Lange Zeit diente das Bedrucken von Stoffen lediglich der
Nachahmung kostbarerer Stoffe mit Web- oder Stickmustern. Die mangelnde
Haltbarkeit der Farben machte die bedruckten Stoffe zu billigen Surrogaten240 bzw.
den bedruckten Zustand zu einem vorübergehenden: Die aufgedruckten Muster
dienten als Stickereivorlage. Erst mit einer verbesserten Technik entwickelte der
Stoffdruck eine gewisse Eigenständigkeit.241
Da sich praktisch jeder zeichnerische Entwurf auf Stoff drucken läßt, lassen sich
keine Kategorien bilden. Das ikonische Interesse steht im Vordergrund, der Stoff
erscheint nur noch als Mittel zum Zweck, als Träger. Die Druckmuster haben
demzufolge meist keine spezifisch textile Aussage, es sei denn, sie imitieren eine
solche. Einige Beispiele aus den von mir untersuchten Sammlungen können dies
veranschaulichen. Das Staatliche Museum für angewandte Kunst in München (Neue
Sammlung) ist im Besitz von ca. 1200 „Druck- und Webstoffen“242 aus dem 20.
Jahrhundert. Die Sammlung orientiert sich an den Künstlern, die für die Entwürfe
verantwortlich zeichnen. Das Material, die Textilie, tritt vollständig hinter der
‘Geschmacks-’ und Stilbildung zurück. Die im Museum angelegten Karteikarten
verdeutlichen diese Nivellierung: Das musterbildende Moment – Druck- oder
Webtechnik – wird nicht als solches benannt. Die ikonographische Beschreibung des
Musters nimmt den größten Raum ein und steht, definitionsgemäß, nicht mit dem
Träger in Verbindung.243
Die Abbildungen 9 und 10 zeigen einen Stoffmusterentwurf und ein Textilfragment
aus der ‘russischen Sammlung’. In dieser Gegenüberstellung wird die Unmittelbarkeit
zwischen Entwurf und Ausführung deutlich. Das Papier des Entwurfs wird mit dem
zu bedruckenden Stoff gleichgesetzt. Die Dichte der Leinwandbindung und die glatte
Oberfläche ermöglichen diesen vernachlässigenden Umgang. Das haptische Moment
des Textilen geht fast vollständig verloren. Auf das Textile als Ort der Propaganda
werde ich zurückkommen.
                                                 
239
 Loschek (1994): S. 476
240
 Walravens (1993): S. 53
241
 Die Einführung mehrfarbig gemusterter Baumwollstoffe aus Indien (daher der Name Indiennes) in
Europa führte zur Einrichtung erster Kattundruckereien Ende des 17. Jahrhunderts. Loschek (1994): S.
477
242
 Wichmann(1990): S. 13
243
 Wichmann (1990): S. 20f. Die entsprechende Definition wurde bereits im Kapitel ‘Das Mustern des
Musters’ zitiert.
108
Die Literatur ordnet die Stoffdruckmuster meist epochal, zeitlich wie inhaltlich an die
Kunstgeschichte angelehnt, zu.244 Die eingegangene Verbindung zwischen Kunst und
Industrie, die Entwicklung des Designs legen dies nahe.245
Eine der Voraussetzungen für die Beschäftigung der Künstler mit Textilentwürfen
liegt im Material selbst begriffen. Das zu bedruckende Textile bietet eine glatte
Fläche, dem Entwurfspapier ähnlich, die zunächst nur in der Breite begrenzt ist.
Dementsprechend erfordert der Entwurf vergleichsweise geringe Material- und
Technikkenntnisse.
Hiermit soll weder Textildesignern noch Künstlern das Wissen um Materialität und
Technik der Textilien abgesprochen werden, sondern lediglich auf die relative
Trägerungebundenheit hingewiesen werden, wie sie sich beispielsweise bei Seiden-
tüchern, die mit Hundertwasser-Motiven bedruckt sind, zeigt.
Der Stoffdruck mit seinen technischen Möglichkeiten bietet in der Mustergestaltung
der Textilien den größten Freiheitsgrad.
Definitionsgemäß muß die Wiederholbarkeit eines Motivs gewährleistet bzw. für den
Gesamtentwurf in Form des Rapports festgelegt sein. Des weiteren haben die zu
entwerfenden Textilmuster eine Zweckgebundenheit (Heim-, Bekleidungs- oder
Dekorationstextilien). Hierin bestanden die Anforderungen an den Musterzeichner,
oder den Künstler in der Tradition der Kunstgewerbereform, bzw. den Textildesigner:
Kenntnis der Rapportlehre, das Wissen um die technischen Möglichkeiten, die
Angemessenheit der Muster. Wie einleitend beschrieben, beschäftigten sich
verschiedene Kunsttheoretiker des 19. Jahrhunderts mit Ornamenten und Mustern.
Der Kunsthandwerker und Designer William Morris (1834–1896) war einer der
wenigen unter ihnen, der den Herstellungsprozeß im Entwurf berücksichtigt sehen
wollte.246 Die konkreten Hinweise, die sich in seinen Schriften finden, haben eher
allgemeinen Charakter, verweisen lediglich auf die Differenzen von Papier, be-
drucktem Stoff, Stickerei und Weberei.247 Der Hauptbeitrag zur Textilkunst, den
Morris geleistet habe, liege in der Betonung des Flächencharakters des Textilen. Er
habe „die unangemessene Dreidimensionalität der Dekorelemente zugunsten der
Zweidimensionalität aufgegeben.“248 Tietzel weist einschränkend darauf hin, daß
Morris nicht der einzige war, der naturalistische Motive auf lineare Strukturen
abstrahiert hat.249 Darüber hinaus bleibt zu fragen, ob diese kunsthistorische Sicht auf
die Textilkunst, die Morris im übrigen selber vertrat,250 angemessen ist.
Die meisten Handbücher für Musterzeichner des 19. Jahrhunderts bestehen aus einer
Vorlagensammlung,251 die historische Kenntnisse vermitteln, zu Stilsicherheit und
                                                 
244
 Um nur zwei Beispiele zu nennen: Stoffmuster des Jugendstils, Tietzel (1981); Biedermeierstoffe,
Völker (1996)
245
 Ginsburg (1991): S. 86
246
 Parry (1987): S. 48
247
 Morris (1881): S. 191–198
248
 Tietzel (1981): S. 265
249
 Tietzel (1981): S. 265f
250
 Fairclough/Leary (1981): S. 10. „[...] He stresses the importance of getting the design flat, with no
hint of shading, with the areas of colour clearly defined bay outlining in another tint.“
251
 Schulze (1886); Zeitschrift für Musterzeichner; Fischbach (1874); Shaw (1842); Bock (1859). Eine
Ausnahme bildet Lieb (1900), der ausführlich auf die unterschiedlichen textilen Techniken in bezug auf
ihre Musterung eingeht.
109
Geschmacksbildung führen und das Kunsthandwerk wiederbeleben sollten.252 Hierbei
ging es sehr viel mehr um das Selbstverständnis der Musterzeichner bzw. des
Kunstgewerbes und um nationale Fragen253 als um die Entwicklung einer
Textilentwurfspraxis, wie sie später am Bauhaus vermittelt wurde.254
Patchwork
Patchwork bedeutet wörtlich übersetzt Flickarbeit. Flicken – Stoffreste – werden
zusammengenäht, um eine große Stofffläche zu erhalten. Diese elementare Definition
trifft auf viele Näharbeiten zu.255 Die Ästhetisierung dieses ökonomischen Vorgehens,
die vor allem den amerikanischen Siedlerfrauen zugeschrieben wird256, hat den
Begriff zu einem Synonym einer textilen Technik werden lassen, der auch im
Deutschen verwendet wird. Man unterscheidet zwischen ‘piecing’ oder ‘patching’,
dem einfachen Zusammenfügen von Stoffstücken und ‘applied work’ oder ‘appliqué’,
dem Aufsetzen von Stoffstücken auf einen Trägerstoff. Der ‘patchwork quilt’
bezeichnet das Produkt, das am häufigsten mittels der Flickenarbeit hergestellt wird:
eine Flickendecke. Das Quilten, das Steppen und Wattieren, als Technik der
Verbindung mehrerer Stoffschichten, bildet Plastizitäten aus.
Die meisten Patchwork-Arbeiten verwenden gemusterte Stoffstücke, die mustermäßig
zusammengesetzt werden. Hierfür wird ein Entwurf in verkleinertem Format gemacht
und danach Schablonen für den Zuschnitt hergestellt. Die einfachste Grundform mit
hoher Symmetrie ist das Quadrat. Wählt man eine andere Form, entspricht die
Aufgabenstellung der des regelmäßigen Parkettierungsproblems, das im
Zusammenhang mit den gewebten Kleinmustern schon angesprochen wurde.
Patchworkdecken gleichen sehr viel augenfälliger diesen Parkettierungen, gehören
doch Mosaike, Intarsienarbeiten und gemusterte Decken in den Bereich der
Raumdekoration. Eine Patchwork-Arbeit weist auf mehreren Ebenen Muster auf:
Bindungsstruktur, Farbe und Muster der Stoffstücke; Form und Muster des
Zusammensetzens; Art und Weise des Zusammenfügens (‘unsichtbare’ Nähte,
sichtbare Nähte als zusätzliche Verzierung etc.).
Noch vor der Weiterverarbeitung – z.B. zu einer Steppdecke – weist eine solche
Arbeit hohe Komplexität auf. Die Metapher des Stückwerks, des Puzzles, des
Sampelns, die das Patchwork transportiert, kann dem Erzählerischen einverleibt
werden. Der Roman ‘Ein amerikanischer Quilt’257 beschreibt die Entstehung eines
Gemeinschaftsquilts. Mehrere Frauen einer amerikanischen Kleinstadt treffen sich
regelmäßig, um einen Quilt (Patchworkdecke) herzustellen. Mit jedem Stoffstück, das
in die Decke eingearbeitet wird, ist eine Geschichte verbunden: Die Stoffstücke fügen
                                                 
252
 Fischbach (1874)
253
 In der Zeitschrift für Musterzeichner, aber auch bei Gurlitt (1890) finden sich Hinweise auf das
Bestreben, von Frankreich künstlerisch unabhängig zu werden.
254
 Stölzl (1997): S. 106. Bei ihrem Unterricht am Bauhaus legte Gunta Stölzl viel Wert auf Materialität,
auf die Eigenheiten des Textilen.
255
 Bacon (1973) schreibt, die Grundform des Patchwork sei die Zusammenstellung von Tierhäuten zu
Bekleidung der primitiven Menschen gewesen. (S. 26)
256
 Loschek (1994): S. 371
257
 Whitney Otto, Ein amerikanischer Quilt, Frankfurt a.M. 1991
110
sich analog zur Gesamtgeschichte zusammen. Die Decke, die komprimierte
Erfahrung dieser Frauen, erhält die Nichte als Hochzeitsdecke.
Eine Lesung ‘globaleren Umfangs‘ rekurriert auf die enge Verbundenheit der
Geschichte Amerikas mit dem Patchwork: „Within the folds of the quilt are pieced
the dreams of the men and women who were wresting a place of their own from the
unsubdued wilderness: their hardships and their faith, [...] the heartbeats of all those
who were laying the foundations of a new country.“258 Verläßt man die Einzel-
schicksale, die sich in einer Decke finden lassen und betrachtet sie von ihren Grenzen
her, als (Land-)Karte, erkennt man die Entwicklung vom glatten zum gekerbten
Raum.259 Das Besiedeln des unbewohnten, des glatten Raums ist mit dem Patchwork,
das unregelmäßige Reststücke ungeschnitten verarbeitet, zu vergleichen. Die
beschriebene hochentwickelte Form des Patchwork, die regelmäßige Stoffstücke
planvoll zu Mustern zusammensetzt, kerbt den Raum, in ihrer Perfektion
landschaftlich Reisfeldern oder französischen Barockgärten vergleichbar.
Applikationstechniken
Das Applizieren von Stoffstücken kann wie oben definiert dem Patchwork zuge-
ordnet werden oder auch allgemeiner den Applikationstechniken. Appliziert werden
können Rinde, Federn, Haare, Bänder, Litzen, Posamente, Perlen, Muscheln etc. mit
Hilfe von Nadel und Faden. Je nach verwendetem Stich – nicht sichtbare Nähstiche
oder sichtbare Zier-/Stickstiche – werden verschiedene Techniken auch der Stickerei
zugeordnet.260 Es geht hier jedoch weniger um eine systematische Zuordnung als um
die Möglichkeit der Musterung unabhängig vom Trägerstoff. Vergleicht man die
Applikationstechnik mit der Collage, schafft sie eher Einzelmotive als Muster.
Stickerei
„Unter Stickerei versteht man das Verzieren von Stoff mit Faden, der gleichzeitig zu
seiner eigenen Befestigung auf der Unterseite dient.“261
Der entscheidende – definitorische – Unterschied zur Näherei besteht in der inten-
tionalen Verzierung des Trägerstoffes. Entwicklungshistorisch ist die Näherei vor der
Stickerei einzuordnen, ist doch eine Ableitung der Stickstiche von Zierstichen der
Näherei naheliegend.262 Angesichts dieser fließenden Übergänge fallen Datierungen
der frühesten Stickereien unterschiedlich aus, erschwert durch die geringe Anzahl und
Fragmentarität der Funde. Auf historische Zuordnungen wird im folgenden
größtenteils verzichtet.263
Der Trägerstoff der Stickerei ist in den meisten Fällen ein Gewebe mit relativer
Dichte: Die Nadel muß leicht durch den Stoff zu führen sein, und trotzdem muß die
Gewebebindung den Stickfaden ausreichend fixieren. Maschenstoffe sind aufgrund
ihrer Dehnbarkeit schwerer zu besticken, zudem können sich die Maschen und die
                                                 
258
 Bacon (1973): S. 26
259
 Deleuze/Guattari (1992): S. 661, 676
260
 Boser/Müller (1969) bezeichnen Applikationsverfahren und Ziernähte als Übergangsformen. (S. 9)
261
 Seiler-Baldinger (1991): S. 147
262
 Seltener werden die Ursprünge der Stickerei in Knüpf- und Webtechniken aufgesucht. Vgl.
Grönwoldt (1993): S. 24
263
 Einen historischen Überblick geben z.B. Grönwoldt (1993) und Schuette/Müller-Christensen (1963).
111
Stickstiche beim Sticken verschieben.264 Ähnliches kann bei Netzen oder losen
Geweben geschehen, weshalb diese Textilien selten als Stickgrund genutzt werden.
Eine Ausnahme bilden die Spitzentechniken, die der Stickerei zugeordnet werden, die
auf Tüll- oder Netzgründen ausgeführt werden. Systematiken der Stickerei265 gehen
von dem Trägerstoff aus, der als solcher intakt bleibt oder stellenweise durchbrochen
wird. Das Sticken setzt sich demnach entweder mit der Fläche auseinander – dem
Verhältnis von Muster und Grund, der Schaffung von Vorder- und Rückseite – oder
mit dem Nichts. Um dies zu veranschaulichen, sollen exemplarisch verschiedene
Sticktechniken vorgestellt werden.266
Der Kreuzstich
„Jede Stichtype bildet ein abgeschlossenes Ganzes, meist in einer viereckigen Fläche
über abgezählte Fäden ausgeführt.“267 Der diagonale Kreuzstich wird fortlaufend von
rechts nach links gearbeitet. Die Rückseite der Stickerei weist eine waagrechte,
ununterbrochene Linie und eine weitere Linie mit übereinandergreifenden Stichen
auf.268 Als Material für den Kreuzstich wird ein gleichmäßig gewebtes Leinen
empfohlen, um das für den Kreuzstich notwendige Zählen zu erleichtern.269 Muster
und Grund stehen also in enger Verbindung. Die Wahl des Stickstiches bestimmt den
zu bestickenden Stoff – in der traditionellen, verbindlichen Form der Stickerei.
Ursprünglich mag umgekehrt die Bindungsstruktur des Stoffes, in diesem Fall das
leinwandbindige Gewebe, das Lineare des Kreuzstiches inspiriert haben. Er führt in
das orthogonale System der Leinwand270 die Diagonale ein, die ein Köper schon
webtechnisch generiert. Die klare Struktur des Gewebes schafft die Möglichkeit des
Zählens und somit der Wiederholung. Kreuzstichmuster werden in Form von
Mustertüchern oder -büchern tradiert. Die Bindungspunkte des Gewebes werden als
Karomuster gezeichnet, in das die Kreuze als solche oder als ausgefüllte Kästchen
eingetragen werden. Der Abstraktionsgrad der Notationsform ist also ein sehr
geringer. Die Reduktion findet auf der Entwurfsebene statt: Alle Formen werden
stark stilisiert, um in das Kästchenschema zu passen, zudem sind die meisten
Kreuzstichmuster einfarbig. Diese Angemessenheit des Entwurfs wird mit Qualität
konnotiert.
                                                 
264
 Seiler-Baldinger (1971): S. 123
265
 Beispielsweise ‘Handsticken. Versuch einer Systematik’ hrsg. vom Arbeitgeberkreis Gesamttextil,
Frankfurt a.M. 1985.
266
 Auf umfassende Analysen muß an dieser Stelle verzichtet werden, da die Variationsmöglichkeiten
der Stickerei Material für eine eigene Untersuchung bieten. Die systematische Übersicht von
Boser/Müller (1969) kann als Leitfaden für solche Untersuchungen dienen, da sie sich an der
Dimensionalität der Stichformen orientiert und die Differenz von ‘Bild- und Kehrseite’ (S. 13)
berücksichtigt. Die zahlreichen Monographien zur Stickerei sind weniger technologisch als historisch
orientiert und beschäftigen sich mit einzelnen Epochen, der Entwicklung einzelner Stiche
(Kreuzstichmuster) oder Stickereien (Gobelins), Gesamtdarstellungen oder den Stickmustertüchern und
-büchern. Die meisten enthalten technische Hinweise sowie umfangreiches Abbildungs- und
bibliographisches Material.
267
 Boser/Müller (1969): S. 46
268
 Boser/Müller (1969): S. 47
269
 Gierl (1993): S. 15
270
 Die üblichen Stoffe für die Kreuzstichstickerei sind Canevas oder Stramin, leinwandbindige Gewebe
(Panama) aus Baumwolle oder Halbleinen, bei denen Kett- und Schußfäden nicht dicht
aneinanderliegen. Vgl. Grönwoldt (1993): S. 282f
112
Die Größe der Stiche variieren nicht innerhalb einer Arbeit, es entsteht ein sehr
gleichmäßiges Musterbild, erzeugt durch eine sehr gleichmäßige, rhythmisierte
Bewegungsform. Das Erscheinungsbild der Rückseite der Stickerei betont die
horizontale Linearität der Bewegung, ohne ein neues Muster zu bilden. Gleichzeitig
bezeugt es den Symmetriebruch, den diese Sticktechnik hervorruft.
Nadelmalerei
Das Sticken wird häufig als ein „Malen mit der Nadel“271 bezeichnet. Das Malen ist
jedoch eine Technik, die traditionell mit linearem Farbauftrag in der Fläche ausge-
führt wird. Die Linearität des Fadens und das Ergebnis – gestickte Bilder – mögen zu
dieser Parallelisierung geführt haben, eine genauere Betrachtung der Muster und ihrer
Techniken läßt jedoch erkennen, das die Stickerei keine Oberflächenkunst in diesem
Sinne ist.
Der Stielstich, der Spannstich und vor allem der sogenannte ‘ineinandergreifende
Plattstich’ sind dazu geeignet, einen Stoff flächendeckend zu besticken. Das Ziel
hierbei ist eine möglichst naturalistische, malerische Wiedergabe. Die Stiche können
in jeder Länge und Ausrichtung ausgeführt werden. Musterbildend ist die Farbe, die
Flächen werden mit den farbigen Fäden ‘ausgemalt’. Der Trägerstoff tritt bei dieser
Stickerei in den Hintergrund bzw. wird vollständig verdeckt. Auch der Stickstich ist
nicht maßgeblich an der Musterung beteiligt. Die Vorlagen, nach denen gearbeitet
wurde, sind der Bildwirkerei ähnlich. Die Nähe zur Malerei zeigt sich auch in einer
Technik wie der Petit-Point-Stickerei, die das divisionistische Prinzip des
Pointillismus vorwegnimmt. Die ein bis zwei Millimeter kleinen Stiche erzeugen eine
‘gepixelte’ Fläche, lassen das ‘Bild’ durch additive Farbmischung entstehen.
Diese beiden Formen der Stickerei – der Kreuzstich und die sogenannte Nadelmalerei
– bilden zwei Pole, die sich in der mittelalterlichen Zunftordnung der Sticker
widerspiegelt. Selten bildeten die Seidensticker eine eigene Innung, sie wurden
entweder den Schneidern und Tuchscherern oder den Malern zugeordnet.272 Die
Herstellung von Spitzen wird meist nicht als Sticktechnik aufgeführt, technisch ist
diese Zuordnung jedoch zutreffend.
Nadelspitze
Man unterscheidet zwischen Nadel- und Klöppelspitze aufgrund ihrer technischen
Herleitung.273 Die Klöppelspitze gehört zu den schon behandelten Geflechten. Die
Nadelspitze entsteht aus der Bearbeitung, dem Besticken, einer vorhandenen Fläche.
Diese Fläche kann ein Netz (Tüllspitze, Filetspitze) oder ein Gewebe sein. Aus dem
Gewebe werden Gruppen von Kett- und/oder Schußfäden ausgezogen und die
verbleibenden Fäden durch Näh- bzw. Stickstiche fixiert. Beim einfachen Durchbruch
werden entweder Kett- oder Schußfäden ausgezogen, es entstehen sogenannte
                                                 
271
 Stradal/Brommer (1990): S. 7
272
 Grönwoldt (1993): S. 10
273
 Die meisten Monographien zur Spitze oder zur Stickerei enthalten eine Übersicht der Fachausdrücke
und technische Beschreibungen. Grönwoldt (1993): S. 279, 282–284; Lenning (o.J.): S. 203–211;
Earnshaw (1985): S. 157–161
113
Hohlsaumarbeiten, beim doppelten Durchbruch werden Kett- und Schußfäden
entfernt. Aus dieser Technik entstehen vor allem lineare, stark geometrisierte Muster.
Bei der Richelieu-Stickerei werden die Musterränder fixiert, dann der Leinwandgrund
ausgeschnitten und anschließend die Musterteile durch Stege verbunden. Aus diesen
Techniken entwickelte sich der ‘punto in aria’, der Luftstich, der völlig auf den
Stickgrund verzichtet. Zur vorübergehenden Befestigung der Stiche dient Wachstuch
oder Pergament. Die Nadelspitze löst sich von der Orthogonalität des Gewebes und
beginnt, die Luft, das Nichts, zu umsticken. Die Prozeßhaftigkeit dieser Ablösung
kann man beispielsweise an der Reticella-Spitze erkennen, eine frühe italienische
Form der Nadelspitze, die „innerlich noch abhängig von der Geradlinigkeit des
Fadenkreuzes“ ist und hieraus geometrische, lineare Muster entwickelt.274
Die beschriebenen Stiche der Stickerei erzeugen eine Vorder- und Rückseiten-
trennung, die in der Verarbeitung berücksichtigt wird. Die Transparenz der Spitzen –
der feine Batist, der Netzgrund, die Durchbrüche, die Luft – macht es notwendig,
möglichst keine unansehnliche Rückseite entstehen zu lassen. Das heißt, es mußten
Techniken entwickelt werden, die Symmetrie erzeugen.
Die hier vorgestellten Beispiele entsprechen den über einen langen Zeitraum ent-
wickelten Sticktechniken, die an Traditionen gebunden sind. Diese eingegangenen
Verbindlichkeiten werden nur selten – z.B. innerhalb der Textilkunst oder der Haute
Couture – aufgebrochen. Es besteht neben dieser traditionellen eine gestalterische und
technische Bindung an die zu bestickende Fläche.
„Sie (die Muster in den Musterbüchern von Frieda Lipperheide, Anm. K.K.) zeichnen sich vor
Allem durch strenge Innehaltung der Grenze aus, welche dem Kreuzstich durch die Technik
gesetzt ist, nehmen im Uebrigen auch hauptsächlich darauf Rücksicht, dass der Kreuzstich in erster
Reihe zur Verzierung von Leinenzeug verwendet wurde und werden soll, lassen also bei der
Musterung das schöne Grundmaterial zur Geltung kommen.“275
Deleuze/Guattari erwähnen innerhalb ihres Modells der Technik auch die Stickerei,
ohne ihre Technik dabei näher zu erläutern. Sie vergleichen ihre Raumwirkungen mit
denen des Patchwork. Die Stickerei könne zwar durch ihre Konstanten und Variablen
(die hier beschriebenen Elemente des Stickgrundes und der mit Nadel und Faden
ausgeführten Stiche) große Komplexität erreichen, habe jedoch immer ein zentrales
Motiv oder Thema, das sie bindet. Die Harmonie der Stickerei sehen die Autoren
gleichermaßen als Beschränkung gegenüber dem Patchwork an, das sie mit dem
Rhythmusbegriff verbinden.
Den Harmoniebegriff habe ich durch den der einschränkenden Wirkung der Tradition
ersetzt, die Rhythmizität der Stickerei würde ich – sofern eine Hierarchisierung
sinnvoll ist – über die des Patchwork stellen, da sie eine mehrfache und unmittelbar
sichtbare ist. Es geht hierbei immer um die Rhythmizität der Bewegung, die ein
Muster, ein Textiles generiert.
Auch wenn Deleuze/Guattari vom Modell der Technik sprechen, führt ihre Be-
urteilung der beiden Techniken zu der Annahme, daß die Autoren vom fertigen
Produkt geleitet wurden, das Objekt und nicht den Prozeß interpretieren. Auf der
                                                 
274
 Lenning (o.J.): S. 39
275
 Lipperheide (1890): S. 58
114
Objektebene schneidet das Bestickte schlecht ab: Es erweckt meist die Assoziation
des Biederen und biedermeierlich Spießigen, der Küchensprüche und Handarbeits-
unterrichtszwänge. Das Patchwork hingegen wird als historisch vermeintlich jüngeres
und von Amerika kommendes, versehen mit dem Namen ‘crazy quilt’, positiver
konnotiert. Beide Techniken lassen jedoch sowohl eine unsaubere als auch eine
pedantische, eine phantasievolle oder beschränkte Ausführung zu.
Die Vielfalt der Stickerei, vor allem wenn man die Spitzen darunter subsumiert, liegt
in dem Spannungsfeld zwischen extremer Beschränkung, die zu einem hohen
Abstraktionsgrad führt, und völliger Freiheit, mit dem Resultat naturalistischer
Nachahmung.
Neben der gestalterischen, verzierenden Absicht des Stickens, der ästhetischen
Steigerung, ist die Wertsteigerung ein wichtiger Faktor. Diese Erhöhung des Textils
durch die Stickerei, bedingt durch Arbeits- und Materialaufwand, läßt sich an vielen
Beispielen zeigen.276
Mustertücher und Musterbücher – Notationen textiler Techniken
Die dargestellten textilen Muster stehen größtenteils in sehr langen Traditionen. Die
Formen ihrer Tradierung sind unterschiedlicher Art und nicht immer nachvollziehbar.
Mustertücher und Musterbücher sind zwei Formen der Notation textiler Techniken,
die dem Bewahren der traditionellen Muster dienen. Die Ausführungen zu den
zweidimensionalen textilen Mustern abschließend, benenne ich einige, im Text
bereits angedeutete, Aspekte der Notation im Zusammenhang.
Das Mustertuch kann als textile Form des Musterbuchs angesehen werden. Die
Bezeichnungen ‘Modeltuch’, englisch ‘sampler’, italienisch ‘imparaticcio’, verweisen
auf die Funktion des Lernens und Bewahrens.277 Das zu Vermittelnde sind die
Muster, die Herstellungstechnik ist für den Laien meist weder eindeutig bestimmbar
noch nachvollziehbar. Eine zweite Funktion des Mustertuchs ist die Demonstration
besonderer Fertigkeiten in komprimierter Form. Dies läßt sich bereits für das 14.
Jahrhundert nachweisen. Ein Altarbild (S. Francesco, Barcelona) zeigt Maria und die
sieben Tempeljungfrauen. Maria ist zum einen durch einen Nimbus ausgezeichnet
und zum anderen durch ein ‘Sticktüchlein’, das größer als das der anderen ist und
eine differenzierte Musterung aufweist.278 Über diese Funktion erlangt das
Mustertuch einen eigenen ästhetischen Wert. Die Ausarbeitung des Mustertuchs
verweist auf seinen Produzenten, seinen Geschmack, sein Farbempfinden, seine
technische Fertigkeit. Einen Höhepunkt dieser Bedeutung der Mustertücher wird im
19. Jahrhundert durch die Stickmustertücher als Zeichen bürgerlicher Tugenden
erreicht.
                                                 
276
 Um nur eines zu nennen: Als Geschenk zur Kaiserkrönung überreichten die Innsbrucker Karl V.
mehrere gestickte Liederbücher mit einer für ihn komponierten Staatsmotette. Seide, Perlen und
Goldfäden und die aufwendige Arbeit lassen eine Wertsteigerung jenseits der musikalischen Qualität
zu. Stradal/Brommer (1990): S. 64f (Abbildung)
277
 Grönwoldt (1993): S. 217
278
 Eine Abbildung findet sich bei Grönwoldt (1993): S. 13.
115
Die ältesten gedruckten Musterbücher stammen aus dem 16. Jahrhundert, ihre
Erscheinungszusammenhänge sind in Bibliographien bearbeitet worden.279 Eine
allgemeine Geschichte der Entwicklung der Musterbücher zu schreiben steht noch
aus, einen Beitrag hierzu liefert eine Publikation, die sich mit ‘Imitation und
Originalität des Ornamentdesigns’ befaßt.280 Gegenstand der Untersuchung sind die
kunstgewerblichen Musterbücher, die sich häufig mit textilen Techniken befassen.
Die Autorin unterscheidet zwischen Musterbüchern als Handbücher, als
Warenkataloge und als Vorlagenbücher.281
Neben den Mustern und den Anleitungen enthalten die Musterbücher Hinweise zur
Übertragung der Muster auf den Stoff: Pausen, Punzieren und Vorzeichnen.282 Die
Beschreibung der Techniken des Übertragens und die dafür notwendigen Geräte und
Materialien verweisen auf die Bestimmung dieser Bücher als Vorlage. Das Muster
wird hierfür als Abbild, als Umrißzeichnung, als Warenprobe oder in einer Notation
wiedergegeben.
Die Mustertücher und -bücher erschließen sich hier als Ort, an dem die beiden
Bedeutungen des Musterbegriffs zusammenfallen: Sie dienen als Muster für Muster.
Das Moment der Wiederholung, der Zusammenhang von Ordnung und Repetition
kommt zum Tragen: Das Strukturierte, das Muster, läßt sich wiederholen. Die
Möglichkeit der Notation beruht auf reduzierenden Vorgängen. Die erste Reduktion
betrifft die Dimension des Textilen. Die Muster werden nur in einer Aufsicht der
Vorderseite wiedergegeben, werden also zu einem Zweidimensionalen. Diese
Ikonisierung und der Abstraktionsvorgang sind wiederum die Voraussetzung für die
ästhetische Eigenständigkeit textiler Notationen. Hiermit ist einerseits eine bestimmte
Entwurfspraxis gemeint, die nicht vom textilen Material, sondern von der
Papierfläche ausgeht, und andererseits die Nutzung dieser Notationen als
Illustrationen, wie bei Hargittai (Abbildungen 3 und 4) für die Symmetrien.
Der zweite Reduktionsvorgang wird durch das repetitive Moment des Musters
gegeben: Ein Ausschnitt, der Rapport, des Musters genügt, um es wiederzugeben. Ein
weiterer Reduktionsvorgang beruht auf Vereinbarungen hinsichtlich Symbolen, die
die Einzelelemente der Muster bezeichnen. Das erwähnte Kästchenpapier für die
Patronen der Weberei stellt eine weit verbreitete Form der Notation dar. Die
Abbildungen 11 und 12 stammen aus frühen gedruckten Musterbüchern (16. Jh.), sie
zeigen zwei weitere Formen der ‘Notation’ mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad.
Das eine Motiv – ein Paar in zeitgenössischer Bekleidung – wird in streng gerasterter
Form, der Stoffgrundlage in Leinwandbindung und dem geometrischen Kreuzstich
entsprechend, wiedergegeben. Die Vorlagen für die Klöppelspitzenbänder zeigen
hingegen eine abstrahierte Form des Fadenverlaufs an, auf die Art der Bindung und
den Untergrund wird nicht Bezug genommen. In beiden Fällen wird eine Kenntnis
                                                 
279
 Abegg (1978) gibt einen „Überblick über die Abfolge europäischer gedruckter Modelbücher“ (S.
205) gemäß der Zusammenstellung von Arthur Lotz, der das Standardwerk zu diesem Thema verfaßt
hat: ‘Bibliographie der Modelbücher. Beschreibendes Verzeichnis der Stick- und Spitzenmusterbücher
des 16. und 17. Jahrhunderts’, Stuttgart 1933.
280
 Tzeng (1993): S. 1
281
 Tzeng (1993): S. 174f
282
 Grönwoldt (1993): S. 18
116
der Technik vorausgesetzt, handelt es sich bei der ‘Leserschaft’ um eine professionell
vorgebildete.
Frieda Lipperheide, die sich mit der Herausgabe der ‘Modenwelt’ und der Muster-
bücher im 19. Jahrhundert um eine Wiederbelebung alter Handarbeitstechniken und
um die „wissenschaftlich methodische Geschmackserziehung“ der Frau bemühte,
entwickelte nach alten Mustersammlungen eine Notation von Buchdruck-Typen, die
„die Eigenart der Stickerei nicht blos getreu charakterisiren, sondern auch für die
Technik des Nacharbeitens besonders geeignet sind“.283 Diese Musterblätter und -
bücher verfolgen didaktische Ziele, sind also gleichzeitig Lehrbücher. Verbindliche
Formen der Notation wurden für textile Muster nicht entwickelt. Hierfür sind zum
einen unterschiedliche Interessen an diesen Notationen verantwortlich und zum
anderen die komplexen Eigenschaften des Textilen.
Viele der nicht notierbaren textilen Techniken sind auch nicht mit Maschinen
nachvollziehbar, im Sinne einer Vollmechanisierung als Ziel. Diese Techniken
werden meist nicht weiterentwickelt, entziehen sich der Beschreibbarkeit. Diese
Trennung der textilen Techniken wird in den Wissenschaften weiter vollzogen: Die
Ingenieurwissenschaften widmen sich den Problemen der Mechanisierung bzw.
Digitalisierung und treffen eine dementsprechende Auswahl, der ‘Rest’ ist, wenn
überhaupt, Gegenstand kulturwissenschaftlicher Untersuchungen.
Die Ethnologie untersucht traditionell nicht industrialisierte Völker284 und beschreibt
die Produkte, die von ihnen hergestellt werden. Bei Seiler-Baldinger sollen die
erkannten Gesetzmäßigkeiten der textilen Techniken mathematisch beschreibbar
gemacht werden. Dies ist einerseits häufig nicht oder nur unzureichend möglich und
in vielen Fällen eine Notationsform, die nur mit Erklärungen und weiteren
Beschreibungen verständlich ist. Der Zweck ist ein dokumentarischer, historischer,
erkenntnistheoretischer, er dient nicht der Wiederholung der Handlung. Die
mathematische Notation der Krawattenknoten ist exemplarisch für die Komplexität
textiler Techniken und die daraus resultierende Komplexität mathematischer
Beschreib- und Berechenbarkeit.
Auch die Klassifizierung gemäß Symmetrien, die Washburn einführt, dient der
Beschreibbarkeit und der Vergleichbarkeit, nicht dem praktischen Nachvollzug. Eine
Ausnahme bilden die vorgestellten Untersuchungen von Paulus Gerdes.
Diese Beobachtungen zeigen, daß es (textile) Techniken, meist von Frauen erfunden
und ausgeführt, gibt, die weder maschinell nachempfunden werden können noch
mathematisch beschreibbar sind noch der linearen Schrift, also dem Logozentrismus,
einzuverleiben sind. Es gibt also eine Vielzahl von textilen Techniken, die unbenannt
und fast unbeschreibbar sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß alle beschriebenen stoffbildenden
Techniken Muster generieren bzw. die Muster die ‘Flächen’ konstituieren, indem sie
die Wiederholbarkeit gewährleisten. Dies beruht auf der Erkenntnis des Menschen: Er
erkennt und bestimmt das Muster und nutzt seine Eigenschaft der Wiederholung. Die
                                                 
283
 Lipperheide (1890): S. 55, 53
284
 Leroi-Gourhan (1971): S. 9
117
Symmetrie und Regularität erleichtern die Reproduktion. Das Muster erfüllt hier
zunächst eine technische Funktion. Die Tätigkeit der Textilproduktion schafft weitere
Erfahrungen. Die Herstellung von Textilien erfordert raumgreifende Bewegungen,
die einer je definierten Richtung folgen. Die Muster konstituieren in der
beschriebenen Weise Vorder- und Rückseite (Durchdringung der Fläche, einseitige
Bearbeitung, technische Symmetrie) und somit die Erkenntnis von Raum.
Wie die Untersuchungen von Paulus Gerdes gezeigt haben, muß die Erkenntnis des
Musters, der Symmetrie in der Natur nicht notwendigerweise der Produktion von
Mustern vorausgehen.285
Das textile Produkt ist räumlich, sowohl der Faden als auch die sogenannte
Gewebefläche. Das Gewebe ist auf dem Webrahmen, in Spannung, flächig. Verliert
es diese temporale Versteifung, diese distanzierende Mechanisierung, wird es
räumlich: Es bildet Falten, zeigt seine Rückseite und seine Ränder. Die Tafelmalerei
auf Leinwand spannt die Fläche dauerhaft und umgibt sie häufig mit einem weiteren
Rahmen. Die Materialität und Technizität des Gewebes gehen hierbei verloren, die
Rückseite erfährt höchstens als möglicher Ort der Signatur eine Berücksichtigung.
2,5-d Textile Fraktalität
Wenn man ein Stück Stoff zusammenknäuelt, entsteht ein unregelmäßig geformter
‘Ball’. Ein solcher Ball entspricht nicht dem Volumen einer Kugel, seine Dimension
ist geringer als drei, ist eine fraktale. Diesem Prinzip folgt die räumliche Struktur des
Gehirns: Eine möglichst große Fläche wird auf ein kleines Volumen
zusammengefaltet. Der Faltungsindex eines Gehirns gibt das Verhältnis von tat-
sächlicher Fläche der Großhirnrinde zur sichtbaren Oberfläche an.
Das Falten zweidimensionaler textiler Flächen kann unterschiedliche Formen von
Mustern hervorbringen: als Prinzip der Bekleidungs- und Volumenerzeugung sowie
als Musterungstechnik im engeren Sinne.
Jede Form der Faltung erzeugt auch Dreidimensionalität, eine Differenzierung der
Falten kann hinsichtlich ihrer ‘Produktion’ vorgenommen werden.286 Die Falte als
Zufälliges, Ephemeres ist ein singuläres Phänomen. Sie wird durch Bewegungen der
Elemente oder des Körpers hervorgerufen. Dieser Vorgang kann wiederholt werden,
wird jedoch nie zum gleichen Ergebnis führen. Als Muster sind solche Falten
trotzdem erkennbar: die oben beschriebene Dünung der Wüste, Tragefalten, die die
Haltung des abwesenden Trägers erahnen lassen, die Anweisungen, wie man eine
Toga in Falten anzulegen habe. Die Falte als Fixiertes, Berechnetes ist Bestandteil
textiler Musterungstechniken. Die Fixierung der Falten durch mechanische (Nähen
beim Smoken) oder chemisch-physikalische (Plissée) Vorgänge erzeugt eine
dauerhafte textile Dreidimensionalität. Das Falten als plastische Musterungstechnik
erweist sich als aufwendige Form der Oberflächensteigerung. Die Lichtreflexionen
dramatisieren die Oberfläche, besonders feine, akkurate Fältelungen akzentuieren
                                                 
285
 Hargittai (1992): S. 245f
286
 Die Funktion der Falte als Flächenminimierendes und -maximierendes sowie ihr schnittechnischer
Einsatz bleiben hierbei unberücksichtigt.
118
eine bestimmte Fläche (die gefältelte Halskrause das Herrschergesicht), steife Falten
stabilisieren eine Fläche, haben architektonische Qualität. Diese erstarrten Formen
der Faltungen sind offensichtliches Zeichen von Macht: die Beherrschung der
Materie, das Eleminieren des Zufalls durch Einführen einer rigiden Ordnung.
3-d Textile Dreidimensionalität
Die Untersuchung textiler Volumina verdeutlicht die Relativität der dimensionalen
Zuordnung. Im folgenden werden verschiedene Formen textiler Muster vorgestellt,
die die Konstruktivität topologischer Dimensionen in bezug auf Textilien zeigen.
Die meisten Techniken, die im Kapitel über zweidimensionale textile Muster
beschrieben wurden, sind in der Lage, Volumen zu erzeugen. Hierbei gilt es, hüllen-
und körpererzeugende Muster zu unterscheiden.
Das Filzen bietet eine Möglichkeit der direkten Erzeugung textiler Volumina, ohne
die vorherige Linearisierung oder Flächenkonstruktion. Die Wollfasern (bzw. speziell
zu verarbeitende Kunstfasern) werden unmittelbar in die gewünschte Form
gebracht.287 Ein Muster im definierten Sinn entsteht hierbei nicht, deshalb werden
Filzobjekte an dieser Stelle nicht näher untersucht.
Textile Techniken wie Häkeln, Stricken und Flechten bilden, wie oben beschrieben,
Flächen. Durch das Schließen der Fläche im Arbeitsprozeß entsteht eine
volumenhafte Hülle. Für das Häkeln und Stricken bedeutet dies, am Ende der ersten
Reihe nicht die Arbeit zu wenden, sondern zu einem Kreis zu schließen. Der
Zusammenhang zwischen Linie und Kreisform wird offensichtlich.
Das Flechten eröffnet sehr viele Möglichkeiten der Raumbildung. Man unterscheidet
das Schlauchflechten, das einen Hohlraum erzeugt, vom Kordelflechten, das eine
kompakte ‘Säule’ mit variablem Querschnitt hervorbringt.288 Das Korbflechten
vermittelt zahlreiche Zusammenhänge geometrischer Art. Die Anzahl der Staken
kann während des Arbeitsvorgangs variiert werden (die Anzahl der Kettfäden eines
Gewebes ist immer konstant). Ein bauchiger Korb kann also durch das Einfügen von
zusätzlichen Staken hergestellt und hierdurch die Abhängigkeit des (zählbaren)
Umfanges und des Volumens erfahren werden. Ein Problem, das sich die Architektur
gleichermaßen stellt, ist die Transformation eines quadratischen Raumgrundrisses in
eine runde Form.289 Mit der Richtungsänderung geht beim Flechten eine Änderung
des Musters einher, das die Transformation bewirkt.
Barber schreibt, daß vor der Entdeckung der Töpferei Behälter für Flüssigkeiten
hergestellt wurden. Geflochtene Behälter wurden hierfür mit Teer abgedichtet.290 Das
Muster, die Konstruktion des Behälters ist hier nur noch hinsichtlich seiner Dichte
von Bedeutung. Entsprechend ließen sich andere Formen textiler Behälter aufzählen
(Fischfangkörbe, Transportnetze, Käfige, Siebe), deren Konstruktion dem Zweck
experimentell angepaßt wurden.291
                                                 
287
 Burkett (1979): S. 79, 102
288
 Seiler-Baldinger (1991): S. 49
289
 Daidalos (1988): S. 32
290
 Barber (1994): S. 130
291
 Form + Zweck (1998): S. 7
119
Textile Muster, die einen dreidimensionalen Körper erzeugen, sind wesentlich
seltener in praxi anzutreffen. Das Quilten oder bestimmte Formen des Stickens
schaffen Hohlräume, die mit anderen Materialien gefüllt werden (wadded quilting,
Überfangen). Es gibt jedoch auch plastische Formen der Stickerei und des Flechtens
(Kordelflechten). Eine besondere Form, einen textilen Körper zu erzeugen, ist das
japanische Tamari, eine alte Handwerkskunst zur Ballherstellung. Durch eine
besonders kunstvolle Form des Wickelns mit Hilfe fixierender Stecknadeln werden
mehrfarbige, plastische Muster erzielt.292
Doppel- und Florgewebe
Beim Weben werden linearisierte Fasern, Fäden, in ein orthogonales Muster gefügt.
Doppel- und Florgewebe sind eine besondere Form von Geweben, die sich von der
Fläche in den Raum ausdehnen. Anhand einer exemplarischen Analyse werde ich
zeigen, daß sowohl Doppel- als auch Florgewebe aus der Flächenkonstruktion heraus
entwickelt werden und nicht als Räumliches gedacht sind.
Ein Doppelgewebe ist ein Gewebe, das aus mehreren Fadensystemen hergestellt wird.
Die verschiedenen Formen der Doppelgewebe und ihre jeweilige Nutzung
verdeutlichen die Grundidee der Herstellung: Durch die produktionstechnische
Verbindung der Fadensysteme werden Arbeitsgänge gespart. Statt ein Gewebe
nachträglich mit einem anderen zu verbinden, kann es in einem gewebt werden. Die
Absicht kann hierbei funktional (Thermostoffe) oder ästhetisch motiviert sein
(Doubleface). Durch einen zusätzlichen Schuß- oder Kettfaden können Muster
(Motive) erzeugt werden, die in der Wirkung einem bestickten Stoff gleichkommen
(Lancé, Broché). Um ein Gewebe zu verstärken und zu verdichten oder gezielt eine
plastische Musterung herbeizuführen, werden die Gewebeschichten bindungs-
technisch statt nähtechnisch zusammengefügt (Matelassé, Pikée). Die Dehnbarkeit,
die bei einem Strickstoff gegeben ist, kann bindungstechnisch imitiert werden. Ein
elastisches Gewebe heißt bezeichnenderweise Trikot.293
Diese Beispiele zeigen ein weiteres Mal die Bedeutung der Mechanisierung. Das
orthogonale System der Weberei ermöglicht das vollmechanisierbare Nachempfinden
unterschiedlichster Techniken und Wirkungen. Die Konstruktion der Fläche bzw.
mehrerer, geschichteter Flächen ist die Basis dieser textilen Muster. Der Name
Doppelgewebe verweist auf die Grundidee, zwei Flächen miteinander zu verbinden.
Technisch möglich wären auch weitere Verbindungen, die eine Dreidimensionalität
erreichen könnten, wie sie die Gittermodelle der Kristallographie schematisch
wiedergeben.
Florgewebe folgen demselben Prinzip: Ein Grundgewebe wird auf technisch unter-
schiedliche Weise mit Florfäden oder -schlingen versehen. Plüsch, Samt und
Frottierstoffe gehören zu den maschinell erzeugbaren Florgeweben. Die Bezeichnung
‘Webpelz’ verweist auf die Absicht, Pelze und Tierfelle mit einer Gewebetechnik zu
imitieren.
                                                 
292
 Collingwood (1988): S. 71
293
 Hofer (1994): S. 207
120
Die hier aufgeführten textilen Muster und Techniken spielen weder innerhalb der
Textilproduktion eine große Rolle noch im Gesamtkontext kunsthandwerklicher und
künstlerischer Produktion. Die Herstellung von Teppichen respektive die Teppiche
als Wertobjekte wird hingegen sehr viel stärker beachtet. Die Technik des
Teppichknüpfens ist hierbei von untergeordneter Bedeutung, sie dient vor allem der
Unterscheidung von Kelims oder Webtechniken, die Schlaufen erzeugen.294
Orientteppiche
Der Knüpfteppich wird als Orientteppich definiert und in den meisten Fällen gemäß
kunsthistorischen Fragestellungen dokumentiert und ausgestellt.295
Die Bezeichnung ‘Orientteppich’ gibt einen ersten, entscheidenden Hinweis. Indirekt
wird hier das Objekt, der Teppich, als ein weiteres Mittel genutzt, das heterogene
Fremde materialiter einzugrenzen, faßbar zu machen und mit westlichem Blick den
Orient zu konstruieren.296 Kurt Erdmann, Autor einiger Standardwerke zum
Orientteppich, thematisiert in einer Publikation das Interesse der Europäer an den
Orientteppichen. Das 16. Jahrhundert sei geradezu ‘teppichbesessen’ gewesen. Der
Teppich wurde zu einem elementaren Mittel der Repräsentation.297 Erdmann
beschreibt – unbeabsichtigt – einen wichtigen Baustein des Konstruktes ‘Orient’ in
zweifacher Weise: die historische Herleitung europäischen Interesses an
‘orientalischer’ Kunstfertigkeit und der wissenschaftliche Blick des 20. Jahrhunderts,
der sich auf den Begriff des Orients als „ein integraler Teil der europäischen
materiellen Zivilisation und Kultur“ gründet.298 Einen weiteren Hinweis auf diese
Zusammenhänge geben die kategorienbildenden Verständigungsbegriffe, die in der
‘Teppichliteratur’ verwendet werden.299 Holbein- und Lotto-Teppiche erhielten ihre
Namen nach westeuropäischen Malern des 16. Jahrhunderts, die, je nach persönlicher
Vorliebe, bestimmte Teppiche als Requisiten benutzten.
Die innerhalb dieses Diskurses durchgeführten Untersuchungen reduzieren den
Knüpfteppich ein weiteres Mal. Seine textilen Eigenschaften, seine Technizität und
seine Funktionen werden nur randständig thematisiert bzw. wiederum für genuin
kunsthistorische und sammlerspezifische Fragestellungen genutzt. So werden bei-
spielsweise die Knotentechniken hinsichtlich ihrer regionalen Herkunft analysiert und
Webstuhleigenschaften als Anhaltspunkte für Werkstattbestimmungen genannt.
Technische Eigenschaften dienen demnach der Zuordnung und Kategorienbildung.
Das Hauptkriterium der Unterscheidung und Bewertung von Teppichen sind ihre
Ornamente, von Symbolen, Mustern oder Dessins wird in diesem Zusammenhang
auch gesprochen. Das Material, die Feinheit der Musterung (Knotendichte) und die
Farbigkeit bestimmen den Wert eines Teppichs.
                                                 
294
 Unter dem Begriff Kelim werden Teppiche ohne Flor, ob gestrickt, gewirkt oder gewebt, verstanden.
Iten-Maritz (1984): s.v. ‘Kelim’
295
 Erdmann (1965); Spuhler (1987); Ford (1981)
296
 Said (1981): S. 12, 75
297
 Erdmann (1962): S. 20
298
 Said (1981): S. 8
299
 Spuhler (1987) schreibt, es sei müßig, über deren Sinn zu diskutieren, und verwendet auch diese
Begriffe. (S. 22)
121
Die Funktion von Teppichen wird meist nur als Ursprungsphänomen behandelt und in
diesem Zusammenhang eine nomadische Herkunft postuliert.300 Dieser verbreiteten
Interpretation zufolge haben die Nomaden die Teppiche zur Wärmeisolierung
verwendet und aufgrund des angeborenen Schmucktriebs des Menschen mit Mustern
verziert.301 Mit einer Datierung der ältesten Teppichfunde wird in wenigen Sätzen
dem historischen Anliegen Genüge getan.302 Die kunsthistorischen Beschreibungen
sind meist schematisch und stellen die Ornamentik in den Vordergrund.303
Zwei Publikationen, die sich differenzierter mit Teppichen beschäftigen, sollen
erwähnt werden. Auch diese beiden Autoren reduzieren den Teppich auf eine
ikonographische Fläche, um deren Farben und Muster mit Raum und Zeit in Ver-
bindung zu bringen. Der Architekt Christopher Alexander, der sich intensiv mit
Mustern und Raumvorstellungen innerhalb seines Faches auseinandergesetzt hat,
schreibt in einer anderen Publikation über die Schönheit früher Turkteppiche.304 Sein
Anliegen ist es, das Phänomen der Ganzheit (wholeness), welches vor allem den alten
Teppichen innewohne, aufzuzeigen. Dieses Konzept der Ganzheit sei kein (kunst-
)historisches, sondern ein strukturelles, das auf Archetypisches verweise. Die
Teppiche könnten nach wie vor als ‘Lehrer’ dienen, die – auch dem Architekten –
Raumverständnis vermittelten. Die Qualität der Lehre hinge von der Anzahl lokaler
Symmetrien und der Spannung innerhalb der Muster ab.
So unterschiedlich die beiden Publikationen Alexanders sind, sie sind beide von der
Idee des Musters als Ausdruck archetypischer Einschreibungen geprägt. Alexander ist
hierbei nicht an der Frage nach der Existenz solcher Archetypen interessiert, sondern
konstatiert und nutzt sie. Die Muster-Sprache, die Alexander entwickelt, versteht sich
als ‘Quellentext zum zeitlosen Bauen’.
„Die Elemente dieser Sprache sind Einheiten, die wir als Muster bezeichnen. Jedes Muster
beschreibt zunächst ein in unserer Umwelt immer wieder auftretendes Problem, beschreibt dann
den Kern der Lösung dieses Problems, und zwar so, daß man diese Lösung millionenfach
anwenden kann, ohne sich je zu wiederholen. [...] Diese Lösung hat immer die Form einer
Anweisung, so daß man genau weiß, was zu tun ist, um das Muster zu bauen.“305
Kritiker werfen Alexander Dogmatismus vor. Ein Vorwurf, der teilweise eine ganze
Generation trifft, die methodeneuphorisch nach einer Art ‘Weltformel’ des Bauens
gesucht habe.306 Dem soll hier nicht nachgegangen, sondern Alexanders Interesse an
Mustern genauer betrachtet werden.
                                                 
300
 z.B.: Spuhler (1987): S. 18. Eine Ausnahme bildet die erwähnte Publikation Erdmanns, der durch
zahlreiche Abbildungen die Funktionalisierung der ‘Orientteppiche’ in der europäischen Frühneuzeit
dokumentiert. Die Verwendung der Teppiche im städtischen Raum, zur Auszeichnung besonderer
Räume im Raum oder auch als profane ‘Tischdecke’, wird nicht als solche thematisiert. Erdmann
(1962)
301
 Erdmann (1965): S. 15
302
 Spuhler (1987) benennt beispielsweise einen Fund aus dem 4. Jh. v. Chr. aus dem Altai-Gebirge.
303
 Exemplarisch hierfür: Spuhler (1978). Die Teppiche werden als ‘Bild’ präsentiert, begleitet von
abgekürzten Informationen zu Material und Knoten, Format und Herkunft. Die Beschreibung bezieht
sich auf die Benennung der Muster und Ornamente.
304
 Alexander (1995) und (1993). Die ‘Pattern Language’ sollte eine Theorie formulieren, die die
Abhängigkeiten von Handlung und Raum aufzeigt. Hieraus entsteht ein System von Mustern, das als
Sprache begriffen wird. Wörter entsprechen Mustern, Grammatik und Semantik entsprechen Mustern,
die die Anordnung der Muster beschreiben, und es gibt Sätze, die Räumen und Gebäuden entsprechen.
305
 Alexander (1995): S. Xf
306
 Arch+ (1984): S. 66
122
Alexander definiert den Begriff des Musters (pattern) nicht und verwendet ihn in
konventioneller Weise. Die strukturelle Korrespondenz von Problemstellungen und
Entwurfsprozessen habe ihn zu dem Vorhaben gebracht, dem Entwerfen eine
rationale Basis zu geben.307 Das strukturelle Moment der Wiederholung, das
Charakteristische des Musters, ist bei Alexander die Grundlage für die Entwicklung
einer entwurfspraktischen Sprache. Die Bewegung der Repetition ist eine zweifache:
Einerseits weisen Problem und Entwurf für Alexander das gleiche Muster auf,
andererseits versteht er Bauaufgaben als Muster, die in jeder Epoche und jeder
Gesellschaft immer wiederkehren. Diese Bauaufgaben, vom städtebaulichen Groß-
projekt bis zur ‘Bank vor der Tür’, ordnet er linear an und stellt sie als global und
historisch da. Die Antwort auf diese Probleme ist ein zeitloses und damit ‘end-
gültiges’ Bauen. Die elementare Aufgabe, der sich Alexander stellt, ist also das Er-
kennen der Musterhaftigkeit der Bauaufgaben. Diesen Aspekt thematisiert er jedoch
nicht.
Sein mehr als zwanzig Jahre später geschriebenes Werk zu den Turkteppichen zeugt
von einer Wende zum Spirituellen und Didaktischen.
Die Eigenschaft des Musters, sich zu wiederholen, wird von Alexander zum
Nachweis der Richtigkeit bestimmter Bauweisen oder in seinem späteren Werk noch
elementarer: eines bestimmten Raum- und Weltverständnisses genutzt. Die
Subjektivität seiner Wahrnehmung, die Bedingungen, ein Muster zu einem Muster zu
erklären, werden von ihm nicht bedacht. Festzuhalten ist jedoch an dieser Stelle die
Funktionalisierung des Musters als Beweis.
Der Teppichexperte Eberhart Herrmann untersucht ein spezielles Teppichmuster auf
seine Bedeutung als ‘geometrischer Ausdruck kosmischer Bewegungsprinzipien’.308
Die kunsthistorische Forschung habe Sinn und Ursprung der Teppichmuster noch
immer nicht ergründen können, teilweise sei noch nicht einmal der Bedeutungsgehalt
als Forschungsgegenstand anerkannt. Die Annahme, der Teppich habe sich aus den
wärmenden Fußmatten der Nomadenzelte entwickelt, also aus einem
Gebrauchsgegenstand, liegt dem zugrunde. Herrmann geht nun von einem
Gesamtzusammenhang der Muster aus, der sich auf die Anwendung der kosmischen
Bewegungsgeometrie der Himmelskörper gründet. Seine Ausführungen tragen der
Komplexität der Muster (hier die sogenannten Lotto-Arabesken, benannt nach dem
italienischen Maler, Lorenzo Lotto) Rechnung, die man nicht als Ausdruck reiner
Dekorationslust sehen kann. Die Funktionalisierung des Teppichs ist teilweise durch
seine Materialität bestimmt, in erster Linie jedoch durch seine Musterung. Teppiche
und Gewebe als Grabbeigaben im Rahmen des Toten- und Ahnenkultes wurden mit
Mustern versehen, die unheilvolle Geister abwehren sollten. Das Flexible und
Ephemere des Textilen macht es zu einem idealen Medium der Transition. Als
Auszeichnung des Herrscherortes spielen Teppiche und ihre Muster auch im Diesseits
eine wichtige Rolle. Diese textilen Aspekte finden auch bei Herrmann keine
Beachtung, der Hinweis auf eine elaborierte Form der Musterentwicklung und ihre
Funktionalität bilden jedoch eine erwähnenswerte Ausnahme.
                                                 
307
 Arch+ (1984): S. 65
308
 Herrmann (1999)
123
Auch für die Teppiche, als Forschungsfeld der Kunstgeschichte, der Textilwissen-
schaft und der Ethnologie erscheint es sinnvoll, die Materialität, Technizität und
Funktionalität zu bedenken. In bezug auf die Funktion des Musters sollen hier nur
einige Stichpunkte genannt werden, die schon in Zusammenhang mit anderen textilen
Mustern ausführlich behandelt wurden. Das Grundmuster des leinwandbindigen
Gewebes gibt ein Koordinatensystem mit definierter Breite und variabler Länge vor.
Hier ist ein unmittelbarer Zusammenhang von technischen Gegebenheiten (der
Webstuhl) und formalem Ergebnis zu erkennen: Die meisten Teppiche sind
rechteckig, die Ausrichtung ihrer Muster bezieht sich auf die Webstuhlvorgaben von
Länge und Breite. Der Eintrag des Musters geschieht auf sehr direkte Weise, ohne
weiteres Hilfsmittel. Der Vorgang des Teppichknüpfens konstituiert unmittelbar eine
Zweiseitigkeit des Teppichs, also Räumlichkeit. Kulturell determiniert wird die
Florseite als Vorderseite behandelt (im Gegensatz hierzu werden beispielsweise
Tierfelle für Bekleidung mit der Fellseite nach innen verarbeitet).
TechnoTextiles
Der Begriff der TechnoTextiles bezeichnet eine relativ junge Entwicklung innerhalb
der textilen Produktion. Institute für Textiltechnik wie das ITA in Aachen
beschäftigen sich mit der Entwicklung neuer, technischer, Textilien, die mittlerweile
in nahezu jedem Industriezweig eingesetzt werden. Galt der Blick der Forschung
bislang in erster Linie den Materialien, vor allem der Imitation der natürlichen
Fasern, richtet sich das Interesse nun auf die Konstruktion des Textilen. „Textiles
have ceased to be regarded as a flexible, permeable, decorative material, best suited
to clothing and soft furnishing.“309 Der Einsatz technischer Textilien reicht von der
Prothetik bis hin zum Flugzeugbau. Ihre Überlegenheit gegenüber anderen
Materialien liegt vor allem in den Bereichen Gewichtsminimierung, Festigkeits- und
Sicherheitsvergrößerung. Das weitgefächerte Gebiet der Anwendung erfordert eine
ebenso weite und innovative Nutzung unterschiedlichster Wissensressourcen. Hierzu
gehören die Kenntnis der traditionellen Formen textiler Techniken zwecks ihrer
Umsetzung in fortgeschrittenste Produktionstechnologie, das Wissen um chemische
und physikalische Eigenschaften der Materialien und die Bionik, die Lösungsmodelle
aus der Natur bereithält.
Die Möglichkeiten der TechnoTextilien sollen hier nicht thematisiert, eine erkennbare
Tendenz dieser Entwicklung jedoch benannt werden. Neben den vielfältigen
Einsatzmöglichkeiten scheint ein anderes Anliegen der Produktion ein ihr inhärentes
zu sein: die Reduktion von Arbeitsschritten. Das dreidimensionale Weben, das in
ersten Ansätzen stattfindet, funktioniert nach denselben Prinzipien und mit denselben
Mustern des zweidimensionalen Webens. Das Formen der Fläche durch Nähte entfällt
hierdurch. Der  Einsatz  chemischer Substanzen wird genutzt, um
Oberflächenstrukturen zu erhalten respektive zu verändern. Es entstehen plastische
Muster, die herkömmliche Formen des Plissierens oder auch Smokens imitieren.
Demzufolge sind sowohl die ästhetischen als auch die konstruktiven Muster textiler
Techniken virulent.
                                                 
309
 Braddock/O’Mahony (1998): S. 71
124
Der Zuschnitt von Hüllen, Bekleidung (im weitesten Sinn) als Prinzip, das die
Wahrnehmung des Textilen als Zweidimensionales zur Voraussetzung hat, gehört nur
bedingt in den hier bearbeiteten Zusammenhang. An dieser Stelle soll nur diese
Bedingung kurz expliziert werden.
Die Binnengliederung des Kapitels über textile Muster orientiert sich an ihren
dreidimensionalen Ausprägungen. Die Erfahrung der Dimensionen mittels textiler
Muster und die Konstruktivität des Zwei- und Dreidimensionalen aufzuzeigen, war
ein Ziel der Darstellung.
Der Mensch nutzt das textile Muster vor allem als Flächenkonstituierendes und
favorisiert hierbei die gewebte Fläche. Diese Flächen werden in erster Linie für die
menschliche Bekleidung oder die Bekleidung menschlicher Räume genutzt. In beiden
Fällen geht es um die Konstruktion eines Dreidimensionalen aus dem
Zweidimensionalen. Viele der durch die Ausführung textiler Techniken erlernten
geometrischen Zusammenhänge finden hierin ihre Anwendung: Zylinder-
konstruktionen aus dem Rechteck oder das Koordinatensystem. Die Voraussetzung
westlicher Bekleidungsformen ist ein elementares Verständnis der Zusammenhänge
von Flächen und Volumina. Die Definition des Textilen als Fläche ermöglicht erst
den berechneten Zuschnitt von Bekleidung. Das Schnitt-Muster trägt die Erkenntnis
der möglichen Wiederholung aufgrund ähnlicher zu bekleidender Formen (der
menschliche Körper) oder massenhafter Produktion in sich. Als Muster im hier
definierten Sinn hat es darüber hinaus keine Bedeutung. Andere Formen textiler
Produktion, wie die angeführten Beispiele des Flechtens, demonstrieren einen
anderen Zugang: Das Dreidimensionale wird unmittelbar erzeugt. Die oben
beschriebenen Entwicklungen der Textilforschung lassen ein Ende der Dominanz des
Gewebes erahnen.
3,5-d Textile Fraktalität
Eine Abbildung soll die Idee dieser textilen Fraktalität verdeutlichen. Der Designer
Emilio Pucci entwirft ‘colours in motion’.310 Die Abbildung 13 zeigt einen burnus-
artigen Seidenumhang mit Kapuze von 1965. Pucci versetzt die Farben mit Hilfe der
Muster in Bewegung. Die Bewegung entsteht durch das Zusammenspiel von Farbe
und Muster. Sie ist ein durch die visuelle Wahrnehmung Konstruiertes und nicht
durch den Menschen oder die Natur (z.B. den Wind) Hervorgerufenes. Das fraktale
Spiel läßt sich weitertreiben: Die Abbildung 14 zeigt die berechneten, visualisierten
Bewegungsmöglichkeiten eines Pendels, deren Muster auf bizarre Weise dem Pucci-
Muster ähnlich sind. Diese Visualisierungen dynamischer Prozesse werden im
Kapitel ‘Die kognitive Dimension des Musters’ genauer betrachtet.
                                                 
310
 Kennedy (1991): S. 146
125
4-d Textile Vierdimensionalität
Die bisherige Darstellung stellte das Muster als Akteur in den Vordergrund. Der
Mensch trat hierfür als Ausführender in den Hintergrund, wurde zum scheinbar
passiv Erfahrenden. Es geht hierbei um eine spezifische Sicht auf das Textile, die die
Konstitutivität des Musters für das Textile betont und die Bedeutung des Textilen
hervorhebt.
Die vierte Dimension als Zeitfaktor ruft das Historische, die Historizität auf. Der
Mensch wird zum Akteur, zum Handelnden, der das Muster je anders funktionalisiert.
Als Medium dieser Funktionalisierung wird in diesem letzten Abschnitt das Textile
als Körper- und Raumbekleidendes untersucht.311
Eine Funktionalisierung der spezifischen Eigenschaften des Musters ist selten bzw.
nicht offensichtlich. Die strukturellen Elemente des Musters der Repetition, des
Rhythmus’ und der Symmetrie sprechen die Wahrnehmung, die visuelle Intelligenz
des Menschen an, nutzen die Attraktorfunktion des Musters. Die Lenkung der
Aufmerksamkeit ist intentional. Über diese Absicht hinaus kann das Muster weitere
Bedeutung transportieren.
Für die Bekleidung ist das Muster in kennzeichnender Funktion von Bedeutung.
Diese Kennzeichnung basiert in den meisten Fällen auf dem symbolischen Gehalt der
Mustermotive. Die symbolische Nutzung des Musters, oder neutraler ausgedrückt, die
Bedeutungsaufladung eines Motivs ist eine historische Operation, sie beruht auf
Konventionen. Die ausgewählten textilen Muster demonstrieren verschiedene Arten
dieser beiden Funktionen bzw. die Kombinationen.
Die folgenden Ausführungen haben exemplarischen Charakter, da es auch in diesem
Kontext nicht darum geht, die (historische) Entwicklung bestimmter Muster oder
ihrer Funktionen im Sinne von Funktionswandeln nachzuzeichnen. Die von mir
vorgenommenen Zuordnungen bewegen sich quer bzw. entgegen etablierten
Kategorien der Kostüm- und Kunstgeschichte, die Chronologien (evolutive
Fundierungen), stilistische, geographische und Werkstattbestimmungen zum Ziel
haben.
Die Beispiele sind dem westeuropäischen Kontext seit dem Mittelalter entnommen.
Sie werden vor allem als Bildquellen befragt. Mit der Abbildung des textilen Musters
führe ich eine weitere, zu kennzeichnende Ebene ein: die des musterwahrnehmenden
und (mimetisch) musterabbildenden Menschen. Die Historizität menschlicher
Wahrnehmungsgewohnheiten läßt sich an den verschiedenen Darstellungsmodi
textiler Muster deutlich ablesen.312
Die Muster der Tarnung
Das Muster in seiner tarnenden Funktion rekurriert auf die Bedingungen mensch-
licher Wahrnehmung, auf seine optisch-irritierende Wirkung. Die Farbigkeit der
Musterung ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Das Zusammenspiel von Farbe
                                                 
311
 Die Funktionsbestimmung von Textilien in bezug auf den Menschen und seine Umgebung kann und
soll hier nicht geleistet werden. Das Textile als ein Ort der Musternutzung bezeichnet gleichermaßen
eine seiner Funktionen.
312
 Duby (1999): S. 569
126
und Muster wiederum muß auf ein definiertes Ziel, eine Umgebung hin abgestimmt
sein. Erscheinungsbild und Funktion sind hier auf das engste verknüpft: Die grün-
braunen Flecken eines militärischen Tarnanzuges erzielen im Foyer einer Oper eine
kontraproduktive Wirkung. Der Mensch übernimmt hier das Vorbild aus der Natur
und nutzt seinen Vorteil gegenüber den meisten Tieren, die Kleidung wechseln zu
können, also nicht auf eine generationendauernde evolutive Anpassung warten zu
müssen. Gemäß biologischem Terminus bedient sich die Tarnkleidung vor allem der
Somatolyse: der Tarnung durch Auflösen der Körperumrisse.313 Dieses Verschmelzen
mit dem Hintergrund kann allein durch Farbe in der Natur nur selten erreicht werden
(letztlich bieten nur große Eis- oder Schneeflächen eine monochrome Fläche). Das
Muster, das den Körper überzieht, ohne auf seine Konturen Rücksicht zu nehmen,
löst diese gleichermaßen auf.
Die Uniformierung im weitesten Sinn löst die Konturen des Einzelnen mit einer
anderen Intention auf. Die Uniformität macht den bekleideten Körper des
Individuums zu einem Musterelement. Diese Funktion des Musters, die durch die
Kleidung unterstützt wird, wird später ausführlich behandelt.
Die Übernahme militärischer Tarnmusterungen in die modische Zivilbekleidung als
‘Camouflage-Dessin’ ist wiederum ein Beispiel für die Historizität der Be-
deutungsgehalte von Mustern. Der Funktionswechsel als modische Operation ist an
eine Zeit gebunden, hier vor allem die 1980er Jahre.
Die Nutzung von Tierfellen, -pelzen und -häuten für die Bekleidung gibt es bis in die
Gegenwart, eine Funktionalisierung im Sinne der Mimese oder Mimikry ist hiermit
nicht intendiert. Vielmehr handelt es sich um Demonstrationen von Macht und
Reichtum, die auf Konventionen sozio-kultureller Art rekurrieren. Das Muster ist in
diesem Zusammenhang von sekundärer, wenn nicht tertiärer Bedeutung. Als
Merkmal eines Felles dient es der Identifikation und Benennung, z.B.
‘Leopardenmuster’ oder ‘Ponyfell’. Die ‘Schönheit’ des Musters, seine Farben und
Symmetrien, bestimmt die Qualität. Die meisten Pelze sind jedoch nicht an einem
charakteristischen Muster zu erkennen, sondern anhand ihrer Fellstruktur und dem
Griff. Der Wert korreliert mit der Seltenheit eines Tieres. Das Tierfell als Ort der
Erkenntnis von Musterforschern wird später thematisiert.
Das Abbilden und Beschreiben textiler Muster
Der Wechsel von der mittelalterlichen Bedeutungsperspektive zur Zentralperspektive
läßt sich anhand einer Bilderfolge zeigen, hierbei wird deutlich, daß dieser Übergang
in bezug auf das textile Muster eine Verzögerung erfahren hat.
Die Folge der Abbildungen 15, 16 und 17 zeigt drei unterschiedliche Darstellungs-
modi textiler Muster in chronologischer Ordnung. Die um 1340 entstandene
Wandmalerei eines Giotto-Schülers zeigt drei junge Frauen, die von ihrem ver-
schuldeten Vater zur Prostitution gezwungen worden sind. Die Kleiderordnungen
schreiben für Prostituierte das Tragen eines gestreiften Gewandes oder Halstuchs
vor.314 Die Darstellung der Streifen der Gewänder ignoriert sowohl die Körperformen
                                                 
313
 Vogel/Angermann (1978): S. 221
314
 Pastoureau (1995): S. 26
127
als auch die aus ihnen resultierenden Gewandfalten. Dem Maler geht es um die
Betonung der Streifen und ihre kennzeichnende Bedeutung. Darüber hinaus wird das
Gestreifte durch die dynamisierende diagonale Anlage der Streifen betont.
Die Darstellung des Ralph Neville, Earl of Westmorland (um 1410–30), ist perspek-
tivisch mit einem Fluchtpunkt angelegt, wie sich an den Bodenfliesen erkennen läßt.
Die Muster der Gewänder – besonders gut bei der mittleren Person zu erkennen –
folgen hingegen nicht der perspektivischen Verkürzung. Anders als bei der
Darstellung des 14. Jahrhunderts geht es hier nicht um einen Verweis auf den
Bedeutungsgehalt, aber gleichermaßen um die Betonung des textilen Musters. Dessen
Wirkung soll ohne störende Faltungen als Mittel der Repräsentation gezeigt werden.
Eine solche ‘unperspektivische’ Darstellung ist für das 16. Jahrhundert nicht mehr
denkbar.
Lucas Cranach d.Ä. malte um 1514 Herzogin Katharina von Mecklenburg in einem
Brokatkleid, dessen Muster den Rollfalten des Rockes folgen. Das perspektivisch
geschulte Auge ist in der Lage, das Muster zu ergänzen und dadurch als Ganzes zu
erfassen. Der Schnitt eines solchen Kleides erfordert eine große Menge Stoff, so daß
zu dem Wert der Stoffqualität und des Stoffmusters die Stoffquantität als weiteres
Distinktionsmittel hinzukommt.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß bis ins 16. Jahrhundert Dekora-
tionsstoffe nicht von Kleiderstoffen unterschieden wurden.315 Demzufolge wurden
Kleider auch aus Stoffen mit großrapportigen Mustern hergestellt. Die Idealisierung
durch den Maler war entsprechend häufiger ‘notwendig’.
Das Bild der spanischen Infantin, das noch detailliert beschrieben wird, (Abbildung
18) zeigt diese Wechselwirkungen der Mode und ihrer Darstellung als Mittel der
Repräsentation. Das Kleid ist nun nicht mehr in der malerischen Darstellung zur
faltenlosen Abbildung des Musters stilisiert, sondern hat in natura eine durch einen
Reifrock glatt gespannte Form erhalten. Das Porträt und die Kleidung, beide als
Mittel der Repräsentation, unterliegen dem (sozial-)historischen Wandel.
Für die weitere Betrachtung der textilen Muster als Bekleidungstextilie sind andere
Zusammenhänge zu bedenken. Mit dem erwähnten Erfassungsbogen, der sich im
Anhang befindet, schlage ich eine differenzierte Form der Beschreibung des textilen
Musters vor. Eine solche Beschreibung nimmt das Textile isoliert wahr, als musea-
lisiertes Fragment. Der Verwendungszweck einer Textilie bestimmt jedoch maß-
geblich die Funktionalisierung des Musters bzw. determiniert das Muster die Ver-
wendung. Eine eingehende Musteranalyse sollte deshalb das ‘Kleid’, seinen Träger
und den Raum berücksichtigen. Die Rapportgröße eines Musters, und hiermit ver-
bunden das Motiv der Repetition, sind von zentraler Bedeutung: Der ideale
Betrachter, seine Distanz zum bekleideten Körper oder ‘bekleideten’ Raum kann
definiert und eine Aussage über das Verhältnis von Körper und Kleid gemacht
werden. Des weiteren ist die Plazierung des Musters am Körper vermittels Schnitt
oder Drapierung von Bedeutung. Der Körper kann durch das Muster nachgezeichnet,
konturiert und seine Symmetrien betont werden.
                                                 
315
 Olligs (1970): S. 21
128
Die Plazierung des Musters an Kanten und Öffnungen von Kleidungsstücken läßt sich
vordergründig technisch herleiten: Die offenen Schnittkanten bedürfen einer
Fixierung, die Ausgestaltung dieser Fixierstiche führt zu ‘Schmuckformen’. Da
jedoch nicht jede Schnittform und jedes Material gesichert werden müssen, kann dies
nicht als alleiniger Grund gelten. Barber beschreibt eine Funktionalisierung des
Musters an diesen Stellen von Bekleidung. Weltweit gesammeltes ethnograpisches
Material würde die Bemühungen des Menschen belegen, mittels Körperdekorationen
böse Geister und Krankheiten abzuwehren. Viele Kleidungsstücke slawischer Völker
seien mit roten Stickereien an Ärmel- und Saumabschluß sowie dem Halsausschnitt
versehen. Die rote Farbe und die Symbole stehen für die Lebenskraft, die erhalten
bleiben soll. Deshalb gelte es, die Öffnungen vor Attacken zu schützen.316
Die Eigenschaften des Musters der Symmetrie, der Repetition und des Rhythmus’
entfalten ihren Wirkungskreis. Nicht immer ist zu klären, wer warum welches Muster
eingesetzt hat, festzuhalten ist jedoch, daß dieser Einsatz intendiert ist und nicht einer
Laune der Dekoration oder einem horror vacui entspringt.
Für die Wahrnehmung der Muster ist ihre Farbigkeit von großer Bedeutung. Als
weiterer Parameter der Musterbeschreibung soll die Farbe jedoch nicht eingeführt,
sondern nur als verstärkendes Moment benannt werden.317 Muster in grellen oder
stark kontrastierenden Farben ziehen den Blick an. Muster und Farbe dienen sich hier
wechselseitig der Erhöhung.
Das Ziel, den Blick vermittels Muster und/oder Farbe anzuziehen, kann unter-
schiedlichste Gründe haben. Eine erste Gruppe von funktionalisierten Mustern läßt
sich unter dem Begriff der Differenz zusammenführen.
Das Muster als Differenzierer
Muster und Farbe von Uniformen wirken in zweifacher Weise als Differenzierer.
Zum einen ermöglicht die Uniformierung der Heere das Erkennen des Feindes, zum
anderen werden sie zur Abbildung der Rangfolge innerhalb des eigenen Heeres
genutzt.318 Die Erkenntnis des Anderen ist der visuellen Wahrnehmung zuzuordnen,
die Hierarchisierung hingegen beruht auf Übereinkunft. Diese ‘stufenweise’
Funktionalisierung von Mustern läßt sich letztlich auf das Bekleidungsverhalten des
gesamten hier behandelten Untersuchungsraumes anwenden. Die Kennzeichnung
unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen durch Bekleidung nutzt die Parameter
des Materials, der Farbe, des Musters und des Schnitts.
Das Streifenmuster ist ein sehr auffälliges, das Auge irritierendes.319 Dieses Wahr-
nehmungsphänomen wird durch Übereinkunft funktionalisiert, um unterschiedlichste
                                                 
316
 Barber (1994): S. 94, 162
317
 Die Untersuchung der Bedeutung der Farben eröffnet ein weites Feld, das hier nicht einbezogen
werden kann. Siehe hierzu: Nixdorff/Müller (1983)
318
 Snodin/Howard (1996): S. 100
319
 Und es ist ein Muster, dem sich in monographischer Form bereits genähert worden ist. Der
französische Historiker Michel Pastoureau beschäftigt sich mit der Sozialgeschichte der Streifen, mit
der Frage nach der Verbindung von Opitschem und Sozialem im Rahmen der jeweiligen Gesellschaften.
Pastoureau (1995): S. 7
129
Gruppen zu kennzeichnen. Innerhalb dieser Gruppen, beispielsweise der Marine,
dienen die Streifen der Hierarchisierung, indem sie einen eigenen semiotischen Code
ausbilden.320 Die Sträflingskleidung ist ein anderes Beispiel für gestreifte Bekleidung,
die auffällig und eindeutig konnotiert ist und der staatlichen Überwachung dient. Wie
weit die Perfektionierung einer vestimentären Instrumentalisierung gehen kann,
schildert Bärbel Schmidt in ihrer Untersuchung der ‘Zebra-Kleidung’ der KZ-
Häftlinge. Das verinnerlichte Bild des Verbrechers in gestreifter Kleidung dient der
Vernichtung auf verschiedenen Ebenen. Schmidt unterscheidet innere und äußere
Wirkung, wobei letztere noch weiter differenziert wird in die Reaktionen inner- und
außerhalb des Konzentrationslagers.321
Pastoureau schreibt, daß sich die diskriminierende Bedeutung der Streifen bis in die
Karolingerzeit nachweisen lasse.322 Kranke, Andersgläubige, Prostituierte, Henker,
Leibeigene, Verurteilte und Possenreißer wurden durch das Tragen zweifarbiger
Kleidung ausgeschlossen. Die getroffenen Übereinkünfte hinsichtlich dieser Aus-
schlüsse und vor allem der Markierung der Standesgrenzen manifestieren sich u.a. in
den Kleiderordnungen.323
Wie bereits beschrieben wurde, ist der Streifen das am leichtesten zu erzielende
Muster in einem Gewebe. Auch für die Strickwarenherstellung läßt sich ein solcher
Zusammenhang nachweisen.324 Auffällige, klare Farben, die gleichermaßen diesen
Zweck erfüllen würden, waren aufgrund ihres hohen Preises ein Kennzeichen der
Priviligierten. Die Verwendung eines bestimmten Musters läßt sich also auf
technische Bedingungen zurückführen.
Pastoureau nennt die Metonymie als wesentliches Charakteristikum der Streifen, die
ihre Funktionsweise bestimme.325 Die Wahl eines weniger sprachwissenschaftlich
besetzten Begriffs, der das definierte Verhältnis von Teilen und Ganzem beschreibt,
erscheint mir sinnvoller: Das Prinzip des Musters, die unendliche Wiederholung des
Rapports, beinhaltet diese Erkenntnis.
Nur wenige Stoffmuster sind so eindeutig konnotiert wie die Streifen. Als Gründe
hierfür sind der optische Effekt der Streifen und ihre einfache Produzierbarkeit zu
nennen.326 Die Funktionalisierung anderer Muster ist wesentlich von Konventionen
bestimmt und unterliegt stärker dem historischen Wandel.
Als Untersuchungsgegenstand der Heraldik und Emblematik werden meist nur die
Motive, nicht die Muster untersucht. Höfische Wappen, Abzeichen bis hin zu
Firmenlogos verwenden ihrer Entstehungszeit entsprechende visuelle Reize und
Assoziationen und nutzen die Eigenschaft der Repetition auf unterschiedliche Weise.
Das Motiv, beispielsweise die bourbonische Lilie, wird als Bestandteil des Rapports
in der Fläche wiederholt, bildet ein Muster. Als Stoffmuster findet es Eingang in
                                                 
320
 Pastoureau (1995): S. 100
321
 Schmidt (2000): S. 132f
322
 Pastoureau (1995): S. 19
323
 Eisenbart (1962); Lehner (1984)
324
 Pastoureau (1995): S. 101
325
 Pastoureau (1995): S. 117
326
 Es gibt andere Stoffmusterungen, beispielsweise Moiré, deren Illusionseffekt größer, ihre
Herstellung aber sehr viel komplizierter ist.
130
Gemäldedarstellungen und wird so über Zeit (Wiedererkennung) und Raum
(Verbreitung) wiederholt. In Verbindung mit den Initialen Louis Vuittons wird die
Lilie zum Markenzeichen einer Pariser Luxusfirma und behält die Idee der
Auszeichnung des Priviligierten bei. Dieselben Mittel, die Inhalte politisch diametral
entgegengesetzt, kommen bei den sogenannten russischen Propagandastoffen zum
Einsatz. Motive mit Bezeichnungen wie ‘Oktober’, ‘Flugstaffel’, ‘Fabrik’ oder
‘Fünfjahresplan’ wurden in den 1920er Jahren als Stoffmuster zur Verbreitung und
Stärkung sozialistischer Ideen eingesetzt.327 Ihre Umsetzung in Stoffmuster nutzt
gleichermaßen das dynamisierende Moment der Repetition, Symmetrien, wie man sie
auch bei Brokatmustern des 16. Jahrhunderts erkennt, und den rhythmisierenden
Effekt, der im Einklang mit der evozierten Massenbewegung steht.328
Die Komplexität und die Materialität von Mustern kann als Hinweis auf ihre
Funktion gedeutet werden. Der Betrachter erfaßt auch ohne spezifische Kenntnisse
das Wertvolle eines Stoffmusters und wird die Kennzeichnung des Besonderen
vermuten. Das Muster kann also unabhängig von den Inhalten seiner Motive als
Herrschaftszeichen wahrgenommen werden.
Das Beispiel der Sammlung russischer Textildrucke kann in Zusammenhang mit dem
Wert von Mustern hier ein weiteres Mal eine Bedeutungsumkehrung demonstrieren:
einfache Stoffe in Leinwandbindung, häufig nur mit zwei Farben bedruckt. Material
und Ausführung des Musters vermeiden bewußt die Priviligierung.
Das Muster als Mittel der Distinktion
Der Modehistoriker Christopher Breward beschreibt die Kleidung der Renaissance als
ein rhetorisches Machtsystem329, das die Möglichkeit bereithielt, aufgrund von
Übereinkünften Aussagen über das Postulat der Herrschaft hinaus zu treffen. Die
Differenzierung der Textilsprachlichkeit wird von Stoffqualitäten, Schnitten, Farben
und Mustern bestimmt und mittels Kleiderordnungen reglementiert. Nur die
Zugehörigkeit zu einer Gruppe, ihre innere Kenntnis, läßt es zu, die rhetorischen
Feinheiten zu ‘lesen’, eine Binnengliederung des Reichtums und der Macht zu er-
kennen.
Die folgende Analyse eines Gemäldes aus dem späten 16. Jahrhundert zeigt, welchen
Anteil das Muster an diesem rhetorischen System hatte. Das Bild (Abbildung 18) des
spanischen Malers F. de Llano porträtiert die Infantin Isabella Clara Eugenia im Alter
von 18 Jahren. Sie steht aufrecht, den Blick dem Betrachter zugewandt, in einem
durch Textilien begrenzten Raum (textile Wandbespannung und Bodenteppich).330 Ihr
Kleid weist die typischen Elemente der spanischen Hoftracht auf, bestehend aus
einem enganliegenden Mieder, hier mit tiefer Schnebbe und Stehkragen und einem
                                                 
327
 Jassinskaja (1983): S. 13. Die Publikation enthält fotografische Abbildungen der Textilfragmente.
Gegenwärtig befinden sich diese Fragmente oder Entwürfe zu den Druckstoffen teilweise in der von mir
untersuchten ‘russischen Sammlung’.
328
 Jassinskaja (1983): S. 16, Abb. ‘Traktor’ S. 103
329
 Breward (1995): Kap. 2
330
 Die Beschreibung beschränkt sich auf die abgebildeten Textilien und deren Muster und ist
dementsprechend weder kunst- noch kulturhistorisch stringent durchgeführt. Die zweite Person, die
Äffchen, das Medaillon an exponierter Stelle als Bedeutungsträger werden bewußt nicht
mitbeschrieben.
131
kegelförmigen, vorne geschlossen Rock. Die Strenge der Formen wird durch
Untergestelle (Korsett und Reifrock) und Materialversteifungen (Steifleinen,
Roßhaar) erzielt. Die Kleidung bedeckt den Körper fast vollständig. Die im unteren
Viertel des Rockes sich befindende Querfalte sorgt dafür, daß auch beim Sitzen kein
weiteres Körperteil – der Fuß – zu sehen ist.331 Die Bewegung, die durch Faltenwürfe
und Materialverschiebungen den Körper direkt oder indirekt sichtbar werden ließe,
wird schnittechnisch verhindert. Stehkragen, Halskrause und die weiten Hängeärmeln
reduzieren gleichermaßen die Bewegungsfreiheit. Die Haare sind nach oben gesteckt
und von einer kleinen Toque ‘gekrönt’. Nur das Gesicht und die Hände lassen das
Inkarnat und die Persönlichkeit durchschimmern. Ein Vergleich mit zwei anderen
Porträts der Infantin zeigen sie mit fast identischer Kopf- und Handhaltung.332 Weder
Hände noch Gesicht zeigen Zeichen der Alterung, die einer Altersdifferenz von 20
Jahren entsprechen würde.
Die gewünschte Selbstdarstellung wurde im 16. Jahrhundert vor allem mittels der
Bekleidung erzielt.333 Breward schreibt, daß als Folge der Entwicklung der Porträt-
kunst das Kleid immer mehr zur Repräsentationsfläche wurde.334 Eine so eindeutige
Zuordnung von (kunsthistorischer) Ursache und (kostümhistorischer) Wirkung
erscheint mir sehr verkürzt. Die Herausbildung neuer Schnittformen und Silhouetten
ist vielmehr als fortwährender, komplexer, kulturhistorischer Prozeß zu verstehen.
Das Kleid der Infantin, hier als Teil der Selbstdarstellung durch ein Gemälde, ist ein
Beispiel für die Exponierung der maximierten Flächen: Die Stoffe überziehen
faltenlos, ähnlich den Wandbespannungen, den Reifrock und das Korsett, die Ärmel
verlieren vollständig ihre bekleidende Funktion, um eine möglichst große, glatte
Fläche zu bilden.335 Diese glatte Fläche wird nicht durch seine Materialbeschaffenheit
erhöht, sondern durch seine Musterung.336 Ähnliches läßt sich in bezug auf das reich
verzierte Mieder sagen. Die Perlen, Edelsteine und Goldarbeiten sind als solche in
ihrer Materialität und als eindeutiges Zeichen spanischer Kolonialmacht erkennbar,
aber treten dennoch in der Gesamtwirkung der Muster zurück.
Die Lichtreflexe, die sehr sparsam auf der Rockfläche gesetzt sind, deuten darauf hin,
daß es sich um ein Seidengewebe, vermutlich einen Seidendamast, handelt.337 Das
Muster besteht aus zwei, in Reihen alternierenden, achsensymmetrischen Motiven.
Die Motive sind aus S-förmigen Volutengliedern, einem Medaillon und
Blattpalmetten mit unterschiedlich stilisierten Blüten gebildet. Neben der Spiegel-
und der Translationssymmetrie des großrapportigen Musters betonen die wellen-
förmigen, kleinteiligeren Kantenmuster die vertikale Symmetrieachse des Kleides
                                                 
331
 Boucher (1997): S. 220
332
 vgl.: ‘Infantin Isabel Clara Eugenia’ von Alonso Sanchez Coello, 1579 (Thiel 1990: S. 198) und
‘Infantin Isabella Clara Eugenia’ von Juan Pantoja de la Cruz, 1599 (Kauffmann 1990: Abb. 91b)
333
 Breward (1995): S. 63
334
 Breward (1995): S. 67
335
 Die spanische Hoftracht betont die Faltenlosigkeit in besonderer Form. Der Vergleich mit anderen
Gemälden zeigt, daß die Röcke häufig in Falten oder angekraust angesetzt wurden und nicht wie hier in
perfekter Glätte.
336
 Ein Vergleich mit der oberflächenverliebten Bekleidung des 18. Jahrhunderts macht dies deutlich:
Samt, Pelze und vor allem stark glänzende Seide werden in den Darstellungen unnatürlich überhöht.
337
 Im Gegensatz zu anderen Gewebemusterungstechniken erzeugt der Damast nur eine geringfügige
plastische Wirkung und erscheint deshalb besonders geeignet für die hier beschriebenen Zwecke.
132
respektive des Körpers. Auch der Gürtel, ein Kleidungsstück, das aufgrund seiner
Lage eigentlich die Horizontale betont, folgt dieser Linie durch eine maximale
Ausdehnung in die Spitze. Die Hutform und seine Verzierung stellen eine weitere
Streckung der Figur in die Vertikale dar. Die Öffnungen der Hängeärmel erlauben
den einzigen Einblick auf die darunter getragene Bekleidung. Ob es sich hierbei um
ein Oberteil (pourpoint) oder ein Unterkleid handelt, läßt sich nicht bestimmen.
Sichtbar werden lediglich die Ärmel, die durch eine feine Posamentierarbeit
gemustert sind. Die regelmäßige Anordnung der Posamentenbänder linearisiert die
einzigen in ihrer ‘Natürlichkeit’ belassenen Körperteile. Das typische Merkmal der
sogenannten spanischen Mode, die Geometrisierung des Körpers durch die Schnitt-
formen, ergänze ich somit um zwei weitere Merkmale: die Symmetrisierung und
Linearisierung durch das Muster.338
Die Infantin steht auf einem rotgrundig gemusterten Teppich, der in dieser aus-
schnitthaften Darstellung nicht näher zu bestimmen ist. Als Repräsentationsmittel
gehört er zur Ausstattung höfischer Räume (und zur Requisite des Porträtmalers),
ebenso wie die textile Wandbespannung im Hintergrund. Die knieende Nebenperson
in ungemusterter, farbloser (schwarz/weiß) Kleidung befindet sich, obwohl in
unmittelbarer, nämlich greifbarer Nähe der Infantin, außerhalb des textilen, die Macht
auszeichnenden Raumes. Die Rapportgröße des Musters zeigt die schon erwähnte
Trennung von Raum- und Bekleidungstextilien im 16. Jahrhundert. Seit Ende des 15.
Jahrhunderts hängte man die Textilien nicht mehr als Wandbehänge, sondern spannte
sie als Ganzes (die einzelnen Bahnen wurden aneinandergenäht, wie die Abbildung
zeigt) über einen der Wandgröße entsprechenden Holzrahmen.339 Der Stoff der
Wandbespannung läßt sich nicht eindeutig bestimmen, ein Seidendamast oder auch
ein in dieser Zeit häufig verwendeter Brokatelle könnte dargestellt sein. Das Muster
wird von der Grundform des Spitzovalnetzes, gebildet aus stilisiertem Rankenwerk,
beherrscht. Die Felder sind fast vollständig mit stilisierten Ranken- und
Blütenmotiven ausgefüllt. Die Positionierung der Infantin im Raum ergibt ein
beabsichtigtes Zusammenspiel des Stoffmusters im Hintergrund und ihrem Kopf. Der
Kopf der Infantin wird nicht nur von der reich gefältelten Spitzenhalskrause gerahmt,
sondern auch von einem der Musterfelder, das eine Art Nimbus bildet.
Die Betonung der Vertikalen durch die Symmetrieachse dient der Wirkung des
Kleides als Verstärker, so daß das Textile als Raumfüllendes auch zum Hauptträger
der Bedeutung wird. Die Beherrschung der Welt, angefangen beim eigenen Körper,
durch den spanischen Hof als Machtzentrum Europas und der Kolonien wird mit
Hilfe des Musters dargestellt.
Das Muster wird anhand der gezeigten textilen Beispiele zu einem Mittel der
Distinktion. Es fungiert als mehr oder weniger subtiles Zeichen zur Konsolidierung
der gesellschaftlichen Verhältnisse. Michel Foucault beschreibt die „Anordnung der
Ränge und Stufen“ als Mittel der Disziplinierung in einem kurzen Abschnitt anhand
der Bekleidung.340 Die von ihm beschriebene Differenzierung basiert auf Material-
                                                 
338
 Thiel (1991) beispielsweise spricht von der Stilisierung des Frauenkörpers zu geometrischen
Dreiecken. (S. 200)
339
 Olligs (1970): S. 21
340
 Foucault (1994a): S. 234–235
133
und Farbunterschieden, die Muster spielen hierbei keine Rolle. Untersuchungen von
Sennett und Elias könnten für weitere Epochen herangezogen und um das Muster als
Bedeutungsträger ergänzt werden.341 Das Muster als Mittel der Disziplinierung des
individuellen und des Massenkörpers wird noch zu beschreiben und auf Foucault
zurückzukommen sein.
Mustergerechtigkeit
Eine gänzlich andere Form der Funktionalisierung des Musters gehört in den Kontext
der Bestimmung des Verhältnisses von Form und Inhalt zwischen Historismus und
Moderne.
Die Musterzeichner, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in
Deutschland zu einem Musterzeichnerstand formierten, verwenden den
Funktionsbegriff, jedoch auf den zu verzierenden Gegenstand und nicht auf das
Muster bezogen. Das Muster müsse unmittelbar auf den Gegenstand verweisen, eine
Tapete von einem Tapetenmuster geschmückt sein und von nichts anderem.342 Die in
der Tradition der Kunstgewerbeliteratur stehenden Publikationen machen sich die
‘Erziehung’ der Musterzeichner zur Aufgabe. Neben technischen und
materialbedingten Beschränkungen sind es vor allem tradierte, konventionalisierte
Vorstellungen des Zusammenhangs von Muster und Gegenstand.
„[...] Ferner das enganschließende Damengewand, wo künstlich jede Falte, und Alles, die schöne
Rundung der Formen beeinträchtigende, hinweggenäht und gebügelt ist, plötzlich besäet mit
grossen, plastisch gezeichneten Blumenstücken, einem wandelnden Blumenständer gleich; oder
endlich im Stoffdruck: Schnupftücher, mit den Bildnissen grosser Männer geschmückt!!!“343
Die Mustersammlungen, die von den Musterzeichnern als Lehrmaterial
zusammengestellt wurden, sind bemerkenswerterweise fast ausschließlich nach
textilen Vorlagen erstellt worden.344 Friedrich Fischbach, der selber Gewebemuster
sammelte und als Zeichner am Museum eine Vielzahl von Textilmustern
dokumentierte, erwähnt in seinen Schriften Gottfried Semper und bemerkt kritisch,
daß in dessen Artikeln die Anschauung alter Textilmuster fehle. Sempers Postulat des
Textilen als Urkunst erfährt somit durch Fischbach indirekt eine Steigerung: Das
textile Muster ist für Fischbach von zentraler Bedeutung.345
Franz Weidmann benennt in einem Artikel explizit die Aufgabe des Musters in bezug
auf Kleiderstoffe. „Der Zweck des Musters besteht darin, die einförmige Fläche
angenehm zu unterbrechen und zu beleben, ihr das Starre, Ermüdende zu nehmen.
[...] Die Form des Musters berücksichtigt gleichzeitig den Faltenwurf.“346 Der Autor
empfiehlt über diese strukturellen Hinweise hinaus, auch bei der Motivwahl den
textilen Charakter zu bedenken: Früchte seien zu schwer für den Stoff und würden
ihren Saft vergießen.
                                                 
341
 Sennett (1995); Elias (1983)
342
 Georg Bötticher in ‘Der Musterzeichner’ Nr. 11, 2. Jg., Juni 1892, S. 70. Der genaue Wortlaut wurde
in der Einleitung zitiert.
343
 Schulze (1886): S. 5
344
 Fischbach (1874); Lieb (1900); Lessing (1900) und in dieser Tradition, mit anderen Medien: Sano
(1976; 1978; 1980)
345
 Olligs (1970b): S. 82
346
 Franz Weidmann: „Die naturgemässe Musterung der Kleiderstoffe“, in: Der Musterzeichner, 2.
Jg., Nr. 16, August 1892, S. 110–112, hier: S. 111
134
Diese und andere Hinweise verdeutlichen das Bedürfnis nach Reglementierung
hinsichtlich des Musterentwurfs und seiner Verwendung und der Schaffung von
Identifikationsmomenten für einen neuen Berufsstand.347
Gleichzeitig bilden diese Hinweise den Hintergrund für Adolf Loos’ Forderung nach
Ornamentlosigkeit. Er schreibt, der Mensch sei nicht in der Lage, ein neues Ornament
hervorzubringen.348 Die Beschäftigung der Musterzeichner mit dem Überlieferten und
dem Erstellen von angemessenen Regeln erwähnt Loos nicht, sie dokumentiert jedoch
die fehlende innovative Kraft und erklärt den Eklektizismus gegen den er sich u.a.
wendet. „Die schönheit nur in der form zu suchen und nicht vom ornament abhängig
zu machen, das ist das ziel, dem die ganze menschheit zustrebt.“349 In Hinblick auf
das textile Muster weicht Loos von seinen Forderungen ab, ein Umstand, der in der
Rezeption meist unbeachtet bleibt.350 Diese Abweichung läßt sich anhand Loos’
Kulturstufenmodell herleiten. Schon der Aufsatz ‘Damenmode’ von 1898 enthält die
später ausgearbeitete Gleichung von ‘Papua’, Verbrecher und Ornamentierer.351 Das
Kind, der Papua (an anderer Stelle spricht er auch von ‘Kaffern’) und der Verbrecher
seien amoralisch und ihren Trieben ausgesetzt, die sie u.a. dazu veranlaßten, alles zu
beschmieren.352 Der moderne Mensch, und hiermit ist ausschließlich der Mann
gemeint, habe eine höhere Stufe erreicht: „evolution der kultur ist gleichbedeutend
mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande.“353 Die Frau, die
die ornamentalen und farbigen Wirkungen der Kleidung bevorzuge, sei „in den
letzten jahrhunderten stark in der entwicklung zurückgeblieben“.354 In einem späteren
Aufsatz räumt Loos ein, daß das Ornament in bestimmten Kontexten auch in der
Moderne eine Daseinsberechtigung habe. Das Ornament diene der Aufheiterung des
Arbeiters, der Unterbrechung der Eintönigkeit eines monochromen Gewebes: „Der
bunte faden bedingt das ornament. Wer von uns modernen menschen würde die ver-
schiedenen, ständig wechselnden stoffmuster als unmodern empfinden?“355 Die be-
schränkte Dauerhaftigkeit von Gebrauchsgegenständen wie Tapeten oder Stoffen
legitimiert in den Augen Loos’ ihre Ornamentierung. Des weiteren schreibt Loos dem
klassischen Ornament hohe erzieherische Qualitäten zu, es bringe Ordnung in das
Leben und „zucht in die formung unserer gebrauchsgegenstände“.356
Die Aussagen der erwähnten Aufsätze Loos’ zusammenfassend, läßt sich
konstatieren, daß die Mode als Bestandteil der Moderne und die ‘materialmordende’
Frau als ihr Hauptmotor des Musters als Instrument des Wechsels bedürfen.357 Hinzu
                                                 
347
 Fischbach (1874); Bock (1859); Gurlitt (1890). Siehe hierzu auch die Darstellung im Kapitel
‘Das Mustern des Musters’, Musterbücher.
348
 Loos (1962): S. 277
349
 Loos (1962): S. 65
350
 Franke/Paetzold (1996); Kroll (1987)
351
 Loos (1962): S. 162
352
 Loos (1962): S. 277
353
 Loos (1962): S. 277
354
 Loos (1962): S. 161
355
 Loos (1962): S. 395
356
 Loos (1962): S. 397
357
 Loos (1962): S. 395
135
kommt die ordnende Funktion des Ornaments. In dieser, meiner, Lesung Loos’ wird
die stickende Frau zur Beförderin moderner Lebens-, Denk- und Wirtschaftsform.358
Ein Zeitgenosse Loos’, Sigmund Freud, geht gleichermaßen von der Frau als
Mängelwesen aus. Auch hier erbringt eine kontextuale Lesung ein anderes Ergebnis.
Irene Nierhaus, der es in ihrem Beitrag um „Schnittstellen von Geschlecht, Raum und
Material im Übergang vom Historismus zur Moderne“ geht, nennt neben Loos
Sigmund Freud, der das Weibliche mit dem Textilen verschränke. Er habe das Weben
und Flechten als einzige historische Kulturleistung der Frauen bezeichnet, „die
allerdings nur aus dem Verdecken des Mangels – dem fehlenden Penis – in Analogie
zur Schambehaarung entstanden sei.“359 Aus welcher Motivation auch immer
entstanden, meine Untersuchungen der textilen Techniken des Webens und Flechtens
haben gezeigt, welche elementaren Fähigkeiten und Entdeckungen sich hiervon
ableiten lassen. Dies hat jedoch keineswegs zu einer Aufwertung ‘weiblicher
Handarbeiten’ geführt. Auch wenn die Frau heute im allgemeinen nicht mehr auf die
Entwicklungsstufe eines Kleinkindes oder ‘Buschnegers’ gestellt wird, sind die
textilen Techniken weiblich-negativ im Sinne von Oberflächlichkeit und
Sinnlosigkeit konnotiert.
‘Kleidsame’ Muster
Das Muster als dekoratives Element erfüllt ästhetische Funktion. Die Darstellung des
Forschungsstandes hat gezeigt, daß eine Reduktion auf diese eine Funktion üblich ist.
Das Muster wird in der kunst- und kulturwissenschaftlichen Rezeption zum Indikator
von Stilen und Epochen. Modehistorisch werden bestimmte Muster zu einem
Synonym einer Epoche oder Dekade und erhalten zeichenhaften Charakter
(Vichykaro, Pepita, Granatapfelmotiv). Anhand von Mustern auf Raum- oder
Bekleidungstextilien, die im Original oder auf Gemälden zu sehen sind, lassen sich
Zusammenhänge historischer, kultur- und kunsthistorischer Art herstellen. Die
erwähnten ‘Orientteppiche’ kommen nach Europa, werden auf den Gemälden als
Repräsentationsmittel mitabgebildet und transportieren auf diese Weise einen neuen
Musterkanon. Handelswege sowie wirtschaftliche und politische Verbindungen
zwischen den Herrschern lassen sich nachvollziehen, anhand von (Teppich-)Mustern.
Den kunsthistorischen Nutzen der Analyse von Textilmustern hat Klesse in der
erwähnten Publikation vorgeführt.
Die folgenden Beispiele textiler Kleidermuster repräsentieren eine Auswahl hin-
sichtlich der ästhetischen Funktion des Musters, wobei diese im Sinne eines Er-
freuens des Betrachters unideologisch definiert ist.
Das Charakteristische des Punkt- oder Tupfenmuster sind, wie es der Name schon
vermuten läßt, seine Punkte oder Tupfen. Diese können als ‘einfache Reihung’360 in
regelmäßigen Abständen angeordnet sein und den Regeln der Translationssymmetrie
folgen. Wird der Rapport durch einen ‘Tupfenverbund’ gebildet, erhält das Muster
einen scheinbar unregelmäßigen Charakter. Werden zur Musterbildung weitere
                                                 
358
 Loos habe bei einem Vortrag auf das Sticken angesprochen gesagt: „Ja, das Sticken ist auch ein
Ornamentieren. Aber den Frauen ist es erlaubt.“ Zitiert nach Brändli (1998): S. 202
359
 Nierhaus (1998): S. 120
360
 Wersin (1953): S. 15
136
Symmetrieoperationen hinzugezogen, wird es für das menschliche Auge immer
schwerer, die Wiederholungsvorschrift zu erkennen. Die Bezeichnung ‘Muster’ wird
im allgemeinen Sprachgebrauch schon durch die Wiederkehr des Motivs ‘Punkt’
legitimiert.
Diese sehr einfache Form der Musterung findet in der besprochenen Literatur kaum
Beachtung, da eine Klassifikation gemäß des Motivs mit einem Satz zu beschreiben
ist. Das Attribut, das sich am häufigsten in Verbindung mit dem Punktmuster finden
läßt, ist seine ‘Lustigkeit’.361 „Polka-Dots sind fröhliche, scheinbar wahllos über
hellen oder dunklen Fond hüpfende Punkte aller Größen, die erst beim genauen
Betrachten offenbaren, daß sie einem strengen Rhythmus unterworfen sind.“362 Das
Hüpfende, Lustige, das die Wahrnehmung der Tupfen dominiert, bestimmt ihren
Verwendungszweck: Frauen- und Kinderkleidung, Freizeithemden und
Clownkostüme. Die zu evozierende Ernsthaftigkeit des Herrenanzuges läßt sich nicht
mit Tupfen vereinbaren, der Ort ausgelassener Fröhlichkeit in der Männerkleidung ist
auf die Krawatte beschränkt. Diesen Verzicht auf die rhythmisierende und
dynamisierende Wirkung glaubt ‘der’ Mann, sich leisten zu können, in dem
Bewußtsein, das Kleid der Moderne erfunden zu haben und zu tragen.
Der Herrenanzug, so wie er heute noch weitgehend getragen wird, ist eine ‘Er-
findung’ des 19. Jahrhunderts. Der Verzicht auf Farbe und Muster, verbunden mit
einer Konzentration auf den Schnitt der Bekleidung, diente der Distinktion. Der
arbeitende Bürger bedurfte einer Kleidung, die ihn vom Arbeiter und vom
Aristokraten unterschied. Die Evolution des Herrenanzuges ist gekennzeichnet durch
Reduktionen: Die bunte Weste, die karierte Hose, die Rockschöße, die voluminösen
Halsbinder werden gemäßigt, gekürzt, eliminiert. Die Reduktion führt zu einer Form,
die vor allem im direkten Vergleich mit der damaligen Damenmode eine äußerst
dynamische Wirkung hat: Sie ermöglicht ausgreifende Bewegungen, der Kopf erfährt
durch den Zylinder eine technische Erhöhung und kein farbiges Muster lenkt von der
Person ab. Das sich durchsetzende Grau, die stumpfe Oberfläche der Wolltuche und
der strenge, berechnete Schnitt der Bekleidung führen zu einer Neutralisierung und
Entsexualisierung des Mannes. Die Kleidung des Mannes demonstriert seine
Konzentration auf Politik und Geschäfte, bildet den Gegenpol zur modischen
Kleidung des ‘demonstrativen Müßiggangs’.363 Mehr als 150 Jahre hat sich an den
Grundzügen des Herrenanzugs wenig geändert. Die stetige Reduktion hat zu einem
Miniaturisierungsprozeß bis hin zur Unkenntlichkeit der Zeichen geführt.364
Der heutige Vergleich mit der Damenmode (Freizeit- und Sportmode müßte hier zur
Polarisation ergänzt werden) läßt den Herrenanzug phantasielos, undynamisch,
konservativ und unzeitgemäß erscheinen.365 Diese Beurteilung orientiert sich nicht an
einzelnen Ausformungen der einen oder anderen Mode, sondern an der Integration
                                                 
361
 Hofer (1994): S. 565
362
 burda moden (4/1958): S. 10
363
 Brändli (1998): S. 202f
364
 Lebenshilfen für den Anzugträger bieten hier Publikationen wie Hardy Amies „Anzug und
Gentleman“. Amies (1997)
365
 Anne Hollander beschreibt eine gänzliche andere Wahrnehmung des Herrenanzuges, der ihrer
Meinung nach keineswegs in Konventionen erstarrt ist und auch nicht als Überlegenheitsgeste der
Modeverweigerung durch die Männer gelesen werden könne. Hollander (1995): S. 304, 44f
137
von Innovationen hinsichtlich textiler Techniken, Muster und Schnitte. Seine
Legitimation und die stetige Verbreitung des Herrenanzuges erklärt sich nicht mehr
durch wahrnehmbare Gestaltsignale, sondern durch eine weltweite Durchdringung
politisch-wirtschaftlicher Denk- und Handlungsweisen, durch seinen normativen
Gehalt. Als Zeichen der Demokratisierung positiv konnotiert, wird der hegemoniale
Charakter, der Herrenanzug als Zeichen globaler Verbreitung westlicher, männlicher
Ideen, selten benannt.366
Wird dem Tupfenmuster eine fröhliche Wirkung zugeschrieben, werden Streifen-
muster mit einer Dynamisierung des Körpers in Verbindung gebracht. Diese Be-
wegung wird schon durch die Wahrnehmung, durch das Springen des Auges
zwischen nicht auszumachendem Vorder- und Hintergrund erzeugt.367
Die Muster, die der italienische Designer Emilio Pucci (1914–1992) entworfen hat,
die auch seinen Namen tragen, verstärken die dynamisierende Wirkung von Mustern
durch den Einsatz von Farben. Pucci, ein promovierter Politologe aus toskanischem
Adelsgeschlecht, hat eine sehr eigene Mustersprache entwickelt. Die Entwürfe für
seine Muster waren für konkrete textile Objekte gedacht. Geschwindigkeit und
Bewegung als Ausdruck und Folge des modernen Lebens spiegelten sich in seinen
Entwürfen. Die Frau, die in den 1960er Jahren einen kurzen Rock trägt, kann, ohne
an Eleganz zu verlieren, schnell über die Straße laufen. Eine Errungenschaft, die der
Mann sich durch seine Anzughosen schon mehr als hundert Jahre zuvor zunutze
gemacht hatte. Die Strumpfhosen, die Pucci in den späten 1960er Jahren entworfen
hat, dynamisieren die Frauenbeine. Die Geschwindigkeit wird thematisiert, die
Muster erzeugen Bewegung, auch in der Ruhe. „My prints are ornamental designs
worked in continuous motion; however they are placed there is rhythm.“368 Pucci hat
mit dieser Rhythmisierung der Bekleidung schon in den 1950er Jahren begonnen und
gilt manchen als der Beatle der Mode, indem er psychedelisch anmutende Muster und
op-art in textiler Interpretation vorwegnahm.369 Die Kleidungsstücke, die Pucci seit
den späten 1940er Jahren entwarf, waren weniger konstruiert als die seiner
Zeitgenossen. Er verzichtete auf enganliegende Büsten, Schöße, schmale Ärmel und
die Dachkragen, wie beispielsweise Dior sie lancierte. Konstruktionen dieser Art
bestehen aus vielen Schnitteilen, so daß dem herrschenden Kanon entsprechend
einfarbige oder kleingemusterte Stoffe verwendet wurden. Pucci wählte weiche
Stoffe und große, bewegte Muster. Seine Kleider kamen ohne ‘Untergestelle’ wie
Petticoats und Corsagen aus und erzeugten eine weitere Ebene der Bewegung.
Die Abbildung 19 verdeutlicht den Zusammenhang von Schnitt und Muster. Weit
entfernt von einem postmodernen Umgang von Mustern und Schnittelementen als
Versatzstücke, zeugen diese ins Leere laufenden Wendeltreppen von einer Über-
gangszeit und der Distanz von Haute Couture und Hobbyschneiderei. Hätte der
Dessinateur sich an die Regeln gehalten, die die Handbücher der Ornamentik in
                                                 
366
 Das ‘Andere’, das sich diesen Formen anpassen soll und/oder möchte und deshalb den Anzug trägt,
sind sowohl Zugehörige anderer Kulturen als auch Frauen.
367
 Erna Lackner: „Zebras und andere Geschöpfe. Gestreiftes Spiel mit Schein und Sein“, in: FAZ-
Magazin, 13. Juni 1997, Heft 902, S. 46–53
368
 Kennedy (1991): S. 103
369
 Siehe hierzu beispielsweise die Abbildung 13.
138
bezug auf das Textilmuster bis in das 20. Jahrhundert hinein verbreiteten, wäre ein
solches Muster nicht entstanden:
„Als Hauptstilprinzip für mustergültige Beispiele aller Zeiten gilt das Fernhalten von Dar-
stellungen in plastischem Sinne, von Perspektiven und Architekturen etc., welche dem Charakter
des Flächenornaments widersprechen, sowie eine richtige Verteilung der Massen, wodurch
störende Liniierungen und Leerheiten vermieden werden.“370
Die Darstellung hat gezeigt, daß das textile Muster immer eine Funktion erfüllt und
nicht ‘nur dekorativ’ ist. Als getragenes Kleidungsstück korreliert es immer, auf eine
vielleicht nicht unbedingt intendierte Weise, mit dem Körper des Trägers und mit
seiner Raumposition. Die hier zunächst vorgenommene – künstliche – Isolation des
Musters diente dazu, die konstitutive Kraft des textilen Musters und seine Bedeutung
aufzuzeigen. Das textile Muster als Bestandteil der kulturellen Praxis muß
kontextualisiert betrachtet werden, und das bedeutet, seine Technizität und
Historizität zu bedenken.371
Dieses umfangreiche Kapitel der ‘textilen Dimension’ abschließend, benenne ich die
wichtigsten Funktionen des Musters und seine Bedeutung für das Textile und den
Menschen noch einmal zusammenfassend.372
Das Muster ist textilkonstituierend. Das repetitive Moment des Musters, die
wiederholte Handlung, ist für die Erzeugung von Textilien elementar. Alle textilen
Techniken (die Bedeutung der Repetition für das Filzen, das keine Muster im
definierten Sinne bildet, wurde aufgezeigt) basieren auf der Idee des Musters: Eine zu
isolierende Einheit (Rapport) wird mit potentieller Unendlichkeit wiederholt.
Als Tätigkeit erfüllt die Bildung textiler Muster ontogenetische Funktion. Grund-
legende Erfahrungen des Raumes und der Orientierung werden vermittelt: Ver-
anlagung eines Bezugssystems (Orthogonalität), Differenzierung von Innen und
Außen und die relationale Verortung des Selbst.
Die epistemologische Funktion des Musters konnte vor allem in bezug auf die
Mathematik gezeigt werden. Neben der objektverbundenen Erkenntnis des Zählens
und der Winkelverhältnisse, den Zusammenhängen von Form und Fläche sowie Form
und Bewegung ist die Erfahrung von Symmetrie und Unendlichkeit von elementarer
Bedeutung. Das textile Modell hat sich in bezug auf die Mathematik als besonders
fruchtbar erwiesen, so daß die Entwicklung einer ‘Textilmathematik’ anzudenken ist.
Hierunter verstehe ich eine Form der sinnlich erfahrbaren Vermittlung
mathematischer Grundbegriffe, eine experimentelle Verbindung textiler Techniken
mit mathematischen Inhalten.
Ritualisierungen operieren mit den Mitteln der Isolation von Handlungen und ihren
Wiederholungen.373 Meiner Definition des Musters zufolge bedeutet dies, daß Rituale
eine Form von Mustern sind. Elisabeth Bronfen wählt den Begriff des Rituals, um das
Bedürfnis der Gegenwart nach ‘Formierung der Unordnung’ zu beschreiben. Die
                                                 
370
 Meyer (1927): S. 316
371
 Dietrich Harth schlägt vor, die Komplexität materieller Kultur durch ‘pragmatische Analysen’ zu
fassen, d.h. das soziale Handeln in die Kulturanalyse miteinzubeziehen. Assmann/Harth (1991): S. 97f
372
 Trotz des Umfangs konnten nicht alle Funktionen benannt werden. Weitere Funktionen können
jedoch zu- oder untergeordnet werden.
373
 Lévi-Strauss (1976): S. 789f
139
Unordnung, von der sie spricht, betrifft unser – ihrer Meinung nach – komplexes
Leben mit seiner Informationsflut, seiner Sinnlosigkeit, seiner Fragmentarität.374 Das
Ritual, das Muster als Verhaltensmuster, ordnet dieses gesellschaftlich-soziale Leben
der Komplexität.
Dem rituellen ist ein mythologischer, religiöser, kultischer Gebrauch des Musters
hinzuzufügen, dessen Dimension jeweils nur angedeutet werden konnte. Das
repetitive Moment spielt bei diesen Nutzungen des Musters eine wesentliche Rolle.
Die vielfältigen Ausformungen des Gebrauchs lassen keine zusammenfassende Aus-
sage zu.
Das Muster wird als Zeichen im engeren Sinn, als Codierung, verhältnismäßig selten
funktionalisiert. Als Zeichen, das der Kennzeichnung aufgrund von Konventionen
dient, wird das Muster als Bekleidungs- und Raumtextiles hingegen häufig als Mittel
der Distinktion, als Differenzierer eingesetzt.
Die ästhetische und dekorative Funktion des Musters kann nicht isoliert betrachtet
werden, da es als Materielles (hier: Textiles) nicht für sich existiert. Das Muster kann
auf seinen Träger respektive dessen Betrachter irritierend, dynamisierend, tarnend
oder ironisierend wirken.
Das textile Muster erweist sich als Materialisierung der Organisation von Denken,
Handeln und Herrschen.
4,5-d Textile Fraktalität
Es ließen sich weitere Dimensionen benennen, die akustische, die schon einmal
erwähnt wurde, aber auch die haptische Qualität des Textilen eröffnet viele weitere
Felder, auf die hier nur hingewiesen werden kann.
Die Konstruktivität des textilen Musters ist augenfällig und wird gemeinhin nicht in
Frage gestellt. Als Handwerk oder Technik ist die textile Produktion Bestandteil der
kulturellen Praxis. Der Mensch als Konstrukteur nutzt das textile Muster auf
unterschiedliche, beschriebene Weise. Die Konstruktivität anderer Muster bzw. die
Intentionalität ihres Einsatzes sind weniger offensichtlich, sie sind das Thema der
‘nächsten’ Dimension.
                                                 
374
 Elisabeth Bronfen im Interview mit Holger Fuß, in: brand eins. Wirtschaftsmagazin, 3. Jg., Heft 02,
März 2001, S. 134–138
140
Die kognitive Dimension des Musters
„Es ist so schwer, etwas von Mustern zu lernen, als von der Natur.“1
Die Voraussetzung des Lernens durch und von Mustern ist ihre Erkennung. Dieses
Mustererkennen und seine Bedingungen stehen im Zentrum des zweiten Haupt-
kapitels. Das Muster ist der Attraktor der visuellen Wahrnehmung, das Auge das
Instrument des Beobachtens.
Die Auswahl der Muster ist dementsprechend nicht mehr an ein Material und/oder
eine Technik gebunden, sondern an die menschliche Wahrnehmung. Die Be-
dingungen der visuellen Wahrnehmung gilt es zu bedenken: Historizität, Kon-
struktivität und Konvergenz. Die Mustererkennung ist demzufolge immer ein aktiver
Vorgang. „Sehen ist nicht nur ein Vorgang passiver Wahrnehmung, sondern ein
intelligenter Prozeß aktiver Konstruktion.“2 Den Anteil, den das Muster an dieser
Konstruktion hat ,  zu  bestimmen, is t  das  Ziel  dieses Kapitels.
Wahrnehmungsphysiologische und -psychologische Überlegungen werden nicht
dargestellt, sie fließen ein bzw. wird auf spezielle Untersuchungen verwiesen.3
Die nun zu bearbeitenden Muster sind sehr heterogener Art, ihre Gliederung folgt den
Dimensionen. Auf den ersten Blick scheint die dimensionale Gliederung die
Trennung von Natur- und Kulturprodukten nachzuzeichnen. Die Muster, die sich in
Sprache, Schrift und den verschiedenen Notationsformen finden lassen, sind
kulturelle Artefakte. Der Mensch konstruiert diese Muster und er operationalisiert sie
auf unterschiedliche, im folgenden zu zeigende Weise. Die Muster der Natur nimmt
der Mensch wahr. Jedoch unterliegt auch dieser Vorgang der Konstruktion. Die
Darstellung und Analyse von Mustern, wie sie in den Naturwissenschaften
durchgeführt werden, sind kognitive Vorgänge, die kulturell gesteuert werden.
Insofern erscheint eine Trennung der Muster in kulturelle und natürliche nicht
sinnvoll. Das Kapitel 3/4-d wird sich mit Mustern als dynamische Systeme, mit dem
lebendigen, dem prozessualen Charakter des Musters beschäftigen.
                                                 
1
 Aus den Maximen und Reflexionen Johann Wolfgang von Goethes. Zitiert nach: Köhler (1992): S.
318
2
 Hoffman (2000): S. 10
3
 Klaus Mainzers Publikation enthält beispielsweise Erklärungen zur Wahrnehmung als Leistung des
Gehirns. Mainzer (1997): S. 31–41
141
0,5-d Literale Fraktalität
„Der Fleck und die Linie.
Er ist alles seelisch Gemeinte, nicht konturierbar, in mehrdeutiger Gestalt sich
verlaufend.
Sie ist die gebündelte Helle, und ihr Mysterium ist ihr offenes Ende, ihre
Unabsehbarkeit. Liebe ist Fleck, Schrift ist Linie. Gesicht ist Fleck, Schritte sind
Linie.“4
1-d Die Linearisierung des Denkens und Handelns
„Es ist das Natürlichste, und richtet am wenigsten Verwirrung an, wenn wir die
Muster zu den Werkzeugen der Sprache rechnen.“5
Wittgensteins Werkzeugbegriff verweist auf die Funktionalisierung des Musters
durch den Menschen. Er bezieht sich auf die Sprache (die Sprachspiele) und ordnet
ihr die Schrift unter.6 Die folgenden Ausführungen behandeln Sprache und Schrift
getrennt in Hinblick auf die Funktionen des Musters.
Sprache und Schrift als Mittel der Weltstrukturation werden mit dem für das Muster
entwickelten begrifflichen Instrumentarium untersucht, ihre Dimensionalität und ihre
Repetitionsformen bestimmt. Es geht darum, eine strukturelle Vergleichbarkeit zu
erzielen, die eine Aussage über das Verhältnis von Schrift und Sprache zum Muster
zuläßt. Die Auswahl der Literatur aus unterschiedlichen Disziplinen soll dieser
Engführung des Blickes Weite zurückgeben.7
Die Sprache
Der Begriff der Sprache wird im folgenden in einer sehr engen Definition als
menschliches Sprechen benutzt, um sie einer Wahrnehmungsweise eindeutig zu-
ordnen zu können.8 Die historische Herleitung des Linguisten Christian Stetter
definiert „Sprache im Sinne der vernommenen oder vernehmbaren Performanz“.9 Die
Sprache als mündliche Verlautung ist Bestandteil der akustischen Wahrnehmung.
Der Paläontologe André Leroi-Gourhan beschreibt in seinem Werk ‘Hand und Wort’
den Zusammenhang der Befreiung der Hand und der Sprachentwicklung beim
Menschen.10 Neueste Forschungen bestätigen Leroi-Gourhans Theorie, die die
Lokomotion als Determinante der Evolution gegenüber der Zerebralentwicklung
favorisiert.11 „Sprache ist von dem Augenblick möglich, da die Vorgeschichte
                                                 
4
 Strauß (1997): S. 71
5
 Wittgenstein (1984): S. 245
6
 Wittgenstein (1984): S. 239
7
 Die Ausführungen stützen sich in erster Linie auf Publikationen der Linguistik, der Philosophie, der
Paläontologie und der Altphilologie.
8
 Im Gegensatz hierzu steht die Definition, die Sprache in einem allgemeinen Bedeutungsfeld ansiedelt:
„Sprache [...] bezeichnet in einem umfassenden Sinn den gesamten Bereich dessen, was mit der
Äußerung von Vorstellungen, mit Ausdruck, Appell und Mitteilung sowie mit deren Formen und
Materialien, Medien und Techniken usw. zu tun hat.“ Ritter/Gründer (1995): s.v. ‘Sprache’, J.
Schneider, Sp. 1437
9
 Stetter (1999): S. 37
10
 Leroi-Gourhan (1988)
11
 Leroi-Gourhan (1988): S. 43
142
Werkzeuge liefert, denn Werkzeug und Sprache sind neurologisch miteinander
verbunden, und beide lassen sich nicht von der sozialen Struktur der Menschheit
trennen.“12 Demzufolge hätten Sprache und Technik den gleichen Ursprung. Der
Autor verfolgt, von dieser Prämisse geleitet, die techno-ökonomische Entwicklung
(Kapitel V) und im Kapitel VI die „Fähigkeit, das Denken in materiellen Symbolen
zu fixieren.“13 Die ältesten graphischen Beispiele stellen rhythmische und somit
abstrakte Äußerungen dar. Die beiden Ausdrucksmöglichkeiten – Sprache und
Graphismus – sind durch ihre Rhythmizität verbunden. Leroi-Gourhan schließt
daraus, „daß die bildende Kunst an ihrem Ursprung unmittelbar mit der Sprache
verbunden ist und der Schrift im weitesten Sinne sehr viel näher steht als dem
Kunstwerk.“14 Im weiteren führt er aus, daß die Kunst sich später vom Abstrakten hin
zum Realismus, entwickle und von der Schrift löse. Daraus folge, daß paläolithische
Kunst ideographisch sei und der Piktographie vorausgehe. Hiermit plädiert er für eine
Verbindung von Kunst und Schrift, jenseits der Phonetisierung und dem graphischen
Linearismus, die er als Pikto-Ideographie bezeichnet.
„Auf den beiden Polen des operativen Feldes bilden sich, im Ausgang von den gleichen Quellen,
zwei Sprachen heraus; die eine ist dem Hörsinn verhaftet und mit der Evolution jener Bereiche
verbunden, die für eine Koordination der Töne zuständig sind; die andere beruht auf visueller
Wahrnehmung und ist mit der Evolution der Bereiche verknüpft, die für eine Koordination der in
materielle graphische Symbole übersetzten Gesten sorgen. So ließe sich auch erklären, warum die
ältesten bekannten Graphismen einen unmittelbaren Ausdruck rhythmischer Werte darstellen. Wie
dem auch sei, der graphische Symbolismus besitzt gegenüber der phonetischen Sprache eine
gewisse Unabhängigkeit: sein Inhalt drückt in den drei Dimensionen des Raumes aus, was die
phonetische Sprache in der einzigen Dimension der Zeit zum Ausdruck bringt.“15
Die Unterscheidung, die Leroi-Gourhan trifft, aber nicht begrifflich kennzeichnet,
entspricht der hier verwendeten Definition, die sich auf die Wahrnehmung stützt. Die
akustische Wahrnehmung nimmt die Laute der menschlichen (phonetischen) Sprache
nacheinander auf, registriert Rhythmen, Tonhöhen und -intensitäten. Die zweite
Sprache wird von Leroi-Gourhan als Graphismus bezeichnet. Ob dieser Graphismus
sich gleichzeitig mit der phonetischen Sprache entwickelt, wie von Leroi-Gourhan
oben beschrieben, oder ein nachgeordneter ist, ist an dieser Stelle nicht zu
entscheiden, aber letztlich hier auch nicht von Bedeutung.16 Die Eigenschaften des
Graphismus, gegenüber der Sprache unabhängig zu sein und sich in den Raum
ausdehnen zu können, führen jedoch zu der Überlegung, den Begriff des Graphismus
durch den des Musters zu ersetzen.
Das Muster, so wie es eingangs definiert wird, weist die Merkmale des hier Be-
schriebenen auf: Es gründet auf Rhythmizität, es kann sich in mindestens drei
Dimensionen ausdehnen und ist vor allem auf visuelle Wahrnehmung hin konzipiert.
                                                                                                                                      
Johanson/Edgar (1998) weisen aufgrund jüngster Funde nach, daß der Mensch schon vor vier Millionen
Jahren aufrecht ging – also die Hand befreit hatte – und die Vergrößerung des Gehirns erst vor zwei
Millionen Jahren einsetzte. Siehe auch: Wehr/Weinmann (1999): 1. Kapitel
12
 Leroi-Gourhan (1988): S. 149
13
 Leroi-Gourhan (1988): S. 237
14
 Leroi-Gourhan (1988): S. 240
15
 Leroi-Gourhan (1988): S. 244–246
16
 Thomas Wynn nimmt beispielsweise an, daß der Werkzeuggebrauch des Menschen seiner
Sprachentwicklung vorausging. Gibson/Ingold (1993): S. 404
143
Seine Materialität ist Zeugnis der neurologischen Verbindung von Hand und Hirn, die
als Wechselspiel und nicht als eindimensionale Hierarchie anzusehen ist.17
Demzufolge stehen Sprache und Muster in unmittelbarer Abhängigkeit von der
Befreiung der Hand durch den aufrechten Gang. Sie basieren auf akustischen,
visuellen und taktilen Wahrnehmungen der Umwelt und des eigenen Körpers.
Repetition, Rhythmus und Symmetrie sind der Wahrnehmung unmittelbar
zugänglich. Die Spur als Hinweis auf Bewegungsmuster liefert hierfür ein augen-
fälliges Beispiel. Als „Mal von etwas, das nicht gegenwärtig ist“18, hat sie
Verweisungscharakter. Spuren werden häufig als erste Schrift bezeichnet, die der
Mensch lesen lernte.19 Diese Analogie mag unter anderem daher rühren, daß die
Fortbewegung jedes lebendigen Körpers linear verläuft. Nimmt man eine Spur als
Muster wahr, können die Einzeleindrücke und ihr Verband zu einem Rapport
analysiert werden: Zwei, vier oder mehr Füße hinterlassen Abdrücke, die
symmetrisch angeordnet sind, deren Wiederholung einen Rhythmus zeigt. Die Spur,
die durch eine Berührung hervorgerufen wird und von einer Anwesenheit zeugt,
bringt ihrerseits eine Linie hervor.20
Die Schrift
Die Entwicklung der Sprache präzise nachzuzeichnen ist durch ihre konstitutive
Vergänglichkeit unmöglich, erst mit der Ausbildung der Schrift ist ihre ‘direkte
Erfassung’ möglich.21 Auch der Begriff der Schrift soll im folgenden in einer engen
Definition gebraucht werden. Ong definiert die Schrift als ein „kodiertes System
sichtbarer Zeichen“, das „die Praxis der Sprache repräsentieren“ muß.22 Diese enge
Bindung an die phonetische Sprache bedeutet den Ausschluß zahlreicher semiotischer
Zeichen (Ong benennt beispielsweise den Fußabdruck, also die Spur). Die älteste,
gemäß dieser Definition nachweisbare Schrift entstand zwischen 5300 und 3500 v.
Chr.23
Wieviel weitreichender – im Vergleich zur Sprache – diese Definition und Inter-
pretation der Daten ist, verdeutlicht das folgende Zitat: „Nach einer verbreiteten
Konvention läßt man ‘Geschichte’ dort beginnen, wo Schriftzeugnisse auftauchen,
schriftlose Kulturen fallen danach unter die Kategorie ‘Vorgeschichte’.“24 Diese
Konvention bedeutet einen doppelten Ausschluß aus der abendländischen Welt-
                                                 
17
 Wehr/Weinmann (1999): S. 57
18
 Ritter/Gründer (1995): s.v. ‘Spur’, H.-J. Gawoll, Sp. 1550
19
 Canetti (1980): S. 28; „Schrift als mnemotechnische Spur“ im Phaidros von Platon.
Vgl.: Ritter/Gründer (1995): s.v. ‘Spur’, H.-J. Gawoll, Sp. 1550
20
 Didi-Hubermann (1999): S. 23. Siehe auch: S. 193f. Der Autor stellt eine konkrete Verbindung von
Abdruck und Spur her und konstatiert den Nutzen von Derridas Begriffsinstrumentarium auch für die
Kunstgeschichte. Derridas Ausführungen zur Spur (1972) (1983) (1988) (1990) belegen die
philosophische Qualität des Begriffes und verweisen gleichzeitig auf das weite Feld, das ich im Rahmen
dieser Untersuchung nicht betrete. An dieser Stelle sollte lediglich auf die Linearität und
Musterhaftigkeit der Spur hingewiesen werden.
21
 Leroi-Gourhan (1988) beschreibt die Mängel und Spekulativität von anatomischen Theorien, die eine
Verbindung von Unterkieferform, Zungenmuskulatur und Sprachentwicklung herstellen. (S. 147)
22
 Ong (1987): S. 86f
23
 Ong (1987) nennt die Schrift der Sumerer in Mesopotamien um 3500 v. Chr. (S. 86), Haarmann
(1990) hingegen beschreibt den sakralen Schriftgebrauch der Vinca-Kultur als den ältesten. (S. 72, 18)
24
 Ritter/Gründer (1992): s.v. ‘Schrift’, A. u. J. Assmann, Sp. 1417
144
geschichte:25 Das sogenannte Primitive der Vorgeschichte und das Fremde finden als
Schriftlose keine Aufnahme. Es handelt sich hierbei um eine historisch-wertende
Nullpunktsetzung.
Leroi-Gourhan zeigt anhand des Chinesischen, daß Schrift aus einer Verschränkung
von Mythogrammen und phonetischer Linearisierung hervorgegangen ist. Die
sukzessive Verdrängung der Mythogramme führt zu einer Definition der Schrift, die
die Phonetisierung und den graphischen Linearismus in den Vordergrund stellt.
Leroi-Gourhan formuliert die zwei Merkmale: „[...] Schrift zeichnet Töne auf, deren
Ordnung den Fluß der Sprache nachzeichnet.“26 Die lineare Form der Schriftäußerung
ist Abbild des zeitlichen Nacheinanders der gesprochenen Sprache.27 Aus diesem
Nachgeordnetsein der Schrift leitet Ong ein Untergeordnetsein ab.28 Wie auch immer
man wertet, es lassen sich an dieser Stelle zwei grundlegende Feststellungen zum
Verhältnis von Sprache und Schrift treffen, die mit den Begriffen der Identität und
der Differenz gefasst werden können. Die strukturelle Gleichheit von Sprache und
Schrift in bezug auf eine Linearität wirkt identitäts- und definitionsstiftend. Das
Postulat ihrer Differenz, mit seinen Auswirkungen auf den Bedeutungsgehalt, läßt
sich bis Platon zurückverfolgen. Beidem soll im folgenden nachgegangen werden, um
die Rolle des Musters in diesem Verhältnis zu bestimmen.
Die Linearität von Sprache und Schrift bildet ihre strukturelle Gleichheit und ihre
scheinbare Unzertrennlichkeit. Das gesprochene Wort, jeder Ton, ist wesentlich
verklingend. Die akustische Wahrnehmung ist deshalb in besonderer Weise an die
Zeit und ihre Irreversibilität gebunden. Das Wort ist ein Ereignis und „existiert nur im
Moment seiner Entstehung.“29 Die Sprache als Ereignisfolge wird linear wahr-
genommen. Die Schrift als transkribierte Rede vollzieht diese Bewegung, die eine
definierte Richtung (Zeitpfeil) hat, nach. Die Anordnung der Linien, die Lese-
richtung, kann unterschiedlich sein. Michel Foucault beschreibt den sprachwissen-
schaftlichen Umgang der Renaissance mit diesem Thema und die damit verbundene
Fundierung der zentralen Stellung der Schrift. Die „Verkettung der Wörter“ spiele
hierbei ein wichtige Rolle, da man durch ihre „Anordnung im Raum die Ordnung der
Welt rekonstruieren“ könne.30 Die Schrift als das männliche Prinzip der Sprache sei
ihr handelnder Intellekt.31 Diese Handlung besteht in der Bewegung, die von oben
nach unten oder rechts nach links und vice versa ausgeführt wird und von relativer
Dauer ist. Wie eng nicht nur der Gebrauch einer Schrift, sondern auch die
Schreibrichtung mit der Lebens- und Denkweise des Menschen verbunden ist, wurde
am Beispiel des seßhaften, ackerpflügenden und webenden Bauern gezeigt.
                                                 
25
 Assmann (1999): S. 219. „ So ließ zum Beispiel Ranke in seiner Weltgeschichte Geschichte erst dort
beginnen, ‘wo die Monumente verständlich werden und glaubwürdige schriftliche Aufzeichnungen
vorliegen’“.
26
 Leroi-Gourhan (1988): S. 256
27
 Derrida (1983) betont die Untrennbarkeit der Linearisierung der Schrift und dem Phonologismus.
(S. 126)
28
 Ong (1987) formuliert, daß das Schreiben als ein sekundär formendes System bezeichnet werden
kann, das von dem älteren primären System der Sprache abhängt. (S. 16)
29
 Ong (1987): S. 37
30
 Foucault (1994): S. 70
31
 Foucault (1994): S. 71
145
Was Foucault als Entwicklung des 16. Jahrhunderts beschreibt, radikalisiert sich im
20. Jahrhundert.
Jacques Derrida bezieht sich sehr konkret auf die Ausführungen Leroi-Gourhans und
leitet aus der Dominanz der linearen Schrift den Logozentrismus der Metaphysik, den
es zu dekonstruieren gilt, ab.32 Phonologismus und Linearismus seien untrennbar
miteinander verbunden, das gesprochene Wort gehorche einem linearistischen
Konzept.33
Er rekurriert auf die Schrift als ‘abgeleitete Hilfsform der Sprache’, als Signifikant
des Signifikanten und möchte sie programmatisch aus dieser Situation herausführen.34
„Im Hinblick auf diese Einheit (von Sinn und Laut, Anm. K.K.) wäre die Schrift
immer eine abgeleitete, hinzugekommene, partikulare, äußerliche, den Signifikanten
verdoppelnde – phonetische Schrift. ‘Zeichen der Zeichen’, sagten Aristoteles,
Rousseau und Hegel.“35
Es geht also um die Rettung der Schrift, vor Saussure, vor der Linguistik, die der
Schrift im allgemeinen lediglich Repräsentationsfunktion zuschreibt.36 Die Linguisten
und die jüngere Mündlichkeitsforschung wollen ihrerseits die Sprache von der
Dominanz des Textes befreien37 und Derridas Vereinnahmung entziehen: „Das
Denken ist in die Sprache eingebettet, nicht in Texte, welche sämtlich mittels der
Referenz des sichtbaren Symbols ihre Bedeutung aus der Welt des Klanges er-
halten.“38
Die Forschung zu Literalität und Oralität rechtfertigt beide Argumentationen, fordert
jedoch meist eine eindeutige Stellungnahme zu Sprache oder Schrift. In Platons
Phaidros – ein mündlicher Dialog, schriftlich fixiert – findet man die Grundlage für
spätere Argumente angelegt und eine elegante Lösung der Unentscheidbarkeit.39
Derrida faßt diese Ambivalenz mit dem Begriff des ‘pharmakon’, der sowohl
Heilmittel als auch Gift bedeuten kann und nutzt ihn als Mittel der Dekonstruktion
aus dem Inneren des Dialoges.40
Zwei der häufig genannten Argumente für und wider die Schrift im Sinne des
platonischen Dialogs, die mit dem Muster in Verbindung stehen, sollen an dieser
Stelle benannt werden.
Das erste Argument betrifft die Möglichkeit der Abwesenheit des Sprechers durch die
visuelle Fixierung der Sprache. Im Phaidros überwiegt die negative Kritik an dieser
Möglichkeit. Der Text gebe sich als Sprecher, könne sich aber nicht auf sein
Gegenüber und die Situation einstellen.41 Dem wäre, als textile Randbemerkung
hinzuzufügen, daß der anwesende Sprecher sich nicht nur verbal erklären kann,
                                                 
32
 Derrida (1983): S. 128. In seiner Vorbemerkung benennt Derrida neben Leroi-Gourhan M.-V. David
mit einer Publikation über die Schrift und die Hieroglyphen als die Werke, die ihn zur ‘Grammatologie’
veranlaßt hätten. S. 7
33
 Derrida (1983): S. 126
34
 Derrida (1983): S. 17, 36
35
 Derrida (1983): S. 53
36
 Derrida zitiert Saussure: “Sprache und Schrift sind zwei verschiedene Systeme von Zeichen; das
letztere besteht nur zu dem Zweck, um das erstere zu repräsentieren.“ Derrida (1983): S. 54
37
 Ong (1987): S. 18
38
 Ong (1987): S. 78
39
 Heitsch (1993)
40
 Derrida (1995): S. 84
41
 Heitsch (1993): S. 62 (Phaidros 275de)
146
sondern seine Erscheinung, seine Kleidung, gleichermaßen beredt ist.42 Heitsch
verweist auf einen anderen platonischen Dialog (Protagoras), in dem die Unent-
scheidbarkeit hinsichtlich der Richtigkeit von Gedichtinterpretationen formuliert
wird.43
„Nicht, daß der Text notwendigerweise immer und von jedem mißverstanden würde: Einen
solchen Unsinn läßt Platon Sokrates nicht behaupten. Was dort, wo die Schrift zum Mittel der
Vermittlung gemacht wird, verloren geht und angesichts der unterschiedlich geprägten Typen
möglicher Rezipienten verloren gehen muß, sind auf Seiten der Rezipienten Eindeutigkeit und
Sicherheit im Verstehen dessen, was der Autor mit seinem Text gemeint hat. Beides ist, wie
Sokrates hinzufügt, bei schriftlicher Kommunikation nur dann gewährleistet, wenn der Empfänger
an und für sich schon Bescheid weiß und nur erinnert zu werden braucht.“44
Die Schrift ist demnach nicht in der Lage, eindeutig und sicher Inhalte zu vermitteln.
Das zweite platonische Argument betrifft die Möglichkeit der Informations-
speicherung durch die Schrift. Der ägyptische Gott Theut präsentiert dem regierenden
Ammon seine Erfindung, die ein Mittel für Gedächtnis und Wissen sei: die Schrift.45
Ammons erwiderte Schriftkritik bezieht sich auf die Differenz von Erinnerung und
Gedächtnis. Als Mittel (pharmakon) der Erinnerung sei die Schrift in der Lage,
Informationen zu speichern, dem Gedächtnis hingegen würde sie schaden, da sie zum
Vergessen einlade.46
‘La pharmacie de Platon’ bezeichnet im Französischen gleichermaßen die Wissen-
schaft und den Ort dieser Wissenschaft, die Apotheke.
Ob Gift oder Heilmittel scheint, wie in der Pharmazie, von der Dosierung abhängig
zu sein. Hieran wird deutlich, wie schlüssig Derridas Wahl des ‘pharmakon’ als
Leitfaden der Lektüre ist.47
Das Muster in Sprache und Schrift
Die Schrifttheorie Derridas, die Grammatologie, der die genannte Publikation zu
Platon vorausging,48 wird im folgenden auszugsweise nutzbar gemacht.49 Diese Nutz-
barkeit ist ausgerichtet auf eine Hinwendung zum Muster, die keine Entscheidung
zwischen Sprache und Schrift fordert, sondern auf ein Drittes, Kontinuitätsstiftendes,
verweist.
Der Linguist Christian Stetter konstatiert für Sprache und Schrift eine formende
Wechselwirkung, die er mit ‘Kohabitation’ beschreibt. Diese Kohabitation, die nicht
mehr Sprache und Schrift trennt, erzeuge unterschiedliche Schrifttypen, die wiederum
                                                 
42
 Durch die Einbeziehung der Kleidung, die wiederum Trägerin von Schrift sein kann, lassen sich
zusätzliche Bedeutungsebenen einführen. Barber (1994) verweist auf den Zusammenhang von
Analphabetentum im Mittelalter und der Verwendung von Symbolen und Zeichen. Ab dem 19.
Jahrhundert werden zunächst Gebrauchstextilien wie Küchentücher oder Taschentücher mit Sinn-
sprüchen oder politischen Nachrichten versehen. Im 20. Jahrhundert werden auch Bekleidungstextilien
‘beschriftet’, der Körper wird zum Schriftträger.
43
 Heitsch (1993): S. 193, Anm. 425
44
 Heitsch (1993): S. 193
45
 Heitsch (1993): S. 61 (Phaidros 274e)
46
 Heitsch (1993): S. 61 (Phaidros 275a)
47
 Der Begriff taucht nur an wenigen Stellen auf und wird von Ernst Heitsch mit ‘Mittel’ ins Deutsche
übersetzt. Heitsch (1993): S. 14 (230e); S. 54 (268c); S. 61 (274e)
48
 Derrida (1995)
49
 Die verschiedenen Positionen zu Oralität und Literalität werde ich an dieser Stelle nicht rezipieren.
Die Publikationen von Ong (1987) und Stetter (1999) bieten einen Überblick über den Forschungsstand
und verfügen über ausführliche Bibliographien.
147
unterschiedliche Denkformen hervorbrachten.50 Stetter rezipiert Derrida und stimmt
mit ihm in wesentlichen Punkten überein.
Die Isolierung der chirographischen und der typographischen Geste stellt die Text-
produktion als ein Eigenständiges in den Vordergrund. Das ‘Handeln am Text’, das
durch das Schreiben erst möglich wird, habe kein Analogon in der Rede.51 Diese
Handlungen (Unter- und Durchstreichen, Umstellen, Ergänzen, Auswahl der
Schriftart etc.) erzeugen die Gestalt des Textes. Prominentestes Beispiel (weil
konzeptual-programmatisch genutzt) einer rein graphisch wahrnehmbaren Differenz
ist der von Derrida geprägte Differenz-Begriff mit seinen zwei Schreibweisen
(différence/différance).52 Hiermit bewegt er sich jedoch weiter in dem engen, nämlich
eindimensionalen Handlungsspielraum der Schrift. Er tut dies unter Berufung auf
Leroi-Gourhan. Beide Autoren erkennen in den neuen Medien den Beginn eines
neuen Zeitalters, das mit dem Ende des Buches, und damit dem Ende der linearen
Schrift einhergeht. Dabei vernachlässigen sie, daß der Schritt vom Buch zum
Computer genauso bedeutend wie der von der Handschrift zum Buchdruck ist, jedoch
ebensowenig an der Linearität der Schrift verändert hat. Derrida will offensichtlich
auch keine Prognosen für ein schriftloses Zeitalter geben, als vielmehr eine weitere
Methode der Textinterpretation liefern und den Beginn einer neuen Epoche mit
veränderter Schreibweise postulieren.
„Es geht auch nicht darum, der Buchhülle noch nie dagewesene Schriften einzuverleiben, sondern
endlich das zu lesen, was in den vorhandenen Bänden schon immer zwischen den Zeilen
geschrieben stand. Mit dem Beginn einer zeilenlosen Schrift wird man auch die vergangene Schrift
unter einem veränderten räumlichen Organisationsprinzip lesen.“53
Was man sich unter dieser zeilenlosen Schrift vorzustellen hat und woran Derrida den
schon begonnenen Wandel festmacht, bleibt unklar. Ulmer schreibt, Derrida
konstatiere, daß alle philosophischen, natur- und literaturwissenschaftlichen
Revolutionen des 20. Jahrhunderts als Erschütterungen interpretiert werden könnten,
die das lineare Modell sukzessive zerstörten. Die Zeichen der Veränderungen
verwiesen auf einen Paradigmenwechsel von der Sprache hin zur Schrift.54
Konkreteres erfährt man auch hier nicht. Lediglich ‘Das Programm’ enthält einen
Hinweis auf eine Erweiterung des Schriftbegriffs: „[...] Kinematographie,
Choreographie, aber auch ‘Schrift’ des Bildes, der Musik, der Skulptur usw.“ –
generelle ‘Ein-schreibungen’, die nicht der Stimme verpflichtet sind.55
Derrida macht die Rede zu einer Form der Schrift. Demzufolge gäbe es eine ge-
sprochene und eine graphische Schrift. Bedingung der Rede als auch jeglicher
anderer Schrift sei die archi-écriture.56 Die Iterabilität als Bedingung jedes Zeichens
                                                 
50
 Stetter (1999): S. 9
51
 Stetter (1999): S. 296
52
 Derrida (1990): S. 77. Der Begriff der Differenz hat hier exemplarische Funktion, wird an anderer
Stelle jedoch noch einmal aufgegriffen.
53
 Derrida (1983): S. 155
54
 Ulmer (1985): S. 9
55
 Derrida (1983): S. 21
56
 Culler (1988): S. 110–114. Culler expliziert die Derridaschen Begriffe der Schrift und des
Logozentrismus. Den Begriff der archi-écriture, der Ur-schrift, beschreibt Derrida in der
‘Grammatologie’. Derrida (1983): S. 99
148
bildet eine weitere strukturelle Gleichheit, die sprachliches wie schriftliches Zeichen
zu gleichwertigen Signifikanten machen.57
Auch der Altphilologe Eric A. Havelock wählt Platon als Referenztext und postuliert
die Medienabhängigkeit des Denkens vor Derrida und McLuhan. ‘The medium is the
message’ wird als Kurzformel des Paradigmas meist McLuhan zugeschrieben.58 Jan
und Aleida Assmann führen das Werk Havelocks ein und weisen auf seine
denkanstoßende Rolle hin. „Nicht die Sprache, in der wir denken, sondern die
Medien, in denen wir kommunizieren, modellieren unsere Welt. Medienrevolutionen
sind Sinnrevolutionen, sie re-modellieren die Wirklichkeit und schaffen eine neue
Welt.“59 Hieraus leitet sich die Frage nach dem Verstehen des Denkens ab, dem
„fremden Denken – der Existenz einer primitiven Mentalität bzw. prälogischen
Denkens“ und dem eigenen Denken, dem abendländisch-logischen.60
Sprache und Sprachen sowie die unterschiedlichen Schriften verweisen jenseits ihrer
Inhaltlichkeit auf eine bestimmte Denkweise.61 Diese Erkenntnis, hier exemplarisch
durch einige Autoren vertreten, hat zu zahlreichen Untersuchungen geführt. Die
Gefahr hierbei besteht in der je eigenen Denkweise der Autoren und dem Medium,
dessen sie sich bedienen.62 Die Schriftkritik mit Hilfe der Schrift stellt eine Form der
Selbstbezüglichkeit dar, die ich als erste seltsame Schleife kennzeichne.
Ein Ausweg aus dieser Situation könnte die Hinwendung zu einem allgemeineren
Zeichenbegriff sein.63 Barbara Stafford schreibt, daß wir gegenwärtig in unserer
postindustriellen und postmanuellen Gesellschaft einen Umbruch erleben. Die Schrift
würde demnach zu einem visuellen Zeichen unter anderen und müsse ihre zentrale
Stellung aufgeben.64 Dem folgend, was auch als ‘pictorial’ oder ‘iconic turn’
bezeichnet wird, führe ich das Muster als Attraktor der Wahrnehmung in diesen
Diskurs ein. Hierbei geht es nicht darum, die Sprache und die Schrift auszuschließen
und zu entwerten, sondern um eine Betrachtung anhand der Begriffe der Repetition
und der Dimensionalität.
Jan Assmann schreibt, das Grundprinzip jeder konnektiven Struktur sei die
Wiederholung.65 Die Repetition ist somit konstitutiver Bestandteil dessen, was
Assmann als Kultur bezeichnet. Die Konstruktion von Vergangenheit ist eine Form
der Konnektion. „Repetition und Interpretation sind funktionell äquivalente
Verfahren in der Herstellung kultureller Kohärenz.“66 Assmann unterscheidet nun
zwei Formen der Erzeugung kultureller Kohärenz: die rituelle und die textuelle. Auf
Havelock, Goody und Ong bezugnehmend, wird den oralen Kulturen eine Art
                                                 
57
 siehe hierzu auch: Ulmer (1985): S. 58
58
 McLuhan (1995); Erstauflage 1964. Teil 1 ist überschrieben mit ‘Das Medium ist die Botschaft’.
Auch McLuhan weist auf die Bedeutung der ‘linearen Strukturierung unseres rational orientierten
Lebens’ hin. (S. 134)
59
 Havelock (1990): S. 3
60
 Havelock (1990): S. 3
61
 In welcher wechselwirkenden Abhängigkeit sich Sprache und Denken befinden, ist in der Linguistik
ungeklärt. FAZ 14.04.99, Nr. 86, N6
62
 Stetter (1999) führt dies besonders präzise und kritisch aus. (S. 43)
63
 „Instead of fomulating unconvincing arguments about handaxes and syntax, perhjaps archaeologists
should pursue the more promising approach of general semiotics.“ Gibson/Ingold (1993): S. 403
64
 Stafford (1991): S. 476
65
 Assmann (1992): S. 17
66
 Assmann (1992): S. 89
149
‘Wiederholungszwang’ nachgesagt und den literalen mittels der Schrift die Kunst der
Auslegung, die Hermeneutik, zugedacht. Ong schreibt, das Denken müsse sich in
mnemonischen Mustern vollziehen, die Gedanken in Form von tief rhythmischen
Mustern entstehen, um ohne schriftliche Hilfe memoriert werden zu können. Die
bilaterale Symmetrie des Menschen und seine Körperrhythmen werden
gleichermaßen genutzt.67 Das Muster dient hier dem Memorieren, die rituelle
Wiederholung bildet das Fundament der Kultur, ist eine strukturelle Notwendigkeit.68
Die textuelle Kohärenz hingegen beruht auf Interpretation und Variation.
Diese strikte Trennung von Assmann werde ich relativieren. Auch die Schrift bedarf
der Wiederholung, um Kohärenz zu erzeugen. Florian Coulmas schreibt: „Schrift ist
Wiederholung. Wiederholung in mehrfachem Sinn: Wiederholung der immer
gleichen Formen und Wieder-holung einer Form mittels einer anderen.“69
Diese Repetition ist eine strukturelle im Sinne von wiederkehrenden Mustern. Bis
heute nicht zu entziffernde Schriftzeugnisse sind die besten Beispiele für die Be-
deutung der Repetition: Die Verbindung ist abgebrochen, ihre Lesbarkeit und
Interpretierbarkeit sind nicht mehr gegeben. „Eine Schrift, die nicht über den Tod des
Empfängers hinaus strukturell lesbar – iterierbar – ist, wäre keine Schrift.“70
Wenn die Wiederholung als strukturelles Merkmal von Sprache und Schrift
konstatiert wird, bleibt die Frage nach der Form der Wiederholung.
Die Psycholinguistik beschäftigt sich u.a. mit der sprachlichen Mustererkennung und
Musterbildung. „Die Zahl wohlgeformter sprachlicher Muster ist unbeschränkt. Als
wohlgeformt bezeichnen wir ein sprachliches Muster, das Sprachbenutzer als
mögliches Muster in ihrer jeweiligen Sprache ansehen.“71 Grammatiken werden in
diesem Zusammenhang als rekursive Systeme verstanden, die die Grundlage der
unendlichen Produktion sprachlicher Muster sind. In Verbindung mit akustischen
Variationen und Kontextabhängigkeit ergibt sich eine infinite Menge von möglichen
Sätzen. Die Anzahl der Elemente dieses generativen Systems sind jedoch endlich: die
Phoneme und die lexikalen Einheiten, die das mentale Lexikon bilden.72 Dieses
mentale Lexikon enthält die Muster. Um seine Funktionsweise zu untersuchen,
verwendet Levelt akustische, bildliche und schriftliche Reize. Ohne dies zu
explizieren, beziehen sich die von Levelt durchgeführten Untersuchungen auf
Sprachen, die über eine alphabetische Schrift verfügen. Das Erkennen von
gesprochenen und geschriebenen Wörtern erfährt keine Differenzierung. Die Frage
richtet sich vielmehr auf die Differenz von Worterkennung und -produktion und die
ihnen zugrundeliegenden Strukturen. Die Arbeitsweise des mentalen Lexikons ist
eine wiederholende und kontextualisierende. Das Muster bezeichnet hierbei für
Sprache und Schrift die Einheit, die es zu vergleichen und zu wiederholen gilt.
                                                 
67
 Ong (1987): S. 40
68
 Assmann (1992): S. 98
69
 Coulmas (1981): S. 133
70
 Derrida (1988): S. 298
71
 Köhler (1992): S. 358. Darin: Willem Levelt: „Sprachliche Musterbildung und Mustererkennung“,
S. 357–370
72
 Köhler (1992): S. 359. Darin: Willem Levelt: „Sprachliche Musterbildung und Mustererkennung“,
S. 357–370
150
Sprache und Schrift bedienen sich des Musters, seiner repetitiven Eigenschaft, zur
Erzeugung kultureller Kohärenz. Die Schrift als visuelles Medium wird in seiner
Ausformung als Text noch genauer untersucht. Die Linearität ist ein anderes ver-
bindendes Moment von Schrift und Sprache, das zuvor betrachtet werden soll.
Mit Derrida und Leroi-Gourhan läßt sich eine Prägung des Denkens durch einen
Linearismus, der sich in der Schrift visualisiert und gleichermaßen in der Sprache
aktualisiert, konstatieren. Dem ist die Sequentialität des menschlichen Werkzeug-
gebrauchs hinzuzufügen.73 Ein Herstellungsprozeß wird anhand der sequentiellen
Anordnung der einzelnen Handlungsschritte erlernt und memoriert. Dieses Nach-
einander des Tuns wurde von Gatewood als ein ‘pattern of thinking’ identifiziert.74
Das Bild, das er für die Organisationsform bemüht, ist ein textiles: ‘string-of-beads’.75
Der lineare Zeitbegriff, der den literalen Völkern zugeschrieben wird,76 verbunden
mit der Irreversibilität der Zeit, ist ein weiterer Hinweis auf die Dominanz der Linie.
Die Linearität des Denkens und Handelns ist an neurologische und motorische
Körperstrukturen gebunden.77 Der Linearismus ist dementsprechend keine kulturelle
Erfindung. Seine Instrumentalisierung hingegen verweist auf die Herausbildung
kulturspezifischer Verhaltensweisen.
Leroi-Gourhan spricht bei der gegenwärtigen Entwicklung von einer ‘Regression der
Hand’, die möglicherweise zu einer Rückkehr zum vieldimensionalen Denken, im
Gegensatz zum analytischen, wissenschaftlichen Denken, das sich am ‘Faden der
Typographie’ bewegt, führen könnte.78
Sehr viel deutlicher – und mehr als 30 Jahre später – schreibt Mihai Nadin, daß
Sprache und Schrift einen logischen Diskurs bilden, der in seinem Wesen dualistisch
ist. Diese bivalente Logik gehöre zu den unsichtbaren Grundlagen der Schriftkultur.79
Neue, leistungsfähige Technologien, hiermit meint er vor allem Mittel der
Visualisierung, seien in der Lage, Sprache und Schrift weitestgehend zu ersetzen und
das Prinzip der Linearität annähernd zu verdrängen. Nichtlinearität und Fuzziness als
Schlagworte neuester wissenschaftlicher Erkenntnis demonstrieren die Abkehr von
Linearität und Determinismus. Unsere Schriftkultur erweise sich als eine schlechte
Grundlage für eine multivalente Logik.80
Die Fähigkeit des Musters, sich mehrdimensional auszudehnen, wird von mir
weiterhin als Modell der Erkenntnis und als Zeuge von Kontinuität genutzt. Das
Denkmuster der Linearität hat, wie gezeigt werden konnte, sehr weit getragen. Das
der Nichtlinearität (bemerkenswerterweise hat man hierfür diesen Negativbegriff
gebildet) werde ich noch darstellen.
                                                 
73
 Gibson/Ingold (1993): S. 392
74
 Gibson/Ingold (1993): S. 394
75
 Gibson/Ingold (1993): S. 393
76
 Goody (1986): S. 131
77
 Leroi-Gourhan (1988) betont die ‘enge Synchronie’ zwischen der Entwicklung der Technik und der
Sprache und die Verknüpfung von Hand und Stimme im Ausdruck des Denkens. (S. 268f)
78
 Leroi-Gourhan (1988): S. 492f
79
 Nadin (1999): S. 135. Mihai Nadin ist Professor für ‘Computational design’. Er hat u.a. Philosophie
und Informatik studiert.
80
 Nadin (1999): S. 135
151
Das Muster soll hiermit nicht als zukünftiger Ersatz für Sprache und Schrift vorge-
stellt werden. Die Sprache wurde hier lediglich dargestellt, um die Verbindung von
‘Hand und Wort’ und die Bedeutung des Mediums aufzuzeigen.
Leroi-Gourhan schrieb ‘Le geste et la parole’81 etwa gleichzeitig zu Havelocks
medienwissenschaftlicher Schrift und beschreibt darin die Bedeutung des Vorgangs
der Exteriorisierung des Gedächtnisses durch die Schrift, der das analytische Denken
ermöglicht habe. Die Erhöhung der Speicherkapazität, heute wie damals zentrales
Thema, ist die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung, für Fortschritt.82 Die
Weiterentwicklung in bezug auf die Aufzeichung akustischer Signale und ihre Folgen
deutet Leroi-Gourhan an. Die Formen akustischer Wahrnehmung und ihre
Musterhaftigkeit werden nicht weiter thematisiert, da die visuelle Wahrnehmung bzw.
die Produktion visuell wahrnehmbarer Muster im Zentrum meiner Untersuchung
stehen.
Die Diskussion um die Implikationen von Oralität und Literalität, die
interessanterweise mit Verbreitung der neuen Medien unter weniger oppositionalen
Argumenten geführt wird, wird dementsprechend nicht weiter verfolgt.83
Abschließend verschränke ich die Betrachtungen der textilen und kognitiven Ein-
dimensionalität.
Den Aspekt der Eindimensionalität der Sprache und der Schrift in den Vordergrund
zu stellen, erlaubt die Konstatierung struktureller Gleichheit. Die Linearität bestimmt
die Richtung und gewährleistet hierdurch das Verständnis.84 Das Muster wurde als
ein der Sprache und Schrift Inhärentes beschrieben.
Der Preis einer solchen Abstraktion ist der vorübergehende Verlust der kulturellen
Praxis. Die beschriebenen Analogiebildungen, z.B. von Flusser, lassen jedoch eine
getrennte Untersuchung ratsam erscheinen.
Die textile Produktion, respektive ihre Ergebnisse haben die Konstruktivität des
Eindimensionalen, bzw. die Dominanz der Linearisierungsidee, die eine nachträgliche
ist, gezeigt. Die angenommene Gleichzeitigkeit der Entstehung von Sprache und
Technik läßt sich durch die Abstraktion stützen. Eine Untersuchung der Sprache, ihre
Wörter als kulturelles Gedächtnis begreifend, könnte weitere Hinweise auf die
Verbindung von Sprache und Technik liefern. Hierbei sollte der technische Aspekt,
d.h. das Handeln und Bewegen des Menschen, in den Vordergrund gestellt werden.
Die Etymologie könnte helfen, Grundmuster der Bewegung, wie beim Weben, zu
erkennen, darf aber nicht dazu führen, den Text als eine evolutionäre Folge des
Textilen zu benennen.
Die Betrachtung des Eindimensionalen hat gezeigt, daß die textile Produktion auf das
engste mit der kognitiven Entwicklung des Menschen verbunden ist. Die Ausbildung
                                                 
81
 Havelock schrieb ‘Preface to Plato’ 1963 (Cambridge MA) und Leroi-Gourhan ‘Le geste et la parole’
1964 (Paris); dt. Übersetzung (1988)
82
 Leroi-Gourhan (1988): S. 322f; Stetter (1999): S. 291
83
 Formen der Massenmedien wie Radio und Fernsehen, vor allem aber das Internet zeigen, wie stark
Schrift und Sprache miteinander wechselwirken und strikt trennende Definitionen von Schriftlichkeit
und Mündlichkeit unmöglich machen. Hybridformen wie sekundäre Oralität oder Postliteralität zeugen
hiervon.
84
 Hodder (1989): S. 73
152
komplexerer textiler Techniken – auch das Gewebe – geht der ‘Erfindung’ der Schrift
zeitlich voraus.85 Die Materialisation, die sich mit Erreichen der zweiten Dimension
einstellt, geht wieder vom produzierenden Menschen aus und verknüpft die textile
und die kognitive Dimension intensiver.
1,5-d Literale Fraktalität
„Ich knüpfe an. Wenn Sie kritzeln und ich auch, dann ist das immer auf einer Seite,
und es ist mit Linien, und damit sind wir gleich eingetaucht in die Geschichte der
Dimensionen. [...] Bloß, da Sie fortlaufend schreiben, kommt es Ihnen nicht in den
Sinn, die Linie zu unterbrechen, ehe sie auf eine andere trifft, um sie drunter
durchgehen zu machen, oder vielmehr um anzunehmen, daß sie drunter durchgeht,
denn in der Schrift handelt es sich um etwas ganz anderes als den Raum mit drei
Dimensionen.“86
2-d Die zweidimensionale Herstellung der Wirklichkeit
Sprache und Schrift wurden mit Linearisierung, mit der Reduktion auf eine
Dimension charakterisiert. Die konkrete Visualisierung geschieht jedoch in der
Fläche. Die Formen der zweidimensionalen Notation werden in vier großen Ab-
schnitten vorgestellt: das Bild, der Text, die Karte und die Zahl.
Bewußt wurde der Begriff der Notation gewählt, da die Geste des Notierens mit der
Zweidimensionalität verbunden ist.87 Für die Untersuchungen von Notationsformen
ist die Trägerfläche meist nicht entscheidend, noch nicht einmal, wenn sie eigentlich
keine Fläche ist.88 Dreidimensionale Objekte werden für die Betrachtung gewöhnlich
in die Fläche zurückgelesen, d.h. als reine Oberfläche wahrgenommen. Die
Materialität der Notation gewinnt nur in bezug auf ihre zeitliche Dimension
Bedeutung. Hierbei geht es in erster Linie um die Memorierungsfunktion der
Notation und dementsprechend um die Beständigkeit des Materials.89 Der Wert des
Materials und die damit verbundene Materialhierarchie kann sekundär zur Aus-
zeichnung des Besonderen genutzt werden.90 Erst seit den späten 1980er Jahren, d.h.
mit dem Gewahrwerden der Veränderungen durch die neuen Medien, werden auch
die alten Medien neu gesehen.91
                                                 
85
 Leroi-Gourhan (1980): S. 303; Boucher (1997): S. 23, 31
86
 Lacan (1991): S. 131
87
 Flusser (1996) beispielsweise verwendet den Begriff des ‘Codes’ für Systeme von Symbolen (S. 75),
die auch Fotografie und Film beinhalten. Unter dem Begriff des ‘Bildes’ subsumiert er Landkarten und
zweidimensionale Modelle. (S. 111)
Bei Assmann (1999) werden Schrift und Bild, aber auch Körper und Orte als Medien des kulturellen
Gedächtnisses behandelt. (S. 20)
88
 Auf diesen Umgang werde ich je im Zusammenhang eingehen und Beispiele benennen.
89
 Aleida Assmann (1999) beschreibt den technologischen Übergang, den wir in bezug auf die
Speicherung unseres kulturellen Gedächtnis zur Zeit erleben: „Das Modell eines materiellen
Fortbestehens weicht dem Modell einer dynamischen Reorganisation von Daten.“ (S. 355) Hierauf wird
im Zusammenhang mit den ‘neuen Medien’ zurückzukommen sein.
90
 Daß diese Ebene der Interpretation nur selten thematisiert wird, wurde bereits ausgeführt und die
Publikation von Raff (1994) als Ausnahme eingeführt.
91
 Gumbrecht/Pfeiffer (1988)
153
Die Bedeutung der Trägerfläche wurde modellhaft anhand der textilen Dimensionen
beschrieben. Das Textile ist eines unter anderen ‘Transportmitteln’, es hat besonders
vielfältig Techniken ausgebildet, um das Bild (z.B. als Nadelmalerei), die Karte und
den Text (z.B. als Stickerei) und die Zahl (z.B. in Form von arithmetischen
Beziehungen von Flechttechniken) abzubilden bzw. immanent zu erzeugen. Der
Materialität der Trägerflächen werde ich jedoch im folgenden nicht systematisch oder
modellhaft nachgehen, vielmehr ist es im Gegenteil die Vielfalt und Beliebigkeit, die
dokumentiert werden soll, um die zusammenführende Funktion des Musters zu
verdeutlichen.
Das Muster wird meist als Flächenphänomen, als typisch Zweidimensionales aus-
gewiesen. Die beiden folgenden Definitionen zeugen von dieser Beschränkung: „A
pattern is formed by the replication of a symmetry group in such a manner as to cover
a plane with no gaps and no overlaps.“ „A pattern is easily recognised because it is
based on a design that is repeated in two dimensions.“92 Die von mir formulierte
Definition begreift das Muster hingegen als ein Mehrdimensionales. Es wird im
folgenden nicht darum gehen, das Muster als eine Notationsform neben anderen zu
untersuchen, sondern das Muster als Bestandteil der Notationen zu identifizieren und
seine jeweilige Funktion zu benennen.
Entsprechend geht es vor allem um strukturelle Aspekte der jeweiligen zwei-
dimensionalen Ausdrucksformen.93 Die Wahl der Medien/der Visualisierungsform
hat immer einen Bedeutungshintergrund, hierauf wird an gegebener Stelle ver-
wiesen.94
Im allgemeinen versteht man unter einer Notation die schriftliche Aufzeichnung von
Informationen. Der Begriff der Schrift wird hierfür sehr weit gefaßt, integriert
Zeichen und Symbole, die wiederum Bilder und Zahlen beinhalten.95 Der lineare
Verlauf der meisten Notationen und ihre Ausdehnung auf einer Fläche, meist Papier,
erklärt die definitorische Nähe zur Schrift. Da der Gebrauch der Begriffe Sprache und
Schrift im allgemeinen und auch im Zusammenhang mit Notationssystemen nicht
einheitlich ist,96 werde ich im folgenden einige Begriffe auf der Grundlage
semiotischer und kognitionswissenschaftlicher Forschung definieren. Gleichzeitig mit
der Einführung der Begriffe wird eine Verortung des Musters innerhalb dieser beiden
Gebiete vorgenommen.
„Die Semiotik untersucht alle kulturellen Prozesse als Kommunikationsprozesse.“97
Eine neuere, erweiterte These definiert Kultur als Zeichensystem. Die Semiotik, als
                                                 
92
 Bier (1995): S. 32; Walker/Padwick (1977): S. 3
93
 Eine wissenschaftshistorische Einordnung der Notationsformen kann in diesem Rahmen nicht
geleistet werden.
94
 Greenblatt (1998) schreibt in seiner Untersuchung zur ‘Erfindung des Fremden’, daß
Repräsentationspraktiken immer eine ideologische Bedeutung haben. (S. 13)
95
 Goodman (1995) wählt den Begriff des Symbols um „Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder,
Diagramme, Karten, Modelle und mehr“ in seiner Symboltheorie zusammenzuführen. (S. 9)
96
 Krämer (1994) schreibt, daß die „Konzentration auf die phonographische Schrift“ den Schrifttypus,
der mißverständlich als ‘formale Sprache’ gekennzeichnet würde, der „Verdrängung des genuinen
Schriftcharakters dieser Symbole“ Vorschub leiste. (S. 91) Ähnliches läßt sich auch im Gebrauch
anderer Begriffe wie Tanzschriften, Gebärdensprache, Musiknotation etc. nachvollziehen.
97
 Eco (1972): S. 38
154
Wissenschaft von den Zeichen, sei das richtige Instrumentarium, um das Wesen der
Kultur zu erforschen.98 Auch Jorna schlägt eine Erweiterung der Definition vor, die
Informationsverarbeitungssysteme miteinbezieht, und stellt somit eine Verbindung
zur Kognitionswissenschaft her.99 Krämer nähert sich der Problematik von seiten der
Informatik und bemerkt, daß die Sprachen nicht nur der Kommunikation dienten,
sondern auch „wirkmächtiges Instrument der Kognition“ seien.100
Der Symbolbegriff ist in der Kognition zentral, bildet das Symbol doch gemäß
verschiedener Definitionen die Grundlage der Repräsentation oder, zugespitzt, allen
intelligenten Verhaltens.101 Das Symbol als Basis von Gedankensystemen setzt eine
zugängliche Notation voraus.102 Der Beliebigkeit, die durch die Verwendung des
Symbolbegriffs für Texte, Bilder, Diagramme, Modelle, Karten etc.103 entstanden ist,
werden innerhalb der Kognitionswissenschaft spezialisierte Definitionen
entgegengesetzt. Schrift- und Zahlsysteme (Notationsformen) werden von Goschke
als ‘externe Symbolsysteme’ bezeichnet. Ihre Entwicklung habe „zur Bereitstellung
neuer Repräsentationsformen geführt, in denen gegebene Probleme einfacher
darstellbar sind und mit geringerem Aufwand an kognitiven Operationen gelöst
werden können.“104 Diese ‘neuen Repräsentationsformen’ sind eng mit dem Begriff
des Musters verbunden. Externe Zeichen- oder Symbolsysteme hätten demzufolge die
Aufgabe, Informationen schlußfolgernd zu visualisieren, logische in perzeptuelle
Probleme zu transformieren. Die Fähigkeiten menschlicher Kognition beziehen sich
vor allem auf Mustererkennung, auf den Vorgang des ‘pattern matching’.105
Der Kognitionswissenschaftler Douglas B. Hofstadter spitzt diese Aussage noch zu,
indem er sagt, daß „im Zentrum der Intelligenz das Aufspüren von Mustern (steht),
wenn es nicht sogar dieses bildete.“106
Das Muster ist demnach weder Zeichen noch Symbol, es bildet ein System, ist
komplex, ist vieldimensional. Die einzelnen Musterelemente können Zeichen oder
Symbole sein, die ‘Dekodierung’ eines Muster erfolgt jedoch nicht durch das
Buchstabieren dieser einzelnen Elemente. Es geht vielmehr um die Muster-
bildungsprozesse, um die Relationen und die Bedingungen. Deshalb können Muster
auch nicht unter dem Begriff des Codes subsumiert werden. Flusser wählt eine textile
Metapher, um in seiner Theorie der Kommunikation (Kommunikologie) die
konstitutiven Begriffe des Symbols und des Codes zu definieren. Jegliche
menschliche Kommunikation besteht demnach aus zu Codes geordneten Symbolen.107
                                                 
98
 Mit der Erweiterung der These will Posner auch Indikation und Signifikation, die nicht notwendig
einen Sender benötigen, miteinbeziehen. Posner (1991): S. 39f
99
 Jorna (1990): S. 13
100
 Krämer (1993): S. 74
101
 Jorna (1990): S. 14
102
 Jorna (1990): S. 14
103
 Nelson Goodman (1995) verwendet den Symbolbegriff in dieser Weise als „einen sehr allgemeinen
und farblosen Ausdruck“. (S. 9)
104
 Goschke (1990): S. 40
105
 Goschke (1990): S. 41
106
 Hofstadter (1996): S. 23
107
 Später gibt er eine formale Definition des Begriffs: „‘Symbol’ sei jedes Phänomen genannt, das laut
einer spezifischen, ausdrücklichen oder impliziten Konvention ein anderes Phänomen vertritt, es ersetzt
und vorstellt; und ‘Bedeutung’ jenes Phänomen, welches vom Symbol vertreten, vorgestellt und ersetzt
wird.“ Flusser (1996): S. 250
155
Diese Codes weben eine Hülle, die den Menschen vermittelnd umgibt: die Kultur.108
Als Symbol könne prinzipiell jedes Phänomen verwendet werden, das Ordnen zu
Codes bediene sich zahlloser Methoden, die Ergebnisse seien mehrdimensional.109 Im
folgenden beschreibt und analysiert er zwei der wichtigsten Codes: Bilder und Texte.
Letztlich gehe es jedoch nicht um die Art der Codierung, sondern um den Vorgang
des Codierens, der dem Ordnen diene.110 Dieses Ordnen, das Erzeugen von
Regelhaftem, ist dem Muster zugehörig. Und hier wird die Differenz deutlich: Das
Muster ist kein Code, es kann die ordnungsstiftende Grundlage für die Bildung eines
Codes sein. Diese Funktion des Musters wird im folgenden überprüft. Die
Bestandteile des Musters bzw. seine Ausformungen (externe symbolische Systeme
sind bei Krämer: Sprache, Bild und Schrift) werden hier als Notationsformen mit der
Betonung der Zweidimensionalität vorgestellt.
Die Funktionen der Notation sind gemäß ihrer zahlreichen Artikulationsformen
vielfältig, lassen sich jedoch auf die Exteriorisierung des Gedächtnisses und die
Kommunikation zurückführen.111
Das Charakteristische der Notation ist ihre Wiederholbarkeit. In dieser Wieder-
holung liegt die oben angesprochene Funktionalität begründet: Das Archiv (Ge-
dächtnis) und die Botschaft (Kommunikation) können Zeit und Raum überbrücken.
Man notiert etwas, um es wiederholen zu können. Um es notieren zu können, muß es
etwas Wiederholbares sein, d.h. es muß ein Muster erkannt werden, eine zu
isolierende Einheit. Die Isolation bedeutet einen ersten Schritt der Abstraktion, die
Umwandlung in ein zu Notierendes den zweiten. Die Notation ist also keine Form der
Nachahmung.112 Die abstrahierende Verkürzung ist integraler Bestandteil ihres
Vorgehens. Um hieraus ein lesbares Notationssystem zu schaffen, müssen die Re-
duktionen standardisiert und ein Bezugssystem geschaffen werden.113 Die vor-
genommenen Reduktionen betreffen die Dimensionen, können als Komplexitäts-
reduktion bezeichnet werden. Gleichzeitig schaffen sie den Raum für die Inter-
pretationen beim Lesen der Notation.114
                                                 
108
 Flusser (1996): S. 74
109
 Flusser (1996) zählt punktartige (Mosaike), geradlinige (Alphabete), oberflächige (Teppiche),
vierdimensionale (Tanz) Codes auf. (S. 77)
110
 Flusser (1996): S. 257
111
 Die Funktionen der Notation sind nicht explizit Gegenstand meiner Untersuchung, sie werden nur in
Hinblick auf gestalterische Auswirkungen benannt. Die Begriffe Gedächtnis und Kommunikation rufen
eigene Wissenschaftszweige auf, innerhalb derer die verschiedenen Mittel beschrieben und analysiert
werden. Assmann (1999) gibt eine umfassende Darstellung der Gedächtnisformen mit zahlreichen
Literaturhinweisen. Die Publikationen zu Kommunikationsmitteln sind umfangreich, um nicht zu sagen
unüberschaubar, da sich unter diesem Begriff Zahlloses subsumieren, bzw. auch unter anderen
Begriffen, z.B. der Medientheorie, auffinden läßt.
112
 Jorna (1990): S. 21. „Das Vorliegen von Ähnlichkeit ist allenfalls Folge einer Repräsentation, nicht
aber ihre Ursache.“
113
 Goodman (1995) schafft eine streng elementarlogische Theorie der Notation, die diese nur innerhalb
eines formalisierten Rasters (Bezugssystem) lesbar macht. Fehlt dieses Bezugssystem, ist die Notation
nicht lesbar oder infolge eines logischen Ausschlußes nie eine Notation gewesen. Kap. IV, S. 125–166
114
 Sennett (1995) schreibt, daß ‘wegen der Indirektheit der Notation’, der Differenz zwischen Notiertem
und einem ‘andersgearteten Handeln’, ein Interpret notwendig sei. (S. 256)
156
Die Mustererkennung ist demzufolge die Voraussetzung der Notation. Der Er-
kennung der Informationsträger folgt die Transformation.115 Diese Transformation,
die mit einer Dimensionsveränderung einhergeht, dient der Weltstrukturation,
beinhaltet die Erkenntnis, im Sinne der Medienabhängigkeit des Denkens,116 bzw.
Notationsformenabhängigkeit des Denkens.117
Die Darstellung der zweidimensionalen Notationsformen verfolgt diese Trans-
formationen und die Instrumentalisierung des Musters.
Die vorgenommenen Trennungen zwischen den einzelnen Formen in Bild, Text,
Karte und Zahl entspricht den üblichen Zuordnungen zu Wissenschaftsdisziplinen. Es
wird sich jedoch zeigen, daß die Übergänge fließend sind, bzw. die Notationen sich
verschiedener Formen simultan bedienen.
Die Auswahl der Darstellungen ist nicht repräsentativ veranlagt und folgt nicht
etablierten Systematiken oder einer Chronologie. Es handelt sich vielmehr um eine
exemplarische Auswahl, die den Anteil des Musters an der Konstruktion visueller
Wirklichkeit und die Historizität dieser Konstruktionen aufzeigt.
Das Bild
„Was ist ein Bild?“ Gernot Böhme möchte diese Frage mit einer ‘Theorie des Bildes’
beantworten, die die Wahrnehmung, die Bildpragmatik, die Semiotik und die
Phänomenologie miteinbezieht.118 Hiermit folgt er der Entwicklung der bildenden
Kunst, eine ‘innere Reflexion des Visuellen’ zu betreiben. Dies führt ihn am Ende
dazu, eine Epochenteilung vorzunehmen: Die Klassik des Bildes, definiert durch den
Referenten und gebunden an einen Träger, wird abgelöst von der gegenwärtigen
Befreiung der Bilder durch die digitalen Medien.119
Doch was ist nun ein Bild? Svetlana Alpers paraphrasiert Alberti, dessen Definition
des Bildes zu einem ‘allgemein verbreiteten, dauerhaften Modell’ geworden sei,
folgendermaßen: „[...] eine gerahmte Fläche oder Scheibe in einer bestimmten Ent-
fernung vom Betrachter, der durch sie hindurch auf eine zweite, künstliche Welt
blickt.“120 Die Definition Vilém Flussers konkretisiert dies: „Ein Bild ist eine
Reduktion der ‘konkreten’, vierdimensionalen Verhältnisse auf zwei
Dimensionen.“121 Das Bildermachen ist also eine Tätigkeit, die Dimensionen
reduziert. Der Bildermacher wählt einen Ausschnitt (Rahmen) und konstruiert gemäß
seiner Absicht, seiner Wahrnehmung, seiner historischen Disposition ein
                                                 
115
 Der Begriff der Transformation erscheint in diesem Zusammenhang neutral. Der Begriff der
‘Übersetzung’ ist mit der Sprache konnotiert: ob intra- oder interlinguistische Übersetzung oder
intersemiotische Übersetzungen, die sich auf Zeichen beziehen. Auch die ‘Codierung’ steht in zu engem
Zusammenhang mit der Semiotik und der Kognitionswissenschaft. Vgl. Strohner (1995): S. 75. Die
Coderelation transformiert ein Zeichensystem in ein anderes Zeichensystem, wie z.B. das Binärsystem
oder den Morsecode.
116
 Krämer (1994) spricht allgemein von „Techniken, die ihre Spuren hinterlassen werden, in der Art
und Weise, in der wir denken“ und von der Aufgabe des Medienmaterialismus, diese Spuren zu sichern.
(S. 90)
117
 Wie oben erwähnt, geht es um die implizite Zweidimensionalität der Notation. Die jeweiligen
Medien als Materialität werden nur exemplarisch Erwähnung finden, bzw. wurde das Textile als ein
Medium bereits dargestellt.
118
 Böhme (1999): S. 11
119
 Böhme (1999): S. 130–133
120
 Alpers (1985): S. 25
121
 Flusser (1996): S. 111
157
zweidimensionales Bild. Alpers’ Formulierung des ‘Handwerk des Beobachtens’
bezeichnet die Verbindung von Hand und Auge.122 Sie legt ausdrücklich Wert auf den
Ausdruck ‘Bildermachen’ statt ‘Bild’, um die Herstellung miteinzubeziehen.123 Das
Bildermachen wird hierdurch zu einer handwerklichen Gestaltung einer Ober-
fläche.124
Da es im folgenden um die visuelle Herstellung der Wirklichkeit geht, wird dieser
Bildbegriff und Überlegungen zur Wahrnehmung übernommen.125
In Anbetracht der Fülle von Bildern, die das menschliche Auge aufnimmt, ist eine
Selektion notwendig. Das Muster wird im folgenden als ein mögliches, selektives
Moment expliziert. Diese Funktionalisierung des Musters betrifft sowohl den Mensch
als Betrachter als auch den Mensch als Bildermacher.
Perspektive
Die Perspektive ist ein zentrales Thema der Bildwissenschaften und hat entsprechend
umfassende Bearbeitung erfahren. Diese Schriften wurden ausschließlich in Hinblick
auf den Aspekt des Musters gelesen.
Die Perspektive als kulturelles Phänomen ist ein historisches und konstruiertes.126 Die
abgebildeten Muster zeugen von dieser Konstruktivität und von der Historizität der
Wahrnehmungsgewohnheiten. Die Darstellung der textilen Muster im vorangehenden
Kapitel hat den Übergang von mittelalterlicher Bedeutungsperspektive über eine
kombinierte Form im 15. Jahrhundert zu einer perspektivischen Darstellung im 16.
Jahrhundert gezeigt. Die Raummuster folgen der perspektivischen Darstellung vor
den Textilmustern, eine ähnliche Form des Übergangs ist hier für das 14. Jahrhundert
zu benennen. Als Raummuster sind vor allem die Bodenfliesen zu benennen,
Architekturelemente mit sichtbarem Mauerwerk oder Kassettendecken zeigen weitere
Muster. Robin Evans’ Ausführungen zur Entwicklung der perspektivischen Malerei
legen es nahe, diese Reihenfolge auch der Bildproduktion zugrunde zu legen. Alberti
habe mit der Perspektive begonnen, da man das Haus bauen müsse, bevor die Leute
einzögen.127 Das Schachbrettmuster wirkt für diese Räume konstituierend, macht die
Perspektive deutlich sichtbar. Zudem habe es nahegelegen, das Gitternetz der
Hilfslinien in eine Pflasterung umzuwandeln. Evans beschreibt, welchen Anteil die
Perspektivkonstruktion an dem Abgebildeten hat. Hierbei unterscheidet er Dürers
Apparaturen und Albertis Konstruktionen, die ohne Bezug zur Realität Bilder
produzierten.128 Ein Hilfsmittel, das Dürer in der ‘Underweysung der Messung’
                                                 
122
 Alpers (1985): S. 147
123
 Alpers (1985): S. 79
124
 Alpers (1985): S. 15. Wolfgang Kemp weist einleitend auf das Innovative einer solchen Sicht
innerhalb der Kunstgeschichte hin.
125
 Alpers Ziel nachzuweisen, daß Sinn und Bedeutung der Bilder nicht hinter der Bildfläche versteckt
sind, „sondern vielmehr zeigen, daß Sinn und Bedeutung ihrem Wesen nach in dem wurzeln, was das
Auge aufnehmen kann“, kann hier nicht umfassend dargestellt werden. Alpers (1985): S. 33
126
 Stafford (1991): S. 477; Gurjetwitsch (1978): S. 92–97. Gurjewitsch beschreibt den Übergang vom
Mittelalter zur Renaissance, die Ablösung des theozentrischen Weltbildes durch eine ‘subjektiv-
anthropozentrische Position’. Gombrich beschreibt die Unterscheidung zwischen physikalischer Optik
und visueller Wahrnehmung und die Implikationen für die Malerei. Bis zu einem gewissen Grad sei das
menschliche Auge in der Lage, intuitiv zu kompensieren. Gombrich (1994): S. 93f
127
 Arch+ (1997): S. 42
128
 Arch+ (1997): S. 43
158
beschreibt, ist ein Rahmen, dessen Binnenraster das ‘Abmalen’ der Wirklichkeit
erleichtern soll. Das orthogonale Muster dient Dürer der Orientierung, dem Ordnen
der Wirklichkeit in ein Koordinatensystem. So unterschiedlich Methoden und
Ergebnisse sind, das Muster dient hier jeweils der Erschließung des Raumes und der
Relationsbildung (Personen).
Mit der Erweiterung des für den Menschen erfahrbaren Raumes wird im allgemeinen
die Aufgabe der perspektivischen Darstellung begründet. Die Beschleunigung der
Bewegung und die Aviatik werden im Abschnitt über die Karte besprochen.
Eine naheliegende Funktionalisierung des Musters für die Bildproduktion ist seine
Verwendung als Motiv. Als bildbeherrschendes Thema ist das Muster ein Topos des
20. Jahrhunderts.
Das Serielle ist in der Kunst als Methode, aber nicht als eigenständige Kategorie
veranlagt. Künstler der Pop-art nutzen das Serielle als ein Mittel der Verfremdung,
die Musterbildung (z.B. Andy Warhols Bild ‘One hundred Campbell’s Soup Cans’.
Das Muster wurde später auch für ein Minikleid aus bedrucktem Papier verwendet129)
ist hierbei jedoch nicht das vorrangige Ziel. Die Optical Art spielt gezielt mit der
visuellen Wahrnehmung, den häufig thematisierten Moiré-Effekt werde ich an
anderer Stelle explizieren.
Neben diesen Kunstrichtungen sind einzelne Künstler zu benennen, deren Werke
einen je eigenen Umgang mit dem Muster zeigen.
Escher, Thomkins, Hucleux
Der niederländische Graphiker Maurits C. Escher (1889–1972) setzt sich in seinem
Werk zentral mit der Struktur der Fläche und des Raumes und dem Konflikt zwischen
Raum und Fläche in der Darstellung auseinander.
Viele seiner Bilder zeugen von der Beschäftigung mit dem Problem der regelmäßigen
Flächenaufteilung (dem Parkettierungsproblem, das in anderem Zusammenhang
schon angesprochen wurde). Er selbst schreibt, er habe seinen ersten ‘periodischen
Holzschnitt’ 1922 gemacht, bevor er etwas von der wissenschaftlichen
Kristallographie wußte und bevor er die Alhambra besuchte.130 Caroline MacGillavry
hat zahlreiche Zeichnungen Eschers zusammengestellt und zeigt systematisch die
verschiedenen Symmetrieformen und deren mathematische Konstruktion daran auf,131
obgleich Escher selbst sich stets als mathematischen Laien bezeichnete.132 Da Eschers
Interesse an den Mustern weder didaktischer noch naturwissenschaftlicher Natur war,
fragte er sich, was ihn dazu gebracht habe, so viele Bilder dieser Art zu zeichnen. Ein
befreundeter Psychologe habe ihm diese Vorliebe mit einem primitiven,
archetypischen Instinkt zu erklären versucht. Escher war unzufrieden mit dieser
Antwort, seine eigene Erklärung besteht in der Beschreibung seines Vorgehens. „In
the beginning I puzzled quite instinctively, driven by an irrestistible pleasure in
repeating the same forms, without gaps, on a piece of paper. [...] The dynamic action
                                                 
129
 Steele (1997): S. 61. „The Souper Dress“ entstand fünf Jahre nach dem Bild.
130
 MacGillavry (1976): S. VII (Vorwort von M.C. Escher)
131
 MacGillavry (1976)
132
 Ernst (1994): S. 24
159
of making a symmetric tessellation is done more or less unconsciously.“133 Das
Muster scheint demzufolge eine inhärente Kraft zu besitzen: Das repetitive, das
dynamische Element schafft eine fruchtbare Verbindung von Hand und Auge.
Betrachtet man das Gesamtwerk Eschers weiterhin vom Muster her, erscheinen seine
Auseinandersetzung mit der Unendlichkeit und den Dimensionen als logische
Konsequenz. In den Metamorphosen II (Holzschnitt 1939/40) durchläuft der
Betrachter eine Verwandlung eines Ausgangsmusters über mehrere Stadien in sich
selbst zurück. Escher interpretiert hier die Unendlichkeit des Musters auf andere
Weise: das Zurückbiegen auf sich selbst. Sein Bild Zeichnen (Lithographie 1948)
stellt die Vollendung einer solchen ‘seltsamen Schleife’134 dar: Eine rechte Hand
zeichnet eine linke Hand, die wiederum im Begriff ist, die rechte zu zeichnen. Eine
weitere Ebene ist implizit durch die naturalistische Wiedergabe der Zeichensituation
geschaffen: Der Zeichner Escher ist auch anwesend.135
Die Unmöglichkeit der zeichnenden Hände liegt in der Hierarchie begründet, in
anderen Bildern thematisiert Escher den Konflikt zwischen Raum und Fläche, das
Problem der Darstellung eines Dreidimensionalen auf einer zweidimensionalen
Fläche. Treppauf, treppab (Lithographie 1960) oder Wasserfall (Lithographie 1961)
zeigen unmögliche Perspektiven, Welten, die nur auf dem Papier existieren können.
Escher spielt mit dem Wahrnehmungsmuster der Zentralperspektive, der Deformation
gemessener Proportionen. „In a sense, central perspective makes things look right by
representing them wrong.“136 Die Reduktion um eine Dimension, das perspektivische
Zeichnen, wird hier zur Bedingung der Möglichkeit der Suggestion bzw. der
Schaffung mehrdimensionaler Welten.
Der Schweizer Künstler André Thomkins (1930–1985) kannte das Werk Eschers und
bewunderte es. Seine Umsetzung in Form einer geschlossenen Werkgruppe
‘Rapportmuster’ löst sich von dem Vorbild, ist nicht mathematisch basiert. Thomkins
schafft eine regelmäßige lineare Grundstruktur, die über die ganze Fläche wiederholt
wird, diesem Gefüge schreibt er „aufgrund reflektierender Betrachtung und
Interpretation Details ein, welche die Musterfläche durchbrechen und eine neue
irritierende räumliche Dimension erzeugen.“137 Für Thomkins liegt der Reiz von
regelmäßig konstruierten Mustern in der „Öde des wiederholten Motivs, aus dem man
ausbrechen will“.138 Die Monotonie der Repetition wird zum Motor, erzeugt Energie,
erweckt Assoziationen. Er selber beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen:
„muster mustern, mausern, als eine art bebrütung.“139
Für den französischen Maler Jean-Olivier Hucleux eröffnet die Monotonie der
Repetition eine andere Möglichkeit. Er fertigte 1975/76 ein fotorealistisches
Porträtbild des Sammlerehepaars Ludwig an. Das Besondere und die Motivation für
                                                 
133
 MacGillavry (1976): S. VII–VIII
134
 Auf den Begriff der Seltsamen Schleife, auf die Selbstreferentialität, wurde bereits hingewiesen. Es
wird in anderen Zusammenhängen darauf zurückzukommen sein.
135
 Hofstadter (1985): S. 17
136
 Washburn (1983): S. 3
137
 Heusser u.a. (1999): S. 409
138
 Heusser u.a. (1999): S. 94
139
 zitiert nach Heusser u.a. (1999): S. 94, aus: ‘100 fragen an andré thomkins’
160
dieses Bild sei der Malvorgang, nicht das Thema gewesen.140 Hucleux hat diesen
Vorgang schriftlich und bildlich dokumentiert.141 Der Maler selbst wählte die
Kleidung des Ehepaares aus: Irene Ludwig trägt ein knielanges Hemdblusenkleid mit
einem kleinteiligen ‘Phantasiemuster’. Das Hahnentrittmuster des Anzugs von Peter
Ludwig wird durch Hucleux’ Beschreibung zum zentralen Bildmotiv.
„Die zu malende Oberfläche von einem halben Quadratmeter Anzugstoff wird Motiv für Motiv in
5000cm2 Hahnentritt umgesetzt. [...] Als das Schlimmste jedoch beschreibt Hucleux das Problem
bei den Motiven, die scheinbar gleich sind, die aber niemals identisch sind, da die kleinste Falte
eine Deformation bewirkt, die Struktur aufbricht und den Perspektivgesetzen unterliegt. In seiner
Rechnung kommt er allein auf über 10000 malerische Eingriffe, die notwendig waren, um nur
allein die oberflächliche Erscheinung des Stoffes zu erreichen.“142
Die Repetitivität des Hahnentrittmusters und des Malvorgangs führten zu einer Form
der Eigenhypnose, der Trance, der sich der Maler nur durch einen reglementierten
Tagesablauf und körperliche Bewegung habe entziehen können.
Die Besonderheit des Malvorgangs entsteht u.a. durch die Materialität des Musters:
Der sich in Falten legende Stoff verzerrt die einzelnen Motive auf je unterschiedliche
Weise. Ein eigentümliches Spiel des Immergleichen und Immerverschiedenen, das
auf unserer rekonstruktiven, erfahrungsgeleiteten Wahrnehmung beruht. Der Maler
rekonstruiert minuziös ein Motiv nach dem anderen. Der Weber hingegen nimmt ein
Hahnentrittmuster als orthogonales System zweifarbiger Kett- und Schußfäden wahr,
dessen Musterung in Reihen entsteht. Die sich beim Betrachten automatisch
vollziehende Rücklesung in die Fläche macht das Muster erst zu einem Muster im
Sinne unendlicher Repetition.
Das Muster in der Bildwissenschaft
Das Muster als Motiv des Bildermachens gibt es in vielfältiger Form. Die
Instrumentalisierung textiler Muster wurde bereits beschrieben. Unter Berücksich-
tigung der Quellenlage können für abgebildete textile Muster ähnliche Aussagen ge-
troffen werden.
Da das Muster hier ausschließlich in seinen strukturellen Eigenschaften betrachtet
wird, sei noch einmal daran erinnert, daß jedes Bild als Motiv Bestandteil eines
Musters werden kann.143
Die Bildproduktion orientiert sich an Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und
Beobachtungsmustern. Die anschließende Bildbetrachtung, -analyse, -interpretation
sucht in den Artefakten in mehr oder weniger bewußter Weise die Muster auf.
Die Kunstgeschichte als Bildwissenschaft nutzt das Muster als kategorienbildendes
und ordnungsstiftendes Mittel. Das Muster, bzw. in diesem kunsthistorischen Zu-
sammenhang meist als Ornament bezeichnet, wird als Indikator eines Stils
identifiziert, und daraufhin wird eine Zuordnung getroffen. Diese Auffassung des
Musters als Ausdruck eines bestimmten, epochalen Kunstwollens geht vor allem auf
                                                 
140
 Uelsberg (1994): S. 83
141
 Uelsberg (1994) bezieht sich auf Hucleux’ Text aus dem Ausstellungskatalog des Centre Pompidou,
Paris 1979.
142
 Uelsberg (1994): S. 84
143
 Absurde Ausformungen dessen lassen sich vor allem im Bereich des Merchandising auffinden.
161
Alois Riegl zurück.144 Neben epochalen Kategorien werden auch geographische
gebildet oder bestimmte Werkstätten identifiziert.
In diesem Zusammenhang lassen sich auch genuin textile Zuordnungen auffinden, die
von wechselseitigem Interesse zeugen. Der Maler Hans Holbein d.J. (1497–1543)
malte ein bestimmtes Stickmuster – ein verdoppelter Vorstich meist in Rot oder
Schwarz auf weißem Grund ausgeführt – besonders gerne und häufig. Dieser
Stickstich wurde in der Folge als Holbeinstich benannt.145 Holbeins Vorliebe für
Teppiche und ihre Folgen wurden bereits erwähnt.
Brigitte Klesses Untersuchung gemalter Textilmuster des Trecento führt
exemplarisch eine kunsthistorisch durchgeführte Stilbestimmung vor. In Verbindung
mit den Kenntnissen der Stoffmuster und der führenden Werkstätten einer Epoche
kann das Muster zur stilistischen Beurteilung von Gemälden beitragen, Werkstatt-
und sogar Händezuweisungen getroffen werden. Ein Muster könne gleichermaßen zu
einer Art Signum eines Malers werden.146
Wählt man ein diachrones Verfahren und verfolgt beispielsweise die Entwicklung des
Paisleymusters, erhält man Einblicke in wirtschafts- und technikhistorische
Zusammenhänge.147 Für diese Art der Zusammenführung ist das Bild, das Motiv,
ausschlaggebend. Das Muster – seine Ikonographie – wird erkannt und benannt,
Konstruktion, Rapport, Trägerfläche sind zweitrangig.
Eine besondere Art der Zuordnung verfolgt die Bildtheorie Aby Warburgs, die „das
Problem des Bildes als Gedächtnismedium erhellen sollte.“148 Die wiederkehrenden
Bildformen nannte er ‘Pathosformeln’. Formeln einer isolierten Bewegung, einer
Gebärde, eines ‘Grundmusters von Affekten’.149 Warburgs Interesse galt zunächst der
Verbindung der italienischen Renaissance mit der klassischen Antike. Das Projekt
‘Mnemosyne’ führt die Bilder der Pathosformeln über einen Zeitraum von der Antike
bis in die Gegenwart zusammen. In der Rezeption wurde die Pathosformel zu einer
Art ‘Suchkategorie’, das Alltägliches und Hochkunst verbindet und dem
„künstlerischen Sehen seinen rezeptiven Ort im Feld einer Gesamtkultur“ zuweist.150
Warburgs Interesse an Bewegung, Gesten und Körperhaftem fokussierend, wird sein
Begriff der Pathosformel auch für die Analyse des Tanzes genutzt. Brandstetter
schafft hierfür den Begriff der Toposformel.151 Das Formelhafte, das die Wiederkehr
bezeichnet und die Qualität der Memorierung beinhaltet, stellt die Verbindung zum
Muster her. Wahrnehmungs- und Bewegungsmuster, die sich über lange Zeiträume
verfolgen lassen, werden benannt und ihre Konstanz mit einer Sinnvermutung
versehen.
                                                 
144
 Riegl (1893); s.a. Kroll (1987): Kap. VI
145
 Stradal/Brommer (1990): S. 50; Grönwoldt (1993): S. 268
Die von Lucas Cranach gemalten Muster wurden schon in Schönspergers ‘New Modelbüch’ von 1524
als Cranach-Bordüren vereinheitlichend benannt. Abegg (1978): S. 22
146
 Klesse (1967): S. 21, 484
147
 Das Palmettenmuster, das die Kashmir-Shawls, die im 18. Jahrhundert nach England gebracht
wurden, schmückte, wird in Europa als Paisleymuster bezeichnet. Benannt nach dem Ort in Schottland,
in dem die meisten Kashmir-Shawls imitiert wurden. Reilly (1987): S. 10–13; Irwin (1974): Chap. 1
148
 Assmann (1999): S. 226
149
 Brandstetter (1995): S. 99
150
 Kunstforum (1991): S. 215
151
 Brandstetter (1995): S. 30
162
Die Konzeption einer Informationsästhetik des Wissenschaftstheoretikers Max Bense
(1910–1990) beinhaltete eine konkrete Umsetzung von Kunstwerken in mathematisch
erfaßbare Muster, sollte also Kunst meßbar machen.152 Diese und ähnliche Versuche
scheiterten an der Komplexität der Kunstwerke, wobei die Komplexität vor allem im
Kontext, der mit dem Betrachter wechselt, aufzusuchen ist. Aufgrund des nicht
nachweisbaren Gehirncodes zur Verarbeitung von Bildinformation wird die
Informationstheorie immer nur einen Teilbereich ästhetischer Zustände verorten
können.153 Dieser Bereich gehört der Mustererkennung, der Suche nach Ordnung, an.
Die Form der Mustersuche ist in einen wissenschaftshistorischen Zusammenhang zu
stellen, ist auch kontextabhängig. Die Digitalisierung hat den sehr konkreten Umgang
mit Mustern, mit meßbarer Ordnung, angeregt. Das Kunstwerk als Psychogramm, als
materialisiertes Zeichen des Unbewußten bildet gewissermaßen den Gegenpol. Es
ging an dieser Stelle jedoch vielmehr darum, die Mustersuche als konstitutiven
Bestandteil der Bildverarbeitung zu konstatieren und Artikulationsformen innerhalb
der Kunst(-geschichte) zu benennen.154
Festzuhalten ist, daß das zweidimensionale Bild in der Lage ist, mehrdimensionale
Sachverhalte darzustellen, indem es Dimensionsreduktionen vornimmt. Die
Möglichkeiten der sinnhaften Dimensionserweiterung, die letztlich dem Wesen der
Kunst als interpretierter Wirklichkeit entsprechen, sind nicht Thema dieser Arbeit.
Arabesken
Die ‘Macht des Bildes’, die Kraft der Visualisierung, macht sich auch in Sprache und
Schrift bemerkbar. So sucht die Literaturwissenschaft im Text, in der Erzählung
Bilder in Form von rhetorischen Figuren auf: Topoi, Metaphern, Tropen. Der Einfluß
von Gesten und Gebärden wird in Sprichwörtern (Parömiologie) und Redewendungen
(Phraseologie) deutlich. Eine Übersetzung der Gebärden in Piktogramme wird häufig
als Ursprung der Schrift angenommen155 oder als Herkunftsnachweis eines Teils der
Zeichen.156 Diese Bilder sind jedoch in der Schrift und im Text nicht sichtbar, es sind
imaginierte Bilder der Autoren und Interpreten, die kategorienbildend, also ordnend
wirken.
Die Arabeske als genuin Bildhaftes ist beispielhaft für die Verwendung einer
Figur/eines Mustertyps in unterschiedlichsten Bereichen. Die Arabeske in der Kunst –
gemeinhin wird sie hiermit zuerst assoziiert – gehört definitorisch zu den stilisierten
Blattrankenornamenten.157 Im 19. Jahrhundert erlangt sie als ‘zentrales
Strukturprinzip der romantischen Allegorie’ eine Bedeutung, die sie über eine ‘bloße
Ornamentform’ hebt.158 Werner Busch beschreibt ausführlich diesen Wandel und das
damit verbundene, von ihm postulierte Ende der Ikonographie. Von der Last, etwas
                                                 
152
 Rötzer (1993): S. 306
153
 Rötzer (1993): S. 310f
154
 Es ließen sich noch viele andere Künstler oder auch Kunststile benennen, die sich direkt oder
indirekt, zentral oder marginal, mit Mustern, mit Ordnungssystemen, mit Rastern, mit dem Seriellen
beschäftigen. Diese hier aufzulisten und zu untersuchen, ist in Hinblick auf die Fragestellung nicht
vorgesehen.
155
 Schmitt (1980): S. 3
156
 Haarmann (1990): S. 79
157
 vgl. beispielsweise Jahn (1989): s.v. ‘Arabeske’
158
 Busch (1985): S. 13
163
zu symbolisieren, befreit, bzw. als Ornament nie mit Bedeutung aufgeladen, erhält die
Arabeske Verweisungscharakter.159 Besonders in der Literatur wird die Arabeske zu
einem zentralen Begriff, mit dem auf mehreren Ebenen operiert wird. Als konkrete
Form wird die Arabeske in der Romantik auf Teppichen, Gemälden und Tapeten als
Muster beschrieben.
„Wird die Arabeske dagegen in den Blick genommen, wie es Romanfiguren in der romantischen
Literatur tun, so erscheint das Oszillieren zwischen rahmender Arabeske und eingefaßtem Bild
nicht mehr als räumliches Nebeneinander, sondern als sukzessiver Wechsel, bei dem die Arabeske
sich zu einem Bild belebt, das aus ihr hervorgeht [...].“160
Das der Arabeske eignende Bewegungsprinzip wird hier wirksam: das Oszillieren,
das wahrgenommen wird, und schließlich das Heraustreten aus der Fläche. In Ludwig
Tiecks ‘Arabesken’ betrachtet der Protagonist Wilhelm Lovell die ihn umgebenden
Teppiche und Tapeten: „Wie Tapeten voll seltsame Geschichten gewirkt, hing die
ganze Natur um mich her. [...] Alles Sichtbare hängt wie Teppiche mit gaukelnden
Farben und nachgeahmten Figuren um uns her.“161 Eine andere Erzählung wird
schließlich von den aus der Wandtapete heraustretenden Figuren bevölkert. Die
Raumqualitäten und die potentielle Mobilität von Textilien wird in Literaturanalysen
meist vernachlässigt. Die Beschreibungen des Protagonisten legen es jedoch nahe,
das textile Element zu beachten. Die Lebendigkeit des Gewirkten ist bedingt durch
seine sichtbare Struktur und die Hängung der Textilien, die keine ebene Fläche
erzeugt, sondern Falten und Wellen, die etwas ‘vorgaukeln’.
Die Arabeske als Strukturprinzip der Erzählung und des Romans erhebt die Form
zum Inhalt. Das ironische Aufheben des Ausgangspunktes, das Umkreisen als Form,
führen in das Reich der Phantasie, in das Chaos, in die Unendlichkeit.162 Friedrich
Schlegels Ausführungen zu einer ‘Theorie des Romans’ muten selber arabesk an, sich
in einer scheinbar unendlichen ‘seltsamen Schleife’ befindend: „Eine solche Theorie
des Romans würde selbst ein Roman sein müssen, der jeden ewigen Ton der Fantasie
fantastisch wiedergäbe, und das Chaos der Ritterwelt noch einmal verwirrte.“163
Schlegel bezeichnete Laurence Sternes ‘Tristram Shandy’ als Arabeske. Die
charakteristische selbstreflexive Erzählweise wird bei Sterne durch die Visualisierung
der Erzählstruktur durch den fiktiven Autor in Form von mäandernden Linien ein
weiteres Mal potenziert.164 In dieser Zeichnung offenbart sich die Verbindung
zwischen Text und Ornament bzw. einem bestimmten Ornamentverständnis: Das
Lineare bestimmt die Erzählstruktur, ein fortlaufendes Nacheinander gewährleistet
das Verständnis.
Die Arabesken der Musik und des Balletts sind in ihren deutlichsten Ausformungen
auch Erscheinungen des romantischen 19. Jahrhunderts. Ihre Interpretation ist
weniger vielfältig als die in der Literatur beschriebene. In beiden Fällen sind
Figurationen und Verzierungsformen benannt, die genausowenig wie die literarischen
Arabesken die ursprüngliche Form nachzubilden versuchen.
                                                 
159
 Gumbrecht/Pfeiffer (1993): S. 106
160
 Gumbrecht/Pfeiffer (1993): S. 113
161
 Gumbrecht/Pfeiffer (1993): S. 118
162
 Busch (1985): S. 44f
163
 zitiert nach: Gumbrecht/Pfeiffer (1993): S. 116
164
 Sterne (1996): S. VI, 149
164
Die äußere Form eines Textes kann jedoch auch gestaltet werden. Der Text als
sichtbare Notationsform und dessen weitere Verbindung mit dem Bild werden im
nächsten Abschnitt beschrieben.
Der Text
Die Linearität der Schrift und die damit verbundene Form des Denkens wurden
dargestellt. Die Schrift kann zwar die Linie nicht verlassen, aber sie hat trotzdem
Möglichkeiten, sich von der Sprache zu emanzipieren und ihre spezifische Aus-
drucksform zu finden, Bedeutung auf einer weiteren Ebene zu generieren. Gemeinhin
ist mit dieser Ausdrucksform der Text, in seiner engen Definition als Wortlaut eines
Schriftstückes, gemeint.165 Die Gestaltung des Textes birgt die Möglichkeit, über den
Wortlaut hinauszugehen. Der Text erlangt durch die Ausdehnung in die zweite
Dimension Eigenständigkeit gegenüber der Eindimensionalität der zeilenförmigen
Schrift, die lediglich das zeitliche Nacheinander der Sprache wiedergibt. Die folgende
Aufzählung von Textgestaltungsmöglichkeiten greift exemplarisch Textformen, die
als Denk- oder Kunstformen interpretiert werden können, auf. Das Muster hat auch
hier wieder verschiedene Funktionen: die Erzeugung visueller Ordnung (die einen
Bedeutungsgehalt hat und/oder dekorativ sein kann) und das Bereitstellen einer
Wiederholungsvorschrift, im Sinne einer Grammatik, eines Regelkanons.
Textuelle Wissensmuster
Die Musterelemente des Textes sind einzelne Buchstaben (Zeichen), einzelne Wörter
oder schon in Zeilenform geordnete Wortfolgen.
Die Herausbildung verschiedener Schriften und Alphabetformen wurde bereits kurz
skizziert. Neben der Linearisierung der Schrift geben auch die Schriftzeichen selber
Hinweise auf unterschiedliche Denkformen.166 Die Form ist Inhalt, bildet eine
Rahmenbotschaft, wie Douglas Hofstadter es formuliert.167 Als ein Beispiel für
Rahmenbotschaften hat Hofstadter eine Schriften-Collage zusammengestellt: Es geht
zunächst nicht darum, die Schrift entziffern oder übersetzen zu können, sondern „die
Notwendigkeit für einen Entschlüsselungsmechanismus“ zu erkennen.168 Demnach ist
es die Form, die uns einen Hinweis darauf gibt, daß Bedeutung vorhanden ist. Sie
verweist auf einen intentionalen Akt eines Senders. Ihre Merkmale sind – laut
Hofstadter – Geometrie und erkennbare Muster, also Regelhaftes. Daß die
Entschlüsselung nicht immer als eine Übersetzung, wie es die Schriftbeispiele von
Hofstadter nahelegen, vorzustellen ist, beschreibt Florian Coulmas. Er unterscheidet
Schrift von skripturaler Kunst, die sich zwar der formalen Ähnlichkeit – Linearität
und Artikulation – bedienen würde, aber in desemantisierter Form.169 Die Form ist
nun nicht mehr Rahmenbotschaft, sie wird als Inhalt wahrgenommen. Die
Kalligraphie, Coulmas untersucht speziell die japanische, sei zwischen Malen und
                                                 
165
 Im Gegensatz zu sehr viel weiter gefaßten Definitionen, wie beispielsweise innerhalb der Semiotik,
die jegliches Artefakt mit kodierter Bedeutung als Text einer Kultur begreift. Vgl. Posner (1991): S. 46
166
 Die schon zitierte Publikation von Stetter (1999) formuliert den intrinsischen Zusammenhang von
formalem Denken und Alphabetschrift als These. (S. 13)
167
 Hofstadter (1985): S. 180
168
 Hofstadter (1985): S. 178
169
 Coulmas (1981): S. 132
165
Schreiben anzusiedeln. Das Oszillieren zwischen diesen beiden Polen eröffnet die
Möglichkeit der komplexen visuellen Materialisierung von Sprache.170 Die islamische
Kunst verwendet die Schrift als „ornamentale Grundform“, die – im Fall der heiligen
Schrift – die ‘Geometrie der Seele’ visualisiert.171
Oleg Grabar, dessen Interesse der islamischen Kunst des Mittelalters und
insbesondere der Ornamentik gilt, widmet der Kalligraphie und den intermediären
Möglichkeiten der Schrift ein eigenes Kapitel.172 Die Abbildungen 20 und 21 zeigen
exemplarisch die Verwendung von Schrift (als Wort oder Buchstabe) als Muster-
element. Die Keramikschale aus dem Iran erfordert vom Betrachter lediglich eine
Transformation vom Zirkulären in ein Lineares, um die Schrift lesen zu können. Die
arabische Schrift selber ist in der Lage, viele Formen anzunehmen, ohne ihre
Lesbarkeit zu verlieren. D.h. nicht nur der Schriftzug kann einer Form angepaßt,
sondern auch die Schrift kann geometrisiert, gespiegelt, ‘verflochten’ werden und
hierdurch Muster generieren.173 Sonia Delaunays ‘L’Alphabet’ von 1947 trägt im
Titel schon den Hinweis auf das Motiv: den Buchstaben ‘T’ als musterbildendes
Element. Brandstetter bezeichnet dieses ‘Alphabet’ als tanzende Buchstaben und
bringt sie mit den ‘Lettres dansantes’ der belgischen Tänzerin Akarova in Ver-
bindung.174 Die Avantgarde des Tanzes und des Theaters der 1920er Jahre habe
„Zeichen- und Schrift-Kinesis analog zur Buchstaben- und Laut-Poesie“ inszeniert.175
Die ‘Lettres dansantes’ seien die ‘konkrete Poesie’ des Tanzes.176 In beiden Fällen
wird also die lineare Anordnung der Schrift aufgebrochen, um ein Muster zu
erzeugen. Das Beibehalten der Zeilenanordnung verweist auf einen Bedeutungsgehalt
der Schrift als visualisierte Sprache, als ‘unverfälschendes’ Medium. Im folgenden
wird gezeigt, welchen Anteil die Textform an der Inhaltlichkeit haben kann.
Der Historiker Ivan Illich beschreibt die Entstehung des modernen Schriftbildes, den
Übergang vom Lesbaren zum Sichtbaren als Kommentar zu Hugos ‘Didascalion’.177
Hugo habe das Lesen als Lese begriffen und die Herleitung Plinius’ gekannt, die das
Blatt (pagina) mit dem Spalier (espalier) verbindet. Die Zeilen auf einer Seite
entsprechen den Verstrebungen der Spaliere in einem Weinberg.178 Das Lesen und die
Lese folgen also einer strengen Struktur, einer orthogonalen Organisation, die die
Bewegung bestimmt. Die ‘scriptio continua’ ohne Wort- und Satztrennung erfordert
lautes Lesen, eine Tätigkeit, die den ganzen Körper beansprucht und einen auditiven
und sozialen Raum schafft.179 Das leise Lesen, der Text als gestaltete Seite und das
sich herausbildende Individuum datieren in das 12. Jahrhundert. Das Einfügen einer
Lücke, des Nichts, zwischen den Wörtern ermöglicht das leise Lesen, reduziert die
                                                 
170
 Coulmas (1981): S. 146
171
 Gumbrecht/Pfeiffer (1993): S. 110
172
 Grabar (1992): Kap. 2 ‘The intermediary of writing“
173
 Albarn (1974): S. 36
174
 Brandstetter (1995): S. 430. Der Name ‘Akarova’ ist gleichermaßen ein – anagrammatischer – Tanz
der Buchstaben. (S. 428)
175
 Brandstetter (1995): S. 432
176
 Brandstetter (1995): S. 432
177
 Illich (1991). Der Titel der französischen Ausgabe lautet: Du lisible au visible. La naissance du texte
(Paris 1991)
178
 Illich (1991): S. 58
179
 Illich (1991): S. 60, 86
166
Bewegung auf die des Auges.180 Illich bezeichnet diesen Vorgang als Übergang vom
monastischen zum scholastischen Lesen.181 Die Klangmuster der Worte werden durch
visuelle Formen, durch die Ordnung der Zeichen ersetzt. Aus einem
dreidimensionalen Raumerleben innerhalb des sozialen Gefüges wird ein
zweidimensionales Flächenerleben als „individualistische Tätigkeit [...] zwischen
einem Selbst und einer Seite.“182
Die ‘scriptio continua’ wird ihrer Kontinuität beraubt und erfährt hierdurch eine
Emanzipation von der mündlichen Rede. Die kontinuierliche Zeile, der Faden, wird
zerschnitten. Gleichermaßen wird der Text, das Gewebe, zerschnitten. Der Schnitt ist
Mittel der Analyse in den Sektionen der Anatomie (ana-temnéin bedeutet
aufschneiden), ist Mittel der Gestaltung von Bekleidung und Methode der modernen
Wissenschaft mit Ockham als Urvater mit dem Messer. Leerstellen, Absätze,
Stichwort- und Inhaltsverzeichnisse, Schriftart und -größe, Kapitelüberschriften,
Glossen, Kommentare, Fußnoten etc. schaffen eine optische Gliederung des Textes.183
Diese Gestaltungsmittel, die größtenteils im 12. Jahrhundert ‘erfunden’ wurden (z.T.
Wiederentdeckungen der Antike), bezeichnet Illich als „geistig geordnete und
quantifizierte Wissensmuster“, die auf eine Seite projiziert würden.184 Für den Leser
erzeugt das wiedererkennbare Muster, die Ordnung, die notwendig ist, um einen Text
schnell(er) zu erfassen. Für den Autor bieten diese Konventionen eine weitere Ebene,
seine Absichten zu vermitteln.
Die folgenden, sehr heterogenen Beispiele für die Interpretationsqualität von Text-
gestaltung können ihre Möglichkeiten nur andeuten. Das Kinderbuch ‘Die unendliche
Geschichte’ von Michael Ende erlangt die postulierte Unendlichkeit durch ein
simples, visuelles Mittel: den Druck in zwei Farben. Die Rahmengeschichte
beschreibt einen Jungen, der ein Buch findet und es zu lesen beginnt. Die beiden
Erzählebenen sind durch unterschiedliche Farben getrennt. Der lesende Junge wird
Teil der Geschichte, so wie der lesende Leser durch das auf eine Farbe reduzierte
Schriftbild sich seiner Rolle bewußt wird und diese Geschichte fortsetzt. Diese
Konstruktion der Geschichte folgt der Form der ‘seltsamen Schleife’, um Unend-
lichkeit zu evozieren.
Die Absicht von Figurgedichten ist gleichermaßen performativ, äußert sich jedoch
gänzlich anders: das Schriftbild zeichnet den Inhalt des Gedichtes nach oder
kommentiert ihn. Die konkrete Poesie als moderne Form des Figurgedichtes reduziert
häufig den Wortgehalt, arbeitet mit dem Mittel der Repetition und stellt die Gestalt in
den Vordergrund. Der englische Begriff der ‘pattern poetry’ erweist sich hierin als
schlüssiger. Die Abbildung 22 des Figurgedichtes von Ernst Jandl zeigt, in welcher
                                                 
180
 Laut Saenger (1998) waren es irische Mönche, die die optischen Trennungen ins Schriftbild
einfügten.
181
 Saenger (1998): S. 101
182
 Saenger (1998): S. 86
183
 Illich (1991) beschreibt diese Phänomene ‘sichtbarer Ordnung’ ausführlich im Kapitel 6. Leroi-
Gourhan (1988) parallelisiert diese Präsentationsformen des Textes mit der Funktion des äußeren
Gedächtnisses. (S. 328) Foucault (1994) bemerkt die Verkettung der Wörter und ihre Anordnung im
Raum als Mittel der Ordnungserzeugung, der Weltrekonstruktion. (S. 70)
184
 Illich (1991): S. 105
167
Form Worte zu Gestaltungs-, zu Musterelementen werden können.185 Eine weniger
künstlerisch-literarisch als wissenschaftlich ambitionierte Form der Seitengestaltung
weist Pierre Bayles Wörterbuch aus dem 18. Jahrhundert auf (Abbildung 23).
Simultaneität und Komplexität scheinen die – sehr modernen – Leitgedanken der
Erstellung dieses Systems von Fußnoten und Glossen gewesen zu sein.
Textilunterricht mit Jacques Derrida186
Derridas Schrift ‘Glas’ hat eine ähnliche optische Anmutung wie die
Enzyklopädien.187 (Abbildung 24) Die Absichten erweisen sich jedoch als viel kom-
plexer als ihre äußere Form, ich werde sie im folgenden ausführlich behandeln und
Aspekte der Linearität und Dimensionalität aufgreifen.
Die bereits besprochene Schrift Derridas, die ‘Grammatologie’, beschäftigt sich mit
der Loslösung der Schrift von der gesprochenen Sprache und der Entdeckung und
Entwicklung der Potenzen der Schrift.188 Hierbei geht es um zwei verschiedene
Tätigkeiten, die Lektüre bestehender Texte und die Textproduktion nach ‘neuen’
Gesichtspunkten, die beide von schneidenden Bewegungen bestimmt sind. „Ein Text
ist nur dann ein Text, wenn er dem ersten Blick, dem ersten, der daher kommt, das
Gesetz seiner Zusammensetzung und die Regel seines Spiels verbirgt.“189 So beginnt
das kurze (eine Seite lange) Vorwort zu Derridas, schon erwähnter Schrift, ‘Platons
Pharmazie’. Das anschließende erste Kapitel beginnt mit dem Hinweis, daß eigentlich
schon alles gesagt, daß zumindest die Lexik ausgeschöpft sei.190 Diese Lexik ist eine
textil geprägte, und die auferlegten Grenzen sind gleichermaßen textil: „zwischen der
Metapher des histos und der Frage nach dem histos der Metapher.“191
Es geht also um Texte und um Textilien, deren Nähe bereits von mir thematisiert
wurde. Bei Derrida wird noch einmal sehr deutlich, daß diese Nähe sich weitest-
gehend – etymologisch sehr konsequent – auf das Weben beschränkt, andere textile
Techniken ausschließt. Die Verschleierung des Textes ist eine Geste des Umhüllens:
Gewebe umhüllt Gewebe. Jede Lektüre hinterläßt eine Spur, ist ein schneidender
Vorgang, dem ein ‘regenerierendes Weben’ nachfolgen muß.192 Will man dem
Gelesenen etwas hinzufügen, muß man sich auf die Ordnung einlassen, „dem
                                                 
185
 Weitere Autoren von Figurgedichten und Konkreter Poesie sind beispielsweise Hugo Ball,
Guillaume Apollinaire, Lewis Caroll, Christian Morgenstern, Kurt Schwitters.
186
 Die, durch was auch immer motivierte Vorliebe für textile Bilder und Begriffe Derridas bedürfte
einer eigenen Analyse. An dieser Stelle mußte eine beschränkte Auswahl getroffen werden.
187
 Derrida (1974). Der französische Titel ‘Glas’ bedeutet Totenglocke.
188
 Ulmer (1985): S. 68. „Theoretical grammatology, I have argued, is a repetition, a retracing at a
conceptual level, of the history of writing. Its purpose is to desentangle in that history the nature (or the
absence of an essence) of writing from the ideology or metaphysics of voice which has dominated and
restricted writing, in order to reassess the full potential of, and alternative directions for, a new writing
practice.“
189
 Derrida (1995): S. 71
190
 Derrida (1995): Auch wenn schon alles gesagt ist, umfaßt der Text weitere 120 Seiten, die sich ‘aufs
Spiel verlegen’, ‘also ein wenig schreiben’. (S. 73)
191
 Derrida (1995): S. 73. Die Fußnote gibt den Hinweis auf die etymologische Verbindung von griech.
histos  und Gewebe: Die eigentliche Bedeutung – aufgerichteter Gegenstand – habe u.a. der
‘senkrechten Walze’ (dieser Begriff wird nicht näher erklärt, Kett- oder Warenbaum befinden sich nie
in senkrechter Position, können also nicht gemeint sein. Vermutlich wird hiermit ein Teil des vertikalen
antiken Hochwebstuhls bezeichnet) des Webstuhls den Namen gegeben und hiervon zu den
Ableitungen Webstuhl, Einschuß und Gewebe, Stoff geführt.
192
 Derrida (1995): S. 73
168
gegebenen Faden folgen“.193 Derrida wählt für das ‘hinzudichten’ das französische
Wort ‘broder’, das ‘Verzieren, Ausschmücken einer Erzählung’, aber vor allem
‘Sticken’ bedeutet. Wie oben beschrieben wurde, wird meistens auf einem
Gewebeuntergrund gestickt, dessen Ordnungsgefüge die Stickerei, den Stickstich
bestimmt. Dieses Sticken – als Supplement des Supplements – ist jedoch nicht das
Ziel der Lektüre, sondern das Erkennen des verborgenen Fadens. Die dekonstruktive
Forderung, die sich dem anschließt, lautet: „Es gälte also, in einer einzigen, aber
zweigeteilten Geste, zu lesen und zu schreiben.“194 Das Trennende – der Schnitt –
dient hierzu und ist gleichzeitig Grundvoraussetzung des Neuzusammensetzens, der
Collage. Dieses Prinzips bedient sich Derrida in ‘Glas’, einer Doppellektüre von
Hegel und Genet (Abbildung 24). Diese optische Doppellektüre setzt sich auf der
inhaltlichen Ebene fort und wird durch weitere Einfügungen von Textabschnitten
vervielfacht.195 Warum er dies tut, ‘ein Messer zwischen zwei Texte jagen, zwei
Texte auf einmal schreiben’, beantwortet Derrida mitten in einem der Texte. Man
wolle die Schrift ungreifbar machen, indem man die Linie durcheinanderbringt und
den Leser durch die permanente Vergegenwärtigung der Entscheidung für einen Text
seiner Dominanz beraubt.196 Die Textgestaltung erhält hiermit eine inhaltliche
Dimension, die Schrift entwickelt eigene Ausdrucksmöglichkeiten. Um diese Art des
Arbeitens zu erklären, führt Derrida den Begriff der ‘Navette’ ein.
„La navette est le mot. C’est d’abord celui que je cherchais plus haut pour décrire, quand une
gondole a croisé la galère, le va-et-vient grammatique entre langue et lagune (lacuna). [...] D’abord
parce que c’est un terme d’église et que tout ici se trame contre une église. [...] Ensuite la navette
du tisserand. Il la fait courir. Va-et-vient tramé dans une chaîne.“197
‘Navette’ bedeutet Schütze, Schiffchen, Pendelbus und Weihrauchgefäß, die
Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Bedeutungen dieses Begriffes liegen in der
Bewegungsform des Hin und Her. Das nun einsetzende Mißtrauen Derridas gegen-
über der textilen Metapher bezieht sich auf das Originäre des Webens als ‘primäre’
textile Technik. Das Nähen als artifiziellere Tätigkeit, die von geschnittenen Teilen
ausgeht, erscheint ihm passender. In der Parallelisierung werden Text- und Näharbeit
zu einem Formbaren, einem nie endenden Prozeß, einem immanent Unab-
geschlossenen. Er beschreibt die Couture als ein Verräterisches und Betrügerisches,
die wie der Text Verbergen und Täuschen könne. Eine Konsequenz, die daraus zu
ziehen wäre, ist, niemals nähen zu lernen.198
Ulmer mißtraut scheinbar nicht nur der textilen Metapher, sondern auch den textilen
Kenntnissen Derridas bzw. seinen eigenen. Er spricht von der Nähe der Handwerke
und daß es letztlich um die Berührung ginge, um die sensuelle Nähe von Text und
                                                 
193
 Derrida (1995): S. 72
194
 Derrida (1995): S. 72
195
 Derrida (1974). Die eine Textspalte beschäftigt sich mit einer Analyse des Familienbegriffs bei
Hegel, die andere mit dem Literaten Jean Genet, beide werden immer wieder von Einschüben und
Zitaten (‘incise, tatouage, incrustation’, S. 4) in Spaltenform unterbrochen.
196
 Derrida (1974): S. 76. „Pourquoi faire passer un couteau entre deux textes? Pourquoi, du moins,
écrire deux textes à la fois? Quelle scène joue-t-on? que désire-t-on? Autrement dit, de quoi a-t-on
peur? qui? de qui? On veut rendre l’écriture imprenable, bien sûr. Quand vous avez la tête ici, on vous
rappelle que la loi du texte est dans l’autre, et ainsi à n’en plus finir. A engrosser la marge – plus de
marge, plus de cadre – on l’annule, on brouille la ligne, on vous reprend la règle droite qui vous
permettrait de délimiter, découper, dominer.“
197
 Derrida (1974): S. 232f
198
 Derrida (1974): S. 234. „[...] Je m’empêchai d’apprendre à coudre.“
169
Textil, um ‘action by contact’.199 Derrida sei insbesondere an der Bewegungsform des
Nähens und des Webens interessiert, die er mit ‘navette’ umschreibe. Hier gilt es
jedoch einzuwenden, daß das Nähen nicht in seiner Bewegung pendelt, sondern eine
Richtung verfolgt. Eine Naht, als Ergebnis des Nähens, führt zu einer dauerhaften
Verbindung, die den Schnitt durch das Gewebe auf die linke Seite verlegt. Sie dient
dem Verschließen der Lücke, dem Verstecken des Schnittes, dem Erzeugen einer
neuen Fläche und möchte im Normalfall nicht bemerkt werden.200
Demzufolge ist das Mißtrauen gegenüber textilen Metaphern durchaus berechtigt,
bezieht sich jedoch vielmehr auf die vermeintlichen Kenntnisse ihrer Autoren und
Interpreten.
Die einzelnen Texte Derridas entsprechen Gewebefragmenten, die er zusammen-
setzen möchte. Das Bild des Patchworks, das er durch die Einführung der nähenden
Tätigkeit evoziert, ist wenig stimmig. Es soll an dieser Stelle auch nicht mit textiler
Kenntnis neu gezeichnet werden, ist der Erkenntnisgewinn solcher Bilder doch
fragwürdig.
Harlizius-Klück schreibt, auch der Strukturalismus sei nicht in der Lage, die ‘Bild-
lichkeit der Gewebe’ zu erfassen, da das Sehen gar nicht zur Struktur gehöre, die
Sprache und Denken ist.201 Die Struktur jedoch ist erfaßbar, und hier ist die Nähe von
Text und texere (und eben nicht Text und textil) zu finden: in der Bewegungsform der
Produktion und in der Orthogonalität, die auch in der paradigmatischen und
syntagmatischen Anordnung auf einer weiteren Ebene zu finden ist. Aber schon die
Parallelisierung von Bindungslehre und Grammatik muß an den so unterschiedlichen
Materialien scheitern.
Die Musterfähigkeit von Texten ist aufgrund der Gebundenheit an die Linie sehr
eingeschränkt. Derrida versucht diese Beschränkung durch die Arbeit am Wort, in
seiner visuellen, geschriebenen Form (op-writing), zu konterkarieren. Ulmer stellt
hierbei über die Lektüre Gombrichs Bezüge zum Muster und zum Ornament her.202
Das Wesen des Ornaments sei dekorativ und parergonal und in diesem Sinne den
Zielen von Derridas op-writing sehr nahe. Das Muster, hier dem Ornamentwerk
untergeordnet,203 diene dem Rahmen und Füllen von Flächen, ist also Beiwerk.204 Die
Beschäftigung mit dem Beiwerk – dem Parergon – ist eine das Zentrum, den
Logozentrismus verlassende Bewegung.205 In Derridas Schrift ‘Parergon’ wird das
Fragmentarische und die Konzentration auf die Rahmung, auf das Dazwischen durch
optische Mittel betont. Jeweils zwei sich diagonal gegenüberstehende Winkel lassen
den Raum zwischen den Textfragmenten (deren Fragmentariät durch Kleinschreibung
                                                 
199
 Ulmer (1985): S. 48
200
 Eine Ausnahme bildet die Stoßnaht, bei der die Schnittkanten gegeneinanderstoßen und der Stich
sichtbar auf der rechten Seite ausgeführt wird. Diese Art der Nahtführung wird vor allem bei der
Verarbeitung von Einlage, die später nicht mehr sichtbar ist, angewendet. Es ist kaum zu vermuten, daß
Derrida oder Ulmer an diese Art der Naht gedacht haben.
201
 Harlizius-Klück (1): S. 26
202
 Ulmer (1985): S. 40f nimmt Bezug auf Gombrich (1982)
203
 Wie bereits ausgeführt, ist der Gebrauch der Begriffe Muster und Ornament uneinheitlich, so auch
bei Gombrich, Derrida und Ulmer.
204
 Ulmer (1985): S. 43
205
 Ulmer (1985): S. 40
170
der Anfangswörter sichtbar ist) gerahmt erscheinen.206 Das intensive Studium der
Parerga Derridas läßt sich, Ulmer zufolge, anhand Gombrichs Autonomie-Postulat
des Ornaments als Studium der Strukturalität der Struktur verstehen. Op-writing als
Methode der Grammatologie könne aus dem Ornamentschatz der Geschichte
schöpfen.207
Ein anderes, genuin textiles Muster, dem sich Derrida widmet, ist das Moiré.208 Durch
das Übereinanderlegen von Gittern oder Rastern entsteht ein vibrierendes, ein sich
bewegendes Muster. Dieser Moiré-Effekt basiert auf rein geometrischen Prinzipien,
seine wissenschaftliche Nutzung als Modell betrifft die Optik und die Untersuchung
der Wahrnehmung.209 Sein ästhetischer Reiz bestehe darin, aus scheinbarem Chaos
Ordnung zu erzeugen. Diese Ordnung ist eine symmetrische und läßt sich
mathematisch beschreiben. Die Abbildung 25 zeigt ein Moiré-Muster, das durch die
Überlagerung von zwei Liniensystemen erzeugt wird. Hargittai gibt hierzu die
relationale Verbindung der Parameter mit einer Formel an.210 Das Moiré-Muster des
‘bauhaus-druckstoffes’ von 1932 (Abbildung 26) ist nicht textiltechnisch erzeugt
worden. Die Vorlage des Stoffmusters ist eine zeichnerische.
In der Kunst fand dieser Effekt seine Anwendung in der Op-Art der 1960er Jahre. Als
Stoffmuster ist der Moiré seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Der Vorgang der
Mustererzeugung bzw. die Mitwirkung von Wasser gaben dem Effekt seinen Namen:
‘moirer’ bedeutet ‘wässern’. Zwei Stoffbahnen, oder eine gefaltete Stoffbahn, werden
in angefeuchtetem Zustand zwischen zwei Walzen gegeneinander verzogen.211 Hierzu
werden Seidentafte oder Ripse verwendet, die eine Leinwandbindung (das Gitter)
aufweisen. Der zweidimensionale Stoff erhält hierdurch eine Oberflächenbewegung,
die in die Dreidimensionalität verweist. Ein genuin textiles Muster erreicht durch eine
optische Täuschung eine dimensionale Wirkung: das Verlassen der Fläche, die
Bewegung.
Es ist genau diese Bewegung, die Derrida als textgenerierende Funktion des
‘Ornaments’, des Moiré-Musters, nutzen möchte. Und es ist auch die Bewegung, der
Begriff der Bewegung und die konkrete Vorstellung der Bewegung, die einen Zugang
zu Derridas Texten bietet.
Das Konzept der différence/différance rekurriert auf die dem Unterscheiden
inhärenten Bewegung. Das Verb ‘différer’ bedeutet sowohl aufschieben in einem
temporalen Sinne als auch unterscheiden im Sinne von Nicht-identisch-sein, also
einer Verräumlichung.212 Das Übereinanderlegen solcher Bedeutungsgitter erzeugt
Bewegung, eine oszillierende Denkbewegung, ein Moiré-Muster. Das Besondere der
französischen Begriffe der différence und der différance ist ihre phonologische
Gleichheit. Nur die Schrift, die visuelle Wahrnehmung offenbart das Spiel.213 Das
                                                 
206
 Derrida (1992): S. 31–176
207
 Ulmer (1985): S. 44
208
 Der Moiré-Effekt wird nicht zwangsläufig mit Textilien in Verbindung gebracht. Gombrich erwähnt
in seinem Werk über Ornamente den Moiré-Effekt und bezeichnet ihn als Muster.
Gombrich (1982): S. 105
209
 Hargittai (1986): S. 329
210
 Hargittai/Hargittai (1986): S. 362
211
 Hofer (1994): S. 330
212
 Derrida (1990)
213
 Derrida (1990): S. 78
171
Konzept der Einführung und Bildung von Homonymen dient gleichermaßen der
Bewegungserzeugung. Das Vibrierende ist hier eher geistig als visuell, bedarf der
Erklärung.
Letztendlich erklärt Derrida fortwährend diese Begriffe der doppelten Markierung,
die doppelte Lektüre und die zweifache Schrift.214 Die Spur, die Differenz, auch der
Moiré-Effekt und vor allem die Aufpfropfung (greffe) werden hierfür in Dienst
genommen. Sein verwirrendes Begriffsinstrumentarium der Dekonstruktion lädt dazu
ein, Konkreta, nämlich Begriffe, aufzugreifen: Der Moiré-Effekt erzeugt auf zwei
Stoffbahnen ein spiegelsymmetrisches Muster, das sich nicht wiederholt. Der
einmalige Vorgang produziert eine Identität ohne Repetition und nicht wie bei
Derrida eine Repetition ohne Identität.215 Die Aufpfropfung ist ein anderer Begriff,
den Derrida mit der Näherei verbindet. In ‘Dissémination’ führt Derrida zwei Texte
in ‘aufpfropfender’ Weise zusammen und erklärt dieses Vorgehen im vorletzten
Abschnitt unter der Überschrift ‘Les greffes, retour au surjet’.216 Das Konzept des
Homonyms nutzend, werden ‘les greffes’ zweifach in die Textarbeit eingeführt. Die
Verwendung des Plurals läßt den sinntragenden – nicht ins Deutsche zu
übersetzenden – Genuswechsel im Singular zu: la greffe bedeutet die Aufpfropfung,
le greffe die Gerichtsschreiberei. „Schreiben heißt aufpfropfen.“217 Das Aufpfropfen
von Texten bewirkt Transformationen und Deformationen, die Naht soll hierbei den
Ort der Regeneration darstellen.218 Derrida spricht jedoch nicht einfach von einer
Naht, sondern von ‘surjet’, von einer überwendlichen Naht. Diese Form der Naht, die
im eigentlichen Sinne keine Naht ist, sondern der Sicherung offener Schnittkanten
dient, verbindet nichts. Die Wahl dieser Nahtform ist also nicht schneidertechnisch,
sondern sprachlich geleitet: die Nähe der französischen Wörter ‘surjet’ und ‘sujet’
(Subjekt)219 verleiht der Überschrift mehr Sinn als das textile Umfeld von Bordüre
und repetitiver Tätigkeit. Die Rückkehr zum Subjekt, dem schreibenden Subjekt, ist
die eine Bewegungsrichtung. Auch das Denkmodell ‘Aufpfropfung’ beinhaltet also
eine doppelte Bewegung: die Rückkehr zum (schreibenden) Subjekt durch eine Art
der Katalogisierung, der Systematisierung der textuellen Aufpfropfungen220 und ein
Verfahren der Textproduktion mit Einfügungen und Wucherungen wie Derrida sie
selbst anwendet in ‘Tympanon’, ‘Glas’ oder ‘Dissémination’.221
                                                 
214
 Sehr klar – er selbst nennt es ‘sehr trocken’ – formuliert Derrida die Bewegung der Dekonstruktion
in ‘Signatur Ereignis Kontext’: „Die Dekonstruktion kann sich nicht auf eine Neutralisierung
beschränken oder unmittelbar dazu übergehen: sie muß durch eine doppelte Gebärde, eine doppelte
Wissenschaft, eine doppelte Schrift eine Umkehrung der klassischen Opposition und eine allgemeine
Verschiebung des Systems bewirken.“ Derrida (1988): S. 313
215
 Derrida (1995): S. 12
216
 Derrida (1995): S. 402. ‘Aufpfropfungen, Rückkehr zur überwendlichen Naht’
217
 Derrida (1995): S. 402. An anderer Stelle (in ‘La double séance’) erklärt Derrida diesen
etymologischen Zusammenhang mit der gemeinsamen Wurzel ‘graphion’. Derrida (1995): S. 230
218
 Derrida (1995): S. 230. „Abgestützte und diskrete Gewalt eines unscheinbaren Einschnitts in die
Dichte des Textes, kalkulierte Insemination des zur Vermehrung geeigneten Allogens, wodurch die
beiden Texte einander transformieren und deformieren, sich in ihrem Inhalt kontaminieren, mitunter
bestrebt sind, sich abzustoßen, elliptisch ineinander übergehen und sich dabei in der Wiederholung,
entlang der Einfassung (bordure) einer überwendlichen Naht (surjet) regenerieren.“
219
 Derrida (1995): S. 433. Auf diesen Zusammenhang weist der Übersetzer in der Anmerkung 53 hin.
220
 Derrida (1995): S. 230
221
 ‘Tympanon’ in: Derrida (1988): S. 13–29; ‘Glas’ Derrida (1974); ‘Dissémination’ in: Derrida (1995):
S. 323–416
172
Es scheint also nicht angebracht, die Begriffe222 in Konkretion zu verfolgen, sondern
sich auf die generelle Bewegung der Dekonstruktion einzulassen, die über eine
Relationserzeugung223 Erkenntnis produziert und dabei das Widersprüchliche, das
Nicht-Ernsthafte und das Anarchische nicht ausschließt.224 Derrida selbst schreibt, die
Dekonstruktion bestehe nicht darin, von einem Begriff zum anderen überzugehen,
sondern eine „begriffliche Ordnung ebenso wie die nicht-begriffliche Ordnung, an der
sie sich artikuliert, umzukehren und zu verschieben.“225 Die zu dekonstruierenden
Begriffe bilden Gegensatzpaare, deren Gegensätzlichkeit als metaphysische und
ideologische Konstruktion und die damit verbundene Hierarchisierung und Wertung
(Logozentrismus) es aufzudecken gilt. ‘Umkehren’ und ‘Verschieben’ sind
Tätigkeiten, die sich im Raum vollziehen, ein Aspekt, der im Kapitel über die Karte
aufgegriffen wird.
Wie auch immer man zur Dekonstruktion Derridas stehen mag – und eine solche
Theorie hat stark polarisiert – die Schrift hat sie nicht von ihrer Linearisierung
befreien können. Die Musterfähigkeit der linearen Schrift und des Textes sind be-
schränkt. Linie und Fläche schränken den Text ein, verhindern seine Ausdehnung in
den Raum. Andere Konzepte der Textinterpretation, wie die Theorie der Inter-
textualität oder des Kontextualismus, beziehen sich auf die Referentialität von Texten
bzw. auf sinnstiftende Relationen. Sie versuchen die Rücklesung, die Re-konstruktion
des Raumes auf andere Art, die jedoch auch dem Textualen verhaftet bleibt.226
Die Unzulänglichkeit der linearen Schriftform als Mittel der Beschreibung von
Weltkomplexität wird auch von Naturwissenschaftlern angemerkt.227 Die Gestaltung
des Textes, das Ausdehnen in die Fläche, schafft dem, wie wir gesehen haben, nur
wenig Abhilfe. Ein System von Fußnoten, Anmerkungen, Indexen und anderen
Verweisungen schafft eine Struktur, die lediglich räumliche Tendenzen hat. Ein Buch,
das sich ein System von Verweisungen bewußt zugrunde gelegt hat, stammt aus dem
Jahr 1936.228 Die Autoren haben ein Handbuch zur Selbsterkenntnis geschrieben,
                                                 
222
 Hier wurde nur den textilen Begriffen, deren häufiges Auftauchen im Werk Derridas auffällig ist,
nachgegangen. Ob das Aufgreifen von Begriffen aus marginalisierten Bereichen Methode hat –
botanische Begriffe wie ‘dissémination’ und ‘greffe’ sind nicht unbedingt geläufig –, wäre zu
untersuchen.
223
 Diese Relationen sind begrifflicher Art und gründen auf phonetischen, graphischen,
morphologischen, etymologischen oder semantischen Verbindungen.
224
 Culler (1988): S. 167
225
 Derrida (1988): S. 314
226
 Julia Kristeva hat den Begriff der Intertextualität entwickelt. Die interagierenden Texte schließen
Gesellschaft, Kultur und Geschichte als Zeichensysteme ein. Kristeva (1996). Die dekonstruktivistische
Lektüre Derridas arbeitet mit dem Intertext: Seine Konzeption beinhaltet das Postulat des
Unabschließbaren eines Textes. Das Intertextuelle verweist auf ein Dazwischen, das Kontextuelle auf
ein Zusammen. Die beschränkende und somit bedeutungsgenerierende Funktion des Kontextes
bezweifelt Derrida jedoch und zeigt die ‘strukturelle Ungesättigtheit’ desselben auf. Derrida (1988): S.
292f. Der Kontextualismus als Theorie des sprachlichen Kontextes umfaßt sowohl Sprach- als auch
Situationskontexte. Sprache sei hier nicht formales System, sondern „part of the social process“. Helbig
(1983): S. 109
227
 Hargittai (1986): S. 21. Der Autor Alan L. Mackay schreibt in seinem Artikel über Kristallographie,
daß es notwendig sei, sich einer ‘philosophy of structuration or structuralism based on the scientific
rather than on the literary culture’ zuzuwenden, um das Lineare zu überwinden. Er verweist auf das hier
kurz eingeführte Buch von Loewenstein und Gerhardi.
228
 Loewenstein/Gerhardi (1964)
173
dessen ‘einzigartiger Wesenszug’ in seiner ‘inneren Maschinerie’ liege.229 Sie
unternehmen den Versuch, die Schalttafeln eines Elektronengehirns nachzubilden,
indem der Leser das Buch nicht von der ersten bis zur letzten Seite durchliest,
sondern sich gemäß seiner Antworten zu einem nächsten Abschnitt begibt. Die
Persönlichkeit eines Menschen auf diese Art kennenlernen zu wollen, beruht auf der
Annahme, der Mensch bestehe aus einzelnen Elementen, die zu einem
‘grundlegenden Persönlichkeitsmuster’ zusammengefügt werden können.230 Die
Abbildbarkeit verläßt an dieser Stelle den Text und wendet sich ‘Plänen’ und
‘Zeichnungen’ zu, die jedoch das komplexe Netz von Verflechtungen auf zwei
Dimensionen reduzieren und der räumlichen Struktur nicht gerecht werden können.
Ein ähnliches Anliegen verfolgt Marvin Minsky, Pionier der Computerwissenschaft
und der Künstlichen Intelligenz, mit seinem Modell des menschlichen Gehirns, das er
‘Mentopolis’ nennt. Das Verständnis über das Funktionieren des Geistes soll sich
beim Leser einerseits über die Inhalte und andererseits über die Struktur des Buches
erschließen. Jede Buchseite bildet ein Geschlossenes, so daß nicht ein aufbauendes
Nacheinander erforderlich ist, sondern das Herstellen von Querverbindungen durch
den Leser möglich, bzw. gewünscht ist.231
Die bereits erwähnte Schrift von Deleuze/Guattari trägt den Untertitel ‘Tausend
Plateaus’. Das Anlegen der Plateaus stellt den Versuch dar, das Lineare zu hinter-
gehen. Sie schreiben, das Ideal eines Buches wäre die Ausbreitung seiner Ideen auf
einer Fläche. Die Plateaus, die Mannigfaltigkeiten, ihres Buches sollen miteinander
über Mikro-Fissuren kommunizieren, performativ die Arbeitsweise des Gehirns
zeigen.232
Die Linearität der Schrift, die Zweidimensionalität des Textes und vor allem die
Sozialisation des Lesers stehen den Anliegen der genannten Bücher entgegen.233
Es bleibt bei dem Bemühen, Texte durch das Arbeiten mit Indexen, Verweisen,
mehreren Textspalten und verschiedenen Schrifttypen zu verräumlichen und zu
erweitern.
Hypertextualität
Mit dem Hypertext soll eine Verräumlichung des Textes und ein umfassender Prozeß
der Inklusion erzielt werden.234 Das Internet als Ort bzw. Nicht-Ort des Hyper-
textuellen stellt für Viele die Möglichkeit grenzenloser Interaktivität dar. Auf der
Grundlage der ‘medienphilosophischen Analyse des Internet’ von Mike Sandbothe
sollen diese Möglichkeiten benannt und überprüft werden. Sandbothe schreibt, das
Charakteristische des Hypertextes sei das Geflecht von Sprache, Bild und Schrift.235
                                                 
229
 Loewenstein/Gerhardi (1964): S. 5
230
 Loewenstein/Gerhardi (1964): S. 6
231
 Minsky (1990)
232
 Deleuze/Guattari (1992): S. 19, 37
233
 Ian Hodder hat beispielsweise die in einem Buch publizierten Aufsätze nach dem Zufallsprinzip
angeordnet. Der Leser solle hierdurch dazu gebracht werden, sein eigenes Buch zu erstellen. (Bernbeck
1997: S. 287) Dieser Leser erfährt dies jedoch nur, wenn er sich an erlernte Strukturen, an den Anfang
des Buches, hält.
234
 Münker/Roesler (1997): S. 45
235
 Münker/Roesler (1997): S. 72. Sandbothe verfolgt die Idee der Hypertextualität bis in die 1930er
Jahre zurück und den Begriff bis in die Mitte der 1960er Jahre.
174
Ein Buchtext würde unsere Gedanken künstlich linearisieren und hierarchisieren, die
hypertextuelle Darstellung hingegen erlaube es ,  unsere komplexen
Gedankenverflechtungen darzustellen. „Unter Hypertextbedingungen werden
Schreiben und Lesen zu bildhaften Vollzügen. Der Schreibende entwickelt ein
netzartiges Gefüge, ein rhizomatisches Bild seiner Gedanken.“236
Nicht nur Sandbothe fühlt sich durch den Umgang mit dem Immateriellen, dem
Virtuellen des Internet dazu veranlaßt, ein Modell zu nutzen. Die Begriffe und
Metaphern, die hierfür gefunden wurden, sind textile: das Netz (Internet), das Ge-
webe (WorldWideWeb), das Geflecht (Hypertext). Das Rhizom wird als
philosophisch aufgeladener Begriff verwendet und auch hier wieder mit dem Netz
gleichgesetzt. Diese Begriffe werden genutzt, um die nicht sichtbaren Verbindungen
zu erklären, indem ein Bild geliefert wird. Darüber hinaus wird jedoch das Bild des
Netzes und des Rhizom als Bild für unser Denken eingesetzt und hierdurch
Simultaneität suggeriert. Beide Bilder zeugen von Überschätzungen, sowohl des
Menschen als auch des (von ihm geschaffenen) Internets. Das Internet in seinem
gegenwärtigen Zustand ist nach wie vor von ‘linearen Organisationsformen’237 durch-
drungen, und die Strukturen der Verweise und Verbindungen (links) entsprechen
enzyklopädischen Textstrukturen.
Der Hypertext als bildliche Vorstellung unserer kognitiven Vorgänge und dadurch
gleichzeitig Mittel, diese zu veräußern, würde den Menschen kaum in den Stand
gesetzt haben, ein solches Medium zu entwickeln.238
Die Linearität der Sprache in ihrem zeitlichen Nacheinander und der Schrift als
Visualisierung dessen ist auch durch das Internet nicht abgelöst worden. Die Zwei-
dimensionalität des Mediums ist gleichermaßen geblieben, nur die Zusammensetzung
der Fläche hat sich geändert.239 Die Möglichkeiten der Interaktivität sind de facto
äußerst beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch nicht technologisch, sondern
gesellschaftlich begründet. Die Pluralisierung und Demokratisierung, die durch ein
interaktives Kommunizieren erreicht werden soll,240 wird durch ein sehr restriktives,
da ökonomisch motiviertes, Territorialverhalten verhindert. Die virtuellen Territorien
stellen einen Wert dar und werden geschützt. Der Schutz durch Passwörter verhindert
ein Eindringen und somit jede Form der Interaktivität. Die Orte der Kommunikation
sind als solche gekennzeichnet und genau definiert. Karten, die die Verteilung der
Internetzugänge weltweit zeigen,241 stellen eine Verbindung der virtuellen mit den
realen Territorien dar und veranschaulichen mit den Mitteln des Internets seine
eigenen Herrschaftsstrukturen. Die sogenannte erste Welt, in der Wissen, Geld und
Macht sich verbinden, beherrscht offensichtlich die virtuelle Welt. Innerhalb der
Industrienationen läßt sich ein weiteres Gefälle von Stadt zu Land ausmachen. Dies
bedeutet, daß zumindest gegenwärtig das Internet die bestehenden Strukturen
verstärkt und nicht globalisierend und demokratisierend diesen entgegenwirkt.
                                                 
236
 Münker/Roesler (1997): S. 73
237
 Münker/Roesler (1997): S. 46
238
 Mainzer (1997)
239
 Flusser (1993): S. 47
240
 Münker/Roesler (1997): S. 73. Sandbothe beschreibt euphorisch die Folgen der Interaktion via
Internet.
241
 http://www.telegeograhy.com/Publications/mapping.html; http://www.mappa.mundi.net/maps
175
Das Internet erscheint somit zur Zeit als ein multimediales Informationssystem, das
die traditionellen Formen der Information übernommen hat und in seinen Strukturen
ein Spiegelbild westlichen Gesellschaftsverhaltens ist. Der ‘Cybernaut’, der nicht,
wie es der Name vermuten läßt, eine neue Spezies ist, ist ein Mensch, der seinen
Besitz erwirbt, ihn schützt, sich in seinen Kreisen bewegt und Stabilität und Ordnung
sucht. Der Hypertext als offenes System, d.h. in seiner idealisierten Form, wäre
permanenten Veränderungen unterworfen und somit von äußerster Instabilität. Die
Frage müßte demnach eher auf das Maß an Instabilität, die der Mensch vertragen
kann, und auf die Mittel, mit denen er ihr begegnet, gerichtet werden. Das Muster als
ordnungsstiftendes Moment kann hierbei von Bedeutung sein, wie noch zu zeigen
sein wird.
Die Verbindung von Bild und Text als Form der Dimensionserweiterung ist keine
Erfindung des Internet.
Gernot Böhme schreibt, die Anwesenheit von Schrift im Bild habe eine lange
Tradition und lasse sich schon auf griechischen Vasen nachweisen.242 Svetlana Alpers
untersucht diese Verbindung anhand von Bildern der holländischen Malerei.243 Der
Blick auf Wörter sei ein moderner Zug in der holländischen Kunst, ist doch die
Auflösung der Unterscheidung von Text und Bild eine Errungenschaft des frühen 20.
Jahrhunderts.244 Die Bedeutung der Wörter ist ‘oberflächlich’: Sie sollen dem
Betrachter mehr zu betrachten geben und ihn nicht auf ikonologische Spurensuche
schicken.245 Der Maler ermöglicht dem Betrachter – über Zeit und Raum hinweg – ein
Eintreten, ein ‘Einlesen’ in das holländische 17. Jahrhundert. Es ist die konkrete
Lesbarkeit der Texte, die den Raum eröffnet, die uns mit dem Leser des 17.
Jahrhunderts verbindet. Die Spruchbänder mancher Tapisserien bilden einen
Gegensatz hierzu, sind die lesbaren Texte doch ein dem Bild nachträglich
Zugeordnetes, das Sinn stiften soll.
Eine andere, mögliche Verbindungsform von Notationen sind die Ornamente der
mittelalterlichen Illuminationen. Illich untersucht in seiner bereits zitierten
Publikation die Funktion der Miniaturen und Ornamente in mittelalterlichen Büchern
und kommt zu dem Schluß, daß sie keine Illustrationen mit dokumentarischem
Zweck im modernen Sinne seien.246 Er selbst wählt textile Bilder, um die
Illuminationen zu beschreiben: Sie seien „wie feierliche Gewänder, die dem
leibhaftigen Wort Gottes auf der Seite durch ihre Schönheit einen seiner Würde
angemessenen Rahmen geben.“247 An anderer Stelle ‘säumen’ die Ornamente die
Buchstabenreihen.248 Die Ornamente249 sind dem Text also äußerlich, rahmen ihn,
                                                 
242
 Böhme (1999): S. 56
243
 Alpers (1985): Kap. 5 ‘Der Blick auf Wörter: Die Darstellung von Texten in der holländischen
Kunst’, S. 287–364
244
 Alpers (1985): S. 289
245
 Alpers (1985): S. 316
246
 Illich (1991): S. 115
247
 Illich (1991): S. 114
248
 Illich (1991): S. 116
249
 Der Begriff des Ornaments wird an dieser Stelle von Illich übernommen. Viele der mittelalterlichen
Illuminationen können jedoch gemäß der Definition als Muster bezeichnet werden. Er selbst spricht
auch von Rankenwerk. Illich (1991): S. 116
176
begleiten ihn. Sie haben zum einen eine religiöse (die Förderung der sinnlichen
Hingabe oder Frömmigkeit)250 und zum anderen eine mnemotechnische Funktion,
indem sich akustische und visuelle Signale verbinden. „Miniaturen und Zeilen
verweben Ohr und Auge in der Wahrnehmung der herrlichen Symphonie, die Dante
das verführerische ‘Lächeln der Seiten’ nennt.“251 Der Zusammenhang zwischen Text
und Bild wird also je neu hergestellt. Der (laut) Lesende nutzt das rhythmisierende
Moment des Musters und verharrt (leise) in der Kontemplation der Miniaturen.
Eine andere Notationsform, die häufig Text und Bild vereint, ist die Karte, der der
nächste Abschnitt gewidmet ist.
Die Karte
„Anything that can be spatially conceived can be mapped.“252 Die verhältnismäßig
junge Wissenschaft der ‘Geschichte der Kartographie’ postuliert den zitierten, sehr
weit gefaßten Begriff der Karte und löst sie damit aus ihrer Stellung als reines
Hilfsmittel für Historiker und Geographen. Die Karte wird als eine Form der
menschlichen Kommunikation verstanden, die Kartographen als eine eigenständige
Form der ‘graphischen Sprache’ bezeichnen.253 Der Geograph Brian Harley vergleicht
die Entstehung der Karte mit dem Aufkommen der Literalität und der Einführung der
Zahl.254 Er schreibt, die Karte habe eine Funktion als ‘force of change’ in der
Geschichte des menschlichen Denkens.255 Dieses Verständnis der Karte als
historisches, naturwissenschaftliches und künstlerisches Dokument datiert aus den
1970er Jahren.256 Eine institutionalisierte Beschäftigung mit der Geschichte der
Kartographie sei jedoch die Ausnahme.257 Erst in den 1990er Jahren kulminiert das
Interesse – zumindest in manchen Bereichen –, so daß von einem Paradigmenwechsel
gesprochen wird. Ein Grund für dieses Interesse ist praktischer Natur: Politische
Weltereignisse haben die Anfertigung neuer Karten erforderlich gemacht. Der Raum
tauche nun als politische Kategorie und Erfahrungsbegriff auf, und deshalb müßten
nicht nur die geographischen Karten, sondern auch die mentalen neu gezeichnet
werden.258
Mit dem Begriff des ‘Mappings’ erhielt dieses Anlegen von Karten von Räumen aller
Art eine vielfach anwendbare Bezeichnung. In bezug auf kulturelle Phänomene steht
das Mapping für eine kognitive Kartographie.259 „Das Paradigma der Repräsentation
wird heute durch ein Cultural Mapping als Leitvorstellung abgelöst.“260 Die
Ausstellung ‘Atlas Mapping’, die 1998 im Kunsthaus Bregenz gezeigt wurde, stellt
die Kartographie in den Mittelpunkt, als Objekt der Kunst und der
                                                 
250
 Illich (1991): S. 117
251
 Illich (1991): S. 115
252
 Harley/Woodward (1987): S. 4
253
 Harley/Woodward (1987): S. 4, 33, 39
254
 Harley/Woodward (1987): S. 5
255
 Harley/Woodward (1987): S. 39
256
 Harley gibt im ersten Kapitel eine Übersicht über die Entwicklung der ‘Geschichte der
Kartographie’. Harley/Woodward (1987): S. 36
257
 Harley/Woodward (1987): S. 36
258
 Michael Jeismann: „Die Stunde der Platzanweiser“, in: FAZ 12. April 2000, Nr. 87
259
 Böhme/Matussek/Müller (2000): S. 13
260
 Atlas Mapping (1998): S. 2
177
Kulturwissenschaften. Die Metapher der Kartographie diene als Alternative zu den
‘großen Erzählungen’, biete die Möglichkeit, Singularitäten zu erkunden.261 Der
Geograph Denis Cosgrove sieht den Grund für dieses Interesse am ‘Mapping’ in
einem allgemeinen ‘spatial turn’ in Kunst und Wissenschaft.262 Eine Welt, deren
Räume und Strukturen zunehmend instabiler werden, benötige eine Beschäftigung
mit dem ‘Mapping’. Technische Errungenschaften des 20. Jahrhunderts hätten
darüber hinaus dazu beigetragen, daß die Kartographie sich verändert hat, zum
‘Mapping’ wurde. Er nennt hier zum einen Luftbildaufnahmen und Filmtechnik,
sowie gegenwärtige Möglichkeiten einer ‘kinetic cartography’.263 Die Verwendung
des Begriffs ‘Mapping’ rechtfertigt sich durch seine größere Reichweite gegenüber
der Kartographie, die vor allem das Technische, die Herstellung der Karten be-
schreibt. Das englische Wort ‘map’ kann mit ‘Plan’ oder ‘Karte’ übersetzt werden,
betont also das Plane, das ‘Oberflächliche’ einer Karte. Es geht zurück auf das
Lateinische ‘mappa’, das Serviette oder Tuch bedeutet und zeugt von der Ver-
wendung von Leinwänden als Trägerfläche.264 Der Begriff der ‘Karte’ verbindet sich
materiell mit dem Papier, der Pappe. Ob es über diese etymologische Ebene hinaus
eine Verbindung des Mapping mit dem Textilen gibt, wird sich zeigen.
Mapping
Für die folgenden Überlegungen wurde der Begriff des ‘Mappings’ in seiner
weitesten Form gewählt: die Karte als Kommunikationsmittel,265 als ‘mediator’,266 als
‘interface’,267 als zweidimensionale Notationsform. Es wird vor allem um das
‘Karten-Machen’ als Geste der Raumaneignung gehen. Hierbei steht das ordnende
Moment dieser Geste, als Grundanliegen des Mappings, im Vordergrund. Cosgrove
spricht von einer ‘Autorschaft’, die jedes Mapping aufweise, die sich durch Aus-
wahlverfahren, Auslassungen, Unbestimmtheiten und Intentionen bemerkbar
mache.268 Auch der Historiker Paul Zumthor schreibt, daß jede Karte ihre eigene
Logik besitze und gelesen und interpretiert werden müsse.269
Die Karte ist ein Mittel zur (Welt-)Ordnungserzeugung, in dieser Funktion wird sie
im folgenden anhand weniger Beispiele betrachtet. Die Verbindungen zum (textilen)
Muster leitete die Auswahl aus dem sehr umfangreichen Material, der Aspekt der
textilen Materialität der Karte konnte hierbei nicht berücksichtigt werden.270
                                                 
261
 Atlas Mapping (1998): S. 2
262
 Cosgrove (1999): S. 7
263
 Cosgrove (1999): S. 5f
264
 Pfeifer (1989); Duden (1963): s.v. ‘Mappe’
265
 Harley/Woodward (1987): S. 2, 4, 34; Cosgrove (1999): S. 10. Die Autoren verweisen auf die
Verbindung von Kartographie und Semiotik, die die Karte als Zeichen und das Territorium als
Bezeichnetes begreift.
266
 Harley/Woodward (1987): S. 1
267
 Cosgrove (1999): S. 24
268
 Cosgrove (1999): S. 7
269
 Zumthor (1993): S. 318f. Bemerkenswert ist hier auch die Auffassung der Karte als Text (S. 319), der
gelesen werden muß.
270
 Woodward (1998) weist darauf hin, daß Textilien, Keramiken und andere archäologische Funde als
Quellen der Geschichte der Kartographie zu nutzen seien, bzw. daß Karten Gegenstand von inter-
disziplinären Untersuchungen der ‘material culture’ sein sollten. (S. 2, 5)
178
Die Karte kann alle Formen der graphischen Visualisierung, deren Grundformen hier
als Notationsformen beschrieben sind, in sich vereinigen: Cosgrove schreibt, die
kartographische Repräsentation kombiniere „[...] geometry (in projection, measure,
scale, gridding and plotting) and graphic images (mimetic and conventional signs,
colour coding and calligraphy) with numerical and alphabetical inscriptions and
texts.“271 Aufgrund dessen ist sie in der Lage, komplexe Sachverhalte abzubilden und
unterschiedlichsten Wissensbereichen zu dienen. Zumthor postuliert aufgrund der
verschiedenen ‘modes d’iconisation‘ einer Karte ihre Mehrdimensionalität.272 Dies
steht dem formulierten Charakteristikum der Karte, ihrer Zweidimensionalität,
entgegen. Den Formen der Dimensionsveränderung wird deshalb besondere
Aufmerksamkeit entgegengebracht.
Im allgemeinen wird angenommen, daß Karten Schrift und Zahl vorausgehen, vom
Bild jedoch nicht immer klar zu trennen sind.273 Leroi-Gourhan konstatiert eine
grundlegende Differenz der Wahrnehmung des umgebenden Raumes, die sich
graphisch äußert. Der dynamisch wahrgenommene Raum des paläolithischen
Nomaden wird als Strecke oder Bahn, gekennzeichnet durch lineare Anordnung und
Wiederholung, wiedergegeben.274 Der statische Raum des Seßhaften umgibt ihn, er
konstruiert die Welt in konzentrischen Kreisen.275 Seßhaftwerden bedeutet Land be-
Sitzen und es von dieser Position aus wahrzunehmen und zu formen, Natur zu
kultivieren. Die Rhythmen der Seßhaften verändern sich: Sie sind geprägt von den
Jahreszeiten und der hiervon abhängigen Landwirtschaft.
Diese grundlegende Trennung von gehender und sehender Wahrnehmung schlägt sich
in der Beschreibung des Raumes, in der Kartographie nieder. Michel de Certeau
schlägt eine Unterscheidung von ‘Ort’ und ‘Raum’ vor, die hier übernommen werden
soll. „Ein Ort ist die Ordnung, nach der Elemente in Koexistenzbeziehungen
aufgeteilt werden.“276 Der Ort verweise auf Eigentum, auf definierte Bereiche, auf
Stabilität. Der Raum hingegen sei ein ‘Resultat von Aktivitäten‘. „Der Raum ist ein
Geflecht von beweglichen Elementen.“277 Auch der Begriff des ‘Spazierens’ verweist
auf diese Konnotation: Das Verb ‘spaziare’ leitet sich vom Lateinischen ‘spatium’ für
‘Raum’ ab und bedeutet ‘sich räumlich ausbreiten’.278 Demzufolge werden Orte – und
nicht Räume – kartographiert: Von einem definierten Standpunkt aus wird die Welt
wahrgenommen, geordnet und notiert. Der Ort ist ein kulturelles Produkt und die
Karte seine zweidimensionale Notationsform.279
Das ‘Mapping-Projekt’ der Kulturwissenschaften versucht eine Neukartierung, die
aus der ‘postmodernen Orientierungslosigkeit und Fragmentarisierung’ als ‘Folge des
                                                 
271
 Cosgrove (1999): S. 12
272
 Zumthor (1993): S. 338. „La page n’est bidimensionelle qu’en apparence. [...] La carte est à la fois
signe, indice et objet.“
273
 Zumthor (1993): S. 317
274
 Der Raum wird nicht kartographiert, ob es sich bei den paläolithischen Darstellungen um
Kosmogonien handelt, ist nicht geklärt. Vgl. Leroi-Gourhan (1988): S. 403
275
 Leroi-Gourhan (1988): S. 402–405
276
 Atlas Mapping (1998): S. 132
277
 Atlas Mapping (1998): S. 132
278
 Kluge (1995); Duden (1963): s.v. ‘spazieren’
279
 Assmann (1999): S. 21, 299. Die Ausführungen Assmanns implizieren eine ähnliche Auffassung der
beiden Begriffe.
179
Zusammenbruchs der Vorstellungen von Raum und Zeit als aufklärerischer Formen
der Weltbemächtigung und Expansion’ herausführen soll.280 Hierfür müsse die
eurozentristische Zentralperspektive aufgegeben werden. Doris Bachmann-Medick
verweist auf den postkolonialen Diskurs, der der Literatur einen neuen Ort zwischen
den Kulturen gebe. Verräumlichung werde hier zu einem grundlegenden Konzept der
Kulturwissenschaft.281 Im folgenden soll gezeigt werden, daß die moderne
zweidimensionale Karte kein geeignetes Mittel der Verräumlichung ist, da sie immer
einen Betrachterstandpunkt vorgibt und von einer territorialen Herrschaftsgeste zeugt,
die den Raum zu einem Ort macht. Die Karte produziert also genau den Blick, der
aufgegeben werden soll.282 Die Aneignung des Raumes durch die Karte ist immer
eine Projektion – kann nie eine Bijektion sein –, die durch Dimensionsveränderung
erzeugt wird. Der Vorgang der Dimensionsveränderung beinhaltet die kognitive
Leistung.
Die nun vorzustellenden Karten sind chronologisch geordnet und dem europäischen
Kulturkreis entnommen, um bestimmte Entwicklungen aufzuzeigen und um
Verbindungen mit Entwicklungen anderer Notationsformen herzustellen. Eine
historische Darstellung der Karte, ihrer Mittel und Intentionen, ist nicht beabsichtigt.
Karten anderer Kulturkreise werden an manchen Stellen eingefügt, um die
Perspektive der Kartographie zu verdeutlichen. Ein Verlassen dieses Betrachter-
standpunktes ist an dieser Stelle nicht möglich und nicht beabsichtigt.
Die prähistorischen Karten, die durch eine sehr allgemeine Definition des Begriffes283
als Karte behandelt werden, werden vor allem als kosmologische oder auch
Himmelskarten interpretiert. Diese Karten reduzieren nicht die Dimensionen, sondern
verändern oder erweitern sie.
Die Abbildung 27 zeigt eine goldene Prägefolienarbeit in Form eines Diskus
(Durchmesser 15 cm) aus der Bronzezeit. Die Kreisscheibe ist durch konzentrisch
angeordnete Ringe in sechs Bereiche aufgeteilt. Drei dieser Bereiche zeigen parallel
angeordnete Linien, im Wechsel hierzu zeigen die anderen drei Bereiche unregel-
mäßig geformte Grundflächen mit geometrischen Figuren (Dreiecke und Kreise).
Archäologen bringen solche Artefakte (es existieren zahlreiche aus Zentraleuropa bis
zu den britischen Inseln) mit dem Sonnenkult in Verbindung. Dieser Diskus von
Moordorf wird als kosmologische Karte interpretiert: Ein zentrierter Kontinent ist
umgeben von konzentrischen Ringen, die einen Ozean (parallele Linien), einen
weiteren Kontinent mit sieben Bergen (Kreise) und einen weiteren Ozean mit 32
Inseln (Dreiecke) darstellen. Gemäß der Interpretation von Unger ist der zentrale
Kontinent die Erde, eingeschlossen vom ‘Bitter River’, den himmlischen Bergen und
schließlich dem himmlischen Ozean mit seinen Inseln.284 Ausgehend von dieser
                                                 
280
 Atlas Mapping (1998): S. 97
281
 Atlas Mapping (1998): S. 95
282
 Die beiden Publikationen (Atlas Mapping 1998; Cosgrove 1999), die Material zum Mapping aus
verschiedenen Bereichen zusammengetragen haben, dokumentieren einen Kartenbegriff, der an
Geographie und Geschichte, an einer bestimmten Form der Wissenschaftsvermittlung orientiert ist. Um
diesen Konnotationen zu entgehen, müßte ein neuer Kartenbegriff geschaffen werden, bzw. vielleicht
ein anderer Begriff gewählt werden.
283
 Harley/Woodward (1987): S. 92. „[...] Permanent graphic images epitomizing the spatial distribution
of objects and events [...].“
284
 Harley/Woodward (1987): S. 91
180
Interpretation, werden die dargestellten geometrischen Muster des Diskus zu einem
Mittel der Weltaneignung. Der Mensch versucht die Welt, den Kosmos, zu ordnen,
indem er sie geometrisiert und rhythmisiert und hierdurch Muster erzeugt. Er nimmt
hierfür nicht einen definierten Betrachterstandpunkt ein, sondern imaginiert die Welt.
Der Perspektivwechsel bzw. die Vernachlässigung der Perspektive sind hier
Voraussetzung der Mustererzeugung. Die mustermäßige Darstellung der Welt
verbindet Wahrnehmung und Imagination, sowie die Interpretation der
Wahrnehmung in Form der stark rhythmisierten Darstellung des Wassers.
Die Abbildung 28 zeigt die als älteste Landkarte der westlichen Welt bezeichnete
Karte Spaniens im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt. Diese Karte weist
moderne Eigenschaften der Kartographie auf: Die Perspektive erlaubt eine
objektivierte Sicht, und die Abstraktion dient der Notierung. Flüsse werden als
gewellte Linien, Straßen als gerade Linien und Städte als schwarze Quadrate dar-
gestellt. Diese zweite Karte soll an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden,
sondern dient der exemplarischen Einführung des zweiten Kartentypus.
Im Mittelalter lassen sich diese beiden Kartentypen in Funktion und Darstellungs-
weise besonders gut unterscheiden.285 Die merkantilen Karten sind vor allem lokaler
oder regionaler Art, sie zeigen Städte und Wege. Hierzu würde auch die gezeigte
Karte Spaniens gehören. Portolane werden gleichermaßen diesem Kartentypus
zugeordnet. Die Mappaemundi gehören dem anderen Kartentypus, dem monastischen
Umfeld an.286 Woodward schlägt eine Definition des Begriffes in Absetzung zu den
planisphärischen Karten vor. Diese entspreche keineswegs der mittelalterlichen
Auffassung, transportiere jedoch die Tatsache, daß die sogenannten Mappaemundi
nicht geometrisch konstruiert sein müssen.287 Die Kategorien, die Woodward in
Anlehnung an frühere Klassifikationssysteme bildet, orientieren sich an der Art der
Aufteilung der Karten in Wasser- und Erdzonen.288 Die geometrischen Formen der
Mappaemundi variieren zwischen rund, oval, rechteckig und mandorlaförmig, sie
haben jeweils ihre symbolische Konnotation.289 Vorrangiges Ziel der Mappaemundi
sei nicht geographische Genauigkeit, sondern die ‘visuelle Synthese’
zeitgenössischen Wissens gewesen. Hierfür werden Raum- und Zeitkonzepte
miteinander kombiniert, historische Ereignisse in den geographischen Raum
eingebunden und mehrdimensionale Weltbilder erzeugt.290 Diese mehrdimensionalen
Weltbilder bedienen sich geometrischer Formen, um die Welt zu ordnen. Sie schaffen
Formen, Muster, die der Wiedererkennung und somit der Orientierung dienen.
Im 14. und 15. Jahrhundert verändern sich die Mappaemundi, sie beginnen, geo-
graphische Züge zu tragen und bilden einen Übergang zu den Renaissancekarten.291
                                                 
285
 Harley/Woodward (1987): S. 291
286
 Harley/Woodward (1987) widmen diesen mittelalterlichen Kartenformen jeweils einzelne Kapitel:
‘Medieval Mappaemundi’, ‘Portolan Charts from the Late Thirteen Century to 1500’, ‘Local and
Regional Cartography in Medieval Europe’. (S. 283–502)
287
 Harley/Woodward (1987): S. 287
288
 Harley/Woodward (1987): S. 296. Woodward unterscheidet den ‘Tripartite Type’ (auch als T-O-
Typus bekannt), den ‘Quadripartite Type’, den ‘Zonal Type’ und den ‘Transitional Type’.
289
 Harley/Woodward (1987): S. 318
290
 Cosgrove (1999): S. 63f
291
 Diese Kategorie von Mappaemundi heißt bei Woodward dementsprechend ‘Transitional Type’.
Harley/Woodward (1987): S. 296f
181
Die Form der vierdimensionalen Kartierung, die bezeichnenderweise keinen ein-
heitlichen Namen besitzt, zeugt von einer ganzheitlichen Weltsicht, die mit der
Fragmentarisierung in der Neuzeit aufgegeben wird.292 Die Wahrnehmung des
Raumes verändert sich, und dies zeigt sich in der Malerei, die die mittelalterliche
Bedeutungsperspektive zugunsten der Zentralperspektive aufgibt, und in Form der
Kartierung, die von einer Kosmographie zu einer Geographie wird. Die Wieder-
entdeckung und -belebung des antiken Wissens, insbesondere der Geographia
Ptolemaios’, war hierfür entscheidend.293 Die mathematische Projektion, das Ver-
messen und Quantifizieren steht nun im Vordergrund. Das Problem der Umsetzung
einer gekrümmten Erdoberfläche in eine zweidimensionale Projektion wurde
gleichermaßen mathematisch gelöst, Ptolemaios schlägt hierfür ein Gitternetz vor,
ähnlich dem von Mercator benutzten. Alpers weist darauf hin, daß das
kartographische Gitternetz sich von den perspektivischen Gitternetzen der
Renaissance unterscheidet, da ihm der „fest lokalisierte Betrachter, der Rahmen und
die Definition des Bildes als Fenster, durch das ein außenstehender Betrachter
schaut“ fehlen.294
Neben diesem trennenden Moment ist das verbindende für uns von größerer Be-
deutung: Die Gitternetze, die auf den Karten sichtbar sind, zeugen materialiter von
einer ordnenden Weltsicht, die die Natur in ein orthogonales Koordinatensystem
einfügt. Die geometrischen Grundformen mit symbolischem Gehalt werden nun von
alles überziehenden Netzen abgelöst, die Orientierung und Wissenschaftlichkeit
bieten. Die Dimensionsveränderung führt dementsprechend zu einem Gewinn an
Objektivität – im Sinne einer Meß- und Vergleichbarkeit – und einem Verlust an
Dimensionen. Die Aufgabe der Karten sei es gewesen, Raum und nicht Zeit zu
überbrücken.295 Die Form der naturwissenschaftlichen Karte hat sich weiter durch-
gesetzt und den anderen Kartentypus fast vollständig ersetzt. Die maßstäbliche
Verkleinerung der Welt und ihre Fixierung auf die Fläche vermittelten den Eindruck
der Beherrschbarkeit. Die Karten zeigen Besitz an, sichern territoriale Ansprüche und
dienen der Kontrolle der Menschen wie auch der Natur – ein Herrschaftsinstrument
par excellence, dessen sich die Monarchen bedienten.
Die folgenden ‘königlichen’ Beispiele sollen das Vermögen des Mappings der
visualisierten Raumbeherrschung illustrieren. König Njoya (ca. 1875–1933) vom
Volk der Bamum aus dem mittleren Kamerun und Ludwig XIV. von Frankreich
nutzten Karten als Mittel der Machtdemonstration. Der Blick auf das ‘indigenous
mapmaking’ zeugt von einer doppelten Form des europäischen Einflusses.296 Die
Abbildung 29 zeigt einen königlichen Teppich mit dem Grundriß des Königspalastes
von Fumban. Die beigefügte Legende läßt eine Identifizierung der Räume des
                                                 
292
 Die Karten mancher Naturvölker sowie Mandalas oder Traumkarten sind die seltenen Ausnahmen
noch existierender holistischer Weltsicht. Peat (1992): Kap. 1, S. 19f; Jung (1976): S. 375f
293
 Die Ausführungen stützen sich größtenteils auf das Kapitel ‘Kartographie und Malerei in Holland’ in
der bereits zitierten Publikation. Die Autorin arbeitet hier die Bedeutung der Kartographie als
grundlegender Methode der holländischen Malerei heraus. Alpers (1985): S. 213–286
294
 Alpers (1985): S. 242
295
 Alpers (1985): S. 275
296
 Der Titel des im folgenden zitierten Kapitels lautet: ‘Indigenous Mapmaking in Intertropical Africa’
von Thomas J. Bassett. In : Woodward (1998): S. 24–48. Woodward selbst konstatiert das Problem der
‘westlichen Perspektive’ und der ‘cross-cultural comparisons’. (S. 7f)
182
Palastes zu: Das geometrische Muster wird übersetzbar. Woodward interpretiert
diesen Teppich als ein Zeichen des Ausmaßes der Institutionalisierung des Kartierens
in Bamum.297 Unter der Leitung des Königs habe das Volk von Bamum eine
Silbenschrift (die weniger geometrisch als ornamental ist) entwickelt und die
Kartierung des Königreichs durchgeführt.298 Die Einflüsse der Kolonialmächte sei im
Nachhinein nicht zu rekonstruieren, die Instrumentalisierung der Karte durch den
König weise aber in jedem Fall europäische Parallelen auf. Der König läßt sich mit
den Karten fotografieren, er setzt sie in Verhandlungen mit den Kolonialmächten ein
und begreift sie als Repräsentationsmittel.299 Die gezeigte textile Karte dient der
Demonstration königlicher Macht. Ihre aufwendige Herstellung macht sie zu einem
Prestigeobjekt. Die Flexibilität des Materials erlaubt die Konstituierung eines
königlichen Raumes, dort wo er benötigt wird. Das Textile dient hier also in
zweifacher Weise der Überbrückung des Raumes und – Woodward zufolge als
nostalgisches Zeichen vergangener Macht – auch der Überbrückung der Zeit.300
Die absolutistische Herrschaft Ludwig XIV. integriert die Repräsentationsfunktion
des ‘Mappings’ in eine umfassende ‘Propagandamaschinerie’.301 Die Abbildung 30
zeigt Ludwig XIV. bei einem Besuch der Académie des Sciences 1671. Da dieser
Besuch nie stattgefunden hat, hat dieses Bild keinerlei dokumentarischen, sondern
ausschließlich repräsentativen Wert. Die Person des Königs soll mit Bildung und mit
der Förderung wissenschaftlicher Forschung assoziiert werden.302 Dies geschieht
durch seine Präsenz an der Akademie und durch die gezeigten Mittel der
Weltaneignung. Die zahlreichen Karten, Globen, astronomischen Geräte und
Modelle, die ihn umgeben, symbolisieren seine Macht in Form von Territorien, die
über die Erde hinausgehen.303
Der Blick aus den beiden großen Fenstern zeigt einen typischen Barockgarten als eine
besonders ausgeprägte Form der kulturell anverwandelten Natur. Die Gärten von
Versailles markieren einen Höhepunkt vegetabiler Machtdemonstration. Für den
geometrischen Schnitt der Eiben gibt es beispielsweise zeichnerische Vorlagen.304
Der Schnitt ist ein Mittel, die Natur zu dominieren und zu idealisieren. Die Pflanzen
werden als ‘Parterre’ zu farbenfrohen Mustern angeordnet. Wörterbücher des 18. und
19. Jahrhunderts verwenden für diese Blumenparterre synonym den Begriff
‘Muster’.305 Diese Muster wurden zunächst gezeichnet und mit einem Raster
versehen. Die Linien dieses Rasters wurden in Form von gespannten Fäden auf das
Beet übertragen und anschließend das Muster selber in Form von Pflanzen.306 Die
                                                 
297
 Woodward (1998): S. 45
298
 Woodward (1998): S. 41
299
 Woodward (1998): S. 41–45
300
 Woodward (1998): S. 45
301
 Die Aufzählung soll an dieser Stelle exemplarischen Charakter haben und verzichtet deshalb auf eine
weitergehende Einordnung. Ausführliches zur Inszenierung des Sonnenkönigs bei Burke (1995) und
Apostolidès (1981 u. 1985)
302
 Burke (1995): S. 80f
303
 Alpers (1985) beschreibt den Nimbus des Wissens, der den Karten eigen sei, und bezeichnet sie als
„eine Art Abbild von Prestige und Macht“. (S. 233)
304
 vgl. Marie (1976): S. 347
305
 Grimm (1885): s.v. ‘Musterordnung’ Bd. 6 , Sp. 2764. „bei den gärtnern die abtheilung dessen was in
die muster gepflanzt wird“; Zedler (1739), s.v. ‘Muster’, Bd. 22
306
 Neubauer (1966): S. 10
183
Gestaltähnlichkeit oder eigentlich Musterkonvergenz von Blumenparterren und
Stickmustern wird in manchen Publikationen erwähnt und das Textile vom
Vegetabilen abgeleitet.307 Das offensichtlich textile Handeln – das orthogonale
Spannen der Fäden ergibt ein Raster, das einem zu bestickenden, leinwandbindigen
Gewebe entspricht – scheint lediglich in dem auch verwendeten Terminus
‘Broderiebeet’ durch. Die Musterbücher, die für die Blumenparterre angelegt wurden,
sollten auch anderen Handwerken (embroderie, tapestrie, carpenters etc.) als Vorlage
dienen.308
Durch die Kleiderstoffe und die textilen Wandbespannungen fanden die Pflanzen auf
dem textilen Wege lange vor den Zimmerpflanzen Eingang in die Innenräume.309
Teppiche können gleichermaßen als transportable Gärten interpretiert werden: Der
Fond sogenannter ‘Perserteppiche’ wird ‘Erde’ und der Rand ‘Wasser’ genannt, die
Flächen sind mit floralen Mustern ausgefüllt.310 Ein islamischer Garten sei ein
künstliches Paradies, der kosmologische Konzepte besonders durch eine
symmetrische Aufteilung repräsentiere.311 Die Garten-Teppiche zeichnen einen
besonderen Raum aus und steigern die Wirkung von Architektur und Garten.
Die schon erwähnte charakteristische Flexibilität des Textilen dient der Aneignung
von Raum und dem Transport des Raumes, z.B. in den Innenraum, aber auch von
einem zeitlichen Transport, in dem die Teppiche heute von der Gartenkunst ver-
gangener Zeiten berichten.312 Die Wechselwirkungen zwischen der Gestaltung von
Gärten und gestickten oder geknüpften textilen Mustern erscheinen sehr ausgeprägt.
Die inszenierte, demonstrativ beherrschte Natur verleibt sich der Mensch als Textiles
ein weiteres Mal ein.
Anhand der Gärten von Versailles läßt sich auch zeigen, welche Bedeutung die
Perspektive für das Mapping hat. Abgesehen von der zentralperspektivischen
Nutzung der Gartenanlagen und des Schlosses, die einzig der Glorifizierung des
Zentrums, nämlich des Königs dienen, existiert eine andere Sicht auf die Gärten.
Ludwig XIV. schreibt zwischen 1689 und 1705 sechs verschiedene Versionen von
der ‘Manière de montrer les jardins de Versailles’.313 Er gibt hiermit seine Sicht auf
die Gärten vor, verordnet sie. Sein Blick ist hierbei nicht der eines Spaziergängers,
der den Raum in Bewegung erfährt, sondern der eines Beherrschers, der den Raum in
Momentaufnahmen fixiert und ihn sich hierdurch aneignet. Er führt dieses Eigentum
zur Konsolidierung seiner Macht vor.
Der Einsatz der monarchischen Perspektive in doppelter Hinsicht dient auch der
Instrumentalisierung des Tanzes am Hof Ludwig XIV. Die Abbildung 31 zeigt den
‘Gran bal du roi’ nach einer Zeichnung des Tanzmeisters Pierre Rameau von 1725.
Der König nimmt sowohl die zentrale Stellung innerhalb des Bildes als auch des
                                                 
307
 Abegg (1978): S. 129f
308
 Abegg (1978): S. 130
309
 Parallelen bzw. Vorläufer dessen bilden die schon erwähnten Mille-fleur Tapisserien, aber auch
orientalische Gartenteppiche.
310
 Neubauer (1966): S. 10
311
 Albarn (1974): S. 50
312
 Die Radiomeldung, Prince Charles habe die Silbermedaille für einen Gartenentwurf, der durch einen
persischen Teppich inspiriert wurde, gewonnen, läßt diese Wechselwirkungen zwischen Teppich- und
Gartengestaltungen fast zu einer Art seltsamen Schleife werden.
313
 Hoog (1982)
184
Balles ein. Um dies zu erreichen, wird jeweils die Zentralperspektive, deren Wirkung
durch die Rasterung des Tanzbodens verstärkt wird, eingesetzt. Die Sitzordnung, der
Tanz, der Raum sind auf den König ausgerichtet. Er nimmt einen Platz ein, der es
ihm gestattet zu kontrollieren, zu verstehen und vorauszusehen.314 Alle anderen
Zuschauer müssen die Perspektive des Königs imaginieren – bedürfen seiner Augen
–, um die Choreographie des Tanzes erfassen zu können. Die Choreographien dieser
Tänze sind also auf einen idealen Zuschauer hin konzipiert – das klassische Ballett
hat diese Orientierung bis heute beibehalten – und auf das Erzeugen exakter
geometrischer Figuren.315 Diese Figuren, die erst die schriftliche Fixierung deutlich
sichtbar werden läßt, bilden Bodenmuster, die denen der Blumenpaterre und
Kleiderstoffe auf bemerkenswerte Weise ähneln.316
Tanzschriften
Die folgenden Ausführungen zu einer sehr speziellen Form der Kartierung sollen das
Verhältnis und die Wechselwirkungen zwischen Notation (Karte) und zu
Notierendem (dem Tanz als Zeitkunst) aufzeigen. Hierbei werden die Schritte der
Isolation und Abstraktion, die zur Notation führen, exemplarisch erläutert.
Das Muster erweist sich als Mittel der Segmentierung und Disziplinierung des
menschlichen Körpers, der menschlichen Bewegung, d.h. der Beherrschung seiner
eigenen Natur.
Claudia Jeschke definiert ‘Tanzschrift’ als eine Bewegungsschrift, die eine „Nieder-
schrift von Tanzbewegung mit Hilfe von Zeichen“ ist.317 Der Tanz habe nie eine
verbindliche Schrift entwickelt, beides – der Tanz und seine Schrift – sei immer dem
historischen Wandel unterworfen gewesen, und deshalb könne man auch nicht von
der Tanzschrift als einem primären ‘Mittel der Tradierung und Hilfe der
Reproduktion’ sprechen.318 Laurence Louppe schreibt, Tanznotationen hätten nach
allgemeiner Auffassung keinen definierbaren Status innerhalb der Kultur, besetzten
keinen Autoritätsplatz und besäßen keine symbolischen Bezüge.319 Beide Autoren
konstatieren den unerforschten Zustand ihres Themas und versuchen ihn auf un-
terschiedliche Art zu beheben.320 Diese und andere Untersuchungen zum Tanz
wurden den Ausführungen zugrunde gelegt, um die hier relevanten Aspekte
herauszuarbeiten.321
Die frühesten Tanznotationen stammen aus dem 15. Jahrhundert und gehören in
einen, wie Louppe bemerkt, typisch westlichen Zusammenhang, der die orale
Tradition als primitiv verurteilt.322 Der Tanz dient in dieser Zeit zunehmend der
                                                 
314
 Braun/Gugerli (1993): S. 150
315
 Zur Lippe (1988): S. 266
316
 Taubert (1968): S. 101
317
 Jeschke (1983): S. 44
318
 Jeschke (1983): S. 17
319
 Louppe (1994): S. 19
320
 Jeschkes Anliegen ist ein historisch-systematisierendes, das die Tanznotation der
Tanzgeschichtsschreibung als Quelle zugänglich machen soll. (Jeschke 1983: S. 18) Louppe hingegen
betont die Nichtlinearität der Entwicklung der Tanznotationen (Louppe 1994: S. 23) und ist an
Bewegungsspuren und Raumzuständen interessiert.
321
 Brandstetter (1995); Schrifttanz (1991); Braun/Gugerli (1993)
322
 Louppe (1994): S. 9, 22; Vgl. auch: Encyclopaedia Universalis (1990): s.v. ‘Choréographie’
185
Disziplinierung des Adels.323 Die Tanznotationen, die zunächst nur die höfischen
Tänze aufzeichneten, visualisieren die Mittel dieser Disziplinierung: Segmentierung
und Geometrisierung als Grundlage der Kontrolle und Berechenbarkeit. Diese
notationale Geste und ihre Nutzung des Musters gilt es zu bestimmen.324
Der Tanz ist eng verbunden mit den Begriffen der Schrift, der Sprache und der Spur,
die im ersten Abschnitt den eindimensionalen Phänomenen zugeordnet wurden. Tanz
als eine Form der Körper-Sprache hinterläßt Spuren und wird als Schrift notiert. Dem
Schreiben folgt im allgemeinen die Lektüre und die Interpretation. Anhand dieser
Begriffe wird deutlich, daß der tanzende Körper der Wissenschaft einverleibt wird,
sie verweisen gleichzeitig auf Disziplinen und Methoden.325 Schrift und Sprache
betonen das Lineare, die Notation impliziert das Zweidimensionale, wobei die
Projektionsfläche (Bodenwege, Ansichten) nicht festgelegt ist. Die Tanzbewegung
wird bestimmt durch Körper, Raum und Zeit, um sie notieren zu können, muß sie
eine Dimensionsreduktion erfahren. Dieser Weg von der komplexen Bewegung zur
Notation soll nun nachgezeichnet werden.
Das Aufzeichnen des Tanzes dient der Bewahrung (Archivfunktion), der Vermittlung
(Kommunikation) und der Komposition einer Choreographie (Entwurfsmethode).
Tanznotationen dienen also der Wiederholung zu verschiedenen Zwecken. Um etwas
Wiederholen zu können, muß ein Muster, müssen isolierbare Einheiten erkannt
werden. Beim klassischen Tanz können definierte Schrittfolgen, beispielsweise ein
‘Pas de bourrée’, als Bewegungsmuster erkannt werden. Die einzelnen
Bewegungselemente werden nun in abstrakter Form aufgezeichnet. Hierfür müssen
der Körper, der Raum und die Zeit segmentiert sowie die Perspektive festgelegt
werden. Die Perspektive, bzw. die Projektionsfläche, favorisiert entweder die
Horizontale, das Fortbewegen des Körpers im Raum, oder die Vertikale, die
Eigenbewegung des Körpers.326
Dies soll im folgenden an verschiedenen Abbildungsbeispielen gezeigt werden. Die
Abbildung 32 zeigt Carosos ‘Ballerino’ von 1605, der als der erste überlieferte Ver-
such gilt, die Bodenwege der Tänzer, ihre Spuren, graphisch darzustellen.327 Ohne
diesen Hinweis könnte man diese Skizze auch als Ornament, als ein Rosettenfenster
oder als Schmuckstück interpretieren. Die implizierte Bewegung, die diese Figur erst
                                                 
323
 Zur Lippe (1988): S. 15
324
 Historische Implikationen werden hierbei weitestgehend unbeachtet bleiben, bzw. lediglich auf
die entsprechende Literatur verwiesen.
325
 Jeschke (1983) verwendet die Begriffe Zeichen, Codes, Schriften, Notationen, Schreibmethoden und
bewegt sich in undefiniertem sprachwissenschaftlichen Gebiet. Laurence Louppes Titel ‘Traces of
Dance’ verweist auf das Immaterielle des Tanzes und betont das Defizitäre der Zweidimensionalität in
der Kapitelüberschrift ‘Imperfections in the paper’. Der Literaturwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter
geht es in ihren ‘Tanz-Lektüren’ nicht um ein Entziffern historischer Tanznotationen, sondern um das
Lesen des im Tanz bewegten Körpers, das neben das Lesen der Schrift tritt. (Brandstetter 1995: S. 22)
326
 Diese Differenzierung in zwei Hauptgruppen erscheint für die hier durchzuführende ‘Mustersuche’
sinnvoll. Jeschke, die die Systematisierung der Tanznotationen verfolgt, unterscheidet fünf
verschiedene ‘Zeichenarten’: Wortkürzel, Bodenpläne und Bodenwege, Strichfiguren, Musiknoten und
abstrakte Zeichen. Diese Zeichenarten bilden für sich oder in Kombination untereinander verschiedene
‘Schreibmethoden’ heraus, die charakteristisch für die Sicht auf die Bewegung sind.
Jeschke (1983): S. 63–107; 121–134
327
 Zu sehen ist die Anfangsstellung dreier Tanzpaare (‘Dma’ steht für ‘domina’, die Dame und ‘Cva’
für ‘Cavaliero’, den Herren) und die vorgegebene Linie des Tanzes, die von innen nach außen getanzt
wird, so daß sich die Blüte nach und nach entfaltet. Notenköpfe und griechische Versfüße (Spondeus
und Daktylus) geben den Tanzrhythmus an. Jeschke (1983): S. 191, 73
186
konstituiert, und ihre Funktion als Wiederholungsvorschrift machen sie zu einem
Muster. Caroso fasse den Tanz als räumliche Einheit, übersetze den zeitlichen
Rhythmus in einen räumlichen ‘con vera mathematica’, ganz im Sinne des
Humanismus, so seine Interpreten des 20. Jahrhunderts.328 Das vorrangige Interesse
dieser Tanznotation, und somit im Rückschluß auch das der Tänze, gilt der Fort-
bewegung im Raum, die ein bestimmtes Muster erzeugen muß. Daß die Symmetrie
hierbei eine wichtige Rolle spielt, weist Arthur L. Loeb u.a. an der gezeigten Notation
von Caroso nach. Die räumliche Symmetrie wird durch die Bodenwegszeichnungen
offensichtlich, um die zeitliche Symmetrie zu erkennen, ist eine eingehendere
Untersuchung – die Loeb durchführt – notwendig. Die Repetitionen der
musikalischen Muster korrespondieren mit Tanzfiguren und bilden eine Form
zeitlicher Symmetrien. Erst diese Rücklesung von einem statischen zwei-
dimensionalen Muster in die Bewegung, die Loeb durchführt, macht diese Qualität
des Tanzes sichtbar. Darüber hinaus bringen diese Tanzmuster Symmetrien hervor,
die mit den klassischen Theorien der Raumsymmetrien nicht zu fassen seien.329 Die
Defizite der zweidimensionalen Notation sind hier offensichtlich.
Daß Tänze sich gleichermaßen in ein Koordinatensystem einfügen lassen, auf die
gleiche Weise wie Pflanzen und die Textilien, macht die Abbildung 31 deutlich. Nur
wenige Tanznotationen verweisen auf diesen Zusammenhang, indem sie eine
dreidimensionale, also perspektivische Darstellung der Bodenwege geben. Die Ab-
bildung 33 zeigt einen ‘Ground plan with figures’ von 1727.330 Auf das Einzeichnen
der Bodenfliesen, wie bei anderen Darstellungen üblich, wurde verzichtet, ging es
doch um den pädagogischen und nicht nur um den ästhetischen Aspekt.
Die Tänzer und ihre Zuschauer nahmen jedoch diese Mustervielfalt, gesteigert durch
Musterungen an Wänden, Decken und Bekleidung, wahr. Raoul Auger Feuillet
veröffentlicht 1700 seine ‘Chorégraphie’, eine Tanznotation, deren Rezeption bis in
das 20. Jahrhundert reicht. Auch er zeichnet die musterbildenden Bodenwege nach,
gibt der Bewegung eine Richtung im Raum und – das ist das Neue – teilt den Körper
entlang einer vertikalen Achse. Die Bewegungen der rechten und linken Körperhälfte
werden entsprechend links oder rechts der Linie aufgezeichnet.
Den beschriebenen Bodenwegsnotationen folgt eine Phase, die die vertikalen
Notationsformen mit der Betonung des Körpers als Bewegungsträger bevorzugen.
Hierfür wird der Körper in verschiedenen Ansichten abgebildet, die Notationen von
Zorn oder Saint Léon sind hierfür beispielhaft.331 Im 20. Jahrhundert ist man bestrebt,
                                                 
328
 Jeschke (1983): S. 191. Oskar Bie hat mit seiner Publikation ‘Der Tanz’ (Berlin 1906) ein
Standardwerk geschaffen, Jeschke zitiert hieraus eine Passage zu Caroso. Brigitte Garski gibt eine
graphische Aufschlüsselung von Carosos Skizze, die Jeschke wiedergibt. (S. 459)
329
 Loeb (1986): S. 639
330
 Eine solche Darstellung hat zudem den Vorteil, die tanzenden Personen ‘sehen’ zu können. Die Frau
trägt einen Rock, der ihre Beine und Füße vollständig verdeckt. Das Ziel des Erlernens komplizierter
Schrittfolgen und Fußstellungen, nämlich die Disziplinierung des Adels, wird umso deutlicher. Ob
bestimmte Tänze mit den Rocklängen korrelieren, müßten Einzeluntersuchungen zeigen. Die Mode zur
Zeit Elisabeth I. könnte einen solchen Hinweis geben. Die Vorliebe der Königin für die Volta und die
Gaillarde (Tänze mit vielen Sprüngen) sind bekannt, um diese entsprechend tanzen zu können, trug sie
Röcke, die nicht bis zum Boden reichten. Die von ihr betriebene Instrumentalisierung des Tanzes und
auch der Kleidung scheinen zumindest in England Einfluß gehabt zu haben.
Braun/Gugerli (1993): Kap. 1
331
 Jeschke (1983): S. 220–235
187
die beiden Projektionsflächen miteinander zu verbinden, das Werk Feuillets
fortzusetzen, wie es Rudolf von Laban getan hat. Das Problem, vier Dimensionen auf
zwei zu reduzieren, bleibt jedoch bestehen, und die simultane Abbildung der
verschiedenen Perspektiven führt zu hoher Komplexität auf Kosten der
Verständlichkeit und somit der Wiederholbarkeit, also dem eigentlichen Ziel.
Inwieweit die neuen Medien diesen Problemen Abhilfe leisten können, wird sich
zeigen.
Der amerikanische Choreograph William Forsythe hat seine Form des Tanzens und
Choreographierens multimedial als CD-ROM aufgezeichnet.332 Anhand dieser
‘Aufzeichnung’ läßt sich nicht nur seine Arbeits-, sondern auch seine Denkweise
nachvollziehen. Die Grundlage seines Arbeitens ist das klassische Ballett. Er über-
nimmt das Segmentieren des Körpers und des Raumes.333 Mit den einzelnen
Fragmenten wird experimentiert und konstruiert. Dieser Vorgang kann nun
multimedial nachvollzogen und vom Betrachter beeinflußt werden.334 Die Voraus-
setzung seiner Choreographien ist also gerade das Bestehende, sind die Bewe-
gungsmuster, die erst durch ihre Dekonstruktion oder potenzierte Repetition als
solche gekennzeichnet werden. Er selbst zieht die Parallele zur Schrift, indem er von
der Choreographie als einem Alphabet spricht und dem Körper als einem
Schreibinstrument.335 Der Körper ist jedoch nicht nur Schreibinstrument, sondern
auch Ort der Einschreibungen. Forsythe arbeitet mit diesen Einschreibungen, mit der
Performativität des (tanzenden) Körpers.336 Auch hierin erweist sich die De-
konstruktion als Methode, die sich des Musters bedient. Das Repetitive in seiner
räumlichen und zeitlichen Ausdehnung ist für den Tanz konstitutiv und wird bei
Forsythe in reflektierender Form schöpferisch genutzt.
Anhand der Tanznotation soll des weiteren exemplarisch die postulierte Wechsel-
wirkung von Notation und zu Notierenden aufgezeigt werden. Hierbei ist vor allem
die Funktion der Notation als Entwurfsmittel zu nennen. Die Aufgabe der
Tanznotation, die Rudolf von Laban ‘Bewegungsschrift’ nennt, sei das ‘Festhalten
von Bewegungsfolgen und Tänzen’ und das Bereitstellen eines Analyse-
instrumentes.337 Das künstlerische Ziel der Kinetographie sei jedoch nicht die Tanz-
schrift, sondern der Schrifttanz.338 Die Entwicklung eines Tanzes, einer Choreo-
                                                 
332
 Im Museum des Deutschen Tanzarchivs Köln ist die CD-ROM ‘Improvisation Technologies’
installiert und steht dem Besucher zur Benutzung offen. Forsythe erklärt die Grundlagen der von ihm
entwickelten Tanztechnik anhand zweier Stücke.
333
 vgl. beispielsweise: Peters (1991). Der klassische Tanz ist vollständig systematisiert und reglemen-
tiert, bis hin zu ‘1/8 Linksdrehung der Körperfront’ oder dem ‘pas tricoté’, dem ‘gestrickten Schritt’,
der sich aus einer Vielzahl an Kleinstbewegungen zusammensetzt.
334
 Diese Beeinflussung bezieht sich vor allem auf den Wechsel der Medien, aber auch auf die zeitliche
Dimension. Vgl. „Forsythe schickt seine Tänzer in den Computer“ von Edith Boxberger, in: FAZ 15.
Januar 1995, Nr. 2, S. 25
335
 Schulze (1999): S. 223, 226
336
 Schulze (1999): S. 224f
337
 Schrifttanz (1991): Heft 1, 7/1928, 1. Jg., S. 4. Rudolf von Laban (1878–1958) war Tänzer und
Tanztheoretiker, er entwickelte die Kinetographie Laban (Labanotation). In Form der
Vierteljahresschrift ‘Schrifttanz’, die von 1928–31 erschien, sollte die neue Notation Verbreitung
finden. Laban war davon überzeugt, daß die Kinetographie Laban eine der Buchstabenschrift oder dem
musikalischen Notationssystem vergleichbare Bedeutung habe. (S. 1) Auch wenn dieser Erfolg ausblieb
und der ‘Schrifttanz’ eingestellt werden mußte, wurde die Labanotation in diesem Bereich die
wichtigste Notationsform und dient der Theaterpraxis und der Wissenschaft.
338
 Schrifttanz (1991): Heft 1, 7/1928, 1. Jg, S. 5
188
graphie sollte also nicht mehr im Raum mit einem tanzenden, experimentierenden
Körper stattfinden, sondern auf der Fläche mit einer schreibenden Geste ausgeführt
werden. Laban entwickelte mit seiner Kinetographie ein System, das Raum und Zeit
einzubeziehen suchte. Der Körper, die Raumrichtungen und die Zeit werden auf
einem Liniensystem simultan abgebildet. Dieses Liniensystem entspricht dem der
Musiknotation, „um dem Umstand Rechnung zu tragen, daß viele Tänze und
Übungsfolgen mit begleitender Musik aufgeschrieben werden müssen“.339 Den
linearen Aufzeichnungen, die von links nach rechts ‘gelesen’ werden, können
Bodenwegszeichnungen beigefügt werden, die die große von den Tänzern ausge-
führte Raumbewegung zeigen.340 Das entstehende ‘Schriftbild’ zeugt von der
Komplexität von Tanzbewegungen und der Verweigerung der sinnlichen Wahr-
nehmung durch die graphische Abstraktion. Die Abbildung 34 zeigt lediglich einen
Ausschnitt bzw. eine mögliche Ausgangsposition von sechs Tänzern, die sich die
Hände reichen. Um die Bewegungen weiter aufzuzeichnen, müßten die fünf Linien
(pro Tänzer) nach rechts verlängert werden.
Die Abbildung 35 verdeutlicht einen Aspekt der Abstraktion, bzw. ein Mittel der
Dimensionsreduktion: Der Körper wird in einer Art Explosionsdarstellung gezeigt,
die ihn seiner vertikalen Dimension beraubt. Diese Dimensionsreduktionen, die mit
der Tanznotation einhergehen respektive sie erst ermöglichen soll, sieht Laban als
Gewinn, als hilfreiches Instrument. Die Kinetographie sei die Basis für die
Präzisierungsarbeit, die eine Choreographie erfordere. Der ‘Tanzerfinder’ habe
vermittels der Kinetographie den Tanz ‘übersichtlich vor Augen’ und könne
hierdurch ‘Unklarheiten’ oder ‘Stilwidrigkeiten’ erkennen und Störungen der Linie
beheben.341
Hier läßt sich ein den frühen Tanznotationen vergleichbares, pädagogisch-
disziplinierendes Element feststellen. Laban ist um eine ‘kultivierte Tanzkunst’342
bemüht, die bestimmender Teil eines ‘Kultur- und Erziehungsprogrammes’343 sein
soll. Die Disziplinierung des Körpers wird also nicht nur am tanzenden, fechtenden,
turnenden Körper unmittelbar vollzogen, sondern über die Abstraktion
(Linearisierung, Symmetrisierung und Geometrisierung) gesteigert. Die Schönheit der
Linie, das durch die Aufzeichnung erkennbar gewordene Muster, werden zum Mittel
der Segmentierung und Disziplinierung des menschlichen Körpers und der
Gesellschaft.
Auch in diesem Sinne läßt sich die Tanznotation dem Mapping zuordnen: Vor allem
als Instrumentarium der Choreographie kann die Notation zur Herrschaftsgeste
werden. Der Choreograph gibt dem Tanz durch das Notieren eine definierte Form, die
seine Perspektive und Interpretation wiedergibt, er wird zu einem ‘Besitzenden’.344
Der notierende Blick läßt Territorien und Körper beherrschbar und manipulierbar
erscheinen. Die Zweidimensionalität vermittelt das Gefühl der Handlichkeit der Welt:
                                                 
339
 Jeschke (1983): S. 133
340
 Beschreibungen der Kinetographie finden sich bei Jeschke (1983): S. 399f oder von Laban in:
Schrifttanz 1 (1991): S. 1–20.
341
 Schrifttanz (1991): Heft 2, 10/1928, S. 19
342
 Schrifttanz (1991): Heft 2, 10/1928, S. 19
343
 Brandstetter (1995): S. 439
344
 Louppe (1994): S. 26
189
Die Weite des Raumes wird eliminiert und maßstäblich verkleinert und die vierte
Dimension ignoriert. Die Notation und insbesondere ihre musterproduzierende Form
zeigen hier deutlich ihre Möglichkeiten des Mißbrauchs. Die Organisation der
Massenbewegungen und die Instrumentalisierung der individuellen Bewegungen
werden im Zusammenhang mit den bewegten Mustern im letzten Abschnitt
behandelt.
Architekturale Karten
Die Tanznotationen bedienen sich also auch der Mittel der Linearisierung, um die
Zeit und die Projektion, um den Raum abzubilden. Hierfür wird auch ein Gitternetz,
ein Koordinatensystem, verwendet. Im folgenden sollen zwei Beispiele aus
Architektur und Tanz eine andere Möglichkeit der Dimensionsreduktion aufzeigen,
die dem zu Notierenden mit einer weniger herrschaftlichen Geste entgegentreten.
Der schon erwähnten, von Rudolf von Laban entwickelten, Kinetographie gingen
verschiedene Versuche der Tanznotierung voraus. Da Labans besonderes Interesse
den Beziehungen zwischen Raum und tanzendem Körper galt, führten seine Über-
legungen zunächst zu einer ‘Raumharmonielehre’.345 Der sich frei bewegende Körper
– sich im ‘freien Tanz’ bewegende – beschreibe einen Umraum in Kugelform.346 Um
innerhalb dieser Kugelform Richtungen eindeutig zuordnen zu können, mußte diese
Form großer Symmetrie zugunsten des Ikosaeders, des kugelähnlichsten Körpers,
aufgegeben werden. Mit Hilfe dieses aus dreieckigen Flächen aufgebauten Körpers
konnte Laban nun die Bewegungsrichtungen als ‘Schrägenschrift’ notieren. Eine
Verbindung mit anderen Notationselementen gelang ihm jedoch nicht, so daß die
spätere Kinetographie die Schrägenschrift nicht explizit mit aufnimmt.347
Von einer ähnlichen Idee scheint Buckminster Fuller (1895–1983) geleitet gewesen
zu sein, als er 1929 die ‘Dymaxion World’ entwickelte. Daß sein Projekt gelang,
erklärt sich durch die weniger komplexe Aufgabenstellung: Es ging um die Notierung
der Oberfläche der (Erd-)Kugel und nicht um die Bewegungen, die in ihrem Inneren
stattfinden.348 Die ‘Dymaxion-World’ ist eine Projektion der Weltkarte, die von
einem ausfaltbaren Globus ausgeht.349 Auch Fuller wählte die Form eines Polyeders,
des Ikosaeders mit 20 gleichseitigen Dreiecken, um die Kugel greifbar, abwickelbar
zu machen (Abbildung 36). Im Gegensatz zu anderen Formen der Körperabwicklung
(beispielsweise die in Abbildung 36 gezeigte Mantelabwicklung der Mercator-
Projektion) kann die entstandene zweidimensionale Karte auf verschiedene Weisen
zusammengesetzt werden. Hiermit sucht er programmatisch die nationalistische und
territorienbildende Orientierung der Kartographie zu umgehen. Den vorgegebenen
Blick der Weltprojektionen bezeichnet er als „konzeptuell gefrorenen
                                                 
345
 Brandstetter (1995): S. 434
346
 Jeschke (1983): S. 380
347
 Jeschke (1983):S. 383
348
 Hiermit ist keine Wertung hinsichtlich des Werkes von Buckminster Fuller intendiert, sondern
lediglich der Vergleichbarkeit der beiden Ideen Rechnung getragen worden.
349
 Der Begriff setzt sich zusammen aus DYnamic, MAXimum und IONs. Vgl. Atlas Mapping (1997):
S. 227
190
Kartenreflex“.350 Aus diesem Kartierungsprojekt entwickelte Fuller, quasi in
Umkehrung der Transformation, seine geodätischen Kuppeln. Er verläßt das
cartesianische Koordinatensystem und ersetzt es durch ein System von Tetraedern.
Diese tetraedische Geometrie bezeichnet Fuller aufgrund ihres prozessualen
Charakters als vierdimensional.
Fullers Form der Kartierung läßt sich der ‘cartesianischen Architektur’351
gegenüberstellen und mit dem Muster konkret verbinden. Mit ‘cartesianischer
Architektur’ ist hier vor allem eine Architektur gemeint, die als Grundlage des
Entwurfs Grundrisse, Aufrisse und Schnitte verwendet, also die Perspektive
definiert.352 Eine solche Architektur setzt Flächen voraus, die mit einem Raster
überzogen werden können. Architekten, die sich anderer Entwurfsmethoden be-
dienen, wie beispielsweise Peter Eisenman, kritisieren diese Tabula-rasa-Mentalität,
die die Natur, aber auch den städtischen Raum zweidimensional und hierdurch
statisch denkt.353 Hier schließt sich nun der Kreis: Der Architekturprofessor Paul
Virilio trägt der den Raum konstituierenden Bewegung durch seine Beschäftigung
mit der Labanotation Rechnung: Um die Grundrisse und Schnitte zu ergänzen,
schlägt er eine Qualifizierung des Raumes im Sinne Labans vor.354 Eine Studie, die
die diversen Formen der Repräsentation von Architektur untersucht, fehlt bis heute.355
Auch hier geschahen nur Andeutungen, auf Buckminster Fuller wird zu-
rückzukommen sein.
Mnemotechnische Karten
Wie sehr die Auffassung des Raumes als architektonisch gestalteter Ort, als
kartographierbare Zweidimensionalität verinnerlicht wurde, zeigt sich in dem Be-
dürfnis, die eigene Wohnung, eine Wegbeschreibung oder den geplanten Garten als
Karte zu imaginieren. Der angebliche Erfinder der Gedächtniskunst – Simonides –
erklärt dies mit seiner Erkenntnis, „daß eine planmäßige Anordnung entscheidend für
ein gutes Gedächtnis“ sei.356 Mit dem Anlegen mnemotechnischer Karten
beschäftigen sich verschiedene Wissenschaftsgebiete und zahlreiche Publikationen.357
Die Verbindung zum Muster soll im folgenden über die Idee des Gedächtnisortes und
durch ein konkretes Beispiel einer mnemotechnischen Karte hergestellt werden.
Die Geschichte, die Simonides von Keos (556–468 v. Chr.) zum ‘Begründer des
Faches der Mnemotechnik’ gemacht hat, existiert in vielen Versionen.358 Sowohl
                                                 
350
 Arch+ 116 (1993): S. 56. Der Fuller-Experte Joachim Krausse stellt das Werk Fullers in
Zusammenhang mit anderen ‘Gebauten Weltbildern’ dar.
351
 Arch+ 116 (1993): S. 79
352
 Hiermit ist noch nichts über die weitere Notation (ob als Mittel der Archivierung oder des Entwurfs)
von Architektur gesagt.
353
 Eisenman beschreibt in ‘Unfolding Frankfurt’ seine Entwurfsmethode, mit Hilfe der Idee der Falte
die cartesische Ordnung aufzubrechen. Geib/Kohso (1991): S. 12
354
 Arch+ 124/125 (1994a): S. 46
355
 Grabar (1992): S. 174f, 274
356
 Yates (1990): S. 11
357
 Neben Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Geschichte beschäftigen sich Psychologie,
Medizin und Kognitionswissenschaft mit diesem Thema. Die Publikationen von Yates (1990) und
Assmann (1999) wurden den Ausführungen zugrunde gelegt; sie enthalten zahlreiche Literaturhinweise.
Einen Überblick gibt Fleckner (1995).
358
 Yates (1990): S. 35. Yates weist Simonidis diese Bedeutung zu und beruft sich u.a. auf Cicero,
Quintilian, Plinius und Marcellinus. Simonidis habe zu Ehren seines Gastgebers ein Gedicht
191
Quintilian als auch Cicero leiten ihre Ausführungen zum künstlichen Gedächtnis mit
ihr ein.359 Die Historikerin Frances Yates beginnt gleichermaßen mit dieser
Geschichte und beschreibt in der Folge die lateinischen (Quintilian – Institutio
oratoria, Cicero – De oratore und der anonyme Text Ad Herennium) und
griechischen Quellen der Gedächtniskunst, um deren Rezeption im Mittelalter und
ihre Bedeutung für die Renaissance, der das Hauptaugenmerk ihres Buches gilt, dar-
zulegen. Sie schreibt, die allgemeinen Prinzipien der Mnemonik seien leicht zu
verstehen. „Der erste Schritt war, dem Gedächtnis eine Reihe von loci, Orten, ein-
zuprägen. Der gängigste, wenn auch nicht der einzige Typ des mnemonischen
Ortssystems war der architekturale.“360 Diese Feststellung ist für uns entscheidend, da
diese Idee der ‘topologischen Wissensorganisation’361 das Anlegen von Karten
ermöglicht. Die Aneignung des Raumes kann aktiv oder fiktiv geschehen, die an-
schließende mnemotechnische Nutzung macht ihn zu einem Gedächtnisort.362 Die
Form der Darstellung, das Aussehen der Karte, variiert wie bei den geographischen
Karten.363 Die abgebildeten Orte, die jeweils mit einem Bild verbunden werden364,
bilden eine Reihe. Diese Ordnung garantiert die Memorierung, die Wiederholung als
exakte Wiedergabe. Karten, oder andere abgebildete räumliche Vorstellungen als
Mittel der Mnemonik zu nutzen, gehen von einer Überlegenheit des Gesichtssinns
aus. Akustische und motorische Gedächtnisstützen werden zugunsten der visuellen
Wahrnehmung vernachlässigt.365
                                                                                                                                      
vorgetragen und danach den Festsaal verlassen. In seiner Abwesenheit brach das Dach des Saales ein
und tötete alle Gäste. Der Zustand der Leichen ließ keine Identifizierung zu, Simonidis konnte sich
jedoch an die Sitzordnung erinnern und den Verwandten die Angehörigen zeigen. Dies habe ihn auf die
Prinzipien der Gedächtniskunst gebracht. (S. 11)
359
 Yates (1990): S. 27
360
 Yates (1990): S. 12. Wie konkret diese architekturale Vorstellung war, zeigt sich beispielsweise in
dem Begriff des ‘Thesaurus’, der in der Antike ein „kleines Gebäude in einem Heiligtum zur
Aufbewahrung von kostbaren Weihgaben“ (Duden 1990) bezeichnete und heute die geordnete
Sammlung von Wörtern eines Fachbereichs.
361
 Assmann (1999): S. 28f. Dieser von Assmann geprägte Begriff dient der Charakterisierung der
Gedächtnisorte, die Yates untersucht im Gegensatz zu den Orten des Erinnerns und der Identität, deren
Ahnherr nicht Cicero, sondern Nietzsche sei.
362
 Als aktiv wird hier die Methode bezeichnet, die sich bekannter, erlebter Orte bedient im Gegensatz
zu den fiktiven Orten, die aus Mangel an wirklichen Orten neue konstruieren. Yates (1990): S. 16.
Yates stellt eine Verbindung der Orte der Mnemonik zur Topik der Dialektik her: „Topik ist die Lehre
von den Dingen oder Themen der Dialektik, die wegen der Orte, an denen sie aufbewahrt wurden, als
topoi bekannt geworden sind.“ (S. 37)
363
 Die Publikation von Yates (1990) zeigt verschiedene Abbildungen solcher Karten, die als Grund-
risse, Schnitte oder perspektivische Darstellungen auftreten. Die Korrespondenzen zur Entwicklung der
Kartographie müßten überprüft werden.
364
 Yates (1990): S. 16f. Es müssen für das zu Memorierende Bilder gefunden werden. Yates beschreibt
die verschiedenen Methoden.
365
 Illich (1991) beschreibt solche von akustischen (textilen!) und motorischen begleiteten Vorgänge im
monastischen Umfeld. „Schon nach wenigen Wochen wird das Kind das Rascheln der Kutten am Ende
jedes Gebets mit dem Sich-Erheben der Mönche und dem gloria patri verbunden haben. Die
rhythmische Wiederholung des Sich-Erhebens und Verbeugens und ihr Zusammenfallen mit einem
kleinen Kanon kurzer Formeln waren für den Novizen leicht mit frommen Gefühlen und Praktiken
assoziierbar, noch bevor er die Bedeutung der lateinischen Worte ausmachen konnte.“ (S. 69)
Bezeichnenderweise ist hier implizit nicht das Memorieren, sondern das Erinnern gemeint. Yates (1990)
bestätigt indirekt diese Differenz, indem sie schreibt: „Wer ist jener Mensch, der langsam in dem
einsamen Gebäude umhergeht und mit angespannter Miene immer wieder stehenbleibt? Es ist ein
Rhetorikschüler, der sich einen Vorrat an Gedächtnisorten aufbaut.“ (S. 16) Die Bewegung, das
motorische Moment als solches hat bei dieser Technik keine Funktion, die Imagination der Bilder ist
entscheidend.
192
Dieser Ausschluß entspricht laut Assmann dem Ziel der Mnemotechnik, nämlich
Input und Output zu vollständiger Kongruenz zu bringen. Geräusche und Handlungen
würden die Dimension der Zeit miteinbeziehen und somit eine Differenz erzeugen.366
Auf die Differenz von Erinnern und Gedächtnis wurde schon in Zusammenhang mit
Platons Schriftkritik hingewiesen.367 Die Erfindung der Schrift führe demnach zu
einer Vernachlässigung des Gedächtnisses.
Das folgende Zitat soll nun auf das Muster und die Schrift in ihrer Eignung als
mnemotechnisches Mittel hin gelesen werden.
„Vier Dinge verhelfen einem Menschen zu einem guten Gedächtnis. Das erste: Er sollte die Dinge,
die er im Gedächtnis behalten will, in einer bestimmten Ordnung ausbreiten. Das zweite: Er sollte
mit Hingabe bei ihnen verharren. Das dritte: Er sollte sie auf außergewöhnliche Bildvorstellungen
zurückführen. Das vierte: Er sollte sie in häufigem Überdenken wiederholen.“368
Diese vier Regeln auf die Schrift anzuwenden fällt schwer: Das zu Memorierende zu
verschriftlichen bedeutet, es eben nicht auszubreiten und eine passende Ordnung zu
finden, sondern es einer bestehenden Ordnung zu unterwerfen. Das Schreiben und
Lesen durcheilt die Zeilen und verharrt selten um das Ganze zu betrachten. Die
Bildvorstellungen werden durch die Beschreibung linearisiert und somit als Bilder
zerstört. Und die Wiederholung ist genau das, was man sich mit der Schrift ersparen
möchte.
Das Muster erscheint im Vergleich hierzu als geeignetes Mittel der Gedächtniskunst:
Eine Ordnung folgt einem definierten Muster, das mit dem Inhalt korrespondiert. Die
Komplexität und die unendlichen Möglichkeiten des Musters laden zum Verharren
ein. Die Außergewöhnlichkeit der Bildvorstellungen und ihre Repräsentationsform
kann der Memorierende selbst bestimmen. Die Wiederholung ist das
Charakteristikum des Musters, die Wahl des Musters als Mittel impliziert die
Nutzung der Repetition.
Die Abbildung 37 zeigt eine Form der mnemonischen Karte, die zwar mit Sicherheit
nicht Thomas von Aquins Vorstellungen wiedergibt, sie jedoch für uns illustriert. Der
Autor Thomas Bassett führt diese Kartenform als taktile und visuelle Hilfsmittel der
Mythen- und Geschichtserzählung mancher Gesellschaften ein.369 Dem wäre die
motorische und temporäre Komponente hinzuzufügen, da diese ‘Karten’ auch auf den
lebendigen Körper in Form von Narbenzeichnungen aufgebracht werden.370 Die
Rückenansicht der Holzfigur gibt den Verlauf des Migrationsweges der mythischen
Vorfahren der Tabwa, eines Bantu-Volkes im Kongo, wieder. Das V-förmige Muster
wird während eines Initiationsritus auf den Körper (auf Rücken und/oder Brust)
aufgebracht. Die das V durchschneidende senkrechte Linie trennt Osten von Westen
und Links von Rechts. Diese Trennung steht für eine grundsätzliche oppositionelle,
                                                 
366
 Assmann (1999) stellt demzufolge dem mnemotechnischen Verfahren des Speicherns den Prozeß des
Erinnerns gegenüber. (S. 29)
367
 Für eine vertiefende Zusammenführung dieser Aspekte muß auf die bereits zitierte Literatur
verwiesen werden: Yates (1990), Assmann (1999), Assmann/Hardmeier (1983), Havelock (1990)
368
 Giovanni di San Gimignano, Summa de exemplis ac similitudinibus rerum, Lib. VI, cap. xlii, zitiert
nach: Yates (1990): S. 84. Yates schreibt, San Gimignanos Zitat der thomistischen Gedächtnisregeln sei
das älteste (14. Jh.) bekannte.
369
 Thomas J. Bassett: ‘Indigenous Mapmaking in Intertropical Africa’, in : Woodward (1998): S. 24–48
370
 Die Publikation enthält eine Fotografie einer Tabwa-Frau, deren Rücken eine in der Linienführung
identische Karte aufweist. Woodward (1998): S. 30
193
dichotomische Struktur. Die Linie selber verweist auf eine Nord-Süd-Ausrichtung der
Migration der Tabwa, die sie für die Anlage ihrer Dörfer übernehmen.371 Diese Form
der Kartierung erfüllt in besonderer Weise die Anforderung an eine Gedächtnishilfe.
Die Ordnung ist eine geometrisch orientierte, die auf den dreidimensionalen Körper
aufgebracht wird. Das Verharren bringt die Materialität dieser Karte mit sich: Die
Narben bleiben lebenslang sichtbar, und der ‘Akt des Zeichnens’ selbst wird durch
seine Ritualisierung zu einem zu Erinnernden. Die Bildvorstellungen nähren sich aus
den Mythen und Sagen des Volkes, integrieren kosmische, geographische und
religiöse Bilder. Die Wiederholung schließlich ist eine mehrfache: Die Ausgestaltung
der Linien bildet eigene Muster, also Wiederholungen. Die Ritualisierung wiederholt
den Vorgang des Musteraufbringens in der Zeit. Die erzählerische Wiederholung der
Geschichten macht diese Karten zu Gedächtniskarten.
Geometrie
Die konkreten Verbindungen, die sich aus Fullers Beschäftigung mit der Vier-
dimensionalität und den Tetraedern zum Muster und zum Textilen herstellen lassen,
entstammen sehr unterschiedlichen Bereichen, ihr verbindendes Moment ist die
Geometrie.372 Fullers Absicht, für die Dymaxion-Karte die sphärischen Daten der
Erdkugel in die Fläche zu übertragen, orientierte sich an einem Großkreiskonzept der
Projektion. Eine Form der Visualisierung dieser sphärischen Geometrie sind
Flugbahnen moderner Flugzeuge. Die abstrakten Flugbahnen bilden Großkreismuster,
die nicht nur Fuller inspirierten. Für ihn, der an Verlaufsformen und energetischen
Strömungen interessiert war, stellten diese Großkreise „Verteilungsmuster von
Energie“ dar und ihre Schnittpunkte „energetische Ereignisse“.373 Das entscheidende
hierbei sei das Prozessuale, die Transformation, deren ‘patterns’ Fuller erforschen
wollte. Das Muster wird hier als Mittel der Visualisierung dynamischer, komplexer
Vorgänge genutzt. Auch der New Yorker Künstler John Tremblay nutzt das Muster in
diesem Sinne, unter Berufung auf Fuller, Virilio und Albers. Die Form griechischer
Labyrinthe, Pucci-Muster374, vor allem aber Flugbahnnotierungen inspirieren sein
Werk. Die immateriellen Kreise sogenannter ‘airplane holding patterns’ oder die
Zielflugbahnen von Raketen setzt er in Skulpturen oder betont flächige Muster um.375
Seine Rücklesung extrem bewegter Raummuster in zwei Dimensionen läßt diese
Bewegungsdichte erst sichtbar werden.
Die schon erwähnte tetraedische Geometrie Fullers könnte auch als Muster-Geo-
metrie bezeichnet werden: „Er (Fuller, Anm. K.K.) sieht das Tetraeder nicht als
Körper, sondern als ein Muster, das die Tendenz hat, aufzutauchen, sich auszubreiten,
                                                 
371
 Woodward (1998): S. 31
372
 Es erscheint sinnvoll, den Abschnitt über die Geometrie der Karte zuzuordnen, geht es ihr doch
vorrangig um Formen und ihre graphische Darstellung. Der Zahl ist ein eigenes Kapitel gewidmet.
373
 Arch+ 116 (1993): S. 64
374
 Die Arbeit von Emilio Pucci wurde bereits besprochen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammen-
hang, daß Pucci auch Pilot war und deshalb sowohl mit der Perspektive aus dem Flugzeug als auch mit
den Flugbahnmustern vertraut war.
375
 Wallpaper (2000): S. 67
194
wiederzukehren; er hat keine Problem zu sagen: ‘es tetraedert’.“376 Von seiner
Arbeitsweise, der Suche nach Strukturen, und seinen Ideen inspiriert, entdeckten
Chemiker in den 1980er Jahren Kohlenstoffmoleküle, die sie nach ihm benannten: die
Buckminsterfullerene.377
Die dem Muster inhärente Dynamik wird noch thematisiert, an dieser Stelle galt das
Augenmerk der innovativen Kraft des auftauchenden bzw. des wiederkehrenden
Musters, wie Fuller oder die erwähnten Chemiker sie nutzten.
Über den Begriff der Dimension geschieht abschließend die Rückbindung an das
Thema dieses Kapitelabschnittes, die Karte. Die Karte wurde als Mittel der (Welt-)
Ordnungserzeugung eingeführt, die den Raum ordnet, indem sie ihn zu einem Ort
macht. Sie tut dies vermittels der Dimensionsreduktion. Die Reduktionsform läßt
Rückschlüsse auf den Karten-Macher und seine Intention zu, ist als Schlüssel zur
Interpretation einer Karte zu verstehen. Das Weltbild, die eingenommene Perspektive
und damit verbunden das Verständnis von Geometrie spiegeln sich in den Karten
wider. Die Entwicklung, die hierbei zu verfolgen ist, führt von ganzheitlichen, Raum
und Zeit verbindenden Vorstellungen hin zu einer fragmentarischen, natur-
wissenschaftlichen Sicht der Welt.
Diese Entwicklung wird von einem ‘Bild des Gitters’378 begleitet: Die Perspektiven-
gitter der Renaissancemaler bannten die Welt in einen Rahmen, Descartes faßte sie in
ein Koordinatensystem. Die projektive und die cartesische Geometrie, die es erlaubte,
Geometrie mittels Algebra zu betreiben, veränderten die Sicht auf die Welt
grundlegend und führten zu einem naturwissenschaftlichen Weltbild. Wie gezeigt
wurde, läßt sich die Idee des orthogonalen Gitters auf textile Techniken zurückführen,
die Vermutung eines Zusammenhangs der Dominanz von naturwissenschaftlichem
Weltbild und der Technik der Weberei wurde bereits ausgeführt. Das Einführen
anderer Geometrien sowie die Suche nach den Ursprüngen der Geometrie diente dem
Aufzeigen alternativer Modelle. Analog zu der Assoziationsreihe ‘rechter Winkel’ –
Weberei – Zentralperspektive – geographische Längen- und Breitengrade –
Koordinatensystem ließe sich eine andere aufbauen: 60°-Winkel – Flechten –
Raumerzeugung – Dymaxion – variable Vernetzungen. Die Flexibilität und
Variabilität der Netze bzw. der textilen Techniken eröffnen neue Wege, die sich die
Architektur zunutze macht und die sich auch in neueren Forschungsbereichen, die im
nächsten Abschnitt behandelt werden, auffinden lassen. Buckminster Fullers
Architektur wurde bereits vorgestellt, er wählte das Tetraeder um das
Koordinatensystem zu ersetzen.379 Virilios Beschäftigung mit der Labanotation weist
in dieselbe Richtung: Der Raum soll nicht als Ort, der im kartesianischen System als
Grundriß oder Schnitt festgehalten wird, sondern als Bewegung aufgefaßt werden.
Die Beschäftigung mit den verschiedensten Karten hat gezeigt, daß Karten trans-
formierte Wirklichkeit in zweidimensionaler Form wiedergeben. Die Karte stellt die
komplexeste Form der zweidimensionalen Notationsformen dar, da sie die Integration
anderer Notationsformen erlaubt und praktiziert. Louis Marin stellt aus diesem Grund
                                                 
376
 Arch+ 116 (1993): S. 64
377
 Hargittai (1992): S. XV
378
 Peat (1992): S. 29
379
 Arch+ 116 (1993): S. 64
195
auch die Frage nach dem Umgang mit Karten, ob man sie lesend oder sehend
wahrnehme. Um diese Frage zu beantworten, macht er aus der Karte zunächst einen
Text, der mit der Metapher des Textilen greifbar gemacht werden soll. Hier ist es die
kartographische Verbindung von Sprache und Bild, die ein Gewebe hervorbringt –
eine beliebte Version der Gewebe-Metapher, die zwei Elemente als Kette und Schuß
zusammenführt. Der Blick auf die Karten und auf die textilen Techniken hat jedoch
einen anderen Zusammenhang als den von Marin erwähnten offenbart: das
orthogonale System, das die Welt einem Gewebe gleich überzieht. In dieser Hinsicht
erscheinen auch andere positive Wertungen des Mappings als kurzsichtig, bzw.
fordern eine differenzierte Sicht auf die Karten. Die Hinwendung zum Raum als
Ablösung vom Linearen ist positiv konnotiert und verbindet sich beispielsweise mit
der Idee des Karten-Machens, des ‘Rhizom-Machens’, wie es von Deleuze/Guattari
vorgeschlagen wird.380 Die Autoren beschreiben das Rhizom als Karte, deren
Charakteristikum ihre Offenheit sei: „[...] sie kann in allen ihren Dimensionen
verbunden, demontiert und umgekehrt werden, sie ist ständig modifizierbar.“381
Wie bereits erwähnt, verfolgen die Autoren diese Idee der unbegrenzten
Dimensionsentfaltung auch in anderen Schriften und sprechen von Ebenen, Flächen,
Karten und Plateaus und klagen hiermit die lineare Form des Buches an.382 Alle diese
Begriffe verbinden sich jedoch mit dem Zweidimensionalen, ihre Modelle sind nicht
in der Lage, rhizomatisch zu wuchern. Das Bild des Rhizoms hat sich trotzdem
durchgesetzt und erfreut sich großer Beliebtheit. Wolfgang Welsch konstatiert die
territoriale Geste, die historisch mit kartographischen Vorhaben einhergegangen sei,
die aber heute aus Mangel an abgrenzbaren Territorien und Ländereien keine
Gültigkeit mehr besitze.383 Die territoriale Metapher der Karte werde ersetzt durch das
Gewebe, das Netz und das Rhizom.384 Wenn jedoch das Rhizom eine Karte ist und
die Karte ein Gewebe, dann hat sich nichts geändert. Und das Netz gerät in eine
metaphorische Beliebigkeit, die dem Textilen anzuhaften scheint.
Da sich diese Arbeit unter anderem um eine präzisere Verwendung textiler Meta-
phern bemüht, sollen hier einige Überlegungen angestellt werden. Für das Rhizom als
Denkmodell eine Metapher zu suchen, ob im textilen oder einem anderen Bereich,
erscheint nicht sinnvoll bzw. als eine unnötige Doppelung. Eine adäquate textile
Entsprechung existiert nicht als etablierte Technik, als textiles Muster. Die
Materialeigenschaften des Textilen würden jedoch eine Nachbildung eines Rhizoms
erlauben, damit würde sich der Gehalt jedoch auf ein rein mimetisches Moment
reduzieren. Im Zusammenhang mit der Geste des Kartierens läßt sich ein sehr viel
weitergefaßter textiler Begriff, der des Schnittes, anwenden. Das Charakteristische
der Karte, aber auch des Bildes, seit dem Mittelalter, ist ihre Begrenzung, das
ausschnitthafte Sehen, der Verlust des Ganzheitlichen. Der Schnitt erscheint hier als
ein Mittel der Reduktion. Im Text erfüllt er gleichermaßen die Aufgabe, einen
leichteren Zugang zu schaffen. In der Geographie eröffnet er die Möglichkeit der
                                                 
380
 Cosgrove (1999): S. 5
381
 Deleuze/Guattari (1977): S. 21
382
 Deleuze/Guattari (1992): S. 19
383
 Welsch (1995): S. 643, 942
384
 Welsch (1995): S. 943
196
Mantelabwicklung. Ein ähnliches Abwickeln des Körpers ist die Grundidee von
schnittechnischen Systemen des 19. Jahrhunderts. Dem voraus geht die Idee des
Zuschnitts von Bekleidung.385 Das Schneiden erscheint hier als Voraussetzung zur
Überführung eines Dreidimensionalen in ein Zweidimensionales. Mit der Wahr-
nehmung dieser Reduktion als Verlust entsteht ein erneutes Verlangen nach Ganzheit.
Aus dem Bereich der Kartierung seien ausblickend zwei letzte Beispiele genannt, die
diesen Anspruch einzulösen versuchen.
Cybergeographie
Die verschiedenen Publikationen zum Mapping zeugen vom ‘spatial turn’ und sehen
in der Karte das geeignete Medium für die Wende. Ähnlich den Hypertext-
Vorstellungen soll das Mapping zu einer Möglichkeit werden, unterschiedlichste
Räume zu betreten. „Der Kartenleser schlüpft in die vielschichtigen Identitäten, die
wir potentiell in uns haben: Dem gleichen Raum gegenüber kann er mal zerstreuter
Pendler, mal neugieriger Entdecker, mal Flaneur, mal Tourist, mal Stadtwanderer und
mal ständiger Besucher sein.“386 Aber noch liest er eben die Karten, bedient sich eines
zweidimensionalen Mediums. Ein noch junger Wissenschaftszweig, die
Cybergeographie, untersucht den Cyberspace, beginnt, seine Begriffe zu definieren
und Meßinstrumentarien zu entwickeln. Die begriffliche Durchdringung bzw. seine
Konstitution durch Raummetaphern macht den Cyberspace zu einem Forschungsfeld
der Geographie. Mit der Vermessung, als klassischer Aufgabe, wurde schon
begonnen: Der ermittelte Durchmesser des WorldWideWeb beträgt 19 Klicks, es ist
somit ein ‘small-world network’. Die zweite Aufgabe, deren praktischer Nutzen noch
offen ist, ist nicht weniger klassisch: die Visualisierung des Netzes selber.387 Diese
Karten zeigen die weltweite Verteilung des Internet seit dessen Beginn. Die letzte
Karte aus dem Jahr 1997 zeigt, daß nur noch vereinzelte Länder (Somalia, Nord-
Korea, Iran, Irak) nicht im Netz sind. Die neue Aufgabe sei nun, die ‘internet
connectivity’ auf kleinerem Maßstab genauer zu untersuchen.388 Die Entwicklung
dieser Wissenschaft und seine Nutzungsmöglichkeiten müssen zeigen, ob die
begrifflichen Raumvorstellungen sich als ein theorien- und methodenbildendes
Leitbild eignen und der Geographie als Chorologie bedürfen.
Innerhalb der Geographie, als etablierte Wissenschaft der Erdvermessung und -be-
schreibung, werden auch neue Wege beschritten und neue Medien genutzt, die die
zweidimensionale Karte ablösen sollen. Ein im Jahr 2000 durchgeführtes, von der
Presse vielbeachtetes Gemeinschaftsprojekt verschiedener Raumfahrtorganisationen
dient der Erstellung einer dreidimensionalen Weltkarte von erhöhter Präzision. Die
eingenommene Perspektive ist prinzipiell keine neue, die moderne Luftfahrt und die
Filmkamera veränderten den wissenschaftlichen und kulturellen Blick im letzten
Jahrhundert,389 der Gewinn liegt in der Datenmenge, die geliefert und verarbeitet
wird. Die genaue Kenntnis der Welt ist nach wie vor also Ziel der Kartierung.
                                                 
385
 hierzu ausführlich: Kraft (2001)
386
 Atlas Mapping (1997): S. 2
387
 http://www.cybergeography.org; http://mappa.mundi.net; http://www.giub.uni-bonn.de
388
 http://www.mappa.mundi.net/maps_011
389
 Cosgrove (1999): S. 5
197
Besonders in ihrer militärischen Nutzung wird der Zweck solcher Karten, ihre
territoriale Machtgeste noch einmal deutlich. Als dreidimensionale Karte macht sie
die Erde virtuell erfahrbar, schließt jedoch die vierte Dimension aus, täuscht die
Bewegung nur vor.
Die Abbildung 38 zeigt eine gänzlich andere Form der dreidimensionalen Kartierung.
Diese Holzschnitzerei aus dem 19. Jahrhundert wurde von den Ammassalik Eskimos,
einer Gruppe grönländischer Inuit, angefertigt. Die Interpretation dieser unüblichen
Karten ist vage und erklärt nicht ihre Dreidimensionalität.390 Die Zweigeteiltheit der
Karte, das Küstenstück und die Inselreihe, ermöglichen die Darstellung der
Bewegung, verdeutlichen die Sicht aus dem Schiff auf das Festland und die Inseln.
Diese Manipulationsmöglichkeit und die Ausführung in Holz könnte dem Umstand
Rechnung tragen, daß das Eis veränderlich ist, Eisberge sich bewegen, Fjorde von
Eisschollen blockiert sein können.
Dieser lange Blick auf die Karten, der fragmentarisch ist und sein muß, hat gezeigt,
daß Karten der Darstellung von Raum zu bestimmten Zwecken dienen. Die Viel-
fältigkeit des zu kartierenden Materials bedingt die Varietät der Karten, ihrer
Materialität und Repräsentationsformen. Hieraus leitet sich gleichermaßen die Größe
des nicht klar abgegrenzten Forschungsgebietes ab. Die gezeigten Beispiele
beschränkten sich auf die Bedeutung des Musters und verweisen auf seine Indika-
torfunktion. Die Verwendung von Mustern in der Darstellung von Raum zeugt von
zwei unterschiedlichen Raumwahrnehmungen. Die eine soll hier als mehr-
dimensionale Sicht charakterisiert werden: Sie versucht nicht nur den wahrge-
nommenen dreidimensionalen Raum, sondern auch die Zeit, andere Räume (den
Himmel, das Totenreich) und Ideen mitabzubilden. Dieses Abzubildende wird
abstrahiert, z.T. geometrisiert und durch einen Repetitionsvorgang zum Muster
gemacht.
Die andere Sicht ordnet den Raum, indem sie eine Dimensionsreduktion vornimmt.
Die Art der Rückführung zu identifizieren, die Perspektive des Kartenmachers zu
erkennnen, dient der Interpretation einer Karte als Grundlage. Als Beschreibung der
Erde, als geographische Karten, die die ‘naturgetreue’ Wiedergabe zum Ziel haben,
bilden sie keine Muster ab (außer vielleicht in ihren Legenden, die Muster als visuelle
Codierung nutzen), aber sie regen zur Erzeugung von Ordnung, zur Erzeugung von
Mustern an. Das Anlegen eines Blumenbeetes und das Drehen von Pirouetten
erscheint hier als ein vergleichsweise harmloser Eingriff in die Natur. Die
Ausführungen haben jedoch gezeigt, daß neben dieser ästhetischen Nutzung auch
immer eine herrschaftliche, dogmatische, unterwerfende möglich ist. David Gugerli
und Daniel Speich zeigen am Beispiel der Schweiz, wie die Kartographie auch
außerhalb feudalistischer Systeme instrumentalisiert wurde.391 Der
Repräsentationsraum der kartographierten Schweiz diente der Identifikation und
hierdurch der Bildung der Nation, der „Steigerung von Machtpotentialen des
                                                 
390
 Woodward (1998): S. 168. Diese Karte enthalte auch weniger offensichtliche Informationen,
beispielsweise markiere sie Häuserruinen, die als Materialquelle dienen, und Kajaklandwege.
391
 Gugerli/Speich (1999) beschreiben den Synergieeffekt der beiden Repräsentationsräume Landes-
ausstellung und Karte in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. „Im (kartographisch) ausgestellten Land der
Landesausstellung entstand die Nation.“ (S. 73)
198
Nationalstaates.“392 Die von den Autoren und hier benannten Elemente sind über-
tragbar, da sie die Grundbedingungen des Kartierens betreffen: die intentionale
Homogenisierung eines Heterogenen.
Das Muster, sein repetitiver Charakter, indiziert den Ordnungswillen und damit
verbunden den Willen zur Macht. Das orthogonale Muster, das Gitternetz, das
Koordinatensystem erscheinen hier ein weiteres Mal als ‘Meta-Muster’.
Das Muster kann demnach beim Mapping als Indikator oder als Parameter für die
Form der Aneignung der Natur (die Natur des Menschen eingeschlossen) durch den
Menschen fungieren.
Die Zahl
Der letzte Abschnitt über die zweidimensionalen Notationsformen beschäftigt sich
mit den Zahlen. Diese Stellung innerhalb der Gliederung erhielt die Zahl nicht aus
historischen Gründen, sondern aufgrund ihrer vielfältigen Möglichkeiten, die sie
unter anderem dazu befähigen, den Übergang von der zweidimensionalen Notation
zum mehrdimensionalen Muster zu vollziehen. Dieser Übergang entspricht einer
bestimmten Auffassung, was Mathematik ist. Devlin schreibt, die Mathematik sei bis
etwa 500 v. Chr. eine Wissenschaft der Zahlen gewesen, seit etwa zwanzig Jahren sei
sie eine Wissenschaft der Muster.393 Die folgenden Ausführungen zur Zahl sollen
zum einen die Zahl als Notationsform beschreiben und kontextualisieren und zum
anderen ihre Rolle innerhalb der ‘Muster-Mathematik’, die im nächsten Kapitel
behandelt wird, veranlagen.394
Quantität und Qualität
Der Astronom John D. Barrow geht bei Menschen – und auch einigen Tieren – von
einem natürlichen Sinn für Zahlen aus, mit dem die An- oder Abwesenheit kleiner
Mengen von Dingen erfaßt werden könne.395 Der menschliche Körper dient hierbei
nachweislich als Hilfsmenge. Insbesondere die Hand ist für die Vorgänge des
‘Zuordnens’ und des ‘Bündelns’ und somit für die Vorbegriffe des Zählens und der
Entwicklung des Dezimalsystems (Pentadaktylie) von zentraler Bedeutung.396
Kerbhölzer dienten dazu, das mit den Fingern gezählte (zugeordnete) zu fixieren,
unterschiedliche Formen der Kerbungen verweisen auf die Bündelung des Gezählten.
Die ältesten Artefakte, die rhythmische Äußerungen als vergleichend zählende
Notation interpretieren, stammen aus dem 35. Jahrtausend v. Chr.397 Aus dem 9.
                                                 
392
 Gugerli/Speich (1999): S. 53.
Siehe auch: http://www.tg.ethz.ch/Forschung/dufour/measuring_the_land.htm
393
 Devlin (1998): S. 2f
394
 Eine chronologische oder historische Darstellung der Zahl kann hier nicht geleistet werden. Die
Literatur zu diesem Thema ist mehr als umfangreich. Die hier getroffene Auswahl ist von der
Argumentation und nicht von dem Ziel einer umfassenden Darstellung geleitet.
395
 Barrow (1993): S. 19
396
 Wehr/Weinmann (1999): S. 258–266
397
 Barrow (1993): S. 22 und Devlin (1998): S. 13; Leroi-Gourhan (1988) bezweifelt diese Interpretation
einer Art Buchführung der Jäger und betont die Rhythmik dieser Äußerungen. (S. 238) Begreift man
diese Einkerbungen als „optisch sichtbare Darstellungen“ der Gedanken ohne sie zu interpretieren,
finden sich 400000 Jahre alte Knochenartefakte. (Abbildung und Bericht in: FAZ 12. Juli 2000, Nr.
159, N2, Friedemann Schrenk: „Europa von den Hominiden in Schüben besiedelt“)
199
Jahrtausend v. Chr. ist der sogenannten ‘Ishongo-Knochen’ erhalten geblieben, der in
einer Art Strichcode ein Kalender- oder Numerierungssystem wiedergibt.398 Einen
weiteren Schritt zu einem abstrakten Zahlenbegriff belegen die von der
Anthropologin Denise Schmandt-Besserat untersuchten Ton-Artefakte aus dem
Nahen Osten aus dem 8. Jahrtausend v. Chr.399 Diese kleinen Tonformen repräsen-
tieren die jeweils zu zählenden Objekte und dienen der Aufzeichung des Besitztums,
der Planung und dem Tauschhandel. Die zunehmend komplexer werdende
Gesellschaftsstruktur habe nach einer langen Nutzung dieser Form der ‘Buchführung’
(ca. 3000 Jahre) eine neue Zählform erforderlich gemacht. Eine dieser Formen wurde
bereits im ersten Kapitel erwähnt: das Lochen und Auffädeln der Objekte. Das Zählen
und auch das Rechnen würden hierdurch zu einer Form des Sammelns von
Zerstreutem.400 Die zweite Zählform nutzt für die Aufbewahrung der Tonformen
Tonbehälter, auf denen außen ihre Anzahl vermerkt wurde.401 Die Redundanz dieser
Zählform zu erkennen und abzuschaffen dauerte lange und markiert die
Erkenntnisleistung, die zu einem Verständnis der Zahl als abstraktem Objekt führte.
Erst die Ära der griechischen Mathematik (ab ca. 600 v. Chr.) brachte einen
allgemeinen Zahlbegriff und die Arithmetik hervor und machen die Mathematik zu
einer Wissenschaft der Zahlen.402 Der Ausspruch „Alles ist Zahl“403 verdeckt in seiner
sloganhaften Griffigkeit, daß der Zahlbegriff, der unser westliches Denken bestimmt,
nicht auf die Pythagoreer zurückzuführen ist. Die Gewißheit der Mathematik, durch
die Zahl das Instrument der Wahrheitsfindung entdeckt zu haben und das logische
Instrumentarium bereitzuhalten, verdankt sie Aristoteles, dem „Kategorientheoretiker
aus Stagira“, dem die pythagoreische Zahlentheorie ein Ärgernis war.404
In der Folge, Barrow ruft vor allem den Platonismus in der Mathematik auf, wird die
Zahl zu einem universalen Mittel der Übersetzung des „Tatsächlichen in das
Numerische“.405 In dieser Übersetzungsfunktion läßt sich die Zahl als Notationsform
im oben definierten Sinne begreifen: Die Voraussetzung der Notation ist die
Wiederholbarkeit. Diese Eigenschaft läßt sich in der Entwicklung des Zählens
materialiter, in Form von Tonformen in einem Tonbehälter, nachvollziehen. Dem
voraus mußte ein Akt der Abstraktion und des Vergleichs gehen: das Erkennen der zu
zählenden Einheiten (z.B. Schafe und Lämmer) und die jeweilige Zuordnung zu einer
                                                 
398
 Zaslavsky (1973): S. 18f; Barrow (1993): S. 23f
399
 Schmandt-Besserat (1978) interpretiert die von ihr untersuchten Ton-Artefakte als Vorläufer der
Schrift. Dem widersprechen verschiedene neuere Publikationen, die sich mit der Entwicklung der
Schrift (Haarmann 1990: S. 160) und den Ursprüngen der Zahlen (Devlin 1998: S. 13) beschäftigen. Ich
schließe mich dieser Beurteilung an und führe deshalb Schmandt-Besserats Aufsatz im Zusammenhang
mit den Zahlen und nicht im ersten Kapitel über die Schrift an.
400
 Sommer (1999): S. 356
401
 Barrow (1993) beschreibt einen solchen Ausgrabungsfund aus dem heutigen Irak: Die Markierung
habe 21 Mutterschafe, sechs weibliche Lämmer, acht ausgewachsene Widder und vier männliche
Lämmer ausgewiesen. Der Behälter enthielt 48 Tonkugeln. (S. 21f)
402
 Devlin (1998): S. 15–17
403
 hier als Zitat von: Davis/Hersh (1985): S. 98
404
 Castella (1996): S. 92f. „Tertium non datur, Aristoteles eliminiert jeglichen Anspruch objektiver
Relevanz aus der Dialektik, den Platon ihr noch beimißt, und der bei den Pythagoräern als Dualismus
Prinzip ist. Dort ist das Eins nicht nur die Simultaneität von Unbegrenztem (apeiron) und Begrenztem
(peperasmenon), ist Zahl, Ding, Begriff, Prinzip zugleich, der Pythagoräismus kennt darüberhinaus eine
Vielzahl an Einsen, die er unterscheidet und also (gleiche) Quantitäten (verschieden) qualifiziert [...].“
405
 Barrow (1994): S. 11
200
bestimmten Tonform (Tonkugeln und -kegel). Die Notation auf dem Behälter stellt
die abstrahierende Verkürzung und die Reduktion auf zwei Dimensionen dar. Die
Standardisierung und die Schaffung von Bezugssystemen hat zu unterschiedlichen
Zahlensymbolen und -systemen geführt.406 Und letztlich begann hiermit das
Ausheben eines tiefen semantischen Grabens, dessen „Zugbrücke außer Betrieb“
ist.407 Die Herausbildung einer Fachsprache und einer eigenen Notation habe dazu
geführt, daß die Mathematik sich den meisten Menschen verschließe.408 In der Folge
bedeutet dies auch eine scharfe Trennung zwischen den Disziplinen. Enzensbergers
Bild der Zugbrücke verweist auf einen Schuldigen, auf die Einseitigkeit des
Mechanismus. Krämer hingegen sieht die Zahl als die Ausgegrenzte an. Die Zahl als
ein Modus der Symbolisierung sei dem Medienmaterialismus, der sich ausschließlich
mit der Sprache beschäftige, zum Opfer gefallen. Die gesamten
Geisteswissenschaften seien durch eine Präokkupation der Sprache beherrscht und
beschäftigten sich mit der Schrift als einer Transkribierung der Rede.409 Sogenannte
formale Sprachen müssen sich jedoch einer operativen Schrift bedienen, die die
Darstellung und das symbolische Operieren mit Gegenständen erlaubt.
Die Notation besteht also aus zwei Elementen: der Zahl und den Symbolen für
Operationen.410 Durch die Einführung von Symbolen ist die Zahl „[...] nicht länger
Anzahl von etwas, sondern wird zum Referenzgegenstand eines Zeichenausdruckes
[...]“.411 Es werden in der Folge Regeln aufgestellt, die die lineare Aufzeichnung
festlegen und das Rechnen zu einem „[...] regelgeleiteten Akt schriftlicher
Zeichenmanipulation [...]“ macht.412 Aus dem (Er-)Zählen wird ein zunehmend
sprachloser Code für Spezialisten. George Steiner beklagt diesen ‘Rückzug aus dem
Wort’, der mit der Verbreitung der mathematischen Wissenschaften und ihrer zu-
nehmenden Unübersetzbarkeit einhergehe.413
Das Wort ‘Zahl’ trägt etymologisch in sich die Bedeutung von Aufzählung, Bericht,
Rede. Die indogermanische Wurzel verweist auf das Einkerben als Zählhilfe.414
Andere Formen mnemotechnischer Verfahren wurden bereits angesprochen: das
Auffädeln und das Knoten. ‘Geknotete Fäden’ dienten verschiedenen Arten von
Buchführung, die die Mengen aufzeichnen und dadurch wieder-holbar machen (z.B.
als Schuldzeugnis).415 Eine  andere Form der  Verbindung von
Sprache/Buchstabenschrift und Zahl ist die Zahlenmystik oder -magie. Die Gematria
ist eine Form der Zahlenmystik, die auf einer Zuordnung von Zahlenwerten zu
                                                 
406
 Barrow (1993) beschreibt die Entwicklung der Zahlsysteme und begründet die Durchsetzung der
‘indisch-arabischen’ Ziffern mit ihrer Erfindung der Null und des Stellenwertsystems. (S. 38f)
407
 Hans Magnus Enzensberger beschreibt in einem Artikel mit diesem Titel das Verhältnis von Nicht-
Mathematikern zur Mathematik. FAZ, 29. August 1998, Nr. 200, I
408
 ebd.
409
 Krämer (1994): S. 90f.
410
 Stewart (1998): S. 48f.
411
 Krämer (1994): S. 95
412
 Krämer (1994): S. 96
413
 Steiner (1973): S. 56
414
 Kluge (1995) leitet über das Lateinische ‘dolare’ für ‘behauen, einkerben’ her. Vgl. auch: Duden
(1963): s.v. ‘Zahl’
415
 Zaslavsky (1973): S. 94
201
Buchstaben der klassischen Alphabete beruht.416 Die Zahlen sollten hier verborgene
Bedeutungen aufdecken und zu mystischen Erkenntnissen führen. Auch die Musik
und die Gewebe mit ihren zählbaren Einheiten bieten die Möglichkeit, Zahlenmagie
zu betreiben, bzw. dem Schöpfenden eine Beschäftigung mit ihr nachweisen zu
wollen.417 Die Aufklärung wiederum nutzte die Zahl für ihre Zwecke, die der
Mystifizierung entgegenstanden. Die Möglichkeit der Quantifizierung und
Berechenbarkeit habe die Mathematik zur Grundwissenschaft der Aufklärung
gemacht.418
Das ‘Vernünftige’ haftet der Zahl nach wie vor an und wird zunehmend instru-
mentalisiert. Hierfür wird die Zahl scheinbar darauf reduziert, eine Anzahl anzu-
zeigen. Die Quantifizierbarkeit von Mengen durch Zahlen suggeriert eine
Objektivität, die das Wort nie erreichen kann. Die Zahl erscheint zum einen nüchtern
und neutral und zum anderen ist sie für den Nicht-Mathematiker von einer
wissenschaftlichen Unantastbarkeitsaura umgeben. Um dem Laien nun trotzdem die
Information nahezubringen, wurden zahlreiche Formen der Visualisierung von
Zahlen und Tabellen erfunden. Die Größe von Kuchenstücken zu taxieren, wurde von
frühester Kindheit an geübt und die Frage nach dem ‘woher’ und ‘weshalb’ eines
Kuchens nicht veranlagt. Auf diese Art und Weise erhält die Welt eine
‘scheinkonkrete Handlichkeit’419 und eine nicht in Frage zu stellende Wahrhaftigkeit.
Nicht immer muß die Manipulation so bewußt eingesetzt und negativ beurteilt
werden. Der zweifache Übersetzungsmodus (das Zählen und die Darstellung als Zahl,
sowie die Visualisierung) bietet sich jedoch mit seinen Verschleierungsmöglichkeiten
an. Die graphische Visualisierung von Zahlen entfernt das Dargestellte von der
Wirklichkeit. Das Mapping in der Mathematik bezeichnet ein Denken in Variablen
und Funktionen (functional thinking). Das allgegenwärtige Koordinatensystem zeigt
diese Form der Übersetzung am anschaulichsten: Eine mathematische Funktion ist
eine Zuordnungsvorschrift.420 Das Übertragen der Wirklichkeit in das Immaterielle,
das Zweidimensionale (in Computergraphiken auch perspektivisch dreidimensional),
verändert den Umgang mit der Wirklichkeit. Das Notieren wirkt sich auf das zu
Notierende aus. Der Verlauf einer Linie, was auch immer sie repräsentiert, gefällt
nicht oder die Ergebnisse lassen keine Regel erkennen. D.h. die Repräsentationsform
ist nicht in der Lage, das erwartete Ergebnis zu zeigen. Es gibt nun verschiedene
Möglichkeiten des Umgangs mit einem ‘häßlichen’ Ergebnis: Man sucht eine andere
Repräsentationsform, man akzeptiert die Form, oder im schlimmsten Fall manipuliert
man das Ergebnis. Hierbei spielt die Schönheit von Theorien eine große Rolle, wobei
                                                 
416
 Davis/Hersch (1985): S. 99. Der Begriff ‘Gematria’ leitet sich von ‘Geometrie’ ab. Ein Beispiel ist
die Zahl 99, die sich häufig unter griechischen Bibeltexten für ‘Amen’ (1+40+8+50=99) findet.
417
 Schleuning (1993) diskutiert in einem Exkurs über die Zahlensymbolik bei Joh. Sebastian Bach die
verschiedenen Zahlen-Analysen, die an seinem Werk vorgenommen wurden. (S. 59f.) Barber (1994)
beschreibt einen gewebten Gürtel aus der Bronzezeit, dessen Kettfadenanzahl und die Bündelung der
Fäden auf das Runenalphabet mit 24 Buchstaben in drei mal acht Gruppen hinweise. (S. 159f.)
418
 Welsch (1995): S. 78
419
 Uwe Pörksen schreibt: „Die Ansicht ist Sicht geworden. Das Eigentümlichste an den ‘Synbildern’ ist
ihr Status. Sie gehen auf in dem, was sie sagen sollen. Es fehlt der Abstand. Durchkalkuliert, errechnet,
kommen sie unserer einfältigen Sinnenwelt freundlich entgegen.“ In: „Zahl ist Macht“, in: FAZ 23.
Oktober 1993, Nr. 247
420
 Hagen (1986): S. 22
202
sich diese Schönheit weniger auf die graphische Äußerungsform bezieht. Die Eleganz
von Theorien, die in einer vom Menschen geschaffenen Sprache zutage tritt, als
Wahrheitsbeweis von analysierten Naturvorgängen, erscheint nicht minder
zweifelhaft.
Der Einfluß ästhetischer Kriterien auf wissenschaftliches Handeln wurde bereits im
Zusammenhang mit dem Symmetriebegriff thematisiert, nun geht es um die
graphischen Äußerungen, die für den Laien leichter verständlich sind und deren
ästhetischen Wert auch er zu erkennen vermag. Hierfür werden zwei Visualisierungen
vorgestellt: die Musiknotation und die computergenerierten Bilder mathematischer
Objekte. Die enge Verbindung von Mathematik und Musik, die sich u.a. häufig in
Doppelbegabungen zeigt, beruht auf den die Musik konstituierenden Tonrelationen,
die Zahlenverhältnissen entsprechen. Devlin führt weitere Ähnlichkeiten an: Beide
verwenden eine abstrakte Notation und gehorchen strengen strukturellen Regeln. Der
maßgebliche Unterschied sei jedoch, daß der Mensch kein Sinnesorgan besitze, um
Mathematik ‘wahrnehmen’ zu können. Jeder könne hingegen Musik hören, auch
wenn er nicht in der Lage ist, vom Blatt zu lesen. In einigen Teilen der Mathematik
sind nun Methoden der Visualisierung entwickelt worden, die dem Laien optische
‘mathematische Symphonien’ vorführen.421 Im folgenden sollen nun die
Visualisierungen von Noten und Zahlen betrachtet werden. Hierbei steht das
musterbildende Moment als Folge der Notierung im Vordergrund.
Musiknotationen
„Das Element der Musik ist die Zeit ‘sie erklingt in der Zeit, verklingt aber zugleich
und hat keinen Bestand’; die Musik gewinnt nur im Augenblick ihres Vollzugs
Wirklichkeit, existiert also nur dadurch, daß sie ‘fort und fort wiederholt wird’.“422
Das Notieren von Musik ist kein Ersatz für ihr Erklingen, aber es steht in dienender
Funktion zur Wiederholung.423 Darüber hinaus wirkt das Notieren auf das zu
Notierende zurück.
Eine sehr allgemeine Definition faßt die Musiknotation als eine visuelle Analogie
musikalischer Töne, die als Gedächtnisstütze und als Kommunikationsmittel diene.424
Musikschriften seien ausschließlich in der Folge von Schriften, die die Sprache
wiedergeben, entstanden und übernehmen u.a. Buchstaben und die Schreibrichtung
der jeweiligen Schrift.425 Der Auffassung der Musik als Text entspricht auch die
Bezeichnung der wissenschaftlichen Disziplin, die sich mit dieser Schriftform
beschäftigt: die musikalische Paläographie.426 Was zunächst als ‘aide-memoire’
gedacht war, zeigte sich in der Lage, musikalische Abläufe anschaulich zu machen.427
                                                 
421
 Devlin (1998): S. 4–7
422
 Guarda (1980): S. 72. Guarda zitiert aus Kierkegaards ‘Entweder – Oder II’.
423
 Guarda (1980) merkt an, daß Adorno die emanzipatorische Bedeutung der Notenschrift für die Musik
konstatiert habe und Kierkegaard scheinbar diesen Einwand ahnend formulierte, daß die Musik nur im
uneigentlichen Sinne vorhanden sei, wenn sie gelesen wird. (S. 170)
424
 The New Grove Dictionary of Music and Musicians (1980), Bd. 13, s.v. ‘Notation’, S. 333
425
 The New Grove Dictionary of Music and Musicians (1980): S. 334, 336, 341
426
 Schnürl (1996): S. 93
427
 Interssanterweise werden die Anfänge der Melodieschriften als Aufzeichnung der Handbewegungen
des Kantors, der den Sängern den Verlauf der Melodie anzeigte, gedeutet. D.h. die räumliche
203
Durch diese Darstellung war die Voraussetzung „für die Entfaltung einer kunstvollen
Mehrstimmigkeit und großer musikalischer Formen“ und somit der abendländischen
Musik geschaffen.428 Das Bestreben, das Notierte zu gestalten, zu ästhetisieren, sei
eine Folge des Notierens. Schnürl beschreibt in seinem Aufsatz diverse Formen der
Noten- und Notenbildgestaltung bis hin zur Verwendung von Zeichen der
Notenschrift als universelle Symbole für Musik.429 Ähnlich der konkreten Poesie
werden beispielsweise die Notenlinien eines Liebesliedes in Herzform aufgezeichnet
oder in Form eines Fisches für ‘Fisches Nachtgesang’. Diese ‘ornamentale
Gestaltung’430 trägt keine zusätzliche Information in sich, sondern erscheint als
performative Geste, deren dekoratives Moment meist zugunsten der Lesbarkeit geht.
Die Bedeutung der Muster – im Gegensatz zum Ornament – ist für die Musiknotation
sehr viel größer. Die Begriffe der Repetition, des Rhythmus, der Dimension und der
Symmetrie sind eng mit der Musik und ihrer Notation verbunden, sie bilden in
unterschiedlicher Gewichtung die Basis der folgenden Überlegungen. Der
Übersetzungsmodus, der Musik schreibbar macht, wurde schon angesprochen, die
Übernahme der Schriftrichtung gleichermaßen. Die Musik erfährt also wie die Schrift
eine Linearisierung und Dimensionsreduktion. Die graphische Ähnlichkeit des
orthogonalen Notenliniensystems mit dem Koordinatensystem verweist ein weiteres
Mal auf den glatten und gekerbten Raum Deleuze/Guattaris.431 Der metrische,
gekerbte Zeit-Raum sei zählbar, der glatte Raum ermögliche die Entfernung und
Setzung von Schnitten nach freiem Ermessen.432 Auf die verschiedenen Versuche
zeitgenössischer Komponisten, den ‘gekerbten Raum’ zu verlassen und „hinweisende
Notationen“ zu entwickeln oder das Bezugssystem gänzlich wegfallen zu lassen, kann
hier nur hingewiesen werden.433
Der Refrain, der wiederkehrende Reim, ist wahrscheinlich die bekannteste Art der
Verwendung der Repetition in der Musik. Als Eigenschaft der musikalischen
Symmetrie ist sie weniger geläufig. Die Musikwissenschaftlerin Dana Wilson
schreibt, daß die Symmetrie in der abendländischen Musik eine sehr große Rolle
spielt: Der Akt des Komponierens läßt sich durch symmetrische Operationen von
Basismustern beschreiben.434 Anhand von Beispielen zeigt die Autorin Translations-,
Reflektions- und Rotationssymmetrien in ‘melodischem Material’. Die Wiederkehr
                                                                                                                                      
Konnotation der Höhen und Tiefen von Tönen hat sich zunächst in der Bewegung verwirklicht. Vgl.
Schnürl (1996): S. 93, Anm. 2
428
 Schnürl (1996): S 93
429
 Schnürl (1996): S. 101–111. Schnürl bezeichnet die Verwendung von Notenzeichen außerhalb ihrer
eigentlichen Bestimmung als Meta- oder Paranotationen.
430
 Diesen Ausdruck verwendet Schnürl (1996) für die meist gegenständlichen Formen der Notenbilder.
(S. 96) Die vokale Ornamentik ist ansonsten in der Musik als Besonderheit der Barockmusik definiert,
die als Kürzel die Verzierungen wiedergeben. Vgl. The New Grove Dictionary of Music and Musicians
(1980), Bd. 13, s.v. ‘Ornamentation’
431
 Dem Musiktheoretiker Guido von Arezzo (ca. 992-1050) wird die Festlegung der Tonorte durch die
Schaffung von Notenlinien und somit des entscheidenden Bezugssystems zugeschrieben. Vgl. Lug
(1983): S. 249
432
 Deleuze/Guattari (1992): S. 496. Die Autoren zitieren für ihre Ausführungen den Komponisten
Pierre Boulez.
433
 Arch+ 117 (1993): S. 30–33. Auf diesen Seiten werden Notationen von Klaus Hashagen
(hinweisende Notation), Iannis Xenakis (Klangverläufe ohne Bezugssystem) und John Cage abgebildet
und kurz kommentiert.
434
 Wilson (1986): S. 101
204
(Repetition) einer Melodie (Muster) entspricht beispielsweise den Regeln der
Translationssymmetrie. Für Johann Sebastian Bach haben Symmetrien als
Strukturierungshilfen gedient, besonders Spiegelsymmetrien lassen sich häufig
auffinden.435 Die verschiedenen Formen des Kanons und der Fuge weisen zahlreiche
Symmetrien auf.436
„Die von [Bach] angewandte Form beruhte auf Beziehungen zwischen verschiedenen Teilen.
Diese erstrecken sich von der vollständigen Identität von Passagen auf der einen Seite bis zur
Rückkehr zu einem einzigen Ausarbeitungsprinzip oder bloßer thematischer Anspielungen auf der
anderen. Die so entstandenen Muster waren oft symmetrisch, aber keineswegs immer. Mitunter
bilden die Beziehungen zwischen den verschiedenen Themen ein Labyrinth miteinander
verflochtener Fäden, das nur durch detaillierte Analyse entwirrt werden kann.“437
Die Abbildung 39 illustriert die Reflektions- und die Translationssymmetrie anhand
der Prelüden von Debussy.
Ein formalisierter Umgang mit Musik erlaubt nun, die Begriffe der Symmetrie, der
Repetition und des Rhythmus zusammenzuführen. Rhythmus sei eine Folge re-
gelmäßiger, wiederholter Intervalle, die symmetrische Muster bilden, so der allge-
meine Konsens.438 Donnini widerspricht dem und differenziert zwischen Rhythmus
und Symmetrie, analog der im Kapitel über die Strukturelemente des Musters
explizierten Differenz von Rhythmus und Repetition. Rhythmus sei ein kreativer Akt,
Symmetrie ein formales Ergebnis. Es seien die Abweichungen und Variationen, die
den Rhythmus und damit die Musik konstituieren.439
Diese Differenzen werden uns im nächsten Kapitel beschäftigen. An dieser Stelle
ging es in erster Linie um die Wahrnehmung von Mustern und Symmetrien in
Musiknotationen, die wiederum Auswirkungen auf das Komponieren hat. Die
Abbildung 40 zeigt abschließend eine andere Form der Visualisierung von Musik, der
Donnini die Überlegung anfügt, ob die symmetrischen Frequenzmuster ein Hinweis
auf die symmetrische Seele der Musik seien.440
Die bunte Welt der Zahlen
Von Benoît Mandelbrot, dem ‘Erfinder’ der Fraktale, wird berichtet, daß er sich
mathematische Probleme in Bilder übersetze.441 Dieser Hang zum Visuellen brachte
Bilder hervor, deren Schönheit auch Nicht-Mathematiker begeistert. Als Julia-
Mengen und Apfelmännchen populär geworden, haben diese Bilder Wieder-
erkennungseffekt und gleichermaßen eine Inflation des Begriffs des Fraktalen und der
Chaosforschung als Forschungsgebiet mit sich gebracht.442 Es wird hier nicht darum
gehen, eine weitere Darstellung abzuliefern oder die Begriffe zu vereinnahmen,
                                                 
435
 Schleuning (1993): S. 54. Die Verwendung von horizontalen (Thema) und vertikalen (Satzfolge)
Spiegelachsen habe der symbolischen Darstellung des Kreuzes gedient.
436
 Hofstadter (1985) stellt u.a. über den Krebskanon, bei dem das Thema entsprechend der
Fortbewegung des Krebses rückläufig gespielt wird (S. 9), eine Verbindung von Bach zu Eschers Werk
her. Bach verwendet den Krebskanon in seinem ‘Musikalischen Opfer’ und Escher zeichnet einen
Krebskanon. (Eine Abbildung findet sich bei Hofstadter auf S. 216)
437
 Hans Th. Davis/Arthur Mendel: The Bach Reader, New York 1966, S. 40. Zitiert nach: Hofstadter
(1985): S. 31
438
 Donnini (1986): S. 448
439
 Donnini (1986): S. 448
440
 Donnini (1986): S. 463
441
 Briggs/Peat (1995): S. 128
442
 Bredekamp (1991): S. 278f
205
sondern die Visualisierung von Zahlen zu zeigen und nach ihrer Bedeutung zu
befragen.
Die Erzeugung von Bildern der fraktalen Geometrie kann nur mit Hilfe eines
Computers geschehen. Mandelbrot iterierte einen einfachen algebraischen Ausdruck
auf dem Computer und „schickte ihn auf eine Reise in jene unendliche zwei-
dimensionale Mannigfaltigkeit von Zahlen, die man komplexe Ebene nennt.“443
Durch ein Programm wird nun festgelegt, mit welcher Farbe oder Schattierung die
Ergebnisse – das Verhalten der Zahlen nach x Iterationen – sichtbar gemacht
werden.444 Die Abbildung 41 zeigt, daß die ‘interessanten Orte’ eines solchen Apfel-
männchens die Übergänge sind, die hier jeweils vergrößert werden, sie liegen
zwischen den stabilen Zahlenmengen und weisen die für Fraktale charakteristische
Selbstähnlichkeit auf. Der Nutzen fraktaler Bilder liegt in der Darstellung von
Prozessen, deshalb ist die Bezeichnung ‘nicht-lineare Dynamik’ auch sehr viel ge-
nauer, wenn auch weniger publikumswirksam als ‘Chaosforschung’. Das Chaos als
eine verschlüsselte Form der Ordnung begreifend, machen sich die Wissenschaftler
auf die Suche nach Mustern.445 Daß diese quantitativen Muster einen hohen
Informationsgehalt in sich tragen und dynamische Prozesse abbilden, wird das
nächste Kapitel zeigen.
Der Hinweis auf dieses Forschungsgebiet sollte die Möglichkeit der Visualisierung
von Zahlen und die Wirksamkeit zweidimensionaler Medien aufzeigen. Die
Ähnlichkeit natürlicher Bilder und Muster mit den computergenerierten legitimierte
die Forschung und machte ein Anwendungsgebiet offensichtlich. Die fraktale
Geometrie kann der Beschreibung natürlicher Muster und der Beschreibung und
Generierung ‘künstlicher’ Muster dienen. Für das textile Muster, als ein
zweidimensionales Flächenmuster, wurden Anwendungsmöglichkeiten Iterierter
Funktionensysteme (IFS) bereits untersucht.446 Hierbei ging es den Wissenschaftlern
zum einen um die Datenkompression und zum anderen um die Möglichkeiten der
digitalen Bildverarbeitung bei der Mustergenerierung und -erkennung, zwecks
Beschreibung „realer textiler Oberflächen“ mit Hilfe einer „mathematischen
Codierung“.447 Die Konstruktion der Fläche bleibt bei diesem Ansatz
unberücksichtigt.
Es war vor allem die Schönheit der Bilder – die als zweidimensionale Bilder in Aus-
stellungen präsentiert wurden –, die Laien und Forscher überzeugte. Die Ver-
öffentlichung der Formel ‘Z2 + C’ mit der Iterationsvorschrift hätte wohl kaum einen
vergleichbaren Erfolg erzielt. Der Ordnung im Chaos wird also qua Schönheitsbeweis
Sinn zugeschrieben. Jede Zeit und auch jede Wissenschaft besitzt ihr eigenes
Schönheitsideal, wie die Mode auch. Der ästhethischen Qualität von Theorien
                                                 
443
 Briggs/Peat (1995): S. 139
444
 Briggs/Peat (1995): S. 141f
445
 Stewart (1998): S. 147
446
 Textil-Praxis International (1992). Die fünfteilige Artikelserie führt die mathematischen Grundlagen
und die Anwendungsmöglichkeiten der fraktalen Geometrie für das Textildesign ein und stellt das
Iterierte Funktionensystem (IFS) vor.
447
 Textil-Praxis International (1992): S. 743
206
Bedeutung beizumessen oder nicht, scheint gleichermaßen den Launen der Mode
unterworfen.448
An dieser Stelle ist zweierlei festzuhalten: Das als schön wahrgenommene Muster
und vor allem seine Regelmäßigkeit können der Theoriebildung als Grundlage
dienen. Die Konstruktivität dieser Schönheit resultiert, wie gezeigt wurde, aus einem
– z.T. mehrfachen – Übersetzungsmodus. Demnach entsteht die Schönheit aus einer
Sprache heraus, die der Mensch geschaffen hat. Die Grenzen und Möglichkeiten
dieser mathematischen Sprache beschreibt der Physiker und Wissenschaftspublizist
David F. Peat in einem Aufsatz über Mathematik und die Sprache der Natur.
Einerseits sei die Mathematik, ihre Zahlen und Symbole, sehr viel weniger als eine
natürliche Sprache, da es ihr an Reichtum und Nuancierungsmöglichkeiten fehle.
Andererseits habe sie der Sprache viel voraus, indem sie ‘a particular kind of visual
and sensory motor thinking’ in sich trage. Dieses non-verbale Denken sei auf eine Art
tiefer und primitiver als die natürliche Sprache und zeuge von einer prä-linguistischen
mentalen Aktivität.449 Um diese Tiefen wird es im nächsten Kapitel gehen.
Die Darstellung des Textes, des Bildes, der Karte, der Zahl und ihrer verschiedenen
Transformationen als zweidimensionale Mittel zur Herstellung von Wirklichkeit hat
gezeigt, daß die Funktionalisierung des Musters äußerst vielfältig ist. Diese Vielfalt
benenne ich noch einmal zusammenfassend: Die mnemotechnische Funktion äußert
sich in der rituellen Wiederholung, die Assmann als Fundament der Kultur erkennt,
und generell in der Verwendung von Mustern als Mittel des Memorierens. Das
Muster ist zum einen Motiv der Kunst und zum anderen Mittel der kunsthistorischen
Identifikation. Nicht nur in bezug auf Texte liefert das Muster eine ordnungsstiftende
Instanz der Codebildung. Das geometrische und rhythmisierende Moment des
Musters dient, wie am Beispiel der Kartographie gezeigt wurde, der Anverwandlung
von Welt. In bezug auf den menschlichen Körper werden diese Momente zu seiner
Disziplinierung und Segmentierung genutzt.
Die in der Darstellung zutage getretene Dominanz des Zweidimensionalen läßt sich
gleichermaßen als ein besonders geeignetes Mittel der Weltaneignung interpretieren.
Die Erkenntnis des Musters und seine instrumentalisierte (Re-)Produktion in der
Fläche gehen eine Allianz ein, schaffen eine Handhabbarkeit der Welt, die vor allem
hegemonialen Zielen dient.
2,5-d ‘Neue Medien’
Die Simulation des Raumes, der Dreidimensionalität, ist mit Hilfe der sogenannten
‘Neuen Medien’ perfektioniert worden. Hypertext, Digitalisierung der Bilder,
Cybergeographie und nicht-lineare mathematische Systeme gehören dem
Computerzeitalter an und deuten auf ein Verlassen der Fläche hin. Wie gezeigt
werden konnte, sind die Strukturen der neuen Medien noch weitestgehend den ‘alten’
                                                 
448
 Hinweise zur Bedeutung der Schönheit der Theorien enthält das Kapitel ‘Die strukturelle Dimension
des Musters’.
449
 Peat (1990)
207
Medien verhaftet. Diese Form des Übergangs wird hier durch eine reflektierende
Zusammenführung in einem ’fraktalen’ Kapitel gekennzeichnet.
Die Rekonstruktion dreidimensionaler Welten (Cyberspace) beruht auf Berech-
nungsvorgängen und Perspektivgesetzen, die die physiologischen Vorgänge des
Auges nicht identisch reproduzieren können.450 Der Eintritt in diese ‘zu perfekte’ (im
Sinne einer berechneten Idealisierung) Welt bedarf der Vermittlung, die gleichzeitig
eine Distanzierung bewirkt. Zur Zeit erfolgt das Betreten des Cyberspace vermittels
einer zweiten Haut, also Textilien.
Die Verräumlichung des Textes, das Verlassen der Fläche soll vermittels des
Hypertext erreicht werden. Der Hypertext zeigte sich jedoch in seiner gegenwärtigen
Verfassung für den Benutzer als wenig interaktiv und den Strukturen des Buches
stark angepaßt.
Besonders die Cybergeographie macht die Denkstrukturen, die Sichtweise auf die
Welt deutlich erkennbar. Als Ortsungebundenes und Immaterielles erfährt es eine
wissenschaftliche und visuelle Rückbindung an die reale Welt, bzw. an die
geographischen Karten, die auch schon eine vermittelte Weltsicht darstellen.
Aleida Assmann beschreibt die Folgen des Einsatzes der neuen Medien in bezug auf
das kulturelle Gedächtnis. Die Zeitanfälligkeiten (in technologischer und materieller
Hinsicht) vieler Medien führe zu einer ‘Transmigration der Daten’. „Das Modell
eines materiellen Fortbestehens weicht dem Modell einer dynamischen
Reorganisation von Daten.“451 Assmann interpretiert diesen Vorgang vor allem
hinsichtlich einer nun erkennbaren Begrenztheit der Schrift als Medium. Das Archiv
sei mit der Schrift entstanden, seine Erweiterung um Analogmedien und die
Digitalisierung habe dazu geführt, daß man nun von einem „System der Selbst-
organisation von Daten“ sprechen könne.452 Der materielle Aspekt des Wissens und
der Ort der Wissensspeicherung gehen hierdurch verloren. Die Implikationen dieses
Verlusts darzustellen ist nicht meine Absicht. An dieser Stelle bleibt der Verlust der
Materialität, und hiermit verbunden eine Funktionsverschiebung der Hand, und die
zunehmende Bedeutung der visuellen Wahrnehmung zu konstatieren.
3/4-d „Die Magie hinter der Magie ist das Muster.“453
In den vorangegangenen Kapiteln wurden Schrift, Sprache und verschiedene
Notationsformen gemäß ihrer topologischen Zuordnung als Weltstrukturationsmittel
vorgestellt. Hierbei ging es um das Aufsuchen von Mustern und die Benennung ihrer
Funktionen.
In diesem letzten Teil werden Muster dargestellt, die als dynamische Systeme
wahrgenommen werden. Entsprechend der raumzeitlichen Dimension geht es um
Prozessuales. Die Untersuchung der Natur, des Lebendigen, wird gemeinhin als
Aufgabe der Naturwissenschaften angesehen. Deshalb wird das Muster in erster Linie
als Gegenstand unterschiedlicher naturwissenschaftlicher Disziplinen vorgestellt. Der
                                                 
450
 vgl. Mainzer (1997): S. 210
451
 Assmann (1999): S. 355
452
 Assmann (1999): S. 358
453
 Hofstadter (1988): S. 174
208
Umgang mit den Mustern und die Form ihrer Darstellung werden dabei besonders
berücksichtigt, um auch hier eine Funktionsbestimmung des Musters anzuschließen.
Da das Muster als Attraktor der visuellen Wahrnehmung aus erklärtem Grund
vorrangig behandelt wurde, werden auch die folgenden Ausführungen zu den
dynamischen Prozessen des Gehirns, zur Kognition und zur Wahrnehmung das
Visuelle fokussieren.
Konstruktive Wahrnehmung
Das Muster ist für die visuelle Wahrnehmung, die Kognition und die Funktionsweise
des menschlichen Gehirns auf verschiedenen Ebenen von Bedeutung.
Auf die Konstruktivität der menschlichen Wahrnehmung wurde bereits hingewiesen.
Demzufolge kann die visuelle Wahrnehmung nicht nur als rein neurobiologischer
Vorgang beschrieben werden, sondern auch als kognitiver.
Das komplexe Sehen ist eine Fähigkeit, die sich der Mensch auf der Grundlage von
angeborenen Gesetzmäßigkeiten in den ersten Lebensmonaten aneignet. Darüber
hinaus wirken sich individuelle Unterschiede der Sinnesorgane auf das ‘Produkt’ aus.
Donald D. Hoffman weist nach, in welchem Ausmaß das Gehirn und kognitive
Vorgänge an der Konstruktion unserer Umgebung beteiligt sind. Er berichtet von
einer Schlaganfallpatientin, deren Fähigkeit, Bewegung wahrzunehmen, als Folge der
Krankheit verloren ging. Hieraus ist zu schließen, daß auch die Bewegung ein
Konstrukt der visuellen Intelligenz ist.454 Das Sehen, bzw. jegliche Wahrnehmung
sind nicht von dynamischen Prozessen des Gehirns zu trennen.455 Um die
Bedingungen der Konstruktivität kennenzulernen – meist mit dem Ziel der
künstlichen Rekonstruktion – gibt es verschiedene Ansätze, die Synergetik und die
Emergenz sind hier exemplarisch zu benennen. Die Begriffe der Selbstorganisation
und der Selbstreferentialität sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung.
Gerhard Roth zeigt in seinem Aufsatz zur Kognition, daß „alle Gehirne notwendig
bedeutungserzeugende und konstruktive Systeme sind, unabhängig von ihrer
Komplexität.“456 Er beschreibt diese Konstruktion schrittweise, ausgehend von der
Retina als Ort der Abbildung des visuellen Reizes. Auf dieser Ebene könne man zwar
noch nicht von visueller Wahrnehmung als Erkennen sprechen, aber von einer ersten
Lokalisierung aufgrund der Disparitäten des binokularen Sehens.457
„Zugleich ist aber das, was etwa auf der Netzhaut passiert, eine notwendige Voraussetzung für
unsere visuelle Wahrnehmung. Man kann daher durchaus sagen, daß die Ordnung der visuellen
Welt, die wir wahrnehmen, in der retinalen Aktivität implizit vorhanden ist und vom nachge-
schalteten visuellen System ‘extrahiert’ wird. Dabei ist jedoch zu beachten, daß ‘Extraktion von
Ordnung’ gleichbedeutend mit ‘Konstitution von Ordnung’ ist [...].“458
Die Erzeugung von Ordnung sei ein intentionaler und bedeutungsgenerierender
Vorgang. Dieser Vorgang lasse sich jedoch weder auf physiko-chemischer, noch auf
der Bewußtseinsebene erklären. Begreife man den Vorgang als emergentes
Phänomen, liefert die selbstreferentielle Struktur der neuronalen Netze die Antwort.
                                                 
454
 Hoffman (2000): S. 184f
455
 Mainzer (1997): S. 41
456
 Roth (1992): S. 108
457
 Roth (1992): S. 119
458
 Roth (1992): S. 120
209
Das Gehirn greife auf die Prinzipien komplexer Systeme, die zur Selbstorganisation
ohne ‘zentrale Programmsteuerung’ fähig seien, zurück.459 Die Wissenschaft hat für
diese Aussagen Modelle entwickelt, bzw. nutzt die Erkenntnis der makroskopischen
Mustererzeugung aufgrund mikroskopischer Teilchenbewegungen.
Der von Hermann Haken als Wissenschaftsdisziplin geprägte Begriff der Synergetik
beschreibt die Folgen solchen Zusammenwirkens. Die Synergetik fragt nach
einheitlichen Prinzipien für das Entstehen von Strukturen und Mustern.460 Hierbei
gehe es nicht nur um statische Muster als Ergebnis der Zelldifferenzierung (z.B. ein
Schmetterlingsflügelmuster), sondern auch um dynamische Muster, wie die
Bewegungsmuster des Menschen. Hakens Untersuchungen haben ergeben, daß es
sich bei diesen Vorgängen um Systeme handelt, die aus vielen einzelnen Teilen
bestehen und durch die Wechselwirkung eine Form der Selbstorganisation und die
einer neuen Struktur ausbilden. Durch Simulationen am synergetischen Computer
weist Haken nach, daß der kognitive Apparat die Welt nicht widerspiegelt, sondern
konstruiert. Diese Konstruktion erfolgt anhand einiger Merkmale, aus denen ein
Gesamtbild, das einem bestimmten Erregungsmuster im Gehirn entspricht, erstellt
wird.461
Das Muster, seine repetitive Eigenschaft, wird genutzt, um ein Wieder-erkennen zu
ermöglichen. Hakens Untersuchungen beschreiben die Wirkweise im einzelnen, für
uns ist die gemeinsame Erkenntnis von Emergenz und Synergetik von Bedeutung:
Das Erkennen von Mustern in komplexen, nicht-linearen Vorgängen der Natur gibt
Hinweise auf Musterbildungsprozesse, die wiederum für das Verständnis der Natur
und für die Rekonstruktion (Computer, künstliche Intelligenz) wichtig sind.
Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen, die Unterscheidung Hakens in
statische und dynamische Muster wird hierfür aufgegeben und alle Prozesse als
lebendige und somit dynamische begriffen.
Mathematische Morphologie
„Wenn Mathematik überhaupt etwas ist, dann die Kunst, für dieses oder jenes
abstrakte Muster die eleganteste allgemeine Formulierung herauszufinden.“462 Dieses
– neuere – Verständnis von Mathematik wurde bereits erwähnt: Mathematik als
Wissenschaft von Mustern.463 Verbunden mit der Aussage „Wir leben in einem
Universum voller Muster“464 erhalten wir eine Welt, bzw. ein Universum, das sich
ausschließlich mathematisch begreifen ließe. „Es gibt kaum ein Lebensgebiet, das
nicht mehr oder weniger von der Mathematik als der Wissenschaft von den abstrakten
Mustern beeinflußt wird. Denn abstrakte Muster bilden die eigentliche Essenz der
Gedanken, der Kommunikation, aller Berechnungen, der Gesellschaft und des Lebens
schlechthin.“465 Daß sich unsere Welt als eine Welt voller Muster organisiert, dürfte
die bisherige Darstellung gezeigt haben, ob die Mathematik das Denksystem
                                                 
459
 Mainzer (1997): S. 123
460
 Köhler (1992): S. 54
461
 Köhler (1992): S. 70
462
 Devlin (1998): S. 8
463
 Devlin (1998): S. 238
464
 Stewart (1998): S. 11
465
 Devlin (1998): S. 9
210
schlechthin ist, um „Muster erkennen, klassifizieren und ausnutzen zu können“466,
bleibt zu fragen.
Ian Stewart ist davon jedenfalls überzeugt und schreibt, die einfachste Methode,
Muster in der Natur zu finden, sei die Numerologie.467 Carl von Linné legte seiner
Klassifikation beispielsweise die Anzahl der Staub- und Fruchtblätter zugrunde. Die
Blattstellungsmuster bei Pflanzen (Phyllotaxie) werden häufig hinsichtlich ihrer
numerischen Eigenschaften untersucht. Hierbei lassen sich verschiedene Zahlen der
Fibonacci-Folge immer wieder belegen.468 Am leichtesten läßt sich diese
Regelhaftigkeit an der Anzahl der Blütenblätter nachweisen. Die Stellung der Blätter
wiederum ist auch durch Fibonacci-Zahlen beschreibbar (z.B. die Anzahl der Spiralen
bei den Scheibenblüten von Sonnenblumen). Die entscheidende Zahl, der ‘goldene
Winkel’ ist nur durch Berechnungen aufzufinden. Dieser Winkel bezieht sich auf die
Anordnung der Blätter, Blüten oder Samen, die in der Ausbildung als Primordien um
die Spitze des Sprosses (Vegetationspunkt) liegen. Die Winkel zwischen den
Primordien entlang der generativen Spirale beträgt 137,5°. Durch eine
Rechenoperation auf der Grundlage der Fibonacci-Folge kann dieser Winkel
berechnet und die ‘goldene Zahl’ bestimmt werden.469 Die Begründung für die Ge-
genwart des goldenen Winkels ist wiederum eine deskriptive: die Packungsdichte,
d.h. die möglichst platzsparende Anordnung der Elemente.470 Neuere Forschungen
beziehen die Dynamik, d.h. das Wachstum der Pflanzen ein. Der goldene Winkel
wird hierdurch zu einer Konsequenz einfacher dynamischer Regeln und die
Phyllotaxis zu einem Ergebnis physikalischer Selbstorganisationsprozesse.471
Konchyliomanie
Die Musterung von Tieren ist ein weiteres Thema, das die Naturwissenschaften
beschäftigt und zu Publikationen mit solchen und ähnlichen Titeln veranlaßt: ‘Wie
das Zebra zu seinen Streifen kommt’472 oder ‘Wie Schnecken sich in Schale
werfen’473 oder ‘How the leopard got its spots’474. Als Objekte des Sammelns,
Tauschens, Auffädelns und Schmückens haben Schnecken und Muscheln den
Menschen scheinbar ‘schon immer’ fasziniert. Leroi-Gourhan berichtet von fossilen
Funden der jüngeren Altsteinzeit als ersten Hinweis auf die Beachtung von Form. Er
schreibt, das ästhetische Gefühl, das nach Formen (u.a. Muschelschalen) suche,
gehöre einer tieferen Schicht menschlichen Verhaltens an. Die Wissenschaft beginne
                                                 
466
 Stewart (1998): S. 11
467
 Stewart (1998): S. 14
468
 Die Fibonacci-Folge (Leonardo Fibonacci 1180–1250) beginnt mit der Zahl 1 und wird durch
Addition gebildet: Jedes Glied entspricht der Summe der beiden vorangegangenen Glieder. (1, 2, 3, 5,
8, 13, 21)
469
 „Der Bruch aufeinanderfolgender Fibonacci-Zahlen nähert sich immer mehr der Zahl 0,618034. [...]
Der sogenannten goldenen Zahl, die oft mit dem griechischen Buchstaben Phi bezeichnet wird. [...] Der
Winkel zwischen aufeinanderfolgenden Primoridien ist der ‘goldene Winkel’ von 360(1-phi)° =
137,5°.“ Stewart (1998): S. 166
470
 s. hierzu: Köhler (1992): S. 298f. Peter Sitte führt sehr detailliert ein geometrisches Modell zur
Erklärung der Grundlage der Blattstellungsmuster vor.
471
 Goodwin (1997): S. 203; Stewart (1998): S. 169
472
 Gould (1991)
473
 Meinhardt (1997)
474
 Murray (1993)
211
in allen Zivilisationen mit dem Sammeln von Kuriositäten. Die erstarrten Stoffe als
erstarrter Reflex des Denkens wahrgenommen, bilde die Triebfeder für
wissenschaftliches und ästhetisches Verhalten.475 Die Vielfalt und Schönheit der
Muster, und im Fall der Muscheln die Spiralform, wirkt als Attraktor der Wahr-
nehmung, bis heute. „Im Rokoko wurde die Rocaille und Schnecke zum ein-
schlägigen Dekorationsmuster schlechthin. Es verkörperte sich darin das
schöpferische Prinzip der Natur, das gleichermaßen der Struktur des Kosmos wie den
Gestaltungsprinzipien der Kunst entspreche.“476
Paul Valéry schreibt über den Menschen und die Muschel, die für das Denken ein
Geheimnisvolles sei.477 Sein Denken folgt nun den Windungen des Kalkes, von den
mathematischen Eigenschaften der Muschel, hin zu ihren materiellen. Gedanken, die
durch die Muschel hervorgerufen wurden, und, wie die Muschel selbst, keinen
offensichtlich Nutzen haben.478 Mit dem letzten Satz des Essays enthebt Valéry sich
weiterer Funktionsbestimmungen: „[...] So ruft vor dem menschlichen Blick dieser
kleine, hohle, gewundene Körper aus Kalk viele Gedanken herbei, von denen keiner
sich vollendet...“479 Valéry verbindet Mensch und Muschel zu einer seltsamen
Schleife der Nutzlosigkeit und des wechselnden Betrachters.
Gaston Bachelard ist an der Muschel als einem Bild der Wohnfunktion interessiert.
Auch er schreibt, daß der Gestaltungsvorgang, nicht die Gestalt, die er
phänomenologisch analysiert, ein Geheimnis bleibe.480 Ein Geheimnis, das die
Wissenschaft nach wie vor beschäftigt. Auch wenn der Biologe Hans Meinhardt nicht
von den Muschelgestalten als ‘Initialwirbeln des Lebens’ spricht, mißt er ihnen
elementare Bedeutung zu und läßt eine Faszination erkennen, die Rousseau vielleicht
auch schon als Konchyliomanie, als Muschelkrankheit, bezeichnet hätte.481 Meinhardt
beginnt seine Publikation über die Muster tropischer Meeresschnecken mit einem
Zitat von Thomas Mann, das Jonathan Leverkühn bei der Betrachtung einer
Meeresschnecke beschreibt. Leverkühn fragt sich nach dem Sinn ihrer Zeichen,
davon ausgehend, daß ‘Zier und Bedeutung’ immer zusammengehören.482 Meinhardt
schreibt, daß man bis heute nicht wisse, wozu die Muster der Schnecken gut sind. Das
Interesse der Wissenschaft beziehe sich auf die Erkenntnis, daß man anhand der
Eigenschaft der Schnecken ein historisches Protokoll zu führen, komplexe nicht-
lineare Musterbildung untersuchen kann.483 Dieser sehr spezielle Fall der
Musterbildung in Raum und Zeit erlaubt eine genaue Beobachtung und Meinhardts
Arbeiten mit Computersimulationen. Die Abbildung 42 soll einen visuellen Eindruck
dieser Arbeiten geben, die Erklärung der Modelle würde an dieser Stelle zu weit
führen. Ein weiteres Bild (Abbildung 43) läßt die Annahme einer mimetischen
Funktion im Sinne einer handwerklich-künstlerischen Nachahmung dieser Muster zu.
                                                 
475
 Leroi-Gourhan (1988): S. 451–453
476
 Aigner/Pochat/Rohsmann (1999): S. 64
477
 Valéry (1993): S. 156
478
 Valéry (1993): S. 168
479
 Valéry (1993): S. 180
480
 Bachelard (1992): S. 117
481
 Aigner/Pochat/Rohsmann (1999): S. 64. Die Autoren erwähnen diesen Begriff in Verbindung mit der
Ornamentik des 18. Jahrhunderts.
482
 Meinhardt (1997): S. V. Zitat aus: Thomas Mann, Doktor Faustus, III. Kapitel.
483
 Meinhardt (1997): S. VI, 172
212
Die differenzierte Kenntnis der Musterbildungsprozesse ist für die Wissenschaft
jedoch in ganz anderer Hinsicht von Interesse. Die Muster der Muscheln werden
hierdurch zu Erklärungsmodellen von dynamischen Systemen wie Grippewellen,
Aktienkurse oder dem menschlichen Gehirn, deren Komplexität und Dynamik ihre
Beobachtung und Interpretation so schwierig machen.
Das Muster als Modell
Neben den so augenfälligen Mustern der Muscheln gibt es andere Muster in der
Natur, die erkannt und als Modelle genutzt werden. Ich werde diese Forschungen
nicht im einzelnen vorstellen, sondern vielmehr Gemeinsamkeiten im Umgang mit
den Mustern zeigen. Das Muster wird selten als disziplinenübergreifender Leitbegriff
gewählt, die Symmetrie, die mathematische Repräsentation oder bestimmte Formen
von Mustern dienen als zusammenführende Momente. Die folgenden Beispiele
werden dies belegen. Die abschließenden Überlegungen richten sich auf die
Funktionalisierung des Musters durch die Naturwissenschaften.
Eine Grundform bzw. -richtung des Musters ist die Spirale. Benno Hess schreibt, sie
gehöre zu den einfachsten Mustern der Natur, die man als stabile Form auf
Schneckengehäusen oder in unseren Fingerabdrücken finden könne.484 Die Be-
rechnungen solcher statischen Spiralen gehen auf Archimedes und wie oben erwähnt
auf Fibonacci zurück. Hess’ Interesse gilt den dynamisch-dissipativen Spiralformen,
die als Muster in jeder Größe anzutreffen sind: von zellulären biologischen
Netzwerken im Mikrometerbereich bis zu den Spiralen meteorologischer Tief-
druckgebiete. Als Entdecker chemischer Verbindungen, die räumliche, dynamische
Muster hervorbringen, werden meist die russischen Forscher Belousov und
Zhabotinsky genannt.485 Durch Beeinflussung der nach ihnen benannten BZ-Reaktion
untersucht Hess räumliche Erregungsmuster. Die Bedeutung der Mechanismen dieser
Reaktionen sind nicht vollständig zu klären. Man weiß, daß diese Muster mit ihren
Übergängen von geordnetem in chaotische Zustände von vitaler Bedeutung sind.486
„Je nach der biologischen Funktion sind räumlich gestreckte oder zirkuläre
Ausbreitungsmuster, physiologische oder pathologische Spiralmuster beobachtet
worden. In jedem einzelnen Fall wird ein biologisches Territorium durch Propagation
von Signalen kontrolliert.“487 Ein Beispiel ist der Lebenszyklus des zelligen
Schleimpilzes, der in Wellenbewegungen verläuft, wie sie die BZ-Reaktion
visualisiert. Demzufolge gehorchen dieser chemische Prozeß und die zellulären
Wechselwirkungen demselben Prinzip.  Goodwin untersucht diese
Übereinstimmungen und schließt daraus, daß nicht die Moleküle und die Be-
schaffenheit der Zellen verantwortlich sind, sondern „ihre Art der Wechselwirkung in
Zeit (ihre Kinetik) und Raum (ihre relationale Ordnung)“.488 Diese Raum-Zeit-
Dimension erzeugt Felder, die durch Selbstorganisation Muster generieren.
                                                 
484
 Köhler (1992): S. 75
485
 Goodwin (1997): S. 83; Cramer/Kaempfer (1992): S. 44. Die Reaktion einer homogenen Lösung aus
organischen und anorganischen Chemikalien verläuft diskontinuierlich. Es bilden sich konzentrische
Ringe, die expandieren und sich an ihren Rändern gegenseitig vernichten.
486
 Köhler (1992): S. 93
487
 Köhler (1992): S. 93
488
 Goodwin (1997): S. 92
213
Die Erklärung für diese scheinbar aus dem Nichts, spontan auftretende Musterbildung
wird meist mit dem bereits beschriebenen Phänomen der Symmetriebrechung in
Verbindung gebracht.489 Beschreibt man die BZ-Reaktion mit diesem Vokabular so
befindet sich die flüssige Mischung in einem empfindlichen Gleichgewicht und
besitzt eine hohe Symmetrie. Durch eine winzige Ursache, z.B. die Vibration eines
Moleküls, wird die Symmetrie gebrochen, d.h. es entsteht ein Muster von blauen und
roten Ringen.490 Stewart nennt weitere Beispiele, wie das Wellenmuster elektrischer
Aktivität des Herzschlags oder die Entwicklung eines Frosches von einer
kugelförmigen Zelle (Rotationssymmetrie) zu einem Lebewesen mit bilateraler
Symmetrie. Ein solches Verständnis begreift das Leben als eine Reihe von
Symmetrieerzeugungen, Formen der Replikation und somit der Repetition. Die
Allgemeingültigkeit der Symmetriebrechung führt Stewart als Grund für die
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zahlreicher Muster an. Demzugrunde liege
dieselbe abstrakte Mathematik, d ie  Mathematik a ls  ‘Gipfel des
Technologietransfers’.491
Grenander, der eine generelle Muster-Theorie geschrieben hat, geht gleichermaßen
von der beherrschenden Idee der Mathematik aus und beruft sich auf Alfred North
Whiteheads Diktum, daß „mathematics is the most powerful technique for
understanding of patterns and for the analysis of the relations of patterns“.492 Sein Ziel
ist die mathematische Repräsentation von Mustern, die dem logischen und
computationalen Verständnis von Mustern dienen soll. In bezug auf die Muster der
Weberei schreibt er, sei es leicht, morphogenetische Gleichungen aufzustellen, da die
Parameter überschaubar und stabil seien. Die mathematische Beschreibung von
rotierend erzeugten Formen, wie beim Töpfern, sei ungleich schwieriger und wird
von ihm auch nicht durchgeführt. Die Gleichungen, die er für die Grundbindungen
der Weberei und auch das Moiré-Muster ausarbeitet, sollen hier nicht besprochen,
sondern lediglich auf das textile Muster aufmerksam gemacht werden.493
Eine disziplinäre Verbindung der Mathematik und der Biologie sind die ‘Bio-
mathematics’, deren Aufgabe u.a. die mathematische Beschreibung der Musterungen
von Zebras, Leoparden oder Schmetterlingsflügeln ist.494 Eine anschaulichere Form
der Mathematik sind die Bilder des ‘symmetrischen Chaos’ von Michael Field und
Martin Golubitsky (Abbildung 44 und 45). Hinter dieser Anschaulichkeit und den
textilen Assoziationen verbirgt sich eine komplizierte Mathematik des Artifiziellen.
Das Vorgehen zur Erzeugung dieser Bilder beschreiben die Autoren ausführlich.495
Die sichtbare Symmetrie ist die der Attraktoren, d.h. das Ergebnis einer Iteration
(Rechenvorschrift) wird visualisiert. Ein seltsamer Attraktor repräsentiert das
Langzeitverhalten von Gleichungen. Seine Symmetrie wird im Mittel dargestellt und
erzeugt Muster. Die Überlegungen der Forscher verfolgen die Ähnlichkeiten,
beispielsweise der symmetrischen Muster von Muscheln und der Attraktoren. Die
                                                 
489
 Cramer/Kaempfer (1992): S. 46; Stewart (1998): S. 100
490
 Stewart (1998): S. 100
491
 Stewart (1998): S. 108
492
 Grenander (1993): S. 847
493
 Grenander (1993): S. 95–99
494
 Murray (1993)
495
 Field/Golubitsky (1993): S. 3–39
214
Folgerung wäre, daß Muscheln oder andere Lebewesen mit symmetrischen Mustern
ein Erzeugnis chaotischen Wachstums, das gemittelt wurde, sind.496 Symmetrie und
Chaos – Ordnung und Unordnung – würden demnach innerhalb eines einfachen
mathematischen Rahmens existieren (die Muster würden nur kompliziert aussehen,
seien aber durch ein kurzes Computerprogramm beschreibbar).497
Die Muster der Masse
Dynamische Systeme ganz anderer Art zeigen sich bei der Beobachtung des Ver-
haltens von Lebewesen, die in Scharen oder Schwärmen auftreten. Der Biologe Kevin
Kelly beschreibt unterschiedliche Schwärme mit dem Schlagwort ‘Mehr ist
anders’.498 Ihm geht es hierbei vorrangig um die Umsetzung von Naturerkenntnis in
komplexe, artifizielle Systeme, die „Vermählung des Geborenen mit dem Ge-
machten“.499 Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz definiert die Schar als die primi-
tivste Form der Vergesellschaftung:
„Der Begriff der Schar ist dadurch bestimmt, daß die Individuen einer Art aufeinander mit
Zuwendung reagieren, also durch Verhaltensweisen zusammengehalten werden, die ein oder
mehrere Einzelwesen bei anderen auslösen. Deshalb ist es für Scharbildung kennzeichnend, wenn
viele Einzelwesen in dichtem Verbande in gleicher Richtung wandern.“500
Genau dieses ‘Wandern in eine Richtung’, das aus Lorenz’ Sicht nicht von Interesse
ist, ist das Besondere des Schwarms.501 Ein Schwarm von Vögeln, der bedroht wird,
unternimmt eine Ausweichbewegung, die so schnell durch den Schwarm läuft, das
die Reaktionszeit unter der des einzelnen Vogels liegt.502 Manche Fischschwärme
formieren sich bei Gefahr zu einer Gestalt eines großen Fisches, ohne daß eine
Verständigung über ein solches Bild des ‘großen Fisches’ existiert. Computer-
simulationen legen die Vermutung nahe, daß das Schwarmverhalten von Lebewesen
aus einem relativ einfachen Regelwerk hervorgeht.503 Trotzdem handelt es sich um
Systeme größter Komplexität, deren Abläufe nicht vorhersagbar sind. Dies beruht auf
ihren Eigenschaften der Selbstorganisation. „Massen erzeugen den erforderlichen
Komplexitätswert für emergente Entitäten.“504 Das Modell der Ameisenkolonie soll
demonstrieren, wie diese emergenten Eigenschaften visualisiert werden und das
Muster hierfür genutzt wird.
Goodwin beobachtet das Bewegungsverhalten von Ameisen und konstatiert eine
Abhängigkeit von der Populationsdichte. „In dem Modell wiesen Kolonien aus einem
Individuum oder wenigen Individuen chaotische Bewegungsmuster auf [...]. Oberhalb
einer kritischen Populationsdichte kam es jedoch in der Kolonie zu einem Übergang
zu rhythmischer Aktivität.“505 Um diese Rhythmen zu visualisieren, werden sie in
                                                 
496
 Field/Golubitsky (1993): S. 39
497
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 257
498
 Kelly (1997): S. 37
499
 Kelly (1997): S. 8
500
 Lorenz (1983): S. 138
501
 Lorenz’ Interesse gilt dem aggressiven Verhalten von Lebewesen, seine These bezieht die anonymen
Scharen als Beispiel für nicht aggressives, da nicht an persönliche Bindungen gekoppeltes Verhalten
mit ein. Lorenz (1983): S. 146
502
 Kelly (1997): S. 21
503
 Kelly (1997): S. 22
504
 Kelly (1997): S. 37
505
 Goodwin (1997): S. 124
215
Koordinatensysteme und anschließend in räumliche Muster übertragen. Auf diesem
abstrakten Niveau zeigt Goodwin auf, daß die Ameisenkolonie als erregbares
Medium definiert und ihr Verhalten auf andere erregbare Medien, wie das
menschliche Gehirn oder künstliche neuronale Netze, übertragen werden kann.506
An dieser Stelle greift der Mensch in das Geschehen aktiv ein, Kelly spricht von der
Form, das ‘Mehr’ zu strukturieren und unterscheidet dabei zwei Extreme. Das eine
Extrem bilden die beschriebenen Schwarmsysteme, deren Vorteile Kelly benennt:
Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit, Unbegrenztheit, evolutives Verhalten. Das
andere Extrem, das sequentielle, mechanistische System, beschreibt Kelly nicht, über
die Beschreibung der Nachteile der Schwarmsysteme läßt sich jedoch seine
Vorstellung rekonstruieren. Für das mechanistische System liefert er das Bild des
‘langen Fadens aufeinanderfolgender Operationen’ und des ‘Fabrikfließbandes’.507
Die Vorteile solcher Systeme sind ihre Steuerbarkeit und die sich hieraus ableitende,
mögliche, Effizienz und Direktheit. Das ihnen zugrundeliegende Kausalprinzip
garantiert das Verständnis des Systems und seine Vorhersehbarkeit. Kelly liefert
hierfür keine Beispiele, geht es ihm doch um die Schwarmsysteme. Diese sollen hier
nachgeliefert werden: Das Muster als Visualisierung dieser Systeme führt zu einer
Verbindung mit dem Phänomen der Masse beim Menschen.
Elias Canetti unterscheidet vier Eigenschaften der Masse: ihr Streben nach Wachs-
tum, die Gleichheit ihrer Einzelteile, ihre Dichte und Richtungsgebundenheit. Je nach
Gewichtung dieser Charakteristika gelange man zu verschiedenen Einteilungen der
Masse.508 In dem hier zu zeigenden Zusammenhang ist die von Canetti als
rhythmische Masse bezeichnete von besonderem Interesse. Dichte und Gleichheit
fielen bei ihr von Anfang an zusammen. „Alles hängt hier an Bewegung. Alle
Körperreize, die zu erfolgen haben, sind vorausbestimmt und werden im Tanze
wiedergegeben.“509 Der Tanz, die Aufmärsche und militärischen Paraden sind die
Formen der rhythmischen Masse, deren Musterhaftigkeit im folgenden beschrieben
wird. Die Gleichheit dieser Massen wird durch ihre Steuerung gewährleistet: Sie sind
Ausdrucksmittel eines Willens.
Die Instrumentalisierung des Tanzes durch Geometrisierung und Symmetrisierung in
der höfischen Zeit wurde bereits dargestellt. Im 20. Jahrhundert sind es die Tänze der
Revuetheater und Revuefilme, die das Muster nutzen.510 Die Tänzerinnen
(bezeichnenderweise war die Tänzermasse weiblich) werden hierfür auf einen
Rapport reduziert. Der Körper der Tänzerin wurde standardisiert.511 Hierdurch war es
gleichermaßen möglich, die Körperteile als Rapport zu nutzen, aus rechten Beinen
und linken Armen ein Muster zu bilden. Das bedeutet, daß eine große Anzahl an
‘Rapporten’ vorhanden sein muß, da das Muster durch eine räumliche und zeitliche
                                                 
506
 Goodwin (1997): S. 125
507
 Kelly (1997): S. 37
508
 Canetti (1980): S. 26
509
 Canetti (1980): S. 27
510
 In diesem Zusammenhang wird fast ausschließlich von Ornamenten gesprochen, ohne das der
Begriff erläutert wird. Der vermischende Gebrauch mit dem Begriff des Musters konnte auch hier
festgestellt werden. Vgl. Klooss/Reuter (1980); Kracauer (1977). Die Definition des Musters, wie sie
hier eingeführt wurde, rechtfertigt den Gebrauch des Begriffs ‘Muster’.
511
 Klooss/Reuter (1980): S. 63f. Das ‘Tanzmaterial’ ist genormt, die Körpermaße und die Form der
Gliedmaßen wurden geprüft.
216
Wiederholung erzeugt wird. Für die räumliche Wiederholung bedurfte es vieler Girls:
„Ein Girl gibt es nicht...Erst wenn sie ein Wesen mit vierundzwanzig Beinen
geworden sind, führen sie den Namen zu Recht.“512 Dieses Wesen mußte sich in
völliger Perfektion bewegen, Fritz Giese (1890–1935), Dozent für Eurythmik und
industrielle Psychotechnik, spricht von einer Girltechnik.513 Die Bühne des
Revuetheaters begrenzte die Möglichkeiten der Musterung. Die Revuetreppe als
bühnentechnisches Mittel simulierte eine Aufsicht, die die Musterbildung in zweierlei
Hinsicht begünstigte: Die Muster konnten nun auch in den Raum gestaffelt und aus
mehr Tänzerinnen gebildet werden.514 Neben der von Klooss und Reuter betonten
Vertikalisierung der Bühne durch die Treppe, läßt sich auch eine Dynamisierung und
Rhythmisierung feststellen.515 Die Treppe führt die Diagonale als Bewegungsrichtung
ein, die Treppenstufen strukturieren den Raum in der Horizontalen. Die Schritte, die
Beine, werden hierdurch besonders exponiert und der Rhythmus wie auf Notenlinien
sichtbar gemacht. Mit den Mitteln der Filmtechnik, und hier besonders die ‘top-
shots’, läßt sich der Blick in besonderer Weise erweitern, nämlich als Reduktion auf
die Fläche.516 Der Blick des Betrachters wird geführt, so daß er die Körper als
flächiges Muster wahrnehmen muß. Das Körperhafte der Tänzerinnen wird nur noch
für die Bewegung genutzt: Die Muster verändern sich, erschaffen immer neue Bilder.
„Der Sprung in die Aufsicht radikalisiert das von den Revuen vorgeführte Massenornament, da er
durch den Bruch mit der gewohnten Frontalansicht der Körper zugleich das Bewußtsein von deren
Präsenz auslöscht. [...] Die Wiederherstellung der natürlichen Gestalt des Ornaments beweist das
Gelingen dieser Operation, dieses Umschlags der Struktur in ein selbständiges Bild [...].“517
Die Natürlichkeit des Ornaments, die nun erreicht wurde, bezieht sich auf seine
Zweidimensionalität, die Perspektive löscht die Natürlichkeit der Körper aus. Diese
Beschreibung und Interpretation der ‘Menschenornamente’ stimmt mit den einleitend
analysierten Definitionen des Ornaments überein, die es als Flächiges und
Attributives ausweisen. Die Kamerafahrten in die Formen, die Perspektivwechsel, die
Metamorphosen, die Berkeley durchführt, lassen jedoch eher den Begriff des Musters
zu, den er auch selbst verwendet.518
Siegfried Kracauer verwendet in seinem berühmten Essay ‘Das Ornament der Masse’
beide Begriffe, den des Ornaments vorwiegend, aber auch den des Musters.519 Sein
Interesse gilt den Oberflächenphänomenen, ob Ornament oder Muster. „Der Ort, den
eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren
Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche
über sich selbst.“520 Der Physiker Murray Gell-Mann macht mehr als ein halbes
Jahrhundert später folgende Aussage: „Oberflächenkomplexität erwächst aus
                                                 
512
 Alfred Polgar (1927), zitiert nach: Klooss/Reuter (1980): S. 62
513
 Giese (1925): S. 19
514
 Klooss/Reuter (1980): S. 62
515
 Auf den Zusammenhang von Rhythmus, Rapport und Diagonale wurde bereits hingewiesen.
516
 Klooss/Reuter (1980): S. 90f. Die Autoren beschreiben ausführlich die Arbeiten Busby Berkeleys,
der die top-shots eingeführt hat.
517
 Klooss/Reuter (1980): S. 91
518
 Klooss/Reuter (1980) sprechen von ‘Menschenornamenten’ (auch im Untertitel der Publikation),
Berkeley soll von sich behauptet haben: „Ich denke in Formationen und Mustern, das ist für mich ganz
natürlich.“ (S. 90)
519
 Kracauer (1977) spricht vom Massenornament, aber auch von der Bildung und Regelmäßigkeit von
Mustern oder vom Stadionmuster. (S. 51, 54)
520
 Kracauer (1977): S. 50
217
Tiefeneinfachheit.“521 Gell-Mann beschäftigt sich mit den Eigenschaften komplexer
Systeme. Die Bewegungen der Massen als komplexe Systeme begreifend, lassen sich
die beiden Aussagen verknüpfen. Kracauer beschreibt die Musterbildung aus der
Masse: Der Mensch wird zum Massenglied, zum Bruchteil einer Figur. „Arme,
Schenkel und andere Teilstrecken sind die kleinsten Bestandstücke der
Komposition.“522 Diese Position bedingt, daß das einzelne Glied das Muster nicht
mitdenken kann und sich nur in der Masse realisieren kann (es gibt nicht ein Tiller-
Girl). Das Massenornament spiegele die Gesamtsituation, die Prinzipien des
kapitalistischen Produktionsprozesses. Über die Tiller-Girls schreibt er in einem
anderen Aufsatz:
„Sie waren nicht nur amerikanische Produkte, sie demonstrierten zugleich die Größe der
amerikanischen Produktion. [...] Wenn sie eine Schlange bildeten, die sich auf und nieder bewegte,
veranschaulichten sie strahlend die Vorzüge des laufenden Bands; wenn sie im Geschwindtempo
steppten, klang es wie: Business, Business; wenn sie die Beine mathematisch genau in die Höhe
schmetterten, bejahten sie freudig die Fortschritte der Rationalisierung: und wenn sie stets wieder
dasselbe taten, ohne daß ihre Reihe je abriß, sah man innerlich eine ununterbrochene Kette von
Autos aus den Fabrikhöfen in die Welt gleiten und glaubte zu wissen, daß der Segen kein Ende
nehme.“523
Die Analyse der schillernden Oberfläche, der Revuetheater mit den Tiller-Girls,
verweist auf die Industrialisierung, die in dieser Zeit einen Höhepunkt erreicht. Ihre
Tiefeneinfachheit besteht in der sequentiellen Anordnung der Prozesse, der
Produktion linearer Muster: eindimensional (Fließband) und repetitiv
(Taylorisierung).
Der Begriff der Tiefeneinfachheit eignet sich auch für die Beschreibung
faschistischer Propaganda: Die Simplizität scheint nicht mehr zu unterbieten und ihr
Korrelat mit Brutalität nicht mehr zu überbieten zu sein. Die militärische Parade ist
das Muster der Masse, das die Eigenschaften des mechanistischen Systems am
offensichtlichsten trägt. Steuerbarkeit und Vorhersehbarkeit werden durch die
Konzentration in einer führenden Person und der Eliminierung von Störfaktoren
gewährleistet. Die Synchronisation der Bewegungen führt zu einem Einheitsgefühl,
das zu einem gemeinsamen Gedanken werden soll. Die strengen Symmetrien und
Repetition auf allen Ebenen erzeugen eine Monumentalität, die die Wirkung
potenziert, die die „suggestiven Potentiale serieller Strukturen“ nutzt.524 Die Geomet-
risierung des Körpers beginnt mit dem Training und wird durch die Uniformen
perfektioniert. Jeder einzelne wird mit seinem symmetrischen Körper und seiner
Uniform zu einem Teil des Rapports. Die Einheiten der Körper werden wiederum in
strengen, einfachen Symmetrien, Reihungen, aufgestellt und bewegt.
„Der Mensch als auswechselbare kleinste Einheit zum Endlosrapport gefügt, das ist die Ästhetik
der ‘mustergültigen’ Barbarei. Über dieser Weltordnung wacht das Auge Gottes nicht mehr. [...]
Wo Menschen zu repetierenden Ornamenten, zu Endlosspalieren, Kolonnen, Blöcken und seriellen
Reihen gefügt werden, kann es keinerlei Freiheit geben.“525
                                                 
521
 Lewin (1993): S. 27
522
 Kracauer (1977): S. 53
523
 Kracauer (1977): S. 342
524
 Hilmes/Mathy (1998): S. 179
525
 Rosamunde Neugebauer, Der Holocaust in der Sicht deutsch-jüdischer Künstler und Künstlerinnen.
Zitiert nach: Hilmes/Mathy (1998): S. 183
218
Das Muster wird zum Instrument totaler Herrschaft. Der Führer und die Masse stehen
in einem eindeutigen Verhältnis zueinander.526 Die Massenmuster sind zugleich
Macht- und Drohgebärde, die sowohl nach innen, also auf die Masse selbst, aber auch
nach außen, auf die Gegner wirkt.527 „Man zwingt die Masse dazu, sich überall selbst
zu erblicken (Massenversammlungen, Massenaufzüge usw.). Die Masse ist sich so
immer gegenwärtig und oft in der ästhetisch verführerischen Form eines Ornaments
oder eines effektvollen Bildes.“528
Militärische Paraden, organisierte Arbeitsabläufe und streng choreographierte Tänze
hat es auch schon früher gegeben.529 Die Repetition materialisiert sich in den
Menschenmustern, als Struktur der Einübung konstituiert sie auch Muster.530 Das
Wiedererkennen, als Erfolg der Konditionierung, löst gezielt Handlungen aus. Die
Wiederholung als Hauptcharakteristikum des Musters bestimmt wesentlich die
Gewohnheit, ist ein Mittel der Macht und der Züchtigung.
Die hier aufgeführten Beispiele aus den 20er und 30er Jahren stellen einen Höhe-
punkt dieser Entwicklung dar, der mit dem Höhepunkt der Industrialisierung ein-
hergeht.531 Die Konsumorientierung der Nachkriegszeit betont das Serielle als
Zeichen der Fülle der Waren und nicht mehr als Zeichen ihrer Produktion.
Die hier beschriebenen Muster der Masse sind exemplarisch für zwei Extremformen
gewählt worden. Die Ausführungen Canettis und Kellys zeigen, daß es viele
Hybridformen gibt.532 Diese Polarisierung diente der Verdeutlichung der Funktion des
Musters. In einem Schwarmsystem entstehen Muster als emergente Phänomene aus
dem Chaos. Das Muster als erkennbare Ordnung wird als Hinweis auf Sinn und
Intelligenz gelesen, die die Wissenschaft sich zunutze machen will. In einem
mechanistischen System wird das Muster zu einem Instrument der Macht. Das
Muster dient der Disziplinierung der Massen. Der Aufbau des Musters ist strikt
geregelt, die Auswahl seiner Teile definiert: Inklusion und Exklusion sind
wesentliche Mittel dieses Vorgehens. Als Ganzes ist das Muster Ausdruck eines
Willens, der sich via Repetition in Raum und Zeit auf die Masse überträgt.
Kalkulationismus
Viele der hier besprochenen Muster sind reine Zahlenprodukte, visualisierte Er-
gebnisse von Rechenoperationen, die nur mit Hilfe der Rechengeschwindigkeit
moderner Computer möglich sind. Das erklärte Ziel dieser Operationen sind
Modellierung und Simulation von komplexem Verhalten.533 Grundlage dieser Idee
                                                 
526
 Dülmen (1998): S. 370. Hans-Ulrich Thamer weist auf das Geschlechterverhältnis hin: der männliche
Führer, der die weibliche Masse manipuliert.
527
 Canetti (1980): S. 32
528
 Kracauer (1977): S. 340
529
 Foucault (1994): S. 242. „Die politische Zeremonie war immer eine geregelte Entfaltung von Macht
gewesen [...]. Ein ganz anderer Typ von Zeremonie entspricht der Disziplin: nicht die übermächtige
Sichtbarkeit des Triumphes, sondern die Übersichtlichkeit der Parade. In dieser prunkvollen Spielart der
Prüfung werden die ‘Subjekte’ als Objekte einer Macht zur Beobachtung vorgeführt, die sich nur durch
ihren Blick kundtut. Sie empfangen nicht direkt das Bild der souveränen Macht, sondern bringen deren
Wirkungen nur in ihren genau lesbar und gelehrig gewordenen Körpern zur Geltung.“
530
 Lefebvre (1992): S. 56
531
 Ellwanger (1994): S. 21f
532
 Canetti (1980): S. 26–28; Kelly (1993): S. 42
533
 Wehr/Weinmann (1999): S. 249
219
sind die beschriebenen Zahlenmuster, die verblüffenden Übereinstimmungen, die
schon Galilei konstatiert habe und sagte, das Buch der Natur sei in der Sprache der
Mathematik geschrieben.534 Sitte schreibt, daß viele Wissenschaftler in diese Falle
gegangen seien und Anhänger der Zahlenmystik wurden.
 „Denn immer liegt ihr der gleiche Zirkelschluß zugrunde: Daß man in der dinglichen Welt
aufgefundene Regelmäßigkeiten durch ein mathematisches Gesetz besonders elegant ausdrücken
kann, bedeutet keine Erklärung. Denn daß in einem transzendenten ideellen Sein die Ursachen für
vordergründig Reelles liegt, ist zwar möglich, aber wir haben keine Möglichkeit, es zu
beweisen.“535
Einen Anteil an dem Funktionieren der ‘Falle’ haben die Muster, genauer gesagt ihre
Eigenschaften der Symmetrie, des Rhythmus und der Repetition. Hofstadter spricht
von einer allgemeinen Empfänglichkeit für Muster und einer besonderen des
Mathematikers: „Tatsächlich setzt die Art und Weise, wie Mathematiker miteinander
kommunizieren, einen ‘objektiven’ oder ‘natürlichen’ ästhetischen Sinn für Muster
voraus.“536 Das Wiedererkennen, die Regelmäßigkeit und die Schönheit wirken als
Attraktor und gleichermaßen als Beweis. Die Konstruktivität dieser Muster wird
hierüber meist vergessen oder vernachlässigt. Ian Stewart bedenkt diese
Gegebenheiten in bezug auf die Symmetrie und schreibt, daß Symmetrie und
Geometrie Erfindungen des Menschen seien, die Mathematik, die er zu ihrer Be-
schreibung benötige, habe der Mensch jedoch aus dem Universum.537 Für Stewart läßt
dies den Schluß zu, daß Gott symmetrisch denke, Hofstadter spricht von einem
‘Mathegott’.538 Für einen Atheisten bedeutet es vielleicht, daß die Zahlen vom
Himmel gefallen sind. In jedem Fall gesteht diese Auffassung ausschließlich
Mathematikern die Möglichkeit der Erkenntnis zu.539
Daß es auch andere Auffassungen gibt, verdeutlicht das Zitat von Hermann Weyl:
„Die letzten Grundlagen und die eigentliche Bedeutung der Mathematik bleiben ein offenes
Problem; wir wissen weder, in welcher Richtung seine Lösung zu finden ist, noch, ob überhaupt
eine endgültige objektive Antwort erwartet werden kann. Vielleicht ist ‘Mathematisieren’, wie
Musizieren, eine schöpferische Tätigkeit des Menschen, deren Produkte nicht nur formal, sondern
auch inhaltlich durch die Entscheidungen der Geschichte bedingt sind und daher vollständiger
objektiver Erfassung trotzen.“540
Dieser Hinweis auf Konstruktivität und Historizität der Wissenschaft, und letztlich
auch der Konvergenz, ist in dieser Deutlichkeit selten. Für eine Untersuchung, die
sich quer zu vielen Handlungsfeldern anhand eines Leitbegriffs bewegt, ist er von
großer Bedeutung, da es von einer Aufgabe der Hierarchisierung der schöpferischen
Tätigkeiten des Menschen zeugt.
                                                 
534
 Köhler (1992): S. 295
535
 Köhler (1992): S. 295
536
 Hofstadter (1996): S. 86
537
 Stewart/Golubitsky (1993): S. 278, 285
538
 Hofstadter (1996): S. 27
539
 Henri Poincaré, ein berühmter Mathematiker (1854-1912) schreibt: „Ist die mathematische Analyse
... nur ein eitles Spiel des Geistes? Sie kann dem (Wissenschaftler) nur eine geeignete Sprache liefern;
ist die nicht ein mittelmäßiger Dienst, auf den man, streng genommen, verzichten kann; und ist nicht
sogar zu befürchten, daß diese künstliche Sprache ein Schleier sein könnte, der sich zwischen die
Realität und das Auge des (Wissenschaftlers) legt? Weit gefehlt; ohne diese Sprache wären uns die
meisten inneren Analogien der Dinge für immer unbekannt geblieben; und für alle Zeit hätten wir die
innere Harmonie der Welt nicht bemerkt, die ... die einzige, wahre, objektive Realität darstellt.“ Zitiert
nach: Winfree (1988): S. 171
540
 Weyl (1990): S. 279
220
Die ‘Macht des Bildes’ hat an der Konstruktion von Weltwirklichkeit einen
besonderen Anteil. Die Visualisierung von Daten erzeugt Daten und erfindet das, was
sie vorgibt, objektiv wiederzugeben.541 Die Mediendiskussion endet dementsprechend
nicht bei den Naturwissenschaften. Die Mittel ihrer Beobachtung sind hiervon
gleichermaßen betroffen.
Die Abbildungen 46 und 47 zeigen Aufnahmen aus einem Elektronenmikroskop. Auf
den ersten Blick kann man das eine Bild für eine Perlenarbeit und das andere für eine
unscharfe Aufnahme eines Fliesenmusters halten. Der zweite Blick wird nur dem
spezialisierten Wissenschaftler Erkenntnis bringen. Die Musteranordnungen geben
Hinweise auf physikalische und chemische Eigenschaften der Substanzen. Bei der
Elektronenmikroskopie wird durch das Einstrahlen elektromagnetischer Wellen eine
Wechselwirkung erzielt, die aufgezeichnet und in Daten umgesetzt wird. Für die
Mustererkennung ist die Frage, ob es sich hierbei um „objektgetreue Abbilder oder
um Scheinstrukturen handelt“, von großer Bedeutung.542 Zur Überprüfung der Daten
werden Modellrechnungen simuliert, also wieder die Mathematik eingesetzt. Die
Sinnvermutung, die das Muster auslöst, initiiert also zwei unterschiedliche Formen
der Visualisierung als Beweis. Im Falle der Übereinstimmung ist die Neigung groß,
die Konstruktivität beider Verfahren zu vernachlässigen. Die Superstringtheorie wird
u.a. aufgrund der technischen Unmöglichkeit der Visualisierung angezweifelt. Die
Strings sind so klein, daß sie mit gegenwärtigen Mitteln als Punkte und eben nicht als
eindimensionale Filamente wahrgenommen werden.543 Auch hier kam die Schönheit
der Theorie zu Hilfe: „Die mathematische Struktur der Stringtheorie war so schön
und hatte so viele wunderbare Eigenschaften, daß sie auf irgendeine tiefere Wahrheit
hindeuten mußte.“544
Das letzte Beispiel für das Bedürfnis des Menschen nach Erklärung durch
Visualisierug und Sensualisierung betrifft ein aktuelles Thema: das Human-
genomprojekt. Die ‘Entdeckung’ der physikalischen Struktur der DNS durch Watson
und Crick 1953 bestätigte die Form der Spirale ein weiteres Mal als eine
lebensspendende. Diese „Spirale aller Spiralen“545 sieht aus wie ein Makrameeknoten
(Abbildung 48 und 49), daraus zu schließen, daß Gott nicht nur würfelt, sondern auch
noch eine Schwäche für Knotentechniken hat, ginge nun doch zu weit.546 Da die
Kenntnis der physikalischen Struktur allein noch keinen Hinweis auf die
Funktionsweise des Genoms gibt, wurde weitergeforscht. Nun ging es um das
Entschlüsseln eines ‘Codes’, das Entziffern der ‘Buchstabenkombinationen’. D.h. das
Bild wird durch ein anderes Bild, nämlich das vertraute der Schrift, ersetzt. Ein Text,
der Text der Menschheit, muß gelesen werden. Die DNS wird als Fadenmolekül mit
linearem Aufbau beschrieben, die Information, die sie trägt, ist in drei Milliarden
                                                 
541
 Claus Pias: „Landschaften der Wahrscheinlichkeit“, in: FAZ 22. November 2000, Nr. 272, N6
542
 Köhler (1992): S. 156
543
 Greene (2000): S. 170. „Wir brauchten einen Beschleuniger, der die Materieteilchen mit Energien
aufeinanderkrachen ließe, die mehrere Millionen Milliarden mal stärker als die Energien gegenwärtiger
Beschleuniger wären [...].“
544
 Greene (2000) zitiert den Physiker John Schwarz. (S. 166)
545
 Cramer/Kaempfer (1992): S. 285
546
 Das Bild des würfelnden Gottes kam mit der Popularisierung der Chaosforschung auf und hält sich
bis heute. Siehe bespielsweise: Mathias Bröckers: „Und er würfelt doch...“, in: taz, 25. Oktober 1989
oder: Richard Morris: Gott würfelt nicht, Hamburg/Wien 2001
221
Buchstaben verschlüsselt.547 Da die Entschlüsselung kompliziert ist, dauert sie lange
und erlebt einen weiteren Modewechsel in der Wissenschaftsrepräsentation: das
Mapping. Das Genom wird nun kartiert, die Lage bestimmter Gene lokalisiert. Eine
Tagung zu diesem Thema hat u.a. gezeigt, wie unzutreffend dieses Bild der Karte ist.
Die Genomsequenz spiegele nicht die Ordnung eines Organismus wieder, der
Genotyp sei keine Karte des Phänotyps. Eine andere Form der Kartierung
menschlicher Gene, es soll die Häufigkeit genetischer Merkmale auf geographischen
Karten verzeichnet werden, wirft politische und gesellschaftliche Fragen nach dem
Mißbrauch der Forschungsergebnisse auf.548 Eine weitere Methode, DNS erfahrbar zu
machen, ist, sie zu Vertonen, eine DNA Suite zu komponieren. Die Übersetzung der
Algorithmen in Töne soll der Identifikation von Strukturen dienen. „Thus the
representational value of each musical idea was more important than its aesthetic
consequence.“549 Diesen Verfahren, das Unsichtbare begreifbar – und kommerziell
nutzbar – zu machen, ist eines gemein: die Suche nach Mustern.
Komplexität
Die hier nur exemplarisch, und verkürzt, dargestellten Phänomene werden in ver-
schiedenen Gebieten der Naturwissenschaften (Chaosforschung, Emergenz,
Synergetik, Synchronizität, Selbstorganisation etc.) untersucht. Die Komplexitäts-
theorie möchte diese Gebiete unter dem Stichwort der nicht-linearen dynamischen
Systeme zusammenfassen.550 Ihr erklärtes Ziel ist es, die Muster der Natur zu er-
klären. „Die Komplexitätswissenschaft lehrt uns, daß die Komplexität, die wir in der
Welt erblicken, ein Ergebnis fundamentaler Einfachheit ist. [...] Da einfache Systeme
komplexe Muster erzeugen, haben wir eine echte Chance, diese Muster zu
verstehen.“551 Ein interdisziplinärer Sonderforschungsbereich ‘Natürliche Konstruk-
tionen’ existiert seit 1984 in Stuttgart, initiiert von Frei Otto. Der Grundgedanke ist
auch hier „die Erkenntnis, daß sich die immense Formenvielfalt der Natur auf einige
gemeinsame Konstruktionsprinzipien zurückführen läßt.“552 Eine Lesung der
Schriften des Sonderforschungsbereiches benennt in Kurzform einige der hier
dargestellten Charakteristika: Die Wiederentdeckung der Zeit, d.h. die Irreversibilität
der Zeit kennzeichnet sie als ein Qualitatives. Die Natur wird als ein Schöpferisches
verstanden, aus dem die Wissenschaft lernen kann. Gebrochene Dimensionen und
Symmetrien erzeugen Komplexität und verweisen auf die Relativität der Stabilität.
Die Rückkehr zur mesoskopischen Ebene. Die Einheit der Wirklichkeit wird nicht
mehr reduktionistisch erzeugt, aber auch nicht durch eine Weltformel ausgedrückt.
Die Existenz dynamischer Prozesse, die auf allen Ebenen Komplexität generieren,
wirkt als vereinheitliches Moment.553
                                                 
547
 Christiane Nüsslein-Volhard: „Den Göttern gleich’ ich nicht!“, in: FAZ 23. Februar 2001, Nr. 46,
S. 43
548
 Achim Bahnen: „Wanderer, kommst du nach 7q31.2“, in: FAZ 7. März 2001, Nr. 56, S. 49
549
 http://ndbserver.rutgers.edu/NDB/archives/MusicAtlas
550
 Lewin (1993): S. 24
551
 Lewin (1993): S. 236
552
 Arch+ 121 (1994): S. 38
553
 Arch+ 121 (1994): S. 42
222
Das Muster spielt in diesen Ausführungen keine zentrale Rolle, wie hier jedoch
gezeigt werden konnte, ist das Muster als Leitbegriff geeignet und wird von einigen
Wissenschaftlern zentral benannt.
„Ich bin der festen Überzeugung, daß die Wahrnehmung, die Extrapolation und die Verallge-
meinerung von Mustern den Kern der Kreativität bilden und daß man zu einem Verständnis dieser
grundlegenden kognitiven Prozesse nur gelangen kann, wenn man sie in äußerst beschränkten und
mit der allergrößten Sorgfalt entwickelten Mikrobereichen abbildet.“554
Der Erfinder der Quarks, Murray Gell-Mann, formuliert sehr prägnant: „Komplexe
adaptive Systeme sind Mustersucher.“555 Demzufolge dienen Muster der
Komplexitätsreduktion, die wiederum unser Überleben sichert. Mustersuche ent-
spricht viablem Verhalten. Die Erkennung von Mustern gehört zur kognitiven
Grundausstattung des Menschen. Die Vorgänge der Musterbildung und -suche sind
Bestandteil lebender Systeme. Die Gesellschaft, die Kultur (und damit auch die
textilen Erzeugnisse) oder auch das menschliche Gehirn sind komplexe adaptive
Systeme, die Muster suchen. Die ‘Arbeit’ dieser Mustersucher wurde hier verfolgt.
                                                 
554
 Hofstadter (1996): S. 103f
555
 Lewin (1993): S. 28
223
Die seltsame Schleife
Die seltsame Schleife wurde als textiles Bild der Unendlichkeit selbstbezüglicher
Systeme eingeführt. Die Unendlichkeit dieses resümierenden Kapitels bezieht sich
auf verschiedene Phänomene: die Dimensionen, die Repetition, die Möglichkeiten der
Musterungen und auf die seltsame Schleife. Selbstreferentialität, die Unendlichkeit
produziert. Demgegenüber steht die gewünschte formale Endlichkeit einer
wissenschaftlichen Arbeit.
„Der Begriff der Seltsamen Schleife impliziert den der Unendlichkeit; denn was ist
eine Schleife anderes als eine Methode, einen endlosen Vorgang mit Mitteln der
Endlichkeit darzustellen?“1 Der Konflikt zwischen Endlichem und Unendlichem
erzeugt ein Gefühl des Paradoxen. Kurt Gödels Entdeckung der seltsamen Schleife in
der Mathematik wird von Hofstadter als Übersetzung eines uralten philosophischen
Phänomens in die Mathematik beschrieben. Die Epimenides-Paradoxie ist ein
Beispiel für eine einstufige seltsame Schleife. Der Kreter Epimenides sagt: „Alle
Kreter sind Lügner.“ Gödel hat diese sprachliche Selbstbezüglichkeit in die
Mathematik übertragen, das mathematische Denken als Methode zu seiner eigenen
Erforschung angewandt.2 Das Ergebnis ist der Unvollständigkeitssatz, der besagt, daß
„die einzigen Versionen der formalen Zahlentheorie, die ihre eigene Wider-
spruchsfreiheit sichern, widerspruchsvoll sind.“3 Die Übertragbarkeit dieses Satzes ist
beschränkt, seine Inspirationskraft hinsichtlich der Betrachtung der seltsamen
Schleifen möchte ich für die Schlußbemerkung nutzen.
Die Kennzeichnung der Gesellschaft und der Kultur als Mustersucher, als komplexe
Systeme, hat den Menschen als Akteur zunächst nicht vorgesehen. Er ist jedoch nur
scheinbar abwesend bzw. im Laborzustand der Wissenschaft häufig ausgesperrt.
Diese Aussperrung ist notwendig bzw. Teil der Wissenschaftstradition des
dualistischen Prinzips. Wird diese Trennung von Subjekt und Objekt, von Be-
obachtetem und Beobachter aufgehoben, entsteht eine seltsame Schleife. Mit Ein-
schränkungen vollzieht Hofstadter diese Parallelisierung des Gödelschen Unvoll-
ständigkeitssatzes und der geistigen Repräsentation mit den Mitteln des Geistes.4 Die
Unvollständigkeit bedeutet eine Begrenzung des Nachdenkens über das Nachdenken.
Die Mustererkennung und -bildung als kognitive Grundausstattung, so wie sie von
mir vorgestellt wurde, entzieht sich demzufolge in gleicher Weise einer vollständigen
Repräsentation. Das Mustern des Musters wird zu einer seltsamen Schleife. Um
dieser Schleife zu entgehen, habe ich einen definierten Beobachterposten
eingenommen, von dem aus das Muster und die Beobachter des Musters beobachtet
wurden. Auf die Eigenschaft der Selbstreferentialität wurde hingewiesen,
abschließend soll sich ihr gestellt werden, d.h. das eigene Mustern des Musters einer
Reflexion unterzogen werden.
                                                 
1
 Hofstadter (1985): S. 17
2
 Hofstadter (1985): S. 19
3
 Hofstadter (1985): S. 742
4
 Hofstadter (1985): S. 741f
224
Dies soll im Rahmen konstruktivistischer Theorie und kognitionswissenschaftlicher
Erkenntnis geschehen.5 Die Verschränkung des hier Dargestellten mit diesen
Theorien dient der Rekonstruktion der Konstruktion anhand des Musters, wie sie bei
Dux als Voraussetzung der Erkenntnis benannt wird.6
Besonders die Ausführungen zur visuellen Intelligenz haben gezeigt, daß die
phänomenale Welt eine vom menschlichen Gehirn konstruierte ist. Diese Kon-
struktivität ist umfassend, d.h. auch die Vorstellungen über das Gehirn und seine
Funktionsweise sind Konstrukte.
„Ebenso ist die grundsätzliche Untergliederung der phänomenalen Welt in drei Bereiche, nämlich
die uns umgebende Welt, unseren Körper und unsere mentale Welt, eine Konstruktion unseres
Gehirns. [...] Es ist eine der Hauptleistungen unseres kognitiven Systems während seiner
Ontogenese, diese ‘ontologischen Bereiche’ zu konstituieren.“7
Wie ich gezeigt habe, ist das Muster Bestandteil aller drei Bereiche und veranlagt
sich in gewisser Weise, als wechselwirkender Konstruktionsvorgang, selbst. Es ist an
der Ontogenese beteiligt, indem es elementare Erfahrungen des Raumes vermittelt:
nämlich das Innen und Außen und das Körperhafte.
Die epistemologische Funktion des Musters konnte besonders im Hinblick auf die
Mathematik gezeigt werden, die wiederum eine Form der mentalen Repräsentation
darstellt. Eine (über-)lebensnotwendige Bedingung der Ontogenese ist die Trennung
zwischen System und Umgebung, zwischen Innen und Außen, die bei
bewußtseinsfähigen kognitiven Systemen eine zusätzliche Wiederholung (Ver-
dopplung) im Innen des Systems erfährt.
„Die Beziehung zwischen Geist und Gehirn erscheint uns rätselhaft, weil ihre Unterscheidung ein
notwendiger Zustand der Selbstdifferenzierung unseres kognitiven Systems während der
Konstitution von ‘Wirklichkeit’ ist, nämlich im Rahmen der Notwendigkeit, ‘wirklich Vor-
handenes’ von ‘nur Gedachtem’ zu unterscheiden.“8
Für die Neurobiologie stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob die Beziehung
zwischen Geist und Gehirn gemäß dieser Erkenntnis überhaupt analysierbar ist. Roth
sieht eine Möglichkeit auf der Basis neuester technischer Möglichkeiten und der
Einsicht in die emergenten Strukturen des Gehirns.9 Ihm geht es hier nicht um die
Bedeutung der Muster für diese Prozesse, es konnte jedoch gezeigt werden, wie eng
die Konzepte der Selbstorganisation und der Emergenz mit Musterbildungs- und
Mustererkennungsprozessen verbunden sind. In diesem Zusammenhang wurde
deutlich, daß das Auftauchen von Mustern, von Ordnung aus dem Chaos, immer mit
einer Sinnvermutung einhergeht. Das Leben an sich kann Goodwin zufolge nur dort
entstehen und überleben, wo ein gewisses Maß an Mustern, an Ordnung vorhanden
ist. Diese Muster müßten jedoch als dynamische Systeme begriffen werden, ein
statisches, reduktionistisches Modell, das alles auf die Gene zurückführe, könne keine
„wahre wissenschaftliche Erkenntnis“ produzieren.10
                                                 
5
 Hierbei beziehe ich mich vor allem auf die Texte von Roth (1992), Dux (2000) und Hofstadter (1985)
sowie auf einige Aspekte des radikalen Konstruktivismus, wie Heinz von Foerster (1993) ihn vertritt.
6
 Dux (2000): S. 48
7
 Roth (1992): S. 128
8
 Roth (1992): S. 129
9
 Roth (1992): S. 130
10
 Goodwin (1997): S. 24, 275, 277
225
Aber auch die Erkenntnis und Beobachtung dynamischer und komplexer Muster ist
nicht voraussetzungslos. Die Konstruktivität des Musters annehmend, verlieren die
Sinnvermutungen und Objektivierungen ihre Grundlage. Ein Entrinnen aus der
seltsamen Schleife scheint unmöglich. „Im konstruktiven Verständnis der
menschlichen Daseinsform in der Moderne ist die Konstruktivität selbst nicht zu
durchbrechen. Die Rekonstruktion der Konstruktion aus den Bedingungen lehrt
jedoch, in welcher Weise die Konstrukte sachhaltig werden.“11 In dieser Weise sind
meine Ausführungen zum Muster zu verorten. Ich habe die Muster als Konstrukte der
Wahrnehmung, des Denkens, des Verhaltens und der Wissenschaft vorgestellt. Der
Sinn der Konstruktion von Mustern besteht in ihrer Funktionalisierung, deren Varietät
demonstriert wurde. Abschließend werde ich die wichtigsten Funktionen des Musters
als Ergebnis meiner Mustersuche noch einmal benennen.
Ich habe mich vor allem mit visuell und manuell erfahrbaren Mustern beschäftigt.
Anhand des textilen Modells konnte die ontogenetische Funktion des Musters gezeigt
werden. Die textilen Muster als Muster der Bewegung konstituieren das relationale
Selbst im Raum.
Die epistemologische12 Funktion des Musters ist eng mit seiner repetitiven Eigen-
schaft verbunden. Die Wiederholungsvorgänge des Zählens haben dies gezeigt. Der
Übergang vom Konkreten zum Abstrakten, der Erfindung der Zahl, beruht auf der
Erkenntnis der Wiederholung. Auch das Erkennen und Nutzen der Symmetrie beruht
auf der vorgängigen Erkenntnis der Wiederholung als Prinzip.
Das Repetitive des Musters in den Vordergrund stellend, wird es zur Disziplinierung
genutzt: textile Handarbeiten, Marschieren, höfische Tänze. Die Möglichkeiten der
Instrumentalisierung der unterschiedlichen Disziplinierungsmaßnahmen beruhen auf
dem Vorgang der Wiederholung. Die Repetition einer Bewegung (beim Tanz, Joggen
oder dem oft zitierten Uhrpendel) kann jedoch auch zu einer Art Selbsthypnose,
einem tranceartigen, meditativen Zustand führen.
Die Kennzeichnung dieser beiden elementaren Funktionen des Musters, der onto-
genetischen und der epistemologischen, als Bestandteil der kulturellen Praxis lassen
eine Nutzung im didaktisch-pädagogischen Bereich zu. István Hargittai nutzt das
textile Muster als Modell für die Symmetriegruppen: Die ungarischen Stickmuster
dienen der Illustration.13 Paulus Gerdes rekonstruiert anhand textiler Techniken das
mathematisch-geometrische Grundverständnis.14 In beiden Ansätzen kommt dem
Textilen eine nachträgliche, erklärende Funktion zu. Das Erkennen und die
Erzeugung textiler Muster könnte jedoch gezielt für den Wissenserwerb eingesetzt
werden. Die Beispiele haben gezeigt, daß eine Form der ‘Textilmathematik’ ent-
wickelbar ist. Das textile Muster kann der Erschließung des Raumes und seinen
Dimensionen, dem Verständnis von Symmetrie, der Erfahrung von Rhythmus dienen.
Als greifbares Phänomen, nämlich als auszuführende bzw. sich experimentell
                                                 
11
 Dux (2000): S. 480
12
 Epistemologie wird von mir in der Foersterschen Weise als Theorie des Erkenntnis- und
Wissenserwerbs verstanden. Foerster (1993): S. 50
13
 Hargittai/Hargittai (1986): Kap. 8
14
 Gerdes (1990); (1997)
226
anzueignende Technik, ist das Muster als Leitbegriff durch verschiedene Hand-
lungsfelder geeigneter als Abstrakta.
Das Muster, wie es für das Textile als konstitutiv-konstruierendes vorgestellt wurde,
kann der konkreten Aneignung der Welt dienen: als eine Veräußerung, als
Materialisation des Gedachten.
Das Muster als Attraktor der visuellen Wahrnehmung regt zum Vergleich an. Der
Vorgang des Vergleichens wiederum beinhaltet die Möglichkeit der Ordnungs-
erzeugung, der Bildung von Klassen und Kategorien, die als fundamentale Aufgabe
des Gehirns angesehen wird. Das Klassifizieren als biologische Konstante, das auch
bei Tieren nachweisbar ist, ist lebensnotwendig. Die Mustererkennung, die das
Klassifizieren und „fast jede kognitive Aktivität des Gehirns“ einschließt, ist dem-
entsprechend von fundamentaler Bedeutung.15 Wie komplex die Vorgänge der Wahr-
nehmung und Mustererkennung sind, wurde gezeigt. Die Prinzipien der
Mustererkennung zu verstehen, würde den Menschen in den Stand setzen,
intelligentere Maschinen zu bauen. Hierfür muß die Konstruktivität einbezogen, als
Form der menschlichen Kontextualisierung begriffen werden. Die Beschäftigung mit
Mustern führt zu den Begriffen der Komplexität und Prozessualität, die dem
Reduktionismus und Kalkulationismus entgegenstehen. Die Unschärfe und die
Dynamik menschlicher Wahrnehmung und menschlichen Denkens und Handelns
findet hierüber Eingang in die Wissenschaft.16
Manuelle und visuelle Intelligenz zeichnen sich durch die Instrumentalisierung der
Mustererkennung aus. Der Mensch als Teil der Gesellschaft sucht Muster und
instrumentalisiert sie vor allem in der Musterproduktion.
Das Muster als kognitive Grundausstattung des Menschen ist ein Mittel der Welt-
aneignung. Die Intentionalität dieser Aneignung macht das Muster zu einem Be-
deutungsträger und somit zu einem ‘Muster mit Wert’.
                                                 
15
 McNeill/Freiberger (1994): S. 317
16
 McNeill/Freiberger (1994): S. 104. Das Forschungsfeld der Fuzzy Logic beschäftigt sich explizit mit
Unschärfen und operiert deshalb u.a. mit sprachlichen und nicht mit exakten Zahlenwerten.
227
Abbildungsverzeichnis
Titelblatt 1: Wallpaper* may/june 1999, The bull’s eye design, S. 82
Dieses Bild ist Teil einer Kampagne der Dayton Hudson Brands, Inc. unter dem Titel ‘The bull’s
eye design’.
Abb. 1: Die verschiedenen Symmetrieoperationen und ihre Kombinationen
aus: Müller, Claus (1985): Symmetrie und Ornament, Opladen, S. 38
Abb. 2: ‘The seven symmetry classes of one-sided bands’
aus: Hargittai, István/Hargittai, Magdolna (1986): Symmetry through the eyes of a chemist,
Weinheim/New York, S. 333
Abb. 3: ‘Illustration of the seven symmetry classes of one-sided bands by Hungarian needlework’
aus: Hargittai, István/Hargittai, Magdolna (1986): Symmetry through the eyes of a chemist,
Weinheim/New York, S. 334–335
Abb. 4: Zwei von 17 möglichen zweidimensionalen Flächenmustern mit den Symmetrien ‘pmg2’
und ‘p4gm’ (internationale Notation). Beide Beispiele sind Stickmustervorlagen aus Ungarn, 19.
Jh.
aus: Hargittai, István/Hargittai, Magdolna (1986): Symmetry through the eyes of a chemist,
Weinheim/New York, S. 349
Abb. 5: Parallelogrammatische Gitter
aus: Mainzer, Klaus (1988): Symmetrie der Natur, Berlin/New York, S. 149
Abb. 6: Die Venus von Milo mit der Spindel
aus: Barber, Elizabeth W. (1994): Women’s Work. The First 20000 Years, New York/London, S.
237
Abb. 7: Musterskizze eines durch Zettelbrief und Schußfolge in Tuchbindung gebildeten
Hahnentrittmusters
aus: Hofer, Alfons (1994): Stoffe 2, Frankfurt a.M., S. 471
Abb. 8: Leonardo da Vinci, Gewandstudie
aus: Leonardo da Vinci (1990): Die Gewandstudien, Ausstellungskatalog,
München/Paris/London, S. 53
Abb. 9: Stoffmusterentwurf ‘Fabrik’, 1930
Farbkopie vom Original, Privatsammlung der Galerie Ruf, Rastatt
Abb. 10: Stofffragment ‘Internationaler Tag der Jugend’, 1929
Farbkopie vom Original, Privatsammlung der Galerie Ruf, Rastatt
Abb. 11: Musterzeichnung aus Sibmacher, Newes Modelbuch In Kupffer gemacht, Nuremberg,
1604
aus: Abegg, Margaret (1978): Apropos Patterns, Bern, S. 105
Abb. 12: Mustervorlagen (Holzschnitt) aus Nüw Modelbüch. Allerley gattungen Däntelschnur,
Zürich um 1561
aus: Earnshaw, Pat (1982): A Dictionnary of Lace, o.O.
228
Abb. 13: Emilio Pucci, Seidencape, 1965
aus: Kennedy, Shirley (1991): Pucci. A Renaissance in Fashion, New York/London/Paris,
S. 105
Abb. 14: „Per Computer errechnetes ‘Schicksal’ eines imaginären Pendels. Die eingefärbten
Muster illustrieren, über welchem von drei Magneten (Attraktoren) eine am Faden aufgehängte
Eisenkugel schließlich endet.“
aus: GEO-Wissen. Chaos + Kreativität, 1993, S. 126
Abb. 15: Wandmalerei eines Giotto-Schülers, um 1340, Bozen, San Domenico
aus: Pastoureau, Michel (1995): Des Teufels Tuch, Frankfurt a.M./New York, S. 26
Abb. 16: „Ralph Neville, Earl of Westmorland and his children, c. 1410–30“
aus: Boucher, François (1996): A History of Costume in the West, London, S. 214
Abb. 17: Bildnis der Herzogin Katharina von Mecklenburg von Lucas Cranach d.Ä., um 1514
aus: Thiel, Erika (1990): Geschichte der Mode, Augsburg, S. 173
Abb. 18: F. de Llano, Infantin Isabella Clara Eugenia, 1584 (Madrid, Prado)
aus: Boucher, François (1996): A History of Costume in the West, London, S. 218
Abb. 19: Zwei Modelle aus der großen ‘Italia-Modenschau 59 burda-legler’
aus: burda Februar 1959, Verlag Aenne Burda, Offenburg, S. 28
Abb. 20: Keramikschüssel, Iran, 9.–10. Jh., Metropolitan Museum of Art, New York
aus: Graber, Oleg (1992): The mediation of Ornament, Washington, S. 15
Abb. 21: Sonia Delaunay, ‘L’Alphabet’, 1947
aus: Brandstetter, Gabriele (1995): Tanz-Lektüren, Frankfurt a.M., S. 431
Abb. 22: ernst jandl, ‘streben: eine entwicklung’
aus: Siblewski, Klaus (Hg.) (1985): Ernst Jandl, Gesammelte Werke, Bd. 1: Gedichte,
Darmstadt/Neuwied, S. 379
Abb. 23: Pierre Bayle, Dictionaire historique et critique, Rotterdam 1720
aus: Grafton, Anthony (1995): Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, München, Abb.
7
Abb. 24: Eine beliebige Seite aus ‘Glas’
aus: Derrida, Jacques (1974): Glas, Paris, S. 69
Abb. 25: Moiré-Pattern
aus: Hargittai, István/Hargittai, Magdolna (1986): Symmetry through the eyes of a chemist,
Weinheim/New York, S. 362
Abb. 26: Druckstoff, Bauhaus Dessau, 1932
aus: Wichmann, Hans (Hg.) (1990): Von Morris bis Memphis. Textilien der Neuen Sammlung,
Basel/München, S. 206
Abb. 27: Diskus von Moordorf, Bronzezeit
Harley, J.B./Woodward, David (1987): The History of Cartography, Vol. 1, Chicago/London, S.
91
Abb. 28: Karte von Spanien im 1. Jh. n. Chr.
aus: FAZ, 8. Dezember 1999
229
Abb. 29: Königlicher Teppich aus dem Palast in Fumbam (Legende nach Paul Gebauer)
aus: Woodward, David/Lewis, Malcolm G. (Hg.) (1998): The History of Cartography, Vol. 2,
Book Three, Chicago/London, S. 46
Abb. 30: Sébastien Le Clerc, Ludwig XIV. besichtigt die Académie des Sciences, 1671
aus: Burke, Peter (1993): Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Frankfurt a.M.,
S. 81
Abb. 31: Pierre Rameau, ‘Gran bal du Roi’, 1725
aus: Taubert, Karl Heinz (1968): Höfische Tänze, Mainz, S. 27
Abb. 32: Caroso ‘Nobilità di Dame’ (Il Ballerino), Venedig 1605
aus: Fritz Böhme: Ein Kapitel aus der Geschichte der Choreographie, in: Schrifttanz, Heft 1,
7/1928, 1. Jg., S. 7
Abb. 33: Kellon Tomlinson, Grand plan with figures, 1727
aus: Louppe, Lawrence (1994): Traces of Dance, Paris, S. 102
Abb. 34: Orthographie: Sechs Personen, die sich die Hände reichen
aus: Laban, Rudolf von (1928): Schrifttanz, 1. Beiheft, S. 14
Abb. 35: Der Tanzkörper wird durch ein Fünfliniensystem aufgeteilt
aus: Schrifttanz, Heft 2, Oktober 1928, S. 33
Abb. 36: Dymaxion-Projektion und Mercator-Projektion (jeweils mit Abwicklung)
aus: Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Nr. 116: Gebaute Weltbilder, März 1993,
S. 52
Abb. 37: Holzgeschnitzte Urfigur der Tabwa mit Mulalambo Linie und V-förmigem Muster
aus: Woodward, David/Lewis, Malcolm G. (Hg.) (1998): The History of Cartography, Vol. 2,
Book Three, Chicago/London, S. 31
Abb. 38: Dreidimensionale Karte der ‘Ammassalik Eskimo’
aus: Woodward, David/Lewis, Malcolm G. (Hg.) (1998): The History of Cartography, Vol. 2,
Book Three, Chicago/London, S. 169
Abb. 39: Notenschrift, Debussy, Preludes
aus: Hargittai, István (Hg.) (1986): Symmetry. Unifying Human Understanding, New York, S.
447
Abb. 40: ‘Das symmetrische Geheimnis der Seele der Musik’. Visualisierung von Tonfrequenzen
aus: Hargittai, István (Hg.) (1986): Symmetry. Unifying Human Understanding, New York, S.
463
Abb. 41: ‘Apfelmännchen’
aus: GEO-Wissen. Chaos + Kreativität, 1993, S. 182
Abb. 42: „Bildung von Verzweigungen in Oliva porphyria. a) Viele Verzweigungen entstehen
simultan an weit auseinanderliegenden Stellen. b) Im Modell wird ein homogen verteiltes
Hormon (grün) angenommen, das von allen aktivierten Zellen produziert wird und das die
Bildung von Verzweigungen steuert. c) Stoffverteilung am Ende der in b) gezeigten Simulation.“
aus: Meinhardt, Hans (1997): Wie Schnecken sich in Schale werfen, Berlin/Heidelberg, S. 98
Abb. 43: Schale von Ficus gracilis. Muster, das durch die Überlagerung von zwei Systemen ent-
steht. Ein System bildet ein zeitstabiles Muster im Raum, das andere ein oszillierendes Muster.
aus: Meinhardt, Hans (1997): Wie Schnecken sich in Schale werfen, Berlin/Heidelberg, S. 56
230
Abb. 44: Ein symmetrisches Fraktal
aus: Field, Michael/Golubitsky, Martin (1993): Chaotische Symmetrien, Basel, S. 181
Abb. 45: ‘Pfeffer und Salz’. Ein Muster, das mit mathematischen Vorschriften berechnet wurde,
welche die Symmetrien von quadratischen und sechseckigen Pflasterungen besitzen.
aus: Field, Michael/Golubitsky, Martin (1993): Chaotische Symmetrien, Basel, S. 57
Abb. 46: „Dieses molekulare Blumenband entsteht spontan, wenn Nickel-Komplexe von Cyclam
und Benzoltricarbonsäure in Wasser zusammengebracht werden. Die aus jeweils sechs
Nickelkomplexen und sechs Säuremolekülen zusammengesetzten und durch Wasserstoff-brücken
zusammengehaltenen Ringe bilden ein dreidimensionales Netz.“
aus: FAZ, 9. Juni 1999, N6
Abb. 47: Oberfläche eines Silizium-Kristalls
aus: FAZ, 8. Januar 1997, N1
Abb. 48: DNA-Doppelhelix (Vergrößerung: 100 Ångström)
aus: Morrison, Philip (1985): Zehn Hoch, Heidelberg, S. 85
Abb. 49: Geknüpfte Spirale aus Halbknoten (Makrameetechnik)
aus: Lammèr, Jutta (1975): Werkkunstbuch, Ravensburg, S. 193
231
Erfassungsbogen
Erfassung der Grunddaten:
Titel:
Aufbewahrungsort:
Inventarnr.:
Datierung:
Herkunft: 
Technische Beschreibung:
Objektbeschreibung:
Größe:
Material:
Herstellungstechnik:
Kunst-/Kulturhistorische Beschreibung:
Muster
Rapport:
Motivgröße:
Material (mustergenerierend):
Herstellungstechnik:
Kurzbeschreibung (Vorder-/Rückseite):
Musterbeschreibung
Musteranalyse
Gruppe:
Grundform:
Musteranordnung:
Symmetrie:
Rhythmus/Bewegung:
Farbe (Wirkung):
Bemerkungen:
Literatur:
232
Erfassungsbogen
Erfassung der Grunddaten:
Titel: Stoffmusterentwurf (‘russische Sammlung’)
Aufbewahrungsort: Galerie Ruf, Rastatt
Inventarnr.: --
Datierung: 29.3.1930
Herkunft: Rußland
Technische Beschreibung:
Objektbeschreibung: Mehrfarbiger, gezeichneter Entwurf auf Papier
Die Art der Ausführung des Entwurfs ist nicht vermerkt.
Größe: Es ist jedoch anzunehmen, daß den vorhandenen Textil-
Material: fragmenten ähnliche Verfahren und Techniken geplant
Herstellungstechnik: waren.
Kunst-/Kulturhistorische Beschreibung:
Muster
Rapport: Höhe: 7,8 cm; Breite: 10,2 cm
Motivgröße: Höhe: 3,7 cm; Breite: 3,8 cm
Material (mustergenerierend): s.o.
Herstellungstechnik:
Kurzbeschreibung: Auf hellem Grund in versetzter Reihung Muster von
(Vorder-/Rückseite) stilisierten Fabriken und rauchenden Schornsteinen in
den Farben schwarz, mauve und zinnoberrot.
Musterbeschreibung
Musteranalyse
Gruppe: Ebene Muster, Flächenornament
Grundform: Vieleck; Dreiecke als Einzelelemente vorherrschend
Musteranordnung: linear, Diagonale betonend
Symmetrie: Translation; Verschiebung in zwei Richtungen
Rhythmus/Bewegung:  Diagonalen des Rauchs mit flachem Winkel erzeugen
gemäßigte, kontinuierliche Bewegung
Massencharakter durch Reihung (Repetition)
Stilisierung und Farbigkeit erzeugt Leichigkeit
Farbe (Wirkung): Antirealistisch
Bemerkungen: Ein angedruckter Stoff ist nicht Bestandteil der Sammlung.
Literatur: I. Jassinskaja: Russische Textildrucke der 20er und 30er
Jahre, Tübingen 1983
Stichwort: Konstruktivismus, russ. Avantgarde
233
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Abb. 2: ‘The seven symmetry classes of one-sided bands’
Abb. 3: ‘Illustration of the seven symmetry classes of one-sided bands by Hungarian needlework’
Abb. 4: Zwei von 17 möglichen zweidimensionalen Flächenmustern mit den Symmetrien ‘pmg2’ und ‘p4gm’
(internationale Notation). Beide Beispiele sind Stickmustervorlagen aus Ungarn, 19. Jh.
Abb. 5: Parallelogrammatische Gitter
Abb. 6: Die Venus von Milo mit der Spindel
Abb. 7: Musterskizze eines durch Zettelbrief und Schussfolge in Tuchbindung gebildeten Hahnentrittmusters
Abb. 8: Leonardo da Vinci, Gewandstudie
Abb. 9: Stoffmusterentwurf ‘Fabrik’, 1930
Abb. 10: Stofffragment ‘Internationaler Tag der Jugend’, 1929
Abb. 11: Musterzeichnung aus Sibmacher, Newes Modelbuch 
In Kupffer gemacht, Nuremberg, 1604
Abb. 12: Mustervorlagen (Holzschnitt) aus Nüw Modelbüch. Allerley gattungen Däntelschnur, Zürich um 1561
Abb. 13: Emilio Pucci, Seidencape, 1965
Abb. 14: „Per Computer errechnetes ‘Schicksal’ eines imaginären Pendels. Die eingefärbten Muster illustrieren,
über welchem von drei Magneten (Attraktoren) eine am Faden aufgehängte Eisenkugel schließlich endet.“
Abb. 15: Wandmalerei eines Giotto-Schülers, um 1340, Bozen, San Domenico
Abb. 16: „Ralph Neville, Earl of Westmorland and his children, c. 1410-30“
Abb. 17: Bildnis der Katharina von Mecklenburg von Lucas Cranach d. Ä., um 1514
Abb. 18: F. de Llano, Infantin Isabella Clara Eugenia, 1584 (Madrid, Prado)
Abb. 19: Zwei Modelle aus der großen ‘Italia-Modenschau 59 burda-legler’
Abb. 20: Keramikschüssel, Iran, 9.-10. Jh., Metropolitan Museum of Art, New York
Abb. 21: Sonia Delaunay, ‘L’Alphabet’, 1947
Abb. 22: ernst jandl, ‘streben: eine entwicklung’
Abb. 23: Pierre Bayle, Dictionaire historique et critique, Rotterdam 1720
Abb. 24: Eine beliebige Seite aus ‘Glas’
Abb. 25: Moiré-Pattern
Abb. 26: Druckstoff, Bauhaus Dessau, 1932
Abb. 27: Diskus von Moordorf, Bronzezeit
Abb. 28: Karte von Spanien im 1. Jh. n. Chr.
Abb. 29: Königlicher Teppich aus dem Palast in Fumbam (Legende nach Paul Gebauer)
Abb. 30: Sébastien Le Clerc, Ludwig XIV. besichtigt die Académie des Sciences, 1671
Abb. 31: Pierre Rameau, ‘Gran bal du Roi’, 1725
Abb. 32: Caroso ‘Nobilità di Dame’ (Il Ballerino), Venedig 1605
Abb. 33: Kellon Tomlinson, Grand plan with figures, 1727
Abb. 34: Orthographie: Sechs Personen, die sich die Hände reichen
Abb. 35: Der Tanzkörper wird durch ein Fünfliniensystem aufgeteilt
Abb. 36: Dymaxion-Projektion und Mercator-Projektion (jeweils mit Abwicklung)
Abb. 37: Holzgeschnitzte Urfigur der Tabwa mit Mulalambo Linie und V-förmigem Muster
Abb. 38: Dreidimensionale Karte der ‘Ammassalik Eskimo’
Abb. 39: Notenschrift, Debussy, Preludes
Abb. 40: ‘Das symmetrische Geheimnis der Seele der Musik’. Visualisierung von Tonfrequenzen
Abb. 41: ‘Apfelmännchen’
Abb. 42: „Bildung von Verzweigungen in Oliva porphyria. a) Viele Verzweigungen entstehen simultan an weit
auseinanderliegenden Stellen. b) Im Modell wird ein homogen verteiltes Hormon (grün) angenommen, das von
allen aktivierten Zellen produziert wird und das die Bildung von Verzweigungen steuert. c) Stoffverteilung am
Ende der in b) gezeigten Simulation.“
Abb. 43: Schale von Ficus gracilis. Muster, das durch die Überlagerung von zwei Systemen entsteht. Ein System
bildet ein zeitstabiles Muster im Raum, das andere ein oszillierendes Muster.
Abb. 44: Ein symmetrisches Fraktal
Abb. 45: ‘Pfeffer und Salz’. Ein Muster, das mit mathematischen Vorschriften berechnet wurde, welche die
Symmetrien von quadratischen und sechseckigen Pflasterungen besitzen.
Abb. 46: „Dieses molekulare Blumenband entsteht spontan, wenn Nickel-Komplexe von Cyclam und
Benzoltricarbonsäure in Wasser zusammengebracht werden. Die aus jeweils sechs Nickelkomplexen und sechs
Säuremolekülen zusammengesetzten und durch Wasserstoffbrücken zusammengehaltenen Ringe bilden ein dreidi-
mensionales Netz.“
Abb. 47: Oberfläche eines Silizium-Kristalls
Abb. 48: DNA-Doppelhelix (Vergrößerung: 100 Ångström)
Abb. 49: Geknüpfte Spirale aus Halbknoten (Makrameetechnik)