Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten der Georg-August-Universität zu Göttingen vorgelegt von Thiele, Martina aus Göttingen Göttingen 2001 D 7 Referent: Aufermann, Jörg; Prof. Dr. Korreferent: Koschwitz, Hans-Jürgen; Prof. Dr. Dr. Korreferent: Lösche, Peter; Prof. Dr. Tag der mündlichen Prüfung: 2000-10-23 Inhalt Tabellen V Formalia VII I. Theoretische Fundierung 9 I.1. Einleitung 9 I.2. Vorgehensweise 12 I.3. Begriffsklärung 14 I.3.1. „Holocaust“ 15 I.3.2. „Publizistische Kontroverse“ 19 I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ 22 I.5. Forschungsstand 27 I.5.1. Geschichtsvermittlung durch Film und Fernsehen 31 I.5.1.1. Probleme der Darstellbarkeit 32 I.5.1.2. Bildertabu 38 I.5.2. Filmgattungen: synthetischer und dokumentarischer Film 42 I.5.3. Neuere Ansätze in der Filmwissenschaft: Konstruktivismus und Cultural Studies 51 I.6. Ziel der Untersuchung 60 I.6.1. Anlage und Methode der Untersuchung 64 I.6.2. Auswahl der Filme 67 I.6.3. Auswahl der Literatur 70 I.7. Die Rolle der Filmkritik 73 I.8. Bilder des Holocaust 81 I.8.1. Filme und TV-Dokumentationen zu Nationalsozialismus und Holocaust 85 I.8.2. Deutsche Nachkriegsfilme zu Nationalsozialismus und Holocaust bis 1949 87 I.8.3. DDR-Filme zu Nationalsozialismus und Holocaust (1949-1989) 94 I.8.4. Bundesdeutsche Filme zu Nationalsozialismus und Holocaust (1949-1990; 1990-1999) 103 I.8.5. Internationale Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust 124 I.8.5.1. Polen, Tschechoslowakei, Sowjetunion 128 II I.8.5.2. USA 133 I.8.5.3. Italien und Frankreich 136 I.9. Annahmen 138 II. Analysen der publizistischen Kontroversen über den Holocaust im Film 140 II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 140 II.1.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 140 II.1.2. Inhalt des Films und Interpretation 142 II.1.3. Mitwirkende 148 II.1.4. Resonanz 151 II.1.5. Filmkritiken 152 II.1.6. Morituri und das Gesamtwerk Artur Brauners 158 II.1.7. Resümee 163 II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 166 II.2.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 166 II.2.2. Inhalt des Films und Interpretation 167 II.2.3. Mitwirkende 179 II.2.4. Resonanz 183 II.2.5. Filmkritiken 191 II.2.6. Nacht und Nebel und das Gesamtwerk Alain Resnais‘ 201 II.2.7. Resümee 204 II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 207 II.3.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 207 II.3.2. Inhalt des Films und Interpretation 208 II.3.3. Mitwirkende 211 II.3.4. Resonanz 213 II.3.5. Filmkritiken 218 II.3.6. Mein Kampf und das Gesamtwerk Erwin Leisers 228 II.3.7. Resümee 231 II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 235 II.4.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 235 II.4.2. Inhalt und Interpretation 236 II.4.3. Mitwirkende 243 II.4.4. Resonanz 249 II.4.5. Filmkritiken 250 II.4.6. Nackt unter Wölfen und das Gesamtwerk Frank Beyers 256 II.4.7. Resümee 260 II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 267 II.5.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 267 II.5.2. Inhalt des Films und Interpretation 268 II.5.3. Mitwirkende 275 I.1. Einleitung III II.5.4. Resonanz 278 II.5.5. Filmkritiken 284 II.5.6. Ein Tag und das Gesamtwerk Egon Monks 293 II.5.7. Resümee 294 II.6. Holocaust (USA 1978) 298 II.6.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 298 II.6.2. Inhalt des Films und Interpretation 298 II.6.3. Mitwirkende 306 II.6.4. Resonanz 309 II.6.5. Filmkritiken 318 II.6.6. Exkurs: Die Holocaust-Resonanz in der DDR 329 II.6.7. Resümee 333 II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 339 II.7.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 339 II.7.2. Inhalt des Films und Interpretation 340 II.7.3. Mitwirkende 344 II.7.4. Resonanz 355 II.7.5. Filmkritiken 359 II.7.6. Der Prozeß und das Gesamtwerk Eberhard Fechners 372 II.7.7. Resümee 375 II.8. Shoah (Frankreich 1985) 378 II.8.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 378 II.8.2. Mitwirkende 379 II.8.3. Inhalt des Films und Interpretation 385 II.8.4. Resonanz 396 II.8.5. Filmkritiken 400 II.8.6. Exkurs: Die Shoah-Resonanz in Polen 408 II.8.7. Shoah und das Gesamtwerk Claude Lanzmanns 413 II.8.8. Resümee 416 II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 420 II.9.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 420 II.9.2. Inhalt des Films und Interpretation 421 II.9.3. Mitwirkende 428 II.9.4. Resonanz 431 II.9.5. Filmkritiken 435 II.9.6. Schindlers Liste und das Gesamtwerk Steven Spielbergs 460 II.9.7. Resümee 465 III. Fazit 472 III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der untersuchten Filme im Vergleich 472 III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 477 IV III.2.1. Das Thema Holocaust an sich 478 III.2.2. Die filmische Repräsentation des Holocaust 479 III.2.3. Holocaustfilme als Produkt der „Kulturindustrie“ 482 III.2.4. Der Gegenwartsbezug 483 III.2.5. Quantität und Qualität deutscher Holocaustfilme 486 III.2.6. Resonanz und Wirkung 487 III.2.7. Deutsche Spezifika 489 III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 490 IV. Literatur 496 I.1. Einleitung V Tabellen Tabelle 1: Vermeintlicher Gegensatz von Dokument und Fiktion .........43 Tabelle 2: Einteilung der untersuchten Filme .........................................44 Tabelle 3: Gegenüberstellung der ‚neuen’ und der ‚alten’ Filmkritik ....77 Tabelle 4: Internationale Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust..............................................................................127 Tabelle 5: Altersstruktur der Besucher der Sondervorführung von Nacht und Nebel ...................................................................187 Tabelle 6: Grundsätzliche Einstellung zur Ausstrahlung des Fernsehspiels Ein Tag ..........................................................279 Tabelle 7: Gründe für die Einstellung zum Fernsehspiel Ein Tag........280 Tabelle 8: Fernsehspiele Egon Monks ..................................................293 Tabelle 9: Einschaltqouten und Sehbeteiligung von Holocaust bei einzelnen Folgen und den anschließenden Diskussionen ....312 Tabelle 10: Durchschnittliche Sehbeteiligung von Holocaust in Untergliederung nach Geschlecht, Alter und Bildung.......313 Tabelle 11: Ausstrahlungstermine von Der Prozess in Deutschland....356 Tabelle 12: Sehbeteiligung an Der Prozess (in %) ...............................357 Tabelle 13: Sendetermine von Shoah....................................................398 Tabelle 14: Einschaltquoten von Shoah (in %).....................................398 Tabelle 15: Sequenzgraphik Schindlers Liste .......................................425 VI I.1. Einleitung VII Formalia Ich halte mich an die sogenannte „alte Rechtschreibung“, wie sie seit August 2000 auch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wieder praktiziert wird. Das hat vor allem Auswirkungen auf das Zusammen- und Getrenntschreiben, die Zeichensetzung und die Groß- und Klein- schreibung. Statt „ss“ am Ende eines Wortes schreibe ich „ß“, „st“ wird nicht getrennt, etc. Was den Gebrauch männlicher und weiblicher Formen anbelangt, so unterscheide ich im Singular, spreche also beispielsweise von der Kriti- kerin und dem Kritiker. Die weibliche Form im Plural verwende ich dann, wenn ausschließlich weibliche Rezipienten o.ä. gemeint sind, also Zuschauerinnen oder Leserinnen. Geht es um Frauen und Männer, spre- che ich von Zuschauern oder Lesern und meine damit ausdrücklich beide Geschlechter. Die im Text vorkommenden Autoren zitiere ich zumindest bei der ersten Nennung mit Vor- und Zunamen, um zu verhindern, daß mit dem Nachnamen „automatisch“ ein männlicher Autor in Verbindung gebracht wird. Den strengen Anforderungen an die Vollständigkeit eines Quellennach- weises kann ich nicht in jedem Fall gerecht werden, weil die bibliogra- phischen Angaben auch bei Zeitungsartikeln aus wissenschaftlichen Archiven, erst recht den Privatarchiven, zuweilen nicht ausreichen. Es fehlen gerade bei den älteren Publikationen Seitenzahlen, Angaben zum Jahrgang, Heftzählungen o.ä. Auf diese Quellen sollte dennoch nicht verzichtet werden, da sie Informationen enthalten, die anders nicht zu ermitteln gewesen wären. Quellen noch einmal nachzuprüfen ist auch deshalb schwierig, weil Zeitungen und Zeitschriften, selbst wenn sie zu den „Meinungsführermedien“ zählen, in den Bibliotheken nicht syste- matisch gesammelt werden. Lücken gibt es bei den frühen Jahrgängen der vierziger und fünfziger Jahre, bei den Fachzeitschriften, aber auch bei neueren Publikationen. Ein Blatt wie Die Woche (seit 1993), in dem viele wichtige Beiträge zu Schindlers Liste erschienen sind, ist per Fern- leihe nicht zu bekommen. Zeitungs-, Zeitschriften und sämtliche Filmtitel werden kursiv gedruckt, auch wenn beispielsweise in Filmkritiken der Filmtitel in Anführungs- zeichen steht. Um den Lesefluß nicht zu stören, habe ich auch längere Zitate nicht durch Einrücken oder einen anderen Zeilenabstand hervor- gehoben. Auslassungen sind durch ... gekennzeichnet, Ergänzungen ste- hen in eckigen Klammern. Hervorhebungen in den Zitaten werden über- nommen, Fehler durch sic! gekennzeichnet. Schreibweisen, die durch eine nicht korrekte Transkription aus den slavischen Sprachen im Deut- VIII schen üblich geworden sind, korrigiere ich im Zitat nicht. Im eigenen Text steht aber beispielsweise „Čechov“ statt „Tschechow“. Zitate im Zitat werden durch einfache Anführungszeichen ausgewiesen. Wird die- selbe Quelle zitiert, erfolgt ein Kurzbeleg mit Angabe der Seitenzahl: A.a.O., S. 10. Werden dieselbe Quelle und dieselbe Seite zitiert, heißt es nur: Ebenda. Ist der Verlagsort Berlin, unterscheide ich für die Zeit von 1949-1990 zwischen Berlin (Ost) und Berlin (West). Das Literaturver- zeichnis ist alphabetisch geordnet. I.1. Einleitung 9 I. Theoretische Fundierung I.1. Einleitung Das Problem der Darstellbarkeit historischer Ereignisse durch Film und Fernsehen wird, seit es diese Medien gibt, kontrovers diskutiert. Gerade die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, ihre Darstellung und Bewertung, geben Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen. Auch fünf- zig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges streiten Wissenschaftler, Intel- lektuelle, Politiker und Publizisten über einen Film wie Schindlers Liste, über den Bau des Holocaust-Mahnmals in der neuen und alten Haupt- stadt Berlin, darüber, ob der 8. Mai 1945 ein „Tag der Niederlage“ oder ein „Tag der Befreiung“ gewesen ist, und über ein Buch, das die Deut- schen als „Hitlers willige Vollstrecker“ bezeichnet. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten soll wach bleiben. Darin sind sich alle einig. Fünfzig Jahre nach Ende der Diktatur leben jedoch nur noch wenige Zeitzeugen, die befragt werden können. Wenn nur die Erinnerung vor Wiederholung zu schützen vermag, wie soll dann dieses Erinnern aussehen und welcher Medien sollen wir uns bedienen, um das Vergangene zu vergegenwärtigen? Mehr noch als der Versuch, sich literarisch mit Krieg und Vernichtung auseinanderzu- setzen, muß das Bemühen um filmische Auseinandersetzung nach An- sicht eines Teils der Filmemacher, Kritiker und Zuschauer scheitern. Adornos Diktum, daß es nach Auschwitz keine Poesie mehr geben könne, wird auf das Medium Film übertragen.1 Steven Spielbergs Film Schindlers Liste von 1993 erscheint in diesem Zusammenhang als zweifelhaftes Bemühen Hollywoods, die Shoah zum Thema zu machen. Die Kritik war gespannt, erinnerte man sich doch der „Soap Opera“ Holocaust, die auf unerwartet große Resonanz beim Publikum gestoßen war. Mehr als 16 Millionen Zuschauer hatten die 1979 in den Dritten Programmen der ARD ausgestrahlte Serie gesehen, bis heute ist sie mehrfach wiederholt worden. Die Sendungen haben 1 Adornos Diktum ist in den fünfziger Jahren bei Schriftstellern und Intellektuellen auf heftigen Widerspruch gestoßen. Seine Aussagen zur Kunst nach Auschwitz in dem 1951 publizierten Essay Kulturkritik und Gesellschaft zeugen aber vom Zweifel an der traditionellen Kultur insgesamt. Adorno hat später seine Auffassung erläutert, z.T. revi- diert. Vgl. Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter. Hrsg. von Petra Kiedaisch. Stuttgart, 1995; Claußen, Detlev: Nach Auschwitz kein Gedicht? Ist Adornos Diktum übertrieben, überholt und widerlegt? In: Nationalsozialismus und Moderne. Hrsg. von Harald Welzer. Tübingen, 1993, S. 240-247; Kunst und Literatur nach Auschwitz. Hrsg. von Manuel Köppen in Zusammenarbeit mit Gerhard Bauer und Rüdiger Stein- lein. Berlin, 1993, insb. S. 7-37. I.1. Einleitung 10 Betroffenheit, Ratlosigkeit und Empörung über die Verbrechen der Deutschen hervorgerufen. Anfangs ist der Eindruck entstanden, daß das heikelste aller zeitgeschichtlichen deutschen Themen bisher vernachläs- sigt worden war. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben diesen Vor- wurf jedoch zurückweisen können. Es hatte mehr als hundert Produktio- nen zum Thema „Massenvernichtung im NS-Staat“ gegeben, nur konnte keine der Sendungen auch nur ein annähernd so großes Interesse beim Publikum hervorrufen wie eben Holocaust. Bei der Kritik ist die Serie zunächst fast einhellig auf Ablehnung gesto- ßen, da Aufklärung und Hintergrundinformationen zugunsten dramatur- gischer Effekte vernachlässigt worden seien. Ähnlich argumentiert ein Teil der Rezensenten in der Kontroverse über Schindlers Liste. Trotz des Erfolges bei einem Millionenpublikum und der Auszeichnung durch eine Vielzahl an Preisen hat der Film vehemente Kritik hervorgerufen. Grundsätzliche Fragen der Geschichts- und Wirklichkeitsvermittlung stehen wie zuletzt bei dem Fernsehereignis Holocaust zur Debatte: Wie läßt sich der organisierte Mord an Millionen von Menschen durch die Nationalsozialisten zeigen, ohne historische, ideologische, religiöse und vor allem sprachliche Kontexte zu vernachlässigen und damit an Glaub- würdigkeit zu verlieren? Sind ausschließlich Dokumente erlaubt, wenn es darum geht, Geschichte darzustellen? Oder liefern nicht auch sie nur das Material, das von Historikern, Autoren und Regisseuren gesichtet, ausgewählt und zusammengestellt wird? Gibt es verläßliche Aussagen darüber, ob und wie Gefühle Denkprozesse auslösen? Diese Fragen sind angesichts der Versuche revisionistischer Geschichtswissenschaftler, den Massenmord an den Juden zu relativieren und angesichts der Zahl rechtsextremistischer Gewaltanschläge von besonderer Relevanz. Der Film Schindlers Liste, 15 Jahre nach Holocaust produziert, stellt wiederum ein nationales und internationales Medienereignis dar. Die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart ist im vereinten Deutschland höchst umstritten. Steven Spielberg hat die Diskussion er- neut in Gang gesetzt. Die Geschichte von dem Deutschen Oskar Schindler, der sich vom kaltblütigen Kriegsgewinnler zum Menschen- retter wandelt, ist von der überwiegenden Zahl der Kritiker positiv auf- genommen worden. Billy Wilder, Henryk M. Broder, Frank Schirr- macher - um nur einige zu nennen - halten den Film trotz anfangs geäu- ßerter Bedenken gegen den Autor Steven Spielberg und die Hauptfigur Oskar Schindler für einen geeigneten Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Die Gegenseite führt in erster Linie filmästhetische Argumente an. Es geht z.B. Claude Lanzmann um das „Bildertabu“, dem er selbst sich in seinem neunstündigen Filmessay Shoah bewußt unter- worfen hat. Seiner Meinung nach ist der Holocaust nicht mit Bildern I.1. Einleitung 11 nachzuzeichnen. „Wer es tut, macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig.“2 Das Bemühen um Authentizität im Spielfilm entschuldigt laut Lanzmann nicht die Entscheidung für die Fiktion und gegen das Do- kument. Die Kritiker stören sich vor allem an Spielbergs Versuch, den Holocaust zu erklären, indem er die Geschichte eines Deutschen erzählt, der einigen hundert Menschen das Leben gerettet hat, während Millionen ermordet wurden. Lanzmann fürchtet den „Katharsis-Effekt“, ähnlich drückt sich Sigrid Löffler aus in ihrer Kritik „Kino als Ablaß“.3 Verschärfend wirkt in der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste ein Artikel Will Trempers in der Tageszeitung Die Welt. Der Autor empfindet es als „... Zumutung, sich nachträglich mit Blut beflecken zu lassen“.4 Tremper zitiert in seiner Kritik mit dem Titel „Indiana Jones im Ghetto von Krakau“ ausführlich Heinrich Himmler, um zu belegen, daß die „... wildwestartige Räumung des Ghettos so blutrünstig nicht verlau- fen sein kann“.5 Hierauf bricht ein Sturm der Empörung los, nicht nur in der Redaktion der Tageszeitung Die Welt, sondern auch in den Feuille- tons der überregional verbreiteten Meinungsführermedien. Der Publizist Henryk M. Broder wirft Will Tremper, ebenso jedoch Sigrid Löffler und Günter Rühle eine antisemitische Grundhaltung vor: „Unter den vielen positiven abwägenden Kritiken fallen drei Quasi-Kritiken aus dem Rah- men, die für die öffentliche Meinung, wie sie in der emnid-Umfrage6 zum Ausdruck kommt, eher charakteristisch sind als für den Stand der veröffentlichten Meinungen.“7 Die Kontroverse über den Film Schindlers Liste beginnt sich auszuwei- ten. Es geht nun nicht mehr nur um den Film, sondern grundsätzlich um den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, das Verhält- nis zwischen Deutschen und Juden und die Frage nach einer Kollektiv- schuld der Deutschen. Die alten Fronten des Historikerstreits von 1986 brechen wieder auf. Michael Wolffsohn stellt fest: „Die Auseinander- 2 Lanzmann, Claude: Ihr sollt nicht weinen. Einspruch gegen Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.3.1994, S. 27. 3 Löffler, Sigrid: Kino als Ablaß. In: Wochenpost Nr. 8, vom 24.2.1994, S. 9. 4 Tremper, Will: Indiana Jones im Ghetto von Krakau. In: Die Welt vom 26.2.1994, S. G3.. 5 Ebenda.. 6 Die 1992 vom Spiegel in Auftrag gegebene Umfrage besagt, daß fast zwei Drittel der Deutschen einen Schlußstrich unter die Nazi-Vergangenheit ziehen möchten, 36% mei- nen, die Juden hätten zuviel Einfluß, 27% der Deutschen glauben, daß Hitler ohne den Krieg und die Judenverfolgung einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen wäre. Vgl. Spiegel-Spezial: Juden und Deutsche. H. 2/1992, S. 61-73. 7 Broder, Henryk M.: Kritik der dummen Kerls. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.3.1994, S. 33. I.2. Vorgehensweise 12 setzung um Schindlers Liste bietet Anschauungsunterricht für den widerwärtigen Stand der veröffentlichten Meinungen.“8 Sowohl die publizistische Kontroverse über Schindlers Liste als auch die heftigen Reaktionen auf die Serie Holocaust oder Claude Lanzmanns Shoah zeigen, welche Brisanz das Thema „Völkermord an den Juden“ bis heute hat. Die Diskussion über Schindlers Liste ist nun die erste nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und nach der deutschen Vereini- gung. Immer häufiger wird in den Streitgesprächen nicht nur auf die NS- Diktatur verwiesen, sondern auch auf die diktatorischen Regimes der kommunistischen Parteien in Mittel- und Osteuropa. Der Film dient, fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als Anlaß, die deut- sche und europäische Geschichte eventuell neu zu bewerten. Es passiert das, was nach Alexander Kluge einen guten Film ausmacht: er ver- schwindet und die Menschen beginnen, über sich selbst zu reden.9 Die publizistischen Kontroversen über Holocaustfilme, angefangen bei Artur Brauners Morituri (1948), bis zu Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993), sollen in dieser Arbeit vorgestellt und analysiert werden. Im Blick ist primär der Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit Medienereignissen dieser Art. Zu klären ist, inwieweit Filme und die durch sie ausgelösten Debatten Aufschluß geben können, über die Art und Intensität dessen, was gemeinhin als „Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ bezeichnet wird. I.2. Vorgehensweise Der Einführung ins Thema folgt die Klärung grundlegender Begriffe wie „Holocaust“ und „publizistische Kontroverse“. Positionen in der öffent- lichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit werden daran anschließend beschrieben. Dem folgt ein Überblick über den Forschungsstand, wobei auf das grundsätzliche Problem filmischer Repräsentation eingegangen wird. Dieses umfaßt ästhetische, religiöse und gattungsspezifische Aspekte. Neuere Ansätze in der Filmwissen- schaft wie Konstruktivismus und Cultural Studies stelle ich in Kapitel I.5.3 vor. Das Ziel der Untersuchung benenne ich in Kapitel I.6.: die Analyse der publizistischen Kontroversen, die durch Holocaustfilme 8 Wolffsohn, Michael: Der eingebildete Antisemit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.3.1994, S. 29. 9 Vgl. Kluge, Alexander. In. Filmkritik, H. 9/1965, S. 491, zit. nach Lewandowski, Rai- ner: Literatur und Film bei Alexander Kluge. In: Alexander Kluge. Materialien. Hrsg. von Thomas Böhm-Christel. Frankfurt/M., 1983, S. 237. I.2. Vorgehensweise 13 ausgelöst worden sind. Kapitel zur Anlage der Untersuchung, zur Methode Diskursanalyse, der Auswahl der Filme und der Literatur schließen sich dem an. Da zur Analyse der öffentlichen Debatten über Holocaustfilme hauptsächlich Filmbesprechungen ausgewertet werden, stehen Funktionen der Filmkritik im Mittelpunkt von Kapitel 1.7. In Ka- pitel I.8. werden Kinofilme und TV-Produktionen vorgestellt, die seit 1945 in Deutschland und im Ausland zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust entstanden sind. Am Ende des eher theoretischen, grund- sätzliche Fragen behandelnden I. Teils der Untersuchung formuliere ich Annahmen zu Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film. In Teil II. der Arbeit werden neun Filme und die Kontroversen, die sie ausgelöst haben, analysiert: Entstehungsbedingungen und Produktions- daten, Inhalt des Films und Interpretation, die am Film Mitwirkenden (Stab/Besetzung), Resonanz, Filmkritiken, der Film und das Gesamtwerk des Regisseurs. In Exkursen gehe ich ein auf die Holocaust-Resonanz in der DDR und die Shoah-Resonanz in Polen. Die Ergebnisse der jeweili- gen Diskursanalyse werden in neun Resümees zusammengefaßt, die „Hauptstreitpunkte“ aufgeführt. Es handelt sich um folgende Filme: • Morituri, Deutschland 1948, Regie: Artur Brauner/Eugen York • Nacht und Nebel/Nuit et Brouillard, Frankreich 1955, Regie: Alain Resnais • Mein Kampf/De blodiga Tiden, Schweden 1960, Regie: Erwin Leiser • Nackt unter Wölfen, DDR 1963, Regie: Frank Beyer • Ein Tag, BRD 1965, Regie: Egon Monk • Holocaust/Holocaust, USA 1978, Regie: Marvin Chomsky • Der Prozeß, BRD 1984, Regie: Eberhard Fechner • Shoah/Shoah, Frankreich 1985, Regie: Claude Lanzmann • Schindlers Liste/Schindler’s List, USA 1993, Regie: Steven Spielberg Teil III. der Arbeit, das Fazit, versammelt sämtliche Ergebnisse. Zu- nächst vergleiche ich Entstehungshintergrund, Machart und Resonanz der Filme, um dann die durch Einzelanalysen festgestellten Hauptdiskus- sionspunkte, Argumente und Argumentationsweisen in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Aussagen zu Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film stehen am Ende der Untersuchung. I.3. Begriffsklärung 14 I.3. Begriffsklärung Von „Holocaust“ ist die Rede, meist ohne Erklärung, was damit gemeint ist, und meist ohne Begründung, warum nicht ein anderer Begriff ge- wählt wurde. „Holocaust“ hat sich international durchgesetzt. Auch Komposita wie „Holocaustgedenken“, „Holocaustliteratur“ oder „Holo- caustfilm“ sind in der Fachliteratur und in der deutschen Publizistik viel verwendete Begriffe. In Kapitel I.3.1. sollen Herkunft und Sprachge- brauch erläutert, außerdem Für und Wider des Begriffs „Holocaust“ in Abgrenzung zu „Shoah“, „Churban“, „Massenmord an den Juden“ oder den Nazi-Umschreibungen wie „Endlösung“ und „Eliminierung“ disku- tiert werden. In Kap. I.3.II. geht es um den Begriff „publizistische Kontroverse“. Die- ser wurde durch die Arbeiten von Kepplinger u.a. geprägt (sie sprechen allerdings von „publizistischen Konflikten“) und durch Publikationen zum Thema „Demokratische Streitkultur“, oder allgemeiner „Politische Kultur“.10 „Publizistisch“ verweist darauf, daß es sich stets um öffent- liche und durch die Massenmedien vermittelte Auseinandersetzungen handelt. Ohne die Funktionen der Massenmedien in der Demokratie zu berücksichtigen, sind diese publizistischen Kontroversen nicht zu erklä- ren. Die Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland haben laut Gesetz11 eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen, d.h. sie sollen informie- ren, bilden, beraten, unterhalten, Kritik- und Kontrolle üben, zur Mei- nungs- und Willensbildung der Bürger beitragen und ihnen Gelegenheit geben, sich öffentlich zu artikulieren. Gleichzeitig erfüllen die Massen- medien eine Sozialisations- und schließlich eine Thesaurierungsfunktion, d.h. sie dokumentieren und bewahren und werden so zum Archiv, das Auskunft darüber geben kann, was die Menschen zu welcher Zeit beschäftigt hat bzw. beschäftigen sollte, denn die Medien- und die Publikumsagenda stimmen nicht unbedingt überein. „Kontroverse“ anstelle von „Konflikt“ halte ich für den geeigneteren Begriff, weil er besser die Gegensätzlichkeit von Positionen beschreibt 10 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias/Hachenberg, Michael/Frühauf, Hermann: Struktur und Funktion eines publizistischen Konflikts. Die Auseinandersetzung um Heinrich Bölls Artikel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“. In: Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung. 22. Jg., H. 1/1977, S. 14-34. Der Begriff der „Politischen Kultur“ ist ebenfalls umstritten, hat sich in den letzten Jahren dennoch etabliert. Vgl. z.B. Kaase, Max: Sinn oder Unsinn des Konzepts Politische Kultur für die verglei- chende Politikforschung, oder auch: Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nasgeln. In: Wahlen und politisches System. Hrsg. von Max Kaase und Hans-Dieter Klingemann. Opladen, 1983, S. 144–172. 11 Vgl. die Pressegesetze der Länder, die Rundfunkstaatsverträge und die entsprechenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts. I.3. Begriffsklärung 15 („sich miteinander auseinandersetzen“), Dynamik ausdrückt und eine zeitliche und personelle Abfolge impliziert. Übersetzt werden kann Kontroverse mit „Zusammenstoß verschiedener Anschauungen, wissen- schaftliches Streitgespräch“. Jede publizistische Kontroverse hat eine eigene Struktur und Chronologie, dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, beispielsweise, welche Statements in den Medien den Beginn, Höhe- punkt und das Abflauen der öffentlichen Auseinandersetzung markieren. I.3.1. „Holocaust“ Die Benennung ist einer der entscheidenden hermeneutischen Schritte bei der Betrachtung eines Ereignisses. Ob „Churban“, „Shoah“ oder „Holocaust“, jeder der Begriffe ist eine Metaphorisierung des Gesche- hens. Die hebräische Bezeichnung „Churban“ bzw. ihre jiddische Ent- sprechung „Churbm“ verweist auf die Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels. Die Bezeichnung des Massenmords an den Juden im 20. Jahrhundert als „Churban“ ordnet das Ereignis als eine der Prüfungen des jüdischen Volkes in einen religiösen Kontext ein. Auch der he- bräische Begriff „Shoah“, was so viel heißt wie „großes Unglück, Kata- strophe“, deutet auf ein biblisches Gesetz und kennzeichnet den Genozid als einen Teil der jüdischen Geschichte, dennoch wird hier die Katastro- phe weniger im Zusammenhang mit früheren Geschehnissen gesehen. Israelische Theologen, Historiker und Schriftsteller führen den Begriff nicht auf seinen religiösen Ursprung zurück, wonach „Shoah“ Konno- tationen von Sünde und Strafe enthält, sondern deuten ihn eher im Sinne von Verzweiflung und metaphysischen Zweifel. Obwohl die Gründung des Staates Israel als unmittelbare Reaktion auf den Völkermord an den Juden verstanden werden kann, war für das Selbstverständnis des jungen Staates die Opferrolle der europäischen Juden eher hinderlich. Das mag erklären, warum sich der hebräische Begriff „Shoah“ mit der oben be- schriebenen allgemeineren Bedeutung durchgesetzt hat. Der Tag, an dem in Israel der Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung gedacht wird, heißt „jom ha shoa“. Ob „Holocaust“ ein brauchbarer Begriff ist, ob er nur den Mord der Nationalsozialisten an den Juden meint, oder auch allgemein für andere „vergleichbare“ Massaker, Genozide, Massenvernichtungen gewählt werden kann, sind Fragen, mit denen sich schon viele Autoren auseinan- dergesetzt haben.12 Doch ist den Antworten zuweilen anzumerken, wie 12 Vgl. Young, James E.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Inter- pretation. Frankfurt/M., 1992, S. 141ff.; La Capra, Dominick: Representing the Holo- caust: History, Theory, Trauma. Ithaca, London, 1994, S. 45; Dubiel, Helmut: Niemand I.3. Begriffsklärung 16 schwer sich die Autoren tun. So schreibt Willi Goetschel: „Das Bedürf- nis, dasjenige, das vermeintlich als unaussprechlich gilt, gleichzeitig mit einem Wort zu erfassen, ist Indiz dafür, daß die Schwere der Frage nicht durch die Leichtigkeit schnellfertiger und vorschnell dokumentierter und so Einverständnis einfordernder Gutwilligkeit aufgewogen werden kann.“13 Goetschel führt aus, allerdings ohne verständlicher zu werden: „Vom ‚Holocaust‘ zu sprechen, ist immer auch ein Sprechakt. Aufgrund des Sprechens selbst ist er aber gleichzeitig stets auch ein Verschweigen. Und zwar ein Verschweigen, insofern die eigene Opakheit des Redens in der Vorgabe von Neutralität, reiner Deskription und Sensibilitätsrespek- tierung die eigenen hermeneutischen Spuren überdeckt. Indem der Über- schuß der Dynamik von Übertragung im Sprechen von und über den ‚Holocaust‘ aufgelöst werden soll, reproduziert die Rede vom ‚Holo- caust‘ aber gerade den Komplex, den es zu untersuchen gilt, indem sie ihn ins Unendliche fortsetzt.“14 Bleibt festzuhalten, daß es Götschel wohl um Sensibilisierung geht. Und so viel ist an Aussagen seinem Text zu entnehmen: das Unausprechliche ist nur vermeintlich unausprechlich, mit einem Wort aber läßt es sich nicht erfassen, bestimmt nicht mit dem Wort „Holocaust“, das sei „... ebenso prekär wie der Gebrauch von Bezeichnungen wie ‚Endlösung‘, ‚Vernichtung‘, ‚Shoah‘.“15 Eine andere, angemessene Bezeichnung schlägt Götschel nicht vor. Die Verwendungsgeschichte des Wortes in Deutschland ist aufschluß- reich. Nachdem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1978 die ersten Artikel über die in den USA auf eine enorme Publikumsresonanz sto- ßende Serie Holocaust erscheinen, fragen Leser nach der Bedeutung dieser Bezeichnung. In einem Leserbrief vom 27.6.1978 erklärt Theo Stemmler: „Die Mehrzahl der vier wesentlichen Elemente des Begriffs - vollständig/Brand/Opfer/Tier - ist über die Jahrhunderte hinweg erhalten geblieben, hat jedoch eine bezeichnende Umwertung erfahren. Neben den rituellen Begriff Brandopfer treten seit dem 15. Jahrhundert allge- meinere Bedeutungen wie Opfer, Aufopferung, die zunächst noch im religiösen Bereich angesiedelt sind, dann aber säkularisiert werden. Das Begriffselement Tier des Wortes holocaustum geht bald verloren und ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages. München, 1999, S. 12; Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Bd. 1. Hrsg. von Eberhard Jäckel, Peter Longerich, Julius H. Schoeps. Hauptherausgeber Israel Gutmann. Vorwort zur deutschen Ausgabe. Berlin, 1993, S. XVII-XIX. 13 Goetschel, Willi: Zur Sprachlosigkeit von Bildern. In: Bilder des Holocaust. Literatur – Film - Bildende Kunst. Hrsg. von Manuel Köppen und Klaus R. Scherpe. Köln, Weimar, Wien, 1997, S. 131. 14 A.a.O., S. 132. 15 A.a.O., S. 131. I.3. Begriffsklärung 17 wird durch Mensch ersetzt; das Element vollständig (griechisch holos) erscheint abgewandelt als groß, zahlreich: Es geht nunmehr um den Feuertod, dann allgemein um die vollständige Vernichtung zahlreicher Menschen. Auf diese Weise ist aus einem durchaus positiven, rituellen Begriff ein negativer, säkularer geworden.“16 Stemmler ist der Ansicht, bei „Holocaust“ handele es sich um „... eine bedrückend genaue Bezeichnung für die von den Nazis betriebene Vernichtung der europäi- schen Juden.“17 „Holocaust“ weist auf eine bestimmte Art des Tötens und meint „vollständige Vernichtung“. Von den Gemordeten bleibt nichts übrig - „ein Grab in den Lüften“ schrieb Paul Celan. 1980, ein Jahr nach Ausstrahlung der Serie Holocaust in der Bundesrepublik, wird der Begriff zum „Wort des Jahres“ gewählt. „Holocaust“ steht wie „Churban“ oder „Shoah“ in einem religiösen Kontext. Abgeleitet vom griechischen holokauston (wörtlich übersetzt: „ganz verbrannt“) bezeichnet er eine besondere Art des wie im wie im 1. Buch Mose (Genesis), Kap. 22, Vers 2-13 oder im 3. Buch Mose, Kap. 1, Vers 3-17 beschriebenen Brandopfers.18 „Holocaust“ ist überdies assonant mit „ola“, dem hebräischen Wort für das heilige Opfer. Kritiker vermuten hinter diesem Begriff die urchristliche Idee eines jüdischen Martyriums als Strafe und lehnen ihn deshalb ab. „Holocaust“ suggeriere die sakrale Mystifizierung von Auschwitz und sei ein „alttestamenta- rischer Euphemismus“. So kritisiert Doron Rabinovici: „Für die Allge- meinheit gerät die Massenvernichtung ... zur Passionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Hieraus speisen sich die Ikonen unserer Zeit, und jenem Verbrechen wird ein höherer Sinn eingeschrieben.“ Rabino- vici wehrt sich gegen den Gebrauch des Begriffes Holocaust, obwohl auch er ihn verwendet. Seiner Meinung nach verweise er auf die Vor- stellung von einem sinnvollen Tod der sechs Millionen. Und Rabinovici gibt zu bedenken: „Der Mythos vom gleichsam sakralen, notwendigen Opfer - von der Kreuzigung Christi nämlich - steht auch am Ursprung des christlichen Antisemitismus.“ Irgendeinen „Sinn“ aber hat die Ermordung der Juden nicht gehabt, wenn auch die Nazis damit be- stimmte Zwecke verfolgten. James E. Young ist der Auffassung: „... so problematisch die theologischen Implikationen von ‚Shoah‘ und ‚Chur- ban‘ auch sein mögen, so befinden sich diese doch eher im Einklang mit 16 „Holocaust ist genauer“. Leserbrief von Theo Stemmler. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.6.1978, S. 6. 17 Ebenda. 18 Der Tisch oder Altar, auf dem das Opfer verbrannt wird, trägt die Bezeichnung Holo- caust; so taucht in französischen Bibelübersetzungen das Wort „holocauste“ auf. I.3. Begriffsklärung 18 der jüdischen Tradition als die dem Begriff ‚Holocaust‘ anhaftenden Konnotationen Opfer und Brandopfer.“19 Abgesehen von religionsgeschichtlichen Argumenten scheinen weitere Gründe vorzuliegen, wenn es um das Für und Wider eines Begriffes geht. Erst die US-amerikanische Serie Holocaust hat den Deutschen einen Namen für das gegeben, was sie bis dahin mit dem Nazi-Unwort „Endlösung“ bezeichnet hatten. Nach der heftigen Kritik an der amerikanischen Serie ist dieser Begriff gerade bei deutschen Intellektuellen in Mißkredit geraten. Wer Claude Lanzmanns neuneinhalbstündigen Filmessay Shoah gesehen hat, spricht seitdem von „der Shoah“ und tut damit kund, daß er zu denjenigen gehört, die sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. So läßt sich schon anhand des gewählten Begriffes erkennen, welchen ideologischen Standpunkt der Sprecher einnimmt. Wer in Deutschland von „der Shoah“ spricht, verfügt anscheinend über ein kritisches Bewußtsein, richtet er sich doch - politisch korrekt - mit dem hebräischen Wort „Shoah“ nach den Empfindungen der Opfer. Aktuell wird diskutiert, ob nicht beide Bezeichnungen – „Holocaust“ und „Shoah“ – „Deutschen verwehrt“ sein sollten, um zu verhindern, daß ihnen das Verbrechen als „... unvermeidliches Selbstopfer im jüdischen Schuldzusammenhang“ erscheint.20 „Der Holocaust sollte für sie ein Fremdwort bleiben, das sie nicht zu benutzen haben. Ebenso unangemes- sen ist für sie auch der Begriff der Schoah. Der Massenmord an den Juden ist nur mit dem deutschen Wort zu benennen.“21 Die Nazi- Umschreibungen zu benutzen, ist abwegig. Sicherlich sind sowohl „Shoah“ als auch „Holocaust“ Sammelbegriffe, die dem Einzelschicksal nicht gerecht werden. Bei aller Unzulänglichkeit ermöglichen die Be- griffe das Sprechen über den Massenmord. Überwiegend wird in dieser Arbeit der Begriff „Holocaust“ verwendet, da er sich inzwischen inter- national durchgesetzt hat und er trotz intellektueller Feinfühligkeit und der von verschiedenen Seiten kritisierten Konnotation von „Opfer“ all- gemeinverständlich den organisierten und in seiner Durchführung 19 Young, James E: Beschreiben des Holocaust. A.a.O., S. 145. Young merkt „der Voll- ständigkeit halber“ an, der Begriff „Holocaust“ sei schon 1938 in einer Einleitung der englischsprachigen Ausgabe der Werke Sigmund Freuds zu finden. A.a.O., S. 312. 20 Vgl. Koch, Claus: Der Wettbewerb beschmutzt auch die Sieger. Noten und Notizen. In: Süddeutsche Zeitung vom 11.12.1998, S. 15. 21 A.a.O. Auf dasselbe zielt der Vorschlag, statt „Pogromnacht“ wieder „Reichskristall- nacht“ zu sagen: Die Nachkommen der Täter hätten nicht das Recht, von den Opfern geprägte Begriffe zu benutzen. Vgl. Gillessen, Günther: Die Benennung des Fürchter- lichen. „Reichskristallnacht“ oder Pogrom? Auswärtige Berichte. In: Frankfurter All- gemeine Zeitung vom 6.11.1999, S. III. I.3. Begriffsklärung 19 einzigartigen Massenmord der Nationalsozialisten an den Juden bezeich- net. Bedenkenswert erscheint der Vorschlag Eberhard Jäckels, den Begriff „Holocaust“ wie andere aus dem Griechischen übernommene Fremd- wörter der im Deutschen üblichen Schreibweise anzupassen - Jäckel sagt „einzudeutschen“ - und also „Holokaust“ statt „Holocaust“ zu schreiben. Eine im Herbst 2000 im ZDF ausgestrahlte Dokumentation zum Thema wird dazu beitragen, diese andere Schreibweise zu verbreiten.22 Abzu- lehnen ist der sich ausbreitende Gebrauch der Bezeichnung „Holocaust“ für Massaker und Genozide aller Art. Auch wenn mit „Holocaust“ nicht ausschließlich der Mord an den Juden gemeint ist, so weist die Bezeich- nung doch auf eine zeitliche Eingrenzung: es handelt sich um die von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 überwiegend an Juden verübten Verbrechen.23 Wenn in einer Arbeit mit dem Titel „Publizisti- sche Kontroversen über den Holocaust im Film“ auch Filme wie Ein Tag, Nackt unter Wölfen, Mein Kampf, u.ä. berücksichtigt werden, in denen es allgemein um den Terror der Nationalsozialisten und den Mord an Gegnern des Regimes geht, so soll das keine Herabstufung einzelner Opfergruppen bedeuten.24 I.3.2. „Publizistische Kontroverse“ Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die jeweiligen durch einen Holocaustfilm ausgelösten publizistischen Kontroversen. Eine publizisti- sche Kontroverse ist allgemein ein öffentlich ausgetragener Streit. D.h. eine interessierte (Teil-) Öffentlichkeit muß nachvollziehen können, wer warum die eine oder die andere Position vertritt. Wer sich zu Wort mel- det, bezieht sich dabei auf die Aussagen einer in den Disput ebenfalls verwickelten Person, bestätigt oder widerlegt deren Argumente. Die in die publizistische Kontroverse über Holocaustfilme Involvierten vertre- 22 Vgl. Jäckel, Eberhard: Holokaust, sagte Herr K. Bescheidener Vorschlag, einen Begriff einzudeutschen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.8.2000, S. 47. 23 Vgl. auch die Argumentationen von James E. Young, a.a.O.; La Capra, Dominick: Representing the Holocaust: History, Theory, Trauma. Ithaca, London, 1994, S. 45; Dubiel, Helmut: Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herr- schaft in den Debatten des Deutschen Bundestages. München, 1999, S. 12. 24 Wie schwer die Frage zu beantworten ist, ob „Holocaust“ ausschließlich den Massen- mord an den Juden meint, zeigt auch die über ein Jahrzehnt währende Mahnmaldebatte. Ein Denkmal „nur für Juden“ ist bspw. für Reinhart Kosellek oder Günter Grass die Aufrechterhaltung nationalsozialistischer Klassifizierungen. Vgl. z.B. Kosellek, Rein- hart: Die falsche Ungeduld. In: Die Zeit, Nr. 13 vom 19.3.1998, S. 48 und die Antwort von Ignatz Bubis: Wer ist hier intolerant? In: Die Zeit, Nr. 15, vom 2.4.1998, S. 62. I.3. Begriffsklärung 20 ten Positionen zwischen Erinnerungsgebot einerseits und Bilderverbot andererseits. Diejenigen jedoch, die über den ästhetischen Gehalt, die Interpretation und mögliche Wirkung eines Films streiten und dabei unterschiedliche Positionen einnehmen können (Lanzmann einerseits, Spielberg andererseits), gehören bei aller Verschiedenheit zur zahlen- mäßig sehr kleinen Gruppe derer, die sich grundsätzlich für Geschichte und Geschichtsdarstellungen in den Massenmedien interessieren. Ihnen steht die sehr große Gruppe der überwiegend Desinteressierten gegen- über, die Holocaustfilme und publizistische Kontroversen darüber lang- weilig oder überflüssig finden. Sie machen im wesentlichen die „schweigende Mehrheit“ aus, ihre Vertreter melden sich dementspre- chend selten zu Wort. Wenn sie es aber tun, verschärft es die Auseinan- dersetzung. Kontroversen über die filmische Repräsentation des Holocaust sind Wertkonflikte, weniger Interessenkonflikte, d.h. gestritten wird über Normen und ihre Geltung, weniger um die Verteilung materieller Güter.25 Den Akteuren der öffentlichen Meinung geht es um die kollek- tive Geltung ihrer Interpretationsangebote, um das, was Antonio Gram- sci „kulturelle Hegemonie“26 genannt hat. Ein rationaler Diskurs, bei dem das bessere Argument siegt, ist hier kaum möglich. Der Streit über einen Film berührt die grundsätzliche Frage, welche Bedeutung die nationalsozialistische Vergangenheit für die Gegenwart hat. Die Kontro- verse verdeutlicht Unterschiede, zugleich wird im Streit der demokra- tische Konsens ausgehandelt. Eine publizistische Kontroverse ist nicht ein Schlagabtausch, bei dem sich die Kontrahenten „Auge in Auge“ gegenüberstehen, sondern eine „medial vermittelte“ Auseinandersetzung. Bei den hier zu untersuchen- den publizistischen Kontroversen fungieren die Printmedien als Mittler, Foren und Akteure. Eindeutig profitieren sie von der Initiierung und Kommentierung einer publizistischen Kontroverse. Norbert Frei konsta- 25 Vgl. Aubert, Vilhelm: Interessenkonflikt und Wertkonflikt: Zwei Typen des Konflikts und der Konfliktlösung. In: Konflikt und Konfliktstrategie. Hrsg. von Walther R. Bühl. München, 1973. Jürgen Habermas unterscheidet zwischen „... theoretischen Diskursen, die der Begründung von Behauptungen dienen ... und praktischen Diskursen, die der Rechtfertigung empfohlener Normen dienen“. Habermas, Jürgen: Legitimations- probleme im Spätkapitalismus. Frankfurt/M., 1973, S. 148. Daß Wert- und Interessen- konflikte nicht immer voneinander zu trennen sind, zeigen die Debatten über Entschä- digungszahlungen für Überlebende des Holocaust. 26 Nach Gramsci bedeutet Hegemonie, daß eine herrschende Gruppe Macht nur so lange und in dem Maße ausüben kann, wie die beherrschten Gruppen dies zulassen, weil sie davon auch in gewisser Weise profitieren. Hegemonie ist daher kein stabiler Zustand, sondern muß ständig neu ausgehandelt werden. Vgl. Gramsci, Antonio: Philosophie der Praxis. Eine Auswahl. Hrsg. und übersetzt von Christian Riechers mit einem Vorwort von Wolfgang Abendroth. Frankfurt/M., 1967. I.3. Begriffsklärung 21 tiert: „Im Prozeß der Vergangenheitspolitik kommt der veröffentlichten Meinung eine wesentliche, nicht selten aktive, mitgestaltende Rolle zu.“27 In den überregionalen Meinungsführermedien, den Prestigemedien wie den Nachrichtenmagazinen Der Spiegel und Focus, den Wochenzeitun- gen Die Zeit, Die Woche, Rheinischer Merkur, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt und den Tageszeitungen Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, die tageszeitung läßt sich eine Tendenz in der Kommentierung eines Films feststellen, auch wenn verschiedene Personen mit ihren Ansichten zu Wort kom- men. Der Verlauf einer publizistischen Kontroverse zeigt, daß nie nur der Film als solcher und unter rein ästhetischen Kategorien diskutiert wird, sondern immer auch damit zusammenhängende Fragen, d.h. es gibt neben dem Hauptkonflikt Teilkonflikte, bei denen aber die Verbindung zu dem Ausgangspunkt der Debatte, dem Film, bestehen bleibt. Ent- scheidend ist, wer sich an der Kontroverse beteiligt. Das sind zum einen die Redakteure in den Feuilletons, zum anderen Personen, die sich als Filmemacher, Schriftsteller, Publizisten, Wissenschaftler, Politiker etc. mit Fragen der künstlerischen Repräsentation des Holocaust oder mit dem Dialog zwischen Deutschen und Juden beschäftigen. Wer in einer publizistischen Kontroverse attackiert wird, hat nur zwei Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen. Entweder tritt er mit Gegenargumenten auf und verschärft und verlängert die Kontroverse, oder aber er schweigt und läuft damit Gefahr, als Verlierer dazustehen. Die Furcht, sich mit seiner Meinung zu isolieren, führt zum Schweigen. Es kann dann ein falscher Eindruck über die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse in der Bevölke- rung entstehen. Der von Elisabeth Noelle-Neumann als „Schweige- spirale“ beschriebene Prozeß ist aber nicht unumkehrbar. Mehrheits- verhältnisse verschieben sich nicht nur aufgrund der Präsenz öffentlicher Rede. Und Schweigen bis zu einem gewissen Zeitpunkt steigert sogar die Spannung. Den Äußerungen des in die Arena Zurückgekehrten schenkt das Publikum gemeinhin große Aufmerksamkeit. So haben die Protago- nisten in der Goldhagen- und in der Walser-Debatte zunächst einige Wochen verstreichen lassen, bis sie sich wieder zu Wort meldeten. Interessant ist der Ausgang einer publizistischen Kontroverse. Wann sind alle wichtigen Argumente ausgetauscht? Sind Gegner überzeugt worden und haben sie gar das Lager gewechselt oder beharren alle Beteiligten 27 Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS- Vergangenheit. München, 1996, S. 16. I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ 22 auf ihrem jeweiligen Standpunkt? Gibt es einen Konsens am Ende der Kontroverse, einen kleinsten gemeinsamen Nenner oder herrscht Unver- söhnlichkeit? Hat der Streit wirklich zur Klärung der Sache beigetragen oder wollten die involvierten Kontrahenten nur ihre Eitelkeit befriedi- gen? Wie öffentlich war die Kontroverse, disputierten lediglich einge- weihte Kreise, die wenigen Intellektuellen, die sich dem Thema gewach- sen fühlten, oder bewegte der Streit weite Teile der Bevölkerung und hat auch dort zu Einstellungsveränderungen geführt? Hans Mathias Kepplinger et al. schreiben in ihrer Analyse publizistischer Konflikte dem Publikum die entscheidende Rolle zu. „Die Auseinander- setzung mit dem publizistischen Gegner war nicht das Ziel, sondern nur ein Mittel, um das Publikum zu erreichen.“28 Zweifellos haben aber auch die Entscheidungen der Blattmacher und einzelner Journalisten Konse- quenzen für die publizistische Kontroverse. Sie sind Anhänger und Geg- ner der jeweiligen Kontrahenten, ihr Interesse und ihre Reaktionen hal- ten die Debatte in Gang. So bietet eine publizistische Kontroverse reich- lich Belege für die Anwendbarkeit verschiedener Ansätze und Modelle der Massenkommunikationsforschung: vom Meinungsführerkonzept wie es Lazarsfeld/Berelson/Gaudet im Zusammenhang mit ihrer Studie „The People´s Choice“ (1944) entwickelt haben, über Agenda-Setting bis zum dynamisch-transaktionalen Modell und neueren theoretischen Ansätzen wie Konstruktivismus und Cultural Studies. I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ Die Forderung, sich mit den Ursachen des Nationalsozialismus zu be- schäftigen, geht einher mit der Hoffnung, daß die Deutschen aus der Geschichte lernen. Unter dem Stichwort „Vergangenheitsbewältigung“ wurden diese Forderungen und Hoffnungen zusammengefaßt. Der Be- griff ist allerdings problematisch, impliziert er doch die Möglichkeit, das Geschehene alsbald hinter sich zu lassen, es „bewältigt“ zu haben, ohne vom Ausmaß des Schreckens „überwältigt“ worden zu sein. Danach soll „Normalität“ herrschen.29 Gegen diese Art des Umgangs mit der deut- schen nationalsozialistischen Vergangenheit wendet sich Theodor W. 28 Kepplinger et al., a.a.O., S. 29. 29 Vgl. Reichel, Peter: Stichwort: Vergangenheit, Vergangenheitsbewältigung. In: Aus dem neuen Wörterbuch des Unmenschen. Hrsg. von Rainer Jogschies. Frankfurt/M., 1987, S. 134-138. Klingenstein, Grete: Über Herkunft und Verwendung des Wortes „Vergangenheitsbewältigung“. In: Geschichte und Gegenwart. H. 4/1988, S. 301-312. I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ 23 Adorno, der statt „Bewältigung“ „Aufarbeitung“ fordert: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären.“30 Entsprechend der Freudschen Formel vom „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ legt Adorno die Betonung auf den mühevollen und andauernden Arbeitsprozeß. Ähnlich definieren Alexander und Margarete Mitscherlich sinnvolle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die zum Ziel haben muß, „... die instinktiv und unbewußt arbeitenden Kräfte des Selbstschutzes im Vergessen, Projizie- ren und ähnlichen Abwehrmechanismen zu überwinden.“31 Selbst wenn sich individualpsychologische Befunde nicht ohne weiteres auf ein ganzes als Patientenkollektiv erscheinendes Volk übertragen lassen, sind doch Aussagen möglich über Einstellungsveränderungen, die sich im Laufe der Jahre und von Generation zu Generation gegenüber Themen wie Entnazifizierung, Reeducation, Entschädigungszahlungen, Antisemitismus und politischer Extremismus vollzogen haben. Dieser Einstellungswandel ist beeinflußt durch Medienkonsum, gleichzeitig führen veränderte Einstellungen zu einem veränderten Rezeptions- verhalten der Bürger. Filme über den Holocaust können einerseits Inter- esse am Geschehen hervorrufen und die Auseinandersetzung mit der NS- Vergangenheit fördern, andererseits können verschiedene Gründe vor- liegen, wenn ein Film zum Thema Massenvernichtung im National- sozialismus auf nur wenig Resonanz beim Publikum stößt. Warum ein Film zum Thema Holocaust sowohl „Medienereignis“ als auch „Medien- flop“ sein kann, liegt neben ökonomischen Ursachen sicher auch in der „Aufnahmewilligkeit“ des Publikums begründet. Diese hat sich offen- sichtlich in fünf Jahrzehnten verändert. Insgesamt erscheinen die Deut- schen bereiter, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das gilt aber nicht für alle. Es existieren zwei Grundannahmen, was den Um- gang der Deutschen mit ihrer Geschichte anbelangt. Michael Schwab- Trapp spricht von „Normalisierung“ und „Dramatisierung“32, ebenso passend wäre die Rede von einer optimistischen oder aber pessimisti- schen Sicht der Vergangenheit und Gegenwart. 30 Adorno, Theodor W.: Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit? In: ders: Kultur- kritik und Gesellschaft II. Gesammelte Schriften, Bd. 10.2. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt/M., 1977, S. 572. 31 Mitscherlich, Alexander und Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kol- lektiven Verhaltens. Mit einem Nachwort der Autoren zur unveränderten Neuausgabe. München, Zürich, 1991 (1967), S. 24. 32 Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interaktion. Eine Diskursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Opladen, 1996, S. 55f. I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ 24 • „Normalisierung“ Normalisierer gehen davon aus, daß eine überzeugende Auseinander- setzung mit der Vergangenheit stattgefunden hat, auch unmittelbar nach Ende des Krieges und in den Jahren des Wiederaufbaus. Die Gefahr eines Rückfalls in totalitäre Strukturen sei gering, die Bundesrepublik Deutschland eine gefestigte Demokratie, der Nationalsozialismus „auf- gearbeitet“. So sieht es z.B. Peter Steinbach, der meint, es hätten sich „... in keinem anderen Land ... so große Teile der Bevölkerung so ernsthaft, so kontrovers und letztlich auch so intensiv um die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bemüht und dem Vergessen und Verdrängen widersetzt.“33 • „Dramatisierung“ Dramatisierer meinen, eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Deutschen habe kaum stattgefunden. Richtig in Gang gesetzt worden sei sie erst durch die 68er-Generation. Bis heute werde verdrängt, aufge- rechnet und entschuldigt. Die Deutschen seien - gerade nach der Wie- dervereinigung - anfällig für rechtsextremes Gedankengut. Von Stabilität könne keine Rede sein, vielmehr handelt es sich bei der Bundesrepublik um eine „Schönwetterdemokratie“. Dramatisierer halten nichts von einer „selbstbewußten Nation“ und glauben nicht an „Normalität“ in der „Ber- liner Republik“. Mit ihrem Werk „Die Unfähigkeit zu trauern“ gehören Alexander und Margarete Mitscherlich ebenso in die Gruppe der Dramatisierer wie Ralph Giordano, der das Desinteresse an der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als „zweite Schuld“ der Deutschen bezeich- net.34 Gegen die „Legende von der zweiten Schuld“ wendet sich Man- fred Kittel.35 Die Genannten vertreten extreme Meinungen bzw. nehmen sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Ereignisse in den Blick. Hermann Lübbe hat Mitte der achtziger Jahre behauptet, daß das kommunikative Beschweigen und Verdrängen der NS-Verbrechen in den fünfziger Jahren eine aus sozialpsychologischer Sicht „normale“ Reak- 33 Steinbach, Peter: Die Vergegenwärtigung des Vergangenen. Zum Spannungsverhältnis zwischen individueller Erinnerung und öffentlichem Gedenken. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B3-4/1997, S. 7. 34 Vgl. Mitscherlich, Alexander und Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. Mit einem Nachwort der Autoren zur unveränderten Neuaus- gabe. München, Zürich, 1991 (1967); Giordano, Ralph: Die zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein. Hamburg, 1987. 35 Vgl. Kittel, Manfred: Die Legende von der „zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewälti- gung in der Ära Adenauer. Berlin, Frankfurt/M., 1993. I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ 25 tion gewesen sei. Die Deutschen stürzten sich in den Wiederaufbau und wollten die Vergangenheit vergessen. Erst in den sechziger Jahren wuchs die Bereitschaft - bedingt durch den Generationenwechsel - sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.36 Die beiden oben skizzierten Einstellungen, Normalisierung oder Drama- tisierung, bestimmen die Argumentationsweisen in publizistischen Kon- troversen über Holocaustfilme. Sie treten freilich selten in Reinform auf. Auch in das klassische Rechts-Links-Schema lassen sie sich nicht voll- ständig einordnen. Je nach aktueller politischer Situation und anderen Gegebenheiten steht die eine oder andere Position im Vordergrund, schließen sich Rezipienten den Normalisierern oder Dramatisierern an. Zu bedenken ist, daß bei allen Differenzen beide grundsätzlich inter- essiert sind an Geschichte und Politik. Dadurch und durch ihre Bereit- schaft, öffentlich Stellung zu beziehen, unterscheiden sie sich von der schweigenden Mehrheit - zu deren Sprachrohr sich aber bevorzugt „Normalisierer“ machen. Insgesamt ist der Kreis derer, die öffentlich streiten, klein. Zu jeder Zeit aber hat es diese Interessierten gegeben. Nur selten ist ihnen gelungen, breite Kreise der Bevölkerung zu erreichen und sie in die publizistischen Kontroversen über Holocaustfilme einzu- beziehen. Die Untersuchung der durch Holocaustfilme ausgelösten Debatten deutet schon auf einen Wandel der Erinnerungskultur. Die Modalitäten des Erinnerns werden reflektiert: im Mittelpunkt steht weniger das Ereignis als dessen Darstellung und Rezeption. Das läßt sich als fortschreitender Historisierungsprozeß bezeichnen. Nachdem es nach Ende des 2. Welt- krieges und in den ersten beiden Jahrzehnten seit Gründung der Bundes- republik darum ging, den Holocaust überhaupt öffentlich zu diskutieren, sind nun die Diskussionen Gegenstand kritischer Betrachtung. Doch zeigt z.B. eine Diskussion wie die des Goldhagen-Buches 1996, daß eine befriedigende Antwort auf die Frage „wie konnte es zum Holocaust kommen?“ auch nach mehr als fünfzig Jahren intensiver Forschung und öffentlicher Debatten nicht gefunden werden kann. Das Thema bleibt aktuell. Rainer Traub konstatiert: „Auf verblüffende Weise kehrt der öffentliche Umgang der Deutschen mit ihrer jüngsten Geschichte die Alltagserfahrung um, daß die Erinnerung an ein Ereignis mit zunehmen- dem zeitlichen Abstand immer blasser wird: Je ferner das ominöse Datum rückt, desto intensiver wird seiner nun gedacht.“37 36 Vgl. Lübbe, Hermann: Verdrängung? Über eine Kategorie zur Kritik des deutschen Vergangenheitsverhältnisses. In: Strauss, Herbert A./Kampe, Norbert (Hg.): Lerntag über den Holocaust in der politische Kultur seit 1945. Berlin (West), 1985, S. 50-60. 37 Traub, Rainer: Von deutscher Zunge. In: Spiegel-Spezial: 1945-1948. Die Deutschen nach der Stunde Null. H. 4/1995, S. 9. I.4. Positionen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: „Normalisierer“ und „Dramatisierer“ 26 Der Holocaust ist gegenwärtig in öffentlichen Reden, in Symbolen, in offiziellen politischen Gesten. Und er ist Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten: Beschäftigung mit dem Holocaust zum Zweck der Erlangung des Doktor-Grades, des „Dr. hol.“38 wie der Publizist Henryk M. Broder spottet. Das Problem läßt sich folgendermaßen beschreiben: wer sich nicht der Geschichte stellt, ist ein Verdränger, mithin ein „potentieller Wiederholungstäter“. Wer sich auf das Thema einläßt, wird unlauterer Motive verdächtigt: Lust am Grauen und der Wunsch, vom „Shoah- Business“39 zu profitieren. Michal Y. Bodemann, Professor für Soziolo- gie an der Universität Toronto, spricht von „Gedächtnistheater“ und „Gedenk-Epidemie“ und meint damit die Instrumentalisierung jüdischer Mitbürger zu „Vorzeigejuden“, die die Deutschen von ihrer Schuld erlö- sen sollen.40 Das öffentliche Erinnern, so lautet der Vorwurf der Kritiker wie Broder, Bodemann oder Reichel aber auch Walser, deute auf kollek- tives Vergessen, da das zum Ritual verkommene Gedenken die breite Bevölkerung entlaste. Erinnerung sei nur noch ein von Politik, Wissen- schaft und Publizistik betriebenes Geschäft - daß sie selbst in dieses Geschäft verwickelt sind, ist ihnen bewußt. Dieser Zwiespalt, sich einerseits erinnern zu wollen, andererseits für das Geschehene nicht die richtigen Worte finden zu können, führt zur Sprachlosigkeit, zum peinlichen Stottern oder den „Sonntagsreden“41, wenn es um Auschwitz geht. Durch radikale Entästhetisierung der Dar- stellung soll dem Anspruch an Wissenschaftlichkeit Rechnung getragen werden – auch das kann mißlingen. Der Soziologe Ulrich Beck erkennt die „Normalisierungsfalle“, mit Saul Friedländer stellt er fest, daß in aller systematischen Erforschung des Holocaust ein Stück potentiellen Revisionismus‘ steckt. Wer dokumentieren möchte, zählt nach, ver- gleicht, bezweifelt und benutzt unwillkürlich die Sprache der Täter.42 38 Broder, Henryk M.: Hitler schafft neue Stellen. In: Süddeutsche Zeitung-Magazin, Nr. 7 vom 14.2.1992, S. 14f. 39 Vom ehemaligen israelischen Außenminister Abba Eban stammt die sarkastische Bemerkung „There is no business like Shoah-business.“ Norman G. Finkelstein greift sie auf in seinem Werk „The Holocaust Industry“. Vgl. Finkelstein, Norman G.: The Holocaust Industry. Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering. New York, 2000. Die deutsche Meinungsführerpresse berichtet im August 2000, noch bevor Finkelsteins Buch übersetzt vorliegt, ausführlich über seine Kritik an der Vermarktung der Shoah, wohl in der Hoffnung, daß Finkelsteins Thesen eine publizistische Kontro- verse auslösen. 40 Vgl. Bodemann, Michal Y.: Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung. Mit einem Beitrag von Jael Geis. Hamburg, 1996. 41 Vgl. Martin Walsers „Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels.“ In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 12.10.1998, S. 15. 42 Beck, Ulrich: Auschwitz als Identität. In: Süddeutsche Zeitung vom 27.1.1995, S. 13. I.5. Forschungsstand 27 Beck fragt und folgert: „Wie kann man über etwas reden, über das man nicht reden kann. Wie kann man über etwas schweigen, über das man nicht schweigen kann. Die Konsequenz ist kollektives Stottern. Reden und Schweigen über Auschwitz erfolgen in Deutschland in einer Spra- che, die von den Ereignissen verhext ist.“43 So scheint sich Theodor W. Adornos Ansicht, daß „... alle Kultur nach Auschwitz, samt der dring- lichen Kritik daran, Müll ist“44 zu bestätigen, zumal wenn nach ausführ- licher Lektüre all dessen, was zum Thema „Erinnerung und Holocaust“ erschienen ist, bestimmte Argumentationsmuster überdeutlich werden: diejenigen Deutschen, die sich mit Kunst nach Auschwitz befassen, stellen fest, daß es „eigentlich“ nicht geht, dennoch diskutieren und schreiben, malen und bildhauern, singen und filmen sie als richteten sie sich nach der Devise: „Den Holocaust macht uns niemand nach - seine Bewältigung auch nicht.“45 Manche sehen in den Schwierigkeiten, den Holocaust darzustellen, noch etwas Positives: das ständige Scheitern verweise uns auf die Grenzen des Darstellbaren und Erklärbaren: so sei es vielleicht gar nicht falsch, ange- sichts der Einzigartigkeit und Unfaßbarkeit zu verstummen. Eine ein- deutige Antwort auf diese Frage „Reden oder Schweigen?“ ist nicht möglich. Grundsätzlich bleibt die Forderung nach Aufklärung bestehen, d.h. über das Geschehen reden, es im kollektiven und im Bewußtsein des Einzelnen präsent halten. Ein „Zuviel“ jedoch wirkt sich fatal aus. Die Rückschau auf fünfzig Jahre Erinnern belegt, daß unabhängig vom Alter sowohl die Aussage „Ich kann es nicht mehr hören“ als auch „Ich möchte mehr darüber erfahren“ getroffen wird. Hier ist demnach ein Gespür für die jeweilige Situation und das Erkenntnisinteresse der Leser, Zuschauer, Zuhörer vonnöten. Dieses Gespür sollten Eltern, Pädagogen, Filmemacher, Journalisten und Politiker entwickeln. I.5. Forschungsstand Es existieren viele Arbeiten zur Holocaustliteratur46, doch wenige zu Filmen, die die Massenvernichtung der Juden zum Inhalt haben, und zu 43 Ebenda. 44 Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. In: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 6. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt/M. 1977 (1973), S. 359. 45 Diese Aussage hat der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex getroffen. Zit. nach Broder, Henryk M.: Halbzeit im Irrenhaus. Sie reiten und reden über das dünne Eis der Aussöh- nung: die Pirouetten der Protagonisten - Anmerkungen zur Debatte um Martin Walsers Friedenspreisrede. In: Der Tagesspiegel vom 24.11.1998, S. 25. 46 Vgl. Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Hrsg. von Stephan Braese, Holger Gehle, Doron Kiesel, Hanno Loewy. Frankfurt/M., New York, 1998. (= I.5. Forschungsstand 28 den öffentlichen Kontroversen, die diese Filme ausgelöst haben. Zwar wurde nach der Ausstrahlung einer Produktion oder nach dem Filmstart immer heftig und kontrovers in Zeitungen und Zeitschriften über den Film gestritten, erst seit dem „Medienereignis Holocaust“, 1978/79, gibt es aber wissenschaftliche Untersuchungen zu Machart, Rezeption und möglichen Wirkungen der Produktionen. Seit Anfang der achtziger Jahre ist die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen zum Thema enorm ge- wachsen. Der Produktion und Analyse von Literatur und Filmen folgt nun die Reflexion des Umgangs mit diesem Medienangebot. Grundlegendes Werk über Kunst nach Auschwitz ist James E. Youngs Buch „Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpre- tation“.47 In dieser Untersuchung von 1988 beschäftigt sich Young vor allem damit, wie in der Holocaustliteratur von Augenzeugen die Ereig- nisse vermittelt werden. Young beschränkt sich jedoch nicht auf die Art der Präsentation, weil er sich der Gefahr bewußt ist, daß durch die Beschäftigung mit der Form das Geschehen in den Hintergrund gedrängt werden könnte. Er berücksichtigt deshalb, wer unter welchen Umständen und aus welchen Beweggründen über den Holocaust schreibt oder ihn sonstwie künstlerisch „verarbeitet“. Neben der Zeugnis- und Dokumen- tarliteratur werden auch Legenden und Inszenierungen des Holocaust interpretiert. Zu den „Texten des Holocaust“ zählt Young literarische Werke, Film- und Theaterinszenierungen und zudem als „Textur der Erinnerung“ Holocaust-Gedenkstätten und deren Bedeutung. Young be- handelt Video- und Filmzeugnisse als „... Texte, die genau wie litera- rische Texte konstruiert sind“48, doch schränkt er ein, daß „... jedes Medium dem Material, das es vermittelt, seine eigenen, ganz spezi- fischen Mittel aufprägt. Indem es die Ereignisse wiedergibt, prägt es sie.“49 Für Young stellt sich die Alternative Literatur oder Film demnach nicht. Beide Medien als verwandt zu betrachten, liegt schon deshalb nahe, weil sowohl die Literatur als auch der Film mit Bildern arbeitet, die Literatur imaginiert abstrakte, der Film bildet konkrete ab.50 Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 6). 47 Im Original Writing and Rewriting of the Holocaust. Im Deutschen: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt/M., 1992. Mit der deut- schen Übersetzung ist der Autor nicht sehr zufrieden. Vgl. Die Erinnerung als Staatsge- brauch. Ein Gespräch mit dem Holocaust-Forscher James E. Young. In: Frankfurter Rundschau vom 21.1.1995, S. ZB2. 48 Young, James: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt/M., 1992, S. 243. 49 Ebenda. 50 Vgl. Lewandowski, Rainer: Literatur und Film und Literatur. In: Medium und Kunst. Hrsg. von Gerhard Charles Rump. Hildesheim, New York, 1978, S. 28-96. I.5. Forschungsstand 29 Die Erkenntnisse, die aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Holocaustliteratur stammen, sind für die Analyse und Interpretation von Holocaustfilmen durchaus nützlich. Eine Eingrenzung dessen, was als Holocaustliteratur zu bezeichnen ist, gelingt allerdings kaum. Claudia Brecheisen schlägt in ihrer Untersuchung folgende Definition vor: „Der Holocaust bedeutet Massenvernichtung - insbesondere der Juden - und alles, was damit verbunden ist, also die Erfahrung der Verfolgung, das Leben in Ghettos und Konzentrationslagern, die Existenz im Versteck und im Untergrund, die Reduzierung der Menschen zum Tier und vieles mehr.“51 Diese Definition ist bewußt offen gehalten, provoziert jedoch Fragen: Bezieht sich „Holocaust“ nicht nur auf Juden als von der natio- nalsozialistischen Vernichtungspolitik besonders betroffene Gruppe? Und bedeutet „Holocaust“ nicht das konkrete Morden, weniger Flucht, Vertreibung, Versteck und mögliches Überleben? Brecheisens Antwort: „Literatur über Konzentrationslager sollte wohl immer, auch wenn sie nicht die Judenverfolgung in den Vordergrund stellt, zur Holocaust-Lite- ratur gerechnet werden.“52 Zusätzlich fordert sie die Unterscheidung zwischen „Holocaust-Literatur“, „Kriegs-Literatur“ und „Literatur über das Dritte Reich“. Diese grobe Unterteilung ist auch bei der Betrachtung von Filmen hilfreich. Es gibt Filme, die über Ursachen und Auswirkun- gen des Nationalsozialismus informieren, Filme, die das Leiden der Menschen im Krieg darstellen und schließlich Filme, die den Mord an Millionen Juden in den Mittelpunkt stellen. Zumeist aber sind die Gren- zen fließend. Ein Film wie Erwin Leisers Mein Kampf behandelt alle drei Aspekte, bewußt, um, wie Leiser wünscht, Zusammenhänge zu verdeut- lichen. Gerade dieses Bemühen um Vollständigkeit wird dem Filme- macher indes von unterschiedlichen Seiten vorgeworfen; eine jede sieht ihren Widerstand, ihr Leiden, als zu oberflächlich dargestellt. Was ein Holocaustfilm ist, läßt sich also nicht ohne weiteres festlegen, und wenn, so sind Widersprüche kaum auszuschließen. Festzuhalten bleibt indes, daß die wissenschaftliche Erforschung der Holocaustlitera- tur und ebenso die Auseinandersetzungen über die künstlerische Gestal- tung von Gedenkstätten, Museen und Mahnmalen Grundlagen für die Analyse von Holocaustfilmen liefern. Werke wie „Kunst und Literatur nach Auschwitz“ (1993), „Representing the Holocaust“ (1994), oder die Sammelbände „Erlebnis - Gedächtnis - Sinn. Authentische und konstru- ierte Erinnerung“ (1996) und „Bilder des Holocaust. Literatur - Film - 51 Brecheisen, Claudia: Literatur des Holocaust: Identität und Judentum bei Jakov Lind, Edgar Hilsenrath und Jurek Becker. Dissertation. Augsburg, 1993, S. 7f. 52 Ebenda. I.5. Forschungsstand 30 Bildende Kunst“ (1997)53 widmen sich den unterschiedlichen Formen kultureller Vergegenwärtigung des Holocaust in den verschiedenen Medien. Film steht hier gleichberechtigt neben den literarischen Gattun- gen bis hin zum Comic und der bildenden Kunst. Er gilt nicht mehr als unseriös, weil auf die Bedürfnisse des Massenpublikums zielend. Vorbe- halte ästhetischer oder religiöser Natur gegenüber der verhältnismäßig jungen Kunst Film sind dennoch hartnäckig: ähnlich dem Verbot, Gott ins Bild zu setzen, erscheint erst recht der Versuch, die Shoah ins Bild zu setzen, als „Gotteslästerung“.54 So sind wissenschaftliche Arbeiten, die Holocaustfilme in den Mittel- punkt stellen, rar. Als „Klassiker“ gelten die in den achtziger Jahren in den USA entstandenen Arbeiten von Annette Insdorf, Ilan Avisar und Judith E. Doneson, die aber naturgemäß eine andere Perspektive haben als die in der Bundesrepublik oder anderen europäischen Ländern publi- zierten Werke. In den neunziger Jahren erscheinen mehr und mehr Bücher zum Thema. Anton Kaes nimmt in „Deutschlandbilder. Die Wiederkehr der Geschichte als Film“ gerade die deutschen Diskurse in den Blick, wo er die Reaktionen auf Filme wie Die Patriotin; Die Ehe der Maria Braun; Deutschland, bleiche Mutter; Hitler, ein Film aus Deutschland und Heimat untersucht. Gertrud Koch dekonstruiert in „Die Einstellung ist die Einstellung“ visuelle Konstruktionen des Judentums. Tim Gallwitz liefert darauf aufbauend eine sehr detaillierte und überzeu- gende Analyse der jüdischen Figuren im deutschen Nachkriegsfilm. Um „Kunst und Literatur nach Auschwitz“ und um „Bilder des Holocaust“ geht es in zwei von Manuel Köppen u.a. 1993 und 1997 herausgege- benen Sammelbänden. Film steht hier gleichberechtigt neben anderen „Texten des Holocaust“. Unverkennbar ist, daß Schindlers Liste wie sei- nerzeit Holocaust die Beschäftigung mit der filmischen Repräsentation der Shoah noch einmal verstärkt hat. So analysieren u.a. Jessika Meyer- Gruhl, Johannes-Michael Noack, Markus Stahlecker und Helmut Korte Spielbergs Film. 53 Kunst und Literatur nach Auschwitz. Hrsg. von Manuel Köppen in Zusammenarbeit mit Gerhard Bauer und Rüdiger Steinlein. Berlin, 1993; La Capra, Dominick: Representing the Holocaust. History, Theory, Trauma. Ithaca, London, 1994; Erlebnis - Gedächtnis - Sinn. Authentische und konstruierte Erinnerung. Hrsg. von Hanno Loewy und Bernhard Moltmann. Frankfurt/M, New York, 1996; Bilder des Holocaust. Literatur - Film - Bildende Kunst. Hrsg. von Manuel Köppen und Klaus R. Scherpe. Köln, Weimar, Wien, 1997. 54 Vgl. Wiesel, Elie: Die Massenvernichtung als literarische Inspiration. In: Kogon, Eugen u.a.: Gott nach Auschwitz. Dimensionen des Massenmords am jüdischen Volk. Frei- burg, 1979, S. 26. Den Vorbehalten religiöser Art widme ich mich in Kapitel I.5.1.2. I.5. Forschungsstand 31 I.5.1. Geschichtsvermittlung durch Film und Fernsehen Wie jedes historische Ereignis läßt sich der Holocaust nur durch Überlie- ferung, durch Sprache und Bilder, vermitteln. Schulen, Institutionen der politischen Bildung und die Massenmedien brauchen Vereinfachungen, um Geschichte begreifbar zu machen. Sie beklagen Defizite der deut- schen Geschichts- und Sozialwissenschaften, deren Unfähigkeit, kon- krete soziale und kulturelle Lebenswirklichkeiten erzählend zu vermit- teln. Wird Geschichte im Film dargestellt, müssen die Besonderheiten des Mediums berücksichtigt werden. Wir benötigen Bilder. Erst seit es den Film gibt, seit etwas mehr als hundert Jahren, haben wir Filmaufnahmen von historischen Ereignissen, beispielsweise davon, wie Soldaten jubelnd in den ersten Weltkrieg ziehen, oder vom Beginn der russischen Revolution. Da aber beginnt unser Nachdenken: Was zeigen die Bilder? Was zeigen sie nicht? In wessen Auftrag sind sie entstanden? Wir erin- nern uns vielleicht an Filmaufnahmen, die den Sturm auf das Winter- palais in St. Petersburg zeigen, und erfahren, daß diese Bilder nicht authentisch sind, sondern aus dem Spielfilm Oktjabr‘ von Sergej M. Eisenstein stammen. Überdies müssen wir uns fragen, was mit den historischen Ereignissen ist, von denen es keine Filmaufnahmen oder Fotografien gibt? Kann man trotzdem Filme über diese Ereignisse machen? Welche Möglichkeiten bietet hier der fiktionale historische Film? Ein solcher setzt das Studium historischer Quellen voraus. Als Quelle dienen häufig aber auch Romane, die nach dem eigentlichen Ereignis entstanden sind. So sind beispielsweise unsere Vorstellungen von dem Feldzug Napoleons gegen Rußland geprägt durch die amerikanisch-italienische Koproduktion War and Peace/Krieg und Frieden (USA/I 1956, Regie King Vidor), even- tuell durch den sowjetischen Film Vojna i mir/Krieg und Frieden (UdSSR 1965-1967, Regie Sergej Bondarčuk). Beide Filme sind Adap- tionen des 1868 erschienenen Romans Vojna i mir/Krieg und Frieden von Lev N. Tolstoj. Historisches „Wissen“ stammt inzwischen ganz überwiegend aus „Quellen“ wie dem historischen Roman und dem Historienfilm, also einer fiktionalen Spielhandlung, die sich an historischen Ereignissen orientiert. Den Historiker mag das erschrecken. Er trägt über Jahre Fak- ten zusammen und rekonstruiert Zusammenhänge, dann aber kommt eine Serie wie Holocaust und prägt die Vorstellungen von Millionen Menschen über den deutschen Nationalsozialismus und den Mord an den Juden. „Ein schwarzer Tag für die Historiker“ konstatiert Der Spiegel I.5. Forschungsstand 32 1979 nach Ausstrahlung der Serie und fällt ein in die Klage über die Defizite der Geschichtswissenschaft. Doch werden hier Gräben be- schrieben, für deren Überwindung sich Historiker seit langem einsetzen. Sie wollen einerseits seriöse Wissenschaft betreiben, andererseits mit ihren Ergebnissen ein breites historisch interessiertes Publikum errei- chen. So schreibt Rudolf Vierhaus: „Nicht oft genug kann wiederholt werden, daß die Form der Darstellung von Geschichte keine Frage von sekundärer Bedeutung ist. Geschichte als erzählte Geschichte besteht nicht in der Wiedergabe von Quelleninformationen, sondern darin, daß solche Informationen in einen deutenden Zusammenhang gebracht wer- den. Die Darstellung ist damit wesentliches Mittel, der ‚Wahrheit‘ der Geschichte als Vergangenheit nahe zu kommen. Daß dies nur unter Ab- straktionen, also auch unter Vernachlässigung zahlloser Besonderheiten möglich ist, wird sich der Geschichtsschreiber immer bewußt sein und deshalb nicht den Anspruch auf Wahrheit, sondern allenfalls auf Wahr- scheinlichkeit erheben.“55 Vierhaus spricht hier grundsätzliche Probleme der Historiographie an: das der Darstellbarkeit (ob?) und das der Darstellung (wie?). Mit diesen Problemen haben sich neben Historikern auch Schriftsteller und Filme- macher beschäftigt. In einer Arbeit, die publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film untersucht, erscheint das Problem der Darstell- barkeit gleich in mehrfacher Hinsicht. Zuerst waren die historischen Ereignisse, die individuellen Erlebnisse. Dem folgt - manchmal erst nach vielen Jahren - das Sprechen oder Schreiben über die eigenen Erfah- rungen. Basierend auf mündlicher oder schriftlicher Überlieferung ent- steht ein Film, der hier „Holocaustfilm“ genannt wird. Kritiker bewerten diesen Film, ihr jeweiliges Urteil provoziert Streit. Publizistische Kon- troversen über verschiedene Holocaustfilme sind schließlich Gegenstand wissenschaftlicher Analyse. D.h., das eigentliche Geschehen ist mehr- fach bearbeitet worden: es wurde erinnert, in Worte gefaßt, überliefert, interpretiert, in Bilder gefaßt, gesehen, kommentiert, der daraus entstan- dene Text wiederum – wenn man so will als Teil des Holocaust-Meta- diskurses – analysiert und interpretiert. I.5.1.1. Probleme der Darstellbarkeit Die Differenz des Vergangenen zur Gegenwart schafft das Darstellungs- problem. „Darstellen“ bedeutet „ins Bild setzen“, „Darstellbarkeit“, die 55 Vierhaus, Rudolf: Wie erzählt man Geschichte? Die Perspektive des Historiographen. In: Historisches Erzählen. Formen und Funktionen. Hrsg. von Siegfried Quandt und Hans Süssmuth. Göttingen, 1982, S. 55. I.5. Forschungsstand 33 Endmorpheme verweisen schon darauf, daß die Darstellung möglich oder unmöglich sein kann, moralisch vertretbar oder nicht. Die Frage nach der Darstellbarkeit bezieht sich zum einen auf die künstlerische Möglichkeit, zum anderen impliziert sie, daß es Grenzen gibt, deren Überschreitung eine Mißachtung der Rechte anderer bedeutet. Gemeint sind das Recht auf Privatheit, das Recht am eigenen Bild, oder um einen juristischen Fachbegriff zu benutzen, das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“. Vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen mit Zensur und Denkverboten scheint die Frage nach der Darstellbarkeit und ihren Grenzen unangebracht, doch ist zu unterscheiden zwischen dem Inhalt einer bildlichen Darstellung und der Beschaffung und möglichen Verwendung eines Bildes. Die Debatten über Medienethik wurden ganz überwiegend ausgelöst durch die Publikation von Bildern, die das Privateste eines Menschen berühren. Ob „Barschel“, „Gladbeck“ oder „Diana“ – das Publikum hat nicht das Recht, einem Menschen beim Sterben zuzusehen. Die publizistischen Kontroversen über die Darstellbarkeit des Holocaust im Film sind ebenfalls Auseinandersetzungen um die moralische Nor- mierung bildlicher Darstellungen. Claude Lanzmanns Kritik an Steven Spielbergs Film Schindlers Liste gründet in der Überzeugung, daß jede Form der fingierten und fiktionalisierten Bebilderung der Shoah eine Trivialisierung des Geschehens sei und seine Einzigartigkeit in Frage stelle. Und es geht ganz konkret um das Recht am eigenen Bild, das auch den Opfern zugestanden werden muß. Sie selbst können nicht mehr ent- scheiden, ob Nachgeborene sie nackt in einem Massengrab sehen sollen. Doch wie weit reicht das Recht am eigenen Bild? Sollen Verwandte Ein- spruch erheben können gegen die Publikation historischer Dokumente? Gegen die Darstellbarkeit des Holocaust im Film werden somit verschie- dene Gründe angeführt. Grundsätzlicher Art, wie Claude Lanzmann und andere Verfechter des Bildertabus sie vortragen, und eher privater Art: man möchte nicht, daß Dokumente verwendet werden, die den Vater oder die Schwester auf dem Weg in die Gaskammer zeigen. Gegner und Befürworter eines Darstellungsverbotes finden sich sowohl in der Gruppe der überlebenden Opfer des Holocaust als auch in der Gruppe der nicht unmittelbar Betroffenen. Im Vorwort zu „Shoah – Formen der Erinnerung“ beschreibt Nicolas Berg die sich gegenüber- stehenden Positionen, die der Nichtdarstellbarkeit, des Unsagbaren, wie sie beispielsweise Theodor W. Adorno, Elie Wiesel, Jean-François Lyotard und Claude Lanzmann vertreten, und die Position derjenigen, die meinen: „Das Unsagbare ist nur ein Alibi.“ Zur ihr gehören bei- spielsweise Jorge Semprun, Gertrud Koch, Ruth Klüger und alle, die hoffen, mit ihren Texten und Filmen einer Wiederholung des Schreckens I.5. Forschungsstand 34 vorbeugen zu können. Erstere berufen sich auf die „Negative Dialektik“ und Adornos Diktum zur „Lyrik nach Auschwitz“.56 Für sie ist Auschwitz das Ende der Zivilisation, der Bruch schlechthin. Verständi- gung ist seitdem nicht mehr möglich. Die Grenzen unserer Ausdrucks- und Verstehensmöglichkeiten zu erfahren, anzuerkennen und an ihnen zu leiden, bedeutet ihrer Meinung nach, sich ein Stück Humanismus zu bewahren. Elie Wiesel, der Auschwitz überlebt hat, schreibt: „Wir spre- chen verschlüsselt, wir Überlebenden, und unser Code kann nicht aufge- brochen werden, kann nicht entziffert werden, nicht durch euch, so sehr ihr euch auch darum bemüht. Eine Geschichte über Treblinka ist keine Geschichte, oder es ist keine Geschichte über Treblinka. Eine Geschichte über Majdanek ist fast schon eine Gotteslästerung. Nein, es ist Gottes- lästerung! Treblinka bedeutet Tod, Tod der Sprache, Tod der Hoffnung, Tod des Vertrauens und der Eingebung. Dieses Geheimnis ist dazu ver- dammt, unversehrt zu bleiben.“57 Wiesel stellt mit Nachdruck fest: „‚Die Massenvernichtung als literarische Inspiration‘, das ist ein Widerspruch in sich selbst. Wie in vieler Hinsicht hebt Auschwitz auch hier sämtliche geltende Gesetze auf, zerstört es alle Grundsätze. Jeder Versuch einer literarischen Darstellung wird jenes Erlebnis, das jetzt unserem Zugriff entzogen ist, nur verblassen und verarmen lassen. Fragen Sie jemanden, der es selber erlebte, oder fragen sie dessen Kinder, sie werden es bestä- tigen.“58 Wiesel wehrt sich gegen „Auschwitz als literarische Inspira- tion“, das gleiche gilt seiner Meinung nach für „Auschwitz als filmische Inspiration“. Claude Lanzmann, der Regisseur von Shoah, der sich be- wußt gegen historische Aufnahmen oder eine Spielfilmhandlung ent- schieden hat, stimmt dem zu: Wer Auschwitz ins Bild setzt, „... macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig.“59 Jean-François Lyotard sieht in Lanzmanns Film Shoah eine der möglichen Ausnahmen. Grund- sätzlich aber vertritt er die Auffassung: „Jedes repräsentative, repräsen- tierende Gedächtnis führt das Vergessen des ursprunglosen Schreckens, der ihm zugrundeliegt, mit sich und vergrößert ihn.“60 Mit einer solchen Ausschließlichkeit betrachten nicht alle das Problem der Darstellbarkeit. Für sie ist entscheidend, wie der Holocaust in Lite- 56 Vgl. Anmerkung 1. 57 Wiesel, Elie: Die Massenvernichtung als literarische Inspiration. In: Kogon, Eugen u.a.: Gott nach Auschwitz. Dimensionen des Massenmords am jüdischen Volk. Freiburg, 1979, S. 26. 58 A.a.O., S. 25. 59 Lanzmann, Claude: Ihr sollt nicht weinen. Einspruch gegen Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.3.1994, S. 27. 60 Lyotard, Jean-François: Heidegger und „die Juden“. Hrsg. von Peter Engelmann. Aus d. Franz. von Clemens-Carl Härle. Dt. Erstausg. Wien, 1988, (= Edition Passagen; 21), S. 38. I.5. Forschungsstand 35 ratur und Film dargestellt werden kann. So ist sich die Literatur- und Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch sicher, daß „ ... bezogen auf ihre Darstellbarkeit die Massenvernichtung keinerlei einzigartige Bedingun- gen formaler Art hat - alle Probleme, die aus ihrer Darstellung hervor- gehen und in einzelnen Darstellungen liegen, sind Probleme, die in der ,Art und Weise’ der Darstellung liegen, in ihrer Intentionalität ... Die globale Metapher von der Undarstellbarkeit der Massenvernichtung ist primär eine Aussage über die Ereignisstruktur selber, nicht über die spezifischen Probleme der Darstellung.“61 Die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger setzt sich in dem Essay „Kitsch, Kunst und Grauen“62 ebenfalls mit dem Problem der Darstellbarkeit und der Fiktionalisierung historischer Ereignisse ausein- ander. Sie trifft eine diskutable Unterscheidung: „Es gibt aber zwei Arten des Ästhetisierens, die eine ist Wahrheitssuche durch Phantasie und Ein- fühlung, also Interpretation des Geschehens, die zum Nachdenken reizt, die andere, die Verkitschung, ist eine problemvermeidende Anbiederung an die vermeintliche Beschränktheit des Publikums.“63 Was die Beur- teilung einzelner Werke, die sich mit dem Holocaust befassen, anbe- langt, greift Klüger auf das mehr oder minder bewährte Instrumentarium der literaturwissenschaftlichen Textanalyse zurück und stellt fest, daß „... der wohlbekannte Unterschied zwischen Kitsch und Kunst auch bei diesem heiklen Thema dienlich“64 sei. Das heißt, daß auch bei Literatur zum Thema Holocaust zwischen gelungen und mißlungen unterschieden werden kann - und muß, wie der Fall Wilkomirski zeigt.65 Der ungarische Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Imre Kertész präzisiert den Begriff „Holocaust-Kitsch“, nachdem er den Film La vita è bella sehr gelobt, Schindlers Liste aber als Kitsch abgetan hat: „... jede Darstellung ..., die also den Holocaust ein für allemal als etwas der menschlichen Natur Fremdes festmacht, ihn aus dem Erfahrungsbereich des Menschen herauszudrängen versucht. Doch für Kitsch halte ich auch, wenn Auschwitz zu einer Angelegenheit bloß zwischen Deutschen und Juden, zu etwas wie einer fatalen Unverträglichkeit zweier Kollektive 61 Koch, Gertrud: Die Einstellung ist die Einstellung. Visuelle Konstruktionen des Juden- tums. Frankfurt/M., 1992, S. 125. 62 Klüger, Ruth: Kitsch, Kunst und Grauen. Die Hintertüren des Erinnerns: Darf man den Holocaust deuten? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.12.1995, S. IV. Klüger verweist u.a. auf Ludwig Giesz und dessen „Phänomenologie des Kitsches“ von 1971. 63 Ebenda. 64 Ebenda. 65 Auch zu diesem Fall einer erfundenen Holocaust-Geschichte hat sich Ruth Klüger geäußert. Vgl. Klüger, Ruth: Kitsch ist immer plausibel. Was man aus den erfundenen Erinnerungen des Binjamin Wilkomirski lernen kann. In: Süddeutsche Zeitung vom 30.9.1998, S. 17. I.5. Forschungsstand 36 degradiert wird; wenn man von der politischen und psychologischen Anatomie der modernen Totalitarismen absieht; wenn man Auschwitz nicht als Welterfahrung auffaßt, sondern auf die unmittelbar Betroffenen beschränkt. Darüber hinaus halte ich natürlich alles für Kitsch, was Kitsch ist.“66 Jorge Semprun, wie Ruth Klüger und Imre Kertész als Kind deportiert, plädiert trotz aller Zweifel für die Darstellung der Erlebnisse. Er setzt auf die Dichte der Beschreibung. „Nur die Kunstfertigkeit eines gebändigten Berichts vermag die Wahrheit des Zeugnisses teilweise zu übermitteln. Aber das ist nichts Außergewöhnliches: So geht es mit allen großen historischen Erfahrungen. Man kann also immer alles sagen. Das Unsag- bare, mit dem man uns ständig in den Ohren liegen wird, ist nur ein Alibi. Oder ein Zeichen von Faulheit. Man kann immer alles sagen, die Sprache enthält alles.“67 Die Gegner eines Darstellungsverbotes eint der Glaube an die Kraft des Wortes und die Macht der Bilder. Sie stehen dem Projekt Aufklärung noch positiv gegenüber und halten wenig von postmodernen Repräsentationstheorien, die alle Versuche der mime- tischen Darstellung diskreditieren. An die Stelle der Problematisierung von Darstellbarkeit überhaupt tritt inzwischen die Analyse der verschiedenen Formen des Ausgesagten und Dargestellten. Es steht also weniger das „Ob?“ im Vordergrund als das „Wie?“.68 Dies hat vor allem diejenigen zu interessieren, die als Künst- ler, als Literaten und Filmemacher, sich dem Thema stellen wollen. Sie stehen bei allen Unterschieden vor ganz ähnlichen Problemen. Beide arbeiten mit Bildern, die Literatur imaginiert abstrakte, der Film bildet konkrete ab. Den Holocaust darzustellen, heißt einen Stoff zu bearbeiten, ihn zu gliedern und dabei beinahe zwangsläufig den Regeln der Drama- turgie zu folgen: an Exposition und Peripetie schließt sich die Katastro- phe an. Die Geschichte der Judenverfolgung im Dritten Reich entspricht der Theorie des Dramas in vielen Punkten, die zugrundeliegende histo- rische Realität, das Ausmaß der Katastrophe, verbieten aber nach An- sicht der Befürworter eines Bildertabus, das Geschehene künstlerisch aufzubereiten. Dennoch erscheint die Shoah als der literarische Stoff schlechthin, da hier eine Verdichtung extremer menschlicher Situationen und Handlungsweisen zu erkennen ist. Volker Hage stellt in einem Spiegel-Beitrag über die vielen Neuerscheinungen zum Thema fest, daß die Literatur dem Holocaust als dem Ereignis des 20. Jahrhunderts nicht 66 Kertész, Imre: Wem gehört Auschwitz? In: Die Zeit, Nr. 48 vom 19.11.1998, S. 55f. 67 Semprun, Jorge: Der Rauch aus den Öfen hat die Vögel vertrieben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.1.1995, S. 33. 68 Shoah - Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Kunst, Literatur. Hrsg. von Nicolas Berg. München, 1996, S. 7. I.5. Forschungsstand 37 ausweichen kann. „Es wird ihr gar nichts anderes übrigbleiben, als vom Schweigen und Verstummen - auch von ihrem eigenen - immer wieder zu erzählen.“69 Das gleiche gilt für den Film. Doch scheint dieser immer noch einen Schritt weiter zu gehen als die Literatur. Der Filmkritiker Georg Seeßlen gibt zu bedenken: „Ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, war eine fundamentale Frage der kulturellen Wahrnehmung. Aber kein Mensch fragte, ob man nach Auschwitz ... noch Frauen in Bikinis fotografieren könne.“70 Der Film konfrontiert seine Zuschauer mit Bildern, die nicht unbedingt ihren eigenen Erinnerungen ent- sprechen. Die Begriffe Adaption oder „Ver“-filmung erwecken gar den Eindruck, als würde etwas Originäres (ein geschichtliches Ereignis oder eine literarische Vorlage) verarbeitet und damit verändert. Es klingt so, als sei bei diesem Prozeß immer ein „Ver“-lust von Authentizität zu erwarten. Es kann jedoch keine 1:1-Übersetzung von einer Kunstform in eine andere geben. Film ist ein eigenständiges Medium und folgt schon aufgrund der Produktions- und Rezeptionsbedingungen anderen Gesetz- mäßigkeiten als Literatur, Malerei oder Musik. Häufig handelt es sich bei einer Verfilmung um die Adaption eines Romans oder einer anderen literarischen Gattung. Wie „wahrhaftig“, „authentisch“ ein Holo- caustfilm ist, kann daher nur in dem Bewußtsein diskutiert werden, daß er wie jedes Kunstwerk sowohl auf Fakten als auch auf Fiktionen basiert. Letztlich scheint die Kontroverse über die Darstellbarkeit eine Fort- setzung des in allen literarischen Epochen geführten Streits über das Verhältnis von Inhalt und Form zu sein. Darstellung verweist auf die Beziehung zwischen Wesen und Erscheinung, Darstellbarkeit ist ein von ästhetischen Kategorien geprägter Begriff. Es gibt freilich keine norma- tive Ästhetik und damit keine generellen Regeln über Form, Inhalt und Funktion eines künstlerischen Werkes. Zu sagen, nur dieses oder jenes sei darstellbar oder aber überhaupt nichts mehr, kann höchstens als Meinung über Kunst akzeptiert werden, jedoch nicht als Handlungs- anweisung. Manche Dogmen unseres Kulturschaffens beruhen nur auf historischen Konstellationen. Was trivial ist oder „falschem Bewußtsein“ entspringt, bleibt bis heute schwer zu definieren. Kritiker der Ver- mischung von Kunst und Kommerz und Zyniker, die vom „Shoah-Busi- ness“ reden, vermuten, daß darstellbar ist, was die opinio communis für darstellbar hält und was in größeren Mengen verkauft werden kann. 69 Hage, Volker: Der Schatten der Tat. In: Der Spiegel, Nr. 47 vom 20.11.1995, S. 265. 70 Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur, Berlin, 1994, S. 107. I.5. Forschungsstand 38 I.5.1.2. Bildertabu Zwischen dem Verbot, den Holocaust darzustellen und dem älteren, reli- giösen Verbot, Gott ins Bild zu setzen, scheint eine Analogie zu beste- hen. Mißtrauen gegenüber dem Bild als Vermittler göttlicher Botschaften hegen insbesondere Anhänger der monotheistischen Wort-Religionen, als welche Judentum, Christentum und Islam bezeichnet werden können. So heißt es in Johannes 1,1: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Und im 2. Buch Mose 20,4 steht: „Und Gott redete alle diese Worte: ... Du sollst Dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen; und tue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich liebhaben, und meine Gebote halten.“ Im Judentum als der ersten der drei Hochreligionen, die die Sprache als Trägerin der Offenbarung begreifen, wird dieses Bilderverbot streng ein- gehalten. Es betrifft sowohl Darstellungen Gottes als auch der Propheten und anderen Heiligen. Im Christentum sind die Anfänge der Bilderver- ehrung unklar. Seit dem 4. Jahrhundert nahmen die Kirchenväter Stel- lung zur Bilderfrage, Basilius der Große rechtfertigte die Verehrung von Bildern mit dem Hinweis darauf, daß Gott durch das Bild Anbetung erfahren solle. Zu unterscheiden sei zwischen der Anbetung, die Gott allein zuteil werden müsse, und der Verehrung oder Ehrenbezeigung, die dem Bild entgegengebracht wird. Eine solche Auslegung des Bilderver- bots führte zu heftigem Widerspruch orthodoxer Christen. 730 erschien das Edikt Kaiser Leons II. gegen die Ikonodulen, Konstantin V. verfolgte die Bilderfreunde mit Folter und Hinrichtung. Auf dem Konzil von Trient 1563 formulierten die Versammelten einen Text mit dem Titel „De invocatione, veneratione et reliquiis sanctorum, et de sacris imagini- bus“. Dieser erlaubte wiederum Christus- und Heiligenbilder, insofern sie der Anbetung des Abgebildeten dienten, jedoch nicht selbst Gegen- stand des Glaubens würden.71 Luther72 und die radikaleren Reformatoren wie Karlstadt, Münzer, Zwingli, Calvin kritisierten die Bilderverehrung der Katholiken, die Bilder als „Bibel der Laien“ zur Missionierung nutzten und sich nicht schämten, die Sinne der Gläubigen anzusprechen. 71 Vgl. Hilpert, Konrad: Aspekte einer Ethik des Bildes. In: Medien und Ethik. Interdiszi- plinäre Vortragsreihe an der Universität des Saarlandes im Wintersemester 1994. Hrsg. von Peter Winterhoff-Spurk und Konrad Hilpert. St. Ingbert, 1995, S. 23. 72 Das Luthertum hat später Bilder zugelassen, soweit kein Mißbrauch damit verbunden war. Luther zählte die Bilderverehrung zu den Dingen, „die man halten mag oder nit.“ I.5. Forschungsstand 39 Dadurch würde der ursprüngliche und eigentliche Gehalt des Geistes christlichen Glaubens verfälscht. Hans Belting schreibt in seinem Aufsatz „Die Bilder in der Bildung“, daß Luther sich während der Bibelübersetzung besonders freute, wenn sich die Evangelisten klar und verständlich und ohne Bilder, Allegorien und Metaphern ausdrückten. Den Anfang des Johannes-Evangeliums übersetzte der Reformator deshalb mit besonderem Genuß, nur daß er dabei den griechischen Begriff „logos“ „unbillig verkürzte“.73 Die Wort- gläubigkeit der Bibelexegeten verstärkten solche Übersetzungen. Grund- sätzlich war sich Luther aber bewußt, daß Glaube nicht ohne Vorstellung und also Bilder möglich ist. „Wenn es nun nicht Sünde, sondern gut ist, daß ich Christi Bild im Herzen trage, warum sollte es dann Sünde sein, wenn ich es in den Augen habe?“, zitiert Belting den Reformator.74 Luthers Argumente ähneln in der Struktur Platons Theorie des Gedächt- nisses, die von einem inneren Schreiber ausgeht. Micha Brumlik, beken- nender Jude, ist der Auffassung, daß sich die Frage nach der Wahrheit und Falschheit des Bilderverbots immer als die Frage nach der Wahrheit des Christentums stellt. Jenes nämlich gehe von der Fleischwerdung Gottes als Heilstat aus, Jesus Christus sei lebendiger Gott. Die Juden hingegen sähen die Welt als nicht erlöst, sie bekennten sich zum ab- strakten, erhabenen Gott, der nur durch die Lektüre der heiligen Schrif- ten erfahrbar wird.75 Das Motiv der Verfälschung und Täuschung durch die Sinne zieht sich durch die Philosophiegeschichte. Bilder verstellten den Zugang zur eigentlichen Wirklichkeit, weil sie die Erkenntnis sinnenhaften Empfin- dungen auslieferten. Platon sieht im Gegensatz zu den Gedankendingen (Ideen) in den Bildern die Sinnendinge. Und noch zweitausend Jahre später fürchtet der protestantische Philosoph Sören Kierkegaard, daß sich im Bild des Schönen das Böse verbirgt. Christliche Kunst gilt ihm als im Grunde heidnischer Frevel. Darstellungen Gottes oder des Gottessohnes könne ein Künstler nicht wagen, ohne sich zu fragen, ob doch Christus sich gemalt wünschte. Kern des Schönen, Ästhetischen ist nach Kierke- gaard das Erotische, das nicht überzeugt, sondern verführt. Diesem Sinnlichen entgegengesetzt sei die Sprache, alles Sinnliche verneinend sei sie das vollkommene Medium des Geistes. 73 Belting, Hans: Die Bilder in der Bildung. Das Nicht-Gesehene in Worten. In: Süddeut- sche Zeitung vom 3./4./5. 6. 1995, S. 13. 74 Zit. nach Belting, Hans: Bild und Kult. München, 1991, S. 610. 75 Vgl. Brumlik, Micha: Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot, Frank- furt/M., 1994, S. 56f. I.5. Forschungsstand 40 Die Furcht vor dem Bild beruht häufig auf einem Reinheitsbedürfnis und geht einher mit Sexualfeindlichkeit. Angst vor Verführung und Macht- verlust werden in der feministischen Theologie als Ursachen für Bilder- furcht gesehen. Deshalb gäbe es Bildertabus gerade in den Religionen des maskulinen Monotheismus: im Judentum und im Islam sowie im frauenfeindlichen und marienlosen Protestantismus. Hans Belting spricht von der „Absicht, die Bilder in eine Denkschule zu schicken und ihnen Benehmen und Gehorsam beizubringen“, denn offenbar fürchteten die Philosophen, die sich in den Worten sicherer fühlten, den „unzähmbaren Eigensinn“ der Bilder. Sie haben zudem den Fehler gemacht, nur über das Bild als solches nachzudenken. Von der Vielfalt und Ambiguität in den Bildern, wie in allem Sichtbaren, das immer etwas Tautologisches an sich habe, sei da nicht mehr viel übrig geblieben.76 Eine strenge Auslegung des Holocaust-Bilderverbots führt zur Sakrali- sierung, Vergöttlichung und einem Absolutsetzen der Shoah. Der Holo- caust kann dann auch als Ersatzreligion für Assimilierte und Atheisten dienen. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ ist das falsche Gebot dieser neuen Ersatzreligion, direkt verbunden mit dem ersten Gebot „Du sollst keinen anderen Holocaust haben neben mir“. Doron Rabinovici ist der Auffassung, daß im Bilderverbot die Mythologisierung des Massenver- brechens nicht überwunden wird. „Die Bilder des Unvorstellbaren sind in unseren Köpfen. Ob Bilderverbot oder Passion, beides verkehrt - ebenso im cineastischen Diskurs - die historische Untat zu einem meta- physischen Problem, beides bezieht sich auf Gott und Teufel, auf Himmel und Hölle, als wäre Auschwitz in einem Jenseits zu finden und nicht ein Ort in Europa.“77 Die Pro- und Contra-Positionen die Darstellung des Holocaust betreffend sind beschrieben worden. Einigkeit herrscht darin, daß der Umgang mit von den Nazis hergestellten Bildern besondere Vorsicht erfordert. Die Macht dieser Bilder gilt als ungebrochen, auch wenn z.B. Siegfried Zelnhefer zu Bedenken gibt: „Heute vermögen die Bilder der Riefenstahl nicht mehr den magischen Reiz auszulösen wie bei der Erstaufführung 1935. Dies liegt nicht nur an den Betrachtern sowie ihren postmodernen Mediengewohnheiten und -erfahrungen. Auch eine vergleichbare Erwartungshaltung fehlt in einer demokratischen Gesellschaft.“78 76 Belting, Hans: Die Bilder in der Bildung. Das Nicht-Gesehene in Worten. In: Süddeut- sche Zeitung vom 3./4./5.6.1995, S. 13. 77 Rabinovici, Doron: Das Verbot der Bilder oder Sichtweise und Anschauung. In: IWK- Mitteilungen. 50. Jg., H. 4/1995, (= Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien), S. 7. 78 Zelnhefer, Siegfried: Die Reichsparteitage der NSDAP. Geschichte, Struktur und Bedeutung der größten Propagandafeste im nationalsozialistischen Feierjahr. Nürnberg, I.5. Forschungsstand 41 Filmemacher wie Erwin Leiser glauben, die Macht der Bilder durch eine neue Montage und einen kritischen Kommentar brechen zu können. Aufgrund dieser unterschiedlichen Annahmen über die gegenwärtige Wirkung von Filmen aus der Zeit des Nationalsozialismus bleibt die Frage nach einem generellen öffentlichen Aufführungsverbot schwer zu beantworten. Für wissenschaftliche Zwecke dürfen die Filme entliehen und vorgeführt werden, im Anschluß ist eine Diskussion empfohlen. An- hänger faschistischer Ideen können sich die entsprechenden Filme jedoch leicht im Versandhandel und im Ausland besorgen. Wer die Filme sehen will, findet sicher Mittel und Wege. Unklar ist bis heute, was überhaupt zu den „gefährlichen“, nationalsozialistischen Filmen zu zählen ist. Sicher Filme wie Harlans Jud Süß und Hipplers Der ewige Jude, bei Riefenstahls Triumph des Willens gehen die Meinungen schon auseinander, und ein scheinbar harmloser Unterhaltungsfilm wie Die Feuerzangenbowle von 1944 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle füllt seit Jahren die größten Hörsäle der Göttinger Universität.79 Georg Seeßlen ist der Meinung: „Nach dem schrittweisen Verlöschen des Bilderverbots leben wir nun in einer Gesellschaft, in der, so oder so, mehr faschistische Bilder im Umlauf sind als in der faschistischen Gesellschaft selber.“80 Die deutsche Band Ramstein vermarktet ihre Songs mit Hilfe von Videoclips, die aus Sequenzen der Riefenstahlschen Olympia-Filme bestehen. Wir können Filme wie Starship Troopers sehen, in denen angeblich faschistische Ästhetik ironisiert wird, oder so- genannte Antikriegsfilme, z.B. Saving Private Ryan, der sowohl pazi- fistische Gefühle hervorrufen als auch den Krieg als Grenzerfahrung verherrlichen kann.81 Seit Filmen wie Natural Born Killers, (von Oliver Stone, der zuvor „Anti“-Kriegsfilme wie Platoon gedreht hat), Pulp Fiction, Romuald Kamarkas Filmen Coup de boule und Warhead und Michael Hanekes Funny Games wird das Thema Gewalt im Film wieder heftig diskutiert. In den genannten Beispielen ist körperliche Gewalt bis hin zum Mord in allen Einzelheiten zu sehen. Nicht aber in Karmakas bekanntestem Film, in Der Totmacher mit Götz George in der Rolle des Massenmörders Fritz Haarmann. Peter Buchka, Filmkritiker der Süd- deutschen Zeitung, lobt an dem kammerspielähnlichen Film die Zurück- haltung bei der Darstellung von Gewalt: „Kaum ein Film entlarvt die Spekulationen der Postmoderne, nur mit penibel ausgemalten Gewalt- 1991, (= Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg, Bd. 46), S. 244. 79 Der Film wird mehrmals pro Abend und in verschiedenen Hörsälen gezeigt, zugleich findet laut Veranstalter „die größte Nikolaus-Party Südniedersachsens“ statt. 80 Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur, Berlin, 1994, S. 130. 81 Vgl. zu der Frage, was ein Kriegsfilm und was ein Antikriegsfilm ist Kilb, Andreas: Neue Kameraden. In: Die Zeit, Nr. 4 vom 22.1.1993, S. 45f. I.5. Forschungsstand 42 orgien dem explodierenden Gewaltpotential der Gegenwart gewachsen zu sein, nachhaltiger ...“.82 Diese Filmbesprechung enthält ein über- zeugendes Plädoyer für das Bildertabu. Peter Buchka führt aus: „Es geht um nichts geringeres als eine andere Ästhetik der Gewalt, um die Frage also, wie man das Grauenhafte abbilden, seine Mechanismen erklären, seine Wirkung ermessen kann. Läßt sich Gewalt, zumal in ihrer extrem- sten Form, überhaupt begreifen? Gewiß nicht durchs Abbild.“ Eine Wie- derholung des Grauens im Bild erklärt zu wenig das Motiv der Tat. Ist der Zuschauer jedoch gezwungen‚ mal Angeklagter, mal Täter, mal Richter zu sein, vervollständigt sich das Bild, wird Annäherung an die grausame Realität erreicht, daß das Böse in uns Menschen ist. Sowohl im Streit über die Macht faschistischer Bilder, als auch im Streit über die Darstellbarkeit des Holocaust und schließlich im Streit über Gewalt im Film geht es um Wirkungen. Je nach dem, welche Wirkungen wir annehmen (und fast immer meinen wir, daß ein Film auf andere anders wirkt als auf uns selbst), vertreten wir die eine oder die andere Position, sind dafür oder dagegen, daß etwas gezeigt wird. I.5.2. Filmgattungen: synthetischer und dokumentarischer Film Als Teil der Filmtheorie entwickelte sich von Anfang an - seit Lumière und Méliès und ihrem entgegengesetzten Verständnis von Film - eine Theorie des Dokumentarfilms. Von John Grierson, Robert Flaherty, Dziga Vertov bis hin zu zeitgenössischen Theoretikern wie Eberhard Fechner, Klaus Wildenhahn, Chris Marker, Bill Nichols, Peter Krieg u.a. lassen sich unterschiedliche Definitionen des Dokumentarischen und verschiedene politische Besetzungen des Begriffs nachweisen. Dem Laien bereitet die Definition von Dokumentarfilm zunächst wenig Schwierigkeiten. Dokumentarfilme sind wahr, objektiv, anspruchsvoll, spiegeln die Realität wieder. Was dort gezeigt wird, hat sich so ereignet. Die Bilder sprechen für sich. Im Gegensatz dazu steht der fiktionale Spielfilm. Verkürzt lassen sich die Unterschiede folgendermaßen gegen- überstellen: 82 Buchka, Peter: Der anständige Mörder. Gibt es eine humane Ästhetik der Gewalt? Überlegungen zu Romuald Karmakars „Der Totmacher“ mit Götz George. In: Süddeut- sche Zeitung vom 22.11.1995, S. 13. I.5. Forschungsstand 43 Tabelle 1: Vermeintlicher Gegensatz von Dokument und Fiktion Fiktion Dokument spielerisch sachlich ästhetisierend Darstellend lyrisch realistisch subjektiv objektiv nachgestellt was wirklich war kommentierend dokumentierend an Gefühle appellierend an den Verstand appellierend verschleiernd aufklärerisch Menschen, Einzelfälle das Ganze, das System Musik, Schnitt, Montage, Sprache das Bild parteiisch parteiisch? Die in diese Untersuchung aufgenommenen Filme könnten dementspre- chend in zwei Gruppen eingeteilt werden, in „Spielfilme“ und „Doku- mentarfilme“. I.5. Forschungsstand 44 Tabelle 2: Einteilung der untersuchten Filme Spielfilme Dokumentarfilme Morituri (Deutschland 1948) Nacht und Nebel (Frankreich 1955) Nackt unter Wölfen (DDR 1963) Mein Kampf (Schweden 1960) Ein Tag (Bundesrepublik 1965) Der Prozeß (Bundesrepublik 1984) Holocaust (USA 1978) Shoah (Frankreich 1985) Schindlers Liste (USA 1993) Im folgenden jedoch wird diese Unterscheidung ausgehend von den Überlegungen Peter Kriegs u.a.83 in Frage gestellt. Der allgemein empfundene Gegensatz von Spielfilm und Dokumentarfilm basiert auf den frühen Dokumentarfilmtheorien. So gehört der Spielfilm für Dziga Vertov zur alten, vorrevolutionären Welt, ideologisch und ästhetisch gebunden an bourgeoise Traditionen der Schauspielerei und des Thea- ters. John Grierson sieht im Dokumentarfilm ein realistisches Genre, das gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen hat: Öffentlichkeit herstellen, informieren und bilden. Dokumentarfilme zu machen, ist für ihn ein kreativer Umgang mit dem Tatsächlichen („creative treatment of the ac- tuality“). Das Spezifische das Dokumentarfilms sei – so die Anhänger einer klaren Unterscheidung von Dokument und Fiktion - sein besonderer Realitäts- bezug. Auf unterschiedlichen Ebenen werde der Gegensatz Doku- ment/Fiktion deutlich: auf der institutionellen Ebene unterscheide sich 83 Vgl. Krieg, Peter: Wysiwyg oder das Ende der Wahrheit. Dokumentarfilm in der Post- moderne. In: Bilderwelten Weltbilder. Dokumentarfilm und Fernsehen. Hrsg. von Heinz-B. Heller und Peter Zimmermann. Marburg, 1990, S. 88-98. Krieg, Peter: Was beweist ein Beweis? Zum Realitätsbegriff von Dokumentaristen. In: EDJ-Bulletin. H. 3/4/1990, S. 88-89. I.5. Forschungsstand 45 der Dokumentarfilm dadurch vom Spielfilm, daß er kostengünstiger pro- duziert werden könne und über andere Vertriebswege eine meist klei- nere, etwa an Bildungseinrichtungen gebundene Öffentlichkeit erreiche. Auf der sozialen Ebene unterscheide sich der Dokumentarfilm durch den Anspruch aufzuklären, Wissen zu vermitteln und gesellschaftliches Bewußtsein zu wecken. Unterhalten wolle er erst in zweiter Linie. Auf der Ebene des Produkts unterscheide sich der Dokumentarfilm vom Spielfilm dadurch, daß er abhängig sei von den realen Ereignissen und ihrer Chronologie. Sie bestimmten die Organisation des Materials. Der Spielfilm sei dagegen ungebundener in der Gestaltung des Plots, kann Raum und Zeit überwinden. Für Klaus Wildenhahn ist in marxistischer Tradition der Widerspruch von Arbeit und Kapital entscheidend. Als sozial verantwortliches Genre stehe der Dokumentarfilm im Gegensatz zum profitorientierten Spiel- film. Produktion, Intention und Rezeption seien anders. Der Dokumen- tarfilm ziele unabhängig von seinem konkreten Gegenstand auf die Befreiung der Arbeit von der Herrschaft des Kapitals. Der Spielfilm da- gegen sei Industrie, nicht Handwerk wie der Dokumentarfilm, und ziele auf die Konsolidierung des Kapitals. Politisch sei der Spielfilm Mittel der Herrschenden, der Dokumentarfilm hingegen vertrete die Anliegen der Beherrschten. Sozial diene der Spielfilm der Legendenbildung, der Dokumentarfilm gesellschaftlicher Information und Diskussion. Der Spielfilm präsentiere Lösungen, der Dokumentarfilm hingegen verlange nach außerfilmischen Lösungen. Ästhetisch, im Hinblick auf die Organi- sation des Stoffes, bilde der Spielfilm eine geschlossene Form, der Dokumentarfilm eine offene. Wildenhahn formuliert eine „Ästhetik des Realen“: danach sucht und bestimmt der dokumentarische Inhalt seine Form. Anhand dieser Zuschreibungen müßte die Bestimmung eines Werkes als dokumentarisch oder fiktional leichtfallen. Sobald jedoch einzelne Werke näher betrachtet und zudem die Aussagen ihrer Macher berück- sichtigt werden, treten Zweifel auf. Als einen „Dokumentarfilm“ bezeichnet beispielsweise Leni Riefenstahl ihren Film Triumph des Willens über den Nürnberger Reichsparteitag von 1934. Als Beleg führt sie an, auf jeglichen Kommentar verzichtet und nur das abgefilmt zu haben, was sich den Kameras geboten hat. Doch die Bilder selbst, die Kameraperspektiven, vor allem aber die Montage, der Rhythmus, die musikalische Untermalung und die Auswahl der Reden zeigen, daß hier nicht einfach eine politische Versammlung im Film festgehalten wurde, sondern daß es der Regisseurin um die möglichst perfekte Inszenierung einer Person, Adolf Hitlers, und die Choreographie der ihm zujubelnden Massen gegangen ist. Andere Beispiele für nationalsozialistische Bilder- I.5. Forschungsstand 46 politik und Inszenierungen sind Der ewige Jude oder der Film über Theresienstadt Der Führer schenkt den Juden eine Stadt von 1944. Kurt Gerron, der zwangsverpflichtete jüdische Regisseur des Theresien- stadtfilms, wurde nach dessen Fertigstellung in Auschwitz ermordet. Dokumentarfilme wurden immer auch zur Propaganda eingesetzt, Vertovs Ein Sechstel der Erde, Riefenstahls Triumph des Willens und Ivens´ Spanish Earth sind Beispiele für die Propagierung unterschied- licher Ideologien mit Hilfe dokumentarischer Bilder. Dennoch ist die Auffassung, daß Aufklärung über den Holocaust mit Hilfe dokumenta- rischer Bilder stattfinden sollte, bei Filmemachern und Zuschauern weit verbreitet. Gerade weil der Holocaust stattgefunden habe, dürfe er nicht fiktionalisiert werden. Das könnte Holocaust-Leugnern in die Hände spielen. Wir sehen einen Unterschied zwischen Bildern, die Menschen zeigen, die gelebt haben, und Bildern von Schauspielern, die diese Men- schen verkörpern. Wir glauben an eine besondere Wirkung des doku- mentarischen Materials; Dokumentaristen beharren auf der historischen Richtigkeit und Authentizität ihres Films und betonen das Basieren auf Fakten. Häufig hält sich der Autor im Hintergrund, um die Illusion der Autonomie und Authentizität des Werkes zu erzeugen. Im Vordergrund stehen die Opfer und Augenzeugen, die überlebt haben. Ihre Autorität kommt dem Werk zugute. Sie sind auf erschütternde Art lebende Beweise für den Massenmord. Die Zurückhaltung mancher Filmemacher gegenüber der filmischen Fik- tion läßt sich laut Ruth Beckermann damit erklären, daß nach 1945 der „Schock des Nicht-gewußt-Habens, des Nicht-gesehen-Habens, den Film in seinem Kern, nämlich in seinem Postulat der Sichtbarkeit (getroffen hat).“ 84 Eventuell läßt sich die Zurückhaltung auch damit erklären, daß der Autor den Verdacht fürchtet, Greueltaten wie den Holocaust aus seiner Phantasie entstehen zu lassen und sie somit gewissermaßen neu zu begehen. Andreas Kilb meint, „... nach 1945 ein typisch deutsches Tabu, das Volksaufklärung durch Fiktionen verbietet“ konstatieren zu kön- nen.85 Wolfram Schütte hält ihm empört entgegen, daß „... doch das schiere Gegenteil die Praxis des Goebbelsschen Ministeriums für Volks- aufklärung und Propaganda war“.86 Und auch nach 1945 wurde - wenn überhaupt im westdeutschen Nachkriegsfilm - vor allem in Spielfilmen die unmittelbare Vergangenheit thematisiert. Diese Art der „Volksauf- klärung“, bei der die Deutschen überwiegend als Opfer auftraten, war 84 Beckermann, Ruth: Todeslisten - Lebenslisten. In: IWK-Mitteilungen. 50. Jg., H. 4/1995, (= Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien), S. 8. 85 Vgl. Kilb, Andreas: Des Teufels Saboteur. In: Die Zeit, Nr. 10 vom 4.3.1994, S. 57f. 86 Schütte, Wolfram: Wie Schindler unter deutsche List kam. In: Frankfurter Rundschau vom 30.4.1994, S. ZB3. I.5. Forschungsstand 47 erfolgreich, allerdings entsprach sie kaum den historischen Tatsachen. Deutsche Dokumentarfilme über Krieg, Nationalsozialismus und Holo- caust erreichten in den fünfziger Jahren nur ein kleines Publikum. Das änderte sich erst um 1960, als das Fernsehen zum wichtigsten Produ- zenten und Käufer von Dokumentarfilmen wurde und die neue Technik der leichten Handkameras mit Originalton dem Genre eine vorher un- denkbare Spontaneität ermöglichte. Die sich daraufhin formierende Bewegung des cinéma direct, die ästhe- tisch eng verbunden ist mit den neo-realistischen Bewegungen, dem italienischen Neo-Realismus, dem britischen und US-amerikanischen New Cinema sowie der französischen Nouvelle Vague, forciert die Theoriebildung und versucht Abgrenzungen zwischen „synthetischem“ und „dokumentarischem“ Film.87 Als „synthetischen Film“ bezeichnet Klaus Wildenhahn, seit 1959 beim NDR-Fernsehen, den Spielfilm. „Synthetisch“ sei aber nicht abschätzig gemeint. „Synthese ist eine Zusammensetzung und Verschmelzung verschiedener, teils gegensätz- licher Teilstücke zu einem weiterentwickelten Produkt. Das synthetische Produkt muß aber einen hochentwickelten, vorgeschalteten Arbeitspro- zeß zur Voraussetzung haben (die dokumentarische Produktionsweise nämlich), um überhaupt zu seiner spezifischen Wirkung kommen zu können.“88 Diese Definition läßt erkennen, daß eine klare Trennung – hier Fiktion, da Dokument – nicht mehr besteht. Wilhelm Roth folgert aus Wildenhahns Definition, daß die Geschichte des Dokumentarfilms zum größten Teil eine Geschichte des synthetischen Films ist, „... man denke an Dsiga Wertow, an Ivens‘ Spanish Earth, zu dem Hemingway den Text schrieb, an viele Arbeiten der englischen Dokumentarfilm- schule, den zwischen Feuilleton und Essay angesiedelten Filmen von Chris Marker und an fast alles, was heute im Fernsehen als ‚Dokumen- tarfilm’ läuft.“89 Die sogenannten Dokumentarfilme basierten zwar auf dokumentarischem Material, sie ordneten die Bilder aber ihrem Autoren- standpunkt unter, der sich vor allem in einem Kommentar ausdrücke. Bilder entfalteten dabei nur selten ihre eigene Realität, sie dienten als Beleg für Thesen.90 87 Vgl. Wildenhahn, Klaus: Über synthetischen und dokumentarischen Film. Zwölf Lese- stunden. Hrsg. von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert. Erw. Neuaufl. Berlin (West), 1973. 88 Wildenhahn, Klaus: Über synthetischen und dokumentarischen Film. A.a.O., S. 2f. 89 Roth, Wilhelm: Essay und Chronik. Zu einigen Tendenzen des neueren Dokumentar- films. In: Jahrbuch Film 77/78. Berichte, Kritiken, Daten. Hrsg. von Hans Günther Pflaum. München, Wien, 1977, S. 31. 90 Vgl. ebenda. I.5. Forschungsstand 48 So versuchen sowohl der Spielfilm als auch der Dokumentarfilm, eine bestimmte Sicht der Dinge den Zuschauern nahezulegen. Bilder, die immer mehr oder weniger arrangiert sind und immer einen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellen, dienen der Illustration einer Aussage. Der Filmemacher geht subjektiv vor. Er nimmt zwar seinen Stoff aus der Wirklichkeit, reproduziert aber nicht die äußere Wirklichkeit, sondern stellt durch die von ihm geschaffenen neuen Bezüge eine neue Wirklich- keit her. Den Filmemachern ist das bewußt. Jerzy Bossak beschreibt die An- sprüche des Dokumentarfilmers an sein Werk einerseits und die Erwar- tungen der Zuschauer an den Dokumentarfilm andererseits als Dilemma: „Den Dokumentaristen verpflichtet dem Kinozuschauer gegenüber ein ungeschriebener, manchmal vom Zuschauer nur mit halbem Bewußtsein geahnter Vertrag, welcher lautet: der Dokumentarfilm zeigt ausschließ- lich authentische und belauschte Fakten, vom Autor ausgewählt, zusammengestellt und kommentiert. Deshalb muß der Zuschauer, wenn er sieht, wie der Held schläft, wie er sich an etwas heranschleicht, wie er im Gefühl völliger Einsamkeit handelt, sich die Frage stellen: wo war damals die Filmkamera? Wo ist der Kameramann? Er muß doch dabei- gewesen sein, also ist das, was ich hier sehe, nicht das auf frischer Tat ertappte Leben. Es ist ein Film, vor der Kamera gespielt, also ein viel- leicht realistisches, nichtsdestoweniger was die Authentie anbelangt, verdächtiges Spektakel ... .“91 Wildenhahn zitiert Bossak in seinem Buch Über synthetischen und do- kumentarischen Film ausführlich und gelangt trotz aller Abgrenzungs- versuche zwischen Dokument und Fiktion zu dem Schluß: „Man muß sich endlich zu dem Bekenntnis aufraffen, das bei so manchen Beken- nern des Dokumentarfilms vielleicht sogar Empörung hervorrufen könnte. Ich bin zwar überzeugt, daß, obwohl die Mehrzahl der Spielfilme mit dem wahren Leben nicht viel gemein hat, die Minderheit, aber eine ziemlich beträchtliche Minderheit, eben jene Wahrheit in sich birgt, nach welcher die Pioniere der Dokuments in ihren Manifesten verlangen. Und weiter: der Spielfilm, der vor allem unter dem Einfluß des Dokumentar- films gelernt hat, ebenso klar zu sehen wie zu erzählen, ist in vielen Fällen eine reichere, vollere Widerspiegelung der Wirklichkeit ... als der Dokumentarfilm in reiner Form ... . In Wirklichkeit besitzt der Doku- mentarfilm kein Monopol auf realistische und getreue Interpretationen des realen Lebens ... .“92 Wildenhahn ist gegen das Anhäufen von Fak- 91 Bossak, Jerzy, zit. nach Wildenhahn, Klaus: Über synthetischen und dokumentarischen Film. A.a.O., S. 93. 92 A.a.O., S. 91. I.5. Forschungsstand 49 ten, er will eine Geschichte, in der die Fakten in eine lebendige, orga- nische Beziehung zueinander gesetzt werden. Eine Unterscheidung ist Wildenhahn indes wichtig: „Filme mit dokumentarischer Tendenz kommen von den Betroffenen, von der Basis her und laufen auf eine Per- spektive zu. Filme mit synthetischer Tendenz kommen von der Vorstel- lung einer realisierbaren Perspektive her und laufen zur Basis zurück.“93 Unter Filmemachern und Filmwissenschaftlern gilt also die Unterschei- dung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm als überholt, und so fordern beispielsweise Wolfgang Becker und Norbert Schöll, das offen auszu- sprechen: „Kritik, die stets so viel Skepsis gegenüber der ‚Objektivität‘ des Dokumentarfilms formuliert (hat), leistet nie den letzten konsequen- ten Schritt. Die falsche Vorstellung der (wenn auch vielleicht nur als tendenziell und/oder idealtypisch formulierten) Gegensätzlichkeit und des notwendig unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Bewirkens von dokumentarischem und fiktivem Filmmaterial aufzugeben. Beide Mate- rialien, dokumentarisches wie fiktives, filmen Wirklichkeit - Vorgänge, Gegenstände, Personen - ab, beide sind aber ‚Fiktionen‘: organisierte, strukturierte Zusammenstellung. Jede filmische Aufnahme ist eine in- szenierte Aufnahme von Wirklichkeit, der sichtbaren und akustisch wahrnehmbaren Wirklichkeit. Es besteht kein absoluter Unterschied des Materials; es gibt keine brauchbaren Unterscheidungsmerkmale hin- sichtlich etwa der ‚Authentizität‘. Die durchaus vorhandenen Unter- schiede in der filmischen Komposition und Aufnahmetechnik verweisen auf verschiedene Zusammenstellungen und Inszenierungen des Darge- stellten, auf verschiedene Stile (des dokumentarischen und des fiktio- nalen Stils) ... .“94 Eva Hohenberger unterscheidet in ihrem historischen Überblick über die Entwicklung einer Dokumentarfilmtheorie drei Phasen, die nicht aufein- ander gefolgt sind, sondern sich zeitlich überschneiden. Frühe Doku- mentarfilmtheorien wie sie Dziga Vertov, John Grierson, Paul Rotha und Joris Ivens vertraten, bezeichnet sie als „normative Theorien“, da mit ihnen zumeist ein ästhetisches und gesellschaftspolitisches Programm verbunden war. „Reflexive Theorien“ setzen wie die normativen den Dokumentarfilm als eigenständige Gattung voraus und erklären seinen spezifischen Wirklichkeitsbezug in Differenz zum Spielfilm mit seiner Produktionsweise, zugewiesenen Aufgabe und Rezeption. Anhänger „dekonstruktiver Theorien“ benutzen die Gattungsbezeichnung Doku- mentarfilm lediglich, um dieselbe sofort in Frage zu stellen. Die 93 A.a.O., S. 193. 94 Becker, Wolfgang/Schöll, Norbert: In jenen Tagen. Wie der deutsche Film die Ver- gangenheit bewältigte. Opladen, 1995, S. 167f. I.5. Forschungsstand 50 Gemeinsamkeiten zwischen fiktionalen und dokumentarischen Filmen erscheinen ihnen größer als die Unterschiede, was eine begriffliche Trennung überflüssig macht. Beeinflußt durch die Arbeiten von Christian Metz zum Film als Sprache und der Entwicklung der Film- semiotik begreifen sie die Formen zunächst als Ansammlung von Zei- chen, als „Texte“ im weitesten Sinne.95 Befördert wurde dieser Prozeß der Dekonstruktion bemerkenswerter- weise durch das europäische cinéma direct. Dem Durchbruch der 16mm- Technik und des Synchrontons, der Erfindung der kleineren und damit beweglicheren Kameras folgte eine besonders produktive Phase des Dokumentarfilms. Doch verführten die technischen Neuerungen zu der Annahme, daß nun unverfälschte Realitätsabbildung möglich sei, der Dokumentarfilm die Realitätserfahrung der Zuschauer ersetzen könne. Diese Annahme beruht jedoch auf einem recht einfältigen Realitäts- begriff und fordert daher um so mehr diejenigen heraus, die wissen, daß reale Ereignisse zwangsläufig durch jede gestaltende Darstellung fiktio- nalisiert werden und die mit Brecht gelernt haben, „daß weniger denn je eine einfache ‚Wiedergabe der Realität‘ etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Krupp-Werke oder der AEG ergibt beinahe nichts über die Institute.“96 So behauptet der Dokumentarfilm, Realität zu zeigen, wo er selbst sie als sinnvolle doch erst konstruiert. Gerade der „realistische“ Film lädt ein, die Realität Film zu vergessen. Nicht die Filme sind „realistisch“, die angeblich Realität zeigen, sondern diejenigen, die zu erkennen geben, daß es um Film, nicht um Realität geht. Ziel sowohl des bürgerlichen als auch des sozialistischen Realismus war, die Konstruiertheit eines Textes zu verschleiern. Eine „Rhetorik des Faktischen“ wurde angewandt, um beim Leser die Illusion zu erzeugen, daß die Geschichte so stattgefunden hat. Wahrheit läßt sich jedoch nicht vollständig rekonstruieren. Das Addieren von Fakten ergibt in der Summe nicht die Wahrheit des Ganzen. Wirkung stellt sich nicht durch pedantische Nähe zum Original ein. Glaubwürdigkeit und Betroffenheit sind im Kunstwerk nur mittels Ästhetik zu erreichen. Je genauer die historische Szene nachgestellt, Dokumente benutzt und Dialoge imitiert werden, desto subtiler und „gelungener“ ist die Täuschung des Zuschauers. Wo die Grenze zwischen Faktum und Fiktion verläuft, ist nicht ohne weiteres zu be- 95 Vgl. Hohenberger, Eva: Dokumentarfilmtheorie. Ein historischer Überblick über An- sätze und Probleme. In: Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentar- films. Hrsg. von Eva Hohenberger. Berlin, 1998, (= Texte zum Dokumentarfilm 3, hrsg. vom Europäischen Dokumentarfilm Institut), S. 29f. 96 Brecht, Bertolt: Der Film braucht die Kunst. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 18. Frankfurt/M., 1968, S. 161f. I.5. Forschungsstand 51 stimmen. Fiktionales hilft, die Leerstellen in der Geschichte auszufüllen. Denn nicht für alles gibt es Belege. Geschichte besteht aus Geschichten, diese wiederum aus Ergänztem, Erfundenem, Verschwiegenem. Geschichte als Rekonstruktion ist somit immer nahe der Fiktion. Rein- hart Kosellek stellt klar: „Jedes historisch eruierte und dargebotene Ereignis lebt von der Fiktion des Faktischen, die Wirklichkeit selber ist vergangen. Damit wird ein geschichtliches Ereignis aber nicht beliebig oder willkürlich setzbar. Denn die Quellenkontrolle schließt aus, was nicht gesagt werden darf. Nicht aber schließt sie aus, was gesagt werden darf.“97 I.5.3. Neuere Ansätze in der Filmwissenschaft: Konstruktivismus und Cultural Studies In der Dokumentarfilmdebatte ist die Frage nach der Realität und der Konstruktion von Realität durch Massenmedien entscheidend. Neuere Ansätze in der Filmwissenschaft greifen diese Frage auf. Werner Faul- stich untersucht in „Die Filminterpretation“, welcher „Zugriff“, welcher „Ansatz“, welche „Methode“, welche „Instrumente“ bei der „Analyse“ und „Interpretation“ von Filmen Aufschluß geben können über den „Sinn“ eines Films. Daß die entscheidenden Begriffe in Anführungs- zeichen gesetzt sind, deutet auf die Schwierigkeiten, die bis heute mit der - gar wissenschaftlichen - Analyse eines Kunstwerks verbunden sind. Faulstich umschreibt vorsichtig: „Die Instrumente der Filmanalyse sind bestimmte Techniken, einzelne Arbeitsschritte, bestimmte Versuchs- anordnungen, detaillierte Zugriffe. Sie können zu den unterschied- lichsten Zwecken und Zielen herangezogen werden und lassen sich prin- zipiell bei jedem Film - mehr oder weniger erfolgreich - anwenden, einsetzen, nutzen.“98 Folgende „Interpretationsmethoden“ stellt er vor: 1. der strukturalistische Zugriff, der der Theorie des „Spielfilms als auto- nomen Werkes“ folgt, 2. die biographische Filminterpretation, bei der der Film insbesondere als Teil des Gesamtwerks des Regisseurs betrachtet wird, 3. die literatur-/filmhistorische Interpretation, die den Film, seine Personen, Handlung und Motive bestimmten Traditionen verhaftet sieht, 4. die soziologische Filminterpretation, der gemäß Film als Manifestation von Gesellschaft zu begreifen ist, 5. die psychologisch- psychoanalytische Filminterpretation, wonach im Film wie im Traum individuelle und kollektive Bedürfnisse ausgelebt und verarbeitet wer- 97 Kosellek, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frank- furt/M., 1989, S. 153. 98 Faulstich, Werner: Die Filminterpretation. Göttingen, 1988, S. 11. I.5. Forschungsstand 52 den, 6. die genrespezifische Filminterpretation, die den Film in konven- tionelle Muster eingewoben sieht.99 Diese verschiedenen Ansätze verweisen auf die Erkenntnis, daß es die eine Methode zur Interpretation von Filmen, eine Art „Meta-Film-Theo- rie“ nicht geben kann, weil sich Sinn, Bedeutung und Qualität eines künstlerischen Werkes nicht erschöpfend und übereinstimmend beschreiben lassen. Der Sinn eines Films kann auch dann nicht befriedi- gend erfaßt werden, wenn nacheinander alle verschiedenen Interpreta- tionsmethoden angewandt werden. Vielmehr gibt es für jeden Film eine adäquate oder weniger adäquate Methodenkombination. Das ist nicht als Hinwendung zum Eklektizismus aus Ratlosigkeit zu verstehen. Es regiert nicht das Prinzip der Beliebigkeit, sondern im Gegenteil das der Ergie- bigkeit der Interpretation. Helmut Korte definiert Filmanalyse als „... Versuch, das eigene sub- jektiv-objektiv determinierte Filmerlebnis durch Untersuchung der rezeptionsleitenden Signale, durch Datensammlung, Datenvergleich am Film und den filmischen Kontextfaktoren, durch Beobachtung und Inter- pretation schrittweise zu objektivieren“. Klaus Kanzog hält dieser Idee der „schrittweisen Objektivierung“ jedoch entgegen, daß sie die An- nahme suggeriere, irgendwann könnte der letzte Schritt getan, der Film analysiert sein.100 Lothar Mikoš hat ebenfalls etwas gegen Objektivie- rungsversuche: „Das Problem der Filminterpretationen ist, daß sie außer- filmische Kategorien an die Filme herantragen und damit Bedeutungen des Films konstruieren, ohne sich dieses Konstruktionsprozesses bewußt zu sein oder ihn selbstreflektiv zu thematisieren. ... Filminterpretationen sind Bestandteil des Diskurses über Filme in den jeweiligen Gesell- schaften, sie sind selbst Ausdruck einer Ideologie, die sie vermeintlich im Film untersucht haben. Das gilt letztlich auch für methodische Zugänge wie die objektive Hermeneutik (vgl. Oevermann et al. 1979; Oevermann 1993), die ganz im Sinne des Strukturalismus bestrebt ist, einen Text zwar extensiv auszulegen, die Abhängigkeit der Auslegung von der eigenen Diskurspraxis aber nicht thematisiert.“101 99 Vgl. A.a.O., S. 14. 100 Vgl. Kanzog, Klaus: Konstruktivistische Probleme der Filmwahrnehmung und Film- protokollierung. In: Filmanalyse interdisziplinär. Beiträge zu einem Symposium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Mit einem Vorwort von Helmut Kreu- zer. Hrsg. von Helmut Korte und Werner Faulstich. 2. Aufl. Göttingen, 1991, (= Zeit- schrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Beiheft 15), S. 24. 101 Mikoš, Lothar: Filmverstehen. Annäherung an ein Problem der Medienforschung. In: Texte Nr. 1, Oktober 1998. Sonderheft der Zeitschrift medien praktisch. Hrsg. vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e.V. S. 3-8. I.5. Forschungsstand 53 Korte spricht aber vom Versuch der schrittweisen Objektivierung. Ihm ist bewußt, daß Film von der Produktion bis zur Rezeption und von der Rezeption zur Analyse subjektgebunden ist: der Autor eines Films setzt Ideen in Bilder um, verfolgt damit bestimmte Absichten und hat Erwar- tungen an die Rezipienten seiner Bilder. Sie sollen sie in seinem Sinne entschlüsseln, die Bilder lesen können. Voraussetzung dafür ist die visu- elle Kompetenz der Betrachter. Sie müssen das Sehen gelernt haben und in der Lage sein, filmische Konventionen bzw. den Bruch mit diesen zu erkennen. Während der Entschlüsselung der Bilder – die nie vollständig und nie den Absichten des Autors entsprechend gelingen kann – wirken verschiedene Faktoren auf den Betrachter ein, sogenannte „mediating factors“102, auch „intervenierende Variablen“ genannt. Wie nun ein Film als endliche Abfolge von Bildern auf den jeweiligen Betrachter wirkt, ist nicht vorhersagbar. Denn schon der Akt der Wahrnehmung ist ein Akt der Interpretation. Fortschritte auf dem Gebiet der Filmanalyse gibt es dennoch. Einen Fort- schritt stellt allein schon das Problembewußtsein dar, das in den Über- legungen der oben genannten Filmwissenschaftler zur Wahrnehmung von Filmen und zur Konstruktion von Realität durch Film zum Ausdruck kommt. Diese Positionen sind fundiert durch neuere Ansätze in der Filmwissenschaft, wie den Konstruktivismus und die Cultural Studies, die im folgenden vorgestellt werden sollen. Auf der nicht neuen Erkenntnis, daß das Verstehen von Bildern und Sprache prinzipiell subjektabhängig ist, basiert der konstruktivistische Ansatz zur Analyse von Filmen. Die eigenen Erfahrungen entscheiden im wesentlichen darüber, wie etwas wahrgenommen und interpretiert wird. Daher hat der Konstruktivist die Vorstellung vom Film als einen Bereich objektiver Erkenntnis aufgegeben, er plädiert stattdessen für Methodenpluralismus. Konstruktivisten gehen davon aus, daß wir alle an der Konstruktion von Realität beteiligt sind. Demnach gibt es so viele Realitäten wie Indivi- 102 Laut Joseph T. Klapper sind das „... (1) predispositions and the related processes of selective exposure, selective perception, and selective retention; (2) the groups, and the norms of groups, to which the audience members belong; (3) interpersonal dissemina- tion of the content of communications, (4) the exercise of opinion leadership; and (5) the nature of mass media in a free enterprise society. Klapper, Joseph T.: The Effects of Mass Communication. 2. Aufl. Glencoe, 1961 (1960), S. 19. Elisabeth Noelle-Neumann nennt: Alter, Geschlecht, Intelligenz, psychische Anlagen, soziale Situationen. Noelle- Neumann, Elisabeth: Wirkung der Massenmedien auf die Meinungsbildung. In: Fischer-Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Hrsg. von Elisabeth Noelle-Neu- mann, Winfried Schulz, Jürgen Wilke. Akt., vollst. überarb. Neuausgabe. Frankfurt/M., 1994, S. 535. I.5. Forschungsstand 54 duen. Definiert wird Realität als ein soziales Phänomen, das durch Kommunikation zwischen den Menschen entsteht. Konstruktivisten un- terscheiden zwischen einer Wirklichkeit 1. Ordnung und einer Wirklich- keit 2. Ordnung. Die Wirklichkeit 1. Ordnung entspricht der Welt, wie sie uns naturwissenschaftlich meßbar gegenübertritt. Die Wirklichkeit 2. Ordnung ist die Welt, in der wir Objekte subjektiv bewerten. Eine konstruktivistische Medientheorie begreift Massenmedien nicht als Vermittler oder Spiegel der Realität. Vielmehr sind Massenmedien an der Konstruktion von Realität und damit an der Schaffung einer gemein- samen Basis für soziales Handeln beteiligt, sie werden „... als aktives Element in dem sozialen Prozeß begriffen, aus dem eine Vorstellung von Wirklichkeit erst hervorgeht. Ihre Aufgabe besteht darin, die Stimuli und Ereignisse in der sozialen Umwelt zu selektieren, zu verarbeiten, zu in- terpretieren.“103 Aufgabe der Medien ist demnach, sinnvolle Wirklich- keitskonstruktionen zu entwickeln, die handlungsfähig machen. Sieg- fried Weischenberg präzisiert: „Es geht um Kriterien für ‚erfolgreiche Wirklichkeitskonstruktion‘ (Viabilität) im Rahmen von Massenkommu- nikation und hier um operationalisierbare Größen, die die absoluten Maßstäbe ‚Wahrheit‘ und ‚Realität‘ ersetzen. Solche Begriffe können auf der Macroebene (Mediensystem) Vielfalt, bezogen auf die Kommuni- katoren Glaubwürdigkeit und bezogen auf die Rezipienten Nützlichkeit sein.“104 Der Konstruktivismus ist hier vor allem eine pragmatische Position. Es geht nicht um eine letzte Begründung oder Objektivität, die sowieso nur angestrebt, aber nie vollständig erreicht werden kann.105 Die momentan „passendste“ Theorie, die also in Bezug auf Konsistenz, Effektivität und Relevanz einen Wirklichkeitsbereich am sinnvollsten beschreibt und ordnet, wird akzeptiert. Das hat wenig mit Beliebigkeit oder Relativis- mus zu tun, vielmehr mit der Bereitschaft, Verantwortung zu über- nehmen, handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben bei gleich- zeitiger Offenheit für bessere Lösungen. 103 Schulz, Winfried: Massenmedien und Realität. Die „ptolemäische“ und die „kopernika- nische“ Auffassung. In: Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde. Hrsg. von Max Kaase und Winfried Schulz. Opladen, 1989, (= Kölner Zeitschrift für Sozio- logie und Sozialpsychologie. Sonderheft 30), S. 142. 104 Weischenberg, Siegfried: Die Medien und die Köpfe. In: Theorien öffentlicher Kommunikation. Hrsg. von Günter Bentele und Manfred Rühl. München, 1993, (= Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissen- schaft, Bd. 19), S. 128. 105 Von Heinz von Foerster, einem der Hauptvertreter des radikalen Konstruktivismus, stammt der Satz: „Objektivität ist die Selbsttäuschung des Subjekts, Beobachtung sei ohne es möglich“. I.5. Forschungsstand 55 Während konstruktivistische Positionen in der Publizistik- und Kommu- nikationswissenschaft weit verbreitet sind, finden sie im praktischen Journalismus wenig Anhänger. Begriffe wie „Objektivität“, „Ausgewo- genheit“ und „Wahrheit“ beschreiben eine Norm und lassen sich nach- weisen in den Rundfunkstaatsverträgen, den Landespressegesetzen oder im Pressecodex des Deutschen Presserats, einem Organ der Freiwilligen Selbstkontrolle. Michael Haller sieht in der Objektivitätsgläubigkeit mancher Journalisten eine Gefahr, denn „... noch immer ordnen sich die Medien, zumal die elektronischen, unter die Ausgewogenheitsdoktrin der politischen Parteien, die den objektivistischen Wirklichkeitsbegriff als Leine nutzen, um die faktengläubigen Journalisten besser gängeln zu können.“106 Zentrales Thema der Cultural Studies ist das Verhältnis von Kultur, Macht und Medien. Sie integrieren verschiedene Ansätze und Methoden der Kultur- und Sozialwissenschaften. Ihr Kulturbegriff ist weit gefaßt, unter Kultur werden sowohl die kulturellen Praktiken als auch die Pro- dukte verstanden. Das Hauptinteresse liegt auf Phänomenen der Massen- , Populär- und Subkultur. Entstanden sind die Cultural Studies in den fünfziger Jahren in Großbritannien als Reaktion auf die anhaltende Pro- pagierung eines elitären Kulturbegriffes, der Massenkultur, wie sie Film, Rundfunk, Trivialliteratur und Boulevardpresse verbreiteten, mit Kultur- verfall gleichsetzte. Die Debatte über die Qualität unterschiedlicher kul- tureller Produkte führte dazu, daß Populärkultur überhaupt in den Blick genommen wurde - wenn auch zunächst mit dem Ziel, ihre Minder- wertigkeit mit Hilfe literaturwissenschaftlicher Verfahren herauszu- arbeiten. Die Feststellung aber, daß für weite Teile der Bevölkerung massenmedial vermittelte Kultur prägend ist, veranlaßte Forscher wie Richard Hoggart, Lebens-, Arbeits- und Freizeitrituale der Arbeiter- und Mittelschicht zu untersuchen. Hoggart, der lange Zeit in der Erwachse- nenbildung tätig war, wurde der erste Leiter des 1964 in Birmingham gegründeten Centre for Contemporary Cultural Studies, CCCS. Verbunden war und ist mit der Analyse von Kultur eine gesellschafts- kritische Haltung, denn gerade die Kultur spiegelt soziale Ungleichheit am deutlichsten wider. Politische und soziale Konflikte deuten Kultura- listen im Sinne Antonio Gramscis als Kämpfe um „kulturelle Hegemo- nie“107. Die Bedeutung der Massenmedien in den Auseinandersetzungen um kulturelle Deutungsmacht wurde von der Birmingham-School von 106 Haller, Michael: Journalistisches Handeln: Vermittlung oder Konstruktion von Wirk- lichkeit. In: Bentele, Günther/Rühl, Manfred (Hg.): Theorien öffentlicher Kommuni- kation. München, 1993, (= Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 19), S. 151. 107 Vgl. Anmerkung 26. I.5. Forschungsstand 56 Anfang an erkannt. Massenmedien sind die Vermittlungsinstanzen moderner Populärkultur. Ein jeder ist gleichzeitig Konsument und Pro- duzent von Kultur. Stuart Hall, von 1968 bis 1979 Leiter des CCCS, hat deshalb 1973 ein Kommunikationsmodell vorgelegt, das als Vorläufer integrierender Modelle wie dem dynamisch-transaktionalen von Früh/Schönbach gelten kann. Halls „encoding/decoding“-Modell be- schreibt einerseits die Macht der Kommunikatoren und Medieninstitu- tionen, grenzt sich andererseits aber von der Gleichsetzung ökonomische Macht = kulturelle Macht ab. Denn darüber entscheidet ebenfalls der Rezipient/die Rezipientin. Was diese mit den ihnen zur Verfügung ste- henden Medienangeboten machen, steht im Mittelpunkt kulturwissen- schaftlicher Analysen. Texte werden daraufhin untersucht, welche Mög- lichkeiten der Aneignung sie verschiedenen Bevölkerungsgruppen eröff- nen. Hall beschreibt drei idealtypische Positionen, von denen aus mediale Texte decodiert werden können. Da sind 1. die Vorzugslesart, die mit dem herrschenden ideologischen System übereinstimmt („domi- nant-hegemonic position“), 2. die ausgehandelte Lesart („negotiated po- sition“), 3. die oppositionelle Lesart („oppositional position“).108 Über- nehmen die Zuschauer nahezu vollständig die konnotative Bedeutung eines medialen Textes, wird also die Botschaft im Sinne des Referenz- codes, mit dem sie codiert wurde, auch decodiert, so handelt es sich um die Vorzugslesart (1.). Bei der ausgehandelten Lesart akzeptieren die Zuschauer die Vorgaben des medialen Textes, beispielsweise seinen Nachrichtenwert (der kulturell determiniert ist). Gleichzeitig enthält diese Lesart aber auch oppositionelle Elemente, da die Zuschauer den Text in ihrem Sinne bearbeiten, indem sie die vorgegebene Interpretation ihrer spezifischen Situation anpassen (2.). Die oppositionelle, subversive Lesart pflegen Zuschauer, die sich in direkter Opposition zum hegemo- nialen Code befinden. Sie verstehen zwar die Vorzugslesart eines medialen Textes, lehnen sie aber ab und deuten die ihnen angetragenen Botschaften in ihrem Sinne und entsprechend ihrer sozialen Situation (3).109 Zu diskutieren ist, inwiefern sich Halls „encoding/decoding“-Modell mit den drei genannten „reading positions“ von anderen Ansätzen und Modellen der Kommunikationswissenschaft unterscheidet. Daß jeder Leser eines Textes Produzent eines Textes ist, entspricht dem Leitsatz aus Bertolt Brechts später so genanntem „Radio-Theorie“, wonach jeder Empfänger ein potentieller Sender ist oder Bela Balazs’ Filmtheorie, 108 Vgl. Hall, Stuart: Encoding/Decoding. In: ders. et al.: Culture, Media, Language. London, 1980, S. 128-138. Zit. nach Winter, Rainer: Cultural Studies als kritische Medienanalyse. In: Hepp, Andreas/Winter, Rainer (Hg.): Kultur, Medien, Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. Opladen, 1997, S. 50. 109 Vgl. Winter, Rainer: Cultural Studies als kritische Medienanalyse. A.a.O. I.5. Forschungsstand 57 wonach jeder Filme machen soll, um eine von der herrschenden Klasse unabhängige Massenkultur zu schaffen. Hans Magnus Enzensberger hat diese Ideen von der schrittweisen Vergesellschaftung der Massen- kommunikationsmittel aufgegriffen. In seinem 1970 im Kursbuch Nr. 20 publizierten „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ unterscheidet er zwischen „bürgerlicher“ und „proletarischer“ Öffentlichkeit, zwischen „repressivem“ und „emanzipatorischem“ Mediengebrauch.110 Damit ver- sucht er Anfang der siebziger Jahre, in Weiterentwicklung der Kritischen Theorie ein neues Öffentlichkeitsverständnis zu etablieren. Vertreter der Kritischen Theorie wie Theodor W. Adorno, Max Hork- heimer, Walter Benjamin, Herbert Marcuse u.a. verurteilen die in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften entstandene „Kulturindustrie“. Sie zwinge, so Theodor W. Adorno, „zu ihrer beider Schaden“ die jahr- tausendelang getrennten Bereiche hoher und niederer Kultur zusam- men.111 Was an der Kulturindustrie als Fortschritt auftrete, das unab- lässig Neue, das sie offeriere, bleibe die Umkleidung eines Immer- gleichen.112 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phänomenen der Massenkultur betrachtet Adorno mit Skepsis: „Die Wichtigkeit der Kulturindustrie im seelischen Haushalt der Massen dispensiert nicht, und am letzten eine pragmatisch sich dünkende Wissenschaft davon, über ihre objektive Legitimation, ihr An-Sich nachzudenken; vielmehr nötigt sie eben dazu. So ernst sie nehmen, wie es ihrer fraglosen Rolle ent- spricht, heißt, sie kritisch ernst nehmen, nicht vor ihrem Monopol sich ducken.“113 Damit nimmt Adorno eine Kritik vorweg, der sich die Cultu- ral Studies stets ausgesetzt sehen. Marxistische und in der Tradition der Frankfurter Schule stehende Kritiker unterstellen den Cultural Studies die unreflektierte Identifikation mit den Produkten der Kulturindustrie und daß sie von einer Rezipientenmacht ausgingen, die aber den tatsäch- lichen Gegebenheiten nicht entspräche. Tatsächlich relativieren die Cultural Studies die von der Kritischen Theorie beschriebene allumfassende Macht der Kultur- und Bewußt- seinsindustrie, die zwangsläufig zu Gleichförmigkeit und politischer Lethargie führt. Zwar bestimmt die Kulturindustrie weitgehend das An- gebot und die Distribution kultureller Güter, in geringerem Maße jedoch die individuelle Rezeption. So sehen im Gegensatz zur Kritischen Theo- 110 Vgl. Enzensberger, Hans Magnus: Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit. Hrsg. und eingeleitet von Peter Glotz. München, 1997. (= Ex libris Kommunikation ; 8), S. 97-132. 111 Vgl. Adorno, Theodor W.: Résumé über Kulturindustrie. In: Medienforschung. Bd. 1. Konzerne, Macher, Kontrolleure. Hrsg. von Dieter Prokop. Frankfurt/M., 1985, S. 476. 112 Vgl. A.a.O., S. 478. 113 A.a.O., S. 480. I.5. Forschungsstand 58 rie Vertreter der Cultural Studies das Publikum nicht als permanent manipulierte Masse, die statt ihrer wahren Bedürfnisse nur durch das kapitalistische Wirtschaften erzeugte Scheinbedürfnisse („Warenbedürf- nisse“) befriedigt. Sie gehen vom aktiven Publikum aus, genauer von unterschiedlichen Publika. Diese rezipieren und interpretieren Medien- inhalte autonom. Jeder Leser eines (medialen) Textes ist Produzent eines (medialen) Textes. Die starke Ausrichtung auf die Rezipienten und die Berücksichtigung solcher „mediating factors“ wie Geschlecht, Alter, Schichtzugehörigkeit, Ethnie, Einkommen, Wohnort etc. finden wir allerdings schon in der Lazarsfeld-Schule, so in Herta Herzogs Studie „What do we really know about daytime serial listeners?“ von 1944. Der daraus abgeleitete und später als „Nutzenansatz“ differenzierte „uses and gratifications ap- proach“ orientiert sich an den Bedürfnissen der Rezipienten.114 Die bis dahin die Medienwirkungsforschung bestimmende Frage „Was machen die Medien mit den Menschen?“ wird umgekehrt in die Frage „Was machen die Menschen mit den Medien?“. Den kommunikatorzentrierten Ansätzen in der Massenkommunikationsforschung folgten also seit den vierziger Jahren die rezipientenorientierten Ansätze. Cultural Studies nehmen statt der Masse einzelne Gruppen und ihre jeweiligen Kulturen in den Blick. Im Zuge der fortschreitenden Desinte- gration und Fragmentierung der Gesellschaft bestimmt in den achtziger Jahren nicht mehr allein der Klassengegensatz die forschungsleitenden Fragen. Hinzu kommen Untersuchungen zum Einfluß der Kategorien Geschlecht, Ethnie, Alter, Wohnort u.a., die zum Teil als Markt- forschungs- und Lifestyle-Analysen den universitären Bereich über- schreiten. Cultural Studies sind schon lange keine rein britische Angele- genheit mehr; sie werden als Kulturwissenschaften (so unpassend diese Übersetzung auch sein mag) in der ganzen Welt betrieben.115 Zu den wichtigen Vertretern der Cultural Studies in den achtziger und neunziger Jahren zählt John Fiske, der an zahlreichen medialen Ereignissen - beispielsweise dem Phänomen „Madonna“ - zeigt, welche spezifischen Formen der Konsumption möglich sind. Unterhaltung wird hier nicht 114 Vgl. Renckstorf, Karsten: Neue Perspektiven in der Massenkommunikationsforschung. Beiträge zur Begründung eines alternativen Forschungsansatzes. Berlin (West), 1977 (= Beiträge zur Medientheorie und Kommunikationsforschung; 16). 115 Vgl. z.B. Mikoš, Lothar: Die Rezeption des Cultural Studies Approach im deutsch- sprachigen Raum. In: Kultur, Medien, Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. Hrsg. von Andreas Hepp und Rainer Winter. Opladen, 1997, S. 159-169. I.5. Forschungsstand 59 mehr als minderwertig oder als Gegensatz zu Information betrachtet.116 Stattdessen gilt es entsprechend dem Konzept einer „semiotic democracy“117 zu untersuchen, wie Texte individuell interpretiert und welche oppositionellen Lesarten angewandt werden. Dieser Ansatz hat zu einem Boom in der Medienanalyse und Rezipientenforschung geführt, verstärkt durch das größere Angebot neuer TV-Kanäle. Die privat- kommerziellen Sender, die ihr Programm via Satellit in die ganze Welt senden und damit an der Ausweitung einer Einheitskultur beteiligt sind, setzen vor allem auf ein massenattraktives Programm, senden Spielfilme, Sport, Talk- und Gewinn-Shows und Serien, die sogenannten Soap Operas. Erforscht wird, welche Bedürfnisse Rezipientinnen und Rezi- pienten dieser Sendeformen befriedigen, was z.B. Männer und Frauen oder Menschen in entwickelten oder weniger entwickelten Regionen der Welt vor dem Bildschirm erleben. Großen Einfluß auf die theoretische Fundierung der Cultural Studies haben die poststrukturalistische Wissenschaftstheorie und Kulturkritik, wonach es „... die Große Erzählung, den alles zusammenfassenden Meta- Narrativ“118 nicht mehr gibt. Von den postmodernen Theoretikern und radikalen Konstruktivisten und Dekonstruktivisten unterscheiden sich die Positionen der Kulturalisten jedoch insofern, als nicht alle möglichen Deutungen gleichberechtigt nebeneinander stehen, ein Text nicht gänz- lich offen ist. Grenzen der Interpretation seien sowohl durch die struktu- rierte Polysemie der Texte bedingt als auch durch historische und soziale Faktoren. So warnt Mario Vargas Llosa, „... den Holocaust zu dekon- struieren.“ Wenn Auschwitz irgendein Ort in Polen ist, sei man nicht weit entfernt von den Positionen der Revisionisten und Holocaust-Leug- ner.119 Vom Poststrukturalismus übernommen wurde allerdings die Vorstellung, „... daß die Kultur ein komplexes Netz der Intertextualität darstellt. Dies bedeutet einerseits, daß Texte sich immer auf Texte beziehen und daß die Wirklichkeit selbst uns zum großen Teil nur auf der Grundlage der Texte, die in einer Gesellschaft zirkulieren, zugänglich ist; andererseits, daß ein Film nicht ein in sich abgeschlossenes Objekt ist, sondern Teil 116 Vgl. Klaus, Elisabeth: Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegen- satz von Unterhaltung ist Langeweile. In: Rundfunk und Fernsehen. Zeitschrift für Medien- und Kommunikationswissenschaft. 44. Jg., H. 3/1996, S. 402-417. 117 Gemeint ist damit eine liberale Gesellschaft, in der es immer Möglichkeiten gibt, gege- bene Kontexte zu verändern, und in der sich Machtverhältnisse verschieben können. 118 Vgl. Lutter, Christina/Reisenleitner, Markus: Cultural Studies. Eine Einführung. Wien, 1998, S. 61. Die Autoren beziehen sich hier auf Jean-François Lyotards Studie „La condition postmoderne: rapport sur le savoir“ von 1979. 119 Vgl. Vargas Llosa, Mario: Prüfstein. Wider die postmoderne Inhaltslosigkeit. In: Frankfurter Rundschau vom 7.5.1994, S. ZB2. I.6. Ziel der Untersuchung 60 eines sich im Fluß befindlichen Bedeutungsprozesses. Als populärer Text ist er für sich allein betrachtet unvollständig.“120 Hier wird deutlich, daß den vom Poststrukturalismus beeinflußten Cultural Studies ein anderes Textverständnis zugrunde liegt als den klassischen Philologien, in denen textanalytische Verfahren und tiefenhermeneutische Rekon- struktionen am konkreten Text angewandt werden. Unter „Text“ ver- stehen Kulturalisten keine geschlossene Sinneinheit, sondern die gesamte Kommunikation um ein kulturelles Ereignis herum. Filme werden als Texte in ihrer Bedeutungsvielfalt (Polysemie) analysiert und dekonstruiert, um ihre kulturelle Logik aufzuzeigen. Dazu können auch sekundäre Texte wie Pressemitteilungen, Aussagen der Regisseure und Produzenten und tertiäre Texte in Form von Leserzuschriften, Umfragen etc. herangezogen werden. Filme werden demnach nicht isoliert be- trachtet, stattdessen geht es um den Kontext, die „Rekonstruktion des ‚diskursiven Feldes‘“121, das in dieser Untersuchung ganz unterschied- liche, doch durch das Thema Holocaust verbundene Filme abstecken. Zu dem diskursiven Feld gehören die geschichtstheoretischen Diskurse, die in der politischen Publizistik und der Literatur geführt werden. Film, Literatur, Publizistik im weitesten Sinne schreiben Geschichte, liefern die Bilder und Argumente, die unser individuelles Erinnern ebenso bestimmen wie das, was wir inzwischen als das kollektive Gedächtnis einer Nation bezeichnen. I.6. Ziel der Untersuchung Ob und wie der Holocaust Gegenstand künstlerischen Schaffens sein kann, bewegt vor allem die Überlebenden des Terrors und ihre Kinder, gleichermaßen Schriftsteller, Filmemacher und alle, die sich in publi- zistische Kontroversen einschalten. Dieses „ob“ ist ein wichtiger Streit- punkt. Zugleich geht es stets um das geschichtliche Ereignis als solches und die Lehren, die aus der Vergangenheit zu ziehen sind. Im Vorder- grund dieser Arbeit stehen neben der medialen Umsetzung die Rezeption und Interpretation von Holocaustfilmen, vor allem die Aussagen, die andere Filmemacher, Kulturredakteure und Zuschauer in der Presse tref- fen. Ziel der Untersuchung ist, Umfang und Verlauf der Debatten in Zeitungen und Zeitschriften zu analysieren. Diese Analyse soll Auf- 120 Winter, Rainer: Dekonstruktion von Trainspotting. Filmanalyse als Kulturanalyse. In: Texte Nr. 1, Oktober 1998. Sonderheft der Zeitschrift medien praktisch. Hrsg. vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e.V. S. 39. 121 Kaes, Anton: Deutschlandbilder. Die Wiederkehr der Geschichte als Film. München, 1987, S. 6. I.6. Ziel der Untersuchung 61 schluß geben über Strukturen und Funktionen publizistischer Kontrover- sen und den kulturellen Kontext, in dem sie angesiedelt sind. Die Studie ist ein Beitrag zur Publizistik- und Kommunikationswissen- schaft, genauer zur Rezeptionsgeschichte von Filmen. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im und durch Film und damit auch um „Öffentlichkeit“, „öffentliche Meinung“ und „politische Kul- tur“122. Zu Unrecht wenig beachtete ältere Produktionen sollen vor dem Vergessen bewahrt werden. Film und Presse sind historische Quellen, die Antwort geben auf die Frage, inwieweit Medien die Identitätssuche einer Nation in Form der Auseinandersetzungen mit der eigenen Geschichte begleiten und forcieren. Es geht also auch um die Funktionen der Massenmedien in einer demokratischen Gesellschaft. Zu klären ist, in welcher Weise insbesondere die Printmedien richtungsweisende Inter- pretationen vorgeben, sie durch ihre Meinungsführerfunktion weitere Reaktionen auslösen und ob Medien- und Publikumsagenda weithin übereinstimmen. Ziel der Untersuchung kann nicht sein, eindeutige Aussagen über Wirkungen von Holocaustfilmen zu treffen. Einem solchen Anspruch ist selbst mit Hilfe empirischer Methoden und unter Berücksichtigung sämtlicher den Kommunikationsprozeß beeinflussender „mediating factors“ kaum gerecht zu werden. Auch wenn wir über Daten verfügen wie Anzahl der Kopien, Laufzeiten und Zuschauerzahlen, wir die Rezen- sionen verschiedener Filmkritiker verschiedener Blätter kennen, Befra- gungen durchführen, uns das Drehbuch oder ein brauchbares Sequenz- protokoll vorliegt, läßt sich die Bedeutung eines Films für den einzelnen Rezipienten und schließlich für ein Volk („die“ Deutschen) nicht voll- ständig erfassen. Es besteht die Gefahr, rückblickend Zusammenhänge zu konstruieren, die dem zeitgenössischen Zuschauer so nicht bewußt gewesen sind. In dieser Arbeit geht es also nicht darum festzustellen, wie Holo- caustfilme auf den Zuschauer im einzelnen und im Kollektiv über kurze und längere Zeit gewirkt haben, sondern es geht um einen speziellen Bereich der Medien- und Rezipientenforschung: die in der Meinungs- führerpresse publizierten Reaktionen von Kritikern und Zuschauern auf Holocaustfilme. Diese bewußt vorgenommene Einschränkung erlaubt, mehrere thematisch verwandte Filme aus verschiedenen Jahren und die durch sie ausgelösten Kontroversen zu untersuchen. Der Filmwissenschaftler Helmut Korte gibt zu bedenken, daß „... Film- kritiken für sich genommen wenig aussagekräftig und nur ein Glied in 122 Der Begriff ist umstritten, siehe Anmerkung 10. I.6. Ziel der Untersuchung 62 der erforderlichen Indizienkette sind, um sich der historischen Wirkung zu nähern.“123 Hinter dieser Aussage steht wiederum der Anspruch, tat- sächlich etwas über historische Wirkungen sagen zu können. Ein An- spruch, dem Korte ansonsten kritisch gegenübersteht. Er fordert deshalb größtmögliche Vollständigkeit, um monokausale Erklärungen zu ver- meiden. Für die Rekonstruktion des Rezeptionshintergrundes muß her- ausgearbeitet werden, wer was wann und wo und eventuell warum über einen Film geschrieben hat, ob es sich dabei um eine Reaktion auf andere Kritiken handelt und natürlich, welche Gegenmeinungen es gibt. Je größer die Anzahl der sich widersprechenden Rezeptionen ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, ein objektives Gesamtbild zeich- nen zu können. Korte stimmt diesem Verfahren zu, wonach erst der Widerspruch erweise, welche Partien der Rezeption textbedingt und welche leserbedingt seien.124 Unabdingbar ist zudem die genaue Werk- analyse und die Analyse des historischen Kontextes. In einem Schaubild zeigt Korte, wie sich diese verschiedenen Untersuchungsbereiche über- schneiden. 123 Korte, Helmut: Historische Wahrnehmung und Wirkung von Filmen. Ein Arbeitsmo- dell. In: Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF-Tagung. Hrsg. von Knut Hickethier, Eggo Müller, Rainer Rother. Berlin, 1997, (= Sigma-Medienwissenschaft; Bd. 23; Schriften der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft 6), S. 160. 124 A.a.O., S. 161. I.6. Ziel der Untersuchung 63 Schaubild Quelle: Korte, Helmut: Historische Wahrnehmung und Wirkung von Filmen. Ein Arbeitsmodell. In: Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF-Tagung. Hrsg. von Knut Hickethier, Eggo Müller, Rainer Rother. Berlin, 1997, (= Sigma- Medienwissenschaft; Bd. 23; Schriften der Gesellschaft für Film- und Fernseh- wissenschaft 6), S. 163. I.6. Ziel der Untersuchung 64 I.6.1. Anlage und Methode der Untersuchung Der Untersuchungszeitraum umfaßt mehr als fünf Jahrzehnte. Dabei handelt es sich jedoch um eine grobe Umschreibung der Zeit, die bei der Untersuchung insgesamt berücksichtigt werden soll. Neun zwischen 1948 und 1994 in Deutschland gezeigte Filme zum Thema Holocaust, vor allem aber die publizistischen Kontroversen, die diese Filme ausge- löst haben, werden analysiert. Aussageträger, ihre Motivation, Gegen- stand und Adressat der Äußerungen, der Publikationsort (in welcher Zeitung oder Zeitschrift?, auf welcher Seite?), der Publikationszeitpunkt (vor oder nach Ausstrahlung des Films? als Reaktion auf andere Äuße- rungen?) und die Publikationsart (welche journalistische Darstellungs- form?) stehen im Mittelpunkt der Untersuchung.125 Die Untersuchungsmethode muß geeignet sein, Argumentationsweisen zu rekonstruieren, um eventuell Rückschlüsse auf die politische Kultur zu erlauben. Als Methode bietet sich deshalb die Kombination von inhaltsanalytischen126 und deskriptiv-hermeneutischer Verfahren an, da so über den Einzeltext hinausgehende Informationen struktureller Art gewonnen werden können. Ein komplexes Phänomen (der Umgang der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit) wird unter einem Teilaspekt (welche publizistischen Kontroversen Holocaustfilme ausgelöst haben) betrachtet. Erst an einem umfangreichen Textkorpus aus einem längeren Zeitraum lassen sich latente Kommunikationsstruk- turen eines Kollektivs („der Deutschen“) zeigen. Jürgen Ritsert definiert Latenz in Abgrenzung zu manifesten Inhalten: „1. ‚Latenz’ kann die gesellschaftlichen Connotationen eines Textes insgesamt meinen ... 2. Mit ‚Latenz’ können auch sich in Texten ohne bewußte Absicht des Ver- fassers ausdrückende gesellschaftliche Sinngehalte gemeint sein ... 3. 125 Vgl. was Aufbau und Untersuchungsdesign anbelangt Wilke, Jürgen/Schenk, Bir- git/Cohen, Akiba A./Zemach, Tamar: Holocaust und NS-Prozesse. Die Pressebericht- erstattung in Israel und Deutschland zwischen Aneignung und Abwehr. Köln, Weimar, Wien, 1995. Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interpretation. Eine Dis- kursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Opladen, 1996. Jäger, Siegfried: Text- und Diskursanalyse. Eine Anleitung zur Analyse politischer Texte. 4. Aufl. Duisburg, 1993, (= DISS-Texte Nr. 16). 126 Die quantitative Inhaltsanalyse wird als Methode zur objektiven und systematischen Beschreibung manifester Inhalte definiert, die qualitative Inhaltsanalyse darüber hinaus als Methode zur Beschreibung des latenten Gehalts von Kommunikation. Eine Tren- nung zwischen quantitativ und qualitativ, manifest und latent gilt als überholt. Welche Präzisierungen die Methode Inhaltsanalyse im Laufe der Jahre erfahren hat, läßt sich anhand der Modifizierungen von Berelsons grundlegender Definition nachweisen. Vgl. Berelson, Bernard: Content analysis in communication research. Glencoe (Illinois), 1952. Seitdem wurde die Methode durch die elektronische Datenverarbeitung weiter- entwickelt. I.6. Ziel der Untersuchung 65 Latenz kann schließlich jene gesellschaftliche Sinngehalte bezeichnen, welche Texten in der historischen Entwicklung und auf dem Boden sich erweiternden Wissens ‚zuwachsen“.“127 Alle Aussagen zum latenten Gehalt eines Textes müssen auf diesen zurückführbar und intersubjektiv nachprüfbar sein. Ein sich wandelndes gesellschaftliches Umfeld, neue Medien, veränderte Mediennutzung und dem angepaßte Kommunikationsstrategien sind Aspekte, die bei inhaltsanalytischen Untersuchungen berücksichtigt werden müssen. Die Komplexität von Kommunikationsprozessen ver- langt nach reliablen Fakten, allerdings auch nach deren Interpretation und Bewertung, vor allem dann, wenn, wie in dieser Untersuchung, Texte unterschiedlicher Autoren und unterschiedlichen Datums analy- siert werden, in denen Einstellungen und Meinungen überwiegen. Diese Meinungen beziehen sich zudem auf Filme und trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der Analyse von Bildern ist es nicht möglich, Sinn, Bedeutung und Qualität eines künstlerischen Werkes erschöpfend und übereinstimmend zu beschreiben. Dennoch eignet sich ein hermeneu- tisch-deskriptiver Ansatz in Kombination mit inhaltsanalytischen Ver- fahren zur Untersuchung nichteindeutiger Aussagen und verdeckter Kommunikationsstrategien, da Sprache Konventionen folgt, die bekannt sind. Die allgemeine Sprachkompetenz sowie die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse lassen eine Interpretation mehr oder weniger plausibel erscheinen. Die Vorgehensweise und die Wahl der Methode sind auch durch sozio- linguistische Studien zur Diskursanalyse bestimmt. „Diskurs“ bedeutet das sukzessive, logische Fortschreiten von einem bestimmten Argument zu einem anderen durch begriffliches („diskursives“) Denken (im Gegensatz zum „intuitiven Denken“). Jürgen Habermas beschreibt dem- entsprechend „Diskurs“ als „... die argumentative, dialogisch konzipierte und methodisch reflektierte Form des über die ‚vernünftige Rede‘ ver- mittelten begrifflichen Denkens.“128 Bei der „Diskursanalyse“ bzw. der „Analyse des diskursiven Feldes“ geht es laut Michel Foucault darum, „... die Aussage in der Enge und Besonderheit ihres Ereignisses zu erfas- sen; die Bedingungen ihrer Existenz zu bestimmen, auf das Genaueste ihre Grenzen zu fixieren, ihre Korrelationen mit anderen Aussagen auf- 127 Ritsert, Jürgen: Inhaltsanalyse und Ideologiekritik. Ein Versuch über kritische Sozial- forschung. Frankfurt/M., 1972, S. 44. 128 Habermas, Jürgen, zit. nach: K.K.: Stichwort „Diskurs“. In: Lexikon zur Soziologie. Hrsg. von Werner Fuchs-Heinritz u.a. 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Opladen, 1994, S. 145f. I.6. Ziel der Untersuchung 66 zustellen, die mit ihr verbunden sein können, zu zeigen, welche anderen Formen der Äußerung sie ausschließt.“129 Ein mögliches Verfahren innerhalb der Diskursanalyse stellt die Kon- frontation unterschiedlicher Positionen dar, um die Breite der Kontro- verse aufzuzeigen. Die Analyse beginnt mit einem für die Auseinander- setzung wichtigen Artikel, der eindeutige Stellungnahmen für oder gegen den Film enthält. Dem folgt die Analyse eines zu diesem Artikel in größtmöglichem Kontrast stehenden Beitrags. Das Verfahren wird so lange wiederholt, bis die Argumentationslinien erkennbar werden. Gemäß den theoretischen Überlegungen würden normalisierende und dramatisierende Argumentationen, die per definitionem kontrastiv zuein- ander stehen, ausgewählt und solange analysiert, bis nur noch Bekanntes zutage gefördert werden kann. Die Beiträge sollen ein möglichst breites Spektrum abdecken und den Bezug zu vorherigen filmästhetischen Debatten deutlich werden lassen. Michael Schwab-Trapp beschreibt den Analysevorgang folgendermaßen: „Die Auswertung vollzieht sich mithin in drei Schritten. In einem ersten Schritt werden gemäß der Fragestellung und in Anlehnung an die Webersche Konzeption des Idealtypus solche Artikel gewählt, welche normalisierende und dramatisierende Argu- mentationsmuster in möglichst reiner Ausprägung aufweisen. Die aus- gewählten Artikel werden in einem zweiten Schritt sequenzanalytisch analysiert. Anhand der Analyse werden Hypothesen zum Konflikt gebil- det. In einem dritten Schritt werden die solcherart gewonnenen Ergeb- nisse mit anderen Beiträgen zum Konflikt konfrontiert. Den Interpreta- tionsergebnissen gezielt ausgewählter Artikel steht mithin eine Teil- menge von veröffentlichten Beiträgen als Falsifkationsinstanz gegen- über, die potentiell die Gesamtheit der argumentativen Äußerungen zum untersuchten Konflikt umfaßt.“130 Gleichzeitig muß der Autor darüber Auskunft geben, wer spricht (etwa: Politiker, Privatperson oder bekannter Intellektueller) und was es be- deutet, daß dieser Sprecher sich zu diesem Zeitpunkt, zu diesem Thema in dieser oder jener Form äußert. Zu ermitteln sind in einem letzten Schritt die Interdependenzen in der Argumentauswahl und -verwendung der Konfliktparteien. Der argumentative Wert einer Aussage ist - abgesehen von der Stichhaltigkeit des Arguments (Inhaltsaspekt) - abhängig vom Grad, in dem sie mit der vorherrschenden Lesart der Vergangenheit übereinstimmt oder aber dieser Lesart entgegensteht. 129 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt/M., 1973, S. 43. 130 Schwab-Trapp, Michael: Konflikt, Kultur und Interaktion. Eine Diskursanalyse des öffentlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Opladen, 1996, S. 88. I.6. Ziel der Untersuchung 67 Bei der Textanalyse ist zu berücksichtigen, daß jede Äußerung in einem spezifischen (zeitlich, sachlich und sozial strukturierten) Kontext steht, der jedoch Raum läßt für verschiedene Lesarten. Bedeutung erlangen Aussagen auch dadurch, daß auf sie reagiert wurde. Ohne oppositionelle Anschlußkommunikation ist die publizistische Kontroverse am Ende, selbst wenn der eigentliche Konflikt weiterbesteht. Schweigen, Nicht- Reagieren, bedeutet daher keineswegs Einverständnis, Nicht-Streiten keineswegs Konfliktmangel. Folgeäußerungen bestimmen somit nach- träglich den Streitwert einer Äußerung und markieren aus dem Konti- nuum möglicher Bedeutungsrelationen eine spezifische Relation, was immer zu Mißverständnissen führen kann. Zur Ermittlung von Argumentationsstrukturen können einzelne Text- passagen eventuell vernachlässigt werden, sofern sie für die Argumenta- tion nicht konstitutiv sind. Bei der sequentiellen Feinanalyse aber ist zu beachten, daß „... keine Informationen aus und Beobachtungen an späte- ren Interakten zur Interpretation eines vorausgehenden Interaktes benutzt werden.“131 I.6.2. Auswahl der Filme Ausgewählt wurden Produktionen aus allen Jahrzehnten, Filme mit Spielhandlung und Gesprächs-/Interviewfilme.132 Einerseits Filme, die wirtschaftlich erfolglos blieben und beim Publikum kaum auf Resonanz stießen, andererseits Filme, die zum „Medienereignis“ wurden. Daß ein Film als „besonders wertvoll“ sowohl in künstlerischer als auch in auf- klärerischer Hinsicht bewertet werden kann, zudem breitenwirksam und ökonomisch erfolgreich ist, trifft auf kaum eine der ausgewählten Pro- duktionen zu. Diese vier Kriterien zu erfüllen, ist fast unmöglich, eine Ausnahme bildet vielleicht der letzte in die Untersuchung aufgenom- mene Film, Steven Spielbergs Schindlers Liste. Dennoch stellt das Zusammentreffen der vier Kriterien häufig das Maß zur Beurteilung von Filmen dar. So läßt sich erklären, warum bis heute die Ansicht verbreitet ist, es existiere kein deutscher Holocaustfilm. Es existieren einige, aller- dings waren sie entweder künstlerisch ambitioniert und erreichten des- wegen nur ein sehr kleines Publikum oder sie boten politische Erklä- rungsmuster, die durch mangelnde Differenzierung eher abschreckten. 131 Oevermann, Ulrich u.a.: Die Methodologie einer objektiven Hermeneutik und ihre all- gemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. In: Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Hrsg. von Hans-Georg Soeffner. Stuttgart, 1979, S. 414. 132 Vgl. Kapitel I.5.2. Filmgattungen: synthetischer und dokumentarischer Film. I.6. Ziel der Untersuchung 68 Selbst wenn künstlerische und politische Ansprüche erfüllt schienen, hieß das noch nicht, daß das Publikum diesen Film sehen wollte und er dadurch auch wirtschaftlich erfolgreich war. Alle in die Untersuchung einbezogenen Filme wurden in Deutschland gezeigt und sind dem Publikum grundsätzlich zugänglich. Inhaltlich wurden die Filme nach folgenden Kriterien ausgewählt: Gegenstand des Films ist der Massenmord an den Verfolgten des Nazi-Regimes. Es geht um die Zeit zwischen 1939 und dem Kriegsende, als der Vernichtung in den Konzentrationslagern täglich Tausende zum Opfer gefallen sind. Handlungsort im Film sind die Arbeits- und Vernichtungslager. Be- stimmte Bilder kehren in den ausgewählten Filmen wieder - und wenn sie nicht direkt gezeigt werden wie z.B. in Lanzmanns Shoah, so werden sie doch evoziert: Eisenbahnschienen, Deportationszüge, Verlade- rampen, Stacheldraht, Wachtürme, Lagertore, Schornsteine, Baracken, Aufschriften in Fraktur, Koffer, Haufen mit Kleidung, Brillen, Prothe- sen, Kinderspielzeug, Schuhe, Häftlinge in gestreifter Kleidung, mit Nummer und Dreieck versehen, kahlgeschorene Köpfe, Uniformen, Stiefel, Schäferhunde, Zyklon B-Behälter, Leichenhaufen. Auch werden bestimmte Situationen in fast allen Filmen beschrieben: Deportation, Ankunft und Selektion, Entblößung, Rasur, Appell, Hunger, Zwangs- arbeit, Folter, Exekution, Massenvernichtung. An dieser Stelle sollen noch einmal die Schwierigkeiten bedacht werden, die eine strenge Auslegung des Begriffs „Holocaustfilm“ mit sich bringt. In der Forschung über Holocaustfilme existiert das Problem, was dazu zählt und was nicht, ebenso wie in der Forschung über Holocaustlite- ratur. James E. Young nennt Tagebücher, Memoiren, Gedichte, Lieder, dokumentarische Literatur wie Augenzeugenberichte und Textcollagen, aber auch Legenden und mündlich Überliefertes. Bei der Definition des Begriffes Holocaustliteratur gibt es insgesamt jedoch wenig konkrete Angaben über Gattungen, Autorenschaft (Augenzeuge, Betroffener, Nachgeborener, Opfer, Täter, etc.), Gegenstand, Handlungsort und erzählte Zeit. Eine weit gefaßte, aber letztlich einleuchtende Definition liefert Jan Philipp Reemtsma. Er zählt Bücher wie Ruth Klügers „weiter leben“, die Tagebücher Victor Klemperers oder Ladislaus Szücs´ „Zählappell“ zur „neueren deutschen Literatur“, denn trotz der unter- schiedlichen Herkunft und Sprache der Autoren, ist es „deutsche“ Literatur, da „... es in dieser Literatur um Deutschland geht“. Reemtsma: „...- es ist ein Ergebnis deutscher Geschichte, daß diese Literatur in allen Sprachen geschrieben worden ist, die auch in den Lagern gesprochen worden ist.“133 Ebenso ist es ein Ergebnis deutscher Geschichte, daß in 133 Reemtsma, Jan Philipp: Die Memoiren Überlebender. Eine Literaturgattung des 20 I.6. Ziel der Untersuchung 69 den Nationen, die als alliierte Streitkräfte versucht haben, den Terror der Nazis zu beenden, Filme entstanden sind, die das von den Nazis verur- sachte Leid dokumentieren. So werden in die Untersuchung franzö- sische, schwedische, US-amerikanische, z.T. in internationaler Koopera- tion entstandene Produktionen einbezogen. Inwieweit sich die Deutschen ihrer Geschichte stellen, zeigen die Filme Morituri, Nackt unter Wölfen, Ein Tag und Der Prozeß. Bei Nackt unter Wölfen handelt es sich um einen in der DDR produzierten Film. Nacht und Nebel und Shoah sind französische, Holocaust und Schindlers Liste US-amerikanische Produk- tionen. Mein Kampf wurde von dem während der NS-Zeit zum Exil gezwungenen Deutschen Erwin Leiser 1959 in Schweden hergestellt. Wer diese Filme wo gemacht hat, ist bei der Einordnung und Deutung unbedingt zu berücksichtigen. Mehr noch als die Unterschiede zwischen den einzelnen Filmen, was den Produktionsort und die Produktions- und Rezeptionsgeschichte anbelangt, muß aber das von den Filmemachern gewählte Sujet im Vordergrund stehen: die Vernichtung von Millionen Menschen in den Lagern der Nationalsozialisten. Dieses Thema verbin- det die Filmemacher. Auch weil manche selbst oder ihre nahen Ver- wandten und Bekannten Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind. „Holocaust“ bezieht sich auf den Massenmord an den Juden, hier aber werden auch Filme untersucht, in denen nichtjüdische Opfer des Nazi- terrors vorkommen. Die in Nackt unter Wölfen und Ein Tag gezeigten Lager sind keine Vernichtungslager. In Bruno Apitz‘ Roman, der dem Film Nackt unter Wölfen als Vorlage dient, kommen jüdische Gefangene - obwohl es sie in Buchenwald gegeben hat - nicht vor. Gerade aufgrund solcher Verfälschungen, die durch Auslassungen oder einseitige Sicht- weise entstehen, werden diese Filme für die Untersuchung interessant, entzünden sich doch an ihnen besonders leicht publizistische Kontrover- sen. Zu unterscheiden ist, ob ein Film zum Thema Holocaust für das Kino- oder Fernsehpublikum produziert worden ist. Gemeinhin ist das finan- zielle Risiko bei einem Kinofilm größer. Jeder Kinofilm ist irgendwann auch im Fernsehen zu sehen. Andersherum gilt das nicht. Nachdem sich das Fernsehen in den sechziger Jahren etabliert hatte, war eine größere Zahl an Zuschauern eher über dieses Medium zu erreichen. Das hatte Einfluß auf das Filmangebot sowohl im Kino als auch im TV. Im damals ausschließlich öffentlich-rechtlich organisierten Fernsehen spielte die Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. In zahl- Jahrhunderts. In: ders.: Mord am Strand. Allianzen von Zivilisation und Barbarei. Auf- sätze und Reden. S. 229. I.6. Ziel der Untersuchung 70 reichen TV-Dokumentationen, in Spielfilmen, Fernsehspielen und Diskussionsrunden widmete man sich dem Thema. In der Holocaust- Kontroverse 1978/79 wurde dennoch die Auffassung vertreten, daß bis- lang insgesamt zu wenige oder aber zu wenige wie Holocaust auf ein Massenpublikum zielende Produktionen ausgestrahlt worden seien. Kino und Fernsehen konkurrieren heutzutage kaum noch miteinander. Im Gegenteil, es gibt vielfältige Formen der Zusammenarbeit, z.B. das seit 1974 bestehende Film-Fernsehabkommen. Auch das Verhältnis zwischen Film/Fernsehen und Presse ist mehr durch Zusammenarbeit als durch Konkurrenz geprägt.134 Zum „Medienereignis“ wird ein Holo- caustfilm nämlich nur, wenn alle Medien an einem Strang ziehen. I.6.3. Auswahl der Literatur In dieser Arbeit sollen die publizistischen Kontroversen über ausge- wählte Holocaustfilme in deutschen Printmedien untersucht werden. Dazu werden als Meinungsführermedien135 (Elite-, Prestigemedien) die Nachrichtenmagazine Der Spiegel, Focus, die Wochenzeitungen Die Zeit, Die Woche, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Rheinischer Merkur und die überregionalen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, die tageszeitung und Neues Deutschland herangezogen. Die Beschränkung auf die sogenannten Meinungsführermedien geschieht aufgrund ihres Prestiges und der damit verbundenen Meinungsführerfunktion. Die Themenauswahl und Kommentierung von Ereignissen beeinflussen die Arbeit von Journalisten in anderen Medien. Es ist deshalb zu vermuten, daß Filmkritiken in Regional- und Lokalzeitungen überwiegend Reak- tionen auf zuvor in den Meinungsführermedien erschienene Beiträge sind. Ohne die wichtige Mittlerfunktion der Lokalzeitungen in Abrede zu stellen, bleiben diese Reaktionen hier weitgehend unberücksichtigt. Internationale Presse wird vor allem in den Exkursen zur Holocaust- Resonanz und zur Resonanz von Shoah in Polen ausgewertet. Die Presse ist in den vergangenen Jahrzehnten marktwirtschaftlichen Entwicklungen unterworfen gewesen, was zur Folge gehabt hat, daß 134 Siehe Kapitel I.7. Die Rolle der Filmkritik. 135 Vgl. Elisabeth Noelle-Neumanns Definition: „... Meinungsführermedien: Medien, die von anderen Journalisten, anderen Medien zitiert werden. Das sind keineswegs die- jenigen mit der größten Auflage.“ Elisabeth Noelle-Neumann: Wirkung der Massen- medien auf die Meinungsbildung. In: Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunika- tion. A.a.O., S. 555. I.6. Ziel der Untersuchung 71 einige Titel verschwunden, neue als Konkurrenten hinzugetreten sind. Das gilt auch für den Bereich der Meinungsführerpresse, obwohl die Lizenzzeitungen Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Die Welt, die Wochenzeitung Die Zeit und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel nach der Erteilung der Generallizenz schon über eine gefestigte Position verfügten, die sie ausbauen konnten. Dennoch schafften es einige neu- bzw. wiedergegründete Blätter, allen voran die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sich zu etablieren. Und trotz starker Konzentrationsbewegungen fanden ab 1979 die links-alternative tageszeitung, die nach der Vereini- gung gegründete Wochenzeitung Die Woche und die Infoillustrierte Focus ihre Leser. Diese neuen Blätter ergänzten das Meinungsspektrum und zählten bald zu den relevanten, häufig zitierten Publikationen. Sie werden deshalb in die Untersuchung einbezogen. Zudem werden Fach- zeitschriften wie Publizistik, Rundfunk und Fernsehen, Media Perspekti- ven, epd-Film, film-dienst, medium, Film-Fernsehen, Film-Kritik, film- Faust, Film-Echo, Film-Woche ausgewertet, um zu dokumentieren, wie relevant die Themen „Verfilmung des Holocaust“ und „publizistische Kontroversen über Holocaustfilme“ für die Publizistik- und Kommuni- kationswissenschaft waren und sind. Die untersuchten Publikationen wurden so ausgewählt, daß ein möglichst breites Meinungsspektrum abgedeckt wird, von konservativ über liberal bis „sozialistisch“ (so bezeichnet sich z.B. das Neue Deutschland), von „eher rechts“ bis „im Zweifelsfall links“ (Rudolf Augstein über die Tendenz des Spiegels), konfessionelle Blätter, Parteiorgane. Die in die Untersuchung aufgenommenen Meinungsführermedien zeichnen sich im allgemeinen und gerade wenn es um Kulturelles geht (zu 90% sind die Filmkritiken im Feuilleton erschienen) durch eine nach allen Seiten offene Kommentierung aus. Es läßt sich daher nicht ohne weiteres von einer bestimmten Linie des Blattes ausgehen, zumal die am Konflikt Beteiligten in erster Linie an Meinungsäußerung interessiert sein dürften, erst an zweiter Stelle ist der Publikationsort entscheidend. Auch kann es sein, daß die von der eigentlichen politischen Blattlinie abweichende Meinung eines Kritikers gewünscht ist, um die Unabhängigkeit der Filmkritik von politischen und ökonomischen Interessengruppen unter Beweis zu stellen. Häufig sind in einem Blatt unterschiedliche Stand- punkte auszumachen, der Ausgewogenheit halber kommen verschiedene an der Kontroverse Beteiligte zu Wort. Zu klären ist, ob der Film überhaupt vorgestellt wird, die Länge des Beitrags, auf welcher Seite die Kritik erscheint, zu welchem Zeitpunkt (vor oder nach der Premiere?, als Reaktion auf andere Kritiken?), natür- lich wer den Film bespricht und schließlich, welche Argumente vorge- bracht werden und ob die Kritik insgesamt „positiv“oder „negativ“ ist. I.6. Ziel der Untersuchung 72 Es muß nachvollziehbar sein, nach welchen Kriterien Aussagen in der Filmkritik als „positiv“, „negativ“ oder „neutral“ bewertet werden. Die Haltung bzw. Tendenz einer Zeitung oder Zeitschrift läßt zum Teil (s.o.) darauf schließen, ob und wie ein Film dort rezensiert wird. Relevant sind Kritiken zu den oben genannten Filmen und Artikel, in denen es grundsätzlich um die filmische Repräsentation des Holocaust geht. Die genannten Zeitungs- und Zeitschriftentitel liefern den Grund- stock an zu untersuchendem Material, darüber hinaus werden alle verfügbaren Artikel aus anderen Publikationen in deutscher Sprache hin- zugezogen, insbesondere dann, wenn sich Autoren auf sie beziehen. Alle in der deutschen und internationalen Presse erschienenen Artikel können nicht berücksichtigt werden. Ein Artikel wird dann in die Untersuchung einbezogen, wenn der Filmtitel und der Name des Regisseurs genannt werden oder Begriffe wie „Darstellbarkeit des Holocaust“, „Bildertabu“, „Bilderverbot“ oder „Ästhetik des Holocaust“ oder „Ästhetik faschisti- scher Bilder“ verwendet werden. Neben den in Zeitungen und Zeit- schriften publizierten Beiträgen werden Biographien und Erinnerungen der am Film Beteiligten herangezogen, in denen sie Auskunft geben über ihre Motive, an einem Holocaustfilm mitzuwirken. Diskussionsanstöße kommen zumindest seit Holocaust auch aus Fernsehtalkrunden. Dies wird hier jedoch nur insofern berücksichtigt, als die dort geäußerten Meinungen wiederum in TV-Kritiken zu finden sind. Diese Kritiken werden in die Untersuchung einbezogen. Ein auf einige Wochen oder Monate festgelegter Untersuchungszeitraum ist nicht sinnvoll, da die Debatten über die Holocaustfilme nicht ohne weiteres zeitlich einzugrenzen sind. Schon die Differenz zwischen Produktions- und Aufführungsjahr spricht dagegen. Manche Filme wer- den während der Produktion vorab besprochen, dann folgen Rezensionen zur Erstaufführung im In- oder Ausland. Unmittelbar nach dem Filmstart in Deutschland ist die Zahl der Besprechungen gemeinhin am höchsten. Sie nimmt dann allmählich ab, je nachdem, wie erfolgreich der Film beim Publikum ist. Häufig wird die Wichtigkeit eines Films erst Jahre später, im Vergleich zu inzwischen entstandenen Filmen entdeckt. Oder der Film wird aufgrund einer Wiederholung im Fernsehen, eines Jahres- tages, einer Retrospektive, noch einmal vorgestellt und löst erst dann eine heftige Kontroverse aus. Diese Kritiken müssen ebenfalls berück- sichtigt werden. I.7. Die Rolle der Filmkritik 73 I.7. Die Rolle der Filmkritik Der Filmkritik kommt als zwischen Film und Publikum vermittelnder Instanz eine besondere Bedeutung zu. Sie hat in einer demokratischen Gesellschaft, in der die Presse und auch die Filmwirtschaft (trotz staat- licher Subventionen) privatwirtschaftlich organisiert sind, zunächst die Aufgabe, Leser und potentielle Kinogänger über die neuesten Filme zu informieren. Als meinungsbetonte journalistische Darstellungsform kann die Filmkritik für einen Film werben, oder aber ihn nicht empfehlen. Der Filmkritiker Wolfram Schütte betont über diese Dienstleistung hinaus die gesellschaftliche und aufklärerische Funktion der Filmkritik: „Sie muß vor allen Dingen: erstens Nachrichten geben von dem, was der Öffentlichkeit vorenthalten wird; zweitens dafür plädieren, daß mit allen ökonomischen und kulturpolitischen Mitteln der Raum der Film-Öffent- lichkeit für möglichst viele, unterschiedliche, ästhetisch ‚ungleichzeitige‘ Produkte offengehalten wird; drittens daran arbeiten, daß die Öffentlich- keit die Wahrnehmungsfähigkeit zusammen mit dem Wunsch behält, sich diesen Reichtum des Verschiedenartigen anzueignen.“136 Weil nur noch wenige Verlage wagen, außerhalb des Film-Fanbuchs ernstzunehmende Fachliteratur auf den Markt zu bringen, findet in der Bundesrepublik Filmkritik in der Tages- und Wochenpresse und in Fachzeitschriften statt. Die Auflage der Film-Fachzeitschriften ist nicht sehr hoch. Am besten verkauft sich noch Cinema, die den aktuellen Kinomarkt und die Großproduktionen aus Hollywood in den Blick nimmt.137 Besondere Verdienste um die seriöse Filmkritik haben sich die konfessionellen Blätter epd-Film und film-dienst erworben. Die monat- lich erscheinende epd-Film, die jüngere der beiden Zeitschriften, hat über die Jahre an Gewicht gewonnen. Die katholische Zeitschrift film- dienst, die seit nunmehr 52 Jahren 14-täglich erscheint, erreicht eine gedruckte Auflage von 6500 Exemplaren. Die Zeitschrift Filmkritik gehört von Mitte der fünfziger bis Anfang der siebziger Jahre zu den bedeutenden bundesdeutschen Filmfachzeitschriften. In Konkurrenz zu ihr steht die Zeitschrift Film. Gedruckte Filmkritik hat es gleich mit mehreren Massenkommunika- tionsmitteln zu tun: über einen Film wird in der Presse berichtet. Beide, Presse und Film, sind privatwirtschaftlich organisiert, sind ökono- 136 Schütte, Wolfram: Zum Strukturwandel der Film-Öffentlichkeit. In: Filmkritik und Öffentlichkeit. Arnoldshainer Protokolle 1/92. (= Tagungsband des Arbeitskreises Film, Ästhetik und Kommunikation der Evangelischen Akademie Arnoldshain und der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten), S. 32f. 137 Laut IVW-Liste 3/99 liegt die gedruckte Auflage bei 329.992, die verbreitete bei 249.678, die verkaufte Auflage bei 245.180 Exemplaren. I.7. Die Rolle der Filmkritik 74 mischen Zwängen ausgesetzt und dennoch nicht allein als Ware zu betrachten. Presse und Film sind ebenso Kulturgüter. Der Doppel- charakter von Film und Presse führt zu Definitionen von Filmkritik, die unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aufweisen. Ganz allgemein ist Filmkritik „... die Beurteilung eines Films von künstlerischen, techni- schen, weltanschaulichen, soziologischen, psychologischen Gesichts- punkten aus.“138 Welchen Aspekten jedoch sich der Filmkritiker in der Auseinandersetzungen mit Filmen vorrangig zu widmen hat, ist umstrit- ten. Dem Vorwurf der Filmunternehmer, Kritiker berücksichtigten nicht genügend, daß Filme Produkte seien, die sich rechnen müßten, setzt Bela Balasz entgegen: „Ihre Branche interessiert mich ... geradesowenig, wie sie das Publikum interessiert. Wir beurteilen nur die Produktion, den Film selbst, und nehmen uns heraus, unsere Meinung zu sagen.“139 Balasz pocht vor allem auf die Unabhängigkeit des Kritikers von der Filmindustrie, leugnet indes den Warencharakter des Films nicht. Dieser ist Gegenstand der in den zwanziger Jahren aufkommenden soziolo- gischen Filmkritik, die den Film nicht nur als ästhetisches Produkt be- trachten möchte, sondern seine politische, ökonomische und soziale Relevanz untersucht. Rudolf Arnheim, neben Bela Balazs, Siegfried Kracauer und Lotte H. Eisner, einer der herausragenden Filmkritiker der Weimarer Zeit, be- schreibt im Detail die Arbeit des seriösen, „fachlichen“ Filmkritikers: „Der fachliche Filmkritiker wertet einen Film, der heute herauskommt, nicht als Einzelleistung. Ist ein Film als ganzer schlecht, so hat der Kriti- ker nachzuspüren, ob nicht eine einzelne Feinheit darin ist, die einen Fortschritt bedeutet, ein Darsteller, der bei besserer Behandlung Gutes leisten könnte. Er hat zu erkunden, wo der Fehler sitzt und wie er künftig zu vermeiden ist. Er hat zu unterscheiden, was am einzelnen Film typisch für die Gesamtentwicklung ist und was nur ihm zufällig und einmalig zukommt. ... Der Filmkritiker sieht die Filmproduktion der ganzen Welt als eine einheitliche Arbeit, in der jedes einzelne Werk seinen Platz hat. Diesen Platz nachzuweisen, ist die Aufgabe des Kriti- kers.“140 138 Kleines Filmlexikon. Kunst, Technik, Geschichte, Biographie, Schrifttum. 2. Aufl. Hrsg. von Charles Reinert. Einsiedeln-Zürich, 1946, S. 197f. 139 Balasz, Bela: Die Branche und die Kunst. Eine Rechtfertigung des Filmkritikers. In: Der Tag (Wien) vom 28.11.1924, S. 8. Nachgedruckt in: Balasz, Bela: Schriften zum Film. Bd. 1: 1922-1926. Hrsg. von Helmut Diederichs, Wolfgang Gersch und Magda Nagy. München, Berlin (Ost), Budapest, 1982, S. 317. 140 Arnheim, Rudolf: Kritiken und Aufsätze zum Film. Hrsg. von Helmut H. Diederichs. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1979 (1977), S. 171. I.7. Die Rolle der Filmkritik 75 Siegfried Kracauer, der deutlicher als Arnheim eine soziologische an- stelle einer ästhetischen Betrachtung von Filmen fordert, faßt zusammen: „Kurzum, der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar. Seine Mission ist: die in den Durchschnittsfilmen versteckten sozialen Vorstellungen und Ideologien zu enthüllen und durch diese Ent- hüllungen den Einfluß der Filme selber überall dort, wo es nottut, zu brechen.“141 Der Filmkritiker der Frankfurter Zeitung meint, daß sich die Filmkritik gerade mit der Masse mittelmäßiger Unterhaltungsfilme auseinanderzusetzen habe; sie sagten viel über den Zustand der Gesell- schaft aus. Kracauers im Exil entstandenes und erst spät korrekt ins Deutsche über- tragene Werk „From Caligari to Hitler“142 und seine „Theorie des Films“ beeinflussen stark die Filmkritik der späten fünfziger Jahre. Bis dahin waren die Nachwirkungen der von den Nazis erzwungenen „Kunst- betrachtung“ anstelle der Kritik spürbar. Entsprechend der Vorgaben aus dem Propagandaministerium waren die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland entstehenden Filme „positiv zu würdigen“, nicht aber durfte „zersetzende“ Kritik an ihnen geübt werden. Manfred Rohde liefert für die erste Hälfte der fünfziger Jahre Zahlen über Filmkritiken in der Presse: „73,9% der am Stichtag veröffentlichten Filmbetrachtungen waren rein referierende Filmbesprechungen, 24,3% Filmkurzbespre- chungen, ... und nur verschwindende 1,8% konnten der Filmkritik zuge- rechnet werden, der Stilform also, die als die Betrachtungsweise eines Films erstrebt werden sollte.“143 Einen Aufschwung nimmt die bundesdeutsche Filmkritik mit der Grün- dung der Zeitschrift Filmkritik im Jahr 1957. Zu ihren Autoren zählen Enno Patalas, Ulrich Gregor, Theodor Kotulla, Wilfried Berghahn u.a. In der Filmkritik finden sich im Vorfeld der Veröffentlichung des „Ober- hausener Manifests“ zahlreiche Forderungen an den neuen deutschen Film und die neue Filmkritik, so im Heft 3 von 1961, wo Berghahn und Patalas der „alten, herkömmlichen Filmkritik“ die „geforderte, neue Kritik“ gegenüberstellen. Die Intention aufzuklären und ein Verständnis von Publikum als nicht länger zu unterschätzender Größe im Kommuni- 141 Kracauer, Siegfried: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film. Hrsg. von Karsten Witte. Frankfurt/M., 1974, S. 11. 142 „Von Caligari zu Hitler“ statt „Von Caligari bis Hitler“ ist die korrekte und vom Autor intendierte Übersetzung. Das 1947 in den USA publizierte Werk liegt seit 1958 auf deutsch vor; erst in der von Karsten Witte 1978 edierten Ausgabe ist der Titel richtig übersetzt. 143 Rohde, Manfred: Echte Filmkritik eine Seltenheit. In: Presse und Film über Presse und Film. Wiesbaden, 1956, S. 76. Zit. nach Diederichs, Helmut: Anfänge deutscher Film- kritik. Stuttgart, 1986, S. 19. I.7. Die Rolle der Filmkritik 76 kationsprozeß sind bei dieser neuen und „linken“ (so bezeichnen sie die Autoren) Filmkritik deutlich: I.7. Die Rolle der Filmkritik 77 Tabelle 3: Gegenüberstellung der ‚neuen’ und der ‚alten’ Filmkritik „Die herkömmliche, alte Kritik: Die geforderte, neue Kritik: identifiziert sich mit dem Film, steht dem Film fordernd gegenüber, betrachtet den Film als Anlaß, betrachtet den Film als Aufgabe, betrachtet den Film als Erlebnis, verlangt vom Film ein Exempel, sieht den Film als Ganzheit, unterscheidet im Film verschiedene Einflüsse, betrachtet den Film als Einzelfall, verweist auf die Geschichte des Films, sieht den Film als autonomes Kunstwerk, betrachtet den Film als Ausdruck der Zeitströmungen, interessiert sich mehr für die Form als für die Aussage, interessiert sich mehr für die Aussage als die Form, sieht die Form als selbständige Qualität, sieht die Form als einen Aspekt der Aussage, steht außerkünstlerischen Intentionen indifferent gegenüber, fragt nach außerkünstlerischen Absichten und Wirkungen, interessiert sich nicht für die Wünsche des Publikums, interessiert sich lebhaft für die Wünsche des Publikums, hält das Publikum für verständnislos, hält das Publikum für unverstanden, betrachtet die Filmindustrie nur als Traumfabrik, fragt, welche Beschaffenheit die Träume zeigen, interessiert sich nicht für unkünstlerische Filme, interessiert sich für jeden Film, sieht nur die ausdrücklichen, ‚manifesten‘ Aussagen, fahndet nach unausdrücklichen, ‚latenten‘ Aussagen, zeichnet die Intentionen des Regisseurs nach, deckt die Denkgewohnheiten des Regisseurs auf, verlangt den ‚unabhängigen‘ Regisseur, hofft auf den seiner gesellschaftlichen Lage bewußten Film, sieht nur das Resultat, sieht auch die Produktionsbedingungen, kritisiert nur den Film, kritisiert die Gesellschaft, aus der der Film hervorgeht.“ Quelle: Patalas, Enno/Berghahn, Wilfried: Gibt es eine linke Kritik? In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 5. Jg., H. 3/1961, S. 131-135. I.7. Die Rolle der Filmkritik 78 Wilmont Haacke definiert ein Jahr später Filmkritik „...vor allem (als) eine journalistische Aufgabe, dann erst hat sie künstlerische Aufgaben zu erfüllen.“144 Im Vordergrund steht die publizistische Funktion, nämlich Öffentlichkeit herzustellen, zu informieren und dem Leser der Kritik eine Entscheidung zu ermöglichen, desweiteren zu bilden und zu unter- halten. Wolfram Schütte formuliert 1968 als Ziel der Filmkritik „... den Leser selbst zum potentiellen Kritiker des Films (und des Filmkritikers) zu machen.“145 Die hehren Ziele der Filmkritiker lassen sich aus dem tatsächlichen und nicht besonders erfreulichen Zustand der bundes- deutschen Filmindustrie und Filmkritik erklären. Bis heute sind die mei- sten in der Presse zu findenden Filmkritiken genau genommen Voran- kündigungen (d.h. der Redakteur hat den Film selbst noch gar nicht gesehen) oder Filmbesprechungen bzw. Filmbetrachtungen, die kaum über eine knappe Inhaltsangabe hinausgehen. Überwiegend beruhen sie auf PR-Material, wie Patrick Rössler nachweist.146 Zur Öffentlichkeits- arbeit der Filmverleihe zählen Pressevorführungen für ausgewählte Kritiker vor Bundesstart des Films und die Zusendung von Hochglanz- broschüren, in denen der Rezensent eine kurze und eine ausführliche Inhaltsangabe findet, Produktionsnotizen, Bio- und Filmografie von Regisseur und Schauspielern, positive Pressestimmen aus dem Ausland und Szenenfotos. Trotz der Fülle des Materials, das den Rezensenten zur Verfügung steht, sind die meisten der in der deutschen Tagespresse erscheinenden Kritiken genaugenommen Filmankündigungen und Kurz- besprechungen, in denen der Inhalt knapp referiert wird. Aber daß auf einen neuen Film in der Presse hingewiesen wird, ist schon ein PR- Erfolg der Filmverleihe. Nur ein geringer Teil der Artikel, in denen es um Film geht, sind Film- kritiken im engeren, anspruchsvolleren Sinne. In ihnen lobt und tadelt der Redakteur, vergleicht und ordnet ein. Über die Aussagen zum Inhalt hinaus geht er auf einzelne Aspekte wie Regie, Kameraführung, Schnitt, Ton, Musik, Schauspieler, etc. ein. Diese Filmkritiken erscheinen regel- mäßig, sind länger, stützen sich auf unterschiedliche Quellen und sind in ihrem Urteil differenzierter. Welche Bedeutung der Filmkritik in einem 144 Haacke, Wilmont: Aspekte und Probleme der Filmkritik. Gütersloh, 1962, (= Rund- funk, Film, Fernsehen. Eine Schriftenreihe im Auftrage der Deutschen Gesellschaft für Film- und Fernsehforschung. Hrsg. von Hermann M. Görgen), S. 19. 145 Schütte, Wolfram: Maßstäbe der Filmkritik. In: Kritik – vom wem, für wen, wie. Eine Selbstdarstellung deutscher Kritiker. Hrsg. von Peter Hamm. München, 1968, (= Reihe Hanser, 12), S. 71. 146 Vgl. Rössler, Patrick: Erfolgsaussichten von Alltags-PR. Beispiel Filmverleih: Wie Pressematerial in die Berichterstattung einfließt. In: Public Relations Forum. H. 1/1996, S. 32-36. I.7. Die Rolle der Filmkritik 79 Blatt zugemessen wird, ist neben dem Umfang und der Regelmäßigkeit des Erscheinens daran zu erkennen, wer Filme rezensiert. In der lokalen Tagespresse sind das häufig jüngere, „freie“ Mitarbeiter oder Volontäre. In den überregionalen Prestigeblättern schreiben ältere, erfahrene, fest- angestellte Feuilletonredakteure oder „freie“, renommierte Filmkritiker über Filme. Gerade bei Holocaustfilmen vertrauen die Redaktionen der überregionalen Zeitungen und Zeitschriften den Experten: Filmwissen- schaftlern, Historikern, Philologen und Regisseuren, die zuvor Filme über den Holocaust gemacht haben. Das zeigt, wie unterschiedlich die Berufsgruppe der Filmkritiker in Deutschland zusammengesetzt ist, und es führt zu der Frage, wer sich mit welcher Berechtigung „Filmkritiker“ nennen darf. Wie für alle publizistischen Tätigkeiten gilt, daß es keine vorgeschriebenen Ausbil- dungswege gibt. „Filmkritiker ist, wer sich als solcher erklärt“147, stellt Klaus Eder fest. Daß es nicht ganz so einfach ist, zeigen der kurze histo- rische Überblick und die dort zitierten Meinungen über Aufgaben des Filmkritikers. Diese verweisen auf Berufsauffassungen, die vom ober- sten Kunstrichter über den „neutralen“ Vermittler von Filminhalten bis zum Gesellschaftskritiker reichen. Wolf Donner charakterisiert fünf Typen: Das sind 1. die „O-Schreiber“, die aufgeregt, emotional, empha- tisch schreiben, ein verbales Feuerwerk zünden, das aber rasch abge- brannt ist. Überzeugungen werfen diese effekthascherischen Autoren für einen Gag, eine chique Formulierung sofort über Bord. Hauptsache der Text ist „hip und heiß, quick und schick, flippig, flapsig, floppy“, 2. die „Gegen-Schreiber“, die Hohepriestern gleich ihre Sicht der Dinge ver- künden und die eigenen Ideen und Ideologien propagieren. Sie schreiben nicht über den Film, den sie gesehen haben, sondern über den, den sie gern gesehen hätten und propagieren schlecht getarnt ihre jeweiligen Ideologien, 3. die „PR-Schreiber“, „das sind die langweiligsten, über- flüssigsten und bequemsten Kritiker und folglich die Favoriten der Filmindustrie.“ Aufgrund fehlenden Fachwissens übernehmen sie das, was das PR-Material ihnen anträgt. Filmkritik betrachten sie als Dienst am Kunden, 4. die „In-Schreiber“, die sich mehr als Filmwissenschaftler denn als Filmkritiker sehen. Erfolgreiche Filme fordern sie zu langen Stellungnahmen heraus, die aber weniger für das Publikum bestimmt sind als für die anderen Cineasten, 5. die „Ich-Schreiber“, diese gehören zu einer neuen Generation von „Selbstdarstellungs-Akrobaten“, denen ihr eigener journalistischer Auftritt sehr viel wichtiger ist als der Film, den sie kritisieren sollen. „Die Artikel sind entsprechend glamourös und 147 Eder, Klaus: Über den Einfluß der Filmkritik. In: Seminar Filmkritik. Protokolle einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten in Frankfurt/M 1978. Hrsg. von Gertrud Koch und Karsten Witte. O.O., 1978, S. 2. I.7. Die Rolle der Filmkritik 80 apodiktisch, bestenfalls empfindsame Elogen, nicht selten prätentiöse Renommier-Anstrengungen.“148 Daten, die Aufschluß geben über das berufliche Selbstverständnis der Filmrezensenten, haben Wissenschaftler der Universität Hohenheim 1995 erhoben.149 Befragt wurden feste und freie Mitarbeiter aller Voll- redaktionen in der Bundesrepublik nach den Aufgaben der Filmkritik allgemein, nach den unverzichtbaren Elementen einer Kritik, nach dem Personenkreis, den sie erreichen wollen und nach der vermuteten Wirkung ihrer Arbeit. Diese Daten wurden mit Daten aus einer Publi- kumsbefragung verglichen. Kinobesucher wurden gefragt, inwieweit Filmkritiken sie beeinflussen, sich für oder gegen einen Kinobesuch zu entscheiden, welche Elemente Kritiken enthalten sollten und was sie tat- sächlich in den Kritiken finden. Die Kritiker halten vor allem die Bewertung des Films und Angaben zum Inhalt für unverzichtbar, danach personenbezogene Daten über Schauspieler und den Regisseur. Anmer- kungen zur Dramaturgie, filmästhetische und filmhistorische Einord- nungen erscheinen nicht ganz so wichtig, Hinweise zur Technik und Ausstattung gar entbehrlich, ebenso ein Filmfoto zur Illustrierung. Die Zuschauer erwarten von einer Filmbesprechung zunächst sachliche Informationen über den Inhalt des Films und die Mitwirkenden. Bewer- tungen wünschen sie hingegen nicht. Ein Viertel der Befragten sieht in der Filmkritik durchaus eine Entscheidungshilfe. Werbung und die Empfehlungen von Freunden aber geben den Ausschlag. Diese Ergebnisse könnten so interpretiert werden, daß Filmkritiker sich zurückhalten sollten, was die Einordnung und Bewertung von Filmen angeht. Diese freilich machen eine journalistische Form wie die Kritik aus und kennzeichnen eine unabhängige Publizistik. Den Vorwurf, das Publikum nicht so zu informieren, wie es sich das wünscht („Fakten, Fakten, Fakten“) erheben diejenigen, denen Werbung lieber ist als Kritik. Sie konstruieren gar eine Mitschuld der Filmkritik am Nieder- gang des deutschen Kinos, denn über Jahrzehnte sei nur von Krise die Rede gewesen, unterhaltende, massenattraktive Filme seien zu negativ, avantgardistische Filme hingegen, die der Mehrheit des Publikums fremd geblieben seien, zu positiv bewertet worden. Dem ist entgegenzuhalten, daß zur öffentlichen Aufgabe eines Filmkritikers gleichwohl zählt, Ver- 148 Vgl. Donner, Wolf: Kritiker-Kritik, Kulturbetrieb, Kieslowski. Notizen zum Stand der Filmkritik und Kieslowskis Krotki film o zabijaniju. In: Die Macht der Filmkritik. Posi- tionen und Kontroversen. Hrsg. von Norbert Grob und Karl Prümm. München, 1990, S. 112-115. 149 Vgl. Rössler, Patrick: Filmkritiker und Publikum. Diskrepanzen und Übereinstimmun- gen. Ergebnisse einer Befragung von Filmrezensenten und Kinogängern. In: Media Perspektiven. H. 3/1997, S. 133-140. I.8. Bilder des Holocaust 81 antwortung für den Film insgesamt und für die weniger kassenträchtigen, schwierigen Filme insbesondere zu übernehmen. Kompliziert wird der Streit über die Aufgaben der Filmkritik, wenn ihr Gegenstand Filme sind, die die Verbrechen der Deutschen zwischen 1933 und 1945 zeigen. Auch hier muß der Filmkritiker zu einem begründeten ästhetischen Urteil gelangen, ohne dabei die gesellschaftliche Relevanz des Films aus den Augen zu verlieren. I.8. Bilder des Holocaust Es gibt nur wenige Bilddokumente von der Vernichtung der europäi- schen Juden durch die Nationalsozialisten, den Großteil ihrer Fotos und Filme haben die Mörder verschwinden lassen. Die von den Nazis herge- stellten Bilder sind mit größter Vorsicht zu bewerten. Sie sind Dokument und gleichzeitig Lüge. Die Zustände in den Ghettos sollten beispiels- weise etwas über die Juden im allgemeinen und „die“ jüdische Lebensart aussagen. Daß aber Enge und Schmutz Folgen der auf Vernichtung zielenden Politik der Nazis sind, erklären Propagandafilme wie Der ewige Jude (1940) nicht. Die Nazis konnten sich aber nicht sicher sein, ob die inszenierten Aufnahmen beim Publikum die gewünschte Wirkung erzielten. In geschlossenen Probevorführungen hatten einige Zuschauer Mitleid statt Verachtung gezeigt. Die antisemitischen Hetzfilme der Nazis prägten dennoch das Bild vieler Zuschauer von „den Juden“. Auch und gerade in unterhaltenden Spiel- filmen ist die antisemitische Tendenz stark, z.B. in Ohm Krüger, Die Rothschilds, Jud Süß. Einen unpolitischen Unterhaltungsfilm gibt es während des Nationalsozialismus nicht. Unterhaltung ist wesentlicher Teil der Goebbelsschen Propagandastrategie, wonach der Film seine Wirkung „subkutan“ erzielen solle und gute Laune kriegswichtig sei. Der Reichspropagandaminister hat 1933 öffentlich erklärt: „Das ist das Geheimnis der Propaganda: den die Propaganda fassen will, ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne daß er überhaupt merkt, daß er durchtränkt wird. Selbstverständlich hat die Propaganda eine Absicht, aber die Absicht muß so klug und so virtuos kaschiert sein, daß der, der von dieser Absicht erfüllt werden soll, das überhaupt nicht bemerkt.“150 Die zwischen 1933 und 1945 entstandenen Filme sind trotz der propa- gandistischen Absicht ihrer Produzenten unentbehrliches Beweismaterial 150 Goebbels, Joseph vor Intendanten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften. Zit. nach: Knopp, Guido: Hitlers Helfer. 7. Aufl. München, 1996, S. 27. I.8. Bilder des Holocaust 82 für den Charakter und die Verbrechen des Regimes. Erst mit der Befrei- ung der Lager durch die Alliierten entstehen Bilder von den wenigen Überlebenden, den Leichenbergen, den Baracken und Krematorien. Angesehene Photographen und Regisseure stellen sich der Aufgabe, die Ereignisse zu dokumentieren. George Rodger von der Agentur „Magnum“ ist der erste Photograph, der Mitte April 1945 mit den briti- schen Truppen das Lager Bergen-Belsen betritt. Er sagt später: „Ich habe versucht gute Bilder zu machen. Etwas, was mich heute über mich selbst erschüttert. Ich sah durch den Sucher und versuchte, die Leichen in eine gute photographische Position zu bringen.“151 Ähnlich äußert sich die amerikanische Life-Photographin Margaret Bourke-White über ihre Bilder aus dem Lager Buchenwald: „Die Kamera zu bedienen war fast eine Erleichterung. Es entstand dann eine schwache Barriere zwischen mir und dem bleichen Entsetzen, das ich vor mir hatte...“.152 Ausführlich schildert Cornelia Brink in ihrem Werk „Ikonen der Erinnerung“ die Reaktionen der Photographen auf den Schrecken, der sich ihnen in den befreiten Lagern darbietet.153 Viele der Aufnahmen sind Bestandteil der öffentlichen Erinnerungskultur der Bundesrepublik geworden und prä- gen unsere Vorstellungen von Konzentrations- und Vernichtungslagern. Die Herkunft einiger Bilder ist nicht mehr eindeutig zu ermitteln. So beschreibt der Spiegel die Entstehung eines Films über die Befreiung von Auschwitz wie folgt: „... als die Rote Armee vor 50 Jahren in dieses Lager kam, war es geräumt; einige tausend transportunfähige Häftlinge, Kranke und Sterbende hatte die SS zurückgelassen. Ein sowjetisches Kamerateam produzierte dennoch einen Film über die ‚dramatische Befreiung von Auschwitz‘ - mit jubelnden Häftlingen und anderen Pas- sagen, die erst Monate später nachgedreht wurden. Die Statisten stamm- ten womöglich aus der polnischen Umgebung, und schließlich wurden auch Aufnahmen aus dem Lager Majdanek dazu gemischt. Heute ist nicht mehr zu klären, welche Bilder aus den letzten Tagen von Auschwitz authentisch sind - und ob es die überhaupt gibt.“154 151 Roger, George, zit. nach Totenstill. Zwei Photographen, ein Thema: Über die Schwie- rigkeit, das Grauen des Holocaust zu dokumentieren. In: Zeit-Magazin Nr. 47 vom 18.11.1994, S. 31. 152 Bourke-White, Margaret, zit. nach Meyer, Claus Heinrich: Das Reich der Toten auf dem ästhetischen Olymp. Das deutsche Museum zeigt Kriegs- und Nachkriegsphoto- graphie im Berliner Zeughaus. In: Süddeutsche Zeitung vom 8.6.1995, S. 13. Siehe auch: Barnouw, Dagmar: Ansichten von Deutschland (1945). Krieg und Gewalt in der zeitgenössischen Photographie. Stroemfeld, Basel, Frankfurt/M., 1997. Rezensiert von Patalas, Enno: Stummer Dialog. In: Süddeutsche Zeitung vom 13./14.9.1997, S. V. 153 Vgl. Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin, 1998, (= Schriften- reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 14). 154 Hausmitteilung. In: Der Spiegel, Nr. 4 vom 23.1.1995, S. 3. I.8. Bilder des Holocaust 83 Als Beweismittel wurden die Bilder aus den Konzentrationslagern wäh- rend des Nürnberger Prozesses eingesetzt. Am 27.11.1945 zeigen die Ankläger einen Film. Die Reaktionen der Nazi-Verbrecher schildert der Gerichtspsychologe G.M. Gilbert. Er stellt fest, daß die Angeklagten zum erstenmal ihre arrogant-abweisende Haltung nur mit Mühe auf- rechterhalten. Zwar protestiert Reichsbankpräsident Schacht dagegen, diesen Film sehen zu müssen, Papen wirft nicht einen Blick auf die Leinwand, doch entkommen die Angeklagten der Konfrontation mit den von ihnen zu verantwortenden Morden nicht.155 Ebenso ist nach Kriegsende die deutsche Zivilbevölkerung aufgefordert, direkt vor Ort oder in Filmen zu sehen, was in den Konzentrationslagern geschehen ist. Das von den Alliierten gedrehte Dokumentarmaterial wurde den deutschen Zuschauern beispielsweise in der Wochenschau Welt im Film gezeigt. Die erste Wochenschau für das besetzte Deutsch- land lief schon im Mai 1945; für das Jahr 1946 werden 300 Millionen Kinobesuche angenommen (durchschnittlich 6,6 pro Einwohner; 1945 waren von früher (1944) 6484 Lichtspieltheatern schon wieder 1150 in Betrieb)156, so daß in der Tat kaum jemand die Augen hat verschließen können vor den Beweisen für den Terror und das Morden in Konzentra- tionslagern. Stephan Hermlin berichtet von einer Filmvorführung in Frankfurt am Main, in der Bilder aus Buchenwald und Dachau gezeigt wurden: „Im halben Licht des Projektionsapparates sah ich, wie die meisten nach Beginn des Films das Gesicht abwandten und so bis zum Ende der Vor- stellung verharrten. Heute scheint mir, das abgewandte Gesicht sei die Haltung von Millionen geworden und geblieben. Das unglückliche Volk, dem ich angehöre war sentimental und verhärtet zugleich, sich erschüt- tern zu lassen, das Erkenne-dich-selbst, war nicht sein Teil.“157 Mit dem Problem, daß es insgesamt nur wenig Bilder über den Holo- caust gibt bzw. die Nazis in propagandistischer Absicht Bilder von Juden konstruiert haben, müssen sich Filmemacher nach 1945 auseinander- setzen. Sie verwenden entweder das Nazi-Filmmaterial, montieren und kommentieren es neu, oder aber entscheiden sich für fiktionale Gattun- gen. Kritik rufen beide Verfahren hervor. So kritisiert Wim Wenders 155 Vgl. Bauschmid, Elisabeth: Das unsichtbare Entsetzen. In: Süddeutsche Zeitung vom 23.11.1995, S. 17. 156 Vgl. Wilke, Jürgen: Ein früher Beginn der „Vergangenheitsbewältigung“. Der Nürn- berger Prozeß und wie darüber berichtet wurde. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.11.1995, S. 14. 157 Hermlin, Stephan: Rückkehr. In: ders.: Bestimmungsorte. Fünf Erzählungen. Berlin (West), 1985, S. 46. I.8. Bilder des Holocaust 84 1977 heftig den Film Hitler – eine Karriere von Joachim Fest und Christian Herrendörfer. Wenders wendet sich gegen den wenig distan- zierten und auf mangelnde Kompetenz deutenden Umgang der Filme- macher mit den Bildern. Fest und Herrendörfer erlägen selbst der Faszi- nation, die anscheinend bis heute vom Propagandamaterial der Nazi- Filmer ausgeht. Sie hätten nicht genügend berücksichtigt, daß „... alle Bilder, die es von diesem Mann und seinen Ideen gab, raffiniert gemacht, geschickt ausgesucht und gezielt eingesetzt wurden.“ 158 Die wenigen existierenden Bilder sind immer wieder gezeigt worden. Inzwischen überlagert das Entsetzen über ihren sorglosen Gebrauch das Entsetzen, das die Bilder selbst hervorrufen müßten. Die angeblich auf- klärerische Absicht vieler Filmemacher stimmt Filmkritiker deshalb ebenso bedenklich wie ein unbedarfter Umgang mit dem historischen Material. Angesichts der Flut von Bildern aus der Zeit des National- sozialismus, die in neuen Filmen und Fernsehproduktionen zwecks Auf- klärung verwendet werden, fragt Karsten Witte: „Ist nicht allmählich genug spekuliert mit dem Vorwand der Aufarbeitung und Bewältigung, sind wir noch nicht ausreichend geimpft unter dem Vorwand der Immu- nisierung? Was bleibt vom Faschismus in visueller Analyse noch zu ent- decken, wenn nicht die tautologisch aufbereitete Reproduktion des Aus- gangsmaterials? Dieser Bilderfundus ist erschöpft. Alles haben wir schon einmal gesehen, selten aber durch eine neue Perspektive erkannt. Die öffentliche Meinung sollte sich vor den faschistischen Produkten, die feiertags umstandslos durchs Fernsehen ihre Ausstrahlung erfahren, ökologisch schützen und Spekulanten, die im Namen der Aufklärung kollektive Faszination ausbeuten, zum politischen Offenbarungseid zwingen.“159 Der Filmkritiker Georg Seeßlen hat auf die Frage, wie wahr Nazi-Film- bilder sind und ob sich ein Filmemacher dieses Materials bedienen darf, keine Antwort, stellt aber seinerseits eine interessante Vermutung an: „Vielleicht ist jedes Bild vom Faschismus schon deshalb falsch, weil es in Wahrheit gar kein Original gibt. Der Faschismus ist gelebte und orga- nisierte Fälschung ...“.160 Es gab wohl beides, Lüge und Wahrheit. Bilder und Erzählungen aus der NS-Zeit verweisen häufig auf dieses „Zu- gleich“, den Schrecken und das „normale“ Leben, Hochzeit und Kinder- geburtstag, Schulentlassung, Militärzeit. Wir sehen lachende Menschen, häufig in Uniformen, und fragen uns, wie sie so fröhlich sein konnten. 158 Wenders, Wim: That´s entertainment: Hitler. In: Die Zeit, Nr. 33 vom 5.8.1977, S. 34. 159 Witte, Karsten: Weinte sonst niemand? Hitler, Höß & Co. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 7. Jg., H. 7/1977, S. 28. 160 Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur. Berlin, 1994, S. 40. I.8. Bilder des Holocaust 85 I.8.1. Filme und TV-Dokumentationen zu Nationalsozialismus und Holocaust Immer wieder wird der Anspruch formuliert, daß gerade die Deutschen das Thema „Massenmord an den Juden während des deutschen National- sozialismus“ aufzuarbeiten haben. Nach Holocaust und Schindlers Liste lautet deshalb eine von den Rezensenten häufig gestellte Frage: „Warum gelingt es den Deutschen nicht, einen Beitrag zu diesem wichtigen Thema zu leisten?“161 Andererseits werden regelmäßig Bedenken ge- äußert, wenn sich ein deutscher Regisseur der nationalsozialistischen Vergangenheit annimmt. Es ist also nicht ganz eindeutig: haben die Deutschen das Recht oder haben sie nicht gar die Pflicht, dieses wichtige Thema filmisch zu bearbeiten? Betroffenheit und Schuld führen zu dem Dilemma: „Wen es besonders angeht, der muß und kann deshalb nicht.“162 Der Produzent Artur Brauner meint jedoch, daß es in den seltensten Fällen an den Filmemachern liegt, wenn es nur wenige Produktionen zum Thema Holocaust gibt. Die Berliner Förderungsanstalt habe ihm 1984 die Mittel für einen Film über Oskar Schindler verweigert, mit der Begründung, daß kein wirtschaftlicher Nutzen bei dem Projekt mit dem Arbeitstitel „Ein Engel in der Hölle“ zu erwarten sei. Einmütig stellt die Kommission 1992 bei dem zweiten Versuch Brauners fest: „Drehbuch sowie Stab- und Besetzungsliste sind nicht geeignet, Qualität und Wirt- schaftlichkeit des deutschen Films zu verbessern.“163 So wurde das deut- sche Schindler-Projekt durch die Filmförderung abgelehnt, aus Angst vor einer Geschichte, die vielleicht nicht ins Geschichtsbild paßt. Der Schwierigkeit, den Holocaust „angemessen“ in einem Film zu thematisieren, waren sich Filmemacher immer bewußt. Gleichzeitig stellte die Auseinandersetzung mit den Verbrechen an den Juden laut Joe Hembus eine „unendliche Versuchung“164 dar, denn solange der deut- sche Film an einem erheblichen Mangel an großen, dramatischen, auf- 161 Kilb, Andreas: Warten, bis Spielberg kommt. Von Holocaust bis Schindlers Liste: Hollywood bewältigt die deutsche Vergangenheit. In: Die Zeit, Nr. 4 vom 21.1.1994, S. 1. 162 In jenen Tagen ... . Wie der deutsche Nachkriegsfilm die Vergangenheit bewältigte. Hrsg. von Wolfgang Becker und Norbert Schöll. Opladen, 1995, S. 18. 163 Vgl.: „Engel in der Hölle“. Die Filmförderung boykottierte ein deutsches Schindler- Projekt. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 174. 164 Hembus, Joe: Der deutsche Film kann gar nicht besser sein. Ein Pamphlet von gestern. Eine Abrechnung von heute. Mit einem Beitrag von Laurens Straub. München, 1981, S. 134. I.8. Bilder des Holocaust 86 regenden und weltbewegenden Stoffen leide, wäre es doch beinahe un- verantwortlich, ein Jahrzehnt voller großer, dramatischer, aufregender, gräßlicher und weltbewegender Ereignisse einfach links liegen zu lassen.165 Das geschah auch nicht. Durchaus „stellten“ sich Filmemacher der deutschen Vergangenheit, nur paßten sie die Ereignisse den Regeln des einfachen Unterhaltungskinos an und verfälschten und verharm- losten, vermutlich, ohne daß es ihnen bewußt war. Joe Hembus sieht „... perfekte Film-Stories, Helden, Bösewichter und Opfer, Hartgesottenes und Sentimentales, für jeden Geschmack etwas, Filme für Hausfrauen- nachmittage und Nachtvorstellungen, für Bundesfilmpreisverleihungen und für den Export nach Spanien.“166 Kritik am deutschen Film, an Produktionsbedingungen, Inhalten, Ästhe- tik, mag berechtigt sein. Gleichwohl gab es immer Versuche, künstle- risch ambitionierte Film zu fördern. So sind im Auftrag der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung Filme zum Thema National- sozialismus und Holocaust hergestellt worden.167 Ob insgesamt zu wenige deutsche Holocaustfilme produziert worden sind, ist umstritten, ebenso, ob bestimmte politische Ereignisse oder aber nichtdeutsche Holocaustfilme Anlaß waren, sich mit den Themen Nationalsozialismus und Shoah zu befassen. Vermutlich werden selbst Zahlen den Eindruck, daß es zu viele Holocaustfilme oder aber zu wenige Produktionen gibt, nicht korrigieren. Hier sollen zumindest die wichtigsten Titel deutscher (1945-1949, BRD, DDR, nach der Vereinigung) und internationaler Pro- duktionen genannt werden. Daten zu Holocaustfilmen werden seit Anfang der neunziger Jahre systematisch gesammelt.168 165 Vgl. ebenda. 166 Ebenda. 167 Einen guten Überblick bietet der Band: Zweimal Deutschland seit 1945 im Film und Fernsehen II: Audiovisuelle Medien in der politischen Bildung. Hrsg. von Karl-Fried- rich Reimers, Monika Lerch-Stumpf, Rüdiger Steinmetz. München, 1985, (= Kommu- nikation audiovisuell. Beiträge der Hochschule für Film und Fernsehen München; 4). 168 So verfolgt das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt/M. ein Projekt namens „Cinemato- graphie des Holocaust“. Ziel ist, einen Bestand von achttausend Filmen zu Geschichte und Folgen des Holocaust zu erschließen. Vgl. Holocaust-Filme. Datenbank von Hoechst gefördert. epd-Meldung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.9.1999, S. 41. I.8. Bilder des Holocaust 87 I.8.2. Deutsche Nachkriegsfilme zu Nationalsozialismus und Holocaust bis 1949 Nach der Kapitulation im Mai 1945 ist auch der Nazi-Film am Ende. Produktionsstätten, Archive, Technik, Verleihfirmen und die Kinotheater selbst unterstehen der Aufsicht der Alliierten. Wie die anderen Massen- medien, Presse und Rundfunk, brauchen die Sieger aber den Film, um die deutsche Bevölkerung im Sinne ihres reeducation-Konzepts zu informieren – und eben umzuerziehen. Die vor Kriegsende entstandenen Filme werden streng daraufhin überprüft, ob sie nationalsozialistische Ideologie verbreiten, militaristische, imperialistische, rassistische und geschichtsverfälschende Tendenzen aufweisen, und ob bekennende Nazis an ihrer Herstellung beteiligt gewesen sind. D.h. alle Filme, deren Produzent, Regisseur, Produktionsleiter, Drehbuchautor, Darsteller aner- kanntes Parteimitglied oder Förderer der NSDAP war, werden nicht auf- geführt. Die Anzahl der deutschen Produktionen im Kino der Nach- kriegszeit ist deshalb gering. Nur einige sogenannte „Überläuferfilme“ - das sind vor 1945 entstandene, aber als politisch unbedenklich einge- stufte Filme - kommen in die Kinos.169 Stattdessen sehen die Sieger in West und Ost Deutschland zunächst als Absatzmarkt für ihre eigenen Produktionen. Ebenso strenge Richtlinien wie für die vor 1945 entstandenen Filme gelten für Neuproduktionen. Wer in den vier Besatzungszonen einen Film herstellen will, braucht eine Lizenz der Alliierten. Die Ansprüche an die Lizenz-Bewerber sind hoch. Nur politisch unbelastete Personen, die als Privatunternehmer oder als Beauftragte einer Gemeinde oder nichtgewerblichen Vereinigung auftreten, kommen in Frage. Das Prü- fungsverfahren ist aufwendig, und selbst nach Erteilung einer Lizenz muß ihr Inhaber beispielsweise in der amerikanischen Zone von der Information Control Division jedes einzelne Filmprojekt prüfen und ge- nehmigen lassen. Der fertige Filme ist den Nachrichten-Kontrollbehör- den noch einmal vorzulegen, um eine endgültige Aufführungsgenehmi- gung zu erhalten. Vor– und Nachzensur übt auch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD). Und wie die westlichen Alliierten sieht sie in Deutschland zunächst einen Absatzmarkt für eigene Filme. Doch begin- nen in der Sowjetzone die verantwortlichen Stellen sehr viel schneller 169 Z.B. Via Mala, Große Freiheit Nr. 7. Siehe auch Claudius Seidl, der sarkastisch behauptet: „Der deutsche Film ergab sich nicht, er lief zum Gegner über.“ Seidl, Clau- dius: Die große Lüge. Das deutsche Kino im Jahre Null. In: Spiegel-Spezial. 1945- 1948. Die Deutschen und die Stunde Null. H. 4/1995, S. 72. I.8. Bilder des Holocaust 88 mit Deutschen - selbstverständlich im Sinne der kommunistischen Ideologie politisch zuverlässigen Deutschen - zusammenzuarbeiten. Im August 1945 entsteht mit Hilfe der SMAD eine Gruppe namens „Filmaktiv“, die eine neue deutsche Filmproduktion ins Leben rufen soll. Sie besteht aus fünf Mitgliedern, die während des Nationalsozialismus im Moskauer Exil gewesen sind, dementsprechend eng sind die Kontakte zu den sowjetischen Behörden und dem Sachbearbeiter für das Film- wesen in der sowjetzonalen Zentralverwaltung für Volksbildung. Man beschließt den Aufbau eines neuen deutschen Filmunternehmens und formuliert als Ziel des neuen deutschen Films, daß er „... antifaschistisch und frei von nazistischer Lüge und Völkerverhetzung sein müsse. Er müsse durchdrungen sein von dem Geiste des Humanismus, der Völker- verständigung und der wahren Demokratie.“170 1946 entstehen in der sowjetischen Besatzungszone die ersten deutschen Filme, Dokumentar- und Lehrfilme171 sowie Spielfilme. Im Mai erhält die aus dem „Filmaktiv“ hervorgegangene Produktionsgesellschaft DEFA (Deutsche Film-AG) vom politischen Berater der SMAD, Oberst Tulpanov, die sowjetische Lizenz. Tulpanov nennt als wichtigste Auf- gaben der Filmgesellschaft den demokratischen Aufbau Deutschlands und die Erziehung zur Völkerfreundschaft. Die DEFA bleibt die einzige Filmgesellschaft in der Sowjetzone. Bis 1990 behält sie ihre Monopol- stellung. Im Herbst 1946 wird als erster DEFA-Film Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns in Berlin uraufgeführt. Millionen Menschen in allen vier Besatzungszonen und im Ausland sehen diesen Film, in dem ein ehemaliger Soldat auf Rache an seinem Vorgesetzten sinnt, der im Krieg den Befehl zum Morden erteilt und selbst ohne Skrupel Zivilisten hingerichtet hat. Eine junge Frau, die das KZ überlebt hat, hindert den Soldaten an der Selbstjustiz. Die Mörder sind unter uns markiert den Beginn einer Reihe von Filmen, die aufgrund der in ihnen vorherrschen- den Szenerie als „Trümmerfilme“ bezeichnet wurden. Entscheidend für die Bewertung des Films aber ist, daß er zu den wenigen deutschen Nachkriegsproduktionen zählt, die die unmittelbare Vergangenheit und die Verbrechen der Deutschen thematisieren. Aufgrund der restriktiven Lizenzierungspolitik, eigener ökonomischer Interessen der Alliierten und allgemeinen Mangels (so fehlt Rohfilm- 170 Klering, Hans: Als wir neu begannen. In: Auf neuen Wegen – 5 Jahre fortschrittlicher deutscher Film. Berlin (Ost), 1951, S. 61. Zit. nach: Pleyer, Peter: Deutscher Nach- kriegsfilm 1946-1948. Münster, 1965, (= Studien zur Publizistik, Bd. 4), S. 32. 171 Z.B. Berlin im Aufbau, Der Gewerkschaftskongreß, Einheit (gemeint ist die Zwangs- vereinigung von SPD und KPD zur SED) und Der 1. Mai 1946. I.8. Bilder des Holocaust 89 material) dauert es in den westlichen Besatzungszonen bis Dezember 1946, daß deutsche Filme aufgeführt werden können. Die erste britische Lizenz geht an die Hamburger „Camera“-Filmproduktion. Unter der Regie Helmut Käutners entsteht daraufhin In jenen Tagen. Haupt“figur“ dieses Episodenfilms ist ein PKW, der zwischen 1933 und 1945 mehr- fach die Besitzer wechselt, am Ende als Militärwagen den Krieg knapp übersteht und schließlich den Mechanikern, die ihn noch einmal flott machen wollen, - und den Zuschauern - seine Geschichte erzählt. In diesem Film ist die unmittelbare Vergangenheit der Deutschen wie in Staudtes Die Mörder sind unter uns präsent. Eine britische Lizenz erhält auch die Berliner „Studio 45-Film GmbH“. Sie produziert das Lustspiel Sag die Wahrheit. Die ebenfalls in Berlin neugegründete CCC-Filmgesellschaft Artur Brauners haben die franzö- sischen Alliierten lizenziert. Brauners erster Film heißt Herzkönig, wie Sag die Wahrheit ein Lustspiel. Brauner investiert die Gewinne aus Herzkönig in den Film, der ihm wichtig ist, weil er die Geschichte seines Überlebens erzählt: Morituri.172 Mehrere US-amerikanische Lizenzen gehen an deutsche Filmemacher nach der Rückkehr Erich Pommers aus den USA.173 Pommer, von den Amerikanern als Verantwortlicher für den Wiederaufbau der deutschen Filmproduktion eingesetzt, spricht sich dafür aus, die Deutschen alsbald an der Filmproduktion zu beteiligen: „Eine geeignete Geschichte, aus der ein guter und unterhaltsamer Film gemacht wird, von deutschen Schau- spielern vor deutschem Hintergrund gespielt, kann unseren Zielen mehr dienen als der beste Propaganda- oder Dokumentarfilm.“174 Denn um die Deutschen aufzuklären und umzuerziehen, setzen die Siegermächte in den ersten Jahren der Besatzung vor allem auf Doku- mentarfilme. Zunächst sollen die Deutschen mit ihren Verbrechen kon- frontiert werden. Dazu werden Filme wie Die Todesmühlen eingesetzt, 172 Ausführlich dazu in Kapitel II. 1. 173 So bspw. an Joseph von Baky und Richard König (Und über uns der Himmel) oder Harald Braun und Jacob Geis (Zwischen gestern und morgen), u.a. In der zweiten Hälfte des Jahres 1947 und besonders 1948 steigt die Zahl der Produktionen in den westlichen Besatzungszonen deutlich an, von sechs Filmen 1947 auf neunzehn 1948, die zudem von elf verschiedenen Produktionsfirmen hergestellt worden sind. Bis Ende 1948 entstehen vierzehn Filme in der sowjetisch besetzten Zone, sechsundzwanzig in den westlichen Besatzungszonen. Ein Austausch findet statt, aber nicht alle Filme wer- den in allen Zonen gezeigt. Vgl. Pleyer, Peter: Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948. A.a.O., S. 31-45. 174 Pommer, Erich, zit. nach Göttler, Fritz: Westdeutscher Nachkriegsfilm. Land der Väter. In: Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin. Stuttgart, Weimar, 1993, S. 177. I.8. Bilder des Holocaust 90 die unmittelbar nach der Befreiung der Konzentrationslager entstanden sind und die Opfer der Nazi-Diktatur in den Lagern zeigen. An Die Todesmühlen ist neben dem Exiltschechen Hans Burger Billy Wilder beteiligt. Wilder plädiert dafür, einen kürzeren Kompilationsfilm aus dem nach der Befreiung der Lager gedrehten Material herzustellen. Eine kollektive Schuldzuweisung im Film soll vermieden werden, denn er hat bei der Vorführung einer vorläufigen Filmfassung in einem Kriegs- gefangenenlager beobachtet, wie die Deutschen darauf reagieren: „Nearly no man agreed, either before or after the film, to the charge that German people were responsible for the atrocities ... Little effect was observed on the acceptance of personal responsibility by the prisoners ... But almost no one ... would admit that the majoritiy of German people were NOT responsible.“175 Wegen dieser Reaktionen und weil auch maßgebliche Stellen in Washington ihm zu verstehen gegeben haben, daß man „unsere logischen Verbündeten von morgen“ nicht vor den Kopf stoßen dürfe, ist Wilder für eine gemäßigte Version. Daß die Deut- schen aber die Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung unschuldiger Menschen organisiert und durchgeführt bzw. geduldet haben, spart der Film nicht aus. Er zeigt die erschütternden Bilder der Toten und gerade noch Geretteten, erklärt allerdings nicht, welche Ursachen der Aufstieg der Nationalsozialisten hatte und wer von der Ausbeutung der Millionen Arbeitskräfte profitierte. Auch unterscheidet er nicht zwischen den ein- zelnen Opfergruppen und vermeidet das Stichwort Antisemitismus. Eine über Jahre vorherrschende Perspektive im Umgang der US-Amerikaner (und anderer!, z.B. der Sowjets) mit dem Holocaust. Doch auch die gemäßigte Version der Todesmühlen, die im Herbst 1945 aufgeführt wird, lehnen die Zuschauer ab. Sie weisen auf ihr eigenes schweres Schicksal und äußern die Vermutung, daß es sich „wiederum um Propaganda“ handelt. Davon hätten sie allmählich genug. Brigitte J. Hahn stellt in ihrer Studie zur Filmpolitik der US-Amerikaner fest: „Der Film war also insgesamt in re-edukationspolitischer Hinsicht ein Fehl- schlag. Zu diesem Ergebnis kommt nicht nur die heutige Forschung, sondern bereits damals hat dies die Militärregierung selbst erkannt und auch zugegeben.“176 Die zentrale Filmproduktion am Ende der Konfrontations- und Bestra- fungsphase ist laut Hahn der Dokumentarfilm Nürnberg und seine Leh- ren. Wie Todesmühlen scheint er zu spät zu kommen. Zweieinhalb Jahre 175 Billy Wilder, zit. nach Hahn, Brigitte J: Umerziehung durch Dokumentarfilm? Ein Instrument amerikanischer Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland (1945-1953). Mün- ster, Hamburg, 1997, (= Reihe Kommunikationsgeschichte, Bd. 4, hrsg. von Walter Hömberg und Arnulf Kutsch), S. 101f. 176 Hahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm? A.a.O., S. 112. I.8. Bilder des Holocaust 91 nach Kriegsende ist das Interesse am Kriegsverbrecherprozeß nicht sehr groß. Das müssen auch die Filmpolitiker feststellen, die mit Hilfe von Meinungsumfragen den Erfolg der Dokumentarfilme überprüfen. Im Jahr 1947 ändert sich die Haltung gegenüber den besiegten Deutschen. Sie gelten nun als zukünftiger Partner der USA, und es beginnt eine Phase der Pragmatik - was zählt ist die Gegenwart - und der Propagie- rung des westlichen kapitalistischen Modells („american way of life“) in Abgrenzung zum Kommunismus. Die Alliierten stimmen darin überein, daß der deutsche Film nicht noch einmal zur Propagierung nationalsozialistischer Ideologie mißbraucht werden darf und eine Machtanhäufung innerhalb der deutschen Wirt- schaft vermieden werden muß. Sie wollen einen personellen Neuanfang, müssen aber erkennen, daß es kaum Regisseure, Dramaturgen oder Kameraleute gibt, die nicht Mitglieder der Reichsfilmkammer gewesen waren. Trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmung wird bald offensichtlich, daß die Amerikaner, Briten und Franzosen einerseits und die Sowjets andererseits unterschiedliche politische Ziele verfolgen und dies Einfluß hat auf den Film, seine Inhalte, die Produktion, den Verleih und die Auf- führung. Nach der Währungsreform in den Westzonen im Juni 1948 und der Blockade Berlins, spätestens dann mit der Konstituierung zweier deutscher Staaten 1949, ist der deutsche Film getrennt in BRD- und DDR-Film. Insgesamt läßt sich das Bemühen um Auseinandersetzung mit der natio- nalsozialistischen Vergangenheit und dem Holocaust in den zwischen 1945 und 1949 entstandenen deutschen Filmen durchaus erkennen, so- wohl in den DEFA-Filmen als auch in den westlichen Produktionen. Die Neue Zeit initiiert 1948 eine Debatte über Formen und Inhalte des deut- schen Films, auch im Vergleich zum ausländischen Film, beispielsweise dem italienischen Neorealismus mit Filmen wie Rossellinis Rom - offene Stadt, Paisa, Deutschland im Jahre Null oder de Sicas Schuhputzer und Fahrraddiebe. Gefordert wird, daß der deutsche Film nicht länger der Gegenwart ausweicht. Als „Gegenwart“ definiert Bruno E. Werner den „lebendigen Bewußtseinsraum, der rund zwanzig Jahre umspanne“ und als wichtige Gegenwartsfilme nennt er Die Mörder sind unter uns, Ehe im Schatten, In jenen Tagen, Über uns der Himmel und Zwischen Gestern und Morgen.177 177 Werner, Bruno E., zit. nach Glaser, Hermann: Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Währungsreform 1945-1948. München, Wien, 1985, S. 279. I.8. Bilder des Holocaust 92 Eine genaue Analyse der insgesamt vierzig zwischen Kriegsende und Ende 1948 produzierten deutschen Spielfilme liefert Peter Pleyer. Er unterscheidet, ob es in den Filmen um Probleme der Gegenwart (1945- 1948), der Zeit zwischen 1933 und 1945 als unmittelbare Vergangenheit oder der Zeit vor 1933 geht. Eine inhaltliche Unterscheidung trifft er zwischen Filmen, in denen Probleme behandelt werden, die den privaten oder aber den wirtschaftlichen, politischen, sozialen Bereich betreffen. Pleyers Inhaltsanalysen ergeben, „... daß die Mehrzahl der dargestellten Probleme und Geschehensmotive mit politischer Relevanz in direkter oder indirekter Beziehung zur nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland (steht).“178 Zwei Drittel aller im Film gezeigten Probleme betreffen aber den privaten Bereich der Menschen. Dieser erscheint trotz aller Schwierigkeiten, z.B. der Heimkehrerproblematik, als Zufluchtsort. Auffällig ist der Optimismus, den die Filme verbreiten, vermutlich ge- speist aus der Einsicht, daß es schlimmer nicht mehr kommen kann. Der Film Berliner Ballade mit dem damals noch schlanken Gert Fröbe in der Rolle des „Otto Normalverbraucher“ veranlaßt den Filmkritiker Gunter Groll zu folgender Unterscheidung: „Es gab bislang, drei Jahre lang, drei Arten deutscher Nachkriegsfilme. Die einen spiegeln die Zeit und sind infolgedessen traurig. Die anderen fliehen aus der Zeit in weniger trau- rige Zeiten und sind, infolge künstlicher Heiterkeit, auch sehr traurig. Die dritten entschweben dieser Zeit in ein Traumland jenseits aller Zeiten und sind, weil sie meist nur mit schlechtem Gewissen schweben (als sei das filmische Fahnenflucht) viel trauriger als sie tun.“179 Nationalsozialismus, Krieg und Massenmord werden trotz der Flucht- bewegungen ins Private thematisiert, doch vermitteln die Filme vor allem ein Bild von den Deutschen als Schicksalsgemeinschaft. Das, was wir heute Holocaust nennen, also der staatlich organisierte und von Deutschen ausgeführte bzw. akzeptierte Mord an den Juden, wird in diesen Filmen zwar erwähnt, allerdings nicht erklärt und nicht darge- stellt. In manchen Filmen erscheinen Nazi-Diktatur, Krieg und Holo- caust als Gesamtkatastrophe, die über die Menschheit gekommen ist. Die Unterschiede zwischen Tätern, Opfern und Mitläufern verschwimmen. Tim Gallwitz hat sich in seiner Arbeit über die Darstellung von Jüdinnen und Juden im deutschen Nachkriegsfilm indirekt mit der Bedeutung des Holocaust für die Stoffauswahl beschäftigt.180 Bei den in die Unter- 178 Pleyer, Peter: Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948. A.a.O., S. 149. 179 Groll, Gunter, zit. nach Spiess, Eberhard: Betrachtungen über die erste Dekade des deutschen Nachkriegsfilms. In: Deutscher Spielfilmalmanach. Bd. 2, 1946-1955. Hrsg. von Alfred Bauer. München, 1981, S. XXVII. 180 Vgl. Gallwitz, Tim: Strategien im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangen- heit. Die Darstellung von Juden und Jüdinnen im deutschen Nachkriegsfilm vor dem I.8. Bilder des Holocaust 93 suchung einbezogenen Filmen In jenen Tagen, Ehe im Schatten, Zwischen gestern und morgen, Lang ist der Weg, Morituri, Affaire Blum, Der Ruf, Die Buntkarierten und Rotation handelt es sich sowohl um DEFA-Produktionen als auch um in den westlichen Besatzungszonen hergestellte Filme. Der Autor ordnet die neun Filme u.a. nach inhalt- lichen Kriterien: In der dritten Episode von In jenen Tagen, in Ehe im Schatten und in Zwischen gestern und morgen geht es um sog. „Mischehen“.181 Die Variante Trennung kam zwar in der Realität häufiger vor (auch in Zwischen gestern und morgen), in Ehe im Schatten und In jenen Tagen entscheidet sich das Paar aber aufgrund des zunehmenden Verfolgungs- drucks für den gemeinsamen Selbstmord. Gallwitz sieht in dieser „Lösung“, dem Sich-Selbst-Opfern des nichtjüdischen Ehepartners ein Entlastungsangebot an die nichtjüdischen Zuschauer. Denn sie sehen sich bestätigt, daß Widerstand nur geleistet werden konnte, wenn man bereit war, sich selbst zu opfern. Und kann man das verlangen? Lang ist der Weg, Der Ruf und Morituri sind Versuche, Verfolgung, Massenmord und das „Weiter Leben“ zu thematisieren. Erfolgreich waren diese von Überlebenden des Nazi-Terrors initiierten Filme beim Publikum nicht, trotz der Versöhnungsbereitschaft, die in allen drei Produktionen sehr deutlich artikuliert wurde.182 In den DEFA-Filmen Affaire Blum, Die Buntkarierten und Rotation werden Antisemitismus und Judenverfolgung zum einen als Folge deutschnationaler und antidemokratischer Gesinnung weiter Teile der Bevölkerung in der Weimarer Republik interpretiert, zum anderen als unmittelbare Folge kapitalistischen Wirtschaftens, deutlich herausge- arbeitet in der Szene der Versteigerung des Levinschen Mobiliars in Die Buntkarierten und in der Darstellung des deutschnationalen Abgeord- neten Hinkeldey in Affaire Blum, der als Unternehmer ein Konkurrent des zu Unrecht angeklagten Blum ist. Identifikationsangebote an die Zuschauer gehen in Die Buntkarierten und Rotation vor allem von den Hintergrund der Judenvernichtung. Magisterarbeit an der Universität Hamburg. Ham- burg, 1996. 181 Dem Film Ehe im Schatten liegt der authentische Fall des Künstlerehepaares Gottschalk zugrunde. 182 Die genaue Analyse von Morituri erfolgt in Kap. II.1; die Produktions- und Rezep- tionsgeschichte von Lang ist der Weg hat Cilly Kugelmann recherchiert: Kugelmann, Cilly: Lang ist der Weg. Eine jüdisch-deutsche Film-Kooperation. In: Jahrbuch 1996 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Hrsg. vom Fritz-Bauer-Institut. Frank- furt/M., 1996, S. 353-370. Mit Der Ruf beschäftigt sich Tim Gallwitz u.a. in dem Auf- satz „Was vergangen ist, muß vergangen sein“. In: Die Vergangenheit in der Gegen- wart. Konfrontationen mit den Folgen des deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deut- schen Filminstitut. Frankfurt/M., 2001, S. 12f. I.8. Bilder des Holocaust 94 proletarischen Figuren aus. Die antifaschistische Tradition der Arbeiter- bewegung, als deren Nachfolgerin sich die SED sieht, steht hier im Mittelpunkt. In immerhin neun Nachkriegsfilmen von insgesamt siebenundvierzig zwischen Mai 1945 und Dezember 1948 entstandenen Produktionen gibt es jüdische Figuren und werden Antisemitismus und Verfolgung thema- tisiert. Zu einem großen Teil ist das auf die Initiative jüdischer Über- lebender wie Israel Becker, Artur Brauner oder Fritz Kortner zurückzu- führen oder auf die besondere Förderung dieser Projekte durch enga- gierte Filmpolitiker unter den Alliierten. Erfolgreich waren diese Filme um so mehr, als sie eindeutige Identifikationsangebote mit den unschul- digen Opfern oder heldenhaft Widerstand Leistenden anboten. Die noch so vorsichtig gestellten Fragen nach Schuld und Verantwortung aber wollten die meisten Zuschauer nicht hören. Sie störten wie im Fall von Morituri die Aufführung – oder gingen gar nicht erst ins Kino. Der „kalte Krieg“ und die sich seit 1947 abzeichnende Spaltung Deutschlands führten dazu, daß die Schuld an Nationalsozialismus, Weltkrieg und Holocaust nicht mehr als eine gemeinsame begriffen wurde. In der Bundesrepublik nahm die Zahl der Filme mit Bezug auf das „Dritte Reich“ in den fünfziger Jahren kontinuierlich ab. Die Zuschauer, die sich überwiegend selbst als Opfer sahen, wollten mit dem Leid der Juden nicht konfrontiert werden. Der westdeutsche Film, marktwirtschaftlich orientiert, reagierte entsprechend. In der DDR, die sich als das andere und bessere Deutschland sah, entstanden zwar „anti- faschistische“ Filme, in denen der Klassenstandpunkt deutlich werden mußte, jedoch kaum Filme, die explizit das Leiden der Juden während des Nationalsozialismus thematisierten. I.8.3. DDR-Filme zu Nationalsozialismus und Holocaust (1949- 1989) Im folgenden wird ein kurzer Überblick über DDR-Filme mit Bezug zu Nationalsozialismus und Holocaust gegeben. Verbunden ist dieser Über- blick mit Hinweisen auf politische Entwicklungen, die unmittelbare Konsequenzen für die Kunst in der DDR hatten. Unter den vor Gründung der DDR entstandenen DEFA-Filmen sind einige künstlerisch und politisch ambitionierte Werke zu finden (s.o). Viele Filmemacher hoffen, an diese Erfolge anknüpfen zu können. Mit der veränderten politischen Situation nach der Währungsreform, der Blockade Berlins und der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949, I.8. Bilder des Holocaust 95 schließlich der Übergabe der DEFA in deutsche Hände ändert sich aller- dings einiges. Bis 1950 wird die DEFA noch unter Mehrheitsbeteiligung des Ministeriums für Filmwirtschaft der UdSSR als sowjetische Aktien- gesellschaft geführt, dann der Aufsicht eines Staatlichen Komitees für Filmwesen unterstellt, später in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) um- gewandelt. Die Aufgaben des Staatlichen Komitees übernimmt 1954 die Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur der DDR. Der Ein- fluß von Staat und Partei ist damit sichergestellt. Wichtigste Aufgabe des Films wie aller Massenmedien in der DDR sind Agitation, Propaganda und Organisation; der sozialistische Realismus gibt die künstlerische Schaffensmethode vor. Einberufen vom ZK der SED findet im Septem- ber 1953 die „Konferenz der Filmschaffenden“ statt. Das Hauptreferat, gehalten vom ZK-Mitglied Hermann Axen, widmet sich den Aufgaben des Films in der DDR. Seine zentrale Aussage lautet: „Die Kunst des sozialistischen Realismus zu meistern, heißt, den Marxismus-Leninismus zu studieren und künstlerisch anzuwenden.“183 Heinz Kersten inter- pretiert diesen Satz als Schwenk in der Filmpolitik, denn die Filme der ersten Periode der DEFA, mit denen sie einen gewissen künstlerischen Kredit erworben hatte, waren nun laut Axen solche des „kritischen Rea- lismus“, der zwar Mißstände benenne, nicht aber zum Handeln auf- fordere. Axen will gemäß sowjetischer Vorgaben keinen „bürgerlichen“, sondern einen „sozialistischen Realismus“, der „den Ausweg kündet“, außerdem „optimistisch und zukunftsfroh“ ist. Mehr „positive Helden“, klassenbewußt, der Partei ergeben und kampfeswillig sollen im Film zu sehen sein. Filme wie Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse und Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse, 1954 und 1955 unter der Regie von Kurt Maetzig hergestellt, entsprechen diesen Vorgaben. Für sie besteht Besucher- pflicht. Wolfgang Staudtes Der Untertan, eine Verfilmung des gleich- namigen Romans von Heinrich Mann, dagegen unterscheidet sich künstlerisch und in seiner Fragestellung von solchen „biederen Heili- genlegenden“184. Orientiert an den Montagetheorien Pudovkins und Eisensteins setzt sich Staudte wie diese großen sowjetischen Regisseure zwar dem Vorwurf des „Formalismus“ aus; beruhigt sind die zuständi- 183 Axen, Hermann: Über die Fragen der fortschrittlichen deutschen Filmkunst. In: Neues Deutschland vom 18.9.1952. Zit. nach Kersten, Heinz: Das Filmwesen in der sowje- tischen Besatzungszone Deutschlands. Hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeut- sche Fragen. 2. Grundlegend überarb. u. wes. erw. Aufl. Teil I Textteil, Teil II Anla- genteil. Bonn, Berlin (West), 1963, (= Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutsch- land), S. 17f. 184 Gersch, Manfred: Film in der DDR. Die verlorenen Alternative. In: Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin. Stuttgart, Weimar: 1993, S. 332. I.8. Bilder des Holocaust 96 gen Zensoren aber, als die westdeutschen Stellen den Film nicht zur Auf- führung freigeben. Das geschieht erst 1956. Eine gekürzte Fassung kommt in die Kinos, versehen mit dem Hinweis, daß es sich „bei den Geschehnissen in diesem Film um einen Einzelfall handelt“. Die ideologische Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik findet statt in Filmen wie Unser täglich Brot von 1949, Rat der Götter von 1950 oder Du und mancher Kamerad, einem Kompilationsfilm von 1956. In Zlatan Dudovs Film Unser täglich Brot geht es in einer Nebenhandlung um die Integration von Juden in die sozialistische Gemeinschaft. Der Ingenieur Bergstetter erhält das Angebot, im VEB den Arbeitsplatz eines in den Westen „Rübergemachten“ einzunehmen. Er sagt zu. In Rat der Götter kritisiert Kurt Maetzig am Beispiel der IG-Farben die Ver- quickung von Politik und Wirtschaft vor und nach 1945. Du und man- cher Kamerad von Annelie und Andrew Thorndike, Drehbuch Karl- Eduard von Schnitzler, geht den Ursachen zweier Weltkriege nach. Schuld sind Kapitalismus und Militarismus, legt dieser Film nahe und verweist auf Entwicklungen in der Bundesrepublik, die zu einem dritten Weltkrieg führen könnten. Antwort auf die Wiederbewaffnung der BRD müsse daher die Gründung der NVA sein. Im März 1953 stirbt Stalin, im Juni gehen die Arbeiter nach weiteren Normerhöhungen und aufgrund der schlechten Versorgungslage auf die Straßen. Der Aufstand wird mit Hilfe sowjetischer Truppen nieder- geschlagen. Für den Film hat zwar nach der Konferenz vom März 1952 eine Phase der Zugeständnisse begonnen, doch wird jedes Drehbuch ge- prüft, jeder Film unterliegt der Vor- und Nachzensur. Die Verstaat- lichung des Filmwesens ist abgeschlossen. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 gibt es eine kurze Tauwetterperiode, die aber spätestens mit dem Bau der Mauer im August 1961 ihr Ende findet. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre entstehen Dokumentarfilme wie Urlaub auf Sylt, Unternehmen Teutonenschwert und Ein Tagebuch für Anne Frank, in denen es allgemein um die Ursachen und Kontinuitäten des deutschen Faschismus geht. Die Spielfilme Zwischenfall in Ben- derath und Der Prozeß wird vertagt spielen in der Bundesrepublik. Die darin vorkommenden jüdischen Figuren haben unter dem offenen Anti- semitismus der Westdeutschen zu leiden. Die DDR erscheint als das bes- sere Deutschland. Die Errichtung des „antiimperialistischen Schutzwalles“ haben die Film- schaffenden der DDR offiziell zu begrüßen. Nicht wenige glauben, daß sich der Mauerbau auf ihr Schaffen eher positiv auswirken wird. Die Gefahr des Ausblutens des Staates scheint ihnen gebannt, man könne I.8. Bilder des Holocaust 97 sich jetzt auf sich selbst besinnen und am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ungestört arbeiten. Der Schauspieler Manfred Krug schil- dert die Stimmung in dieser Zeit: „Nach 1961 sagten sich viele Men- schen – auch ich: Die Mauer ist sicher nichts Wunderbares, aber sie ist auch nicht für alle Zeiten und sie ist auf kulturellem Gebiet vielleicht eine Chance, diesen Vorwurf der Nestbeschmutzung loszuwerden. Den Kritikern wurde doch ständig gesagt: Ihr verunglimpft den Sozialismus, den schönsten Versuch der Geschichte, mehr Gerechtigkeit auf deut- schem Boden zu schaffen. Wir hatten die Hoffnung, die Mauer würde diesen ewigen Knüppel brechen, den sie uns übers Maul zogen. Das war ein Irrtum.“185 Es entstehen zu dieser Zeit mehrere Filme mit unmittelbarem Geschichtsbezug, so 1961 Der Fall Gleiwitz von Gerhard Klein, 1962 Das zweite Gleis von Joachim Kunert, 1963 Nackt unter Wölfen von Frank Beyer. Im Fall Gleiwitz geht es um die Rekonstruktion der Ereig- nisse Ende August 1939, den von der SS fingierten Überfall auf den Reichssender Gleiwitz, der Hitler als Kriegsvorwand diente. Das zweite Gleis führt zurück in die Vergangenheit und fragt nach der Mitschuld der Älteren am Nationalsozialismus. Nackt unter Wölfen erzählt die authen- tische Geschichte eines dreijährigen polnisch-jüdischen Jungen, der von den Häftlingen des KZ Buchenwald versteckt wird. Sie riskieren für den Jungen ihr Leben.186 1963 entsteht unter der Regie von Konrad Paetzold der Film Jetzt und in der Stunde meines Todes. Er spielt in der BRD. Die Journalistin Ella Conradi, die aus Jerusalem vom Eichmann-Prozeß berichtet hat, recher- chiert, zurück in der Bundesrepublik, in einem Mordfall mit rechts- extremen Hintergrund. Deutlich wird, daß die Macht alter Nazis unge- brochen ist. Chronik eines Mordes von 1964 mit Angelika Domröse in der Rolle der Jüdin Ruth Bodenstein spielt ebenfalls in der Bundesrepu- blik. „Wiedergutmachung“, also Zahlung eines Geldbetrags, will die Überlebende nicht. Sie möchte, daß „der Faschismus“ ernsthaft be- kämpft wird, damit sich das Grauen nicht wiederholt. Weil aber die westdeutsche Justiz nichts gegen den Mörder ihrer Eltern unternimmt, übt Ruth Selbstjustiz und erschießt ihn. Der Film entspricht der Politik der DDR-Führung, die Ansprüche jüdischer Bürger auf Restitution stets zurückgewiesen hat. Bezüge zur unmittelbaren Vergangenheit lassen sich vor allem in den Filmen Konrad Wolfs finden. Hier treten auch jüdische Figuren auf. 185 Krug, Manfred. In: tip, (Berlin) Nr. 10, 1990. Zit. nach Gersch, Wolfgang: Film in der DDR. Die verlorene Alternative. A.a.O., S. 340. 186 Zu Nackt unter Wölfen siehe Kap. II.4. I.8. Bilder des Holocaust 98 Konrad Wolf, Sohn des Dramatikers und Arztes Friedrich Wolf und Bruder des späteren DDR-Geheimdienst-Chefs Markus Wolf, muß als Siebenjähriger 1933 Deutschland verlassen. Exil findet die jüdische Familie in Moskau. Mit neunzehn Jahren kehrt Wolf als Offizier der Roten Armee nach Deutschland zurück. Später beginnt er ein Studium an der Moskauer Filmhochschule. In dem stark autobiographisch geprägten Film Ich war 19 von 1968 geht es um Wolfs Identität als jüdischer Deut- scher, deutscher Kommunist und sowjetischer Soldat im zerstörten Deutschland von 1945 und damit um die Verkörperung dessen, was „das andere, bessere Deutschland“ genannt wird. In den Film montiert sind von den Sowjets gedrehte Sequenzen aus dem Dokumentarfilm Todes- lager Sachsenhausen. Sterne von 1959 spielt in einer bulgarischen Kleinstadt im Jahr 1943. Ein Transport griechisch-sephardischer Juden hält dort und wird für einige Tage in ein Lager interniert. Dieses bewachen deutsche Soldaten. Einer von ihnen beobachtet durch den Stacheldraht eine junge Frau. Er ist be- eindruckt von ihrer Mitmenschlichkeit und versucht schließlich, sie zu retten. Doch kommt er zu spät. Der Transport ist schon auf dem Weg nach Auschwitz. Der Soldat ist durch dieses Ereignis aber ein anderer geworden, er schließt sich dem Widerstand an. Der Kritiker der Berliner Morgenpost, Günther Geisler, schreibt über das durch seine Bildsprache, mehr noch aber durch sein Thema beeindruckende Werk: „Daß ein so gerechter und reiner Film ausgerechnet von der sowjetischen DEFA stammt, mag, wie manche sagen, eine Schande sein. Ich weiß eine viel größere Schande: daß unsere freie Filmproduktion noch immer keine gleichwertige Auseinandersetzung mit dem so schmerzenden Thema zustandegebracht hat, um das es hier geht.“187 Der Film Sterne endet mit dem jiddischen Lied „Es brennt, ´s Shtetl brennt“, allerdings eingedeutscht und mit einem Appell zum aktiven Handeln versehen: 187 Geisler, Günther über Sterne. In: Berliner Morgenpost vom 19.6.1960. Zit. nach Gersch, Wolfgang: Film in der DDR. Die verlorene Alternative. A.a.O., S. 337. I.8. Bilder des Holocaust 99 Es brennt Brüder ach- Die Hilf liegt nur in euren Händ´! Wenn das Städtle Euch ist teuer nehmt die Kellen löscht das Feuer! Löscht´s mit eurem eignen Blut! Beweist, daß ihr das könnt ... Steht nicht da, laßt´s nicht geschehn Unser Städtele brennt´... Die Aufforderung ist eindeutig: Widerstand muß rechtzeitig beginnen, aktiv und bewaffnet sein, nur das eröffnet eine Chance zu überleben. Dieser Auffassung folgt auch Konrad Wolfs Film Professor Mamlock, der auf dem gleichnamigen Drama Friedrich Wolfs basiert. Entstanden ist das Stück 1933, als die Verfolgung der Juden begonnen hatte, jedoch noch nicht absehbar war, wohin der Antisemitismus der Nazis führen sollte. Der Film kommt nun fast dreißig Jahre später und ist als Genera- tionenkonflikt und als Auseinandersetzung darüber zu verstehen, was den Mord an den Juden hätte verhindern können. Mamlock begeht aus lauter Verzweifelung Selbstmord. Diese individuelle Reaktion wird als kollektive gedeutet und gemäß der über Jahrzehnte und auch in der DDR nicht aufgegebenen antisemitischen Stereotype als Versagen der Juden beschrieben, die Teil der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft waren. Im Film wird das Gesicht des toten Mamlock überblendet mit dem Satz: I.8. Bilder des Holocaust 100 Es gibt kein größeres Verbrechen – nicht kämpfen zu wollen- Wo man kämpfen muß. Die Filme Konrad Wolfs gehören zu den wenigen, die nicht nur Ant- worten auf die Frage suchen, wie es zu Nationalsozialismus und Krieg hat kommen können, sondern auch die jüdische Katastrophe in den Blick nehmen. Die Erklärungen, die Wolfs Filme bieten, passen jedoch in das ideologische Konzept der SED und sind nicht frei von Antisemitismen. Juden erscheinen als passiv und erduldend, besitzstandswahrend und bürgerlich. Ihnen mangelt es an politischer Überzeugung, Klassen- bewußtsein und Kampfesbereitschaft. Ohne es so deutlich auszu- sprechen, scheinen die Juden „selbst schuld“ zu sein an Vertreibung und Mord. Wolfs Filme spiegeln die Schwierigkeiten wider, die das Verhältnis zu den Juden nach 1945 bestimmen. Den Staat Israel erkennt die DDR nicht an, die wenigen in der DDR verbliebenen Juden verschweigen lieber nach dem Slansky- und den Moskauer Ärzteprozessen ihr Jüdischsein. Gertrud Koch nennt Beispiele für die Repressionen, denen jüdische Bürger in der DDR ausgesetzt waren: „Seit dem Winter 1952/53 wurden die Kaderakten der jüdischen Parteimitglieder überprüft und Juden aus hohen Positionen ausgeschlossen. Es kam zu routinemäßigen Wohnungsdurchsuchungen, Personalausweise wurden eingezogen, die Vorsteher jüdischer Gemeinden wurden verhört und aufgefordert, das Joint (American Jewish Joint Distribution Committee) als Organisation jüdischer Agenten zu denunzieren, Zionismus mit Faschismus gleichzu- setzen und Wiedergutmachungszahlungen abzulehnen, weil sie einer Ausbeutung des deutschen Volkes gleichkämen. Rabbiner und Gemein- devorsteher riefen im Frühjahr 1953 die Juden auf, die DDR zu verlas- sen. Die SED löste die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Nazi- regimes) auf und gründetet an deren Stelle das Komitee der antifaschisti- schen Widerstandskämpfer, das die spezifisch jüdische Problematik nazistischer Verfolgung ausklammerte.“188 188 Koch, Gertrud: Vom Verschwinden der Toten unter den Lebenden. Holocaust und Identitätskonfusion in den Filmen von Konrad Wolf. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Heft 17: Erinnerung und Geschichte. Hrsg. von Jürgen Felix, Günter Giesenfeld, Heinz-B. Heller, Knut Hickethier u.a. Marburg, 1994, S. 54. I.8. Bilder des Holocaust 101 Dieser politische Hintergrund muß berücksichtigt werden, wenn wir der Frage nachgehen, warum wenige Jüdinnen und Juden in den Filmen der DDR vorkommen. Erst in den achtziger Jahren hat sich aufgrund verän- derter außenpolitischer Interessen - die DDR ringt um internationale An- erkennung - das Verhältnis zum Staat Israel und zu jüdischen Organisa- tionen verbessert. Im DDR-Film beginnt wie oben dargelegt nach dem Mauerbau eine Phase des künstlerischen Aufbruchs. Das kurze Tauwetter ist aber mit dem 11. Plenum des ZK der SED, 1965, vorbei. Die bis dahin entstande- nen Filme, die zum Teil sehr mutig inhaltlich und formal Probleme der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit aufgreifen, dabei die sozialisti- sche Idee aber nie grundsätzlich in Frage stellen, laufen nur kurz in den ostdeutschen Kinos oder gelangen überhaupt nicht zur Aufführung. Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich oder Frank Beyers Spur der Steine landen wie neun weitere Filme im Giftschrank. Die genauen Gründe für das harte Durchgreifen der Zensoren sind den Filmemachern nicht klar. Sie vermuten einen Kotau vor den Dogmatikern in Moskau, die ein Jahr zuvor Kruščëv gestürzt haben, oder einfach Furcht vor Kritik, die irgendwann außer Kontrolle geraten könnte. Die Partei wittert ständig Verrat und sieht die Filme der DEFA von „Skeptizismus“ geprägt. Polit- büromitglied Paul Verner faßt zusammen: „Die hier gezeigten Filme sind politisch falsch, schädlich und bedeuten im Grunde genommen einen Angriff auf unsere sozialistische Gesellschaft in der DDR.“189 Die Partei greift hart durch, Regisseure wie Frank Beyer oder Günter Stahnke können nicht mehr für die DEFA arbeiten, andere wie Kurt Maetzig ver- fassen reuevolle Artikel für das Parteiorgan und produzieren danach Filme, die nicht weiter auffallen. Der künstlerische und politische Aufbruch von 1968 findet in der DDR nicht statt. Den Prager Frühling beenden auch Truppen der NVA. Hoff- nungen verbinden manche Kulturschaffende mit der Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker. Er verkündet nach dem VII. Parteitag: „Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben.“190 Trotz der verschiedenen Interpretationen, die dieser Satz zu- läßt, entstehen zwischen 1971 und 1975 bemerkenswerte Filme. Ein solcher ist Jakob, der Lügner von 1974, einer der wenigen Filme, die als DDR-Holocaustfilme bezeichnet werden können. Er bringt der DEFA 189 Verner, Paul: Der Künstler soll Mitgestalter unserer Gesellschaftsordnung sein. In: Neues Deutschland vom 20.12.1965, S. 4. 190 Honecker, Erich am 17.12.1971, zit. nach: Klunker, Heinz: Expeditionen in den Alltag. Nach Ulbricht: DDR-Filme einer DDR-Generation. In: Film in der DDR. Mit Beiträgen von Heiko R. Blum u.a. München, 1977, (= Reihe Film 13), S. 135. I.8. Bilder des Holocaust 102 internationale Anerkennung. Erstmals rückt in einem Spielfilm der jüdi- sche Widerstand im Warschauer Ghetto in den Mittelpunkt. Jakob, der Lügner, nach dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker, ist eine deutsch-tschechische Co-Produktion, Regie führt Frank Beyer, der die Idee der Romanverfilmung schon Mitte der sechziger Jahre gehabt hat, sie aber aufgrund der veränderten kulturpolitischen Situation nach dem 11. Plenum erst ein Jahrzehnt später umsetzen kann. Jakob, der Lügner erzählt die Geschichte des Schneiders Jakob, der vorgibt, ein Radio zu besitzen. Er tröstet die anderen Ghettobewohner mit Nachrichten, wo- nach die Befreiung durch die Rote Armee unmittelbar bevorstehe. Der Film ist die einzige DEFA-Produktion, die für den Oscar nominiert wird. 1973 entsteht Der nackte Mann auf dem Sportplatz von Konrad Wolf, Buch: Wolfgang Kohlhaase, Kamera: Werner Bergmann. In den Inhalts- angaben der Filmlexika findet sich nur der Hinweis darauf, daß es sich um die Reflexionen eines Bildhauers handelt, der sich fragt, für wen er seine Werke schafft. In diesem Film geht es aber um mehr. Um Erinne- rung und Gedächtnis und um die Frage, wie Kunst beitragen kann, histo- rische Ereignisse im kollektiven Gedächtnis zu verankern. In einer Szene fragt der Künstler eine junge Frau, was ihr einfällt, wenn sie das Wort Babij Jar hört. „Indianisch“ kommt es ihr vor. Daß in der Schlucht von Babij Jar 1943 an zwei Tagen mehr als dreißigtausend Zivilisten von deutschen Einsatzgruppen ermordet worden sind, weiß sie nicht, eben- sowenig von dem Bemühen russischer Intellektueller wie Evgenij Evtušenko, ein Mahnmal in Babij Jar zu errichten. 1976, mit der Ausweisung Wolf Biermanns, beginnt wieder eine längere Frostperiode. Die Künstler, die nicht bereit sind, öffentlich die Auswei- sung gutzuheißen, geraten unter Druck, bekommen als Regisseure und Schauspieler kaum noch Aufträge. Viele beantragen ihre Ausreise. In den achtziger Jahren ist die Kulturpolitik sowohl durch Willkür als auch durch Pragmatik gekennzeichnet. Eine Phase der Stagnation. Propaganda betreibt mehr das Fernsehen der DDR als der Film. Die in der DDR ge- bliebenen Regisseure verlegen sich auf historische Stoffe und Literatur- verfilmungen. Was die Auseinandersetzung mit der nationalsozialisti- schen Vergangenheit und dem Jüdischsein anbelangt, so sind im Film kaum Veränderungen zu erkennen. Die Ausstrahlung der Serie Holo- caust im westdeutschen Fernsehen 1979 kommentieren die Kritiker noch mit den bekannten antiamerikanischen und antisemitischen Versatz- stücken.191 Der in den achtziger Jahren allmählich einsetzende Wandel im Verhältnis zu den Juden und dem Staat Israel beeinflußt stärker das Ausstellungsangebot, Restaurierungen, Lesungen oder Konzerte als den 191 Siehe Kap. II.6.6, Exkurs: Die Holocaust-Resonanz in der DDR. I.8. Bilder des Holocaust 103 Film. Aber es gibt Produktionen wie Roland Gräfs Fariaho (1982) und Rainer Simons Jadup und Boel (1981/88), der aber zunächst nicht zur Aufführung gelangt. Einzelschicksale jüdischer Menschen rücken in den Mittelpunkt, so in Konrad Weiß‘ Film Dawids Tagebuch (1980), in dem Zeitzeugenfilm Sonst wären wir verloren... Buchenwaldkinder erinnern sich oder in`S brent, einen Film über die Interpretin jüdischer Lieder, Lin Jaldati (1983). Peter Rochas Film Das Singen im Dom zu Magdeburg zeigt den jüdischen Kantor Estrongo Nachama. In dem in seiner Thematik stark an Kurt Maetzigs Ehe im Schatten erin- nernden Werk Die Schauspielerin von 1988 stellt der Regisseur Sieg- fried Kühn ebenfalls ein Paar in den Mittelpunkt, das nach den Gesetzen der Nazis „Rassenschande“ begeht. Die Hauptfigur, gespielt von Corinna Harfouch, ist eine erfolgreiche „arische“ Schauspielerin, ihr Geliebter aber jüdisch. Sie täuscht Selbstmord vor und nimmt aus Liebe eine andere Identität an. Gemeinsam mit ihrem Mann arbeitet sie als Schau- spielerin im Berliner Theater des Jüdischen Kulturbundes, das den Nazis bis zu seiner Schließung 1941 als Alibi gegenüber dem Ausland dient. Das Schicksal des Schauspieler-Paares bleibt offen. Trotz der Bemühungen einiger weniger vor allem junger Autoren und Regisseure, dem DEFA-Film künstlerisch neue Impulse zu geben, war der Film der DDR schon vor dem Fall der Mauer kaum mehr konkur- renzfähig. Was bleibt, ist die Erkenntnis, daß der staatliche Einfluß auf künstlerisches Schaffen nicht verhindert, zuweilen gar befördert hat, daß in allen Jahrzehnten überragende Filme von der DEFA produziert wor- den sind. Auseinandersetzung mit der NS-Zeit hat vor allem in den frühen Filmen stattgefunden, nach der Gründung zweier deutscher Staa- ten haben ideologische Vorgaben die Auswahl der Stoffe und die Inter- pretation historischer Ereignisse bestimmt. Der staatlich verordnete Anti- faschismus hat dazu geführt, den kommunistischen Widerstand in den Vordergrund zu rücken, der Vernichtung der Juden hingegen kaum Beachtung zu schenken. I.8.4. Bundesdeutsche Filme zu Nationalsozialismus und Holo- caust (1949-1990; 1990-1999) In diesem Überblick über die bundesdeutschen Produktionen mit Bezug auf Nationalsozialismus und Holocaust kann wie im Kapitel zuvor nur am Rande auf politische und künstlerische Entwicklungen eingegangen werden. I.8. Bilder des Holocaust 104 Schon der deutsche Nachkriegsfilm überzeugt die Kritiker nicht.192 Die Urteile über den bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre sind ebenso hart und belegen die Enttäuschung über den verpaßten Neuanfang im Film. So spricht Ulrich Gregor von „künstlerischer Stagnation“ bei „wirtschaftlicher Hochblüte“, von „Wirklichkeitsflucht“, „Sentimentali- tät“ und „Autoritarismus“. Das erfolgreiche Genre Heimatfilm bezeich- net er als „Inkarnation provinzieller Beschränktheit“. Theodor Kotulla hat Anfang der sechziger Jahre eine Auflistung der „markantesten Stereotypen“ im westdeutschen Nachkriegsfilm vorgelegt. Sie lauten: • „Der Nationalsozialismus und der Hitler-Krieg sind mit der Gewalt einer unausweichlichen Naturkatastrophe über das ahnungslose deut- sche Volk hereingebrochen.“ • „Der deutsche Soldat hat nur seine Pflicht fürs Vaterland getan; zwischen ihm und den Verbrechen der Nationalsozialisten ist scharf zu trennen.“ • „Der deutsche Widerstand wurde von hohen Militärs geleistet.“ • „Die deutsche Teilung ist eine Quelle menschlichen Leids.“ • „Das Übel am deutschen Wirtschaftswunder ist der Wirtschafts- boß.“193 Diese Äußerungen belegen, wie unbeliebt der westdeutsche Film bei der Kritik ist, wie beliebt hingegen bei der Mehrheit der Zuschauer. 1958 verzeichnen die bundesdeutschen Kinos 817,5 Millionen Besucher.194 Mit den Schrecken des Krieges, mit Vertreibung und Mord mag die Mehrheit des Publikums der fünfziger Jahre nicht belästigt werden. Den- noch hat es Versuche gegeben, sich mit der unmittelbaren Vergangenheit auseinanderzusetzen. Artur Brauner startet diese Versuche immer wieder, auch nach Morituri, der ihm viel Ärger und finanzielle Verluste beschert hat. So produziert seine CCC 1955 den Film Der 20. Juli, Regie Falk Harnack. Und auch G.W. Pabst setzt sich mit dem Attentat auf Hitler auseinander in Es ge- schah am 20. Juli. Diese Filme stehen am Beginn einer differenzierten Sicht auf den militärischen Widerstand gegen Hitler. Galten die Männer um Stauffenberg bis dahin vielen als Verräter, zeigen die genannten Filme, welche Motive die Widerständler leiteten. Als Gegner Hitlers erscheinen auch die Hauptfiguren in den Filmen Canaris und Des Teu- 192 Vgl. Schnurre, Wolfdietrich: Rettung des deutschen Films. Eine Streitschrift. In: Der Deutschenspiegel. Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung, Bd. 38. Hrsg. von Gerhart Binder. Stuttgart, 1950. 193 Kotulla, Theodor: Zum Gesellschaftsbild des Films in der Bundesrepublik. In: Frank- furter Hefte. 17. Jg., H. 6/1962, S. 406f. 194 Vgl. Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960. München, 1978, S. 122. I.8. Bilder des Holocaust 105 fels General. Wilhelm Canaris, Chef der deutschen Abwehr und Gegen- spieler des SS-Obergruppenführers Heydrich, steht im Mittelpunkt des Films von Alfred Weidenmann. Er wird 1955 mit dem Deutschen Film- preis ausgezeichnet, der Verleih ändert den Titel bezeichnenderweise in Ein Leben für Deutschland – Admiral Canaris. In Des Teufels General nach dem erfolgreichen Theaterstück von Carl Zuckmayer und mit Curd Jürgens in der Rolle des Hauptmann Harras geht es um die Gewissens- konflikte eines Generals, der vor allem seiner Flugleidenschaft frönen will. In der Zeitschrift Film ´56 faßt der Kritiker zusammen: „Mag man jeden einzelnen dieser Filme für tragbar oder wenigstens harmlos halten, so ist das Gesamtbild fatal. Die Art, wie der Widerstand angegangen wird, ist symptomatisch: Niemals wird ein durchschnittlicher Zeitgenosse in den Mittelpunkt gestellt; stets gehört der Held den höheren Chargen an. So weiß der Zuschauer im Parkett: er ist nicht gemeint. Das Grundübel des mangelnden politischen Bewußtseins und der blinden Autoritätsgläubig- keit bleiben unberührt.“195 In die Gruppe der verharmlosenden Kriegs- bzw. „Anti“-Kriegs- und Militärfilme gehören neben Canaris und Des Teufels General, 08/15, Hunde, wollt ihr ewig leben, Unruhige Nacht, Haie und kleine Fische, Die letzte Brücke, Nacht fiel über Gotenhafen. Auf Schuldzuweisungen wird verzichtet. Der Krieg erscheint als Schick- salsschlag, die Täter als Opfer. Politisch-historische Reflexion findet nicht statt. Sie alle zeigen den deutschen Soldaten als jemanden, der nur seine Pflicht getan hat, dabei „anständig“ geblieben ist oder als Verführ- ten, der seinen Irrtum aber einsehen mußte. Diese Filme haben zum Mythos „saubere Wehrmacht“ beigetragen. Die Ausstellung „Vernich- tungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung thematisiert diese von der westdeutschen Nachkriegspublizistik betriebene Legendenbildung. Entspechend heftig sind die Reaktionen der Ausstellungsgegner. Als einer der wenigen in seiner Aussage eindeutigen Antikriegsfilme gilt den Kritikern Die Brücke von Bernhard Wicki aus dem Jahr 1959. Eine Gruppe Jugendlicher wird in den letzten Wochen des Krieges einge- zogen. Die fanatisierten jungen Männer, stolz, für ihr Vaterland kämpfen zu dürfen, erhalten den völlig sinnlosen Auftrag, eine Brücke zu vertei- digen. Alle, bis auf einen, kommen dabei ums Leben. Wicki erwirbt sich nationale und internationale Anerkennung durch diesen Film, der auf- grund seiner gesellschaftlichen Analyse und der formalen Mittel über- 195 Zit. nach Gregor, Ulrich: Der deutsche Film seit 1951 im Spiegel des Deutschen Film- preises. In: Deutscher Filmpreis 1951-1980. Hrsg. vom Bundesminister des Innern. Bonn, 1980, S. 19. I.8. Bilder des Holocaust 106 zeugt. Der Film wird 1960 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, das Filmband in Silber erhält Wolfgang Staudte für seinen Film Rosen für den Staatsanwalt. Er thematisiert die personellen Kontinuitäten im Justizwesen. Ein kurz vor Kriegsende wegen Diebstahls von Schokolade zum Tode verurteilter Mann erkennt seinen Richter wieder. Der Mann hatte wenige Minuten vor der Hinrichtung fliehen können, als ein Luft- angriff für allgemeine Verwirrung sorgte. Jahre später ist der Richter ein angesehener Oberstaatsanwalt. Seinem Opfer gelingt es, ihn unfreiwilli- gerweise zum Eingeständnis seiner Tat zu bringen. Staudte variiert damit das in der DEFA-Produktion Die Mörder sind unter uns behandelte Thema der Täter, die nach 1945 weitermachen, als sei nichts geschehen. Anhand zweier exemplarischer Figuren, dem typischen Mitläufer und dem ewigen Verlierer, zeigt auch Helmut Käutners Satire Wir Wunder- kinder von 1959, wie leicht manchen der Wechsel von der NS-Diktatur zum bundesdeutschen Wirtschaftswunder gefallen ist. Diese Filme stellen eher Ausnahmen dar. Das Gros der Produktionen der fünfziger Jahre ist wirklichkeitsfern, sentimental, bieder und klischee- beladen. Wie für die Politik gilt für den westdeutschen Film: „keine Ex- perimente“. So sind viele Werke geprägt vom UFA-Stil der dreißiger und vierziger Jahre, ein künstlerischer Neuanfang hat genausowenig stattgefunden wie ein personeller. Selbst jemand, der wie Veit Harlan mit seinen Propagandafilmen den Nazis dienstbar gewesen ist, setzt nach kurzem Berufsverbot seine Arbeit fort. Allerdings nicht vollkommen un- behelligt. Harlan wird angeklagt, daß er „... durch die Art und Weise der Verfassung und Darstellung des Films Jud Süß in bewußter Verfäl- schung der historischen Tatsachen auf das breite Publikum einwirken wollte und auch eingewirkt habe, um dieses gegen die Juden aufzu- hetzen, und die Maßnahmen der Nazi-Regierung gegen die Juden ideo- logisch einzuleiten und zu rechtfertigen. Sein Verschulden habe den Anlaß zu maßlosen Ausschreitungen gegeben.“196 Einen Zusammenhang zwischen dem Film Jud Süß und der rassistischen Verfolgung der Juden während des Nationalsozialismus können die Staatsanwaltschaft und die jüdischen Nebenkläger jedoch nicht beweisen. Der Regisseur wird im April 1949 freigesprochen, der „Fall Harlan“ ist damit aber nicht been- det. Der Leiter der Staatlichen Hamburger Pressestelle, Erich Lüth, ruft im September 1950 bei der Eröffnung der „Deutschen Filmwoche“ zum Boykott des Films Unsterbliche Geliebte auf. Er bittet Produzenten, Verleiher und Kinobesitzer, diesen und andere Filme Harlans nicht auf- zuführen. Per einstweiliger Verfügung wird Lüth verboten, den Boykott- 196 Vgl. zum „Fall Harlan“ Bergmann, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989. Frank- furt/M., New York, 1997, S. 86-117. I.8. Bilder des Holocaust 107 Aufruf zu wiederholen. Lüth klagt dagegen und findet Unterstützung bei Vertretern von Kultur, Politik, Kirchen und Gewerkschaften. Doch auch Harlan wird in Schutz genommen. Die öffentliche Meinung ist gespalten. Lüth geht durch alle Instanzen und legt schließlich Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Dieses urteilt sechs Jahre später, 1958, daß Lüths Äußerungen keinen Verstoß gegen die guten Sitten und keinen Boykott-Aufruf im zivilrechtlichen Sinne darstellen, sondern verfas- sungsrechtlich durch die in Art. 5, GG garantierte Meinungsfreiheit ge- schützt seien. Die als „Lüth-Urteil“ in die bundesdeutsche Rechts- geschichte eingegangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt manchen als erster Sieg der Demokratie; die Jahre andauernde publi- zistische Kontroverse über den „Fall Harlan“ als beispielhafte Auseinan- dersetzung mit den personellen Kontinuitäten im deutschen Film. Ulrich Gregor kann im bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre nur insofern etwas Positives erkennen, als er bei einigen Filmemachern und Kritikern eine solche Abwehrhaltung hervorgerufen hat, daß sie vehe- ment einen echten Neubeginn fordern. Die durch das Aufkommen des Fernsehens sich zusätzlich vertiefende Kino-Krise führt schließlich dazu, daß sich während der 8. Westdeutschen Kurzfilmtage 1962 einige junge Autoren zusammenfinden und einen Aufruf verfassen. Im „Oberhause- ner Manifest“ erklären sie ihren Anspruch, den neuen deutschen Film zu schaffen. „Dieser neue Film braucht Freiheiten. Freiheit von den brancheüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormundung durch Interessen- gruppen.“197 In den folgenden Jahren entsteht ein kompliziertes System der Film- förderung, die Mittel kommen aus dem Bundesinnenministerium (An- schubfinanzierung für das „Kuratorium Junger Deutscher Film, 1965), später von der Filmförderungsanstalt (1968) und den Ländern. Bis die ersten „neuen deutschen Filme“ aufgeführt werden können, vergehen vier Jahre. 1966 gilt als das „Jahr 1“ des Jungen Deutschen Films mit Werken von Schlöndorff, Schamoni, Reitz u.a. Der erste Spielfilm Alex- ander Kluges trägt den programmatischen Titel Abschied von gestern. Die Hauptfigur, als „Anita G.“ vorgestellt, sammelt nach ihrer Flucht aus der DDR Erfahrungen in der westdeutschen Gesellschaft. Keine guten. Beiläufig wird erwähnt, daß Anita G. Jüdin ist. Zu sehen ist im Film auch der Staatsanwalt im Frankfurter Auschwitz-Prozeß, Fritz Bauer. 197 Vgl. Die Oberhausener. Rekonstruktion einer Gruppe 1962-1982. Hrsg. von Rainer Lewandowski. Diekholzen, 1982, S. 29. Unterzeichnet haben das Manifest 26 Filme- macher, Kameraleute und Produzenten, darunter Peter Schamoni, Edgar Reitz und Alexander Kluge. I.8. Bilder des Holocaust 108 Einer der wenigen Filme, in denen es um das Weiterleben der Über- lebenden des Holocaust geht und einer der wenigen Filme, die die ju- ristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen thematisieren, ist Zeugin aus der Hölle. Produziert wird der Film, der zunächst den Arbeitstitel Bittere Kräuter erhält, von Artur Brauners CCC. Die Regie führt bei dieser deutsch-jugoslawischen Co-Produktion Zika Mitrovic. Uraufgeführt wird der Film am 29.6.1967 in Berlin. Die Jüdin Lea Weiß soll gegen ihren Peiniger aussagen. Der Staatsanwalt (Heinz Drache, bekannt aus den Edgar-Wallace-Verfilmungen) und ein Freund (Daniel Gélin) versu- chen Lea von der Notwendigkeit ihrer Aussage zu überzeugen. Sie, die von Nazis bedroht wird, fürchtet die Konsequenzen. Und sie hat Angst, alles wieder durchleben zu müssen, wenn sie mit den Tätern konfrontiert wird. Sie begeht Selbstmord. Der Film Zeugin aus der Hölle ähnelt stark der ostdeutschen Produktion Chronik eines Mordes. Auch mit Alexander Kluges Abschied von gestern gibt es Gemeinsamkeiten. Die drei Filme sind zur gleichen Zeit entstanden (nach dem Eichmann- und dem Frankfurter Auschwitz- Prozeß) und spielen in Westdeutschland. Im Mittelpunkt steht eine jüdi- sche Überlebende des Holocaust, die Gerechtigkeit statt Geld fordert. Sie zerbricht an ihrer Geschichte und an dem Verhalten ihrer Mitmenschen in der Gegenwart. Abschied von gestern erhält zwar von der Filmbewer- tungsstelle Wiesbaden das Prädikat „wertvoll“, findet aber in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wenig Beachtung. Zeugin aus der Hölle erhält „wegen handwerklicher Mängel“ kein Prädikat. Er wird erst 1998 zum 80. Geburtstag Artur Brauners und 1999 während der Tagung der Arbeitsgruppe „Cinematographie des Holocaust“ im Frankfurter Film- museum wiederaufgeführt.198 Einen wesentlichen Anteil an der Auseinandersetzung mit der Vergan- genheit durch das Medium Film hat in den sechziger Jahre das öffent- lich-rechtliche Fernsehen, hier insbesondere die Dokumentar- und Fern- sehspielredaktionen der ARD und ab 1963 auch das Zweite Deutsche Fernsehen, ZDF. Die Täter in den Blick nimmt der Film KZ-Schergen, produziert vom WDR im Jahr 1958. Er zeigt Bilder der Verhandlung gegen die SS-Aufseher Wilhelm Schubert und Gustav Sorge und vom Ort ihrer Verbrechen, dem Lager Sachsenhausen. Der Film endet mit dem Urteilsspruch „lebenslänglich für beide“. Die Abteilung Fernseh- spiel des NDR erwirbt sich Anerkennung mit Produktionen wie Wer 198 Vgl. Loewy, Ronny: Zeugin aus der Hölle und die Wirklichkeit des Auschwitz-Prozes- ses. In: Die Vergangenheit der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holo- caust im deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut. Frankfurt/M., 2001, S. 26-28. Und: Dillmann-Kühn, Claudia: Zu bittere Kräuter: Zeugin aus der Hölle. Produktion und Rezeption eines „riskanten“ Films. In: A.a.O., S. 29-35. I.8. Bilder des Holocaust 109 überlebt, ist schuldig (1960, Regie: Axel Eggebrecht), Die Anfrage (1962, Regie: Egon Monk), Unruhige Nacht (1962, Regie: Oliver Storz), Mauern (1963, Regie: Egon Monk und Gunter R. Lys) und Ein Tag. Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 (1965, Regie: Egon Monk und Gunter R. Lys.) Als Beispiel für die im Fernsehen auf hohem Niveau geführte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit soll das Fernsehspiel Ein Tag in Kap. II.5 analysiert werden. Die politischen Entwicklungen der späten sechziger Jahre finden nur wenig Niederschlag im westdeutschen Film. Die große Koalition in Bonn und die Entstehung einer außerparlamentarischen Opposition, der in Teilen der Bevölkerung vorhandene Wunsch nach Veränderungen, „Reformen“, kommen nur am Rande vor. Nationalsozialismus und Holocaust aber werden nicht länger beschwiegen, sondern in Filmen wie Mord in Frankfurt (1968), Wie ein Hirschberger Dänisch lernte (1968), Kaddisch nach einem Lebenden (1969), Bilder aus einem fremden Land – Deutschland 1945 (1971) thematisiert. Mitte der siebziger Jahre spre- chen Filmkritiker gar von einer „Hitler-Welle“ und meinen damit den Trend, die Protagonisten des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt eines Films zu stellen. Zu dieser Gruppe von Filmen gehören Theodor Kotullas Aus einem deutschen Leben (1977)199, Hans Jürgen Syberbergs Hitler – ein Film aus Deutschland200 und Joachim C. Fests Kompila- tionsfilm Hitler – eine Karriere (1977).201 Die Kluft zwischen der kommerziell erfolgreichen Massenware einer- seits und den künstlerisch ambitionierten Werken eines Kluge, Reitz, Straub, Schlöndorff, Wenders, Lilienthal, Herzog oder Fassbinder ande- rerseits ist groß. Nur mit einigen ihrer Filme erreichen die genannten Regisseure ein größeres Publikum, so, wenn es sich um Literaturver- filmungen handelt oder die Story in gewohnter Weise erzählt wird. Der Spiegel lobt die „Wunderkinder“ des neuen deutschen Films, verweist aber auf die geringe Resonanz beim Publikum und darauf, daß der 199 Der Film basiert auf dem Roman von Robert Merle „Der Tod ist mein Beruf“ und auf autobiographischen Aufzeichnungen des KZ-Kommandanten Rudolf Höß. Den Höß spielt Götz George. 200 Der Film wird in London uraufgeführt. In Deutschland will Syberberg den siebenein- halbstündigen Film zunächst nicht zeigen – Höhepunkt einer von ihm selbst inszenier- ten publizistischen Kontroverse. Eine solche entzündetet sich auch an seinem Film Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914-1975, in dem die Schwiegertochter Wagners lange Lobreden auf Hitler hält. Siehe auch das Buch zum Film: Syberberg, Hans-Jürgen: Hitler, ein Film aus Deutschland. Reinbek bei Hamburg, 1978. 201 Fests Film ist umstritten. So wirft ihm Wim Wenders vor: „Dieser Film ist von den Faschisten abgeschrieben worden, Bild um Bild.“ Wenders, Wim: That´s entertainment: Hitler. In: Die Zeit, Nr. 33 vom 5.8.1977, S. 34. I.8. Bilder des Holocaust 110 Binnenabsatzmarkt durch US-Filme begrenzt ist.202 Zeichen der Krise des deutschen Films ist außerdem die sinkende Zahl der Kinotheater und Sitzplätze. Zwischen 1959 und 1979 hat sich die Zahl der Filmtheater halbiert (1959: 7.085, 1979: 3.196), die der Sitzplätze ist um ein Drittel (1959: 2.926.000, 1979: 932.000) zurückgegangen. In den Kinosälen, die manchmal nicht viel größer als ein Wohnzimmer sind, läuft routiniert abgedrehte Massenware. Die Referenz- und die Projektfilmförderung der FFA und die Prädikatisierungen der FBW tragen insgesamt wenig zur Förderung der Qualität des deutschen Films bei. Doch im Ausland sorgen die neuen deutschen Autorenfilme für Aufsehen. Das US-ameri- kanische Nachrichtenmagazin Newsweek beschreibt in einer Titel- geschichte 1976 „The German Film Boom“: „Mehr als 40 Jahre nach- dem der Nationalsozialismus den goldenen Zeiten des deutschen Films ein Ende bereitet hat, bringt eine engagierte Mannschaft junger Regis- seure Deutschland auf die kinematographische Landkarte zurück.“203 Deutlich ist in vielen dieser Filme das Ringen mit der deutschen Vergan- genheit, die Auseinandersetzung mit sozialpsychologischen Fragen und dem, was Siegfried Kracauer die deutsche Kollektivmentalität genannt hat.204 Als Beispiel kann die Verfilmung des Romans Die Blechtrommel von Günter Grass dienen. Eine jüdische Figur, der Spielzeugladenbe- sitzer Herr Markus, spielt eine zentrale Rolle. Er versorgt den kleinen Oskar Matzerat mit Blechtrommeln. Eines Tages liegt der gutmütige Mann ermordet vom Nazi-Mob in seinem Laden. Oskar nimmt „als legi- timer Erbe“ die vorrätigen Trommeln an sich. Volker Schlöndorff, über- aus versiert, was die Adaption literarischer Stoffe anbelangt, wird mit der „Goldenen Palme“ in Cannes und dem „Oscar“ für den besten nicht englischsprachigen Film ausgezeichnet. Auch in Werken wie dem als Reaktion auf den Terrorismus der siebziger Jahre entstandenen Gruppenfilm Deutschland im Herbst, in Rainer Werner Fassbinders Die Ehe der Maria Braun, in Alexander Kluges Die Patriotin und Peter Lilienthals David stehen die deutsche Geschichte und ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart im Mittelpunkt. David zeigt das Schicksal einer Rabbinerfamilie in der Zeit nationalsozialistischer Judenverfolgung, in der Patriotin gräbt die Geschichtslehrerin Gabi Tei- chert (Hannelore Hoger) im wahren Sinne des Wortes nach deutscher 202 Vgl. Lorbeer für die Wunderkinder. Spiegel-Titelgeschichte. In: Der Spiegel, Nr. 47 vom 17.11.1975, S. 182-196. 203 Newsweek vom 2.2.1976, S. 42ff. Zit. nach Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin. Stuttgart, Weimar, 1993, S. 548. 204 Vgl. Kracauer, Siegfried: Schriften: Hrsg. von Karsten Witte. Bd. 2. Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt/M, 1979 (1947), S. 286f. I.8. Bilder des Holocaust 111 Geschichte. Ihre Fundstücke versucht sie in einen Zusammenhang zu bringen, sie fragt, was „Deutschland“ bedeutet. Ein Zwischentitel mit einem Karl-Kraus-Zitat hilft nicht weiter: „Je näher man ein Wort an- sieht, desto ferner sieht es zurück.“ Von verschiedenen Seiten, z.B. von US-amerikanischer Studenten, ist der Einwand vorgebracht worden, daß in den bundesdeutschen Filmen der siebziger und achtziger Jahre jüdische Figuren selten sind, entspre- chend der „Logik“: Die Juden sind nicht mehr da, also können sie nicht in deutschen Filmen nach 1945 vorkommen. Eine Ausnahme bildet Abschied von gestern. Was die anderen Filme Alexander Kluges anbe- langt, so vertritt z.B. Thomas Elsaesser die These von der „Fehlleistung als Trauerarbeit“.205 Der Filmwissenschaftler meint, daß gerade durch das Fehlen jüdischer Figuren und durch das Fehlen von Bildern des Holocaust dieser ins Bewußtsein der Zuschauer gerückt werde. Diese These kann nur z.T. überzeugen. Zunächst sollte ein Film danach beur- teilt werden, was er zeigt. Das Nichtgezeigte mitzudenken, setzt ein Vorwissen der Zuschauer voraus. Die wenigen Intellektuellen, die Kluges Arbeiten schätzen, verfügen über dieses Vorwissen. Sie denken vielleicht – in Dialektik geschult – auch an die Shoah, wenn sie Bilder der Bombardierung deutscher Städte und die in Gefangenschaft ziehen- den deutschen Soldaten sehen. Laut Kluge entsteht ein Film im Kopf des Zuschauers. So gesehen, ist die Annahme, daß der Holocaust durch Nichtpräsenz indirekt thematisiert wird, nicht völlig abwegig. Sie zeigt aber, wie vielfältig Filme gedeutet werden können. Jeder Zuschauer sieht einen anderen Film, und manche Zuschauer sehen auch da einen Holo- caustfilm, wo der Holocaust nicht gezeigt wird. Im selben Jahr, Ende Januar 1979, wird die US-amerikanische Serie Holocaust in den Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt. Die publi- zistische Kontroverse, die dieses TV-Ereignis auslöst, ist überwälti- gend.206 Wurde schon bis dahin dem Thema Nationalsozialismus und Judenverfolgung zumindest seit Mitte der sechziger Jahre eine immer größere Aufmerksamkeit zuteil, entstehen in den achtziger Jahren noch mehr Filme mit historischem Bezug, präziser: Filme, die das Leiden der jüdischen Opfer in den Blick nehmen. Das mag zum einen mit dem - nur zum Teil berechtigten - Vorwurf zu tun haben, daß die Deutschen sich zu wenig mit diesem Thema beschäftigt hätten, zum anderen aber auch mit den Filmemachern und dem Publikum. Bei beiden scheint das Interesse 205 Vortrag während der Tagung der Arbeitsgruppe „Cinématographie des Holocaust“ am 1.12.1999 in Frankfurt/M. Inzwischen nachzulesen in dem Band: Die Vergangenheit in der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holocaust im deutschen Nach- kriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut, Frankfurt/M., 2001, S. 54-67. 206 Siehe Kapitel II.6. I.8. Bilder des Holocaust 112 für diese Stoffe gewachsen zu sein. Anders als in den fünfziger Jahren gehen Filmemacher dieses Thema an, getrieben von dem Wunsch aufzu- klären, endlich herauszubekommen, was damals war und wie es dazu kommen konnte. Ein weiterer Grund wird sein, daß in den achtziger Jahren historischer Daten zum 40. oder 50. Mal gedacht wird. 50 Jahre sind seit der Machtergreifung/Machtübernahme 1933, der Bücherver- brennung 1933, den antijüdischen Pogromen 1938, dem Kriegsausbruch 1939 vergangen. 40 Jahre seit der Wannseekonferenz 1942, der Befrei- ung der Lager und dem Kriegsende 1945. Ein anderer Grund für Filme- macher, den Holocaust ins Gedächtnis zu rufen, mögen die im Histo- rikerstreit 1986 diskutierten „apologetischen Tendenzen in der deutschen Geschichtswissenschaft“ (Jürgen Habermas) und ein Erstarken des Rechtsextremismus gewesen sein. Vor allem im Fernsehen findet die Auseinandersetzung mit der Vergan- genheit statt. Wie in Holocaust steht häufig das Schicksal einer jüdischen Familie im Mittelpunkt, so in den beiden Filmen Egon Monks Die Geschwister Oppermann (1983) und Die Bertinis (1988); in Regen- tropfen (1981), Stern ohne Himmel (1981) oder Ein Stück Himmel (1982) erzählt aus der Perspektive eines Kindes. Die während der Wannsee- konferenz 1942 getroffene Entscheidung zum Mord an den europäischen Juden ist Thema des Films Die Wannseekonferenz (1984). Den Alltag im NS-Staat und die zunehmende Verfolgung der jüdischen Bürger nehmen Erwin Leiser und Eberhard Itzenplitz in Die Mitläufer (1984) in den Blick. Um Alltag im NS-Staat geht es auch in der elfteiligen Chronik Heimat von Edgar Reitz. Der Regisseur sieht in seiner Arbeit durchaus einen Gegenentwurf zur US-amerikanischen Serie Holocaust. Heimat erzählt vom Leben der Maria Simon und ihrer Familie in dem fiktiven Hunsrückdorf Schabbach zwischen 1919 und 1982. Heimat, als eine Art filmischer Geschichtsschreibung von unten, ist beim deutschen Fernseh- publikum überaus erfolgreich, Kritiker aber merken wiederum an, daß in Reitz´ Zyklus die Verfolgung der Juden nicht vorkommt.207 Eine wichtige TV-Produktion des Jahres 1984 ist auch Eberhard Fech- ners Der Prozeß.208 Wie bei der Ausstrahlung von Holocaust und zwei Jahre später der von Shoah entzündet sich eine publizistische Kontro- verse über Ort und Zeitpunkt der Ausstrahlung. Von Abschieben in die Dritten Programme ist die Rede. Abgesehen davon sind sich alle einig, 207 Stellungnahmen des Regisseurs zu diesem Vorwurf in Kaes, Anton: Deutschlandbilder. Die Wiederkehr der Geschichte als Film. München, 1987, S. 171-204. Zum Vergleich von Holocaust, Heimat und Shoah siehe: Ash, Timothy Garton: Das Leben des Todes. Anmerkungen zu zwei Arten, die Vergangenheit zu betrachten. Edgar Reitz‘ Heimat und Claude Lanzmanns Shoah. In: die tageszeitung vom 15.2.1986, S. 14. 208 Siehe Kapitel II.7. I.8. Bilder des Holocaust 113 daß Fechner mit seiner filmischen Rekonstruktion des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses ein überragendes Werk geschaffen hat. Seit 1976 war der Filmemacher mit dem Prozeß beschäftigt. George Tabori lobt in der Süddeutschen Zeitung: „Hier war eine poetische Empfindsamkeit am Werk, die die Realität des Prozesses neu zusammenfügte und selbst zum Prozeß wurde, zum eigentlichen Prozeß, dessen Wahrheit sich aus der unaufdringlichen Subjektivität des Autors entwickelt.“209 Die Holocaustfilme der achtziger Jahre sind zum überwiegenden Teil Werke, die von Angehörigen der sogenannten zweiten Generation ge- schaffen wurden. Sie spiegeln die Auseinandersetzung, die mehr oder weniger offen mit der Elterngeneration geführt wurde, so z.B. Bernhard Sinkels Väter und Söhne. Eine deutsche Tragödie (1986) und Nico Hof- manns Land der Väter, Land der Söhne (1988), in denen es um Unter- nehmens- und Familiengeschichte während des Nationalsozialismus geht. Der Regisseur Michael Verhoeven thematisiert in zweien seiner in den achtziger Jahren entstandenen Filmen den Widerstand, den gegen die Nazi-Diktatur und den gegen aktuelle nazistische Tendenzen. In Die weiße Rose (1982) wird die Geschichte der Münchner Widerstands- gruppe um die Geschwister Scholl als politischer Entwicklungsprozeß dargestellt.210 Das schreckliche Mädchen (1990) spielt in der Gegenwart und orientiert sich an dem authentischen Fall der Anna Rosmus in Passau. Eine junge Frau beginnt, die Geschichte ihrer Heimatstadt wäh- rend des Dritten Reichs zu recherchieren, und gerät dadurch zunehmend in Schwierigkeiten. Dieser Film ist im Ausland, vor allem in den USA sehr erfolgreich. Persönlicher Widerstand ist auch das Thema des Films Georg Elser – einer aus Deutschland (1989). Klaus-Maria Brandauer führt Regie und spielt die Hauptrolle, den Georg Elser, der als Einzel- täter 1939 versucht hat, Adolf Hitler zu töten. Im Gegensatz zu Filmen der fünfziger Jahre, in denen Deutsche häufig als Opfer von Krieg und Vertreibung auftraten, stehen in den Filmen der achtziger Jahre stärker die verschiedenen Opfer der Nazis im Mittel- punkt. In Der Polenweiher (1986, Regie: Nico Hofmann nach einem Stück von Thomas Strittmatter) geht es um das Schicksal einer polni- schen Zwangsarbeiterin in einem Schwarzwalddorf, in Reise ohne Wie- 209 Tabori, George: Ein Schulterzucken, ein Lächeln und eine Hand, die zittert. In: Süd- deutsche Zeitung vom 29.11.1984, S. 47. 210 Zur gleichen Zeit entsteht Percy Adlons Film Fünf letzte Tage über Sophie Scholl kurz vor ihrer Hinrichtung. Im Auftrag des ZDF hat Paul Mommherz 1971 einen Film pro- duziert über den Hausmeister an der Münchner Universität, der die Widerständler denunziert hat, Der Pedell. I.8. Bilder des Holocaust 114 derkehr (1989, Regie: Alexandra von Grote) um Euthanasieopfer. Das Recht der Opfer auf Bestrafung der Täter unterstreicht Fons Rademakers mit seinem Film Der Rosengarten (1989). Ein Überlebender des Holo- caust hindert seinen ehemaligen Peiniger am Verlassen des Landes, indem er ihn angreift und dadurch einen Prozeß wegen Körperverletzung provoziert. Erst allmählich und durch das engagierte Handeln der Anwältin des Angeklagten wird klar, wer tatsächlich das Opfer ist. In Der Passagier – Welcome to Germany (1988) kehrt ein jüdischer Filmemacher namens Cornfield Mitte der achtziger Jahre nach Deutsch- land zurück, um einen Film über einen Nazi-Filmregisseur zu drehen, der Juden aus den Lagern als Komparsen für seine antisemitischen Hetz- filme mißbraucht hat.211 Cornfield wird mehr und mehr mit seiner eige- nen Geschichte konfrontiert. Regie führt in diesem Film Thomas Brasch. Das Drehbuch hat er gemeinsam mit Jurek Becker geschrieben. Nach einer Erzählung des seit Jakob, der Lügner (1974) anerkannten Schrift- stellers und Drehbuchautors Jurek Becker entsteht 1990 der Film Bron- steins Kinder, Regie führt der polnische Filmemacher Jerzy Kawalero- wicz. Nach Motiven aus Beckers Roman „Die Mauer“ dreht Frank Beyer 1994 Wenn alle Deutschen schlafen. Bronsteins Kinder spielt Anfang der siebziger Jahre in der DDR und thematisiert ebenfalls das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Der Vater hat KZ und Folter überlebt. Gemeinsam mit zwei anderen Überlebenden nimmt er einen ehemaligen KZ-Schergen gefangen, sperrt ihn in seine Datscha und zwingt ihn zu einem Geständnis. Der Sohn kommt hinzu, ihn erschrecken die Metho- den der überzeugten Antifaschisten, deshalb versucht er, sie von Selbst- justiz abzuhalten.212 Mit der deutschen Vereinigung 1989/1990 ergeben sich für die Filmwirt- schaft gravierende Veränderungen. DEFA-Filmemacher hoffen, nun die künstlerischen Freiheiten zu haben, die ihnen jahrzehntelang verwehrt waren. Andererseits wissen sie, daß sie mit ihren Produkten wenig Chancen auf dem gesamtdeutschen und internationalen Markt haben werden. Doch ein Zeichen der veränderten Möglichkeiten ist, daß end- lich die Filme dem Publikum gezeigt werden können, die 25 Jahre zuvor, nach dem 11. Plenum, der Zensur zum Opfer gefallen waren. So Denk bloß nicht, ich heule (Regie: Frank Vogel), Karla (Regie: Herrmann Zschoche), Berlin um die Ecke (Regie: Gerhard Klein), Spur der Steine (Regie: Frank Beyer), Das Kaninchen bin ich (Regie: Kurt Maetzig), 211 Ein Vorwurf, der auch gegenüber Veit Harlan und Leni Riefenstahl erhoben wurde. 212 Vgl. Peitz, Christiane: Bebilderte Podiumsdiskussion. Über eine enttäuschende Verfil- mung von Jurek Beckers Roman „Bronsteins Kinder“. In: die tageszeitung vom 25.6.1992, S. 17. I.8. Bilder des Holocaust 115 Wenn du groß bist, lieber Adam (Regie: Egon Günther), Berlin um die Ecke (Regie: Gerhard Klein), Jahrgang 1945 (Regie: Jürgen Böttcher). Intellektuelle, die der Vereinigung eher skeptisch gegenüber stehen und wie Günter Grass der Meinung sind, daß die deutsche Teilung auch eine Strafe für Auschwitz gewesen sei, fürchten, daß im größeren Deutsch- land die Historisierung des Nationalsozialismus vorangetrieben wird und damit Krieg und Holocaust in der Öffentlichkeit und in der Kunst eine geringere Rolle spielen werden. Daß dies aber nicht der Fall ist, zeigen die publizistischen Kontroversen der neunziger Jahre wie z.B. die über den Bau eines Holocaust-Mahnmals in Berlin, über die Ursachen rechts- extremer Gewalt nach den Anschlägen in Solingen, Rostock, Mölln, Hoyerswerda, über den Film Schindlers Liste 1994, über das Gedenkjahr 1995, über Goldhagens 1996 erschienenes Buch Hitlers willige Voll- strecker. Ganz normale Deutsche, über das 1997 publizierte Schwarz- buch des Kommunismus und 1998 über Martin Walsers Friedenspreis- rede. Die in dieser Zeit in Deutschland entstandenen Filme zum Thema Natio- nalsozialismus und Holocaust haben zwar längst nicht ein so großes Publikum wie Steven Spielbergs Schindlers Liste erreicht, sie belegen aber wie die oben genannten publizistischen Kontroversen, daß die deut- sche Vergangenheit präsent bleibt. So z.B. in Das Heimweh des Waler- jan Wrobel (1990). Der Film von Rolf Schübel basiert auf einem authentischen Fall. Ein 14-jähriger Pole landet als Zwangsarbeiter auf einem Hof in Friesland. Er zündet eine alte Scheune an, in der Hoffnung, daß man ihn deswegen wieder nach Hause läßt. Walerjan Wrobel wird jedoch sofort festgenommen und kurze Zeit später hingerichtet. Der Film zeigt eindrücklich, wie schutzlos ein Kind dem Fremdenhaß und der NS- Bürokratie ausgeliefert ist. Im Abspann erfolgt der Hinweis, daß die am Prozeß beteiligten Richter und Staatsanwälte nach dem Krieg höchstens als „Mitläufer“ eingestuft wurden und weiter Recht gesprochen haben. Ebenfalls auf einem authentischen Fall beruht der Film Hitlerjunge Salomon (1989/90). Er erzählt die Geschichte des zwischen alle Fronten geratenden Sally Perel, der als 14-jähriger Jude Nazi-Deutschland ver- lassen muß, in Polen nach dem Überfall der Wehrmacht als „Volksdeut- scher“ eingestuft wird und eine nationalsozialistische Eliteschule besu- chen soll. Dort hofft er, Verfolgung und Krieg zu überstehen, schließlich läuft er zur Roten Armee über. Die Oscar-Nominierung der deutsch- französischen Co-Produktion scheitert am deutschen Auswahlgremium. Die Begründung lautet, daß es sich bei Hitlerjunge Salomon nicht um einen deutschen Beitrag handelt, da Regie eine Polin, nämlich Agnieszka Holland, führt. Der Produzent des Films, Artur Brauner, ist empört. Der I.8. Bilder des Holocaust 116 Spiegel und die Frankfurter Rundschau konstruieren einen Zusammen- hang zwischen deutscher Einheit und Einstimmigkeit von Jury-Entschei- dungen. Die Kritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Verena Lueken, hält nichts von dem „Pseudodiskurs aus Anlaß dieses schlechten Filmes“. Hollands Film verfüge nur über eine „restringierte Filmspra- che“ und sei „als Melodram auf Groschenheftniveau inszeniert“ wor- den.213 Hitlerjunge Salomon (englischer Verleihtitel Europa, Europa) wird in Los Angeles mit einem Golden Globe als bester ausländischer Film ausgezeichnet. Um eine deutsch-französische Koproduktion handelt es sich auch bei Jiři Weiss´ Film Martha und ich (1990). Es geht um die Liebe zwischen einem Prager jüdischen Arzt, gespielt von Michel Piccoli, und seiner deutschen Haushälterin Martha, gespielt von Marianne Sägebrecht. Sie versucht, ihn vor Verfolgung und Deportation zu schützen, was aber mißlingt, auch aufgrund der Schwierigkeiten, die ihr die eigene Familie und die Verwandten des Arztes machen. In Abrahams Gold (1990) hat ein junger Mann namens Karl mit dem Dorfwirt Hunziger, einem ehemaligen KZ-Aufseher in Auschwitz, dort eine Kiste mit Zahngold ausgebuddelt. Hunziger will sich endlich seinen Traum von einem Mercedes erfüllen. Zurück in dem kleinen bayerischen Dorf erfährt Karl von seiner Mutter, daß sie nicht seine leibliche Mutter ist, er auch nicht Karl, sondern David heißt. Und Jude ist. Hunziger hat eine Tochter, gespielt wird sie von Hanna Schygulla. Die Tochter haßt ihren Nazi-Vater, hat aber ihre Tochter bei ihm gelassen. Der Großvater will, daß die Enkeltochter David wegen sexueller Belästigung anzeigt, die Enkeltochter erhängt sich, die Tochter geht zurück in die Stadt. Diese Story stößt bei der Filmkritikerin der tageszeitung auf Ablehnung. Sie erkennt in Abrahams Gold und auch in Heimat, Herbstmilch und Land der Väter, Land der Söhne eine neue Phase der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: „Die Nazi-Zeit, ihre Folgen und Spätfolgen werden von der zweiten Generation als bloßes Themenreservoir ausgeschlachtet, aus Geschichtsbüchern und Dokumenten zur vermeintlichen Kinokunst erhoben – wie die modrige Kiste mit den Goldzähnen aus dem Sumpf bei Auschwitz. Da wird kein Konflikt verhandelt, keine Figur in ihrer Widersprüchlichkeit vorgestellt. Was wir sehen, sind Typen.“214 213 Lueken, Verena: Die Wiederverwertung der Betroffenheit. Hitlerjunge Salomon: Ver- logener Streit um einen schlechten Film. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.1.1992, S. 27. 214 Peitz, Christiane: Auschwitz als Fundgrube. Abrahams Gold – ein Vergangenheits- bewältigungsfilm von Jörg Graser. In: die tageszeitung vom 26.04.1990, S. 16. I.8. Bilder des Holocaust 117 Peitz‘ hartem Urteil wäre die Interpretation Hanno Loewys gegenüber- zustellen, der Abrahams Gold als einen den frühen deutschen Heimat- film konterkarierenden Film sieht, als einen Film darüber, wie geschichtliche Erfahrung tradiert wird.215 Die Gegenwart der Vergan- genheit ist auch das eigentliche Thema der beiden Staffeln von Heimat. 1992 hat Edgar Reitz Die zweite Heimat fertiggestellt. Hier geht es um die sogenannte zweite Generation, die Söhne und Töchter. Hermann Simon, Marias Sohn, verläßt den Hunsrück und studiert in München Musik. In dem 26-stündigen Filmzyklus werden einzelne Personen aus dem Freundeskreis Hermanns vorgestellt und ihre Entwicklung, ihr Schwanken zwischen Utopie und Pragmatismus, nachgezeichnet. Es ent- steht das Bild einer Generation, der „68er“. Am Ende kehrt Hermann Simon in seine Heimat zurück. Die europäische Dimension des Völkermords thematisiert Ingrid Strobl in ihrem Dokumentarfilm Mir zeynen do (1992). Im Mittelpunkt stehen die Frauen, die den Ghettoaufstand von Bialistok organisiert haben. Ebenso beschreiben in der vierteiligen TV-Dokumentation Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (1992) die Fernsehjournalistin Lea Rosh und der Historiker Eberhard Jäckel die Deportation und Ermordung der Juden in Europa, zudem Kollaboration und Widerstand europäischer Nachbarn bei der sogenannten „Endlösung“. Den Titel ihrer Arbeit haben sie Paul Celans berühmtem Gedicht „Todesfuge“ entnommen.216 Eine ausführliche Vorabbesprechung der Dokumentation erfolgt im Spiegel durch Walter Jens, emeritierter Tübinger Rhetorikprofessor und wie Rosh und Jäckel Gründer des Förderverein für die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals in Berlin. Er lobt die Dokumentation etwas wider- sprüchlich als „... nüchtern und anschaulich, exakt und bewegend. ... 215 Loewy, Hanno: Großvater, warum hast Du so große Zähne... . Zu Jörg Grasers Abra- hams Gold. In: Die Vergangenheit in der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holocaust im deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut, Frank- furt/M., 2001, S. 72-75. 216 Siehe auch das Buch zum Film: Rosh, Lea/Jäckel, Eberhard: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Deportation und Ermordung der Juden. Kollaboration und Verweige- rung in Europa. 2. Aufl. München, 1993. Walter Jens nimmt einen interessanten Ver- gleich der Medien Buch und Film vor. Der Film von Rosh und Jäckel weise entschei- dende Vorteile auf, was das Veranschaulichen der Tatsachen und damit die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust anbelangt. „Das perfekte Miteinander der Partner Jäckel und Rosh, das den Film zu einer pädagogischen Summe von hoher Evi- denz macht, sieht sich im Buch durch ein stereotyp wirkendes Nacheinander ersetzt.“ Zweitens kritisiert Jens am Buch die Geschwätzigkeit der Autorin Rosh. Die Beschrei- bungen der Unterkünfte des Fernsehteams, das in Osteuropa recherchiert, seien depla- ziert und taktlos. Drittens stört den Leser Jens, daß „... gemessen an den grandiosen, ge- stammelten, in makellosem Deutsch oder herzzerreißendem Jiddisch gesprochenen Film-Aussagen die Buch-Aussage zu glatt, zu nivellierend, zu korrekt ist.“ Vgl. Jens, Walter: „Ein Grab in den Lüften ...“. In: Der Spiegel, Nr. 17 vom 23.4.1990, S. 226. I.8. Bilder des Holocaust 118 Und keine Gefühlsseligkeit dabei, kein Schwelgen in den Rollen der Büßer und nicht der leiseste Anflug von Sentimentalität - im Gegenteil.“ Als „das große Verdienst dieses Films“ bezeichnet Jens, daß er „... die Zuschauer in Zeugen, ja in potentielle Akteure verwandelt“. Der Betrachter übernähme die „Rolle des Mithandelnden - des Täters, des Sympathisanten, des Opfers.“217 Doch nicht alle Kritiken zu der Doku- mentation sind so positiv. Elisa Klapheck wirft in der tageszeitung den Autoren Zahlenhuberei, Detailverliebtheit, mißglückte Interviews und fehlende Analyse vor. Die enzyklopädische Methode, wie sie Raul Hilberg und Claude Lanzmann angewendet haben, funktioniere bei Jäckel/Rosh nicht. Motive der Kollaborateure werden nicht geklärt, was auch daran liegt, daß diese nicht befragt worden sind. Im Gegensatz zu Ophüls Hotel Terminus, Fechners Der Prozeß und Lanzmanns Shoah sei das sechsstündige Fernsehwerk über weite Stecken „langweilig“, was aber nichts mit der Länge zu tun habe.218 Die Diskussion über die Einschränkung des Asylrechts und die neonazi- stischen Übergriffe auf Ausländer Anfang der neunziger Jahre bilden den Hintergrund von Filmen wie Stau – jetzt geht´s los (1992) und Beruf Neonazi (1993). In Stau – jetzt geht´s los begleitet der Dokumentarist Thomas Heise eine Gruppe Jugendlicher aus der rechten Szene von Halle-Neustadt, zeigt ihre Hoffnungslosigkeit und ihre Gewaltbereit- schaft. Beruf Neonazi, ein Film von Winfried Bonengel, löst eine publi- zistische Kontroverse darüber aus, ob ein Dokumentarist einem Rechts- radikalen Gelegenheit geben darf, sich selbst darzustellen. Ewald Alt- hans, der portraitierte Neonazi, wird auch als Agitator in der Gedenk- stätte Auschwitz gefilmt. Beruf Neonazi beschäftigt über Wochen Poli- tik, Justiz und Öffentlichkeit, diskutiert werden die Grenzen des Doku- mentarismus und ein generelles Aufführungsverbot. Kritiker und Leser- briefschreiber stellen eine Verbindung her zwischen dem Nationalsozia- lismus vor sechzig Jahren und aktuellen politischen Entwicklungen seit der Vereinigung. In Balagan (1994) begleitet der deutsche Filmemacher Andres Veiel die israelische Theatertruppe „Akko“. Sie fragt in dem Stück „Arbeit macht frei“ nach der Bedeutung des Holocaust für die israelische Gesellschaft. 217 Ebenda. 218 Vgl. Klapheck, Elisa: Technokratische Geschichtsbewältigung. Lea Roshs und Eber- hard Jäckels Fernsehdokumentation Der Tod ist ein Meister aus Deutschland über Judenverfolgung und Kollaboration in Europa. „Enzyklopädisch“ verfremdetes Monu- mentalwerk. In: die tageszeitung vom 28.4.1990, S. 23. Siehe auch die Kritiken von Rondholz, Eberhard: Mit Gebetbuch und Pistole. Über Der Tod ist ein Meister aus Deutschland von Jaeckel/Rosh. In: die tageszeitung vom 11.1.1991, S. 16 und Scherer, Hans: Michel Prinz und sechs Millionen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.5.1990, S. 34. I.8. Bilder des Holocaust 119 Dabei scheuen die Mitglieder des Ensembles kein Tabu, sie verletzen sämtliche Regeln der Höflichkeit und des guten Geschmacks. Über- lebende des Holocausts protestieren. Diese Auseinandersetzung mit dem Publikum über die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart dokumentiert der Film ebenso wie die Debatte über die Zukunft des Staates Israel und das Verhältnis zur PLO. In Deutschland wird der Film mehrfach ausgezeichnet, es gibt aber auch kritische Nachfragen. Tjark Kunstreich wundert sich, warum manche deutsche Journalisten und Lob- redner ausführlich über den Unwillen junger Israelis schreiben, ständig mit dem Holocaust konfrontiert zu sein. Kunstreich mißtraut dem Film, weil er Juden sagen läßt, was Deutsche - seiner Meinung nach - denken.219 Balagan wird mit „Filmband in Silber“ ausgezeichnet. Auf derlei Auszeichnungen muß Herbert Achternbusch verzichten. Der Regisseur unkonventioneller Streifen wie Das letzte Loch (1981) oder Das Gespenst (1982)220 vermischt in seinem Film Hades (1995) deut- sche Vergangenheit und Gegenwart, ebenso Spiel- und Dokumentar- szenen. Achternbusch erzählt in Hades viele verschiedene Geschichten. Hades, seine Hauptfigur spielt er selbst. Dieser Hades heißt eigentlich Ismael und ist der kleine Junge aus dem Warschauer Ghetto, der um sein Leben tanzt. Achternbusch verwendet hier die Bilder, die auch Leiser in seinem Film Mein Kampf gezeigt hat. Ursprünglich von den Nazis zu Propagandazwecken hergestellte Sequenzen. Ärmliche Gestalten gehen an achtlos auf dem Gehweg liegengelassenen Leichen vorbei. Männer laden die Toten auf Holzkarren und bringen sie zu einer Grube. Auf einer Rutsche gleiten die Leichen in das Massengrab. Ihre Körper ver- renken sich dabei. Achternbusch zeigt die Szene wieder und wieder. Hades erzählt dabei von seiner Mutter und der Schwester. Den Namen des Vaters hat er sich nicht gemerkt. Der war in Stalingrad. Ein Polizist fragt Hades, wie seine Geschichte weiterging. Hades sagt, SS-Filmer hätten ihn in einem Kamerakoffer aus dem Ghetto getragen. Später habe er dann das Bestattungsunternehmen seines Vaters übernommen. Kriti- ker mit positiver Einstellung gegenüber Achternbuschs Filmen gehen davon aus, daß bei „einem weniger gewissenhaften Künstler“ das Expe- riment mit den Bildern aus dem Warschauer Ghetto „zu weinerlicher 219 Vgl. Kunstreich, Tjark: Shoah aus der Tiefkühltruhe. In: Junge Welt vom 14.6.2994, S. 15. Siehe auch das Gespräch zwischen dem Regisseur Andres Veiel und Cilly Kugel- mann: Blasphemie als Erinnerungsarbeit? In: Freitag, Nr. 48 vom 25.11.1994, S. 11 und Niroumand, Mariam: Daumenkino. Balagan. In: die tageszeitung vom 21.4.1994, S. 13. 220 Wegen „Blasphemie“ wollte der bayerische Innenminister zugesagte Fördergelder ver- weigern. Der Streit über Achternbuschs Film Das Gespenst wird von einigen Kritikern und Regisseuren als Zeichen der mit dem Regierungswechsel angekündigten „geistig- moralischen Wende“ gedeutet. I.8. Bilder des Holocaust 120 Betroffenheitsduselei“ hätte mißraten können. „Achternbusch aber streut in seine Geschichte Bilder bunter Wandmalereien ein, streicht be- schwingte Paganini-Musik drauf und macht so ein Kunstwerk daraus, das den Bildern keineswegs ihre Würde nimmt“, meint Andreas Neuen- kirchen in der tageszeitung.221 Die Reaktionen „ganz normaler Deutscher“ auf die Verfolgung und Ermordung ihrer jüdischen Nachbarn zeigen zwei Filme von 1995. In Leni (BRD 1994, Regie: Leo Hiemer) setzt eine jüdische Frau ihr Kind vor einem christlichen Waisenhaus aus. Das kleine Mädchen kommt zu einem kinderlosen Ehepaar, einfachen Bauern. Allmählich entsteht eine liebevolle Beziehung zwischen den Eltern und Leni. Die drei sind glück- lich miteinander, bis der Bürgermeister Bestätigung für seine Vermutung findet, daß Leni jüdisch ist. Er sorgt dafür, daß das Kind abgeholt wird. Die Geschichte, die dem Film zugrunde liegt, ist authentisch. Sie hat sich ereignet in dem Heimatdorf der Mutter des Regisseurs. Dort, in Stiefen- hofen, hat Hiemer, der zunächst keinen Verleih gefunden hat, den Film auch gezeigt. Drei Tage im April (BRD 1994, Regie: Oliver Storz) spielt zum Kriegsende. Auf den Geleisen nahe einem schwäbischen Dorf stehen verriegelte Güterwagen, aus denen die Rufe von KZ-Häftlingen zu hören sind. Die Dorfbewohner müssen entscheiden, ob sie den Gefangenen helfen. Klassische TV-Dokumentationen liefert Hans-Dieter Grabe. 1971 begleitet Grabe in Die zweite Reise des Mendel Szainfeld den Auschwitz- Überlebenden Mendel Szainfeld, der mit dem Zug nach Deutschland fährt, um seinen Anspruch auf Entschädigung zu klären. Mendel geht es schlecht, er kann nicht vergessen und fragt sich immer wieder, wie Men- schen anderen Menschen so etwas wie Auschwitz antun können. Als Grabe ihn Jahrzehnte später wieder trifft, scheint Mendel Szainfeld ver- ändert, zufriedener. Doch daß er es geschafft hat, das „weiter leben“, kann die Zuschauer nicht entlasten. In Mendel lebt (1999) zeigt Grabe, wie der alte Mann mit einer Schulklasse nach Auschwitz fährt, um den jungen Menschen vor Ort zu erklären, was dort geschehen ist. Im Reise- bus muß er sich mit dem Lehrer und dem Busfahrer (!) darüber ausein- andersetzen, wieviel er der Reisegruppe noch zumuten darf. Er will natürlich nicht die Schüler überfordern. Aber er fragt: „Was ist mit mir? Ich kann nicht einfach sagen, es reicht mir jetzt.“ Von Hans-Dieter Grabe stammt auch die dreiteilige Dokumentation Poddembice. Zunächst wird die Geschichte des 1940 nach Poddembice 221 Neuenkirchen, Andreas: Schindlers Semmel. Neu im Kino: Hades von Herbert Ach- ternbusch, eine Heldengeschichte aus bedrückend deutscher Zeit. In: die tageszeitung vom 23.6.1995, S. 23. I.8. Bilder des Holocaust 121 geschickten deutschen Bürgermeisters erzählt, dann die dreier polnischer Frauen, schließlich die der Juden des Ortes. Der erste Teil basiert auf Tagebuchaufzeichnungen, die unter dem Titel Er nannte sich Hohenstein publiziert worden sind. Von diesem „Hohenstein“ (ein Pseudonym) stammen auch Filmaufnahmen, die zeigen, wie jemand zugleich polni- sche Häuser als Misthaufen bezeichnen, Juden höflich grüßen, Deporta- tionen entsetzlich finden und Hinrichtungen beiwohnen kann, ohne in unauflösliche Widersprüche zu geraten. Im Film der neunziger Jahre sind Verfolgung, Holocaust und Krieg weiterhin wichtige Themen. Anders als vermutet bedeutet „Historisie- rung“ nicht, daß diese Themen nicht mehr behandelt werden. Allerdings sind Veränderungen im Umgang mit den historischen Themen erkenn- bar, z.B. eine starke Personalisierung und Emotionalisierung. An die Stelle des Dokuments, dem Vermitteln von Fakten, treten die Biographie und die Erzählung, an die Stelle von history tritt his-story. Der Holocaust ist Stofflieferant für spannende Geschichten. Wer im Jahr 1999 ins Kino geht, kann zwischen vielen verschiedenen Filmen wählen, deutschen und ausländischen Produktionen, die alle im weitesten Sinne als Holo- caustfilme zu bezeichnen sind: Das Leben ist schön, Jakob, der Lügner, Aimee&Jaguar, Kalmans Geheimnis, Meschugge, Karussell, Viehjud Levi, Der Vulkan, Nichts als die Wahrheit, Das Lied von Liebe und Tod - Gloomy Sunday, Train de vie. Die Regisseure dieser Filme gehören zum Teil schon zur dritten Generation, der sogenannten „Enkel-Generation“. Sie haben Verfolgung und 2. Weltkrieg selbst nicht erlebt, kennen die Ereignisse nur aus den Erzählungen der Großeltern und Eltern oder aus den Medien. In vielen „neueren“ Holocaustfilmen geht es nun nicht mehr darum zu erzählen, was passiert ist, sondern darum zu fragen, wie es passieren konnte, ob es wieder passieren kann und welche Folgen Krieg und Holocaust für die Nachgeborenen haben. Ein Film wie Abrahams Gold widmet sich vor allem dieser letzten Frage. Er zeigt, daß unter den Verbrechen der Großeltern Kinder und Kindeskinder zu leiden haben. Es herrschen Mißtrauen und Angst; die Atmosphäre ist vergiftet. Kritiker wie Peter Körte, Georg Seeßlen und Stefan Reinecke erkennen in den Holocaustfilmen der neunziger Jahre eine „neue Unbefangenheit“ und daß das Verhältnis zum Holocaust „nostalgisch“ werde. Der Film- kritiker der Frankfurter Rundschau meint mit dem amerikanischen Kulturtheoretiker Norman M. Klein die Art Nostalgie, die den Zuschauer überzeugt, gerade weil die tatsächlichen Ereignisse der Vergangenheit I.8. Bilder des Holocaust 122 vergessen sind.222 Georg Seeßlen sieht es kritischer. Er schreibt in der Zeit: „Wir sind in Gefahr, Filme zu produzieren, die schlicht nostal- gische Gefühle mit einem historischen Pflichtprogramm verknüpfen und in denen der Faschismus nicht mehr Hintergrund eines Melodrams, son- dern selbst melodramatisch ist.“223 Stefan Reinecke stellt den Bezug zur Politik her, wo von „Unverkrampftheit“ und „Mahnmalen, zu denen man gern geht“ die Rede ist: „So wie der Kanzler hat auch der Holocaust- Genre-Film der Schröder-Ära nichts Böses im Sinn. Interesse an der Geschichte hat er aber eigentlich auch nicht.“224 Eine heftige Debatte löst Roland Suso Richters Film Nichts als die Wahrheit aus. Der Spielfilm basiert auf der Idee, daß der KZ-Arzt Josef Mengele nicht wie behauptet bei einem Badeunfall in Argentinien ums Leben gekommen ist, sondern noch lebt und kurz vor seinem Tod möchte, daß ihm in der Bundesrepublik der neunziger Jahre der Prozeß gemacht wird. Mengele, gespielt von Götz George, meint, „... daß die Zeit reif ist, meine Motive zu verstehen“. Er hat sich einen jungen Anwalt als Verteidiger ausgesucht, dessen Mutter selbst als Kranken- schwester zumindest einmal tödliche Spritzen verabreicht hat. Der Anwalt, gespielt von Kai Wiesinger, übernimmt trotz seiner Vorbehalte das Verteidigeramt mit der Begründung, daß „... es in einem Rechtsstaat ja einer tun muß“. Der Anwalt fühlt sich von Mengele angezogen und abgestoßen. Dessen wahnwitzige Argumentation, daß er in Auschwitz durch Euthanasie nur Schlimmeres verhindern wollte, wird im Film aus- gebreitet. Sein Verteidiger widerlegt sie im letzten Augenblick und plädiert wie die Staatsanwaltschaft auf lebenslänglich. Henryk M. Broder zitiert in seiner Kritik im Spiegel den Produzenten von Nichts als die Wahrheit, Werner König. Der bezeichnet das Court- room-Drama als „guten Thriller“ und „wichtig“, außerdem hofft König, daß er „eine längst überfällige Debatte in Gang setzt“ und „für Kids attraktiv ist, die sich in der Schule bei vergleichbaren Themen einfach wegdrehen.“225 Den Anspruch, historisch oder medizinisch die Wahrheit 222 Vgl. Körte, Peter: Mit den Clowns kommen die Tränen. Von Benigni zu Roland Suso Richter und Robin Williams: Wie nostalgisch ist der Holocaust. In: Frankfurter Rund- schau vom 9.10.1999, S. 9. 223 Seeßlen, Georg: Jakob und seine Brüder. Neue Spielfilm-Bilder von Faschismus und Holocaust. In: Die Zeit, Nr. 46 vom 11.11.1999, S. 43. 224 Reinecke, Stefan: Nachholende Bewältigung oder: It runs Trough the familiy. Holo- caust und Nazivergangenheit im Film der Neunziger. In: Die Vergangenheit in der Ge- genwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holocaust im deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut, Frankfurt/M., 2001, S. 83. 225 Zit. nach Broder, Henryk M.: Die Zeit ist reif. Im Gerichtsthriller Nichts als die Wahr- heit erklärt sich der Nazi-Arzt Josef Mengele zum barmherzigen Samariter. In: Der Spiegel, Nr. 38 vom 20.9.1999, S. 289. I.8. Bilder des Holocaust 123 zu transportieren, erhebe der Film nicht. Broder faßt zusammen: „Wir haben es also mit einem Thriller zu tun, dem es zwar nicht auf die Wahr- heit ankommt, der aber zugleich gelangweilte Kids aufklären möchte.“ Erstaunlich findet Broder, wieviel Gefühl und Geld die am Film Betei- ligten - insbesondere Götz George - investiert haben. Da habe der deut- sche Idealismus wieder gnadenlos zugeschlagen. „Während die Ameri- kaner Filme produzieren, um Geld zu machen, brauchen ‚wir Deutsche‘ Filme als Therapie, um Schuldgefühle loszuwerden, die wir zwar angeb- lich nicht haben, die uns aber verfolgen wie Phantomschmerzen einen Amputierten. Wer so leidet, der macht die entsprechenden Filme.“226 Nichts als die Wahrheit läuft auch auf dem Internationalen Filmfestival in San Sebastián. Der Kritiker der El País spricht von „handwerklich brillantem Kryptofaschismus“. Es sei ein „... schlüpfriger Film, der, ob beabsichtigt oder nicht, in Wahrheit verteidige, was er zu kritisieren vor- gebe. Passender sei für diesen Film der Titel Nichts als Lüge.227 Um Lüge geht es ebenfalls in Michael Verhoevens Film Mutters Cou- rage (D/GB/A 1995) und in dem mit vielen Preisen ausgezeichneten Film La vita e bella (Italien 1998). In Mutters Courage, der nach den Erinnerungen von George Tabori entstanden ist, unternimmt Verhoeven den Versuch, den Holocaust als Tragikomödie darzustellen. La vita e bella von und mit dem italienischen Komiker Roberto Benigni vermischt ebenfalls Komik und Tragik. Guido erklärt seinem fünfjährigen Sohn Giosué nicht die Wahrheit, sondern tut so, als sei das Gefangensein im Konzentrationslager Teil eines großen Spiels, bei dem man am Ende „einen echten Panzer“ (den wünscht sich der Kleine) gewinnen kann. Trotz anfänglicher Bedenken gegenüber dieser Tragikkomödie, lobt die Mehrheit der Kritiker den Film sehr.228 Kathy Laster und Heinz Steinert beschreiben in ihrem Beitrag für die Zeitschrift Mittelweg 36 die Posi- tion der Film-Gegner als eine vom Realismus geprägte. Diese Kritiker von La vita e bella fordern, daß gezeigt wird, was die Konzentrations- lager waren: Tötungsfabriken. Notlügen seien in diesem Fall nicht ange- bracht, sie lüden das Publikum ein, vor der Realität die Augen zu schlie- ßen, zudem könnten Filme, die das KZ als große Illusion zeigen, 226 Ebenda. 227 Zit. nach P.I.: Mengele im Film: Nichts als Lüge. Festivalreaktionen aus San Sebastián. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.9.1999, S. 49. 228 Vgl. Seeßlen, Georg: Kalter Blick und kleine Hoffnung. Roberto Benignis Auschwitz- Komödie: Darf man über das Grauen ein Märchen erzählen? In: Die Zeit Nr. 47 vom 12.11.1998, S. 56; Brussig, Thomas: Das Leben ist schön. Eine Empfehlung, ins Kino zu gehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.12.1998, S. 45; Kertész, Imre: Wem gehört Auschwitz? In: Die Zeit, Nr. 48 vom 19.11.1998, S. 55f. Negativ urteilt Pflaum, Hans Günther: Wo hört der Spaß auf? Roberto Benignis KZ-Komödie Das Leben ist schön. In: Süddeutsche Zeitung vom 12.11.1998, S.18. I.8. Bilder des Holocaust 124 Auschwitz-Leugnern in die Hände spielen. Spielbergs Schindlers Liste ist laut Laster/Steinert ein von äußerem Realismus geprägter Film. Die erzählte Geschichte soll „authentisch“ sein, Orte und Requisiten müssen stimmen. Dies sei allerdings ein recht naiver Realismus-Begriff. Benig- nis Realismus dagegen entstehe durch ein bewußt unrealistisches Spiel, durch das Brechen von Genre-Regeln und Klischees und das unbe- rechenbare Erfüllen oder Enttäuschen der Publikumserwartungen.229 Die Zuschauer sind während des ganzen Films gezwungen sich zu fragen, welche Geschichte für sie die wünschenswerte ist. Sie sehen dagegen, was passiert. Zwar haben ihre Helden manchmal Glück. Ein echtes „Happy End“ kann es in dieser Geschichte jedoch nicht geben. Das wis- sen die Zuschauer. Um so tragischer ist das Ersatz-Happy-End nach des Vaters Tod: der Sohn bekommt seinen Panzer. I.8.5. Internationale Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust Noch bevor das gesamte Ausmaß der nationalsozialistischen Gewalt er- kennbar ist, weisen Filmemacher auf die grundsätzliche Gefahr hin, die von Deutschland ausgeht. Dies geschieht auch unter Zuhilfenahme von Komik wie in Chaplins The great dictator/Der große Diktator (USA 1940) oder Lubitschs To be or not to be/Sein oder nicht sein (USA 1942). Filme über Nazi-Terror und Holocaust sind ein besonderes Anlie- gen derjenigen, die emigrieren mußten. Bekannt ist der in Zusammen- arbeit von Fritz Lang, Bertolt Brecht und Hanns Eisler entstandene Spielfilm Hangmen also die/Auch Henker sterben (USA 1943), der das Attentat auf Reinhard Heydrich und die darauffolgenden „Vergeltungs- maßnahmen“ in Lidice zum Thema hat. Oder die Arbeiten Fred Zinne- manns. Zinnemann war beteiligt an dem formal beeindruckenden Film Menschen am Sonntag (Deutschland 1929). Er verläßt Anfang der drei- ßiger Jahre Deutschland. 1944 entsteht sein erster erfolgreicher US- amerikanischer Spielfilm The seventh cross, nach dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Darin geht es um die Flucht von sieben Häftlingen aus einem deutschen Konzentrationslager. In Die Gezeichneten/The search, einer Schweizer Produktion von 1947, erzählt Zinnemann die Geschichte eines Jungen, Karel Malik, der nach Kriegsende schwer traumatisiert von einem Auffanglager ins nächste 229 Vgl. Laster, Kathy/Steinert, Heinz: La vita è bella. Absurdismus und Realismus in der Darstellung der Shoah. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozial- forschung. H. 4, August/September 1999, S. 76-89. I.8. Bilder des Holocaust 125 geschickt wird. Er hofft, seine Mutter wiederzufinden und setzt auf die Hilfe eines US-amerikanischen Soldaten. In vielen Ländern sind seit Kriegsende bis heute Filme entstanden, die um die Themen Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg und Holocaust krei- sen. Je stärker das Land und seine Bewohner von Krieg und Verfolgung betroffen waren, desto intensiver ist die Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Ereignissen und den Folgen, die diese für die spätere Entwicklung des Landes hatten. In den europäischen Ländern, die von den Nazis okkupiert worden bzw. wie die USA und England als Alliierte in den Krieg eingetreten sind, entstanden zahlreiche Filme. Wie in Deutschland, zumal während der Teilung in DDR und BRD, sind in den jeweiligen Ländern ideologische Vorgaben zu beachten. Erst mit der Zeit wird es möglich, Tabus zu lüften, beispielsweise nicht nur den helden- haften Widerstand in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, son- dern auch Kollaboration und Verrat. Daß aber die Deutschen die Ver- antwortung für Krieg und Holocaust haben, ist unbestritten; es ermög- licht ausländischen Filmemachern einen unbefangeneren Umgang mit den Ereignissen und erlaubt eher, Heldengeschichten zu erzählen. In diesem Kapitel können nur einzelne Filme vorgestellt werden, die über ihre nationale Bedeutung hinaus internationale Beachtung gefunden und einen Beitrag zur filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust geliefert haben. Zwar nenne ich Inhalt und Entstehungshintergrund eines Films, eine Einordnung in die nationale Filmgeschichte und eine Würdi- gung des Gesamtwerks des jeweiligen Regisseurs ist hier freilich nicht möglich. Betrachtet werden hauptsächlich Filme, in denen Antisemitis- mus und die Verfolgung und Ermordung der Juden zwischen 1933 und 1945 im Mittelpunkt stehen, als Handlungsort die Konzentrations- und Vernichtungslager vorkommen. Die Definition von „Holocaustfilm“ ist hier also eng gefaßt. Diese Eingrenzung hat zur Folge, daß anders als in den Filmographien von Avisar, Doneson, Insdorf, Meyer-Gruhl und an- deren nur wenige internationale Produktionen als Holocaustfilme im engeren Sinne bezeichnet werden können. In diesem Überblick über internationale Produktionen zu Nationalsozia- lismus und Holocaust kann keine Vollständigkeit erreicht werden. Erst seit einigen Jahren arbeiten Filmwissenschaftler verschiedener Länder an Datensammlungen zu Holocaustfilmen. In der Bundesrepublik geschieht das beispielsweise in dem von der Firma Hoechst geförderten Projekt „Cinematographie des Holocaust“ am Frankfurter Fritz-Bauer-Institut.230 Im folgenden sollen einige Produktionen ausgewählter Länder vorge- 230 Siehe Anmerkung 168. I.8. Bilder des Holocaust 126 stellt werden. Die Lückenhaftigkeit der Darstellung ist mir bewußt, doch sollte auf ausländische Produktionen verwiesen werden, weil die Aus- einandersetzung mit dem Thema in allen Ländern stattgefunden hat und stattfindet. Gerade auch ausländische Holocaustfilme haben in der Bun- desrepublik heftige Auseinandersetzungen hervorgerufen. Diese Filme und Debatten, die in Teil II. der Arbeit analysiert werden sind: sind Nuit et Brouillard/Nacht und Nebel (Frankreich 1955) von Alain Resnais, De blodiga tiden/Mein Kampf (Schweden 1960) von Erwin Leiser, Holo- caust (USA 1978) von Marvin Chomsky, Shoah (Frankreich 1985) von Claude Lanzmann und Schindler´s List/Schindlers Liste (USA 1993) von Steven Spielberg, also zwei französische, eine schwedische und zwei US-amerikanische Produktionen. I.8. Bilder des Holocaust 127 Tabelle 4: Internationale Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust Titel Land Jahr Regisseure Die letzte Etappe P 1947 Wanda Jakubowska Nacht und Nebel F 1955 Alain Resnais Das Tagebuch der Anne Frank USA 1959 George Stevens Das Urteil von Nürnberg S 1959 Tore Sjöberg Mein Kampf S 1960 Erwin Leiser Kapo I/F/Jug. 1961 Gillo Pontecorvos Boxé a smart 1962 Peter Soltan Requiem für 500 000 P 1963 Jerzy Bossak/Waclaw Kazmierczak Die Passagierin P 1963 Andrzej Munk Diamanten der Nacht CS 1963 Jan Nemec Ich war Kapo P 1964 Tadeusz Jaworski Sighet, Sighet USA 1964 Harold Becker Der gewöhnliche Faschismus UdSSR 1965 Michail Romm Die Kommissarin UdSSR 1967 Aleksander Askoldov Die Verdammten I/BRD 1968 Luchino Visconti Der Anschlag NL 1968 Fons Rademakers Landschaft nach der Schlacht P 1970 Andrzej Wajda Das Haus nebenan F 1970 Marcel Ophuls Hotel Terminus F Marcel Ophuls Der Märtyrer/ Sie sind frei, Dr. Korczak BRD/Is 1973 Aleksander Ford Das alte Gewehr BRD/F 1975 Robert Enrico Cabaret USA 1975 Bob Fosse Das Schlangenei USA/BRD 1977 Ingmar Bergman Holocaust USA 1978 Marvin Chomsky Das Tagebuch der Anne Frank USA 1980 Boris Sagal Die letzte Metro F 1980 François Truffaut Spiel um Zeit USA 1980 Daniel Mann Charlotte NL/BRD 1980 Franz Weisz Sophies Entscheidung USA 1982 Alan J. Pakula Shoah F 1985 Claude Lanzmann Das Tagebuch der Anne Frank GB 1987 Gareth Davies Sobibor USA 1987 Jack Gold Korczak BRD/P/F 1989 Andrej Wajda Kornblumenblau P 1989 Leszek Wosiewicz Triumpf of the spirit USA 1984 Robert M. Young Auf Wiedersehen, Kinder F/BRD 1987 Louis Malle Schindlers Liste USA 1993 Steven Spielberg Atempause I 1997 Francesco Rosi Das Leben ist schön I 1998 Roberto Benigni Zug des Lebens F 1998 Radu Mihaileanu I.8. Bilder des Holocaust 128 I.8.5.1. Polen, Tschechoslowakei, Sowjetunion Die Zahl und Qualität der Holocaustfilme, die in einem Land produziert werden, hängt zum einen mit der Potenz der jeweiligen nationalen Filmindustrie zusammen, zum anderen spielen politische und künstleri- sche Beweggründe eine Rolle. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema belegen polnische Holocaustfilme, was zum einen mit den bis 1990 herrschenden Produktions- und Vermarktungsverhältnissen zu erklären ist, zum anderen damit, daß Polen das Land ist, in dem die Ver- nichtungslager der Deutschen errichtet wurden, und das Land, dessen Bevölkerung am schlimmsten von Verfolgung und Mord betroffen war. In den polnischen Filmen aus dieser Zeit nimmt der Widerstand der Bevölkerung - zumal der organisierte kommunistische Widerstand - einen wichtigen Platz ein. Bereits 1947 hat Wanda Jakubowska einen der ersten Holocaustfilme über das in Auschwitz Erlittene gemacht, Ostatni etap/Die letzte Etappe. Als polnische Widerstandskämpferin verhaftet, entschließt sie sich im Lager, über diese Hölle Zeugnis abzulegen. Sie merkt sich, was sie sieht und was die anderen Frauen berichten. Gleich nach der Befreiung von Auschwitz fängt sie an, ein Drehbuch zu schreiben. Der Film beginnt mit der Geburt eines Kindes und der sofortigen Tötung des Neugeborenen. Er schildert die Solidarität zwischen den inhaftierten Frauen aller Natio- nalitäten, spart aber nicht aus, wie privilegierte Häftlinge, die „Blocho- was“, ihre Stellung mißbrauchen, um andere zu quälen. 1948 gelangt Die letzte Etappe zur Aufführung, läuft während der Internationalen Filmausstellung in Leipzig und gewinnt den Grand Prix bei den Film- festspielen im tschechischen Karlsbad. Die Authentizität des Films wird gelobt, im beginnenden Kalten Krieg aber wird der „Propagandafilm“ Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, ebenso Jakubowskas 1964 aufgeführter Auschwitz-Film Das Ende unserer Welt. Gegner sehen in den Filmen der polnischen Regisseurin eine ungebührende Aufwertung des kommunistischen Widerstandes. Diese Kritik wird wieder laut, als der Film zuletzt 1995 auf dem 17. Frauenfilmfestival in Créteil läuft.231 Als die künstlerisch wichtigste Periode im polnischen Nachkriegsfilm gilt die Zeit zwischen 1957 und 1961, in der Filme wie Kanal, Asche und Diamant, Der Mann auf den Schienen, Eroica und Nachtzug ent- stehen.232 In Pasazerka/Die Passagierin (1963) von Andrzej Munk meint Lisa, eine ehemalige KZ-Aufseherin, während einer Schiffsreise 231 Vgl. Pätzold, Brigitte: Der erste Film zum Holocaust. In: die tageszeitung/le monde diplomatique 5/95, S. 17. 232 Vgl. Toeplitz, Krzysztof-Teodor: Die drei Wellen. Polnische Filmkunst. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 7. Jg., H. 9/1963, S. 402-407. I.8. Bilder des Holocaust 129 Marta wiederzuerkennen, die Häftling in Auschwitz gewesen ist. Lisa erinnert sich an die Ereignisse damals und sucht sich gegenüber ihrem Mann zu rechtfertigen. Die Geschichte, die sie ihm erzählt, entspricht aber nicht den Tatsachen. Allein, muß sie sich eingestehen, daß sie sich nicht für Lisa eingesetzt hat. Den Film kann Munk nicht fertigstellen, weil er, gerade vierzig Jahre alt, 1961 bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.233 Witold Lesiewiciz, ein enger Mitarbeiter des Regis- seurs, hat den Film in eine aufführbare Form gebracht. Ulrich Gregor lobt an diesem Werk, welches die Täterperspektive einnimmt, daß es sich bei ihm „... um den einzigen Film weit und breit handelt, dem mit den Mitteln der Fiktion eine überzeugende Rekonstruktion der Welt des Konzentrationslagers gelang. ... Er zeigt die KZ-Welt nicht als Wirklich- keit, sondern als alptraumhafte - und doch sehr reale - Erinnerung, widerspruchsvoll und perspektivisch gebrochen; er liefert Hypothesen, die der Weiterführung durch den Zuschauer bedürfen.“234 Angeblich hat Munk lange darüber nachgedacht, wie eine „objektive“ Version der Ereignisse im Lager aussehen könnte. Er ist zu dem Schluß gelangt, auf Bilder zu verzichten, die den Anspruch erheben, die wahre Atmosphäre der Brutalität im Lager wiederzugeben.235 Laut Reclams Filmführer ent- hält Die Passagierin Hinweise auf den Fall, der Nackt unter Wölfen zu- grunde liegt, nämlich dem Verstecken eines Kindes im Lager.236 1965 entsteht in Polen mit Bylem Kapo/Ich war Kapo von Tadeus Jaworski ein Film, der die Zwangslage der Funktionshäftlinge be- schreibt.237 Jaworski montiert Interviews von Tätern und Opfern und be- gründet den filmmethodischen Ansatz, der später beispielsweise von Marcel Ophuls, Eberhard Fechner und Claude Lanzmann aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Dem Thema in besonderer Weise angenommen hat sich Andrzej Wajda. Krajobaz po bitwie/Landschaft nach der Schlacht (1970) zeigt die kurze Euphorie polnischer KZ-Häftlinge nach der Befreiung, doch ihr folgt wiederum die Unterbringung in einem Lager, einem DP-Camp. Der All- tag dort ist trostlos. Tadeusz lernt allerdings Nina kennen, eine jüdische Überlebende. Für einen Tag verlassen sie heimlich das Lager und ver- bringen „draußen“ Stunden, die sie Hoffnung schöpfen lassen. Bei der 233 Vgl. Berghahn, Wilfried: In memoriam Andrzej Munk. In: Filmkritik. Aktuelle Infor- mationen für Filmfreunde. H. 11/ 1961, S. 526f. und W.K. (= Werner Kließ): Munks Fragment. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 4. Jg. H. 12/1966, S. 31. 234 Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960. München, 1978, S. 286. 235 Krusche, Dieter: Reclams Filmführer. Unter Mitarbeit von Jürgen Labenski. 10. neube- arb. Aufl. Stuttgart, 1996, S. 487. 236 Vgl. A.a.O., S. 436. 237 Vgl. Film. Eine deutsche Zeitschrift. 3. Jg., H. 4/1965, S. 46. I.8. Bilder des Holocaust 130 Rückkehr ins Lager wird Nina versehentlich erschossen. Tadeusz faßt darauf den Entschluß, das Lager zu verlassen und sich allein in seine Heimat Polen durchzuschlagen. Ein filmisches Denkmal setzt Wajda 1990 seinem Landsmann, dem pol- nischen Priester Janusz Korczak. Dieser wurde schon in der deutsch- israelischen Co-Produktion Der Märtyrer/Sie sind frei, Dr. Korczak (1973, Regie: Aleksander Ford, Produzent: Artur Brauner) portraitiert. Den Wajda-Film über den katholischen Priester, der mit seinen jüdischen Schützlingen ins Gas gegangen ist, nennt Claude Lanzmann, der Regis- seur von Shoah, „ein antisemitisches Machwerk“.238 Auch im polnischen Dokumentarfilm setzen sich Filmemacher mit der jüngsten Vergangenheit auseinander. Die Ende der dreißiger Jahre von Jerzy Bossak gegründete Gruppe „Start“, zu der Aleksander Ford, Jerzy Toeplitz und Wanda Jakubowska gehören, will den gesellschaftlich nützlichen, „fortschrittlichen“ Film. Daran knüpfen die Filmemacher nach Kriegsende an. Bossak wird Leiter der polnischen Wochenschau, Direktor des polnischen Dokumentarfilmstudios, Leiter der Filmgruppe Kamera, Dozent an der Filmhochschule in Lodz. In den sechziger Jahren arbeitet er in der Gruppe Fernsehspiel des NDR mit. Sein 1963 gemeinsam mit Waclaw Kazmierczak produzierter Film Requiem für 500.000 stößt international auf großes Interesse, ist aber in den „sozialistischen Bruderländern“ umstritten.239 Im Vordergrund von Requiem für 500.000 steht nicht die politische Analyse, statt dessen soll der Film ein Zeugnis der Trauer sein. Die Filmemacher haben nur histo- rische Aufnahmen verwendet, z.T. griffen sie auf dasselbe von den Nazis gedrehte Material zurück, das bereits Frédéric Rossif in seinem Streifen Le temps du Ghetto verwendet hat. U.a. darauf gründet sich Jay Leydas Kritik an Requiem für 500.000. Er schreibt: „... ich war über die darin enthaltene weiche, ja sentimentale Einstellung bestürzt. Und diese Ein- stellung war überall zu verspüren, vom Schnitt bis zur Begleitmusik. ... Für Studenten der Filmwissenschaft und zukünftige Kompilatoren sollte dieser polnische Film eine eindringliche Lehre sein, sie sollten ihn zu- 238 Lanzmann, Claude, zit. nach Noack, Frank: Darf ein Heiliger vulgär sein? Schindlers Liste und andere Spielfilme über den Holocaust. In: Der Tagesspiegel vom 27.3.1994, S. VIII. 239 Jerzy Bossak äußert sich im Gespräch mit Hermann Herlinghaus über Requiem für 500 000 und Vorwürfen, die gegenüber diesem Film und seinen Machern erhoben wurden. Bossak, Jerzy: Der polnische Film wurde im antifaschistischen Befreiungskampf gebo- ren. In: Dokumentaristen der Welt in den Kämpfen unserer Zeit. Selbstzeugnisse aus zwei Jahrzehnten (1960-1981). Hrsg. von Hermann Herlinghaus. Berlin (Ost), 1982, S. 81-93. I.8. Bilder des Holocaust 131 nächst mit Rossifs Werk und dann mit dem ursprünglichen Nazimaterial vergleichen, das nur scheinbar unveränderlich ist.“240 Zu Beginn des ca. 30-minütigen Films werden Beschlüsse zitiert, die nach dem Überfall auf Polen von den Deutschen durchgesetzt wurden. Erst nach acht Minuten erfolgt die Einblendung des Titels und das Geschehen im Ghetto von Warschau wird kommentiert. Die Rede ist von der Rolle der Judenräte, des jüdischen Ordnungsdienstes, dem täglichen Kampf ums Überleben, Hunger und Krankheit und den Versuchen, ein halbwegs menschenwürdiges Leben führen zu können. Manche schrei- ben auf, was sie sehen. Daß die Ghettobewohner „in den Osten umge- siedelt“ werden sollen, glauben nur diejenigen, die die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Andere beginnen den Widerstand zu organisieren und planen den Aufstand. „Das Leben so teuer wie möglich verkaufen“, lau- tet ihre Devise. Sie möchten sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank führen lassen“ und so nehmen sie Kontakt zu polnischen Widerstands- gruppen auf, um Waffen in das Ghetto zu schmuggeln. Nach mehreren Deportationswellen 1942 formiert sich der Widerstand und es kommt am 19. April 1943 zum Aufstand im Warschauer Ghetto. Länger als vermutet leisten die Juden Widerstand, mehrfach müssen die Deutschen den Rückzug antreten. Einen Monat später aber ist der Auf- stand vorbei, die meisten Aufständischen, an die 56.000 Menschen, wur- den sofort erschossen, andere in die Vernichtungslager deportiert. Der Film wird 1963 mit der „Silbernen Taube“, einem Kritikerpreis, in Leip- zig ausgezeichnet und gewinnt den 1. Preis der XI. Internationalen Kurz- filmtage für Ethnographische und Soziologische Filme in Florenz 1965. In weiteren polnischen Dokumentarfilmen wie Fleischers Album (1962) und Der Alltag des Gestapomannes Schmidt (1964) wird anhand privater Fotografien eines deutschen Soldaten bzw. Gestapomannes gezeigt, wie „ganz normale Deutsche“ Polen besetzt und die Bevölkerung drangsa- liert haben. Andrzej Brzozowskis Archaeologia/Archäologie (1967) zeigt, wie Wissenschaftler in einem Waldstück nach der jüngsten Ver- gangenheit graben und fündig werden. In der Tschechoslowakei entstehen mehrere Filme über die Schrecken im Lager Theresienstadt: Alfred Radoks Ghetto Terezin/Ghetto Theresien- stadt von 1948, Miro Bernats Motýli tady nežijí/Schmetterlinge leben hier keine, in dem Kinderzeichnungen aus dem Lager gezeigt werden. 1968 verwendet Vladimir Kressl Bilder aus dem Nazi-Propagandafilm über das Lager Theresienstadt für seinen Film mit dem Titel Mĕsto 240 Leyda, Jay: Filme aus Filmen. Eine Studie über den Kompilationsfilm. Berlin (Ost), 1967, S. 197f. I.8. Bilder des Holocaust 132 darované/Die geschenkte Stadt. In Jan Nemec‘ Film Diamanten der Nacht/Démanty Noci (CSSR 1963/64) gelingt zwei Jungen die Flucht aus einem Judentransport. Doch finden sie bei der sudetendeutschen Bevölkerung keine Unterstützung, im Gegenteil, sie werden gejagt, ge- stellt und schließlich von einer Eskorte abgeführt. Diamanten der Nacht basiert auf einem Roman von Arnošt Lustig.241 1968 entsteht Juraj Herz‘ Film Spalovač mrtvol/Der Leichenverbrenner nach der gleichnamigen Novelle von Ladislav Fuks. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kündigt den Film am 31.1.2000 als „Filmkomödie“ an. Der Inhalt wird folgen- dermaßen wiedergegeben: „Auf den ersten Blick ist Herr Kopfkringl aus Prag ein vorbildlicher Bürger, liebevoller Ehemann und treusorgender Vater zweier Kinder. Mindestens ebenso wie seine Familie liebt er seinen Beruf als Angestellter eines Krematoriums. Sorgfältig präpariert er die Leichname für die Zeremonie, die sie von allen Unbilden des Lebens erlösen wird. Als er sich kurz vor dem Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei durch das Treffen mit einem alten Kriegskame- raden seiner deutschen Abstammung und damit seiner Zugehörigkeit zur Herrenrasse bewußt wird, erwacht in Herrn Kopfkringl der Ehrgeiz. Bald wird er Direktor des Krematoriums. Weil sich herausstellt, daß seine Frau Halbjüdin ist, muß er sich zwischen Familie und Karriere entschei- den. Nachdem er seine Lieben entsorgt hat, steht seinem Aufstieg zum Chef-Leichenverbrenner des Dritten Reichs nichts mehr im Wege.“242 Abhandlungen über die Besonderheiten des tschechischen Humors oder die Langlebigkeit surrealistischer Tendenzen in der tschechischen Kunst des 20. Jahrhunderts sind bei der Rezeption und Interpretation dieses Films wenig hilfreich. Der sowjetische Filmemacher Michail Romm versucht in seinem Kom- pilationsfilm Obyknovennyj fasizm/Der gewöhnliche Faschismus von 1965 zu erklären, „... warum der einfache Deutsche Hitler gefolgt ist.“243 Romm möchte verstehen, was in den Deutschen vorgegangen ist. Er zeigt die Aufmärsche und Paraden, die begeistert jubelnden Massen und nimmt sich einzelne Gesichter vor. Sein Kommentar ist bewußt subjek- tiv, fragend und erklärend. Romm begnügt sich nicht mit der ansonsten in sowjetischen Filmen geübten Faschismuskritik, sondern bemüht sich um eine sozialpsychologische Deutung, will verstehen, wie ein ganzes Volk narkotisiert werden konnte. Parallelen zwischen Nationalsozialis- mus und Kommunismus spricht Romm in seinem Film natürlich nicht 241 Vgl. Lustig, Arnošt: Finsternis wirft keine Schatten. Roman. Ungek. Ausgabe. Mün- chen, 1997. 242 Programmankündigung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.1.2000, S. 56. 243 Vgl. Roth, Wilhelm: Der Dokumentarfilm seit 1960. München und Luzern 1982, S. 122. I.8. Bilder des Holocaust 133 an, dem kritischen Zuschauer jedoch können sie nicht verborgen bleiben. Der gewöhnliche Faschismus wird international ein großer Erfolg. Er ist einer der wenigen sowjetischen Filme, die nach dem Funktionieren nationalsozialistischer Massensuggestion fragen.244 Ansonsten sind in der Sowjetunion keine Filme entstanden, die speziell die Situation der Juden während des Zweiten Weltkriegs in den Blick nimmt. Nur in dem 1967 von Aleksander Askoldov gedrehten Film Komisar/Die Kommissarin kommen jüdische Figuren vor und es wird in einer Traumsequenz die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung imagi- niert. Askoldov erzählt die Geschichte einer Kommissarin der „Roten“. Sie ist schwanger und soll sich auf Befehl ihres Vorgesetzten zur Geburt bei einer jüdischen Familie verstecken. In dieser Familie verändert sich die junge Frau, auch beginnt sie, sich auf ihr Kind zu freuen. Doch siegt ihr Pflichtgefühl, sie läßt das Kind bei dem jüdischen Ehepaar und schließt sich wieder ihrem Regiment an. Ihre eigene Zukunft, die ihres Kindes und der Pflegeeltern ist ungewiß. Der Film bleibt zwanzig Jahre verboten, hauptsächlich wegen der Darstellung des Bürgerkriegs zwi- schen „Roten“ und „Weißen“, wegen „zionistischer Propaganda“ und „Verleumdung der Revolution“. Dem Regisseur wurden wegen „man- gelnder fachlicher Eignung“ keine weiteren Regie-Aufträge erteilt.245 I.8.5.2. USA Mit dem Aufkommen des Kalten Krieges werden die Westdeutschen allmählich zu Verbündeten der US-Amerikaner. Sie teilen die Furcht vor dem Kommunismus und orientieren sich an den von den Amerikanern propagierten Werten. Zwar gibt es immer Filme, die ohne den häßlichen Deutschen, den Widerling in SS-Uniform, nicht auskommen, doch ver- weist insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren die Darstellung der Unterdrückung der Juden oder des Expansionswillens der Nazis auf aktuelle innenpolitische Debatten in den USA (Civil Rights Movement, Vietnam). Der Zweite Weltkrieg und die Shoah sind die historischen Ereignisse, die am häufigsten in US-amerikanischen Filmen thematisiert werden. Sie prägen ganz entscheidend das Deutschlandbild der Ameri- kaner, andere historische Ereignisse und Zeitabschnitte wie z.B. der 244 Vgl. Red.: Der gewöhnliche Faschismus. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 4. Jg. H. 5/1966, S. 36 und Der gewöhnliche Faschismus. Ein Gespräch zwischen dem Regisseur des Films Michail Romm und den Kritikern Hermann Herlinghaus und Friedrich Hitzer. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 4. Jg. H. 5/1966, S. 49-56. 245 Vgl. Krusche, Dieter: Reclams Filmführer. Unter Mitarbeit von Jürgen Labenski. 10. neubearb. Aufl. Stuttgart, 1996, S. 348f. I.8. Bilder des Holocaust 134 Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, die DDR oder das wiederver- einte Deutschland kommen so gut wie gar nicht vor und wenn, dann im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.246 In den fünfziger Jahren befördert vor allem die Übersetzung des Tage- buchs der Anne Frank die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Judenverfolgung. Aufgrund des großen Erfolgs des Theaterstücks folgt 1959 die Verfilmung des Tagebuchs unter der Regie von George Stevens.247 Im selben Jahr wird der Film auch in der Bundesrepublik aufgeführt. 1980 entsteht ebenfalls in den USA eine Verfilmung von Boris Sagal, 1987 adaptiert der Engländer Gareth Davies den Stoff.248 Es gibt auch einen DEFA-Film namens Ein Tagebuch für Anne Frank von Joachim Hellwig und Günter Deicke von 1958. Nicht das Tagebuch der Anne Frank steht im Mittelpunkt, sondern diejenigen, die von der natio- nalsozialistischen Rassenpolitik profitiert haben, Unternehmen, deren Chefs in Westdeutschland unbehelligt ihren Geschäften nachgehen. Damit ist die Stoßrichtung dieses Films eindeutig: der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus soll verdeutlicht werden, die DDR als das bessere, eben „antifaschistische“ Deutschland erscheinen. Anne Franks Tagebuch dient nur als Aufhänger, denn ihr Name ist nach der gleichzeitig in West- wie in Ostdeutschland stattfindenden Premiere des Theaterstückes im Oktober 1956 bekannt.249 Abby Manns Fernsehspiel Judgement of Nuremberg/Das Urteil von Nürnberg von 1959 dient als Grundlage für Stanley Kramers gleich- namigen Kinofilm von 1961. Auch in Schweden entsteht 1961 im Zuge des Erfolgs von Mein Kampf (1960) ein Film über den Nürnberger Pro- zeß. Leisers Produzent von Mein Kampf, Tore Sjöberg, führt diesmal Regie. Der Schriftsteller und spätere Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel kehrt in Harold Beckers Film Sighet, Sighet von 1964 in seine Heimatstadt Sighet zurück. Juden gibt es in dieser jetzt rumänischen Kleinstadt nicht mehr. Sie sind alle deportiert und ermordet worden. Wiesel ist einer der wenigen Überlebenden. Mit Hilfe alter Fotos ver- sucht er, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Doch kann er in in diesem 246 Vgl. Heeb, Inken: Deutschlandbilder im amerikanischen Spielfilm 1946-1993. Stutt- gart, 1997. 247 Vgl. Kotulla, Theodor: Das Tagebuch der Anne Frank (The Diary of Anne Frank). In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 3. Jg., H. 8/1959, S. 220f. 248 Den Film, der ebenfalls den Titel Das Tagebuch der Anne Frank trägt, zeigt das ZDF am 1.11.1994. 249 Vgl. Loewy, Hanno: Das gerettete Kind, die Universalisierung der Anne Frank. In: Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Hrsg. von Stephan Braese et al. Frank- furt/M., New York, 1998, (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 6), S. 19-41. I.8. Bilder des Holocaust 135 halbstündigen Film, den Annette Insdorf als „poetic meditation“250 be- zeichnet, nur auf die Leerstellen verweisen, die die Juden hinterlassen haben. Die heutigen Bewohner mögen über die zwei Jahrzehnte zurück- liegenden Ereignisse nicht reden. In den siebziger Jahren entstehen in den USA Spielfilme, in denen der Nationalsozialismus den Hintergrund der Geschichte bildet. Sie sind im strengeren Sinne keine Holocaustfilme. Überaus erfolgreich ist Cabaret (1972), ein Musikfilm von Bob Fosse, der von dem Aufstieg der Nazis und den zunehmenden Repressionen gegenüber einer Gruppe von Künstlern erzählt. Ingmar Bergmanns erstmals außerhalb von Schweden produzierter Film Das Schlangenei/ The serpents egg (BRD/USA 1977) spielt ebenfalls in den zwanziger Jahren, als die Nazi-Partei Zulauf ver- zeichnet. Bergmann selbst hält The serpents egg für einen seiner weniger gelungenen Filme. Mißlungen ist der unter der Regie von Alan J. Pakula entstandene Film Sophie´s Choice (1982) mit Meryl Streep, Kevin Kline, Peter Mc Nicol und Günter Maria Halmer in der Rolle des Lagerkommandanten Höß. Aus der Sicht eines jungen Schriftstellers in Brooklyn 1947 wird die Leidensgeschichte einer Exilpolin erzählt, die sich an der Rampe in Auschwitz gegen eines ihrer Kinder entscheiden muß. Der Film arbeitet mit Rückblenden, mehr Raum nimmt aber die Gegenwart ein, in der Sophie zwischen zwei Männern steht. Sie begeht Selbstmord. Der Film ist völlig überfrachtet, gleitet immer wieder in Kitsch ab. Die Besetzung der Rolle der Sophie mit Meryl Streep ist einleuchtend. Sie identifizieren die Zuschauer seit der Serie Holocaust mit weiblichem Leid während der Nazi-Zeit. Streep erhält einen „Oscar“ als beste Schauspielerin. Mit Triumph of the Spirit/Triumph des Geistes wählt Robert M. Young für seinen Film einen Titel, der an Leni Riefenstahls Filmtitel erinnert. In seinem Film von 1989 aber geht es um ein Opfer der nationalsozialisti- schen Vernichtungspolitik, den griechischen Juden Salomo, der als Boxer im Konzentrationslager Auschwitz um sein Leben kämpft. Solche sportlichen Wettkämpfe haben in den Lagern tatsächlich stattgefunden. In dem Film Boxer a smrt/Der Boxer und der Tod hat Peter Solan schon 1962 den Überlebenskampf eines Boxers gezeigt. Holocaust von 1978 und Schindlers Liste von 1993 sind die beiden her- ausragenden US-amerikanischen Produktionen, die zum internationalen Medienereignis wurden und gerade in Deutschland heftige publizistische 250 Insdorf, Annette: Indelible Shadows. Film and the Holocaust. Second edition. Cam- bridge, New York, 1989 (1983), S. 215. I.8. Bilder des Holocaust 136 Kontroversen nach sich zogen. Sie werden in Kapitel II.6 und II.9. ana- lysiert. I.8.5.3. Italien und Frankreich Kapo (1960) von Gillo Pontecorvos ist eine italienisch-französisch-jugo- slawische Co-Produktion. Der Film thematisiert den Zwiespalt privile- gierter Häftlinge: um zu überleben, müssen sie andere Häftlinge verraten und quälen. Am Ende steht dennoch der eigene Tod, es gibt kaum eine Chance, auch nicht für einen Kapo, zu überleben. Die Hauptrolle, eine französische Jüdin, spielt Susan Strasberg.251 La cadute degli dei/Die Verdammten (1968) von Luchino Visconti ist Teil seiner „deutschen Trilogie“ (Tod in Venedig, 1970 und Ludwig, 1972). In Die Verdammten zeigt Visconti die Nähe einer Großindustri- ellen-Familie zum Nationalsozialismus. Als Modell dient die Familien- geschichte der Krupps. Seit Anfang der siebziger Jahre entstehen in Italien Filme, die auf die Verbindung von Faschismus und Sexualität setzen, die sogenannten Sadiconazistafilme. Zu ihnen zählt Marcus Stiglegger in seiner Disserta- tion als Vorläufer Viscontis La caduta degli dei (1968), Bertoluccis Il conformista (1970), schließlich Cavanis Il portiere die notte (1973), Wertmüllers Pasqualino Settebellezze (1975), Bras‘ Salon Kitty (1975), Pasolinis Salò o le 120 giornate di Sodoma (1975), Canevaris L‘ultima orgia del Terzo Reich und eine große Zahl exploitativer Filme, die das Thema Konzentrationslager ausbeuten.252 Die Thematisierung der sexu- ellen Komponente von Täter-Opfer-Verhältnissen mag ein Anliegen der Filmemacher gewesen sein - so äußert sich beispielsweise Liliana Cavani - zugleich entstehen im Gefolge der etwas anspruchsvolleren Filme Produktionen, deren exploitativer Charakter eindeutig ist. In Deutschland sind die meisten dieser Filme indiziert worden. Entsprechend selten haben sich Filmkritiker damit beschäftigt. Eine Ausnahme bildet der katholische Film-Dienst: „Die heutige Nachläufer-Welle freilich gehört zur untersten Hardcore-Gattung, in der minuziös gezeigte Operationen an Eierstöcken oder auch Kastrierungen ein besonderes Stimulans 251 Vgl. Kapo. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 7. Jg, H. 1/1963, S. 32-34. 252 Vgl. Stiglegger, Marcus: Sadiconazista. Faschismus und Sexualität im Film. St. Augu- stin, 1999. I.8. Bilder des Holocaust 137 bilden, das wohl weniger die Libido als das Ekelgefühl (oder aber perverse Neigungen) des Zuschauers ansprechen soll.“253 Neben den Sadiconazista-Filmen entstehen in Italien Filme, deren Qua- lität weniger umstritten ist. Atempause (1997) von Francesco Rosi basiert auf dem gleichnamigen Werk von Primo Levi. Levi, der Auschwitz überlebt hat, erzählt in dem Roman von der Befreiung des Vernichtungslagers durch die Rote Armee und der anschließenden Odys- see der Überlebenden durch Europa. Nur schwer finden sie zurück ins Leben. Der Film enthält im Gegensatz zu Levis Roman eine Szene, die auf dem Münchner Bahnhof spielt. Dort treffen die Überlebenden auf ehemalige deutsche Offiziere, die unter Bewachung US-amerikanischer Soldaten, Gleise reparieren. Einer der Offiziere fällt auf die Knie vor dem Mann mit dem Stern auf der Brust. Diese Szene sei, so deutet sie Marisa Buovolo in film-dienst Nr. 22/1997, „... eine Hommage an die spätere, in die Geschichte eingegangene Geste von Willy Brandt, die den Glauben an die kollektive Erinnerung und an die Stärke des Versöh- nungswillens ausdrückt.“254 Den europäischen Faschismus, Besatzung und Verfolgung thematisieren auch die französischen Filmemacher. Seit Ende der sechziger Jahre wagen sie, die Frage nach der Kollaboration zu stellen. Le Chagrin et la Pitie/Das Haus nebenan (1969) von Marcel Ophuls, eine Chronik der Stadt Clermont-Ferrrand während des Zweiten Weltkriegs, provoziert heftige Auseinandersetzungen. Im französischen Fernsehen wird der Film erst 1981 ausgestrahlt. Ophuls 1988 fertiggestellter Film Hotel Terminus über den auch „Schlächter von Lyon“ genannten Gestapo-Chef Klaus Barbie versammelt Aussagen von Zeitgenossen. Über achtzig Per- sonen hat Ophuls befragt. Wie Claude Lanzmann in Shoah ist der Filmemacher als Interviewer präsent und reagiert zuweilen mit Ironie auf die Aussagen der Befragten. In François Truffauts Le dernier métro/Die letzte Metro (1980) geht es um ein Pariser Theater, dessen jüdischer Intendant nach dem Einmarsch der Deutschen angeblich geflohen ist, sich aber in einem Keller des Theaters versteckt hält. Seine nichtjüdische Frau Marion übernimmt unterdessen die Leitung des Theaters. Sie hat mit kollaborierenden Landsleuten ebenso zu tun wie mit heimlichen Résistance-Kämpfern. Ein Epilog spielt nach dem Krieg: nach einer erfolgreichen Premiere tritt Marion Hand in Hand mit Bernard, dem Widerstandskämpfer und ihrem 253 USE: „Nazis“ wie im alten Rom. In: Film-Dienst, 30. Jg., Lieferung 31/32 vom 2.8.1977, S. 1f. 254 Zit. nach Lumière-Programmheft Oktober 1999, S. 2. Das „Lumière“ ist das aus der Göttinger Film- und Kinoinitiative (FKI) hervorgegangene Programmkino. I.9. Annahmen 138 Ehemann, der im Versteck überlebt hat, auf die Bühne. Beide liebt sie und alle drei verkörpern die Versöhnung zwischen Verfolgten, Wider- standskämpfern und denen, die sich arrangierten. Au Révoir les Enfants, eine deutsch-französische Co-Produktion von 1987, spielt 1944 in Frankreich. Erzählt wird die Geschichte dreier jüdi- scher Jungen, deren Aufenthalt in einer katholischen Schule jedoch nicht geheim bleibt. Sie werden abgeholt, zurück bleibt Julien, der sich vor- wirft, den Freund durch einen unbedachten Blick verraten zu haben. Wie schon in Lacombe Lucien von 1973 schildert der Regisseur Louis Malle mit großer Sorgfalt die durch Angst gekennzeichnete Stimmung während der deutschen Besatzung. Aus Frankreich stammen zudem zwei der hier näher untersuchten Filme, Nacht und Nebel von 1955 und Shoah von 1985. Beide haben Maßstäbe gesetzt, was die filmische Repräsentation des Holocaust anbelangt. I.9. Annahmen Siegfried Kracauer diagnostiziert in „From Caligari to Hitler“ eine „auto- ritäre Kollektivmentalität“, erkennbar im deutschen Spielfilm vor und nach 1933. Er vermutet, daß Filme die Mentalität einer Nation unver- mittelter reflektieren als andere künstlerische Medien: „Was die Filme reflektieren, sind weniger explizite Überzeugungen als psychologische Dispositionen - jene Tiefenschichten der Kollektivmentalität, die sich mehr oder weniger unterhalb der Bewußtseinsdimension erstrecken.“255 Zu überprüfen ist, ob dies auch für die nach 1945 in Deutschland produ- zierten und rezipierten Holocaustfilme gilt. Volker Schlöndorff formu- liert es 1980 folgendermaßen: „Vielleicht haben wir doch so einen ver- dammten Nationalcharakter, den Kracauer nicht wahrhaben wollte und nur der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zuschrieb.“256 Die im I. Teil der Arbeit vorgenommene theoretische Fundierung legt Annahmen über Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen nahe. Es scheint in den öffentlichen Auseinandersetzungen über Holo- caustfilme um sehr viel mehr zu gehen als nur die Bewertung eines Films. Neben ästhetischen, sprachlichen und religiösen Aspekten berührt das Thema grundsätzliche Fragen im Identitätsfindungsprozeß der Deut- 255 Kracauer, Siegfried: Schriften: Hrsg. von Karsten Witte. Bd. 2. Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt/M, 1979 (1947), S. 286f. 256 Schlöndorff, Volker: Der Wille zur Unterwerfung. In: Frankfurter Rundschau vom 16.2.1980, Filmseite III. I.9. Annahmen 139 schen. Das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik und der DDR hat sich in Abgrenzung zum Nationalsozialismus herausgebildet. In publizistischen Kontroversen über Holocaustfilme stehen die legitime Sicht der Vergangenheit und die Politik der Gegenwart zur Debatte. Es geht um „kulturelle Hegemonie“. Die aufeinandertreffenden Positionen lassen sich als „Normalisierung“ oder „Dramatisierung“ beschreiben. Sie bestimmen die Argumentationsweisen derjenigen, die sich zu Holo- caustfilmen äußern. Fragen der filmischen Repräsentation geraten dadurch in der öffentlichen Auseinandersetzung zuweilen in den Hintergrund. Sie aber stehen im Mittelpunkt filmwissenschaftlicher Debatten, wo es um massenmediale Geschichtsvermittlung geht, um gattungsspezifische (synthetischer oder dokumentarischer Film?) und erkenntnistheoretische Fragen (wie werden Bilder gelesen?). Insgesamt sind Zahl und Umfang wissenschaftlicher Publikationen zum Thema „Repräsentation des Holocaust“ in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen. Vermutlich gilt das auch für die Tages- und Wochenpresse. Verbunden mit der Entscheidung für die Methode Diskursanalyse ist die Annahme, daß sie am ehesten geeignet ist, Argumentationsweisen und „das diskursive Feld“ zu rekonstruieren. Die Bedeutung von Filmen für die Herausbildung eines kollektiven Bewußtseins ist unbestritten, empi- risch freilich schwer zu belegen. Die Analysen der publizistischen Kon- troversen von Morituri 1948 bis Schindlers Liste 1993 können allerdings Aufschluß darüber geben: • Welche künstlerischen Verfahren Regisseure wählen, um den Holo- caust im Film darzustellen, • Welche Rolle Zeitungen und Zeitschriften spielen; wann im Verlauf der Kontroverse sie Organ oder Spiegel der öffentlichen Auseinan- dersetzung sind, • Wie das Publikum auf Holocaustfilme reagiert und wie einzelne Filmkritiker in ihrer Doppelfunktion als Rezipienten und Kommuni- katoren Holocaustfilme beurteilen, • Welche Argumente in der jeweiligen Kontroverse vorgebracht wer- den und ob es Gemeinsamkeiten zwischen den Kontroversen gibt. • Welche deutschen Spezifika in der Auseinandersetzung mit Holo- caustfilmen erkennbar sind, • Ob sich im Verlauf der Jahrzehnte die Art und Weise (Vehemenz, Häufigkeit, Dauer) der öffentlichen Auseinandersetzungen verändert hat. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 140 II. Analysen der publizistischen Kontroversen über den Holocaust im Film II. 1. Morituri (Deutschland 1948) II.1.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Der Film Morituri zählt zu den wenigen frühen Versuchen, sich mit Krieg und Verfolgung auseinanderzusetzen. Er ist vor allem Artur Brauners Film. Der junge Filmproduzent, Überlebender des Holocaust und knapp dreißig Jahre alt, als Morituri 1947 entsteht, verarbeitet eige- nes Erleben in diesem Film. Morituri ist ihm „eine Herzensangelegen- heit“. Brauner will, so Curt Riess, „... ein Denkmal setzen der gehetzten Kreatur, den immer Unterdrückten, gleichviel welcher Nationalität, denen, die immer bezahlen müssen, wenn irgendwo ein Krieg beginnt, die immer auf der Flucht sind, immer Angst haben müssen, denen nie oder doch fast nie Recht wird.“257 Brauner wundert, daß er mit diesem Vorhaben überall im viergeteilten Berlin auf taube Ohren stößt, auch bei Erich Pommer, von dem er sich Unterstützung erhofft. Die CCC (Central Cinema Company), Brauners Filmproduktionsfirma gilt als französisch lizenziert, befindet sich aber im amerikanischen Sektor. Deshalb fordert ihn der US-amerikanische Filmoffizier Peter van Eyck auf, Büro und Produktionsstätten in den französischen Sektor zu verlegen. Das ist aus finanziellen und technischen Gründen unmöglich. Die US-amerikanische Militärbehörde sperrt auf Veranlassung der Information Control Branch daraufhin die Telefonanschlüsse, Brauner zieht mit seiner Firma offiziell in den britischen Sektor um. Die britischen wie die französischen Behör- den vertrösten ihn. Eine Lizenz erhält er nicht. Ende Juni 1947 versucht Brauner die Sowjetische Militäradministration von seinem Projekt zu überzeugen. Er erhält schließlich die Erlaubnis, den Film mit dem Arbeitstitel Die Namenlosen herzustellen. Das Schrift- stück, das er von Leutnant Konovalov erhält, dem Kinoreferenten der Kulturabteilung, ist keine offizielle Lizenz, erlaubt ihm aber, mit den Dreharbeiten zu beginnen. Die sowjetischen Behörden sagen ihm Unter- stützung zu, doch ist die wirtschaftliche Lage 1947 schwierig. Ohne Telefon, ohne Studio, ohne Strom und ohne wenigstens die Verpflegung der Schauspieler und Techniker garantieren zu können, beginnt Brauner 257 Brauner, Artur, zit. nach Riess, Curt: Das gab’s nur einmal. Der Deutsche Film nach 1945. Bd. 4. Wien, München, 1977, S. 199. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 141 bei Temperaturen unter Null in einem Waldstück in der sowjetisch besetzten Zone zu drehen. Es gelingt ihm sogar, die zuständigen Stellen zu bewegen, für einige Wochen das Stromnetz der Bezirke Prenzlau und Eberswalde anzapfen zu dürfen. Brauner bemüht sich, den Anteil der Atelieraufnahmen möglichst gering zu halten. Sie sind zu teuer, außer- dem sind die Ateliers in Berlin-Tempelhof nur für Lizenzinhaber und nur zu bestimmten Zeiten frei. Doch auch die Außenaufnahmen in der Mark Brandenburg kosten Geld. Brauner beantragt Filmmaterial, „drei Fahr- radbereifungen (vollständig)”, „Bindedraht”, „2000 m Hochspannungs- kabel” und appelliert an alle an der Produktion Beteiligten, nicht Mate- rial mitgehen zu lassen. Solche Diebstähle seien Sabotage. Die Provin- zialverwaltung Sachsen, Halle/Saale, bittet Brauner „um Überlassung von Fotomaterial und Broschüren von Konzentrationslagern ... d.h. ins- besondere von Toren, Zäunen, Wachtürmen, Signalanlagen, Schlaf- räumen, Dienstzimmern, Sicherheitsanlagen, Arztzimmern und ähn- lichen Räumen”258, da das Konzentrationslager, in dem die ersten Sze- nen spielen, bei Glienicke nachgebaut werden soll. An den authentischen Orten rund um Berlin darf Brauner nicht drehen. Die Dreharbeiten beginnen im Spätsommer 1947 und enden im Frühjahr 1948. Uraufgeführt wird Morituri am 28. August 1948 bei der IX. Biennale in Venedig. Außerdem im Wettbewerb sind die deutschen Filme Chemie und Liebe, Ehe im Schatten (beide DEFA), Lang ist der Weg (Internationale Filmorganisation), Finale (Realfilm) und Der Herr vom anderen Stern (Comedia). Mit Ehe im Schatten und Lang ist der Weg also zwei weitere Produktionen, die das Schicksal verfolgter Juden in den Mittelpunkt stellen. Der Münchner Verleiher Kurt Schorcht kümmert sich um den Vertrieb des Films.259 Offiziell zur Aufführung zugelassen wird Morituri durch die Alliierte Militärzensur im September 1948. Er ist frei ab 16 Jahren. Aufgeführt wird der achtzigminütige Film zuerst am 24.9.1948 in Ham- burg, im Waterloo-Filmtheater. Die Berliner Premiere findet am 16.11.1948 in der Neuen Scala statt. Die Kritiker spekulieren, warum der Film nicht zuerst in Berlin gezeigt wird. Die Blockade der Stadt durch die Sowjets (24.6.1948 bis 12.5.1949) könnte ein Grund sein, Peter Edel jedoch von der wiedergegründeten und sowjetisch lizenzierten Zeit- schrift Die Weltbühne sieht die Verantwortung gerade nicht bei den sowjetischen Behörden, sondern bei den westlichen Alliierten: „Sollte in gewissen Kreisen die Kriegsverhetzung der Atomjünger schon so weit 258 Vgl. Briefwechsel Brauners mit den zuständigen Behörden. Zit. nach Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studio- geschichte 1946-1990. Frankfurt/M., 1990, S. 31-33. 259 Seit 1958 die Bavaria Filmverleih GmbH (BRD/Berlin-West). II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 142 gediehen sein, daß ein Film, der Russen, Staatenlose, Deutsche, Juden, Polen, Amerikaner und Franzosen zusammen einträchtig auf der Lein- wand zeigt, als unerwünscht bezeichnet wird?“260 Das Zitat zeigt, daß Morituri so oder so für viele zu einer unpassenden Zeit kam. Die ideolo- gische Spaltung Deutschlands hat die Rezeption des Films erschwert. II.1.2. Inhalt des Films und Interpretation Ein detailliertes Filmprotokoll liefert Peter Pleyer.261 Der Filminhalt wird in allen Rezensionen mehr oder weniger ausführlich referiert. Die folgende Inhaltsangabe basiert auf diesen Quellen und einer Videokopie des Films, die mir Artur Brauner freundlicherweise zur Verfügung ge- stellt hat. Das Zweite Deutsche Fernsehen hat Morituri zu Brauners 75. Geburtstag am 1.8.1993 ausgestrahlt. Ein Arzt, Dr. Bronek, hat in einem Konzentrationslager eine Selektion durchzuführen. Unter Aufsicht des Lagerkommandanten sondert er eine Gruppe politischer Häftlinge als „arbeitsunfähig“ aus. Die Männer ahnen, daß sie nicht mehr lang zu leben haben. Dr. Bronek aber will den Gefangenen zur Flucht verhelfen. Während eines vorgetäuschten Fliegeralarms überwinden die Häftlinge den elektrischen Stacheldraht- zaun. Stundenlang sind ihnen die Häscher auf den Fersen, verfolgen sie durch Wald und Sümpfe. Fünfen gelingt die Flucht. Es sind der Russe Pjotr, der Franzose Armand, der Kanadier Roy, der Staatenlose Eddy und der deutsche Pfarramtskandidat Gerhard. Bronek versorgt die Geflo- henen mit Zivilkleidung und führt sie tiefer in den Wald zu einem Erd- bunker, in dem sich aus Furcht vor den deutschen Besatzern etwa fünfzig Menschen versteckt halten. Lydia, eine Dorfschullehrerin, kümmert sich um die Heimatlosen. Sie erlaubt den KZ-Flüchtlingen nur, sich einige Tage auszuruhen. Dann sollen sie weiter, um die Versteckten nicht zu gefährden. Dr. Bronek muß unterdessen mitansehen, wie die Deutschen seine Frau Maria verhaften. Im Lager wird sie verhört und zu Tode ge- foltert. Der Arzt schwört Rache. Die geflohenen Häftlinge richten sich im Waldversteck ein und schließen Bekanntschaft mit den anderen dort Lebenden: da sind ein jüdischer Rechtsanwalt und seine Familie, das polnische Bauernmädchen Stascha, ein Invalide, der Haus und Hof ver- loren hat, eine verwirrte Frau, die den Tod ihrer Tochter nicht verwinden kann. 260 Edel, Peter: Ist der Weg frei? In: Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 3. Jg, Nr. 49 vom 7.12.1948, S. 1552. 261 Pleyer, Peter: Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948. Münster, 1965, S. 315-328, (= Studien zur Publizistik, Bd. 4). II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 143 Bronek kommt bewaffnet und mit der Nachricht, daß die Rote Armee vorrückt, ins Waldlager zurück. Er möchte die Geflohenen überreden, sich an einer Sabotageaktion zu beteiligen. Darüber gerät er in Streit mit Lydia, die fürchtet, daß die Deutschen nach Sabotageakten den Wald durchkämmen werden. Bronek beschließt allein zu gehen. Da erreicht die Versteckten die Meldung, daß deutsche Soldaten ganz in der Nähe gesehen wurden. Alle geraten in Panik. Bei einer Hochschwangeren set- zen die Wehen ein. Eine Frau hält ihr den Mund zu. Plötzlich sind Schüsse zu hören. Bronek hat die Deutschen erschossen. Ständig rechnen die „Morituri“ damit, entdeckt zu werden. Die Versor- gung mit Lebensmitteln ist schwierig. Der polnische Bauer Sokol wird von einem deutschen Soldaten beobachtet, als er mit einem Sack Mehl im Wald verschwindet. Der Deutsche folgt dem Bauern, wird aber von Roy und anderen gefangengenommen. Die Versteckten müssen nun ent- scheiden, was mit ihrem Gefangenen geschehen soll. Laufenlassen? Töten? Nach einer langen Auseinandersetzung, die einer Gerichtsver- handlung gleicht, beschließen sie, den Deutschen vorerst weiter gefan- gen zu halten. Die Lage der Waldmenschen wird immer verzweifelter. Sie schlachten das letzte Stück Vieh. Bronek überfällt trotz Lydias Warnung Wehr- machtsfahrzeuge. Einmal besteht seine Beute aus einer Kiste franzö- sischen Cognacs. Das nützt den hungernden Menschen wenig. Weil der deutsche Gefangene verspricht, Lebensmittel zu besorgen und nichts zu verraten, läßt Eddy ihn heimlich frei. Der Deutsche kommt nicht zurück. Broneks Anschläge auf eine Bahnlinie führen dazu, daß sich die Deut- schen das Waldstück vornehmen. Der Arzt wird erschossen, Eddy schwer verwundet. Pjotr schleppt ihn ins Waldlager. Überzeugt, daß sie keine Chance haben zu überleben, feiern die „Morituri“ ein letztes Fest. Sie trinken den Cognac und beginnen zu tanzen. Eddy stirbt an seinen Verletzungen. Alle zusammen, jeder in seiner Sprache, sprechen sie ein Gebet. Da ertönt ein Ruf. Es ist der deutsche Soldat, den Eddy hat laufenlassen. Er erklärt den Frontverlauf und weist den Versteckten den Weg in die Freiheit. Am nächsten Morgen brechen die Waldmenschen auf. Hinter sich lassen sie zwei frische Gräber mit Birkenkreuzen. Sie ziehen über ein Feld und verschwinden in der Ferne. Als Handlungsort wird in dem CCC-Pressematerial „das Arbeitslager Gellnik in Polen“ genannt. In Polen hat es zwischen 1939 und 1945 eine Vielzahl von Lagern gegeben, ob es auch ein „Arbeitslager Gellnik“ ge- geben hat, ist nicht zu belegen. Brauner läßt ein Lager mit Baracken, Wachtürmen und Stacheldrahtzaun nachbauen. Das Lagertor trägt wie in Buchenwald die Aufschrift „Jedem das Seine“. Morituri gehört mit Lang II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 144 ist der Weg zu den wenigen deutschen Nachkriegsproduktionen, in denen überhaupt ein Lager als Ort der Handlung vorkommt. Das Lager ist aber weniger Ort der Handlung als deren Ausgangspunkt. Das mag zum einen daran liegen, daß der Anspruch, den Terror in einem Lager möglichst realistisch darzustellen, schon aufgrund technischer und orga- nisatorischer Schwierigkeiten schwer zu erfüllen gewesen ist, zum ande- ren an der Geschichte, die Brauner erzählen will. Der Film fesselt vor allem in seinen Anfangssequenzen. Die Flucht der Häftlinge aus dem Lager und die anschließende Verfolgungsjagd durch den nächtlichen Wald sind hochdramatisch. Schnelle Schnitte, wech- selnde Kameraperspektiven, der gekonnte Einsatz von Licht und Schat- ten und Geräuschen (Motorräder, Hundegebell, knackende Äste) erzeu- gen Spannung. Diese läßt nach, als die Flüchtigen im Waldversteck an- kommen. Von da an kommt den Dialogen ein größerer Stellenwert zu als den Handlungen. Die Figuren werden weniger durch ihr Tun als durch ihre Aussagen charakterisiert. Zwar sprechen alle verschiedene Spra- chen, doch verstehen sie einander. Bewußt verzichtet Morituri auf Un- tertitel. Verständigung trotz unterschiedlicher Sprachen ist ein Motiv, das den Film durchzieht. Am Beginn, im Lager, den Tod vor Augen, sagt Eddy, der Staatenlose, nachdem er die anderen nach ihrer Nationalität gefragt hat: „Na, bald haben wir ja alle dieselbe Nationalität. Wenn man tot ist, versteht man sich auch ohne Worte. Das ist die einzig wahre Völkerverständigung.“ Später aber pflichtet er Armand bei, der feststellt: „Nous nous avons compris dans toutes les langues.“ Am Ende, im Ster- ben liegend, fragt Eddy den Pfarrer nach dem lateinischen Satz, den die todgeweihten Sklaven sprechen mußten, wenn sie vor den römischen Kaiser traten. „Ave Caesar, morituri te salutant“, antwortet ihm der Pfar- rer. In diesen Szenen werden der Titel und die Idee des Films dem Zuschauer verdeutlicht: Krieg und Verfolgung einen die Opfer. Nur diese Einigkeit sichert Überleben und verhindert Krieg und Gewalt in Zukunft. In Morituri sind alle Opfer von Krieg und Verfolgung. Das Schicksal der Juden wird nicht ausdrücklich benannt. Sie sind eine Gruppe unter ande- ren. In einem Gespräch zwischen dem Pfarrer und dem ehemaligen Strafverteidiger, der jüdischen Glaubens ist, bezichtigt sich der Pfarrer allerdings eines christlichen Antijudaismus und der unterlassenen Hilfe- leistung: II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 145 Pfarrer: „Sie sind gejagt und gehetzt worden, während ich noch auf der Kanzel stand und predigte: Herr, vergib ihnen! Und als ihre Kirchen brannten, da schloß ich meine Kirchentür von innen zu und fühlte mich als Werkzeug Gottes. Dabei war ich auch nur ein Werkzeug der Gewalt. – Der fürch- terlichste Krieg stürmt über alle Länder und Meere, und wir sitzen hier und sind an den Rand geworfen wie Strand- gut und können nichts tun.“ Verteidiger: „Doch!“ Pfarrer: „Glauben Sie?“ Verteidiger: „Ja, denn der Mensch will leben, und er wird sich überall in der ganzen Welt mit all den Menschen zusammentun, die gleich ihm an das Kreuz des Krieges geschlagen sind.“ Der Film vermittelt die Sicht des „kleinen Mannes“, der den Ereignissen und Zeitläuften machtlos gegenübersteht. So spricht einer der Verfolg- ten: „Einmal möchte ich der liebe Gott sein, dann würde ich aufräumen! - Dann würde uns keiner mehr mit einer Kanone in die Quere kommen. Dann könnten wir Menschen sein und menschlich, wie es sich gehört.“ Und ein anderer, der als alter Matrose wie aus Große Freiheit Nr. 7 übernommen wirkt, singt zu seiner Ziehharmonika: „Das Leben kann so schön sein, nur mußt Du zu leben verstehn, und hat’s nicht immer den Anschein, es wird immer weitergehn! So trage des Lebens Bürde mit Gleichmut, du irdischer Gast, und grüße den Tod mit Würde, den einzigen Freund, den du hast! Das Leben kann noch so schlecht sein, mal muß es zu Ende gehn! Dann wird es dir aber nicht recht sein dazu war es doch zu schön! Das Lied zeugt sicher nicht von einem „progressiven“ Geschichtsver- ständnis, wie es manche Kritiker des Films fordern. Eine schicksalserge- bene, sich im Allgemein-Menschlichen ergehende und wenig kämpfe- rische Haltung prägt stattdessen den Film. Die Deutschen als Okkupan- ten und Mörder haben im Film kein Gesicht und keine Gestalt. Man hört nur ihre Befehle schreienden Stimmen, sieht ihre Uniformen, Stiefel, ihre Waffen, Fahrzeuge und die von ihnen errichteten Lager mit Stachel- II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 146 draht und Wachtürmen.262 Während des Verhörs von Maria, der deut- schen Frau Dr. Broneks, klagt sie ihre Peiniger an: „Ihr glaubt, mein Schreien hört niemand, und morgen habt ihr´s vergessen, was? Alle Schmerzen, jede Träne werden euch angerechnet werden!“ In der Schlüsselszene des Films, in der seine auf Versöhnung zielende Aussage besonders deutlich wird, erhebt ebenfalls ein Opfer Anklage gegenüber den Deutschen. Ein invalider Jude, dessen Frau und Kind ermordet worden sind, wirft dem gefangenen Deutschen vor, mitschuldig am Tod seiner Familie zu sein. Jegliche Menschlichkeit spricht er ihm ab: „Er sieht nur aus wie ein Mensch, singt und lacht wie ein Mensch, hat aber Blut an den Händen.“ Der Verteidiger des Deutschen ist ein jüdischer Rechtsanwalt. Er hält dem Ankläger entgegen: Verteidiger: „Du klagst ihn an, ich klage ihn auch an. Aber mein Freund, wissen wir denn, ob er je eine solche Tat began- gen hat? Ankläger: „Der oder sein Bruder oder sein Vater!“ Verteidiger: „Er ist ja noch ein halbes Kind, er kann es nicht gewesen sein!” Ankläger: „Du willst ihn also verteidigen?“ Verteidiger: „Ja! Ich habe in meinem Leben viele Menschen verteidigt, nach Gesetz und Recht, und das will ich auch jetzt tun. Es geht nicht um unser Schicksal, es geht um das, was Recht ist! Wir halten hier Gericht über einen von denen, die uns soviel angetan haben ...“ Hier blendet die Kamera über, aus dem Waldversteck wird ein Gerichts- saal, und der Verteidiger fährt fort: Verteidiger: „Vielleicht hat er selber nichts Böses getan, vielleicht ist er einer der Schlimmsten, vielleicht hat er nur marschie- ren gelernt und singen und schießen, vielleicht hat man ihm jedes Gefühl aus dem Herzen wegkommandiert. Wir wissen es nicht.” Und trotz der Einwände der anderen fährt der Verteidiger fort: 262 Damit greift der Kameramann Eugen York ein aus der Filmgeschichte bekanntes Ver- fahren auf: das Böse bleibt ohne Gesicht, ein Teil steht für das Ganze. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 147 Verteidiger: „Einmal werden auf Erden, die, die leiden, siegreich sein über die, die die Macht haben, und dann werden wir und alle unsere Leidensgefährten das Urteil sprechen. Und diese Urteil wird lauten: Zum Leben verurteilt! Zu einem armen Leben, das nur dann noch einen Sinn haben kann, wenn sich Liebe unter den Menschen verbirgt. – Laßt ihn leben, sieh, wie wir hier leben, das ist schon genug. Oder wollt ihr ihn zum Tode verurteilen, aus Gründen der Sicherheit, aus Angst, das er uns verrät?“ Die Kamera blendet wieder über ins Waldversteck. Die Menschen ant- worten beschämt mit „Nein“, „No“, „Non“, „Njet“. So fordert der jüdi- sche Verteidiger die Prüfung individueller Schuld. Eine Absage an die Kollektivschuldthese, wie sie zur Zeit der Entstehung des Films in Deutschland kontrovers diskutiert wird. Wie unerläßlich die Prüfung individueller Schuld ist, wird durch den weiteren Verlauf der Handlung bestätigt, denn der freigelassene deutsche Soldat warnt die Versteckten, kurz bevor sie aufgespürt und als Partisanen erschossen werden können. Der vermeintliche Täter wird damit zum Retter. Das in ihn gesetzte Ver- trauen wird nicht enttäuscht. Rache und Vergeltung, so die Aussage, treiben die Spirale der Gewalt immer weiter, einmal muß Schluß sein, will man endlich Frieden. Deshalb werden auch die Attentate und Sabo- tageakte des polnischen Arztes Bronek, dessen Frau im KZ ermordet wurde, als zwar verständlich, aber für die gemeinsame Sache - der Siche- rung des Überlebens im Waldversteck - schädlich angesehen. Der Dialog zwischen Lydia und Dr. Bronek, als er die Männer im Waldversteck auf- fordert, sich an Sabotageakten gegen die Deutschen zu beteiligen, ist aufschlußreich, weil hier Pragmatismus, vertreten durch eine Frau, und Idealismus, vertreten durch einen Mann, aufeinandertreffen: Lydia: „Daraus wird nichts! Ich verbiete es euch!“ Bronek: „Das geht Sie nichts an!“ Lydia: „Wieso geht mich das nichts an? Ein Jahr lang habe ich die Menschen hier davor bewahrt, entdeckt zu werden. Sollen sie jetzt wieder fliehen müssen? Bloß weil ihr ein paar Wachtposten überfallen wollt? Oder glaubt ihr, da- mit den Krieg zu beenden?“ Bronek: „Was verstehen sie vom Krieg?“ Lydia: „Nichts!“ Bronek: „Also!“ Lydia: „Ich will auch nichts vom Krieg verstehen, aber trotzdem rede ich!“ Bronek: „Ich kämpfe für mein Heimatland!“ II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 148 Lydia: „Kämpfen Sie für oder gegen wen sie wollen. Ich kämpfe gegen jeden, der die hilflosen Menschen hier in Gefahr bringt!“ Eindruck hinterläßt die Szene, in der die „Morituri“ ihren Abschied vom Leben feiern, sich betrinken und tanzen. Der Filmkritiker der Hannover- schen Abendpost schreibt: „Alle Gesichte und Gesichter verdichten sich zu einer gespenstischen, makabren Schau, die an Gemälde von Carl Hofer erinnert: Von erbeutetem Schnaps Trunkene tanzen, Marionetten gleich, in Lumpen und auf Krücken einen Totentanz des Lebens. Der suggestive Expressionismus der Schwarz-Weiß-Optik, der im Helldunkel der Nachtaufnahmen den gesamten Film bestimmt, erreicht in dieser visionären Optik des Grauens seinen Höhepunkt.“263 Wolfgang Becker und Norbert Schöll meinen, daß durch diese Szene, an deren Ende ein Feuer im Waldversteck ausbricht, „... der Tanz um das Goldene Kalb erinnert werden soll“264, also die in 2. Mose, 32 beschriebene Abkehr der Israeliten von Gott und die darauffolgende Strafe. Diese Interpretation jedoch, Verfolgung und Ermordung der Juden während des Holocaust mit alttestamentarischen Sühnegeschichten in Zusammenhang zu brin- gen, geht meines Erachtens zu weit. II.1.3. Mitwirkende Stab Regie Eugen York Buch Gustav Kampendonk nach einer Idee von Artur Brauner Komponist Wolfgang Zeller Kamera Werner Krien Architekt Hermann Warm, Bruno Monden Tonmeister Werner Pohl Schnitt und Regie- Assistenz Walter Wischniewski Produktionsleitung Hans Lehmann 263 A.E.K.: Morituri. Film-Uraufführung in Hamburg. In: Abendpost (Hannover) vom 30.9.1948, S. 3. 264 In jenen Tagen ... . Wie der deutsche Nachkriegsfilm die Vergangenheit bewältigte. Hrsg. von Wolfgang Becker und Norbert Schöll. Opladen, 1995, S. 60. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 149 Darsteller Dr. Leon Bronek Walter Richter Maria, seine Frau Winnie Markus Lydia, Polin Lotte Koch Eddy, Staatenloser Josef Sieber Gerhard Tenborg, Deutscher Siegmar Schneider Armand, Franzose Karl-Heinz Schroth Roy, Kanadier Alfred Cogho Pjotr, Russe Peter Marx Dr. Simon, Anwalt Josef Almas Ruth, seine Tochter Ursula Bergmann Lucie, seine Tochter Ellinor Saul Vater Simon Willi Prager Mutter Simon Annemarie Hase Georg, deutscher Soldat Karl Viebach Janek, 12 Jahre Bob Kleinmann Wladek, 16 Jahre Michael Günther Sokol, polnischer Bauer Erich Dunskus Stascha, seine Tochter Catja Görna Der Invalide David Minster Die Irre Hilde Körber Holländischer Häftling Klaus Kinski Die Schwangere Gabriele Hessmann Film ist immer ein im Kollektiv entstandenes künstlerisches Werk, den- noch wird gemeinhin dem Regisseur eine besondere Verantwortung für die Realisierung eines Films zugeschrieben. Im Fall von Morituri ist je- doch weniger Eugen York der Filmemacher als Artur Brauner. Er bringt seine eigenen Erfahrungen ein, von ihm stammt die Idee, das Schicksal der unter Krieg und Besatzung leidenden Zivilbevölkerung in den Blick zu nehmen. Für sein Projekt ist er bereit, sämtliche bürokratische Hürden zu nehmen und viel Geld und Arbeit zu investieren. Zusammen mit sei- nen wenigen Mitarbeitern bemüht sich Brauner, die richtigen Leute für Morituri zusammenzubekommen. Dabei scheint es ihm als Produzenten mehr um technisches und schauspielerisches Können zu gehen als um Unbelastetheit. Die am Film Mitwirkenden haben größtenteils ihr Hand- werk bei der UFA gelernt. Brauner will als Regisseur Arthur Maria Rabenalt, nimmt dann aber den 36-jährigen Eugen York unter Vertrag. Dieser ist Assistent von Walter Ruttmann gewesen und hat von 1937 bis 1943 als „Kulturfilmregisseur“ für die UFA gearbeitet. Ebenso der Kameramann Werner Krien, der an Münchhausen, Große Freiheit Nr. 7, II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 150 Irgendwo in Berlin, Und über uns der Himmel beteiligt gewesen ist, der Filmkomponist Wolfgang Zeller, der die Filmmusik für Die Abenteuer des Prinzen Achmed, Melodie der Welt, Vampyr und Jud Süß geschrie- ben hat, und der Filmarchitekt Hermann Warm, der durch seine Bauten für Das Cabinet des Dr. Caligari, Der müde Tod und Peer Gynt Be- rühmtheit erlangt hat. Für das Drehbuch verantwortlich zeichnet Gustav Kampendonk, der als UFA-Dramaturg an Filmen wie Frauen sind doch die besseren Diplo- maten (1941) mit Marika Röck beteiligt gewesen ist. Er ist schon der zweite Autor, der Brauners Ideen in ein Drehbuch umsetzen soll. Im Spiegel vom 2.10.1948 steht: „Das erste Drehbuch mußte weggeworfen werden. Es bestand aus ‚Leitartikeln‘, meint Otto Heinz Jahn, künstleri- scher Leiter der CCC und früher Chef der UFA und der Berlin-Film.“265 Kampendonk hat nicht viel Zeit für die Überarbeitung des ersten Ent- wurfs. Brauner ist auch mit dieser Vorlage nicht zufrieden: „Zu pathe- tisch, zu hölzern, zu wenig lebendig”266, findet er. Die Zeit aber drängt, und so werden Änderungen während der laufenden Dreharbeiten vorge- nommen. Dem Film bekommt das nicht. Szenen noch einmal zu drehen, ist aufgrund des Rohfilmmangels ausgeschlossen. Gustav Kampendonk schildert in einem Zeitungsartikel, wie er als Autor während der Außenaufnahmen zu Morituri dabei gewesen ist und was er von dem fast fertigem Film hält: „Auf der Rückfahrt werde ich gefragt, was der Autor sich so denkt, wenn er den Aufnahmen eines seiner Filme zusieht. Nicht viel. Höchstens, daß man den Film jetzt nochmal schrei- ben müßte. Und vielleicht noch, daß es doch keinen Zweck hätte, weil ja doch wieder alles anders gemacht würde.“267 Daraus sprechen gekränkte Eitelkeit und Resignation. Ob ein striktes Festhalten am Drehbuch dem Film aber besser bekommen wäre, ist fraglich. Darsteller wie Winnie Markus, Karl-Heinz Schroth, Walter Richter und die früher mit den NS-Regisseuren Liebeneiner und Harlan verbundene Hilde Körber sind bekannte UFA-Schauspieler. Einige Mitwirkende wie Klaus Kinski sollen später berühmt werden. Bewußt verzichtet der Film darauf, eine Person in den Mittelpunkt zu stellen. Hauptdarsteller ist die Gruppe der im Waldversteck lebenden Menschen aller Nationen und 265 Menschen hart am Abgrund. Der Weg in die Freiheit. In: Der Spiegel, Nr. 40 vom 2.10.1948, S. 21. 266 Brauner, Artur, zit. nach Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946-1990. Frankfurt/M., 1990, (= Schriftenreihe des Deutschen Filmmuseums, hrsg. von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert), S. 30. 267 Kampendonk, Gustav: Autor auf Außenaufnahme. Bei den „Todgeweihten“. O.O., 21.12.1947, Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 151 Überzeugungen. Mittels aufwendiger Synchronarbeiten (Tonmeister: Werner Pohl) sind im Film verschiedene Sprachen zu hören: polnisch, englisch, französisch, russisch und deutsch wechseln einander ab. II.1.4. Resonanz Daß Morituri zum ersten Mal während der Internationalen Filmfestspiele in Venedig aufgeführt wird, erfüllt Brauner mit Stolz. Er hat seiner Meinung nach einen internationalen Film gemacht und hofft nun auf internationales Interesse. Der Film wird indes von der ausländischen Presse zurückhaltend aufgenommen. Die Berichterstattung in Deutsch- land ist zunächst wohlwollend. Wegen der Premierenverlegung von Berlin nach Hamburg findet der Film gewisse Beachtung. Und durch die Werbung des Schorcht-Verleihs und die Teilnahme an der Biennale wird die Filmpremiere in Hamburg gar zum gesellschaftlichen Ereignis. Der Spiegel berichtet am 2.10.1948 ausführlich über den „mit geheimnis- voller Reklame wirkungsvoll angekündigten“ Film und weist darauf hin, daß Morituri „schon in Venedig internationale Beachtung gefunden“ hat.268 Doch sind die Reaktionen des Hamburger Publikums am Ende der Vorstellung eindeutig ablehnend. Erika Müller schreibt in der Zeit vom 30.9.1948: „Es ist ein Film, der als Mittel zur readucation [sic!] dient, und das ist leider kein gutes Wort. Aber niemand darf es sich leicht machen und Verantwortung ablehnen. Und deshalb sollt es besser diese Stimmen nicht geben, wie sie nach der Vorstellung am Ausgang zu hören waren. ‚Den sollten sie in Nazi-Lagern zeigen‘, ‚ganz schön, aber immer diese Tendenz‘, ‚ich gehöre nicht dazu ...‘. Dieser Film ist eine ernste Warnung, die jeden angeht.”269 Das Thema ist vielen Zuschauern zu bedrückend, sie möchten die Ver- gangenheit hinter sich lassen, vor allem aber sich nicht angeklagt fühlen, ganz unabhängig davon, ob ein Film Anklage erhebt oder wie im Fall von Morituri doch Versöhnung und Vergebung propagiert. Brauner erin- nert sich 1995: „Als der Film damals zur Aufführung kam, sind die Fensterscheiben zerschlagen und Stinkgase angedroht worden. Manche Kinos haben dann sofort den Film absetzen müssen. Heute würde es liberaler zugehen, wobei das Publikum trotzdem nicht in Scharen ins Kino rennt.“270 268 Menschen hart am Abgrund. Der Weg in die Freiheit. In: Der Spiegel, Nr. 40 vom 2.10.1948, S. 22. 269 Müller, Erika: Morituri. Filmerstaufführung in Hamburg. In: Die Zeit vom 30.9.1948. Quelle: Deutsche Institut für Filmkunde. 270 Brief Artur Brauners an die Verfasserin vom 12.12.1995. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 152 In anderen Städten wie z.B. Hannover sind die Proteste noch lauter. Schon während der Vorstellung pfeifen und rufen die Zuschauer oder verlassen empört den Kinosaal und verlangen ihr Geld zurück. Nach wenigen Vorführungen setzen die meisten Kinobetreiber den Film ab. Im Hamburger Waterloo-Filmtheater, wo Morituri gestartet ist, läuft er nur zwei Wochen. In 363 Theatern sehen 424.476 Zuschauer den Film, wäh- rend ein durchschnittlich erfolgreicher Film damals in mindestens der Hälfte der 6.000 Filmtheater aufgeführt wird und vier bis fünf Millionen Besucher anzieht.271 Kurt Schorcht, der Verleiher, schlägt Brauner nach den öffentlichen Protesten vor, den Film nur noch in Sonderveranstal- tungen und in Verbindung mit geeigneten Organisationen wie der Verei- nigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aufzuführen. Morituri ist also ein wirtschaftlicher Mißerfolg. Artur Brauner stellt in seinen Erinne- rungen Mich gibt´s nur einmal fest: „Gekostet hat Morituri anderthalb Millionen Reichsmark und, da uns die Währungsreform überrollt hatte, noch einmal 250.000 DM. Eingespielt hat er knapp 60.000 DM. An mei- nen Schulden zahlte ich fünf lange, bittere Jahre. Ich habe es trotzdem nie bereut, diesen Film gemacht zu haben. Gelernt allerdings habe ich - leider, leider -, daß ein Kino in erster Linie eine Stätte der Unterhaltung sein sollte und keine Stätte der Vergangenheitsbewältigung.”272 II.1.5. Filmkritiken Zu berücksichtigen ist bei der Auswertung der Pressemeldungen und Filmkritiken die Situation der Presse in Deutschland zum Zeitpunkt der Produktion und Aufführung von Morituri. Zeitungen und Zeitschriften stehen 1948 noch unter strenger Kontrolle der Alliierten. In den West- zonen dürfen nur diejenigen eine Zeitung oder Zeitschrift herausgeben, die als unbelastete Deutsche über eine Lizenz verfügen. In der Sowje- tisch Besetzten Zone erhalten Parteien und Massenorganisationen Lizen- zen, wobei die SED bevorzugt wird. Papier ist knapp. Filme zu rezensie- ren, scheint weniger notwendig als über Politik und Wirtschaft zu be- richten. So sind Zahl und Umfang der Kritiken zu Morituri insgesamt und verglichen mit späteren Produktionen zum Thema Holocaust nicht sehr hoch. Erschwerend kommt hinzu, daß viele Kritiken nicht mehr auf- findbar sind oder wichtige Angaben zum Autor und zu Erscheinungsort und –datum fehlen. 271 Die Angaben stammen von der Geschäftsführerin der Schorcht International Film- produktion und Filmvertriebsgesellschaft, München. Vgl. Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. A.a.O., Anm. 59, S. 47. 272 Brauner, „Atze“: Mich gibt´s nur einmal. Rückblende eines Lebens. München, 1976, S. 76. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 153 Dennoch gibt es schon Berichte über die Arbeiten an einem neuen CCC- Film, bevor dieser fertiggestellt ist. Herbert Schläger faßt in seinem mit Fotos vom Set versehenen Beitrag die Handlung zusammen und schließt nach viel Lob für die Darsteller und den „begabten Nachwuchsregisseur Eugen York“ mit dem Wunsch, „daß hier neben Lang ist der Weg und Ehe im Schatten ein Werk Gestalt gewinnt, das einen Stoff unserer Tage in die Bezirke des allgemein Menschlichen transponiert.“273 Der Film- rezensent der Berliner Zeitung vermischt in seiner Schilderung der Arbeitsweise des Filmteams gekonnt Film und Wirklichkeit und deutet damit an, daß die Zeit des Hungers und der Entbehrungen noch nicht lang vorbei ist. Gegenseitige Unterstützung aber – so zeigt es der Film und so zeigen die an Morituri Beteiligten – kann zu einem guten Ende führen.274 Zum Verlauf der Dreharbeiten äußert sich in einem Zeitungsbeitrag auch der Autor des Drehbuchs, Gustav Kampendonk. Seine Schilderung der Situation am Set ist sehr subjektiv und man möchte beinahe sagen „lau- nig“ geschrieben. Sie enthält viele überflüssige Passagen, beispielsweise über die Frisur des jungen Regisseurs oder die leichtbekleideten Schau- spielerinnen. Insgesamt scheint der Beitrag dem Ziel der Filmcrew, einen ernsthaften Film zu drehen, nicht ganz angemessen. Sich selbst sieht Kampendonk als Verursacher der Betriebsamkeit, die am nächtlichen Drehort herrscht. „Hätte man damals nicht am Schreibtisch gesessen oder sich etwas anderes ausgedacht, würden diese Menschen jetzt wahr- scheinlich im Bett liegen und schlafen.“ Doch glücklicherweise komme niemand auf diesen Gedanken. Mit der Erkenntnis, daß Filme schreiben doch „gemütlicher“ sei als Filme drehen, fährt der Drehbuchautor wieder nach Haus.275 Ganz unterschiedliche Sichtweisen und Erwartungen sind in den Rezen- sionen und Unmutsäußerungen der Zuschauer nach dem Filmstart zu er- kennen. In der SBZ, wo der Film trotz der Unterstützung der sowje- tischen Behörden bei der Produktion gar nicht zur Aufführung gelangt, wird er immerhin im Neuen Deutschland rezensiert. Dieser Artikel ist ein Verriß und gleichzeitig ein Beleg für die sich vertiefende Kluft zwi- schen Ost und West im hochpolitischen Bereich Kultur. Kritisiert wird die „westliche“ Sicht auf den „antifaschistischen Widerstand“. Regisseur und Kameramann seien „Opfer eines Drehbuches geworden, das nur 273 Schläger, Herbert: Central Cinema Comp. dreht: Morituri (Die Namenlosen). O.O., 7.11.1947, Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 274 Vgl. -lt: „Der Wald ist unser Nachtquartier ...“. Die Kameradschaft der „Morituri“ - Filmszenen unterm Tarnnetz. In: Berliner Zeitung vom 11.11.1947, S. 3. 275 Vgl. Kampendonk, Gustav: Autor auf Außenaufnahme. Bei den „Todgeweihten“. O.O., 21.12.1947, Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 154 vorgibt, Dokument der Gehetzten und Verfolgten des Naziterrors zu sein. Aber nicht nur Gehetzte und Verfolgte gab es, sondern auch harte Kämpfer gegen den Terror, insbesondere in den Reihen des heldenhaft ringenden polnischen Volkes. Darüber wird hier geschwiegen. Es ist kein Zufall, wenn dem Film Morituri in der westlichen Presse Beifall geklatscht wird, gilt er doch Filmleuten, in deren Hirnen der Traum vom großdeutschen Reich und seiner Herrschaft über angeblich minderrassige Völker noch herumgeistert.“276 Der Autor des Drehbuches, Gustav Kampendonk, wird als „Drehbuch- konfektionär“ direkt angegangen: „Es erhebt sich bei diesem Film die berechtigte Frage, weshalb altbewährte Drehbuchautoren, die noch immer in den Gleisen der zwölf Jahre fahren, nicht einen Stoff aus dem verrotteten Filmmilieu der Nazizeit gestalten, einen Stoff, den sie aus bester Sachkenntnis heraus wohl beherrschen dürften? Wenn sie schon ihre Hände nicht von dem neuen deutschen Film lassen können, so soll- ten sie sich nicht ausgerechnet ein Thema aussuchen, zu dem sie inner- lich keine Beziehung haben können.“277 Die Kritik endet mit Protest „gegen diesen Film, der kein Dokumentarwerk des antifaschistischen Kampfes auch in den KZ ist“ und gipfelt in der Forderung „den Streifen schleunigst vom Spielplan abzusetzen.“278 Die Behauptung, der polnische Widerstand bleibe ausgeblendet, ist nicht richtig. Die Sabotageakte, die Dr. Bronek mit seiner Gruppe verübt, nehmen breiten Raum ein. Sie sind allerdings Grund heftiger Auseinan- dersetzungen der Versteckten im Waldlager. Denn bei allem Verständnis für Broneks - übrigens mehr persönlich als politisch motivierte Rache- akte - fürchten die Flüchtlinge, daß seine Aktionen ihre Sicherheit ge- fährden. Dem Kritiker des Neuen Deutschland paßt vermutlich diese Zwiespältigkeit nicht. Eine eindeutige Stellungnahme für den bewaffne- ten kommunistischen Widerstand hätte eher ins ideologische Konzept des Zentralorgans gepaßt. Das Neue Deutschland setzt mit seiner Kritik Maßstäbe für andere. So tragen Hans Schlesinger und Peter Edel in der wiedergegründeten Welt- bühne dieselben Argumente vor, kritisieren, daß ehemalige UFA-Mitar- beiter beteiligt sind, „die keine innere Bindung zu dem Stoff haben“, und daß der Film „romantisiert“. Edel stellt fest: „Einzig die filmische Gestaltung wäre bei diesem Streifen noch zu würdigen. Denn wäre nicht die ausgezeichnete Kamera Walter Kriens, der Film wäre des Sehens 276 Morituri in der Neuen Scala. In: Neues Deutschland vom 21.11.1948, S. 5. 277 Ebenda. 278 Ebenda. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 155 nicht wert.“279 Schlesinger geht es weniger um die Technik als die Aus- sage des Films. Er fragt: „Die Nazigesichter! Warum zeigt man sie nicht? Die SS und Wehrmacht in Polen, wie sie ‚herrschte‘. Die ‚Herren- rasse‘! – Eine Konzession an den Teil des Publikums, dem man damit einen Spiegel vorhalten würde.“ Besonders ärgerlich findet Schlesinger den Schlußteil und die Darstellung des jungen Wehrmachtssoldaten als Retter der „Morituri“: „Anstatt die Wahrheit zu sagen, die lauten müßte: ‚Die siegreiche Sowjetarmee hat mit ihrem Vormarsch die von den faschistischen Truppen hoffnungslos eingekesselten Flüchtlinge befreit‘, wird noch einmal dieser deutsche Soldat in voller Bewaffnung gezeigt, wie er den Flüchtlingen zuruft, daß sie frei seien, die deutschen Truppen wären abgezogen. (!)“280 Ein Film, der ausschließlich den antifaschistischen Widerstand im Konzentrationslager darstellt, wird fünfzehn Jahre später die DEFA- Produktion Nackt unter Wölfen sein. Die wenig klassenkämpferische, stattdessen nachsichtig-deutschfreundliche Tendenz der Braunerscher Produktion von 1948 und die mangelnde Bereitschaft, Kriegsursachen zu benennen, führen im Fall von Morituri jedoch dazu, den Film in der SBZ nicht aufzuführen. Brauner versteht bis heute nicht ganz, was die Sowje- tischen Behörden gegen seinen Film gehabt haben können, wo sie doch erst die Produktion unterstützt hatten. Eine Begründung hat er nie erhal- ten. Auf die Frage, wie er sich die vernichtende Kritik im Neuen Deutschland erklärt, stellt Brauner fest: „Sie waren bitterböse und schäumten vor Wut, daß wir als einzige Firma in der Sowjetzone drehen durften außerhalb des DEFA-Monopols. Sie haben alle Versuche unter- nommen, die Herstellung des Films zu torpedieren.“281 Mit „sie“ meint Brauner hier die deutschen Konkurrenten, nicht die sowjetischen Behör- den. Die in der SBZ-Presse geäußerte Kritik an Morituri unterscheidet sich grundlegend von den Unmutsbekundungen des Publikums in den West- zonen. Was den einen zu wenig klassenkämpferisch, prosowjetisch, anti- faschistisch, politisch eindeutig erscheint, empfinden die anderen als anklägerisch und den Deutschen gegenüber ungerecht. Die Kritiker in den Westzonen versuchen der ablehnenden Haltung der Zuschauer zu- vorzukommen. Für den Rezensenten der Hamburger Allgemeinen „bleibt zu hoffen, daß die starken Nervenanspannungen, die er [der Film] aus- übt, jene Hemmungen ausschalten, die er vom Thema her noch (oder 279 Edel, Peter: Ist der Weg frei? In: Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 3. Jg, Nr. 49 vom 7.12.1948, S. 1552-1554. 280 Schlesinger, Hans: Morituri. In: Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirt- schaft. 3. Jg, Nr. 48 vom 30.11.1948, S. 1523f. 281 Brief Artur Brauners an die Verfasserin vom 12.12.1995. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 156 wieder) enthalten dürfte.“282 Abgesehen von seiner sehr unterschiedlich beschriebenen Tendenz wird Morituri wegen seiner Machart und Ästhe- tik gerügt. Das Pathos dieses Films, seine Unentschiedenheit zwischen Realismus und Sentiment verärgern manchen Kritiker. Ein neuer, sich vom UFA-Stil absetzender Umgang mit Bildern und Dialogen sei nicht erkennbar. Zwar zählt Wolfdietrich Schnurre, Mitbegründer der „Gruppe ´47“, in seiner „Streitschrift“ zur „Rettung des deutschen Films“ Mori- turi zu den „eben noch diskutablen“ deutschen Nachkriegsfilmen, zu- gleich ist ihm dieser Film aber ein Beispiel für „deutsche (Film-) Rühr- seligkeit“, offenkundig als Dr. Bronek, dem die KZ-Schergen auf den Fersen sind, noch einmal sein Haus betritt: „Was tut er dort? Er schwelgt, von seiner jungen Frau darin nach besten Kräften unterstützt, minutenlang in idyllischen Flitterwochenerinnerungen. Nachdem man sich dann noch einmal, unter den entsprechenden Stöhn- und Seufzer- pausen versteht sich, gegenseitig seine unzerstörbare Liebe gestanden hat, wird noch schnell die alte, liebe Spieluhr aufgezogen, und indes die traute Weise erklingt, schickt man sich versonnen an, den Koffer zu packen.“283 Schon unmittelbar nach der Aufführung von Morituri hat Schnurre er- kannt, worin der eigentliche Fehler dieses Films liegt: „Das Unglück die- ses Films ist vielleicht nur, daß er drei Jahre zu spät kam. Anfang 1946 hätte man ihn fraglos noch als einen mutigen Anfang begrüßt. Heute jedoch - darüber sollte man sich klar sein - hat er für lange Zeit den Schlußstrich unter alle Bemühungen gesetzt, deutscherseits eine echt un- sentimentale filmische Zeitaussage zu schaffen. Morituri war die letzte Chance des deutschen Nachkriegsfilms. York hat sie sich mit Anstand entgehen lassen.”284 Morituri ist aufgrund seiner politischen Indifferenz und aufgrund ästhetischer und personeller Kontinuitäten nicht nur eine vertane Chance des Neubeginns, wie Schnurre konstatiert. Er ist zugleich Beweis eines dennoch vorhandenen Bemühens, „es besser zu machen”. Das ist nicht gelungen. So sieht es auch Peter Pleyer in seiner Analyse deutscher Nachkriegs- filme. Er konstatiert gravierende künstlerische Mängel: die Darsteller wirkten unglaubwürdig, seien lediglich „Sprachrohr” der von den 282 Morituri. CCC-Filmaufführung im Waterloo-Filmtheater. In: Hamburger Allgemeine vom 27.9.1948, S. 4. 283 Schnurre, Wolfdietrich: Rettung des deutschen Films. Eine Streitschrift. In: Der Deut- schenspiegel, Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung, Bd. 38. Hrsg. von Gerhart Binder, Stuttgart, 1950, S. 36. 284 Schnurre, Wolfdietrich: Dokument oder Unterhaltung? Morituri in der Neuen Scala. In: Ja, 24.11.1948. Zit. nach Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. A.a.O., S. 37. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 157 Filmemachern propagierten Völkerverständigung, als Charaktere jedoch nicht erkennbar. Ihr Verhalten scheine in vielen Fällen unmotiviert. Die Liebesgeschichte zwischen dem polnischen Mädchen Sascha und dem Kanadier Roy wertet Pleyer als Konzession an den Zuschauer- geschmack, sie diene der Auflockerung des an sich ernsten Themas und sei als Hinweis auf den berechtigten Glauben an die Zukunft zu verste- hen. Diese Liebesgeschichte, manche effektvolle Zufälle und besonders das plötzliche „Happy End“ wirkten unglaubwürdig.285 Pleyer stellt Vermutungen an, warum der Film den Zuschauer von 1948 nicht er- reicht. Das läge daran, daß die Solidarität unter den Verfolgten nur damit begründet werde, daß sie sich in einer schrecklichen Ausnahmesituation befänden und gemeinsam von einer sie bedrohenden Macht verfolgt würden. Diese Ausnahmesituation sei 1948 nicht mehr gegeben und somit das Motiv für die Verbrüderung auf die Nachkriegszeit nicht übertragbar.286 Gerade das aber wollten Brauner und sein Team errei- chen: eine Verbindung zwischen der Situation der Verfolgten 1944 und der Situation vier Jahre später herstellen. Denn anders als Pleyer Anfang der sechziger Jahre kennt die Kriegsgeneration zur Zeit der Blockade Berlins materielle Not und spürt deutlich die Gefahr einer neuerlichen Konfrontation, diesmal zwischen Ost und West. Deshalb die Forderung nach Ausgleich zwischen den Völkern und einem strikten Antimilitaris- mus. Daß und wie diese Forderung filmisch umgesetzt wird, ruft schon im Jahr der Aufführung Widerspruch hervor, und auch Jahrzehnte später erfährt die Kritik an Morituri kaum Revision bzw. Differenzierung. Wolfgang Becker und Norbert Schöll vermuten 1995, daß Morituri „... von dem Standpunkt kommender Erlösung aus für das Erdulden des Schicksals als einzigem Ausweg plädiert. ... Als Lehre soll nicht die Ab- sicht folgen, für Zustände zu sorgen, in denen es keinen Krieg mehr gibt, sondern der Wunsch, durch die Einsicht anderer nicht mehr an das ‚Kreuz des Krieges geschlagen‘ zu sein. Der Film will als einzige Gewißheit an das Himmelreich der Bergpredigt, an die Seligkeit der Friedfertigen, gemahnen.“287 Ein Film, der wie Morituri einen religiös- pazifistischen Standpunkt einnimmt, habe auf der „Suche nach der Güte des Menschen im Dritten Reich die Frage nach einer (Mit-)Schuld schon 285 Pleyer, Peter: Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948. Münster, 1965, (= Studien zur Publizistik. Bd. 4), S. 65. 286 Vgl. ebenda. 287 In jenen Tagen ... . Wie der deutsche Nachkriegsfilm die Vergangenheit bewältigte. Hrsg. von Wolfgang Becker und Norbert Schöll. Opladen, 1995, S. 59. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 158 hinter sich gelassen - einfach dadurch, daß [er] die Existenz dieses Gut- Seins, von Menschlichkeit, postuliere und bebildere.“288 II.1.6. Morituri und das Gesamtwerk Artur Brauners Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel widmet im November 1957 dem „Allein-Unterhalter“ Artur Brauner eine elfseitige Titelgeschichte, die den enormen wirtschaftlichen Erfolg des Filmproduzenten zum Thema hat.289 Eine klassische Wirtschaftswundergeschichte über jemanden, der sich hochgearbeitet hat, der es geschafft hat in der bundesrepublikani- schen Nachkriegsgesellschaft. Brauner wird als ein gewiefter Geschäftsmann beschrieben, der seine Projekte immer mit großem per- sönlichen Einsatz betreibt. Er selbst fahndet nach Stoffen, sichert sich Rechte, engagiert Schauspieler, entwirft Verträge und Kostenpläne, un- terhält eigene Ateliers, sucht den geeigneten Verleih und überwacht so von der Idee bis zur Aufführung die gesamte Filmproduktion. Für Spott in der Branche sorgen seine Sturheit einerseits, seine Wendigkeit ande- rerseits - vor allem aber sein Geiz. Anekdoten kursieren, die gleichzeitig Neid und Anerkennung ausdrücken. Anekdoten, die vielleicht Beleg für die Dauerhaftigkeit antisemitischer Vorurteile sind. Mit seiner CCC als einer der 194 handelsgerichtlich eingetragenen Film- produktionsfirmen stellt Brauner mehr als ein Achtel des deutschen Filmangebots im Jahr 1957. Dabei erstaunt die unterschiedliche künstle- rische Qualität seiner Produktionen: von Klamauk und Schwänken über triviale Musik- und Liebesfilmchen bis zu anspruchsvollen Literaturver- filmungen mit Starbesetzung. Brauner macht alles: „Man muß mischen! Je mehr desto besser! Gleicht sich dann aus! Ohne Unterhaltungs- und Musikfilme geht es nicht! Jeder Musikfilm ist sicher! Bringt immer seine drei Millionen. Zieht den problematischen durch!“290 „Risikoausgleich“ nennt er das. Der wirtschaftliche Mißerfolg von Morituri hat ihn gelehrt, mit den Themen Krieg und Holocaust vorsichtig umzugehen. Filme wie 288 A.a.O., S. 60 289 Artur Brauner. Das ist Leben. Spiegel-Titelgeschichte. In: Der Spiegel, Nr. 47 vom 20.11.1957, S. 45-56. Als „Allein-Unterhalter“ wird Brauner auf dem Titelblatt bezeichnet. 290 Zit. nach Der Spiegel, a.a.O., S. 46. Hier wird durch das Zitat versucht, Brauner mittels Sprache zu charakterisieren: knapp, gehetzt, immer auf der Jagd nach dem wirtschaft- lichen und/oder künstlerischen Erfolg. Derlei Charakterisierungen finden sich auch in späteren Portraits. So zitiert die Berliner tageszeitung einen angeblichen Wahlspruch Brauners: „Die Gagges werden sich bejagen, und die Pointen müssen so gut sein, daß auch lachen darüber die Snoben.“ Brauner, Artur, zit. nach mn: Das Portrait. In: die tageszeitung vom 31.7.1993, S. 11. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 159 Der Zarewitsch oder Das Hollandmädel ermöglichen ihm nun Produk- tionen wie Der 20. Juli. Ansehen bei den jungen deutschen Filme- machern (damit sind die Unterzeichner des „Oberhausener Manifests“ gemeint) genießt Brauner als „Kommerzfilmer“ und Vertreter von „Opas Kino“ nicht. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Zwar gesteht er Wim Wen- ders und Werner Herzog eine gewisse Klasse zu, vor allem aber habe „... die Presse die so hochgejubelt, daß sie geglaubt haben, sie sind Götter. Mit denen konnte man nicht reden, so hoch trugen sie ihre Nasen. ... Alles wußten die besser.“291 Aus der Masse der wenig anspruchsvollen, darum aber nicht erfolglosen Filme, heben sich in allen Jahrzehnten Filme heraus, die Brauner selbst als „seine jüdischen“ bezeichnet. Dazu zählen neben Morituri von 1948, Mensch und Bestie von 1963, in dem ein SS-Offizier seinen aus einem KZ geflohenen Bruder zu Tode hetzt, Zeugin aus der Hölle von 1965/67, in dem die Verzweifelung einer Holocaust-Überlebenden und die schleppende juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen dargestellt werden, Sie sind frei, Dr. Korczak von 1973/74, in dem der Heldenmut des von Brauner verehrten Janusz Korszak im Mittelpunkt steht, Char- lotte von 1980, in dem die Geschichte der in Auschwitz ermordeten Malerin Charlotte Salomon nachgezeichnet wird, Eine Liebe in Deutschland von 1983, ein Film über die komplizierte Beziehung zwi- schen einer Deutschen und einem Polen und Zu Freiwild verdammt von 1983/84, in dem Brauners Nichte Sharon ein jüdisches Mädchen wäh- rend der Besetzung Polens spielt. Diese Geschichte basiert auf den tat- sächlichen Erlebnissen Maria Brauners, der Ehefrau des Filmproduzen- ten. Brauner ist darüber hinaus an Co-Produktionen beteiligt, z.T. nur als Geldgeber wie 1961 an Erwin Leisers Film Eichmann und das Dritte Reich, bei anderen nimmt er Einfluß auf Inhalt und Besetzung, so 1970 bei dem de-Sica-Film Der Garten der Finzi Contini über die Verfolgung jüdischer Familien im faschistischen Italien, bei der Adaption eines Romans von Irmgard Keun, Nach Mitternacht von 1981, bei dem Film über den Widerstand der Gruppe um Hans und Sophie Scholl, Die weiße Rose von 1981/82 und bei dem letzten Spielfilm mit Romy Schneider, Die Spaziergängerin von Sans Souci von 1981/82. In den Produktionen der achtziger Jahre geht es vermehrt um die Themen Nationalsozialis- mus, Krieg und Verfolgung. 1984/85 entsteht Bittere Ernte, ein Film über eine österreichische Jüdin, die sich bei einem polnischem Bauern 291 „Mit wem wollen Sie denn heute noch Filme machen?“ Der Berliner Produzent Artur Brauner über die deutsche Mentalität, den Jungfilm, seine Zukunftsfilme und sein Gelübde. Interview von Harald Martenstein. In: Der Tagesspiegel vom 18.11.1993, S. 21. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 160 versteckt hält, 1987/88 unter der Regie von István Szabó Hanussen, die Geschichte des berühmten Hellsehers, den die Nazis zunächst für ihre Zwecke benutzt haben, und 1990 Der Rosengarten nach dem gleich- namigen Roman von Paul Henge und Günther Schwarbergs Recherche „Der SS-Arzt und die Kinder vom Buttenhuder Damm“. Bei diesen Filmen arbeitet Brauner mit bekannten Schauspielern und angesehenen Regisseuren zusammen, so mit Vittorio de Sica bei Der Garten der Finzi Contini, mit Aleksander Ford bei der deutsch-israeli- schen Co-Produktion Sie sind frei, Dr. Korczak, mit Andrzei Wajda bei Eine Liebe in Deutschland und mit Agnieszka Holland bei Bittere Ernte. Mit ihr, der ehemaligen Wajda-Assistentin, plant Brauner 1989 die Ver- filmung der Erinnerungen Sally (Salomon) Perels, der als Jude in einer Nazi-Eliteschule überlebt und zum Ende des Kriegs zu den Sowjets überläuft. Der Film Hitlerjunge Salomon mit dem englischen Verleihtitel Europa, Europa wird in Los Angeles mit dem Golden Globe ausge- zeichnet. Eine Oscar-Nominierung scheitert aber am deutschen Aus- wahlgremium. Darüber entfacht Brauner, tief verletzt, öffentlichen Streit.292 Brauner plant Mitte der achtziger Jahre, die Geschichte des Oskar Schindler zu verfilmen.293 Bekannt ist sie ihm seit langem. Axel Corti soll die Regie übernehmen, auch mit Frank Beyer verhandelt Brauner, die beiden können sich aber nicht auf einen Drehbuchautoren einigen.294 Klaus-Maria Brandauer soll nach Brauners Vorstellungen die Hauptrolle übernehmen. Doch das Projekt mit dem Arbeitstitel „Ein Engel in der Hölle“ findet bei der Berliner Filmförderunganstalt keine Gnade. Es sei kein wirtschaftlicher Nutzen zu erwarten. 1992 reicht Brauner wiederum einen Antrag auf Filmförderung in Höhe von 900.000 DM ein. Da ist bekannt, daß sich Steven Spielberg für den Schindler-Stoff interessiert. Brauner versucht die Vergabe-Kommission zu überzeugen, daß es sich um ein förderungswürdiges Projekt handelt und daß es gerade auch einen deutschen Film über Oskar Schindler geben sollte. Der Produzent ist zu- nächst optimistisch, hat die FFA doch seine Filme Eine Liebe in Deutschland und Hitlerjunge Salomon gefördert. Das Urteil der Kom- mission ist allerdings niederschmetternd: „Drehbuch sowie Stab- und Besetzungsliste sind nicht geeignet, Qualität und Wirtschaftlichkeit des 292 Vgl. Lueken, Verena: Die Wiederverwertung der Betroffenheit. Hitlerjunge Salomon: Verlogener Streit um einen schlechten Film. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.1.1992, S. 27. Siehe auch Anm. 213. 293 Vgl. dpa-Meldung: Produzent deutscher Filme: „Atze“ Brauner heute 70. In: Frank- furter Rundschau vom 1.8.1988, S. 6. 294 Vgl. Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. In: Regie: Frank Beyer. Hrsg von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam. Berlin, 1995, S. 98. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 161 deutschen Films zu verbessern.“295 Die Geschichte des Oskar Schindler möge zwar wahr sein, doch wirke sie „kolportagehaft“, wie ein schlech- ter Roman. Brauner stellt unterschiedliche Vermutungen an, was die wahren Gründe für die Ablehnung sein könnten. Schlecht getarnter Anti- semitismus und ein grundsätzliches Desinteresse an den Themen Natio- nalsozialismus und Holocaust lautet eine. Der FFA-Vorstand verweist auf streng sachliche Erwägungen. Und wenn Brauner tatsächlich so viel an dem Stoff gelegen wäre, so hätte er sicher 900.000 DM auftreiben können, meint Rolf Bähr, ein Vorstandsmitglied.296 Den Produzenten Brauner enttäuscht zwar das Verhalten der Filmförde- rungsanstalt, er neidet aber nicht Spielberg seinen überragenden Erfolg. Er lobt im tip „... die einsame Größe des Films“297 Schindlers Liste und ist überzeugt, daß der Spielfilm zu Recht mit sieben Oscars ausgezeich- net worden ist. Entschieden stellt er sich gegen Will Tremper und dessen Beitrag in der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste. „Mit diesem Gemisch aus Kritik, verzerrter Vergangenheitsdarstellung und versuchter Reinwaschung der SS“, so Brauner, „hat sich der Filmkritiker zumindest im politischen Feld disqualifiziert.“298 Nicht nur in publizistische Kontroversen über Holocaustfilme schaltet sich Artur Brauner ein. Er erhebt insbesondere dann seine Stimme, wenn mit deutscher Geschichte Politik gemacht wird. So erscheint zum 8. Mai 1995, dem fünfzigsten Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, in großen deutschen Tageszeitungen ein längerer Text Brauners mit der Überschrift „Wider das Vergessen“. Er und seine Familie stellen sich gegen die konservativ-nationale ,„Initiative 8. Mai“, deren Anhänger den 8. Mai 1945 nicht als „Tag der Befreiung“, sondern als „Tag der Nie- derlage und Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten“ begreifen. Für Brauner sind Vertreibung und neue Unterdrückung „Folge des von Hitler und seinen Nazi-Schergen angezettelten Krie- ges“.299 Auch persönlich tritt Brauner für Personen ein, so für Helmut Kohl, als dieser in der CDU-Spendenaffaire 1999 unter Druck gerät.300 295 Zit. nach „Engel in der Hölle“. Die Filmförderung boykottiert ein deutsches Schindler- Projekt. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 174. 296 Ebenda. 297 Brauner, Artur: Spielberg macht ernst. In: tip (Berlin), H. 4/1994, S. 7. 298 Brauner, Artur: Ein Pamphlet, das zum Skandal wurde. In: Die Welt vom 2.4.1994, S. 7. Vgl. Kapitel II.9.5. 299 Vgl. Wider das Vergessen. Antwort auf einen Aufruf. In: Der Tagesspiegel vom 6.5.1995, S. 21. 300 Brauner schaltet wiederum Anzeigen, diesmal mit der Überschrift „Deutschland ahmt die USA nach – ‚Dort Clinton, hier Kohl‘.“ Ihm ist „Helmut Kohl noch viel lieber und näher als Adenauer, dessen rechte Hand Globke, der Mitinitiator und Kommentator der Nürnberger Gesetze war.“ In: Die Welt vom 31.12.1999, S. 7. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 162 Der Filmproduzent spendet 50.000 DM, als der ehemalige Bundeskanz- ler versucht, den Schaden, der seiner Partei entstanden ist, durch das Sammeln neuer Gelder „wiedergutzumachen“.301 Brauners politisches Engagement hat ganz sicher mit seinen Erfahrungen als Jude in Deutschland zu tun. In der Textsammlung „Fremd im eigenen Land“302 schildert er, wie seine Mitmenschen ihn manchmal spüren las- sen, daß sie in ihm zuerst den Juden sehen. Als Produzent leicht verdau- licher Unterhaltungsware ist „Atze“ (was angeblich „Bruder“ bedeutet) genehm, als jemand, der mit Filmen an deutsche Tabus rührt, nicht. Im großen und ganzen fühlt er sich wohl, hat viele gute Freunde, doch kann er sich nicht des Gedankens erwehren, „... wie sich wohl diese freund- lichen Menschen benehmen würden, wenn ein neuer Hitler an die Macht käme.“303 Brauner verfolgt mit großem Interesse die Entwicklung des Staates Israel. Er ist froh zu wissen, daß er dorthin gehen kann, wenn sich die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik ändern. Doch bislang kam „... der Wunsch, aus politischen Gründen woanders zu leben, noch nie richtig auf.“304 Meldungen über antisemitische Gewalt- taten lassen ihn nicht resignieren, sondern im Gegenteil kämpferisch auftreten. Brauner äußert sich eindeutig: „Sowohl Deutschland als auch Polen hätte von keinem Juden nach dem Krieg als Wohnort gewählt werden dürfen. Ein Meer von Blut steht dazwischen. ... Nein, es war nicht richtig, daß nach Hitler Juden in Deutschland wieder ansässig geworden sind.“305 Dennoch lebt Brauner in Deutschland. Er kann die- sen Widerspruch nicht auflösen. Auch seinen Kindern gegenüber gelingt ihm das nicht. Hiergeblieben zu sein, könne sich nur im nachhinein als richtig oder falsch erweisen. Bis heute ist Brauner Morituri wichtig. In Interviews nennt er immer wieder diesen Film, von dem er gehofft hat, er möge viele Zuschauer erreichen. So heißt es in einem Portrait der tageszeitung zum 75. Geburtstag: „Von den 229 Filmen, die er in seinen Spandauer Studios produzierte, erinnert er sich am liebsten an Morituri (1947).“306 Auch in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum achtzigsten Geburtstag Brauners wird Morituri erwähnt als erster Versuch, einen anspruchsvollen Film über die unmittelbare Vergangenheit zu drehen. 301 Vgl. Die Spender Kohls. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.3.2000, S. 2. 302 Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik. Hrsg. von Henryk M. Broder und Michael R. Lang. Frankfurt/M., 1979. 303 Brauner, Artur: „Es war nicht richtig, daß Juden wieder in Deutschland seßhaft gewor- den sind.“ In: Fremd im eigenen Land. A.a.O., S. 77. 304 A.a.O., S. 78. 305 A.a.O., S. 81. 306 mn: Artur Brauner. Das Portrait. In: die tageszeitung vom 31.7.1993, S. 11. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 163 „Bereits seine zweite Produktion, Morituri (1948), beschäftigt sich mit dem Holocaust (ein Wort, das er im übrigen nicht mag, weil es etwas zu bezeichnen versuche, was sich nicht auf den Begriff bringen lasse).“307 Für den Filmemacher Brauner war Morituri sein privates Lehrstück, die- ser Film und die publizistische Kontroverse, die er 1948 ausgelöst hat, haben ihn gelehrt, daß das Filmpublikum nur bedingt bereit ist, aus Filmen zu lernen. II.1.7. Resümee Mehr als fünfzig Jahre nach der Erstaufführung von Morituri äußern sich Kritiker verständnisvoller über diesen frühen Holocaustfilm und das „Menschenbild“, das er vermittelt. Sie ordnen ihn in das Gesamtwerk Artur Brauners ein. Zur Feier des 50-jährigen Bestehens seiner Produk- tionsfirma, der CCC, erscheinen in den überregionalen Tageszeitungen Berichte über Brauner, der als einziger Filmproduzent seit 1946 ununter- brochen in Deutschland tätig ist. Auch Morituri wird genannt und die von Brauner genannten Publikumsreaktionen bestätigt. So schreibt Clau- dia Dillmann-Kühn in der Welt: „Es war ein disparater Film, unter schwierigsten Produktionsbedingungen in der sowjetisch besetzten Zone entstanden, der auf Erlebnissen Brauners während der Zeit der Verfol- gung basierte. Ein Streifen, der falsches Pathos, dramaturgische Mängel, eindringliche Bilder, expressive Massenszenen und hohle Dialoge in sich vereinte, um sich dezidiert gegen den Krieg und ‚die Mächtigen‘ zu wenden. Jetzt tobte das Publikum, verlangte sein Geld zurück, erzwang die Absetzung.”308 In der Süddeutschen Zeitung erscheint ebenfalls eine Würdigung der Arbeit Artur Brauners. Morituri nimmt in diesem Rückblick eine beson- dere Stellung ein. Der Filmkritiker Claudius Seidl schreibt: „Artur Brau- ner hat mit Filmen gehandelt, nicht mit Werten; so ist er reich geworden. Aber ganz am Anfang wollte er einmal die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit mit einem einzigen Film. Er hatte ein paar Mark verdient mit Herzkönig, einem sanften Lustspiel, und das ganze Geld investierte er in die Sache, an die er glaubte: Vom Terror in den Vernichtungslagern wollte er erzählen und vom Leid der Ohnmächtigen, und weil die Aus- drucksformen der deutschen Filmkomödie im Grunde die Sprache des 307 lob: Der letzte Tycoon. Artur Brauner wird achtzig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.8.1998, S. 35. 308 Dillmann, Claudia: Er liebt nun mal das Kino der großen Gefühle. Filmen als Über- lebenskampf: Die CCC des Berliner Produzenten Artur Brauner wird 50 Jahre alt. In: Die Welt vom 20.7.1996, S. G4. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 164 Feindes sprachen, sollte dieser Film auch all die Innovationen nachholen, von denen das Deutsche Kino so lange Jahre nichts hatte wissen dürfen. Morituri wollte viel zu viel zur gleichen Zeit. Beim Festival 1948 in Venedig wurde er skeptisch aufgenommen - doch das deutsche Publikum haßte ihn. Der Film wurde ausgepfiffen, der Produzent beschimpft. Da- nach gibt Brauner lange Zeit den Deutschen nur noch, was sie selber zu verdienen glaubten. Er rächte sich für Morituri mit dem Hollandmädel und der Privatsekretärin und verdiente eine Menge Geld damit.”309 Diese beiden Beiträge zeigen, daß Kritiken zu Holocaustfilmen noch Jahre später erscheinen. Manche, zur Zeit ihrer Erstaufführung wenig beachtete Produktionen, erlangen rückblickend einen anderen Stellen- wert. So auch Morituri als einer der ersten Versuche, im Film die Ver- gangenheit zu thematisieren. In allen Kritiken und über die Jahre hinweg wird dieses Bemühen grundsätzlich positiv bewertet. Die Kritiken aus der SBZ erkennen freilich nicht mehr als ein Bemühen. Es fehle die politische Analyse: Krieg, Gefangenschaft, Flucht erschienen nicht als Folge spätkapitalistischer Eroberungspolitik, sondern als Schicksal, das besonders „die kleinen Leute“ erdulden müßten. Statt einer aufgeklärten klassenkämpferischen, antifaschistischen Haltung propagiere der Film Passivität, Schicksalsergebenheit und falschen Pazifismus. Besonders heftig attackiert wird Morituri, weil an ihm viele ehemalige UFA- Beschäftigte mitwirken. In der SBZ glaubt man dagegen, mit Gründung der DEFA einen personellen und künstlerischen Neuanfang geschafft zu haben. In den Kritiken aus dem Westen wird der Versuch gutgeheißen, die Opfer des Krieges in den Blick zu nehmen. Häufig stellen die Rezen- senten eine Verbindung her zur aktuellen Situation der Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten und bekräftigen damit die Tendenz des Films, alle ohne weitere Unterscheidung als Opfer des Krieges zu be- trachten. Zum Teil negativ beurteilt werden künstlerische Verfahren. In Zwiespalt geraten die Kritiker, wenn sie die Reaktionen der Zuschauer beschreiben müssen. Denn hier wird die Diskrepanz zwischen dem auf Versöhnung setzenden Film und einem sich in die Rolle der Täter ge- drängt fühlenden Publikum deutlich. Es empfindet den Film als unbe- rechtigte Anklage und als zu „tendenziös“. Fraglich ist, ob der Film wie Wolfdietrich Schnurre vermutet, drei Jahre zu spät kommt. Wäre das deutsche Publikum unmittelbar nach dem Krieg für einen solchen Film empfänglicher gewesen? Die Mehrheit mochte vermutlich weder 1945 noch 1948 mit dem Schicksal der im Krieg Verfolgten konfrontiert wer- 309 Seidl, Claudius: Ein Deutscher ehrenhalber. Artur Brauners CCC-Film feiert Geburts- tag. In: Süddeutsche Zeitung vom 29.7.1996, S. 25. II. 1. Morituri (Deutschland 1948) 165 den. Zu sehr waren die Deutschen mit ihren eigenen Problemen beschäf- tigt und sahen sich selbst als Opfer Hitlers. Heute beschämen die Reaktionen des Publikums auf Morituri. Daß er den Deutschen gegenüber Anklage erhebe, ist nicht zu erkennen. Eher erscheint er in seiner Aussage als zu frömmelnd und friedliebend, und beinahe naiv mutet die im Film vertretene Auffassung an, daß die Men- schen doch nur in Frieden miteinander leben wollten, die Politiker sie aber nicht lassen. Becker und Schöll kritisieren einerseits zu Recht diese Passagen im Film. Würden sie andererseits aber die Reaktionen des Publikums von 1948 berücksichtigen, müßten sie die in Morituri vertre- tenen Standpunkte auch als Rücksichtnahme seitens der Filmemacher erkennen. Schon so war das Publikum offensichtlich überfordert. Und gleichzeitig unterfordert. Denn warum sollte ihm nicht zugemutet werden, sich mit den Ursachen und den Folgen des deutschen National- sozialismus zu beschäftigen? Hier zeigt sich das Dilemma der Aufarbei- tung der Vergangenheit mit Hilfe von Filmen sehr deutlich. Film ist sowohl Kultur- als auch Wirtschaftsgut, soll aufklären und unterhalten. Morituri ist an diesen disparaten Forderungen gescheitert. Artur Brauner hat daraus gelernt und solche Filme wie Morituri seltener gewagt. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 166 II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) II.2.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Im Auftrag des Pariser Comité d‘Histoire de la Deuxième Guerre Mon- dial dreht 1955 der Filmemacher Alain Resnais den halbstündigen Film Nuit et Brouillard/Nacht und Nebel. Der Regisseur, der zuvor mit seinem Van-Gogh-Film und den durch Picassos „Guernica“ inspirierten Film über den spanischen Bürgerkrieg Aufsehen erregt hat, stellt sich damit der Herausforderung, die Vernichtung der europäischen Juden zu doku- mentieren. Die Totenstille in Auschwitz im Jahr 1955 hält Resnais in Bildern fest und kontrastiert sie mit den Originalaufnahmen aus der Schreckenszeit zehn Jahre zuvor. Die Filmdokumente zeigen die Verfol- gung, die Deportationen, die Lager und Krematorien. Sie stammen aus französischen, niederländischen und polnischen Archiven.310 Bewußt nimmt Resnais einen in der Gegenwart angesiedelten Erzählerstandpunkt ein. Der Kommentar Jean Cayrols, den Paul Celan ins Deutsche über- tragen hat und den Curt Glass spricht, sowie die von Hanns Eisler kom- ponierte Musik unterstreichen die Ungeheuerlichkeit des Gezeigten. Die Kamera führen Sacha Vierny und Ghislain Cloquet. Nuit et Brouillard soll der französische Beitrag zu den Filmfestspielen in Cannes 1956 sein. Fertiggestellt worden ist der halbstündige Film im Januar 1956. Französische Kontrollbehörden monieren die Bilder, die die Leichenhaufen und Massengräber zeigen, außerdem Bilder des Lagers Pithiviers aus dem Jahr 1941. Neben den Häftlingen, den Ba- racken und dem Stacheldrahtzaun dieses französischen Internierungs- lagers, von dem aus Juden weiter deportiert worden sind, sieht man für Sekunden einen französischen Polizisten. Dieser Hinweis auf die Kolla- boration sollte entfernt werden.311 Mehr noch als offizielle französische Stellen meinen deutsche, Anlaß zur Zensur zu haben. Die Regierung der Bundesrepublik beauftragt ihren 310 Aus dem Archiv des Comité d‘Histoire de la Deuxième Guerre Mondial, Paris; der Fédérations des Déportés, Paris; Jüdisches Dokumentationszentrum; Niederländisches Dokumentationszentrum des Zweiten Weltkriegs; Polski Films; Polnisches Dokumen- tationszentrum über Kriegsverbrechen; Dokumentationszentren Auschwitz und Majdanek. Vgl. Alain Resnais. Mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen u.a. München, Wien, 1990, (= Reihe Film 38), S. 249. 311 Vgl. Alain Resnais sur Nuit et Brouillard. Interview enregistré à Paris le 18 février 1986. In: Raskin, Richard: Nuit et Brouillard by Alain Resnais. On the Making, Recep- tion an Functions of an Major Documentary Film. Including a New Interview with Alain Resnais and the Original Shooting Script. Foreword by Sacha Vierny. Aarhus, 1987, S. 55f. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 167 Botschafter in Paris, von Maltzan, Einspruch zu erheben gegen die Auf- führung des Films während des Festivals in Cannes. Die Begründung lautet, daß gemäß Festspielordnung keine Filme gezeigt werden dürften, die die nationalen Gefühle eines Volkes verletzten oder das friedliche Miteinander der Völker gefährdeten. Nuit et Brouillard wird abgesetzt. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ruft das heftige Proteste hervor. Daraufhin läuft der Film am 29.4.1956 außer Konkurrenz. In Deutschland ist er im Juli 1956 während der Berliner Filmfestspiele erstmals zu sehen. Er erhält das Prädikat „besonders wertvoll“, ist feier- tagsfrei und gilt als „nicht jugendgeeignet“. Nuit et Brouillard wird bis heute als künstlerisch überragender Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten gewertet. Er ist der erste Film, der eine bundesweite und mehrere Monate andauernde publizistische Kontroverse über die Darstellung des Massenmords im Film ausgelöst hat. II.2.2. Inhalt des Films und Interpretation Der Titel Nacht und Nebel bezieht sich auf die von den Nazis häufig an- gewandte Art der Verhaftung, eben bei „Nacht und Nebel“, unerwartet für den Verhafteten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Es gibt dazu verschiedene von Keitel unterschriebene Erlasse von 1941 und 1942, in denen präzisiert wird, wie mit den Angehörigen der spurlos Verschwun- denen umzugehen ist. Sie erhalten keine Auskunft über den Verbleib der Inhaftierten. Die Nazibürokraten versehen die Akten der bei Nacht und Nebel Verschleppten mit einem „N.N.“, was gleichzeitig „namenlos“ (nomen nescio) bedeutet. Übernommen wurde der Ausdruck angeblich von Richard Wagner, der seinen mit einem Tarnhelm auftretenden Helden Alberich in der Oper „Rheingold“ sprechen läßt: „Nacht und Nebel - niemand gleich.“ Dar- aufhin entschwindet Alberichs Gestalt im Nebel. Victor Klemperer führt diesen Terminus technicus in seinem Werk „Lingua Tertii Imperii“ auf, ebenso Eugen Kogon. 312 In einer Nacht-und-Nebel-Aktion sind Jean Cayrol und sein Bruder ver- haftet und deportiert worden. Der 1945 entstandene Gedichtband Cayrols über die Zeit in deutschen KZ trägt den Titel „Poèmes des nuit et 312 Vgl. Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. 17. Aufl. Leipzig, 1998 (1957); Eugen Kogon: Der SS-Staat: Das System der deutsche Konzentrationslager. 18. Aufl. München, 1974, S. 262f. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 168 brouillard“. Als Titel des 1955 entstandenen Films verweist „Nacht und Nebel“ auch auf die sich verdunkelnde und wie mit einem Nebel überzo- gene Erinnerung zehn Jahre nach dem Ende des Terrors. In Frankreich ist „nuit et brouillard“ eine in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg häufig gebrauchte Umschreibung für die Shoah.313 Der Kritiker des sozialdemokratischen Vorwärts, Max Friedrich, speku- liert, ob es eine Verbindung zwischen dem Film Nacht und Nebel und dem unter demselben Titel 1946 erschienen Buch Arnold Weiss-Rüthels gibt. Dieser, früher Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Jugend, hat in dem Buch seine Zeit im Lager Sachsenhausen beschrieben. Weiss- Rüthel ist 1949 an den Folgen der Haft gestorben. Gegen die „Häupt- linge der Bundesrepublik“ erhebt Friedrich schwere Vorwürfe. Daß sie gegen Nacht und Nebel vorgehen, wundert ihn nicht, „... nachdem es doch nun schon seit langer Zeit mit Erfolg gelungen ist, sämtliche KZ- Berichte, -Bücher, -Schilderungen oder -Romane einstweilen von der Tagesordnung abzusetzen, gleichgültig, ob sie von Arnold Weiss-Rüthel, Walter Poller, Eugen Kogon, Isa Vermehren oder von wem auch immer waren ... .“314 Der Film läßt sich in fünfzehn Sequenzen einteilen: • Zum Lager: Landschaft. Wege, die zu den Lagern führen. Von außen: Zäune, Wachttürme, Stacheldraht, ... . • Im Lager: Baracken, rechtwinklig angeordnet, endlos, Straßen, Wege, Häuser, eine eigene Welt. • Deportation: Menschen in Viehwagons gepfercht, bewacht von SS- Leuten. • Endstation: Ankunft bei Nacht und Nebel im Lager, Scheinwerfer- licht, Selektionen, Kennzeichnung der Häftlinge. • Vernichtung durch Arbeit: Die Arbeitskommandos, die Menschen sollen sich zu Tode schuften. • Lageralltag: Der Alltag im Lager, die Baracken, die Pritschen, die sich mehrere Häftlinge teilen müssen, Hunger, Krankheiten, Ungezie- fer. • Auflehnung: Versuche, Mensch zu bleiben, sich zu helfen, Wider- stand zu organisieren. 313 Vgl. Richard Raskins Kapitel I.3. „Post-War Usage of the Term Nuit et Brouillard in France“. In: ders. Nuit et Brouillard by Alain Resnais. A.a.O., S. 22. 314 Friedrich, Max: Nacht und Nebel. Ein Film, der erstaufgeführt, aber auch ein Buch, das vergessen wurde ... . In: Vorwärts, Nr. 8 vom 22.2.1957, S. 11. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 169 • Krankenbaracke: Im Lager ist man gesund oder tot. Trotz der Kran- kenreviere gibt es für Pflegebedürftige keine Hilfe. Medizinische Ex- perimente, die fast immer zum Tod führen. • Lagerinschriften: „Arbeit macht frei“, „Jedem das Seine“, „Eine Laus, dein Feind“. • Die Lager als Wirtschaftsbetriebe: Konzerne profitieren von der in den KZ geleisteten Zwangsarbeit. Der Krieg dauert an, die Lager werden immer größer, die Menschen systematisch ausgebeutet oder sofort ermordet. • Heinrich Himmler inspiziert die KZ. • Organisiertes Morden: Die Mörder töten durch Zyklon B. Statt in Duschräume werden die Menschen in die Gaskammern geführt. Ihre sterblichen Überreste finden Verwendung. • Nach der Befreiung: Die wenigen völlig abgemagerten Überlebenden begreifen kaum, daß sie nun frei sein sollen. Tausende sterben an Unterernährung und Krankheiten. Leichenberge werden mit schwe- rem Räumgerät in Massengräber geschoben. • Prozeß: Die Angeklagten bekennen sich nicht schuldig. • Schluß: Die Gegenwart der Lager. Gras wächst über die Gleise nach Auschwitz, Baracken und Wachanlagen verfallen. Am Ende des Films taucht kein „Ende“ auf - angeblich auf Wunsch des Regisseurs. Anstelle einer Inhaltsangabe soll hier der von Paul Celan aus dem Fran- zösischen ins Deutsche übersetzte Kommentar zum Film wiedergegeben werden: „Auch ruhiges Land, auch ein Feld mit ein paar Raben drüber, mit Getreidehaufen und Erntefeuern, auch eine Straße für Fuhrwerke, Bauern und Liebespaare, auch ein kleiner Ferienort mit Jahrmarkt und Kirchturm, können zu einem Konzentrationslager hinführen. Stutthoff, Oranienburg, Auschwitz, Ravensbrück, Dachau, Bergen-Belsen - das waren einmal Namen wie andere, Namen auf Landkarten und in Reise- führern. Das Blut ist geronnen, die Münder sind verstummt. Es ist nur eine Kamera, die jetzt diese Blocks besichtigen kommt. Ein eigentümliches Grün bedeckt die müdegetretene Erde. Die Drähte sind nicht mehr elek- trisch geladen. Kein Schritt mehr, nur der unsere. 1933, die Maschine setzt sich in Bewegung. Man braucht ein Volk ohne falsche Töne. Ohne inneren Zwist. Man geht an die Arbeit. Ein Konzen- trationslager, das wird gebaut wie ein Stadion oder ein großes Hotel. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 170 Dazu gehören Unternehmer, Kostenanschläge, Konkurrenz, sicher auch Bestechungsgelder. Kein vorgeschriebener Baustil. Alpenhüttenstil, Garagenstil, Pagodenstil, ohne Stil. Architekten erfinden in aller Ruhe diese Tore, durch die man nur einmal hindurch kommt. Inzwischen geht das Leben seinen Gang. Der Arbeiter aus Berlin, der jüdische Student aus Amsterdam, der Kaufmann aus Krakau, die Lycealschülerin aus Bordeaux. Sie alle ahnen nicht, daß ihnen in einer Entfernung von tausend Kilometern bereits ein Platz zu- gewiesen ist. Und dann kommt der Tag, an dem ihre Blocks fertig sind, und nur sie noch fehlen. Aushebungen in Warschau, Aussiedlungen aus Lodz, aus Prag, Brüssel, Wien, Athen, aus Budapest, Rom. Razzia in der franzö- sischen Provinz. Großfahndung in Paris. Deportierung von Wider- standskämpfern. Die Masse der Festgenommenen, Mitgenommenen, Mitgekommenen tritt den Weg in die Lager an. Die Züge sind vollgepfercht, verriegelt, hundert Verschleppte pro Waggon. Kein Tag, keine Nacht, Hunger, Durst, Wahnsinn, Ersticken. Eine Botschaft, manchmal wird sie aufgelesen. Der Tod trifft seine erste Auswahl. Eine zweite folgt am Bestimmungsort, bei Nacht und Nebel. Dieselbe Bahnstrecke heute, Tageslicht und Sonne. Langsam schreitet man sie ab. Auf der Suche wonach? Nach einer Spur der Leichen, nach den Fußstapfen der Auswaggonierten, die man mit Kolbenstößen zum Lager trieb unter Hundegebell, von Scheinwerfern angestrahlt. Im Hintergrund den Flammenschein der Krematorien, in einer jener nächt- lichen Inszenierungen, wie sie die SS so liebte. Ein erster Blick auf das Lager. Ein anderer Planet. Unter dem Vorwand der Hygiene liefert die Nacktheit einen bereits Entwürdigten ein. Kahl- geschoren, tätowiert, numeriert. Eingestuft in eine zunächst unverständ- liche Rangordnung, in die blaugestreifte Lagertracht gesteckt, der Kate- gorie Nacht und Nebel zugeteilt. Mit dem roten Winkel der Politischen kenntlich gemacht stoßen die Deportierten zuerst auf die Grünen, die Berufsverbrecher, die Herren unter den Untermenschen. Über ihnen der Kapo. Fast immer ein Krimineller. Weiter oben der SS-Mann. Drei Schritt Abstand, wenn man mit ihm spricht. Ganz oben der Komman- dant, er waltet den Bräuchen vor. Er tut, als ob er vom Lager nichts wüßte. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 171 Wer übrigens weiß schon etwas davon? Die Wirklichkeit der Lager. Die sie geschaffen haben, ignorieren sie, und die sie erleiden, können sie nicht fassen. Und Wir? Die wir nun zu sehen versuchen, was übrig blieb? Diese Holzblocks, diese dreistöckigen Bettgestelle, diese Schlupflöcher, wo man den Bissen herunterwürgte, wo selbst Schlafen Sich-in-Gefahr-Begeben hieß? Kein Bild, keine Beschreibung gibt ihnen ihre wahre Dimension wieder. Die ununterbrochene Angst. Dazu gehört der Strohsack, der als Speisekammer und Tresor diente, die Decke, um die man sich schlug. Dazu gehören die Denunziationen, die Flüche, die in sämtlichen Sprachen weitergegebenen Befehle, die hereinplatzenden, plötzlich zu Schikanen aufgelegten SS-Männer. Von Gefahren umlauer- ter, backsteinfarbener Schlaf. Der Dekor: Gebäude, die Ställe sein könnten, Scheunen, Werkstätten. Ein verödetes Stück Land, ein gleichgültiger Oktoberhimmel. Das ist alles, was uns bleibt, um uns die Nacht hier vorzustellen, diese von Appellen und Läusekontrollen zerrissene, diese zähneklappernde Nacht. Es muß schnell geschlafen werden. Man wird wachgeknüppelt, man sucht seine verschwundenen Kleidungsstücke. Fünf Uhr, Appell. Die Rechnung stimmt nicht, die Nacht gibt die Toten nicht her. Eine Musik- kapelle spielt fröhliche Weisen, während es in die Fabriken und Stein- brüche geht. Arbeit im Schnee, der sich rasch in eisigen Schlamm ver- wandelt. Der Frost wühlt in den Wunden. Arbeit in der Augusthitze bei Durst und Ruhr. Mauthausen, die Treppe zum Steinbruch. Sie hat dreitausend Spaniern das Leben gekostet. Arbeit in unterirdischen Betrieben. Von Monat zu Monat graben sie sich tiefer in die Erde. Sie töten. Sie tragen Frauen- namen: Dora, Laura. Aber diesen Arbeitern mit einem Körpergewicht von dreißig Kilo ist nicht zu trauen. Die SS behält sie im Auge. Über- wacht ihre Bewegungen, durchsucht sie vor dem Rückmarsch ins Lager. Längliche Wegweiser zeigen jedem den Weg nach Hause an. Der Kapo braucht nur noch seine heutigen Opfer zu überprüfen. Der KZ-Häftling hat jetzt nur einen Gedanken. Denselben, der ihn bis in seine Träume verfolgt: Essen. Jeder Löffel Suppe ist unschätzbar. Drei Zigaretten werden gegen eine Suppe getauscht. Viele sind zu schwach, um ihre Ration zu verteidigen. Sie warten, daß Schnee und Schlamm sich ihrer annehmen. Endlich irgendwo liegen und ungestört sterben dürfen. Die Abortanlage. Diese Gerippe mit Kinderbäuchen. Siebenmal, achtmal in einer Nacht müssen sie hierher. Die Suppe ist harntreibend. Wehe dem, der im Mondschein einem betrunkenen Kapo begegnet. Hier be- II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 172 horcht und beäugt man sich, beobachtet die bekannten Symptome. Bluti- ger Stuhl bedeutet den Tod. Hier wird heimlich gekauft, verkauft, getötet. Hier besucht man einander, tauscht man Nachrichten aus, wahre und falsche. Bildet man Widerstandsgruppen. Eine Gesellschaft nimmt hier Gestalt an. Sie ist vom Schrecken geprägt, aber immerhin etwas norma- ler als die Ordnung der SS, die in Sinnsprüchen wie diesen zum Aus- druck kommt: „Reinlichkeit ist Gesundheit“, „Arbeit macht frei“, „Jedem das Seine“, „Eine Laus, dein Tod“. Und ein SS-Mann. Jedes Lager hat seine Überraschungen. Ein Sympho- nieorchester, einen Zoo, Treibhäuser, in denen Himmler zarte Gewächse zieht. Die Goethe-Eiche in Buchenwald. Man baut das KZ, man respek- tiert die Eiche. Ein Eintagswaisenhaus, das ununterbrochen Nachschub erhält. Ein Invalidenblock. Worauf dann auch die eigentliche Welt, die der stillen Landschaften, die der Zeit vorher, erscheinen kann. Ganz nah sogar. Für den Häftling besitzt sie keine Wirklichkeit. Er gehört nur die- ser einen, endlichen, abgeschlossenen Welt an, deren Grenzen die Wachtürme bilden, wo die Posten stehen und unausgesetzt die Lager- insassen beobachten und gelegentlich den einen oder anderen abschie- ßen aus Langeweile. Alles ist Vorwand zu Schikane und Späßen, Demütigungen. Ein Appell kann Stunden dauern. Ein schlecht gebautes Bett zwanzig Stockhiebe. Nur nicht den Göttern auffallen. Sie haben ihren Galgen, ihr Tötungs- terrain, der den Blicken verborgene, für Erschießungen eingerichtete Hof von Block 11. Die Mauer mit Kugelfang. Das Hartheimer Schloß, das man in Reisebussen mit Mattglasscheiben besichtigen fährt. Man kommt nicht zurück. Die Dunkeltransporte, ihr Ziel sind die Kremato- rien. Aber ein Mensch, unglaublich, wieviel Widerstand darin steckt. Der Körper ist erschöpft, aber der Geist ist rege, die Hände sind rege. Man schnitzt Marionetten, Scheusale. Man macht Schachteln. Man bringt es fertig zu schreiben. Mit seinem Gedächtnis zu spielen. Man kann an Gott denken. Es gelingt sogar, sich politisch zu organisieren, den Kriminellen die innere Kontrolle des Lagers streitig zu machen. Man kümmert sich um die am schwersten betroffenen Kameraden. Man gibt etwas von sei- ner Ration ab. Man gründet Hilfsfonds. Die Bedrohtesten schafft man, wenn es wirklich keinen Ausweg gibt, klopfenden Herzens in den Kran- kenbau, ins Revier. Sich dieser Tür nähern, bedeutet die Illusion einer wirklichen Krankheit, die Hoffnung auf ein Bett. Es bedeutet auch das Risiko eines Todes mit der Spritze. Wartung so gut wie keine, Medika- mente in lächerlichen Mengen. Der Verband ist aus Papier. Ein und die- II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 173 selbe Salbe für alle Krankheiten und alle Wunden. Es kommt vor, daß die Kranken vor Hunger ihren Verband essen. Zuletzt haben alle das gleiche Gesicht. Es sind alterslose Wesen, die mit offenen Augen sterben. Es gibt auch einen chirurgischen Block. Fast wie eine wirkliche Klinik. Der SS-Arzt. Die Krankenschwester. Die Kulisse ist da. Aber dahinter? Willkürliche Operationen, Amputationen und Verstümmelungen zu Ver- suchszwecken. Kapos und SS-Chirurgen können hier üben. Von großen chemischen Werken kommen Proben ihrer gifthaltigen Präparate, oder sie erhalten einen Schub KZ-Häftlinge für ihre Experimente zugewiesen. Einige dieser Versuchstiere überleben es. Kastriert, mit Phosphorver- brennungen. Es sind Frauen darunter, die fürs Leben gezeichnet bleiben. Auch wenn sie heimkehren. Fürs Leben. Verwaltungsstellen bewahren die mit dem Betreten des Lagers abgeleg- ten Gesichter all dieser Menschen auf. Abgelegt sind auch die Namen. Die Namen der Angehörigen von 22 Nationen. Ihre Zahl geht ins Uner- meßliche. Die füllen hunderte von Verzeichnissen, tausende von Kar- teien. Durchgestrichen heißt tot. Es sind Häftlinge, die diese wahn- sinnige, immer falsche Buchführung besorgen müssen. SS und Kapos beaufsichtigen sie dabei. Der Kapo gehört zu den Prominenten, zur Lager-Hautevolee. Er hat sein eigenes Zimmer, wo er Vorräte speichern und abends seine jungen Günstlinge empfangen kann. In unmittelbarer Nähe des Lagers ist die Villa des Kommandanten, die seine Frau zum trauten Heim zu gestalten weiß. Auch seinen gesellschaftlichen Ver- pflichtungen kommt man hier nach wie in irgendeiner Garnison. Nur, daß die Zeit hier langsamer vergeht. Die Kapos sind da besser dran. Sie haben ein Bordell. Besser genährte Gefangene, aber dem Tode geweiht wie die anderen Frauen. Unter diesen Fenstern wird manchmal ein Stück Brot aufgelesen. Beinahe eine richtiggehende Stadt, was die SS hier entstehen läßt. Eine Stadt mit Krankenhaus, Sonderbauten und Villenviertel. Und tatsächlich einem Gefängnis. Was hier vorging, bedarf keiner Beschreibung. Die Zellen sind so berechnet, daß man weder ste- hen, noch liegen kann. Tagelang werden hier Männer und Frauen ge- wissenhaft gefoltert. Diese Lüftungslöcher halten die Schreie nicht zu- rück. 1942. Himmler begibt sich an Ort und Stelle. Vernichten, gewiß. Aber produktiv. Die Produktivität wird den Sachverständigen überlassen. Das Problem der Vernichtung verdient eigenes Nachdenken. Man studiert Entwürfe, Modelle. Man bringt sie zur Ausführung, und die KZ-Häftlinge selbst müssen Hand anlegen. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 174 Ein Krematorium. Das nimmt sich gelegentlich ganz nett aus. Später, heute, lassen sich Touristen davor fotografieren. Die Deportationen er- fassen ganz Europa. Die Transporte verirren sich, halten, fahren weiter, werden bombardiert, kommen an. In einigen ist die Auslese bereits er- folgt. Bei den anderen schreitet man sofort zur Selektion. Die links zur Arbeit, die rechts ... . Wenige Augenblicke vor einer Liquidierung. Mit der Hand töten ist zeitraubend. Man bestellt Giftgas in Büchsen, Zyklon B. Nichts unterscheidet eine Gaskammer von einem gewöhnlichen Block. Der Neuangekommene betritt einen Raum, den er für einen Duschraum hält. Man schließt die Türen. Man beobachtet. Das einzige Zeichen - aber das müßte man ja wissen - ist die von Fingernägeln gepflügte Decke. Beton läßt sich erweichen. Wenn die Krematorien es nicht schaffen, errichtet man Scheiterhaufen. Dabei erreichen die neuen Öfen Tagesleistungen von mehreren tausend. Alles wird verwertet. Ein Blick in die Vorratskammern. Die Speicher der Kriegsführenden. All das ist Frauenhaar. Fünfzehn Pfennig das Kilo. Man macht Stoff daraus. Aus den Knochen - wird Dünger gewonnen. Man stellt Versuche an. Aus den Körpern - man bringt es nicht über die Lippen - aus den Körpern stellt man Seife her. Aus der Haut - . 1945. Die Lager dehnen sich aus, füllen sich. Es sind Städte von 100.000 Einwohnern, voll belegt. Die Industrieplanung zeigt Interesse für dieses unerschöpfliche Arbeitskräftereservoir. Manche Werke haben ihre eige- nen, der SS unzugänglichen Lager. Bei Steyr, Krupp, Henkel, IG Farben, Siemens, Hermann Göring und anderen werden auf diese Weise die Lücken geschlossen. Die Nazis können ja den Krieg gewinnen, und diese neuen Städte sind ein Teil ihres Wirtschaftsgefüges. Aber sie verlieren den Krieg. Es mangelt an Kohle für die Krematorien, an Brot für die Menschen. Auf den Lagerstraßen türmen sich die Leichen. Typhus. Als die Alliierten die Tore öffnen - alle Tore - sehen die Überlebenden zu, ohne zu begreifen. Sind sie befreit? Wird das Leben, wird der Alltag sie wiedererkennen? Ich bin nicht schuld, sagt der Kapo. Ich bin nicht schuld, sagt der Offizier. Ich bin nicht schuld. Wer also ist schuld? Während ich zu euch spreche, dringt das Wasser in die Totenkammern. Es ist das Wasser der Sümpfe und Ruinen. Es ist kalt und trübe wie unser schlechtes Gedächtnis. Der Krieg schlummert nur. Auf den Appell- plätzen und rings um die Blocks hat sich wieder das Gras angesiedelt. Ein verlassenes Dorf, noch unheilschwanger. Das Krematorium ist außer Gebrauch, die Nazimethoden sind aus der Mode. Diese Land- schaft ... die Landschaft von neun Millionen Toten. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 175 Wer von uns wacht hier und warnt uns, wenn die neuen Henker kom- men? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir? Irgendwo gibt es noch Kapos, die Glück hatten, Prominente, für die sich wieder Verwendung fand. Denunzianten, die unbekannt blieben. Gibt es noch alle jene, die nie daran glauben wollten. Oder nur von Zeit zu Zeit. Und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glau- ben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben. Uns, die wir tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, daß all das alles nur einer Zeit und einem Land angehört, uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, daß der Schrei nicht ver- stummt.“ Die Eindringlichkeit dieses poetischen Textes haben viele Zuhö- rer/Zuschauer gelobt. Der starke Eindruck wird durch den Gebrauch ver- schiedener sprachlicher Mittel hervorgerufen. Dem Farbwechsel auf der bildlichen Ebene entspricht der Tempuswechsel auf der sprachlichen Ebene. Um historische Ereignisse zu erklären, gebraucht der Sprecher zwar das Imperfekt, die Schilderung von Deportation, Lageralltag und Mord geschieht jedoch im Präsens. Es ist das bevorzugte Tempus, denn es verweist auf die Gegenwart der Vergangenheit. Die Erzählsituation ist auktorial, der Erzähler ist ein „allwissender“ Erzähler. Er überblickt die gesamte Zeitspanne von 1933 bis zu dem Zeitpunkt, an dem „eine Kamera ... jetzt diese Blocks besichtigen kommt“, also 1955. Die erzählte Chronologie der Ereignisse – explizit genannt werden die Jahre 1933, 1942 und 1945 - wird ebenfalls sowohl auf der bildlichen als auch auf der sprachlichen Ebene mittels Rück- blenden und Vorwegnahmen durchbrochen. Zum Teil löst sich der Erzähler vom zu erzählenden Geschehen, zögert, fragt und kommentiert. Er mißtraut der Kraft seiner Erzählung, zugleich dem Versuch, mit Hilfe authentischer Bilder den Massenmord begreifbar zu machen. „Kein Bild, keine Beschreibung gibt ihnen ihre wahre Dimension wieder.“ Der Erzähler schildert nicht nur, was sich ihm darbietet und wie es damals gewesen ist, sondern nimmt desöfteren die Perspektive der Opfer ein: „Es muß schnell geschlafen werden.“ ... „Wehe dem, der im Mondschein einem betrunkenen Kapo begegnet.“ Auktoriale und personale Erzähl- situation vermischen sich, wodurch das Geschehen mehr oder weniger distanziert berichtet werden kann. Auffällig ist in der deutschen Übersetzung der überaus häufige Gebrauch unpersönlicher und passivischer Konstruktionen. Fast dreißigmal nennt der Erzähler nicht Täter oder Opfer, sondern benutzt das unpersönliche „man“. „Man baut das KZ, man respektiert die Eiche.“ ... „Man kommt II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 176 nicht zurück.“ Und auch die Filmemacher, die Jahre später das Lager besichtigen, werden nicht als solche benannt: „Langsam schreitet man sie [die Gleise nach Auschwitz] ab.“ Welche Absicht Resnais und seine Mitarbeiter damit verfolgen, ist schwer zu sagen. Sicherlich wollten sie nicht die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verwischen – denn trotz des Hinweises zum Schluß, „... daß all das nicht nur einer Zeit und einem Land angehört“, unterscheiden sie gerade in diesem Schlußteil deutlich zwischen „uns“ und „all jenen, die nie daran glauben wollten.“ Mög- licherweise ist der häufige Gebrauch des verallgemeinernden „man“ der Übersetzung aus dem Französischen geschuldet. Die poetische Kraft des Kommentars kommt desweiteren durch den bei- nahe übermäßigen Gebrauch von Adjektiven zustande. Der Schlaf ist „backsteinfarben“, der Oktoberhimmel „gleichgültig“, die Nacht „zerris- sen“ und „zähneklappernd“. Abstraktes, Unbelebtes wird durch Persona- lisierungen belebt. Auf der syntaktischen Ebene ist festzustellen, daß die Sätze häufig unvollständig sind, es fehlen die Verben. Es wird aufgezählt und wiederholt. Der Erzähler stellt rhetorische Fragen, die sich die Zu- schauer angesichts der Bilder selbst beantworten können. Auch Ironie scheut der Erzähler nicht: „Ein Krematorium. Das nimmt sich gelegent- lich ganz nett aus.“ ... „In unmittelbarer Nähe des Lagers ist die Villa des Kommandanten, die seine Frau zum trauten Heim zu gestalten weiß.“ Wie in Anführungszeichen gesetzt spricht der Erzähler NS-Vokabeln aus: „Untermenschen“, „Auslese“, „Selektion“, „Liquidierung“. Den in der Lingua tertii imperii vorherrschenden Nominalstil karikiert der Spre- cher, wenn er statt „aufführen“ „zur Aufführung bringen“ sagt. Neben dem Erzählstil, also der Art und Weise, wie Fakten präsentiert werden, haben 1956 die Fakten selbst die Zuschauer erschüttert. Der Film verdeutlicht in bis dahin nicht gekannter Form die europäische Dimension des Völkermords und illustriert die Aussage Max Hork- heimers, daß der Faschismus nicht ohne den Kapitalismus denkbar sei. Die Namen der von der Ausbeutung der Häftlinge profitierenden Unter- nehmen werden genannt. Was die Schilderung des Lageralltags und des systematischen Folterns und Mordens anbelangt, bietet der Film zwar keine Informationen, die nicht auch Zeitungen und Zeitschriften oder Werken wie Eugen Kogons „Der SS-Staat“ zu entnehmen gewesen wären. Dennoch erschüttern gerade die Details. Dem Sprecher versagt die Stimme, als es um die „Verwertung“ der Toten geht. „Man bringt es nicht über die Lippen.“, preßt er hervor. Ebenso schweigt er lange, als der Film die Leichenhaufen zeigt, auf die die Alliierten bei der Befreiung der Lager treffen. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 177 Der Film greift den Zuschauer auf allen Ebenen an. Da sind die Bilder selbst, Zeugnisse entsetzlicher Grausamkeit. Diese authentischen Schwarz-Weiß-Bilder aus der Zeit von 1933 bis 1945 werden kontra- stiert durch Aufnahmen der Lager aus der Gegenwart, dem Jahr 1955. Der Regisseur sagt, er wollte nicht den ganzen Film in Schwarz-Weiß machen: „Ich fürchtete, von diesen alten Steinen, dem Stacheldraht und dem bleiernen Himmel eine cinematographische Romantik zu bekom- men, die alles andere als echt gewesen wäre.“315 Resnais konstruiert zwar durch den Kontrast Schwarz-Weiß/Farbe auf der bildlichen Ebene einen Gegensatz, der Kommentar hebt diesen jedoch vollständig auf, wo er nach dem Heute und damit nach den Kontinuitäten fragt. „Farbfilm für die Gegenwart, Schwarzweißfilm für die Vergangenheit: die Dramaturgie ist denkbar einfach. Daß sie heute für ähnliche Entwürfe des Wechsels zwischen den Zeiten landläufige Filmsprache geworden ist, ändert nichts an Resnais‘ Avantgardismus.“316, meint Peter W. Jansen 1990. In der Tat erscheint insbesondere jüngeren Leuten die Ver- gangenheit schwarz-weiß, und obwohl es Farbaufnahmen von Hitler und seinen Schergen, von ganz normalen Deutschen, von Deportationen und Kriegshandlungen gibt, rufen diese Erstaunen hervor und wirken „un- wirklich“. Inzwischen durchbrechen Filmemacher diese auch durch Resnais geprägten Erwartungen der Zuschauer und setzten bewußt Farb- aufnahmen ein, wenn sie über die Zeit bis 1945 berichten, so z.B. in dem Film Der Fotograf von Dariusz Jablonski (1999). Resnais‘ Avantgardismus zeigt sich insbesondere in der Montage der Bilder. Der Regisseur behauptet von sich selbst, stärker durch die Eisen- steinsche Attraktionsmontage als die Pudovkinsche Variante der addi- tiven Montage inspiriert zu sein: „... in dem Maße, in dem ich der sur- realistischen Disziplin gegenüber empfänglich bleibe, fühle ich mich tat- sächlich der Konzeption Eisensteins sehr viel näher. Jede Einstellung muß lebendig bleiben.“317 Gemäß Eisenstein ist Montage Konflikt, nicht ein aus aufeinanderfolgenden Stücken zusammengesetzter Gedanke, sondern ein Gedanke, der im Zusammenprall zweier voneinander unab- hängiger Stücke entsteht. Weisen Pudovkin und Kulešov in ihren Mon- tageexperimenten nach, daß die Kombination eines Bildes A mit Bild B, 315 Zit. nach Interview mit Bernard Pingaud. In: ders. (Hg.): Alain Resnais. Premier Plan 18. Lyon, 1961, S. 37. In: Alain Resnais. Mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen u.a. München, Wien, 1990, (= Reihe Film 38), S. 78. 316 Jansen, Peter W.: Nuit e t brouillard 1955/56. In: Alain Resnais. Mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen u.a. München, Wien, 1990, (= Reihe Film 38), S. 78. 317 Gespräch mit André S: Labarthe und Jacques Rivette. Zit. nach: Zum Selbstverständnis des Films I. Alain Resnais. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 8. Jg., H. 10/1964, S. 519. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 178 C, oder D zu völlig verschiedenen Bedeutungen führt, selbst wenn A unverändert bleibt, geht Eisenstein noch einen Schritt weiter und fordert, daß aus der Addition von A + B nicht = AB folgen sollte, sondern X, etwas ganz Neues. Eine Montagesequenz unterbricht die eigentliche Handlung und kom- mentiert das Gezeigte, indem sie einen Gedanken aufgreift und auf Bild- ebene fortführt. Dem literarischen Stilmittel der Digression ist das sehr ähnlich. Vom Zuschauer erfordert diese Art Filmsprache eine besondere interpretatorische Leistung. In Nacht und Nebel, der neben einem künst- lerischen einen aufklärerischen Anspruch vertritt, ist jedoch entgegen der Äußerungen des Regisseurs eine konventionelle, logisch aufbauende und der Chronologie der Ereignisse weitgehend folgende Zusammenstellung der Bilder zu erkennen, also eher die Pudovkinsche, „realistische“ Vari- ante der Montagetechnik. So sieht es auch der Rezensent der Zeitschrift Filmkritik: „Daß Resnais‘ Montagetechnik einen unüberbietbaren Grad der Vollkommenheit erreicht, sei nur am Rande vermerkt; denn hier lüstern und ausgiebig ‘ästhetischen’ Finessen nachzugehen, hieße die Opfer verhöhnen. Mit Aufnahmen, bei deren Anblick man sich bleich und verzweifelt immer wieder fragt: Wie ist sowas möglich?, ‘spielt’ man nicht. Man tut voll Scham, was man zu tun hat - und nichts weiter.“318 Die „vollkommene“ Montagetechnik Resnais‘ ist nur eines von vielen Stilmitteln. Ein Statement kritischer Zuschauer lautet, daß Nacht und Nebel zu künstlerisch, zu perfekt sei und den Zuschauer überfordere. Schon die Bilder selbst seien eine Herausforderung, hinzu kämen Schnitt und Montage, der Wechsel von Schwarz-Weiß zu Farbe, der kontra- punktische Einsatz der Musik, der poetische und gleichzeitig überaus informationsreiche Kommentar. Der Regisseur dagegen hält an seinem ästhetischen Konzept fest. Er vertritt, auch wenn es um einen Film wie Nacht und Nebel geht, die Auffassung, „daß Schönheit der Wirksamkeit eines Films niemals Schaden kann.“319 318 Anonym: Nacht und Nebel. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 1. Jg., H. 2/1957, o.S. 319 Zit. nach: Alain Resnais. Mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen u.a. A.a.O., S. 80. Peter W. Jansen übernimmt das Zitat aus dem Interview mit Bernard Pingaud, a.a.O., S. 38.: „Je crois que si c‘est beau, ce ne peut être que plus efficace.“ II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 179 II.2.3. Mitwirkende Alain Resnais, Jahrgang 1922, experimentiert schon als Jugendlicher mit Film und Foto. Nach dem Abitur 1939 geht er nach Paris und besucht dort zwei Jahre lang Schauspielkurse und Seminare am Institut des Hautes Études Cinématographiques. Doch das Studium erfüllt ihn nicht, ist ihm zu theorielastig. Als Soldat tritt er der Theatertruppe Les Arle- quins bei und bereist mit ihr die französischen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich. Ab 1945 entstehen seine ersten Filme und er sammelt praktische Erfahrungen als Cutter. 1948 erhält der 26jährige einen „Oscar“ für seinen Film über Vincent van Gogh. Nacht und Nebel gilt im nachhinein als das Mittelstück von Resnais in- offizieller „Trilogie des Genozids“. Er steht zwischen Guernica und Hiroshima, mon amour. Gefragt, was für ihn Erinnerung und Vergessen bedeuten, antwortet Resnais, daß er sich damit vor allem während Nacht und Nebel auseinandergesetzt hat. „Es ging nicht darum, den Toten noch ein weiteres Denkmal zu errichten, sondern an die Gegenwart und die Zukunft zu denken.“320 Einen Film wie ein Denkmal mit der Inschrift „Nie wieder!“, einen Film, der die Menschen vielleicht aufwühlt, aber nicht zum Nachdenken anregt, will Alain Resnais nicht. Stattdessen möchte er einen Zuschauer, „... den man zu einer Handlung veranlassen kann, statt ihn nur gefühlsmäßig zu erregen.“321 Als der Produzent Anatol Dauman den fertigen Film sieht, sagt er zu dem jungen Regisseur: „Mon cher Alain, je crois qu‘on a fait un beau film. Mais ce que je peux vous garantir, étant donné son caractère: il ne sortira jamais dauns aucune salle. Mais je ne regrette pas de l‘avoir fait.“ Dauman hat damit nicht recht behalten. Entgegen seiner Annahme ist der Film in alle Welt verkauft worden, Millionen Menschen haben ihn bis heute gesehen. Dauman gehört zu der kleinen Gruppe risikofreudiger Produzenten, die die Autoren der Nouvelle Vague unterstützen. Er produziert neben Nacht und Nebel Resnais‘ Hiroshima Mon Amour, Jean-Luc Godards Masculin – Feminin, Nagisa Oshimas Im Reich der Sinne und als Co-Produzent Filme von Wim Wenders. Er arbeitet zusammen mit Dokumentaristen wie Chris Marker und Joris Ivens und bringt in den achtziger Jahren alle wichtigen Fassbinder-Filme in neuen Kopien in die französischen Kinos. 320 Gespräch mit Sylvain Roumette. Zit. nach: Zum Selbstverständnis des Films I. Alain Resnais. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 8. Jg., H.10/1964, S. 514. 321 Gespräch zwischen Alain Resnais und Edouard Pfrimmer über Hanns Eisler. A.a.O., S. 374. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 180 Die Idee, zusätzlich zu ihrem 1954 erschienenen Buch mit dem Titel Tragédie de la déportation 1940-1945. Témoignages de survivants des camps de concentration allemands einen Film über die Vernichtung der europäische Juden zu machen, stammt von den Historikern Henri Michel und Olga Wormser. Sie leiten das Comité d’histoire de la Deuxième Guerre Mondiale. Olga Wormser nimmt im November 1954 Kontakt zu dem Produzenten Anatole Dauman auf. Er ist beeindruckt von dem Bildmaterial, das die Historiker u.a. für eine Ausstellung zum Thema zusammengetragen haben. Dauman fragt Resnais. Der jedoch nimmt den Auftrag, einen Film über den Massenmord in deutschen Konzentra- tionslagern zu drehen, erst an, nachdem ihm Jean Cayrol zugesagt hat, den Kommentar zu schreiben. Für Resnais ist es wichtig, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der das Terrorsystem der Nazis aus eigener Erfah- rung kennt. Jean Cayrol ist in Mauthausen und Guben inhaftiert gewe- sen. Dort haben ihn die anderen Häftlinge gebeten aufzuschreiben, was sie durchmachen müssen. Im Sommer 1945 erscheinen Cayrols Poèmes de la nuit et du brouillard. Cayrol ist nach anfänglichen Bedenken zur Zusammenarbeit bereit. Er setzt großes Vertrauen in Resnais‘ Kunst. Für die Text-Bild-Abstimmung sorgen neben Resnais die Regieassistenten Chris Marker und André Heinrich Die deutsche Fassung des Kommentars schreibt der 1920 in Czerno- witz/Rumänien geborene Paul Celan. Celan, der aus einer deutsch- sprachigen jüdischen Familie stammt, wird nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in ein rumänisches Arbeitslager interniert. Eltern und Verwandte werden deportiert und ermordet. Nach dem Krieg lebt Celan in Paris, als deutschsprachiger Autor „in babylonischer Gefangenschaft“. Ende der vierziger Jahre veröffentlicht er seine ersten Gedichtbände. Sein inzwischen wohl berühmtestes Gedicht, die „Todesfuge“, liest er 1952 auf einem Treffen der Gruppe ´47 in Niendorf an der Ostsee. Die meisten Anwesenden kritisieren es als zu schwülstig, zu pathetisch. Bis zu seinem Freitod 1970 fühlt sich Celan unverstanden und bleibt isoliert. Celan hat nach Nacht und Nebel noch andere Werke Cayrols ins Deut- sche übertragen, so seinen Roman „Im Bereich einer Nacht“/“L’éspace d‘une nuit“. Den französischen Kommentar spricht Michel Bouquet, den deutschen Curt Glass. Die Beteiligten sind sich einig, daß die Sprecher einen deklamatorischen, pathetischen Stil vermeiden und stattdessen soweit wie möglich mit neutraler Stimme sprechen sollen. Bis auf einige Stellen, wo dem Sprecher die Stimme versagt, gelingt das. Zu einem iro- nisierenden Unterton oder zu schneidender Kälte sind die Sprecher indes auch in der Lage. „Der deutsche Sprecher ... ist eine Spur zu eigen, zu II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 181 akzentuiert, zu ironisch. Allerdings ist seine Betroffenheit echt ...“, meint der Kritiker Rainer Heynig.322 Ebenso wichtig wie die Zusammenarbeit mit dem Augenzeugen Cayrol ist Resnais die mit dem Komponisten Hanns Eisler. Er will ihn unbe- dingt für die musikalische Gestaltung des Films gewinnen, denn er ist beeindruckt von der Musik, die Eisler für Renoirs La femme sur la plage geschrieben hat, und er kennt Eislers und Adornos 1947 erschienenes Buch über Filmmusik, Composing for films. Der Komponist und der Musiksoziologe wenden sich gegen eine Genormtheit des Films, die wiederum genormte Filmmusik provoziert. „Selbst gute dramatische Momente werden durch übersüße Begleitung oder dramatische Über- exposition zu Kitsch.“323 Es müsse Schluß sein mit dem Vorurteil, daß man Filmmusik nicht hören solle. Statt eine dienende Funktion zu erfül- len, könne die Musik das Thema mitgestalten oder gar Gegenstand der Geschehens sein.324 So fordern Eisler und Adorno den kontrapunk- tischen Einsatz von Musik in Filmen, um die üblichen musikalischen Untermalungen und Illustrationen zu vermeiden. Was für die Lyrik nach Auschwitz gilt, gilt dementsprechend für Musik nach und erst recht über Auschwitz: sie muß anders sein, muß den Zivilisationsbruch, den Auschwitz bedeutet, markieren. Resnais möchte außerdem Eisler gewinnen, weil er der Auffassung ist, daß „... der Name eines deutschen Musikers unserem Unternehmen so etwas wie eine moralische Bürgschaft geben würde“.325 Auf eine Zusage wagt Resnais kaum zu hoffen. Doch sagt Eisler spontan zu und schreibt in erstaunlich kurzer Zeit die Filmmusik, wobei er z.T. auf schon Vor- handenes zurückgreift. Er variiert Teile der deutschen Nationalhymne, des „Deutschlandlieds“, wobei laut Albrecht Dümling „ein aggressives Zerrbild ... ein Abbild dessen, was die Nazis aus Deutschland gemacht hatten“ entsteht.326 Zeitgenössische Kritiker können mit Eislers Musik hingegen kaum etwas anfangen. Manfred Moschner: „... man bewundert 322 Heynig, Rainer: Die Affäre Nacht und Nebel. Eine Filmanalyse wider das Unrecht. In: Forum Academicum, 9. Jg., Nr. 2, Mai 1957. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 323 Adorno, Theodor W./ Eisler, Hanns: Vorurteile und schlechte Gewohnheiten. In: Theo- rie des Kinos. Hrsg. von Karsten Witte. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1973 (1972), S. 199. 324 Vgl. a.a.O., S. 192-199. 325 Gespräch zwischen Alain Resnais und Edouard Pfrimmer über Hanns Eisler. In: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste. Son- derheft Hanns Eisler. Berlin (Ost), 1964, S. 372. 326 Dümling, Albrecht: Musikalischer Kontrapunkt zur filmischen Darstellung des Schrec??kens. Hanns Eislers Musik zu Nuit et Brouillard von Alain Resnais. In: Kunst und Literatur nach Auschwitz. Hrsg. von Manuel Köppen in Zusammenarbeit mit Gerhard Bauer und Rüdiger Steinlein. Berlin, 1993, S. 121. In einigen der in Deutschland vertriebenen Kopien fehlt diese Passage. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 182 den politischen Takt der Franzosen, während die Musik des Sowjet- zonen-Komponisten Hanns Eisler eben diesen Takt vermissen läßt, wenn sie die Melodie des Deutschlandliedes parodiert.“327 Resnais betont in dem Gespräch mit Edouard Pfrimmer, wieviel er von Eisler gelernt habe. „Vor allem zeigte er mir, wie man bei einem Film den musikalischen Pleonasmus vermeiden kann.“328 Damit ist die über- flüssige musikalische Untermalung gemeint, die Doppelung und Ver- stärkung des Gesehenen durch das Gehörte. Wolfdietrich Schnurre gibt in seiner „Streitschrift“ zur „Rettung des deutschen Films“ Beispiele, die jedem Kinogänger geläufig sind: „Kein Sonnenuntergang ohne akkom- pagnierendes Harfengeklimper und dito Flötengesäusel; kein drohendes Unheil ohne ahnungsvoll vorauseilende Schicksalspaukenschläge. Wem die Handlung zu langweilig ist, der schließe getrost seine Augen; hölli- sches Bratschengeschnarche und schmetternde Jerichotrompeten werden ihm die diversen Konflikte auch so deutlich machen.“329 Eisler dagegen verstößt bewußt gegen diese musikalischen Konventionen. Resnais berichtet Pfrimmer, daß unter den Musikern „eine gewisse Unruhe“ geherrscht hat, als sie Eislers Musik zu den projizierten Bildern spielen mußten. „Die Leute waren ganz aufgeregt: die üblichen Regeln galten nicht mehr.“330 Entsprechend verstört reagieren die Zuschauer von Nacht und Nebel. Sie erwarten eine andere Musik, wenn Bilder Hitlers und seiner Gefolgsleute gezeigt werden, oder aber die Toten in den KZ. Diesen Erwartungen kommt Eisler nicht entgegen. Keine Marschmusik, keine schluchzenden Geigen. Dümling interpretiert die Eislersche Musik: „Anders als im Prolog, wo das Streichorchester eine leere Land- schaft ‚bevölkert‘, hat bei den Leichenbergen die kleine kammermusika- lische, oft sogar die solistische Besetzung die Funktion, die Aufmerk- samkeit von der großen Masse auf den einzelnen Menschen zu len- ken.“331 327 Moschner, Manfred: Niemand kommt daran vorbei. Nacht und Nebel – erschütterndes Dokument der KZ-Lager. In: Der Tag (Berlin) vom 3.7.1956, S. 3. 328 Gespräch zwischen Alain Resnais und Edouard Pfrimmer über Hanns Eisler. A.a.O., S. 373. 329 Schnurre, Wolfdietrich: Rettung des deutschen Films. Eine Streitschrift. In. Der Deut- schenspiegel. Schriften zur Erkenntnis und Erneuerung, Bd. 38. Hrsg. von Gerhart Binder. Stuttgart, 1950. S. 42. 330 Gespräch zwischen Alain Resnais und Edouard Pfrimmer über Hanns Eisler. A.a.O., S. 373. 331 Dümling, Albrecht: Musikalischer Kontrapunkt zur filmischen Darstellung des Schrec??kens. Hanns Eislers Musik zu Nuit et Brouillard von Alain Resnais. A.a.O., S. 122. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 183 II.2.4. Resonanz Nuit et Brouillard wird am 31.1.1956 mit dem Prix Jean Vigo ausge- zeichnet. Resnais gewinnt diesen Preis zum zweiten Mal, im Jahr zuvor ist er für Les statues meurent aussi ausgezeichnet worden. Nuit et Brouillard wird vom französischen Auswahlgremium einstimmig in der Kategorie Kurzfilm für die Teilnahme in Cannes vorgeschlagen. Zu den diplomatischen Verwicklungen kommt es, nachdem ein Vertreter der deutschen Botschaft Gelegenheit gehabt hat, an einer privaten Vor- führung des Films beim Produzenten Dauman teilzunehmen. Einige Tage später erhält der französische Außenminister Christian Pineau einen Brief des deutschen Botschafters, in dem er mit Verweis auf §5 der Festspielordnung von Cannes bittet, Nuit et Brouillard nicht aufzufüh- ren. Dieser offizielle Einspruch ruft in der Bundesrepublik die Opposition auf den Plan. Am 18.4.1956 gibt es eine aktuelle Fragestunde im Deutschen Bundestag. Annemarie Renger (SPD) möchte erfahren, welche Gründe die Bundesregierung bewogen haben, gegen den Film Nacht und Nebel vorzugehen? „Für das verhinderte Auswärtige Amt“, so der Vizepräsi- dent des Deutschen Bundestages, Richard Jaeger, „spricht das Bundes- ministerium des Innern durch Herrn Staatssekretär von Lex.“ Der Staats- sekretär Ritter von Lex betont zunächst den Abscheu der Bundesregie- rung gegenüber den nationalsozialistischen Verbrechen. Die Regierung glaube dennoch nicht, „... daß internationale Filmfestspiele, die der Zusammenarbeit zwischen den Völkern dienen sollen, der rechte Ort sind, um einen Film zu zeigen ...“. Da ertönen schon die ersten Zwischenrufe von der Opposition. Der Abgeordnete Menzel (SPD) ruft: „Die Wahrheit zu zeigen!“, der Abgeordnete Schmid (SPD): „Herr Staatssekretär, durch Verschweigen fördert man die Wahrheit nicht!“ Der Vizepräsident fordert Ruhe, was den Abgeordneten Ritzel (SPD) zu der Bemerkung veranlaßt: „Wir machen Zwischenrufe, wenn es uns paßt und nicht Ihnen!“ Ritter von Lex versucht erneut, Argumente gegen die Aufführung des Films vorzutragen. Er nennt Cannes „nicht den rechten Ort“ und spricht von der Befürchtung, daß der Film dazu beiträgt, „... den durch die nationalsozialistischen Verbrechen erzeugten Haß gegen das deutsche Volk in seiner Gesamtheit wieder zu beleben.“ Die Oppo- sition hält das für „Unsinn“, die Abgeordnete Renger fragt, ob die Bun- desregierung nicht die Auffassung teile, „... daß sie sich durch die Vor- führung gerade solcher Filme von den Verbrechen des Nationalsozialis- mus absetzt ...?“ Sich davon absetzen will der Staatssekretär schon, wie- derholt aber, „... daß Internationale Filmfestspiele nicht der richtige Ort II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 184 sind, um diese Auseinandersetzung durchzuführen.“ Beifall bei der CDU/CSU.332 Die Frankfurter Rundschau berichtet am 27.4.1956, daß zwei Tage zuvor die Absetzung des Streifens angeordnet wurde, am 1.5.1956 heißt es in einer Meldung, daß der Film am Sonntag, dem 29.4., in Cannes „außer Konkurrenz“ gezeigt wurde.333 In Deutschland läuft der Film während der Berlinale im Juli 1956. Während der ersten Vorstellung am 1. Juli ist der Filmkritiker der Le monde, Jean de Baroncelli, anwesend. In seinem zwei Tage später erscheinenden Artikel beschreibt er die Re- aktionen der mehr als achthundert Zuschauer auf den noch nicht syn- chronisierten Film. Der Direktor des Institut Français hat eine deutsche Übersetzung auf Tonband aufgenommen, die vorab zu hören ist. Danach beginnt der Film. Nach dem Ende rührt sich lange niemand, einige wei- nen. Baroncelli beendet seinen Artikel mit dem Satz, den Willy Brandt als Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses in seiner Einführung zum Film zitiert hat: „Wir dürfen nicht vergessen, damit die anderen verges- sen können.“334 Willy Brandt ist bei einigen Aufführungen anwesend, sowohl wegen Nacht und Nebel als auch wegen des Films, mit dem der französische Kurzfilm in den kommerziellen Filmtheatern gemeinsam aufgeführt wird: Wolfgang Kiepenheuers Dokumentarfilm über den Berliner Ober- bürgermeister Ernst Reuter. Der Text zu diesem 16-minütigen Film stammt von dem Journalisten Edmund Luft, der Sprecher ist O.E. Hasse. In anderen westdeutschen Städten sind ebenfalls Lokalpolitiker und Vertreter der christlichen Kirchen anwesend, um einleitende Worte zur Erstaufführung von Nacht und Nebel zu sprechen. Angeblich ist „... auch die Presse zu jeder Unterstützung bereit.“335 Ob und wann der Film in der DDR aufgeführt worden ist, ist nicht fest- stellbar. Bis zum Mauerbau konnten theoretisch auch Zuschauer aus dem Ostteil Berlins in die Kinotheater während der Filmfestspiele gehen. Resnais teilt in dem Interview mit, daß die DDR den Film gekauft habe, sich aber vier Jahre lang nicht entscheiden konnte, ihn aufzuführen „... 332 Vgl. Bundesregierung gegen Nacht und Nebel. Die Debatte im Parlament. In: Das Parlament Nr. 17 vom 25.4.1956, S. 8. 333 Vgl. Nacht und Nebel in Cannes doch abgesetzt. In: Frankfurter Rundschau vom 27.4.1956, S. 8; Nacht und Nebel wurde außer Konkurrenz gezeigt. In: Frankfurter Rundschau vom 1.5.1956, S. 1. 334 Vgl. Baroncelli, Jean de. In: Le Monde vom 3.7.1956 und L.W.: Traurige Wahrheit. Nacht und Nebel in Berlin aufgeführt. In: Der Tagesspiegel vom 3.7.1956, S. 4. Willy Brandt zitiert einen Satz des Bundespräsidenten Theodor Heuss. 335 Vgl. Broschüre der Karp-Film, Düsseldorf., 1956. Quelle: Deutsches Institut für Film- kunde. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 185 parce que le commentaire ne marchait pas exactement comme il fallait, quoi.“336 Die Bundesrepublik ist trotz oder gerade wegen der Querelen in Cannes das erste Land, das Nacht und Nebel aufführt. Und die Film- bewertungsstelle in Wiesbaden verzichtet – angeblich das erste und einzige Mal – darauf, die Prädikatisierung „besonders wertvoll“ zu be- gründen, denn: „Neben diesem einmaligen Zeugnis und dieser erschüt- ternden Anklage einer furchtbaren Vergangenheit muß jeder Kommentar verkleinernd wirken.“337 Anschaulich schildert ein Redakteur der Stuttgarter Zeitung wie das Publikum in einer Kleinstadt auf die von der Volkshochschule initiierte Aufführung von Nacht und Nebel reagiert. Bis dahin hatten „... wie das in einer kleineren Stadt ist, persönliche und halbversteckte private Gründe zusammengewirkt: Wie kann man denn die alten Geschichten wieder aufführen, hieß es. Oder – vordergründiger und bösartiger zu- gleich - : Wer weiß, ob die Bilder nicht gestellt sind. Immerhin sei es ja ein französischer Film.“338 Eine ältere Dame beschwert sich nach dem Film über die „Holzhammermethode“, derer sich die Filmemacher be- dienten: „Ich konnte gestern keinen Bissen mehr herunterkriegen.“ Doch auch andere Statements, die während einer anschließenden Diskussion geäußert wurden, zitiert der Journalist, bspw. „... wer denn die Leute ge- wesen seien, die eine so grauenhafte Vernichtung planen und durch- führen konnten – müssen es nicht Tausende gewesen sein?“ Solche Fragen stellen die überwiegend jugendlichen Besucher. „Die Älteren je- doch, die es eher auch persönlich anging, fehlten“, so der Berichterstat- ter. Die jungen Leute liefern ihm dafür die Begründung, daß die Älteren wohl mit dem Wirtschaftswunder zu tun hätten.339 Wie der Film Nacht und Nebel auf die Zuschauer wirkt, interessiert auch andere Journalisten. So führt Die europäische Zeitung nach einer Auf- führung des Films am 30.6.1956 eine Umfrage im Metropol-Filmtheater durch. Ungefähr 700 Zuschauer sind anwesend, darunter Vertreter der in- und ausländischen Presse in Bonn, Mitglieder des Deutschen Bun- destages (Mitglieder des Ausschusses für Presse-, Film- und Funkfragen hatten den Film aber bereits gesehen), Beamte und Angestellte aus den 336 Gespräch zwischen Richard Raskin und Alain Resnais. In: Raskin, Richard: Nuit et Brouillard by Alain Resnais. On the making, Reception and Functions of a Major Documentary Film. Including a new Interview with Alain Resnais an the Originals Shooting Script. Aarhus, 1987; S. 55. 337 Zit. nach: Anklage der furchtbaren Vergangenheit. 1955 drehte Alain Resnais den KZ- Film Nacht und Nebel. Programmhinweis im Münchner Merkur vom 9.11.1978. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 338 geyer: Nacht und Nebel in der Volkshochschule. In: Stuttgarter Zeitung vom 10.7.1957. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 339 Vgl. ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 186 Ministerien, Mitglieder des studentischen Filmclubs der Bonner Univer- sität und Studenten aus Köln. Studenten stellen die Mehrzahl der Besu- cher. 412 Personen haben die nach der Vorstellung verteilten Frage- bögen ausgefüllt und zurückgegeben. Die Zusammensetzung des Publi- kums nach Altersklassen sieht folgendermaßen aus: II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 187 Tabelle 5: Altersstruktur der Besucher der Sondervorführung von Nacht und Nebel Altersklassen Anteil in % Bis 20 Jahre 4,37 20-30 Jahre 48,30 30-40 Jahre 21,11 40-50 Jahre 12,38 über 50 Jahre 13,84 Quelle: Die Europäische Zeitung vom 20.7.1956. „Repräsentativ“, so die Interviewer, sind die Ergebnisse nicht, dennoch – und das gleiche gilt für die Fragen - aufschlußreich. Gefragt wurde: 1. Halten Sie den Film Nacht und Nebel für a. objektiv und gerecht? b. tendenziös gefärbt? c. antideutsch und ressentimentgeladen? 2. Sind Sie der Meinung, daß heute in Deutschland die neuerliche Erinnerung an die Verbrechen in den Konzen- trationslagern in dieser Form a dringend notwendig? b. unnötig? c. schädlich ist? 3. Meinen Sie, daß dieser Film das deutsche Publikum a. aufrüttelt? b. kalt läßt? c. durch Schockwirkung abstößt? II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 188 4. Befürworten Sie die Aufführung dieses Films a. vor möglichst breiten Schichten des deutschen Volkes – besonders der Jugend? b. nur vor besonders Interessierten, geschlossenen Kreisen? c. überhaupt nicht? Alle Ergebnisse im einzelnen sollen hier nicht wiedergegeben werden, nur, daß von den 412 Antworten 376 lauten, der Film ist „objektiv und gerecht“, 347 Befragte sind der Meinung, daß Erinnerung in dieser Form „dringend notwendig“ ist, 222 Personen vertreten die Ansicht, daß dieser Film die Menschen im positiven Sinne „aufrüttelt“ und 263 Befragte meinen, Nacht und Nebel soll vor „möglichst breiten Schichten – gerade auch der Jugend“ aufgeführt werden.340 Repräsentativ sind diese Ant- worten schon aufgrund der Zusammensetzung des Publikums nicht. Es besteht überwiegend aus besser gebildeten Beamten, Studenten und Journalisten. Ein Statement lautet: „Die es verschuldet haben, gehen be- stimmt nicht hin.“341 Damit ist das Dilemma jeglicher Filme zur politischen Bildung beschrie- ben. Sie erreichen vor allem diejenigen Zuschauer, die grundsätzlich schon über ein Interesse an dem Thema verfügen. Genaue Zahlen dar- über, wieviele Zuschauer Nacht und Nebel bis heute in Deutschland gesehen haben, liegen nicht vor. Der Film läuft 1956 und 1957 in den bundesdeutschen Kinos. Zum Gründonnerstag 1957 zeigt ihn die ARD. Der Fernsehkritiker der Süddeutschen Zeitung, Martin Morlock, meint, daß „... man gewiß kaum einen würdigeren Fernsehbeitrag zur Karwoche denken konnte als diese Chronik eines millionenfachen Leidens Un- schuldiger.“342 Der Kritiker ärgert sich über die Berichterstattung „einer vielgelesenen Programm-Vorschau“, vermutlich der Hörzu, in der es heißt: „Der Film wirft erneut die vieldiskutierte Frage auf: Wer hatte Schuld?“ Morlock: „Offenbar bestehen hierüber mancherorts noch Zwei- fel.“343 340 Vgl. ebenda. 341 Vgl. Der Film Nacht und Nebel kommt nach Deutschland! Publikumsbefragung anläß- lich einer Sondervorführung am 30.6.1956 im Bonner „Metropol“-Theater. In: Die Europäische Zeitung vom 20.7.1956. Diese Umfrage der Europäischen Zeitung, dem Blatt der deutschen Sektion des European Youth Movement, ist auch der französischen Le Monde am 1.8.1956 ein Bericht wert. 342 Morlock, Martin: Nacht und Nebel. In: Süddeutsche Zeitung vom 23.4.1957, S. 7. Der Massenmord vornehmlich an den Juden ist sehr häufig ein Thema in der Karwoche, in der Christen des Todes und der Auferstehung Jesu – eines Juden – gedenken. Auch Schindlers Liste wurde das erste Mal im deutschen Fernsehen an einem Karfreitag aus- gestrahlt. 343 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 189 1978 zeigt das ZDF Nacht und Nebel zum 9. November - 40 Jahre nach den antijüdischen Pogromen. Außer durch die Aufführung in Kinos und im Fernsehen hat Nacht und Nebel dadurch sehr viele Zuschauer erreicht, daß er durch die Landeszentralen für politische Bildung vertrie- ben worden ist und in den Schulen gezeigt wurde. In einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.1.1960 erklärt ein Mitarbei- ter der Bundeszentrale für Heimatdienst (später Bundeszentrale für poli- tische Bildung) namens Feineis, wie der Film Nacht und Nebel in Deutschland vertrieben wird. Der Film liege seit 1957 deutsch synchro- nisiert vor und werde von der Bundeszentrale für Heimatdienst, eine dem Bundesministerium des Innern unterstehende Behörde, kostenlos und in über hundert Kopien im gesamten Bundesgebiet für nichtkommerzielle Zwecke zur Verfügung gestellt. Die Nachfrage sei ständig sehr hoch, deshalb bemühe man sich, die Zahl der Kopien zu erhöhen.344 Der Schreiber des Leserbriefs stellt richtig, daß der Film nicht verboten war, es aber vor vier Jahren eine Debatte darüber gegeben hat, ob ein solcher Film in Cannes aufgeführt werden solle. Er verweist zuletzt noch einmal auf das große Angebot an Filmen zum Thema Nationalsozialismus und Antisemitismus, über das die Landesfilmdienste und –bildstellen verfü- gen, und fordert Interessierte auf, diese Dienste in Anspruch zu neh- men.345 Welche enorme Wirkung der Film auf seine Zuschauer gehabt hat, deutet die Filmemacherin Margarethe von Trotta in ihrem Film Die bleierne Zeit (1981) an. Mit einer fiktiven Geschichte über die Lebenswege zweier Schwestern (Gudrun und Christiane Ensslin) in der „bleiernen Zeit“ der fünfziger und sechziger Jahre, nähert sie sich konkreten Ereig- nissen, dem Linksextremismus in der Bundesrepublik in den siebziger Jahren. Trotta erklärt die Entwicklung einer der Schwestern zum Terro- rismus mit dem Hinweis auf die verdrängte Nazi-Vergangenheit der Elterngeneration. In einer Rückblende in Die bleierne Zeit sind folgende Szenen Schlüsselszenen: eine Schulklasse 1956, Deutschunterricht. Marianne rezitiert ein Gedicht von Rilke, die Lehrerin, fordert Mariannes Schwester Juliane auf, die Verse zu interpretieren. 344 Nacht und Nebel stark gefragt. Leserbrief von Herrn Feineis. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 23.1.1960, S. 11. 345 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 190 Juliane: Ich finde es kitschig. Lehrerin: Das ist keine Interpretation, sondern eine subjektive Mei- nung. Dies Gedicht ist eines der schönsten der deutschen Sprache. Juliane: Ich würde aber lieber die „Ballade von der Judenhure Marie Sander“ lesen oder „Schwarze Milch der Frühe...“. Lehrerin: Du willst nur davon ablenken, daß dir zu Rilke nichts ein- fällt. Die Lehrerin fordert eine andere Schülerin auf, Juliane aber beharrt auf ihren Vorschlägen, Brecht und Celan zu lesen. Sie fragt die Lehrerin direkt: „Und wovon wollen Sie ablenken?“ Dann beginnt sie zu zitieren. Die Lehrerin fordert sie auf, das Klassenzimmer zu verlassen, wenn sie weiter stören will. Juliane geht hinaus. Die nächste Szene spielt in einem Jugendheim. Julianes und Mariannes Vater führt den Film Nacht und Nebel vor. Einige der jungen Zuschauer stürzen aus dem Vorführraum, ihnen ist schlecht.346 Ausschnitte aus Nacht und Nebel werden auch in den Film Die innere Sicherheit von Christian Petzold montiert, der Anfang 2001 in die deut- schen Kinos kommt. Im Mittelpunkt stehen ein Paar, gespielt von Barbara Auer und Richy Müller, und seine Tochter Jeanne, gespielt von Julia Hummer. Sie leben als ehemalige Linksterroristen seit fünfzehn Jahren im Untergrund. Jeanne lernt eines Tages ein gleichaltriges Mäd- chen an einem Schulhof kennen und geht mit ihr in den Unterricht, wo den Schülern Nacht und Nebel gezeigt wird. Als der Film zuende ist, sitzen alle wie gelähmt da. Der Geschichtslehrer fragt die Anwesenden, was sie da eben gesehen haben, und wie es kommt, daß bei einer Film- vorführung das Klassenzimmer ausnahmsweise voll ist. Er spricht Jeanne an. Sie rafft erschrocken ihre Sachen zusammen und läuft aus der Klasse. Diese Szene ist der einzige Hinweis auf einen möglichen Zu- sammenhang zwischen Nationalsozialismus und Linksterrorismus der siebziger Jahre. Warum die Eltern in den Untergrund gegangen sind und wofür sie angeklagt werden könnten, läßt der Film offen. Es geht vor- dergründig nur um die Gegenwart. Die Vergangenheit ist jedoch stets präsent. 346 Vgl. Die bleierne Zeit. Ein Film von Margarethe von Trotta. Hrsg. von Hans Jürgen Weber in Zusammenarbeit mit Ingeborg Weber. Frankfurt/M., 1981, S. 44 u. 45. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 191 II.2.5. Filmkritiken Es wird über Nacht und Nebel schon gestritten, bevor der Film während der Festspiele in Cannes zur Aufführung gelangt. In Westdeutschland ist der Film erst ab Juli 1956 zu sehen. Dem Streit über das Für und Wider der Aufführung folgt die zweite Phase in der publizistischen Kontro- verse. In ihr geht es mehr um den Film, seine Machart und die Reaktio- nen der Zuschauer. In der Festspielordnung der Filmfestspiele von Cannes heißt es, daß Filme, die die nationalen Gefühle eines anderen Landes verletzen könn- ten, nicht gezeigt werden. Auf Wunsch der Bundesregierung bittet der deutsche Botschafter in Paris, von Maltzan, Nacht und Nebel nicht in Cannes zu zeigen. Diese Bitte hat das französische Außenministerium an den für die Filmindustrie zuständigen Staatssekretär, Lemaire, weiterge- leitet. Der verhindert tatsächlich die Nominierung des Films für Cannes, mit einer Begründung, die die Deutschen schont, jedoch heftigen Protest der Féderation Nationale des Déportés, Internés, Résistants et Patriotes hervorruft. Der Verband kündigt an, in Häftlingskleidung vor dem Festi- valpalast zu demonstrieren und am Tag der Aufführung des deutschen Beitrags einen Protestmarsch zu organisieren. Auch in der französischen Presse wird Lemaires Reaktion auf die Einwände des deutschen Bot- schafters heftig debattiert. Der Verband der Filmtheaterbetreiber, der Verband ehemaliger Häftlinge und Jean Cayrol wenden sich an die Presse, Lemaire antwortet, Leser schreiben. Täglich erscheinen Artikel in den großen französischen Zeitungen, insbesondere Le Monde tut sich in dieser Debatte hervor.347 Schon einige Jahre zuvor hat auf Intervention Spaniens Resnais seinen Picasso-Film Guernica zurückziehen müssen. 1955 wird der jugoslawi- sche Film Die blutige Rose über den Terror der deutschen Besatzer nicht aufgeführt. Am 23. April beginnt das Festival in Cannes und die Aufre- gung hat sich nicht gelegt. Polen zieht seinen Kurzfilm Unter einem gleichen Himmel zurück, ein Film, der wie Nacht und Nebel die Ver- nichtung von Millionen Zivilisten in Konzentrationslager thematisiert. Doch auch der einzige deutsche Festspielbeitrag, Helmut Käutners Himmel ohne Sterne, wird mit derselben Begründung wie Resnais‘ Film nicht zum Wettbewerb zugelassen: ein Teilnehmerland sieht seine natio- nalen Gefühle verletzt. Sofort wird in der Presse spekuliert, ob es sich dabei um die Sowjetunion handelt. 347 Vgl. Artikel vom 10.11.1954, vom 8./9.,10., 11., 13., 17., 18.4.1956, 2.5.1956, 3.7.1956, 1.8.1956 in Le Monde. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 192 Die publizistische Kontroverse über Nacht und Nebel und die Filmfest- spiele in Cannes ist nun auch in Deutschland ausgebrochen. Am 13. April berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung über die Querelen in Paris und zitiert aus dem Beitrag Jean Cayrols in Le Monde zwei Tage zuvor. Dort hat sich der Schriftsteller öffentlich an seinen Kollegen Heinrich Böll gewandt und gefragt, was er und „die anderen deutschen Freunde“ von dem Vorgehen gegen Nacht und Nebel halten.348 Die Welt kommentiert die Entscheidungen darüber, welche Filme zum Wett- bewerb zugelassen werden, folgendermaßen: „Jetzt gibt es zwar in Cannes keine KZ-Filme, aber auch keinen Film, der vom gegenwärtigen Deutschland kündet und von der großen Not seiner widernatürlichen Teilung.“349 Nachdem die deutsche Delegation Cannes verlassen hat, mache das deutsche Sprichwort die Runde: „Wer anderen eine Grube gräbt...“.350 Drastischer drückt sich der Kritiker der Frankfurter Allge- meinen Zeitung aus: „Man gibt den Sowjets die Möglichkeit, den einzi- gen, ohnehin nicht sehr siegesgewissen deutschen Spielfilm zu torpedie- ren, der aber den Snobs und Nicht-Snobs von Cannes etwas von unserem nationalen Hauptproblem hätte erzählen können; und man gibt den pol- nischen Satelliten die Chance, nun ihrerseits noch den Großmütigen, Verständnisbereiten zu spielen, indes die deutsche Delegation protest- schnaubend die Szenerie des Festivals verläßt. Daran werden aber nicht einmal unsere Kulturdiplomaten glauben, daß ob der Abreise der Deut- schen in Cannes Tränen vergossen werden.“351 Hält der Schreiber der Welt den Käutner-Film Himmel ohne Sterne für einen wichtigen Beitrag, weil er die „widernatürliche Teilung“ themati- siert, so bezeichnet die Münchner Autorin der ostdeutschen (neuen) Weltbühne den Film als „Zonengrenzkitsch“ und „antiöstlich“. Der Regisseur Helmut Käutner gar sei ein „USA-Konvertit“ (weil er nach seinem Film Die letzte Brücke ein Angebot aus Hollywood erhalten hat), der „massive Osthetze“ betreibe.352 348 Vgl. Korn, Karl: Nacht und Nebel. Etwas über Filmdiplomatie. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 13.4.1956, S. 6 und Cayrol, Jean: Nuit et Brouillard écarté du festi- val des Cannes. Une protestation de Cayrol, Jean: „Mes amis allemands, que pensez vous de cet attentat contre notre amitié, car c’est un attentat, n’est-ce pas, cher Heinrich Böll, puisqu’on nous enlève ce qui nous avait réunis: cette meme horreur contre l’avilissement de l’homme et son humiliation. Puisqu‘ on nous retire notre commune protestation.“ In: Le monde vom 11.4.1956. 349 Cannes. In: Die Welt vom 30.4.1956, S. 4. 350 Vgl. „Auszug aus Cannes“. In: Die Zeit, Nr. 18, vom 3.5.1955, S. 2. 351 Filmdiplomatie, II. Akt. Der deutsche Film Himmel ohne Sterne in Cannes vom Pro- gramm abgesetzt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.4.1956, S. 10. 352 Huber, Anni: Bemerkungen. „Aug‘ und Aug‘“. In: Die Weltbühne (Ost-Berlin) vom 9.5.1956. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 193 In der Zeit-Meldung über den „Auszug aus Cannes“ übt der Verfasser Kritik an der Haltung der Bundesregierung. Er fragt: „Hat es Nazi-KZs gegeben - ja oder nein? Was hätte also das demokratische Deutschland Grund, gegen einen KZ-Film zu protestieren?“353 Und noch ein weiteres Argument scheint den Kritikern der Hamburger Wochenzeitung wichtig: „Hat sich der Frevler [Adolf Hitler ist gemeint] nicht an der eigenen Nation genauso versündigt wie später an anderen Völkern?“354 In eine ähnliche Richtung zielt der Hinweis, daß „... die meisten Opfer der Konzentrationslager doch Deutsche waren.“ Angeblich argumentierten „die Franzosen“ und andere Ausländer so. Zitiert wird in der Welt Jean Cayrol.355 Andere deutsche Kritiker greifen dieses „Argument“ gern auf. So im Spiegel und in der Zeit, wo gefragt wird: „Schmachteten nicht in den Konzentrationslagern Hitlers auch Zehntausende Deutsche? Waren es nicht bis zum Ausbruch des Krieges, also mehr als sechs Jahre, fast ausschließlich Deutsche, deren sich der Diktator auf diese Weise entle- digte?“356 In Beiträgen, die dem Film positiv gegenüberstehen, sagen die Kritiker unmißverständlich: „Ob wir wollen oder nicht, wir müssen uns auch heute noch mit der Nazizeit und ihren sicher noch lange spürbaren Aus- wirkungen beschäftigen.“357 Für antideutsch halten sie den Film nicht, manche weisen darauf hin, daß Worte wie „deutsch“ oder „Deutschland“ im Kommentar fehlen. Nacht und Nebel sei gerade nicht tendenziös, sondern warne vor der Wiederholbarkeit des Schreckens und der Auffas- sung, „... daß alles nur von einer Zeit und von einem Land sei“358. Viele betonen, daß sich die Autoren des Films schließlich auf authentisches Material stützen. Was in den KZ geschehen ist, sei wahr, deshalb müsse man es zeigen – und als Deutsche nicht versuchen, diesen schrecklichen Wahrheiten aus dem Weg zu gehen. In den positiven Kritiken fordern die Schreiber, den Film zugänglich zu machen, auf daß möglichst viele ihn sehen. Auch und gerade junge Leute. Das beurteilen diejenigen, die dem Film negativ gegenüberstehen, anders. 353 „Auszug aus Cannes“. In: Die Zeit, Nr. 18, vom 3.5.1955, S. 2. 354 Nacht und Nebel. In: Die Zeit, Nr. 16 vom 19.4.1956, S. 11. 355 Vgl. D.W.: Cannes. In: Die Welt vom 30.4.1956, S. 4; Korn, Karl: Nacht und Nebel. Etwas über Filmdiplomatie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.4.1956, S. 6; Filmdiplomatie, II. Akt. Der deutsche Film Himmel ohne Sterne in Cannes vom Pro- gramm abgesetzt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.4.1956, S. 10. 356 R.S.: Nacht und Nebel. In: Die Zeit vom 19.4.1956, S. 11. 357 -ry-: Rückblick ins Grauen. Der KZ-Film Nacht und Nebel läuft heute und Sonntag in Aachen. In: Münchner Merkur vom 30.3.1957. Quelle: Deutsches Institut für Film- kunde. 358 Vgl. Film-Kommentar. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 194 Ein weiteres Argument für die Aufführung des Films lautet, daß die Bundesrepublik als demokratischer Staat mit dem „Dritten Reich“ nichts zu tun habe: „Der Einspruch [der Bundesregierung gegen den Film] war damals unverständlich, weil die darin gezeigten Grausamkeiten aus den Schreckenslagern des Hitler-Regimes ein System anklagen, das im freien Deutschland überwunden worden ist – während es in den anderen Län- dern gerade in den letzten Tagen durch Massenverschleppungen, durch Einpferchung und brutale Liquidierung von Menschen eine furchtbare Aktualität erhalten hat.“359 Gemeint ist die Niederschlagung des Volks- aufstandes in Ungarn im Jahr 1956. Obwohl der Autor diesen Hinweis auf gegenwärtigen Terror zu Recht gibt, lenkt er doch von der Schuld der Deutschen ab. Selbstsicher geht er davon aus, daß das, was früher war, heute „überwunden“ ist. Ludwig Thomé kritisiert in der Frankfurter Rundschau tatsächlich die Machart des Films. Nachdem er erklärt hat, welches Material Resnais verwendet hat, behauptet er: „Es ist daraus – dies sei rein filmkritisch vermerkt – nicht das Werk entstanden, das man von dem Künstler (nach Auch Statuen sterben, vor allem aber nach dem großartigen Guernica) erwartet hatte.“360 Bei Nacht und Nebel, so Thomé, „... steht der Publi- zist Resnais vor dem künstlerischen Gestalter Resnais, verstellt der erste dem letzten sogar den Weg.“ Die Begründung der Ansicht aber, daß Nacht und Nebel „nicht filmisch bewältigt“ wirkt, ist schwer nachvoll- ziehbar. Der Kritiker gibt keine Beispiele, wo Resnais das Niveau frühe- rer Filme nicht erreicht. Außerdem mißfällt ihm, daß dieser „doch wohl wegen seines Sujets“ mit Preisen bedachte Film „mehr dem Gestern als dem Morgen verhaftet“ sei und auf „Schockwirkung“ setze.361 Thomé ist dennoch der Meinung, daß der Film „... in jedes deutsche Kino, tunlichst auch in jede deutsche Schule gehört.“ Nachvollziehbar findet er allerdings die Auffassung, daß ein Festival wie das in Cannes nicht den richtigen Rahmen für einen Film wie Nacht und Nebel bietet. Dieses Argument war für die Bundesregierung weniger wichtig als das des verletzten Nationalgefühls, was Thomé wiederum „töricht“ findet. Denn: „Dieser Film kann ... das deutsche Nationalgefühl nicht verletzen. Lediglich SS-Schergen werden darin gezeigt, und mit ihnen identifiziert sich ein Deutscher nicht.“362 Diese Unterscheidung des FR-Kritikers zwischen „SS-Schergen“ einerseits und „Deutschen“ andererseits ist 359 W.F.: Film als Dokument. In: Der Tag vom 18.11.1956, S. 5. 360 Thomé, Ludwig: Nacht und Nebel. Was sagt der umstrittene Dokumentarfilm wirklich aus? In: Frankfurter Rundschau vom 2.6.1956, S. 35 und ders.: Lebt das „Lagerunge- heuer“ noch? In: Der Mittag vom 12.6.1956. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 361 Vgl. ebenda. 362 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 195 ebenfalls ziemlich töricht. Jedoch weit verbreitet. Auch der Kritiker der Deutschen Woche ist sich im Gegensatz zur Bundesregierung sicher, daß andere Völker zu unterscheiden vermögen „zwischen den Deutschen und den deutschen Henkern“.363 Eine Kritik, die völlig aus dem Rahmen fällt, erscheint in der Deutschen Soldatenzeitung. Zunächst zeigt sich der Rezensent Lothar Groll noch damit einverstanden, diesen Film auf Einladung der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise, der Gesellschaft für Christ- lich-Jüdische Zusammenarbeit und dem Zentralverband demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgten-Organisationen gesehen zu haben. Er stellt fest: „Der Realistik dieser grausigen Schau vermag sich nie- mand zu entziehen, der sich ein Herz und ein Gefühl bewahrt hat.“364 Dem aber folgen Statements, die in ihrer Verquastheit und Fehlerhaftig- keit das ganze Dilemma eines Menschen aufzeigen, der mit Tatsachen konfrontiert wird, die sein Weltbild erschüttern. Ein Beispiel: „Der Be- richterstatter steht nicht an [sic!], es als Schande zu empfinden, daß sich Söhne deutscher Mütter der Organisation des gemeinen Massenmords widmen und sich in so unfaßlicher Weise zu Folterknechten an Frauen und Kindern erniedrigen konnten. Es war zwar nur wenigen vorbehalten, dem deutschen Volk diese Schande zu bereiten. An dieser Stelle muß aber um der Wahrheit willen auch festgehalten werden, daß die bis heute zu Unrecht mit den Vorgängen in den KZs identifizierte und verleum- dete Waffen-SS nichts mit diesen traurigen Geschehnissen zu tun hatte.“365 Er beruft sich bei dieser Lüge sogar noch auf den Film Nacht und Nebel und schließt Folgendes fettgedruckt an: „Das Filmdokument Nacht und Nebel konnte keinen Mann der Waffen-SS im Zusammenhang mit den KZs zeigen und demonstrierte dadurch deutlich die historische Wahrheit. Der deutsche Soldat des letzten Krieges, ob er nun in den Verbänden des Heeres, der Waffen-SS, der Luftwaffe, der Kriegsmarine oder anderswo für den Bestand und für die Ehre seines Vaterlandes oft bis zur Selbstaufopferung seine Pflicht erfüllte, hat mit den Akteuren unentschuldbarer Exzesse nichts gemein.“366 Derart lautet die Argu- mentation zur Reinwaschung der Wehrmacht bis in die neunziger Jahre, bis durch die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht deutlich wird, in welchem Maße sie am Tod Tausender Zivilisten beteiligt gewesen ist. In der publizistischen 363 E.S.: Nacht und Nebel. In: Deutsche Woche (München) vom 3.4.1957. Quelle: Deut- sches Institut für Filmkunde. 364 Groll, Lothar: Die Deutsche Soldatenzeitung sah: Nacht und Nebel. In: Deutsche Sol- datenzeitung (Passau), April 1957. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 365 Ebenda. 366 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 196 Kontroverse über die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ zeigt sich, unabhängig von der Diskussion über Zuordnungsfehler der Ausstellungsmacher, daß es hier um mehr geht: um das Eingeständnis von Schuld und die Übernahme von Verantwor- tung - oder wie es der FAZ-Redakteur Ulrich Raulff als Gegner der Aus- stellung ausdrückt: um „Volkserziehung großen Stils“.367 Der Autor der Deutschen Soldatenzeitung verstrickt sich immer mehr in Widersprüche, verweist auf die „Taten der anderen“, gar „die KZs der Franzosen“ und „die Hungerlager der Amerikaner“ und warnt davor, „eines Tages in das große KZ sowjetischer Prägung einbezogen zu werden“. Schließlich leugnet er, worüber Nacht und Nebel informieren will: den Tod von Millionen Unschuldigen in den Lagern. Es soll „end- lich Schluß sein mit dem mea-culpa-Geschrei“, die Deutschen hätten auch gelitten. Die Lebenden sollten sich doch darum bemühen, die künstlich aufgerissenen Gräben zuzuschütten.“ Angesichts der Massen- gräber, die Nacht und Nebel zeigt, von „künstlich aufgerissenen Gräben“ zu sprechen, ist schon widerlich, doch hat der Rezensent noch mehr Geschmacklosigkeiten parat. Nach den anfänglichen Beteuerungen, wie gut und richtig dieser Film ist, kritisiert Groll am Ende „seine Einseitig- keit“ und daß er sich „zum Werkzeug für jene hergibt, die mit dem ver- gangenen Leiden unzähliger Menschen ein politisches Geschäft zu be- treiben suchen.“ Und er droht unverhohlen: „Wer die Kräfte sind, die an einer ausschließlich gegen Deutschland gerichteten Einseitigkeit inter- essiert sind, wissen wir.“368 Diese Kritik aus der Deutschen Soldatenzeitung ist sicher nicht reprä- sentativ für die allgemeine Stimmung innerhalb der deutschen Bevölke- rung, dennoch verweist sie durch ihre Widersprüchlichkeit und Aggres- sivität, mit der die Frage nach der Verantwortlichkeit für den Massen- mord beantwortet wird, auf Einstellungen, die Mitte der fünfziger Jahre noch stark verbreitet gewesen sind: der deutsche Soldat hat nur seine Pflicht getan, die Schinder in den KZ waren „perverse Kreaturen“ (so Groll), die Alliierten haben auch Zivilisten auf dem Gewissen, der Krieg war ebenfalls ein Kampf gegen den Kommunismus, nun soll endlich Schluß sein mit den Vorwürfen gegenüber den Deutschen. Ein Film wie Nacht und Nebel fordert auf, diese Einstellungen zu überprüfen, vor allem, bei Vergleichen zu berücksichtigen, daß es eben doch nicht um 367 Schreckliches kann man nur durch Schrecken begreifen. Über die Bilder der Wehr- machtsausstellung und die Geschichte des Hauses Reemtsma. Ein Gespräch zwischen Jan Philipp Reemtsma und Ulrich Raulff. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.4.1997, S. 35. 368 Groll, Lothar: Die „Deutsche Soldatenzeitung“ sah: Nacht und Nebel . In: Deutsche Soldatenzeitung (Passau), April 1957. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 197 das Gleiche ging: Deutsche Soldaten führten einen Angriffskrieg, die Alliierten hingegen einen Verteidigungskrieg; das Morden in den KZ ist eine spezifisch deutsche Variante der Vernichtung, das hat es in der technischen Durchführung und in dem Ausmaß so bislang nirgendwo gegeben. Die Mörder in den KZ und bei den Massenerschießungen stammen aus der Mitte der Gesellschaft, sie sind in den meisten Fällen keine Perverse, sondern wie Christopher Browning es nennt, „ganz normale Männer“.369 Das Kommunismus-Argument ist zur Zeit des Kalten Krieges ein besonders beliebtes und nunmehr von den Westalli- ierten geteiltes, so daß sich in den fünfziger Jahren manche Deutsche als Vorkämpfer einer Politik verstehen, die die Nato betreibt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet in der Heidelberger Zeit- schrift Forum academicum statt. Sie kann als Gegenstück zur Kritik von Groll gesehen werden. Der Autor Rainer Heynig liefert zunächst ein Sequenzprotokoll, dann beschäftigt er sich mit Komposition, Montage, Rhythmus, Musik und Kommentar im Film. Ihm fällt auf, wie gut Bild und Wort aufeinander abgestimmt sind. Den kontrapunktischen Einsatz der Musik, beispielsweise beim Auftritt Hitlers, lobt der Autor, denn es widerspreche den Hörgewohnheiten und stimme nachdenklich. Als besonders gelungen empfindet er den Kommentar, der „... auch in der Übersetzung das Expressive, Eindringliche, Allgemein-Anklagende“ beibehalte. „Gerade durch den Kommentar“, so Heynig, „spürt man das französische Element am stärksten: die Eigenwilligkeit, die überlegen dichterisch gehobene Sprache.“370 Der Analyse folgen Überlegungen, warum Nacht und Nebel in Cannes nicht aufgeführt wurde und „... wie wohl ein deutscher Film über die Konzentrationslager in Deutschland ausgefallen wäre?“ Und der Autor geht noch einen Schritt weiter: „Wie wäre wohl ein deutscher Film über etwaige französische Konzentrationslager ausgefallen? Wohl kaum mit jener allgemein menschlichen und internationalen Haltung, die sich selbst von der Schuld nicht ausschließt.“ Ihn stört, daß Deutsche häufig ihre Schuld mit der der anderen aufrechnen wollen. Er fordert deshalb am Ende, „... ihn zu zeigen, ihn zu sehen und nicht nur eine halbe Stunde lang auf ihn zu hören.“371 Darauf zitiert er die Schlußsätze des Film- Kommentars. 369 Vgl. Browning, Christopher R.: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Reinbek bei Hamburg, 1993. 370 Heynig, Rainer: Die Affäre Nacht und Nebel. Eine Filmanalyse wider das Unrecht. In: Forum Academicum, 9. Jg., Nr. 2, Mai 1957. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 371 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 198 Die Frage, wie die Jugend auf diesen Film reagiert, wird heftig disku- tiert. Besonders kulturpessimistisch äußert sich Jürgen Wichmann, Rezensent der christlichen Wochenzeitung Echo der Zeit. Er beschreibt, wie man nach der ersten Aufregung um den Film „... wieder ungestört schlief. Bis Ungarn uns aus den faulen Träumen schreckte. Und nun ist auch noch der Film da!“372 Einen Zusammenhang zwischen Nacht und Nebel und den Ereignissen in Ungarn 1956 stellen auch andere Rezen- senten her. So schreibt der Kritiker der Berliner Zeitung Der Tag, daß der Film „ ... nicht unser Volk anklagt, sondern ein brutales diktato- risches Prinzip an den Pranger stellt, welches alles zu vernichten sucht, was sich seiner Unterdrückung entgegenstellt - heute wieder in Ungarn, morgen in ...?“373 Für die Jugend ist dieser Film verboten, wie Wichmann meint „aus guten Gründen“, denn: „Zeigt man unserer Jugend nicht zahllose Filme, die Betrug, Peinigung, Totschlag und Mord zur Bagatelle machen?“ Ihn ekelt, wie wenig erbauend Presseerzeugnisse für Jugendliche sind, vor allem die erfolgreichen „Comic-books“ sind ihm ein Dorn im Auge: „... primitiv gezeichnete Anleitungen zu Gewalttaten, wie sie nur gemeinge- fährliche kranke Hirne auszudenken vermögen“. Ihn treibt daher die Frage um, ob eine „... Jugend, der pausenlos das verzerrte, verfälschte Bild vom Menschen eingehämmert wird, Achtung, ja überhaupt Kennt- nis vom wahren Bilde haben kann?“ Und wird sie sittlich dazu in der Lage sein, den Staat zu lenken - „... erst recht, wenn nach der Wieder- vereinigung der andere Teil der jungen Bürger auch seinerseits zu wenig vom christlichen Ordnungsbild weiß? Ja - diese belogene und betrogene Generation, was wird sie dann hindern, den Menschen aufs neue zu ver- nichten?“ Daraus spricht bei allem Kulturpessimismus die Hoffnung, daß Christentum vor Nationalsozialismus schützt. Vor Kommunismus außerdem. Der Film Nacht und Nebel kommt für den Rezensenten Jürgen Wichmann deshalb auch zur rechten Zeit, „... um uns die Nacht und den Nebel jenseits der Elbe, der Oder, der Weichsel, der Wolga nicht vergessen zu lassen.“374 Antitotalitarismus, der vor allem aus Anti- kommunismus besteht, Zukunftsangst und Mißtrauen gegenüber folgen- den Generationen werden in dieser Rezension sehr deutlich. Das Ein- fühlungsvermögen und die Urteilsfähigkeit Jugendlicher unterschätzt der Kritiker - vielleicht aus Furcht. 372 Wichmann, Jürgen: Experiment des guten Willens. Der französische KZ-Film Nacht und Nebel. „Eintrittsgeld verboten!“ In: Echo der Zeit vom 24.2.1957. Quelle: Deut- sches Institut für Filmkunde. 373 W.F. (= Werner Fiedler): Film als Dokument. In: Der Tag vom 18.11.1956, S. 5. 374 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 199 Andere Rezensenten plädieren sehr wohl dafür, Nacht und Nebel der Jugend nicht vorzuenthalten, manche Leser fordern gar „Pflichtveran- staltungen“.375 Allerdings sollte eine Altersgrenze, die bei 16 Jahren liegt, unbedingt beachtet werden, und es müßten eine umfassende Vor- und Nachbereitung stattfinden. Daß Nacht und Nebel 1957 zur Vorfüh- rung an höheren Schulen und zur politischen Bildung empfohlen wurde, ist wiederum Anlaß zu Protesten von Lehrerbehörden, Schulausschüssen und Eltern. Gutachterausschüsse in einigen süddeutschen Ländern leh- nen ihn als ungeeignet für den Geschichtsunterricht ab. Eine ausführliche Stellungnahme Alain Resnais‘ zum Film druckt die Europäische Zeitung. Sie hat den Filmemacher darum gebeten, weil „... dieser Strei- fen gerade bei der jungen Generation auf Mißtrauen stößt“ und die Frage laut wird, „... ob dieser Film überhaupt echt und nicht ‚gestellt‘ sei.“ Resnais beginnt folgendermaßen: „Eine Antwort im voraus: selbst die schamloseste Phantasie hätte nicht solche Bilder erfinden können, wie sie die Wirklichkeit der Konzentrationslager geschaffen hat. Und die zweite Feststellung: Wir können für alle Bilder und Passagen dieses Films Unterlagen beibringen.“ Dann führt er aus, woher das Material stammt und welche Quellen er benutzt hat. Sein Film ist als „Beweis“ für die Taten der Nazis gedacht.376 Eine Verbindung zu einem anderen aktuell diskutierten Dokument der Verfolgung und Vernichtung stellt der Kritiker der Zeitschrift Filmkritik her: „Gegenwärtig feiert die Dramatisierung des ‚Tagebuchs der Anne Frank‘ auf den deutschen Bühnen unerwartete Publikumserfolge. Ob sie das Stück wirklich seinem eigentlichen menschlichen Dahinter verdankt oder bloß dem naiven Backfisch-Wirbel, den die blutjunge Heldin (auch) auf der Bühne erzeugt, wird sich zeigen, wenn Resnais‘ Film in unseren Kinos zu sehen sein wird. Denn die Geschichte der Anne Frank geht weiter, wenn der Theatervorhang gefallen ist. Sie endet erst in den Gas- öfen von Nuit et Brouillard.“377 Der Kritiker der Filmkritik vergibt drei Punkte für Nacht und Nebel, was soviel wie „muß man sehen“ bedeutet. Er greift auch den Vorwurf auf, daß nicht ein deutscher Regisseur sich diesem Thema gestellt hat. Das wäre „... löblich, aber hoffnungslos illu- sorisch: wir haben in Deutschland einfach keinen Regisseur, der einen Film von solch bedeutendem Rang hätte machen können.“378 375 Vgl. z.B. B.B.: Vorenthalten? In: Die Welt, Ausgabe B (Berlin-West) vom 9.5.1957 und Wolff, Eberhard: Nacht und Nebel. Leserbrief. In: Der Tagesspiegel vom 12.7.1956, S. 9. 376 Nacht und Nebel. Alain Resnais antwortet auf Rückfragen. In: Die Europäische Zeitung vom 25.6.1957. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 377 Nacht und Nebel (Nuit et Brouillard). In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Film- freunde. 1. Jg., H. 2/1957, S. 24-25. 378 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 200 Eine insgesamt sehr positive Kritik stammt von Eva Krause für den katholischen film-dienst. Sie lobt die „außergewöhnliche Begleitmusik“ und die „hohe sprachliche Qualität des Kommentars“. Die Synchronisa- tion scheint ihr gelungen. Die Kritikerin stellt fest: „Trotz bewußter Gestaltung ist der Stil des Films sachlich, berichtend und ohne Pathos.“ Dennoch habe er für „diplomatische Mißverständnisse“ während der Filmfestspiele in Cannes gesorgt. Das ist für die Kritikerin nicht nach- vollziehbar. Sie appelliert am Ende ihrer Rezension „... für eine kurze halbe Stunde die Wahrheit zu ertragen. ... Es gibt nämlich auch die Schuld des Nichtwissens und des Nichtwissenwollens.“ Diese Kritik steht m.E. für eine 1957 vermutlich nicht sehr verbreitete Auffassung von Schuld und Unschuld der Deutschen. Eva Krause differenziert, ver- wahrt sich gegen den Vorwurf, der Film sei ressentimentgeladen und einseitig. Sie verweist darauf, daß Nacht und Nebel „in banger Sorge um Gegenwart und Zukunft“ entstanden ist und „vom Heute ausgeht“. Denn am Nichtwissenwollen hat sich wenig geändert. Um so mehr beeindruckt sie der Mut einiger deutscher Verleiher, Nacht und Nebel aufzuführen.379 Betroffenheit angesichts des Gesehenen drückt sich auch in viele Jahre später erscheinenden Rezensionen aus. So schreibt der Kritiker der Stutt- garter Zeitung, nachdem Nacht und Nebel am 9. November 1978 im Fernsehen gezeigt wurde, wie sehr es ihm widerstrebt, „... sein vorbe- haltloses Ja zu diesem heute gezeigten Film durch ästhetische Kategorien zu erhärten. Es will einem ganz einfach nicht über die Lippen und in die Schreibmaschine: genüßliches Loben, feinsinniges Nachschmecken, geistreichelndes Kommentieren. Es ist und bleibt obszön, blasphemisch, den Bildschnitt, die Kameraführung, die Kontrastästhetik lobend zu kon- statieren, wo es um einen jeder Schöngeisterei entzogenen Inhalt geht.“380 Er lobt dann doch diesen Film als einen, der mehr aussagt „... über die Mord- und Zerstörungsmaschinerie des Hitler-Staates als man- cher heute gedrehte Streifen, der durch Langatmigkeit Vollständigkeit erzielen will“, lobt Kameraführung, Schnitt, Montage, Kommentar und die „quälende Todesfugenmusik Hanns Eislers“. Dann aber stellt er wie- derum fest: „Man wagt es nicht, dies alles im üblichen Sinn zu ‚werten‘. Es ist ja Wirklichkeit. Der Leser mag verzeihen. Der Rezensent bricht ab. Er kann nicht weiter.“381 Erst dreißig Jahre nach der Erstaufführung von Nuit et Brouillard wird dieses allgemein als Meilenstein in der Geschichte der Holocaustfilme 379 E.K. (= Eva Krause): Nacht und Nebel (Nuit et Brouillard). In: film-dienst. 10. Jg. (= Nr. 5548) vom 17.1.1957, S. 20. 380 fwa: Nacht und Nebel. Versuch einer „Rezension“. In: Stuttgarter Zeitung vom 11.11.1978. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 381 Ebenda. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 201 angesehene Werk gewürdigt, und zwar von Richard Raskin.382 Er nennt drei Dinge, die Nacht und Nebel herausheben: seine Authentizität, daß er nicht selbstgerecht ist und gleichzeitig höchste künstlerische Ansprüche erfüllt.383 Raskin widmet sich ausschließlich diesem Film Resnais‘ und stellt wichtige Dokumente zusammen, die Aufschluß geben über den Entstehungshintergrund von Nacht und Nebel. Das Buch enthält ein Ein- stellungsprotokoll, ergänzt durch Filmbilder, zwei Interviews mit Alain Resnais von 1961 und 1986, außerdem Kommentare aus der franzö- sischen Presse, u.a. Jean Cayrols Stellungnahme zu Sinn und Zweck des Films. Raskins Arbeit erleichtert den Nachweis der französischen Quel- len erheblich. Dadurch wird ersichtlich, worauf sich deutsche Rezen- senten stützen. 1990 erscheint in der Reihe „Film“ der Band von Jacob- sen, Jansen, Lenz und Schröder. Gabriele Jutz analysiert 1991 Nacht und Nebel unter semiotischen Gesichtspunkten.384 II.2.6. Nacht und Nebel und das Gesamtwerk Alain Resnais‘ Resnais hat in Interviews mehrfach gesagt, daß es ihm mit Nacht und Nebel nicht darum gegangen sei, ein „Nie wieder!“ in die Köpfe der Zuschauer zu hämmern. Vielmehr liege ihm an der Analyse der Ur- sachen und an Wachsamkeit in der Gegenwart. Auch wenn der Holo- caust einzigartig gewesen sei, heiße das nicht, daß Verfolgung und Massenmord in Zukunft ausgeschlossen seien. Der Filmemacher selbst weist auf den Algerienkrieg, die Militärpräsenz und die Einrichtung von Internierungslagern, worüber zur Zeit der Herstellung von Nacht und Nebel heftig gestritten worden ist: „... j’ai fait le film en tout cas, avec cette idée que ça repreinait d‘une certaine façon en France.“385 Während des Bürgerkriegs in Algerien Mitte der neunziger Jahre protestiert 382 Raskin, Richard: Nuit et Brouillard by Alain Resnais. On the making, Reception and Functions of a Major Documentary Film. Including a new Interview with Alain Resnais an the Originals Shooting Script. Aarhus, 1987. 383 Raskin spricht von „authenticity“, „refusal of al self-righteous stance“, „Nuit et Brouil- lard as a work of art“. Vgl. A.a.O., S. 7-9. 384 Vgl. Alain Resnais. Mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen, Peter W. Jansen, Benjamin Lenz, Peter H. Schröder. München, Wien, 1990, (= Reihe Film 38.); Jutz, Gabriele: Geschichte im Kino. Eine Semio-Historie des französischen Films: Rohmer, Resnais, Godard, Allio. Münster, 1991 (= Film und Medien in der Diskussion, Bd. 1). 385 Alain Resnais im Gespräch mit Richard Raskin. In: ders.: Nuit et Brouillard by Alain Resnais. A.a.O., S. 51. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 202 Resnais gemeinsam mit anderen französischen Intellektuellen gegen die Islamisten.386 Resnais hat sich immer wieder mit der Gegenwart der Vergangenheit beschäftigt. In dem Band von Wolfgang Jacobsen u.a. heißt es im Klap- pentext, Resnais‘ „Grundthema“ sei „... die Antinomie von Erinnern und Vergessen sowie die dialektische Gleichzeitigkeit alles Zeitigen.“387 Deutlich wird dies insbesondere in Filmen wie Hiroshima - Mon Amour (1959), Letztes Jahr in Marienbad (1960), Muriel oder die Zeit der Wiederkehr (1962), Der Krieg ist vorbei (1966), Fern von Vietnam (1967), letzter eine Gemeinschaftsproduktion unter der Leitung von Chris Marker, zu der außer Alain Resnais, Agnes Varda, Joris Evens, William Klein und Claude Lelouch eine Episode beisteuern. Die Kriege der Vergangenheit und Gegenwart (Spanischer Bürgerkrieg, 2. Welt- krieg, Algerienkrieg, Vietnamkrieg) bilden den Hintergrund der Geschichten, die Resnais erzählt. Kennzeichnend für die Filme Resnais‘ ist das Zusammenspiel mit ande- ren Kunstformen, insbesondere der Musik, der Bildenden Kunst und der Literatur. Die Debatten über den Nouveau Roman im Gegensatz zur rea- listischen Erzählkunst des 19. Jahrhunderts beeinflussen auch die filmi- sche Erzählweise. Perspektiven-, Orts- und Tempuswechsel, das Durch- brechen der Erzählchronologie sowie die Vermischung von Traum und Wirklichkeit verändern die Filmsprache. Die Drehbücher zu Resnais‘ Filmen entstehen in enger Zusammenarbeit mit Schriftstellern wie Jean Cayrol, Marguerite Duras, Alain Robbe-Grillet, Jorge Semprun oder Jean Gruault. Gemeinsam mit Chris Marker und Agnès Varda bilden sie die Gruppe der „Rive gauche“, des linken (Seine-) Ufers, als deren Kopf ohne Zweifel Alain Resnais gelten kann, deren Mitglieder jedoch alle selbst als Regisseure in den sechziger und siebziger Jahren hervortreten. Der Mai 1968, der Generalstreik und die Studentenrevolte, verändern den französischen Film. Seine Protagonisten fühlen sich aufgerufen mit- zutun. Das Festival in Cannes wird vorzeitig abgebrochen, es entstehen „Generalstände des französischen Films“ und eine „Bewegung zur Bekämpfung des Gaullismus und der gegenwärtigen Strukturen des fran- zösischen Films“.388 Auch wenn diese Zusammenschlüsse auf lange Sicht wenig erreichen, ist die Euphorie anfangs groß. Es entstehen soge- 386 Vgl. Offener Brief an die Frauen Algeriens. Frankreichs Intellektuelle solidarisieren sich mit dem Widerstand gegen Terror und Repression. In: die tageszeitung vom 8.3.1995, S. 9. 387 Alain Resnais. Mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen u.a. A.a.O., Klappentext. 388 Vgl. Regisseure gingen auf die Barrikaden. Das System der französischen Filmwirt- schaft soll entscheidend verändert werden. In: Die Welt vom 20.7.1968, S. IV. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 203 nannte Zielgruppenfilme, kurze Dokumentarstreifen, mit dem Zweck der allgemeinen Mobilisierung der Linken. Daran beteiligt sich Resnais. Bald aber herrscht Uneinigkeit darüber, mit welcher Art Film politische Inhalte transportiert werden können und wie Realität vermittelt werden soll. Formen des traditionellen Dokumentar- und Spielfilms seien „bür- gerlich“ und also überholt, argumentieren vor allem Vertreter der „Nou- velle Vague“ und die Kritiker in den Cahiers du cinéma und Cinéthique. Der Realismusstreit verdeutlicht die Uneinheitlichkeit der Gruppen, die sich im Mai 1968 noch als „Kämpfer gegen die reaktionären Strukturen eines zur Ware gewordenen Kinos“ versammelt haben.389 Resnais nächster Film Je t‘aime, je t’aime trägt Züge von Science Fiction. Ein Mann ist infolge eines wissenschaftlichen Experiments stän- dig zwischen den Zeiten, Vergangenheit und Gegenwart überlagern ein- ander. Auch wenn Resnais die Zuschreibung „Science Fiction“ nicht gefällt – er spricht lieber von „wissenschaftlichem“ oder „philoso- phischem“ Film – kann der Film als Reaktion auf den Umbruch von 1968 gedeutet werden, eine Reaktion, die als Fluchtbewegung übrigens auch in den Filmographien anderer Regisseure, z.B. Alexander Kluge, erkennbar ist. Hochgelobt von der Kritik wird Resnais nächster Film, Stavisky, für den Jorge Semprun das Drehbuch schreibt. Hier stehen zwei Personen im Vordergrund Serge Alexandre=Stavisky und Leo Trotzki. Peter W. Jansen weist wie andere Kritiker darauf hin, „... daß die Heroen ... gleichermaßen Juden sind; daß sie sich neu erfinden: Stavisky = Serge Alexandre, Leib Bronstein = Lew Dawidowitsch Trotzki. Daß sie beide - wenn es schon einer anderen Parallelität bedarf, sie in einem Film gemeinsam vorzustellen - das System des Kapitalismus zerstören (wollen), indem sie es entweder ad absurdum führen oder bekämpfen, das will der Film nicht einmal in Andeutungen vermitteln.“390 Der Kriti- ker erkennt dennoch diese von Resnais intendierte oder nichtintendierte Form der Kapitalismuskritik. In Resnais folgenden Filmen - Providence (1977), Mon oncle d’Amérique (1980), Das Leben ist ein Roman (1983), Mélo (1986), Je veux rentrer a la maison (1989), Smoking/No Smoking (1993), Das Leben ist ein Chanson (1997) zeigen sich die Lust am Spiel und an for- malen Experimenten deutlich. Zeit und Raum, erst recht die Figurenkon- stellation geraten durcheinander, alles ist möglich. Genres wie Melo- dram, Kammerspiel und Soap Opera vermischen sich. So führt in Smoking/No Smoking die Adaptation verschiedener Theaterstücke des englischen Boulevard-Dramatikers Alan Ayckburn zu zwei Filmen, die 389 Vgl. Gregor, Ulrich: Geschichte des Films ab 1960. München, 1978, S. 49f. 390 Janssen, Peter W.: Kommentierte Filmographie. In: Alain Resnais. A.a.O., S. 172. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 204 zeigen, wie eine einzige Entscheidung - das Rauchen einer Zigarette - alles weitere beeinflussen kann. Manche Kritiker sprechen vom „inter- aktiven Kino“, weil Resnais‘ Filme nicht herkömmliches Erzählkino sind391, manche auch von „reinen Kopfgeburten“ und „intellektuellen Spielereien“.392 Resnais gibt in einem Interview schmunzelnd zu: „Wenn alle solche Filme machen wollten wie ich, wäre das der Tod des Kinos.“393 II.2.7. Resümee François Truffaut ist der Ansicht: „Nuit et Brouillard behandelt die Deportation und das Phänomen der Konzentrationslager mit einem un- fehlbaren Takt und einer ruhigen Strenge, die es zu einem sublimen und unkritisierbaren, um nicht zu sagen: undiskutierbaren Werk machen.“394 Dennoch wird heftig gestritten. Die Hauptargumente in der publizisti- schen Kontroverse über Nacht und Nebel sollen hier noch einmal ver- sammelt werden. Zunächst diejenigen, die gegen den Film vorgebracht worden sind: • Der Film fördert nicht die Völkerverständigung, ist rückwärts- gewandt. • Cannes ist nicht der rechte Ort, um einen solchen Film zu zeigen. • Nicht alle Deutschen sind Nazis gewesen, die meisten haben von den KZ nichts gewußt. • Die SS-Schergen waren Perverse, ein „anständiger Deutscher“ hätte da nicht mitgemacht. • Auch die deutsche Zivilbevölkerung mußte leiden. • In anderen Ländern hat ebenfalls Terror geherrscht oder herrscht er bis heute. • Zehn Jahre Beschuldigungen sind genug. • Das ist antideutsche Propaganda, schließlich handelt es sich um einen französischen Film. 391 Vgl. Short Cuts im englischen Garten. Alain Resnais im Gespräch mit Manfred Riepe und Mariam Niroumand. In: die tageszeitung vom 16.2.1994, S. 20. 392 Vgl. Panning, Lars: Filmstarts à la carte. In: die tageszeitung vom 31.10.1996, S. 25. 393 Short Cuts im englischen Garten. A.a.O. 394 Truffaut, François: Nuit et Brouillard. Kritik aus den Cahiers du cinéma, Nr. 56 vom Februar 1956, nachgedruckt in: ders.: Die Filme meines Lebens. München, 1976, S. 235. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 205 Für den Film werden folgende Argumente vorgebracht: • Der Film zeigt die Wahrheit. • Wie hätte wohl ein deutscher Film über etwaige französische Lager ausgesehen? • Der Film ist notwendig, kommt zur rechten Zeit. • Es gibt immer noch überzeugte Nazis, „der Schoß ist fruchtbar noch.“ • Der Film nimmt weniger die Deutschen als die menschliche Tragödie in den Blick. Die Worte „Deutsch“ oder „Deutschland“ kommen im Kommentar nicht vor. • Antideutsch kann der Film auch deswegen nicht sein, weil die Filmemacher in Interviews immer wieder darauf hinweisen, daß doch die Deutschen die ersten Opfer Hitlers gewesen sind. • Gerade die Jugend muß Bescheid wissen, so daß Auschwitz nie wieder passiert.395 Einige der oben aufgeführten Argumente werden sowohl für als auch gegen die Aufführung des Films eingesetzt. Daraus, daß Cannes nicht der rechte Ort für Nacht und Nebel ist, folgern die Befürworter des Films, ihn so schnell wie möglich in Deutschland und in einem passen- den Umfeld aufzuführen. Das Schlußstrichargument der Filmgegner tritt manchmal in Verbindung mit dem Hinweis auf, daß die Deutschen doch nun in einer Demokratie leben. Eben deshalb, so die Filmbefürworter, muß der Film gezeigt werden. Eine echte Demokratie darf die Auseinan- dersetzung mit der Vergangenheit nicht scheuen. Das Argument, daß auch die Deutschen Opfer Hitlers gewesen sind, setzten Filmgegner und -befürworter ganz unterschiedlich ein. Erstere haben zumeist den verlo- renen Krieg im Sinn, letztere die Ausschaltung der Opposition gleich nach der Machtübernahme. Wenn sie auf die Stellungnahmen der fran- zösischen Filmemacher verweisen, so sind das Statements wie sie der Kameramann Sacha Vierny dreißig Jahre nach der Aufführung des Films im Vorwort zu Richard Raskins Werk formuliert: „Nuit et brouillard rappelle que les premières victimes des camps ont été des allemands- communistes.“396 Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Vorwürfen der Filmgegner, die da lauten, nicht alle Deutschen seien überzeugte Nazis gewesen und die meisten hätten nichts von den KZ gewußt, findet 1956 kaum statt. Niemand bringt das Argument vor, daß die meisten Deutschen gegen die 395 Vgl. Theodor W. Adornos Aufsatz „Erziehung nach Auschwitz“: Oberstes Gebot der Erziehung nach Auschwitz muß sein, daß es nie wieder passiert. 396 Vierny, Sacha: Vorwort zu Richard Raskin: Nuit et Brouillard by Alain Resnais. A.a.O., S. 3. II. 2. Nacht und Nebel (Frankreich 1955) 206 Politik Hitlers wenig einzuwenden hatten und die Ausgrenzung der Juden schon 1933 begann. Auch widerspricht niemand der Auffassung, daß es sich bei den KZ-Schergen um Perverse gehandelt hat. Daß ganz normale Deutsche die Vernichtung der Juden organisiert haben, dringt erst Jahre später, ausgelöst durch den Eichmann-Prozeß 1962, in das Bewußtsein der Bevölkerung. Schwer wiegt das „Totalitarismusargu- ment“, das bei genauerem Hinsehen doch vor allem ein „Antikommu- nismusargument“ ist. In der Tat sind unter der Herrschaft Stalins Millio- nen Menschen ermordet worden, dennoch entsteht der Eindruck, daß der Hinweis auf das sowjetische Lagersystem vom deutschen Massenmord ablenken soll. Der Vergleich von NS- und kommunistischen Verbrechen löst drei Jahrzehnte später, 1986, den Historikerstreit aus. Wiederum zehn Jahre später, 1996, die publizistische Kontroverse über das „Schwarzbuch des Kommunismus“. Es hat in der publizistischen Kontroverse über Nacht und Nebel keine Diskussion über die Zahl von „9 Millionen Toten“ gegeben, die im Kommentar genannt wird. Es ist nicht klar, wie diese Zahl zustande kommt. Sind alle Opfer der Konzentrations- und Vernichtungslager ge- meint, zusätzlich die zivilen Opfer von Massenerschießungen? Auf welche Gruppen von zivilen Opfern, welchen Zeitraum und welches Gebiet bezieht sich diese Zahl? Wer allerdings solche Fragen stellt, gerät leicht in die Nähe von Holocaust-Relativierern und -Leugnern. Die Befürworter des Films loben neben seinem Wahrheitsgehalt Nacht und Nebel als überragendes Kunstwerk. Dem wollen auch die Film- gegner grundsätzlich nicht widersprechen, obwohl sie an dem einen oder anderen – vor allem an Hanns Eislers Musik – doch etwas auszusetzen haben. Manche meinen, der Film sei zu künstlerisch und zu perfekt, außerdem überfordere das Zusammenspiel von Bild, Montage, Farbein- satz, Musik und Kommentar die Zuschauer. Dem hält Peter W. Jansen entgegen, daß die ungebrochene Wirksamkeit des Films gerade aus der genauen Abstimmung aller filmsprachlicher Parameter resultiere.397 In der deutschen wie in der internationalen Literatur wird Nacht und Nebel als erste künstlerisch gelungene filmische Auseinandersetzung mit dem Naziterrorsystem gelobt. Dieser nur dreißigminütige Film habe Maßstäbe gesetzt. 397 Jansen, Peter W.: Kommentierte Filmographie. In: Alain Resnais. A.a.O., S. 82. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 207 II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) II.3.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Erwin Leiser, 1923 in Berlin geboren, kann nach dem Novemberpogrom 1938 gerade noch nach Schweden fliehen. Er studiert in Lund und ar- beitet nach dem Studium als Kulturredakteur für die Morgon-Tidningen, als Hörfunkjournalist und als Übersetzer von Bert Brecht, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Nelly Sachs und Paul Celan. 1959 lädt ihn sein Nachbar, der Filmverleiher Tore Sjöberg, ein, gemeinsam nach Paris zu fahren und bei der Auswahl französischer Filme zu helfen. Sie sehen Alain Resnais‘ Nacht und Nebel, und Sjöberg ist bereit, diesen Film zu kaufen und in die Kinos zu bringen. Erwin Leiser übersetzt den franzö- sischen Text ins Schwedische. Weil Nuit et Brouillard für eine abend- füllende Veranstaltung zu kurz ist, schlägt Leiser vor, historisches Film- material über die Schlacht von Stalingrad zu montieren und diesen Film gemeinsam mit dem von Resnais aufzuführen. So könne man auch gleich dem Vorwurf entgegentreten, antideutsche Stimmungen verbreiten zu wollen. Unter dem Titel Nie wieder werden die beiden Filme in schwedi- schen Kinos zusammen gezeigt. Den Gewinn, 200.000 Schwedenkronen, darf Leiser in einen neuen Film investieren. So entsteht 1959 Den blodiga tiden (= „Blutige Zeiten“), produziert von der Minerva-Inter- nationale Films, Stockholm, uraufgeführt am 25.4.1960 in Göteborg. Einige Monate später wird der Film unter dem Titel Mein Kampf in der Bundesrepublik gezeigt. Den Filmtitel Mein Kampf sucht Leiser mit einem hintergründigen Witz zu erklären: „Zwei ‚alte Kämpfer‘ sehen sich den Film gemeinsam an. Beim Verlassen des Kinos sagt der eine zum andern: ‚Aber das Buch finde ich doch besser.‘”398 Leiser dazu: „Der Witz und die beiden Unbelehrbaren haben den Film richtig aufgefaßt. Hier wird die Wahrheit gegen Hitlers Floskeln in seinem Buch Mein Kampf gestellt. Authen- tische Dokumente enthüllen das Gesicht der braunen Ideologie. Propa- gandamaterial, das die Machthaber des Dritten Reichs selbst hergestellt haben, sagt gegen sie aus.“399 Der schwedische Originaltitel lautet Den blodiga tiden. Eine direkte Übersetzung des Titels Mein Kampf war, so 398 Erwin Leiser‘s (sic!) Film Mein Kampf. Eine Bilddokumentation der Jahre 1914-1945. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1979 (1960), S. 3. 399 Ebenda. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 208 Leiser, nicht möglich, da „Min kamp“ nicht nur „Mein Kampf“ bedeutet hätte, sondern auch „Mein alter Gaul“.400 Leisers erster längerer Film ist ein Kompilationsfilm, d.h. er benutzt vor- handenes Material und montiert es neu. Jay Leyda verwendet die Bezeichnung Kompilationsfilm in seiner Studie „Filme aus Filmen/Films beget films“. „Archivfilm“ oder „Chronik-Montagefilm“ treffen seiner Meinung nach die Sache nicht ganz: „Eine richtige Bezeichnung müßte besagen, daß die Herstellung des Films auf dem Schneidetisch unter Verwendung von bereits vorhandenem Aufnahmematerial beginnt, ferner, daß das verwendete Filmmaterial irgendwann in der Vergangen- heit entstanden ist. Schließlich sollte die Bezeichnung auch andeuten, daß es sich bei dem Film um die Verwirklichung einer Idee handelt ... .“401 Die Idee Erwin Leisers besteht darin, einen Film über Aufstieg und Fall der nationalsozialistischen Diktatur zu machen, einen Film über die Vergangenheit und für die Gegenwart. Er selbst hat das Drehbuch und den Kommentar geschrieben, hat in den Archiven das Bildmaterial recherchiert, aus mehr als 200.000 Metern Normalfilm, zunächst 37.000 Meter und schließlich 3.300 Meter ausgewählt, dieses Material neu montiert und die Musik zur Illustration der Bilder ausgesucht. In Westdeutschland wird der zwei Stunden dauernde Film am 12.7.1960 in München zum ersten Mal aufgeführt. Er ist frei ab 12 Jahren und wird von der Münchner Firma „Neue Filmverleih“ vertrieben. Die Film- bewertungsstelle Wiesbaden zeichnet ihn mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ aus. II.3.2. Inhalt des Films und Interpretation Leisers Mein Kampf beginnt mit einem Vorspanntext: „Jedes Bild in diesem Film ist authentisch. Alles, was hier gezeigt wird, ist geschehen. In unseren Tagen. Für eine vollständige Schilderung der Tyrannei Hitlers reicht die Zeit nicht aus. Ent- scheidende und typische Episoden werden aufgezeigt – als Antwort auf die Fragen: Was geschah damals? Wie war es mög- 400 Vgl. Leiser, Erwin: Mein Kampf. In: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Meine Filme 1960 – 1996. Konstanz, 1996, (= Bd. 7 der Reihe: close up. Schriften aus dem Haus des Dokumentarfilms. Europäisches Medienforum, Stuttgart. Hrsg. von Rolf M. Bäumer u.a.), S. 26. 401 Leyda, Jay: Filme aus Filmen. Eine Studie über den Kompilationsfilm. Berlin (Ost), 1967, S. 7. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 209 lich? Was Hitlers Programm einer Neuordnung Europas bedeu- tete, zeigt die polnische Tragödie. Das am meisten heimgesuchte Land steht für alle besetzten Gebiete. Dieser Film über die bluti- gen Jahre ist der Erinnerung an die Opfer des Hitlerregimes ge- widmet, in Deutschland, in der Welt. Er ist eine Warnung an die Lebenden und mahnt uns an das Recht eines jeden Menschen, als ein Mensch zu leben.“ Dieser Einleitung folgen Bilder von den kriegsbegeisterten Massen 1914, der Oktoberrevolution 1917, der Kriegsniederlage, dem Vertrag von Versailles, der deutschen Revolution und ihrer Niederschlagung, man sieht Karl Liebknecht, Friedrich Ebert, Walter Rathenau, dann zum ersten mal Hitler, dessen Lebensweg nachgezeichnet wird. Hindenburg, Goebbels, Straßenkämpfe zwischen Linken und Rechten, Vertreter der Schwerindustrie, die Hitler unterstützen, von Papen und Schleicher, schließlich Hitler als Reichskanzler und die neue Regierung. Ausschal- tung der Opposition, die ersten Lager, Boykottaufrufe gegen jüdische Geschäfte, Bücherverbrennung, Hindenburgs Tod. Die Ausschaltung der SA, die Reichsparteitage in Nürnberg, Olympiade, Spanischer Bürger- krieg, der Anschluß Österreichs, der Einmarsch in die Tschechoslowa- kei, die Pogrome im November 1938, der Überfall auf Polen, der Beginn des 2. Weltkriegs. Der Feldzug gegen Frankreich, der Hitler-Stalin-Pakt, der Überfall auf die Sowjetunion. Verfolgung und Deportation der Juden, Ghettoisierung und die auf der Wannseekonferenz beschlossene Vernichtung. Stalingrad bedeutet die Wende im Krieg. Invasion der Alliierten, Attentat auf Hitler, ein dreiviertel Jahr später kapituliert das Deutsche Reich. Millionen Menschen haben ihr Leben gelassen. Was hier in Stichworten wiedergegeben wird, erzählt Leiser mit Hilfe seiner Bilddokumente in zwei Stunden. Ihm ist es wichtig, die Vor- geschichte und damit die Ursachen des sogenannten Dritten Reichs zu klären. Als zentrales Motiv seines Schaffens nennt der Filmemacher den Kampf gegen das Vergessen, so soll auch der Film mahnen: „Es darf nie wieder geschehen! Nie wieder!” Das sind die Schlußsätze von Mein Kampf. Leiser schreibt rückblickend, daß ein Zeitungsartikel über Auf- sätze deutscher Schüler zum Thema „Nationalsozialismus und Hitler“ ihn dazu bewegt hat, Mein Kampf herzustellen, denn die Ansichten der Schüler seien erschütternd gewesen, ihr Unwissen überdeutlich. Zudem kommt es 1958/59 in der Bundesrepublik zu antisemitischen Bekundun- gen, zu Hakenkreuzschmierereien und Übergriffen. Leiser will sich mit seinem Film vor allem an die junge Generation wenden, für die die NS- Zeit „schon Teil einer Schulaufgabe ist.“402 In seinen Erinnerungen, 402 Leiser, Erwin: Authentische Dokumente enthüllen das Gesicht der braunen Ideologie. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 210 mehr als dreißig Jahre nach Mein Kampf publiziert, beschreibt er seine Absichten folgendermaßen: „Der Film sollte so einfach wie möglich sein. Er war für ein großes, indifferentes Publikum bestimmt, bei dem ich keine Kenntnisse voraussetzte. Der Zuschauer sollte selbst nach diesem Film zwei Fragen beantworten können: Was geschah damals? Und: Wie war es möglich?“403 Leiser ist einer der ersten Filmemacher, der das in DDR-Archiven gela- gerte NS-Film-Material sichten und verwenden darf. Ihm wird klar, daß es nur einige wenige Standfotos und Filme gibt, die Angehörige der SS von der Ankunft der Häftlinge in den Lagern und von Erschießungen gemacht haben, es gibt jedoch keine authentischen Aufnahmen vom Alltag im Lager, vom Tod in den Gaskammern. Dann sind da noch NS- Propagandafilme, zu denen ohne Zweifel Leni Riefenstahls Reichs- parteitagfilme gehören und so schreckliche und bis heute zu Recht ver- botenen Filme wie Jud Süß und Der ewige Jude. In seinem Film greift Leiser auf Szenen aus diesen NS-Filmen und auf Wochenschauberichte zurück. Um der Gefahr zu entkommen, die nach Meinung vieler bis heute von der faschistischen Ästhetik ausgeht404, wählt der Filmemacher das Mittel der Kontrastmontage. Er zeigt Bilder der jubelnden, Hitler ergebenen Masse und im Anschluß daran Bilder derer, die dem Regime kritisch gegenüber standen und dafür in die Konzentrationslager deportiert wurden. Leiser überführt die National- sozialisten mit Hilfe ihrer eigenen Bilder und Aussagen der Lüge, so wenn Hitler trotz Beteuerung seiner friedlichen Absichten für einen Zweiten Weltkrieg rüstet. Der Szene „Kamerad, woher kommst Du?” aus Riefenstahls Triumph des Willens von 1934 stellt Leiser den Elends- zug der in Gefangenschaft ziehenden deutschen Soldaten gegenüber. Und wieder ist zu hören: „Kamerad, woher kommst Du?” Die Nieder- lage in Stalingrad mit Aufnahmen frierender, zerlumpter Wehrmachts- soldaten wird kontrastiert mit der Rede Görings, der von den herrlichen Zeiten spricht, denen Hitler das deutsche Volk entgegenführt. Hitlers Worte nach Kriegsausbruch 1939, er kenne das Wort Kapitulation nicht und einen November 1918 werde es in der deutschen Geschichte nicht wieder geben, werden wiederholt, während Keitel im Mai 1945 die Kapitulationsurkunde unterschreibt. In: Dokumentaristen der Welt in den Kämpfen unsere Zeit. Selbstzeugnisse aus zwei Jahrzehnten (1960-1981). Hrsg. von Hermann Herlinghaus. Berlin (Ost), 1982, S. 78. 403 Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 148. 404 Vgl. z.B. Wenders, Wim: That‘s entertainment: Hitler. In: Die Zeit, Nr. 33 vom 5.8.1977, S. 34. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 211 Von den Nazis gedrehte Szenen aus dem Warschauer Ghetto für den NS- internen Instruktionsfilm Richthofen und dem nicht fertiggestellten Propagandafilm Asien in Europa erzeugen in Leisers Kompilation Erschrecken und Mitleid beim Zuschauer. Gefühle, die die Nazi-Regis- seure sicherlich nicht haben erzeugen wollen, doch zeigt das Publikum während der ersten Probevorführungen nicht die gewünschten Reak- tionen, und so verschwinden die Aufnahmen im Archiv. Leiser hat die schrecklichen Dokumente im Defa-Film-Archiv entdeckt.405 Um über- haupt Zugang zu diesem Archiv zu gelangen, muß der junge Filme- macher Zugeständnisse machen. Erst nach einer Vorführung der fertig geschnittenen Arbeitskopie entscheiden die „zuständigen Stellen”, ob der Film freigegeben wird. Mein Kampf, laut Leiser antifaschistisch, jedoch nicht prokommunistisch, läßt die Zensoren beeindruckt zurück. Einer habe sogar gefragt: „Warum machen wir solche Filme nicht?“ In den Kinos der DDR wird Mein Kampf allerdings nicht gezeigt.406 Leiser hat mit Bedacht die Musik für den Film ausgewählt. Szenen, die im Zusammenhang mit der russischen Revolution stehen, sind mit Šostakovičs fünfter Sinfonie unterlegt. Geht es um die Opfer des Holo- caust, ertönt ein Thema aus dem zweiten Streichquartett von Janaček, Intime Briefe. Zeigt der Film Tote im Warschauer Ghetto, hören die Zuschauer die Stimme eines jüdischen Kantors. In seinen Erinnerungen beklagt Leiser, daß bis heute der Sprechertext der deutschen Fassung von Mein Kampf nicht mit dem Text im Buch zum Film übereinstimmt. So fehlen die Anfangssequenz, wo der Spre- cher sagt: „1960 kam das Hakenkreuz wieder über Europa” und die Bilderfolge, die zeigt, daß die Sozialdemokraten 1933 im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben.407 II.3.3. Mitwirkende Anders als bei Morituri oder Nacht und Nebel sind am Zustandekommen von Mein Kampf nur wenige Personen beteiligt. Sicher hätte Erwin 405 Vgl. „Kennwort Richthofen“. In: Der Spiegel, Nr. 32 vom 3.8.1960, S. 56f. Leiser be- klagt an dem Wirbel, den die Entdeckung der Filmrollen hervorgerufen hat: „Leider hat eine allzusehr auf Sensationen bedachte Reklame über die Entdeckung dieser Film- rollen Legenden verbreitet, die die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken, der Wahrheit über Leben und Tod unter unmenschlichen Bedingungen.“ Vgl.: Leiser, Erwin: Authentische Dokumente enthüllen das Gesicht der braunen Ideologie. A.a.O., S. 79. 406 Vgl. Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 149. 407 Vgl. A.a.O., S. 156ff. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 212 Leiser seinen ersten Film nicht ohne die Unterstützung des schwedischen Verleihers Tore Sjöberg machen können. Nach Mein Kampf haben Sjöberg und Leiser allerdings nicht mehr zusammengearbeitet. Die Pro- duzenten seines nächsten Films, Eichmann und das Dritte Reich, sind Lazare Wechsler und Artur Brauner. In seinen Erinnerungen erklärt der Filmemacher seine „Philosophie über das Wesen des Filmproduzenten“ mit dem bekannten Zitat aus der „Dreigroschenoper“: „Und der Haifisch, der hat Zähne ... .“408 Dennoch ist festzuhalten, daß Sjöberg einen ent- scheidenden Anteil an Leisers Erfolg gehabt hat. Er hat dem Neuling im Filmgeschäft vertraut und ihm die Recherchereisen finanziert. Leiser sucht in französischen, sowjetischen, englischen, amerikanischen, polnischen, österreichischen und deutschen Archiven nach Filmmaterial. Fündig wird er gleich im Staatlichen Filmarchiv der DDR, in Potsdam- Babelsberg, wo Filmstreifen aus dem ehemaligen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda lagern. Leiser erklärt im Gespräch mit dem Institutsdirektor, daß er nicht Kommunist sei und eventuell andere Akzente setzen würde als die offizielle DDR-Geschichtsschreibung, gleichwohl überzeugt sein Projekt und er erhält Zugang zum Archiv. Leiser ist schneller als der englische Dokumentarfilmer Paul Rotha, der ebenfalls einen Film über Hitler und den deutschen Nationalsozialismus machen will. Als Rotha erfährt, daß Leiser bereits im DDR-Filmarchiv recherchiert hat, ändert er sein Konzept. Ohne seinen Spürsinn und die Bereitschaft zu Zugeständnissen wäre Leiser sicher nicht an das Material herangekommen, das Mein Kampf zu einem der wichtigsten und meistgesehenen Filme über den National- sozialismus und den Holocaust macht. Leisers Kunst liegt darin, aus der Fülle der ihm zur Verfügung stehenden Filmsequenzen und Bilder die- jenigen auszusuchen und zu montieren, die seinen Intentionen entspre- chen. Er ist Autor, Regisseur und Cutter in einer Person. Den Text der deutschen Fassung spricht Paul Klinger. Mein Kampf ist in der Tat Leisers Kampf gegen das Fortwirken nationalsozialistischer Ideologie und Sprache einerseits und das Vergessen des millionenfachen Leids andererseits. Trotz dieser beeindruckenden Einzelarbeit kann der Erfolg des Films nicht Leiser allein zugeschrieben werden. Es gibt noch andere „Mit- wirkende“, die ihr Einverständnis jedoch nicht erklären konnten: die Opfer des Holocaust. Ihre Gesichter und Gestalten – die Menschen im Warschauer Ghetto - bleiben den Zuschauern in Erinnerung. Ebenso aber die Masse der Mitläufer, der begeistert jubelnden Frauen, der Blumen 408 Vgl. A.a.O., S. 158f. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 213 überreichenden Kinder und der Soldaten, dazu die Gesichter und Gesten der Täter. Joseph Goebbels hat bekanntlich kurz vor dem Zusammen- bruch seine Anhänger aufgefordert durchzuhalten: „Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn sie auf der Leinwand erschei- nen.“409 Vielleicht hat der Propagandaminister geahnt, daß trotz der bevorstehenden Kapitulation, die Wirksamkeit des NS-Films unge- brochen sein wird. Leiser selbst erklärt sich den Erfolg von Mein Kampf auch mit der Faszination, die anscheinend immer noch von der Person Adolf Hitlers ausgeht, „... ganz gleich, ob man nun für oder gegen ihn war“. Sein folgender Film über Adolf Eichmann ist im Vergleich dazu nicht so erfolgreich gewesen, weil von diesem Schreibtischtäter, der Hannah Arendt veranlaßt hat, über die „Banalität des Bösen“ nachzu- denken, laut Leiser „keine Ausstrahlung“ ausgeht.410 II.3.4. Resonanz In der Bundesrepublik stößt Leiser mit seinem Film zunächst auf Hindernisse, eine „einstweilige Verfügung” droht den Filmstart zu ver- zögern. Es geht um die Rechte an dem Material, das aus dem Reichs- filmarchiv stammt und für das Lizenzgebühren an die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin zu entrichten seien. Leiser, der darauf hinweist, daß es sich um eine schwedische Produktion handelt, ist nicht bereit zu zahlen. Er hält dem zuständigen Filmreferenten des Bundesinnenministe- riums außerdem entgegen: „Sie und ich, Herr Ministerialrat, wissen, daß die Bundesrepublik nicht mit dem Dritten Reich identisch ist, aber viele im Ausland wissen das noch immer nicht. Wenn Sie den Vertrieb dieses Films in der Bundesrepublik verhindern, wäre nicht auszuschließen, daß der Film in der DDR und auch in anderen Ländern mit dem Etikett ver- sehen wird: ,Diese Bilder dürfen in der Bundesrepublik nicht gezeigt werden.‘ Das wäre eine Sensation, die dem Film sehr viel Publicity ver- schaffen könnte, dennoch möchte ich sie vermeiden.”411 Dieser Hinweis verfehlt nicht seine Wirkung. Kurze Zeit später entschuldigt man sich bei 409 Goebbels vor der Aufführung des Veit Harlan-Films Kolberg, Ende Januar 1945. Zit. nach Friedländer, Saul: Kitsch und Tod. Der Wiederschein des Nazismus. Erw. Neu- ausgabe, Frankfurt/M., 1999 (1982), S. 6. 410 Vgl. Leiser, Erwin: Mein Kampf. In: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Meine Filme 1960 – 1996. A.a.O., S. 34. 411 Vgl. Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 151. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 214 Leiser und vermutet ein Übersetzungsproblem vom Schwedischen ins Deutsche. Daß Deutsch seine Muttersprache ist, behält Leiser für sich. Im Sommer 1960 wird der Film beim Festival in Karlovy Vary/Karlsbad gezeigt und zwar mit dem Titel Die Vergangenheit mahnt. Wolfgang Staudte sieht Mein Kampf gemeinsam mit Leiser an und ist beeindruckt. Auf Vermittlung von Bruno Kreisky läuft der Film in Österreich, ab Juli 1960 dann in der Bundesrepublik, ab dem 12.7. in München, ab dem 29.7. in Berlin. Die Münchner Abendzeitung nennt einen Monat nach Start des Films folgende Zahlen: „In fünfzehn Großstädten wurde der Film von bisher 200.000 Menschen besucht. Allein in München sahen bis heute über 40.000 Menschen diesen Film, in Düsseldorf und Essen waren es je 15.000, und Bonn meldete eine Rekordzahl von 8.000.“412 Die Bonner Rundschau schreibt: „Hamburg, München und Düsseldorf sind die Plätze, an denen Mein Kampf bereits mit bemerkenswertem Publikumszuspruch gezeigt wurde. 60 bis 70vH der Besucher waren dort Jugendliche.“ 413 Der Kritiker der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Ralph Giordano, konstatiert: „Die Zusammensetzung des Zuschauergros sieht so günstig aus, wie man es sich nur wünschen kann: Jugend, Jugend, Jugend! Alles Gerede von ihrem politischen Des- interesse löst sich in nichts auf.“414 Viele Beiträge dokumentieren die Reaktionen des Publikums. Der Kriti- ker der Süddeutschen Zeitung notiert ganz unterschiedliche Reaktionen. Erschüttert sind die Zuschauer und Zuschauerinnen vor allem von den Bildern aus dem Warschauer Ghetto. Das habe man so nicht gewußt. Eine junge Frau, die anonym bleiben will, wünscht, daß jeder diesen Film sieht. Ihr Mann, der „nicht gut auf die Juden zu sprechen“ sei, wollte ihr den Kinobesuch verbieten. Eine siebzehnjährige Verkäuferin sagt: „Wenn ich meinen Kolleginnen im Geschäft erzähle, daß ich in Mein Kampf war, dann lachen sie sich tot. Die schwärmen für Rex Gildo und Carlos Thompson, und alles andere ist ihnen wurscht.“ Ein Ange- stellter einer Elektro-Firma wird mit folgendem Statement zitiert: „Der Film ist in zweierlei Hinsicht positiv. Einmal zeigt er die Greuel des Krieges und zum anderen die sadistische Ausrottung der Juden. Man sollte die Kennkarten der Kinobesucher lochen und künftig nur den wählen lassen, der das Loch vorweisen kann.“ Ein Fabrikdirektor weist 412 Riehl, Hans: Mein Kampf. Ein Film bewältigt die Vergangenheit. In: Abendzeitung (München) vom 9.8.1960.Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 413 Kirchner, Karl Heinz: Hitler-Filme. In: Bonner Rundschau vom 29.7.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 414 Giordano, Ralph: Mein Kampf. Betrachtungen zu einem Dokumentarfilm über die NS- Zeit. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Düsseldorf) vom 5.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 215 darauf hin, daß Hitlers Aufstieg sich legal vollzogen und das Volk mehr- heitlich hinter ihm gestanden hat. Umstritten ist der 20. Juli 1944. Ein Oberlehrer meint: „So sehr ich die Männer des 20. Juli bewundere, es fehlte ihnen leider der Mut zur entscheidenden Tat. Statt daß sich einer geopfert und Hitler offen niedergeknallt hätte, hinterlegte man eine Höllenmaschine und wartete draußen ab.“ Befragt werden außerdem Vertreter der Kirchen, der Präsident des Bayerischen Jugendrings, Jugendpfleger und Politiker. Lob und Kritik halten sich die Waage. Wo der Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel verspricht, den Film, über den er nur Positives gehört hat, bald anzusehen, erklärt der Staatssekretär der Bayerischen Staatskanzlei, er sei völlig überfragt, wolle seine Ruhe haben und fahre Montag in den Urlaub. Widersprüchlich und unglaub- würdig klingen die Bemerkungen des Jugendpflegers der Stadt beim Kreisjugenddring, der den Film noch nicht gesehen hat und ihn auch nicht sehen möchte: „Eine so üble Sache wie das Dritte Reich sollte man in einem Film nicht so herausstellen. Der Deutsche hat seine Vergangen- heit noch nicht verkraftet, er steckt noch immer zu sehr drinnen. Eine Gefahr kann der Film vor allem für Jugendliche sein, die weder im Geschichtsunterricht noch im Elternhaus mit unserer Vergangenheit ent- sprechend vertraut gemacht wurden. Ich muß immer wieder feststellen, daß die Jugendlichen in dieser Beziehung zu wenig aufgeklärt sind. Sie können aus diesem Grund einen solchen Film auch nicht verkraften.“ Eine kluge Erkenntnis vermittelt der Geschäftsführer einer Kraftfahr- zeugfirma, als er vor dem Kino befragt wird: „Die Leute, die reingehen, brauchten den Film gar nicht zu sehen, und die anderen, die es nötig hätten, gehen nicht hinein.“415 Auch die Reporter der Münchner Abendzeitung haben Zuschauer befragt. Manche sind nicht sehr gesprächig, benötigen wie das 17jähriges Mäd- chen, „Schülerin einer höheren Lehranstalt“, oder der zwanzigjährige Offiziersanwärter Zeit, das Gesehene zu verkraften. Der junge Mann, der zunächst der Ansicht ist, daß „die Deutschen ein wenig schlecht weg- gekommen sind“, fragt schließlich: „Sind die Deutschen wirklich mit- schuldig an dem, was die Nazi angerichtet haben?“ Drei Matrosen der Bundesmarine interessieren sich für den Film, weil sie von ihren Vorge- setzten „recht widersprüchliche Dinge über diese Zeit zu hören bekom- men haben.“ Ein junger Historiker, „wissenschaftlicher Assistent am Institut für Zeitgeschichte“, hat schon viele Filme über diese Zeit ge- sehen, Mein Kampf hält er für „den weitaus besten.“ Aber er meint, daß die „Mitschuld des Volkes am Aufstieg Hitlers“ stärker hätte heraus- 415 Zit. nach Gruber, Edmund: Rückblick auf den Weg in den Abgrund. SZ-Umfrage: Was sagen Sie zu dem Film Mein Kampf?/„Jeder sollte ihn ansehen.“ In: Süddeutsche Zei- tung vom 6./7.8.1960, S. 13. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 216 gearbeitet werden müssen. Zwei Rentner streiten, wer was wann hätte wissen können. Ein Student der Volkswirtschaft weist auf die Schlag- zeile des Tages, die von der Entlassung eines NS-Verbrechers aus der Haft kündet. Deswegen sei ein Film wie Mein Kampf wichtig.416 Manfred Delling, Redakteur der Welt, berichtet, wie in einer hessischen Kleinstadt, in Hofgeismar, der Film aufgenommen worden ist. Diskutiert wurde nicht der Film, sondern die Person Adolf Hitler und die „Faszi- nation“, die angeblich von ihm ausgegangen ist. Eine „Gewerbelehrerin“ behauptet: „Er war faszinierend.“ Ein „Gewerbeoberlehrer“ glaubt, „daß Adolf Hitler es ehrlich gemeint hat.“ Sein Kollege: „Er hat sich treiben lassen. Es ist durchgegangen mit ihm.“ Außerdem wird darüber gestrit- ten, was Hitler „gewußt“ hat, d.h. ob es einen Führerbefehl zur Vernich- tung der Juden gegeben hat, und was das Volk gewußt hat. Die „Gewer- belehrerin“: „Er wird dem Volk nicht alles gesagt haben, aber was er gesagt hat, hat er so gemeint.“ Der „Jugendpfleger“: „Das ganze Maß des Unrechts hat niemand erfahren.“ Ein „Gewerbeschüler“ findet den Film „tendenziös“ und wirft ihm vor, daß er „einfach alles verurteilt“. Hitler habe „das Volk aus dem Sumpf herausgeholt“, das Positive müsse man doch auch zeigen. Ein „Studienrat“ fragt, was denn das Gute am Nationalsozialismus gewesen sein soll. Etwa der Bau der Autobahnen? Ein „Professor“ und ein „älterer evangelischer Pastor“ führen eine Wertediskussion. Der Pastor: „Da gibt es doch eine Menge Dinge dar- unter, von denen man heute sagt: ‚Traurig, daß sie nicht mehr gelten.‘“ Ein „Herr mittleren Alters“ fragt, wie es möglich war, daß so viele Men- schen Hitler gefolgt sind, ein anderer evangelischer Pastor spricht vom deutschen Gehorsam, „der einfach ausgenutzt wurde.“ Der Jugend- pfleger glaubt, „daß wir immer wieder in Gefahr sind, solchen Dingen zu verfallen.“ Außer diesen bestenfalls „erklärend“ zu nennenden State- ments gibt es zwei, in denen Ablehnung deutlich wird, von einem „jun- gen Mädchen“ und einem „jungen Mann“. Das Mädchen: „Nach diesem Film kann ich nicht mehr glauben, daß Hitler ein faszinierender Mann war.“ Der Mann: „Soweit ich sehen kann, war Adolf Hitler nichts anders als ein großer Menschenverächter.“417 Delling kommentiert diese Zitate nicht. Natürlich hat er eine Auswahl getroffen. Wenn auch die Zusammensetzung des Publikums nicht reprä- sentativ ist, so halten sich die Statements doch die Waage. Die meisten versuchen, „das Faszinosum Hitler“ zu erklären, was leicht den Anschein 416 Zit. nach Riehl, Hans: Mein Kampf. Ein Film bewältigt die Vergangenheit. In: Abend- zeitung (München) vom 9.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 417 Delling, Manfred: „Weil echte Werte angesprochen wurden ...“. Zitate aus einer klein- städtischen Diskussion über den Film Mein Kampf. In: Die Welt vom 26.10.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 217 von Selbstrechtfertigung, gerade bei den älteren Diskutanten, erwecken kann. Mein Kampf ist ein nationaler und internationaler Erfolg. Trotz des Lobes in den DDR-Filmkritiken wird der Film dort nicht gezeigt. Es kommt lediglich zu einer geschlossenen Vorstellung im Kino des Staat- lichen Filmarchivs der DDR.418 Ansonsten läuft er in vielen, auch in Ostblockländern. Die ca. 100.000,- DM Herstellungskosten spielt Mein Kampf leicht wieder ein. Er gewinnt zahlreiche Preise, so auf dem Festi- val in San Francisco 1960 den „Golden Award“ für den besten Doku- mentarfilm, den Jugendfilmpreis 1960 des Berliner Senats, den Preis der polnischen Filmkritik 1961 für den besten ausländischen Film und den französischen „Preis der Brüderlichkeit“. Vom Verband österreichischer Filmkritiker wird er zum „Film des Monats“ gewählt, die Berliner Film- begutachtungskommission für Jugend und Schule und die Gutachteraus- schüsse verschiedener Landesbildstellen empfehlen ihn für den Einsatz im Geschichtsunterricht in Höheren Schulen und Berufsschulen. Wie vier Jahre zuvor Nacht und Nebel hinterläßt Mein Kampf insbeson- dere bei Jugendlichen einen starken Eindruck. Im Kursbuch vom April 1974 beschreibt eine Frau namens Wera, welch einen Schock Erwin Leisers Film bei ihr ausgelöst hat: „ ... als ich da [aus dem Kino] raus- kam, mußte ich mich übergeben ... Danach war die Welt für mich in zwei Hälften geteilt, einmal die Leute über dreißig und dann die jünge- ren, die nichts damit zu tun haben konnten.“419 In dem kurz vor seinem Tod erschienen Buch Auf der Suche nach Wirklichkeit. Meine Filme 1960 – 1996 schreibt Leiser: „Noch heute treffe ich Leute, für die dieser Film ein politisches Erwachen bedeutete, das bezeugt auch ein Politiker wie Joschka Fischer. Für die politische Diskussion in Deutschland hatte der Film in den 60er Jahren die gleiche Bedeutung, die später die Fern- sehserie Holocaust und Schindler´s List bekamen.“420 Laut Leiser läuft Mein Kampf in einem kleinen Kino am Checkpoint Charlie in Berlin „täglich seit über fünfzehn Jahren, auch nach der Wende.“421 418 Vgl. Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 149 und Leiser, Erwin: Mein Kampf. In: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Meine Filme 1960 – 1996. A.a.O., S. 26. 419 Anna, Laura, Louise, Mary, Wera: Die Sache der Frauen. Ein Gespräch. In: Kursbuch. Verkehrsformen 1. Frauen, Männer, Linke. Hrsg. v. Hans Magnus Enzensberger u.a. Nr. 35/1974, S. 74. 420 Leiser, Erwin: Mein Kampf. In: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Meine Filme 1960 – 1996. A.a.O., S. 30f. 421 Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 157. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 218 II.3.5. Filmkritiken Die publizistische Kontroverse über Mein Kampf beginnt im Juli 1960. Zur Machart von Mein Kampf stellt Manfred Delling in der Welt fest, daß „... in diesem Werk jeder nur ausschließlich lehrhafte Effekt, der Dokumentarfilme so häufig zu Langweilern macht, ausbleibt.“ Er nimmt an, daß Leiser, obwohl es sich um seinen ersten Film handelt, viel vom russischen Revolutionsfilm und seiner überragenden Montagetechnik gelernt hat. Auch wenn der Filmemacher ausschließlich vorhandenes Material verarbeitet, gelingt ihm doch ein durchgehend einheitlicher Stil, bei dem der Bildrhythmus Meisterschaft verrät. Harte Schnitte, scharfe Kontraste vermeidet Leiser, „... die Übergänge sind logisch, nicht dema- gogisch. Er polemisiert mit den ausgewählten Bildern nur sehr selten: er zeigt statt dessen. Wahrscheinlich ist das viel wirkungsvoller.“422 Ähnlich verhält es sich mit dem Kommentar, der überwiegend sachlich ist und sparsam verwendet wird. Den Film als solchen und den Kommentar im besonderen loben auch andere Rezensenten: „Hier ist nun indessen ein Film entstanden, der sachlich, klar, ehrlich und objektiv ist. Der Urheber Erwin Leiser läßt einen sehr abgewogenen, mit Zitaten geschickt pointierten Kommentar: besser Bericht von Paul Klinger bewußt nüchtern sprechen (‚wie ein Nachrichtensprecher‘). Nur an wenigen Stellen spürt man verhaltene Leidenschaft.“423 Neben der Art zu sprechen – „kühl, leidenschaftslos“ - , geht es natürlich auch um den Inhalt des Kommentars, den die Rezen- senten als „knapp und rein informativ“, „geradezu statistisch“ beschrei- ben.424 Aufmerksam notieren sie, welche historischen Ereignisse kom- mentiert werden und welche nicht. Enno Patalas konstatiert: „Im Kom- mentar bemüht sich der Film um eine Darstellung, die sich nicht an die Tabus bundesdeutscher Schullesebücher hält.“425 So werde „... der Anteil der Großindustrie an Hitlers Aufstieg zur Macht nicht verschwie- gen“, es werde über den Spanischen Bürgerkrieg berichtet und über das Münchner Abkommen von 1938, „... das als ein Grund dafür genannt wird, daß die Sowjets, von den Westmächten übergangen, mit Hitler 422 Delling, Manfred: ... und was zum Filmischen zu sagen ist. In: Die Welt (Hamburg) vom 16.7.1960, S. 47. 423 Sack, Manfred: Mein Kampf – ein Film. Schwedischer Bericht über das Dritte Reich. Hart, aber gerecht - Bilder, die einen nicht mehr loslassen. In: Die Zeit, Nr. 30 vom 22.7.1960, S. IV. 424 Krüger, Karl-Heinz: Bilder klagen an. In: Der Abend (Berlin) vom 28.7.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 425 E.P. (= Enno Patalas): Mein Kampf. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Film- freunde. 4. Jg., H. 8/1960. Nachdruck, Bd. 1, 1957-1961. Frankfurt/M., 1975, S. 230. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 219 paktierten.“426 Bei allem grundsätzlichen Lob sehen die Kritiker aber auch die Probleme, die Leiser in den Griff bekommen mußte: „... er mußte einen Zeitraum von annähernd 60 Jahren auf zwei Stunden kom- primieren, und er mußte sich das Konzept weitgehend vom Bildmaterial diktieren lassen.“427 Vor allem die Ereignisse während der Weimarer Republik sind vielschichtig und bedürfen der Erläuterung. Die Kritikerin der Münchner Abendzeitung stellt fest: „Mit der Darstellung des histo- rischen Nährbodens tut sich der Film freilich schwer, weil man anhand einiger vergilbter Photos eben nicht komplizierte politische und soziolo- gische Strömungen sichtbar machen kann.“428 Leiser ist vermutlich stark von Nacht und Nebel und dem überwiegend zurückhaltenden, jedoch sehr poetischen Kommentar beeinflußt gewe- sen. Der Sprecher soll vor allem sachlich wirken. Dazu bei trägt der Ver- zicht auf sprachliche Stilmittel. Leiser aber hat den Anspruch, über sehr viel mehr als das Lagersystem zu informieren. Dadurch gerät er unter Zeitdruck und kann nicht in jedem Fall Text und Bild perfekt aufein- ander abstimmen. Der Filmemacher bezeichnet den Einsatz von Musik als „kontrapunktisch“, im Vergleich zu Nacht und Nebel ist die musika- lische Untermalung jedoch dezent und „passend“, wenn auch ein Kriti- ker die seltene musikalische Illustration als „... effekthascherischen Aus- flug in die Kintopp-Dramatik“429 bezeichnet. Beeindruckt sind alle Kritiker von den Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto. Manfred Sack, Die Zeit, schreibt: „Mögen einige Szenen in der Erinnerung ein wenig blasser werden: diese Bilder aus dem Warschauer Ghetto bleiben; sie lassen den Atem stocken, und sie werden den, der sie gesehen hat, nicht mehr loslassen.“430 Die Rezensenten scheuen sich nicht, bei der Kommentierung dieser Bilder ihre persönlichen Empfin- dungen zu schildern. Der Kritiker des Berliner Blatts Der Abend schreibt: „Wer die Nazi-Zeit auf deutscher Seite unbehelligt überlebt hat und dennoch nicht bereit sein will, sich mit diesem Dokument zu be- schäftigen, macht sich, finde ich, suspekt.“431 Und der Kritiker der 426 Ebenda. 427 Wiesner, Norbert: Der Dokumentarfilm: Mein Kampf. In: Film-Echo, Nr. 62/63 vom 6.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 428 Ponkie (= Annerose Katz): Mein Kampf als Dokumentarfilm. In: Abendzeitung (Mün- chen) vom 13.7.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 429 Wiesner, Norbert: Der Dokumentarfilm: Mein Kampf. In: Film-Echo Nr. 62/63 vom 6.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 430 Sack, Manfred: Mein Kampf – ein Film. Schwedischer Bericht über das Dritte Reich. Hart, aber gerecht - Bilder, die einen nicht mehr loslassen. In: Die Zeit, Nr. 30 vom 22.7.1960, S. IV. 431 Krüger, Karl-Heinz: Bilder klagen an. In: Der Abend vom 28.7.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 220 Frankfurter Allgemeinen Zeitung schließt seine Besprechung des Films mit dem Satz: „Ohne Erschütterung und tiefe Nachdenklichkeit wird aus diesem Kino nur gehen, wer kein Herz mehr im Leibe und keinen Ver- stand mehr im Kopfe hat.“432 Zuvor hat er am Beispiel des tanzenden Kindes im Warschauer Ghetto die Entstehung der Bilder als einen Widerstandsakt der Kameraleute gegen die Auflage aus dem Propa- gandaministerium gedeutet, „... die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse“ zu dokumentieren: „Wer damals ein Auge dafür besaß, welch ergreifendes Symbol der Tanz dieses kleinen Mädchens ist, wird anderes im Sinn gehabt haben als die gewünschte Aufstachelung der antisemi- tischen Instinkte.“433 Walter Schobert sieht 1987 in seiner Rückschau auf Meisterwerke des Kinos ein Novum in der ausführlichen Darstellung der Leiden der Opfer. Bis zu Mein Kampf von 1960 hätten andere, vor allem deutsche Filme „... manchmal den Eindruck hinterlassen, Hitlers größtes Verbrechen sei es gewesen, den Krieg zu verlieren.“434 Leiser legt Wert darauf, daß die Sequenzen vom Mord an den Juden nicht gekürzt werden. Das hat zur Folge, daß in den übrigen Ostblock- ländern zumeist zwei recht unterschiedliche Kritiken erscheinen: die eine überaus positiv, die andere jedoch, häufig in einem Organ der Armee abgedruckt, bemängelt an Mein Kampf, daß dem Genozid zuviel Beach- tung geschenkt werde, der Befreiungskampf dagegen in den Hintergrund rücke.435 Jay Leyda zitiert in seiner Studie, nachdem er ebenfalls Leisers Film zunächst sehr gelobt hat, einen sowjetischen Kritiker: „Wenn Erwin Leiser über die Leiden spricht, dann sagt er leider wenig über die Kämpfe. In seinem Film bemerken wir keine Sowjetpartisanen, keine französischen Maquis, keine deutschen Kommunisten, die ja doch, wie niemals zuvor in der Geschichte, Hitler ihren heldenhaften Widerstand entgegensetzten.”436 Deutlich wird in der publizistischen Kontroverse über Mein Kampf ein Riß zwischen den Generationen, den die Rezensenten ausführlich kom- mentieren. Als Beispiel soll hier die Diskussion dienen, die die Stellung- nahme einer 15-jährigen Frankfurterin namens Gisela ausgelöst hat. Sie äußert auf der Jugendseite der Frankfurter Rundschau ihr Unverständnis 432 S.-F.: Mein Kampf. Eine Dokumentation über das Leben Hitlers. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 29.7.1960, S. 24. 433 Ebenda. 434 Schobert, Walter: Privatmuseum Film. 111 Meisterwerke des Kinos auf Video. Folge Nr. 57 Mein Kampf. In: Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nr. 39 vom 25.9.1987, S. 22. 435 Vgl. Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 155. 436 Ginsburg, Lev: Lico vremeni. In: Iskustvo kino. H. 6/1961. Zit. nach Leyda, Jay: Filme aus Filmen. Eine Studie über den Kompilationsfilm. Berlin (Ost), S. 120f. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 221 gegenüber der Elterngeneration, die das Aufkommen des Nationalsozia- lismus mit den schrecklichen Folgen nicht verhindert hat.437 Daraufhin bricht eine Debatte los. Zunächst bezweifeln einige Leserbriefschreiber, daß es das Mädchen Gisela tatsächlich gibt, was die Redaktion der Frankfurter Rundschau veranlaßt zu betonen. „Nun - das Mädchen Gisela ist so echt, wie der Film, über den es so ehrlich geschrieben hat, wahr ist. Seine Anschrift ist der Redaktion bekannt.“438 Ein 25-jähriger Leser findet es „geschmacklos“, einen solchen Brief „... in den Jugendteil einer Zeitung zu setzen, der vielleicht schon von 12- jährigen gelesen wird“. Das könne die jungen Leser überfordern. So ähnlich sieht es auch ein älterer Leser, der nach mehrmaligem Lesen zu dem Schluß gekommen ist, daß dieser Brief „ein Machwerk ist und einen besonderen Zweck erfüllen soll.“ Er fragt, wieso sich „die ‚arme Gisela‘ sooo elend fühlen konnte“, wo sie doch „zur damaligen Zeit noch ein kleines Kind war. Sie hat selbst nichts erlebt und weiß gar nichts. Sie kann sich daher gar kein Urteil erlauben, viel weniger noch Menschen Vorwürfe machen, die die damalige Zeit erlebt haben.“439 Dieser Brief ist eine typische Abwehrreaktion eines Vertreters der älteren Generation, eines Mannes, der „schließlich dabeigewesen ist“ und deshalb meint, es besser zu wissen. Einer 15-jährigen spricht er das Recht auf ein Urteil ab, selbst das Recht auf bestimmte Empfindungen gegenüber dem im Film Gezeigten. Gemäß seiner Argumentation dürften nur diejenigen über eine Diktatur urteilen, die sie mitgetragen haben. Einfältig und beinahe mitleiderregend nimmt sich aus heutiger Sicht der Brief der Mutter an ihre Tochter Gisela aus. Sie betont, sich als junge Frau und Mutter nicht um Politik gekümmert zu haben. Mit „Heil Hitler“ zu grüßen, fand sie zwar lächerlich, „doch Vati sagte – ich weiß das noch ganz genau – ich müsse das von jetzt ab tun, wenn wir keine Schwierig- keiten haben wollten.“ Sie erinnert sich der „Erfolge“ der NS-Politik, beschreibt, wie froh sie war, daß Ruhe und Ordnung herrschten, „daß es wieder aufwärts ging“, denn „die endlos langen Schlangen vor den Arbeitsämtern“ könne sie nicht vergessen. Heute meint sie, objektiver urteilen zu können, „Abstand davon zu haben, weil wir nicht dauernd mit dieser Propaganda ‚beharkt‘ werden.“ Die Mutter warnt die Tochter vor dem Kommunismus, der sich ebenfalls der Propaganda bediene. Sie schließt den öffentlichen Brief mit folgendem Satz: „Ich weiß selbst 437 In: Frankfurter Rundschau vom 13.8.1960, Jugendseite. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 438 Wellenschlag um einen Brief. Die Antwort der Mutter und viele Zuschriften für Gisela. In: Frankfurter Rundschau vom 27.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 439 Ebenda. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 222 nicht, warum ich das alles vor Dir ausbreiten mußte, doch nach Deinem Brief glaube ich, mich auf diese Weise rechtfertigen zu müssen.“440 Als letztes druckt die Frankfurter Rundschau den Brief einer jungen Frau, bei der der Film ähnliche Fragen aufgeworfen hat wie bei Gisela und die ähnliche Reaktionen der „älteren Generation“ zu spüren bekam. Nämlich: „Monotones Achselzucken und die ausweichende Geste ‚was verstehst du denn schon davon‘ oder ,wir wollten doch nicht den totalen Krieg‘; immer die ,anderen‘ wollten das Böse; aber wer, frage ich mich, sind denn die ,anderen‘? Wie ist es Hitler denn möglich gewesen, an die Macht zu kommen, wenn niemand an seine Versprechungen glaubte oder ihm zujubelte?“441 Die Position dieser Leserbriefschreiberin, als letzte aufgeführt, deckt sich wohl am ehesten mit der redaktionellen Linie der Frankfurter Rundschau: eine „Flucht vor der Wahrheit“ - so die Überschrift des Leserbriefes - ist weder statthaft noch möglich. Die Kluft zwischen den Generationen zeigt sich nach Meinung der Rezensenten auch darin, daß junge Leute Hitler häufig „komisch“, „un- modern“ und „lächerlich“ finden. Enno Patalas schreibt in der Filmkritik: „Der Dokumentarfilm Mein Kampf ... zeitigte in einer Sondervorstellung Münchner Oberschülern einen unerwarteten Heiterkeitserfolg. Nicht nur der Diktator mit dem Chaplin-Bärtchen erregte Gelächter, auch der An- blick der Hügel von Brillen, Gebissen und Haarsträhnen, die allein von den in Massen Vergasten übriggeblieben waren. Es zeigte sich, daß die ungestalte Zusammenstellung selbst von so aussagestarkem Material wie dem in diesem Film zusammengetragenen nicht vermag, ein Bild der Nazizeit zu vermitteln, das unvorbereiteten Zuschauern ins Bewußtsein dringt. Zwischen dem, was von Kamerareportern objektiv festgehalten wurde, und der akuten Lebenserfahrung von Zeitgenossen - zumal der Nachgeborenen - gibt es kaum Berührungspunkte.“442 Was des „Füh- rers“ Faszination ausgemacht hat, ist für die Jungen nur schwer nach- vollziehbar. Zum Teil vertreten sie die Auffassung, daß ein solcher Eiferer heute keine Chance mehr habe. Diese Sicht der Dinge verstört den Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Rein ästhetische Urteile seien politisch gefährlich, denn sie räumten „... einer modern frisierten Mobilisation der Massen für andere Schreckensregime jede Chance ein.“443 Ähnlich sieht es der Rezensent 440 Ebenda. 441 Ebenda. 442 Patalas, Enno: Dialog mit der Geschichte. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 5. Jg., H. 2/1961, S. 68f. 443 S.-F.: Mein Kampf. Eine Dokumentation über das Leben Hitlers. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 29.7.1960, S. 24. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 223 des Blattes Christ und Welt, Carl Gustav Ströhm, in seiner mit der Frage „War er wirklich lächerlich?“ überschriebenen Kritik: „Diese ,neue‘ Bewegung freilich – und das verkennen manche unserer professionellen Vergangenheitsbewältiger - wird sich nicht mit den fadenscheinig und unmodern gewordenen Verkleidungen der dreißiger Jahre kostümieren. Sie wird vielmehr (was Gott verhüten möge) in ihrer äußeren Erschei- nungsform genauso den sechziger oder siebziger Jahren angepaßt sein, wie das braune Welttheater sich dem Massengeschmack seiner Zeit anzupassen wußte. ... Wenn die honorig-liberale deutsche Publizistik heute schreibt, dieser Hitler sei ja nun gottlob von den jungen Menschen im Kino als lächerliche Figur entlarvt worden und damit ein für allemal erledigt, so spricht daraus der Optimismus dessen, der meint, das Lachen über die Vergangenheit schütze vor dem Weinen in der Zukunft.“444 Zu diesen Optimisten zählt Ralph Giordano. Als ganz im Gegenteil positiv wertet der Kritiker der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland die skeptische, distanzierte Haltung der jugendlichen Zuschauer. Damit unterschieden sie sich wohltuend von den irrationalen Sehnsüchten vorangegangener Generationen, Sehnsüchte, die Hitler und seine Propagandisten für sich ausnutzten. Das Gerede vom politischen Desinteresse der Jugend entbehrt nach Giordano jeder Grundlage. Die Jungen machen mehr als die Hälfte der Zuschauer aus, ihre Bewertungen des Films findet er „ermutigend“.445 Für ehrliche Antworten auf die Fragen der Jugendlichen wirbt der Kriti- ker des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts, der sich gleich am An- fang als Vertreter „... der Generation, die es gewesen war“ zu erkennen gibt und schildert, wie er nach dem Film die Gespräche der jungen Leute vor dem Kino belauscht hat. Er hofft auf die Fragen der Jugendlichen, hofft, daß „... sie uns zwingen werden, von damals zu sprechen, eine geschichtliche Periode des deutschen Volks nicht mehr auszuklammern und unseren Geschichtsunterricht nicht mehr beim Ausbruch des ersten Weltkriegs mit der Pausenklingel enden zu lassen.“ Man dürfe weder den jungen Leuten noch dem Ausland mit Phrasen oder Märtyrerposen begegnen, sondern nur mit geschichtlicher Wahrheit, die dieser Film liefere. Statt mit „Wir sind es gewesen, aber ...“ müßten Eltern mit „Wir 444 Ströhm, Carl Gustav: War er wirklich lächerlich? Zum Dokumentarfilm Mein Kampf. In: Christ und Welt (Stuttgart) vom 18.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Film- kunde. 445 Giordano, Ralph: Mein Kampf. Betrachtungen zu einem Dokumentarfilm über die NS- Zeit. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Düsseldorf) vom 5.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 224 sind es gewesen, weil ... “ antworten.446 Als Überschrift für seine Film- besprechung wählt der Kritiker jedoch „Wir sind es gewesen, aber ...“ – vielleicht um die Leser zu locken, denen das „aber“ wichtiger ist. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bleibt die Auffassung des Film- kritikers und Kollegen „S.F.“ nicht unwidersprochen. Nikolas Benckiser, der ebenfalls Reaktionen junger Leute nach dem Kinobesuch registriert und dabei die Frage gehört hat, wie es bloß möglich war, daß ein Mann wie Hitler derart die Massen begeistern konnte, schreibt, daß er am lieb- sten ausrufen möchte: „Endlich, endlich sind wir zurück an der Ausgangsposition! ... Ja, wer damals seine fünf Sinne beisammen hatte, wem die Sicht nicht von Not, von nationalistischem Wahn oder sonst etwas getrübt war, dem konnte es nicht anders gehen: Er sah eine lächer- liche, abstoßende Figur. Manchmal wurde man dann irre an sich selbst: Wo so viele es anders zu sehen schienen, sah man nicht etwa selbst falsch und die anderen richtig?“447 Die junge Generation - einige ihrer Vertreter - sieht heute, was auch die ältere Generation - und nicht nur einige ihrer Vertreter - hätte sehen können. Die Reaktion der jungen Leute auf Hitler scheint dem Rezensenten deshalb angemessen: ein lächerlicher Schreihals - wenn auch die Taten, die seinen Auftritten folgen, bestimmt nicht zum Lachen waren. Die Kritik an Mein Kampf ist unterschiedlich motiviert. Sie kommt von nationaler, rechtskonservativer Seite: in der Generationendebatte deut- lich zu erkennen am Bemühen, Verständnis für das Verhalten der älteren Generation, der Mitläufer, zu wecken. In der inhaltlichen Auseinander- setzung erheben Nationalkonservative den Vorwurf, Leiser sei an man- chen Stellen zu oberflächlich und zu einseitig. Das bemängeln die Kriti- ker von „links“ ebenfalls, nur meinen sie natürlich andere „Stellen“. Sie kritisieren beispielsweise, daß „... der tapferen Haltung der SPD zum Ermächtigungsgesetz mit keinem Wort gedacht wird.“448 Einen Sonder- fall stellt die Kritik aus der DDR und anderen Ostblockländern dar. Der Rezensent der Zeitschrift Christ und Welt hat diesen eher ideolo- gischen statt künstlerischen Streit über Mein Kampf beschrieben, nicht ohne selbst Stellung zu beziehen: „Es gehört heute zum guten Ton, den 446 Kleist, Wolf J. von: Wir sind es gewesen, aber ... . Anmerkungen zu Erwin Leisers Dokumentarfilm Mein Kampf. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 31.7.1960, S. 6. 447 Benckiser, Nikolas: Später Fluch. Die junge Generation sieht Hitler im Dokumentar- film. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.8.1960, S. 2. 448 S.-F.: Mein Kampf. Ein Dokumentarfilm über das Leben Hitlers. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 29.7.1960, S. 24. Das hat bei der Erstaufführung in Österreich auch Bruno Kreisky bemängelt. Leiser stellt fest, daß in einigen deutschen Kopien diese Sequenz fehlt. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 225 Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg als Sündenfall Nummer eins der Rechten zu bezeichnen und die deutschen Freikorps der Jahre 1919/21 als Brutstätten des Extremismus abzutun. Leiser schließt sich dem an, vergißt aber den Hinweis auf die Greuel der bayerischen Räterepublik, auf den Spartakistenterror in Berlin, auf die kommuni- stischen Aufstände an der Ruhr und in Mitteldeutschland. Es gab nicht nur einen weißen Terror, sondern einen mindestens ebenso starken roten - und der rote ging dem weißen sogar zeitlich meist voraus und war des- sen direkter Anlaß.“449 Bei einem Film wie Mein Kampf erkennt Ströhm die „... fundamentale Schwäche vieler zeitgenössischer Bemühungen dieser Art: daß sie näm- lich oft ideologisch von links her kommen und daher sozusagen nach- träglich die Parteikämpfe der Jahre vor 1933 noch einmal durchkämpfen. Zweifellos steht es mit dem unparteiischen Sinn der ,Rechten‘ (soweit diese Bezeichnung überhaupt noch möglich ist) nicht viel besser. Da aber die ,rechten Legenden‘ (zum Beispiel: Novemberverbrecher, Dolch- stoß, vaterlandslose Gesellen usw.) gründlich diskreditiert sind, die ‚Linken‘ hingegen seit 1945 triumphierend in den Köpfen umgehen (zum Beispiel: reaktionäre Barone, undemokratische Reichswehr, nazifreundliche Industrie usw.), steht es mit der sogenannten Bewälti- gung der Vergangenheit nicht zum besten.“450 Daß diese „Bewältigung“ noch aussteht, meint auch die Kritikerin des sozialdemokratischen Vorwärts. Erwin Leisers Mein Kampf sei deshalb eine der besten Dokumentationen zur deutschen Zeitgeschichte, weil er „... sich nahezu kommentarlos auf das authentische Bildmaterial beschränkt und eben dadurch den Betrachter zum Selbstdenken zwingt.“ Andere Filme hingegen seien „aus einer bestimmten Perspektive heraus“ entstanden. Sie nennt den Film Völker hört die Signale, „... der die Geschichte der letzten fünfzig Jahre als ein großes Schuldbuch ‚der Kommunisten‘ schreibt... “ und die in der ARD ausgestrahlte Doku- mentation Ich denk an Deutschland von Edmund Ringling, bei der „... die Begriffe Schuld und Schicksal heillos durcheinander“ geraten seien.451 449 Ströhm, Carl Gustav: Hitler im Kino. War er wirklich lächerlich? Zum Dokumentarfilm Mein Kampf. In: Christ und Welt vom 18.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Film- kunde. Dieses Argument, Stichwort „Kausalnexus“, trägt 1986 auch Ernst Nolte vor und löst dadurch den Historikerstreit aus. Stephane Courtois greift es im Schwarzbuch des Kommunismus 1997 auf. 450 Ebenda. 451 Hanau, Ursel: Unzeit im lebenden Bild. Mein Kampf - ein hervorragender Dokumentar- film. In: Vorwärts (Bonn), 12.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 226 Die in der DDR erscheinende Zeitschrift Deutsche Filmkunst kritisiert, Leiser bleibe mit seiner Faschismusanalyse an der Oberfläche. „Er be- gnügt sich mit Erscheinungen, ohne die gesetzmäßigen Zusammenhänge zu ergründen. ... Er konstatiert historische Tatsachen, ohne sie zu inter- pretieren. In seinem Bemühen um Objektivität nähert sich Leiser der marxistischen Auffassung von der Geschichte des deutschen Imperialis- mus, die Frage nach den entscheidenden Triebkräften vermag er aber nicht zu beantworten.“ Denn, so die Deutsche Filmkunst: „Es wird nur angedeutet, daß Hitler ein Objekt der Großindustrie ist.“ Faschismus- kritik hat demnach zuerst Kapitalismuskritik zu sein. Die Konzentration auf die Person Adolf Hitlers lasse außen vor, wer ihn bis 1945 gestützt hat, und daß diese Personen z.T. „... im Bonner Staat wieder zu Amt und Würden gelangt sind.“ Der Autor fordert einen stärkeren Hinweis auf den „Neofaschismus in Westdeutschland“. In der ausländischen Presse würden die Fragen nach personellen Kontinuitäten und Wiedererstarken des Faschismus in der Bundesrepublik diskutiert, dort selbst aber nicht. „Die führende westdeutsche Presse vermeidet ängstlich, diese Frage- stellungen zu wiederholen oder gar die Schuldigen beim Namen zu nennen.“452 Das ist ein starker und in den DDR-Medien immer wieder erhobener Vorwurf gegen die privatwirtschaftlich organisierte Presse im Westen. Kommunistische Blätter gibt es dort aber auch. Aus einer Besprechung in der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung zitiert Klaue: „Dieser Film ist zu empfehlen: allen Deutschen über 16, dem Reichs- anwalt Lautz, Helfer Freislers, der um seine ,wohlerworbene Pension kämpft‘, der ersten großen Strafkammer des Landgerichts Flensburg, die die Eröffnung des Verfahrens gegen des Heyde-Beschützer Dr. Buresch ablehnte, nebst anderen Richtern, die damals auch dabei waren; dem BHE-Landtagsabgeordneten Reinefarth, Bürgermeister von Westerland, ,Sieger‘ über den Warschauer Aufstand, dem Staatssekretär Globke, Intimus unseres Bundeskanzlers, dessen geschärftem Verstand zu ver- danken ist, daß der Rassenwahn der Nazis juristische Form erhielt und praktizierbar wurde.“453 Am Ende seiner Rezension gelangt der Autor zu dem Ergebnis: „Erwin Leiser ist kein Marxist und sein Film entspricht nicht in jeder Weise unseren Auffassungen von der deutschen Vergangenheit. Aber sein Werk, an dem er mit besessener, leidenschaftlicher Hingabe gearbeitet hat, lebt von der Idee des Antifaschismus, der Menschlichkeit, der Ver- urteilung des Krieges. Die Reihen der Gegner des Faschismus, der 452 Klaue, Wolfgang: Die blutigen Jahre. Bemerkungen zu einem schwedischen Doku- mentarfilm über den deutschen Faschismus. In: Deutsche Filmkunst, H. 10/1960, S. 341-343. 453 Schleswig-Holsteinische Volkszeitung. Zit. nach Klaue, Wolfgang: Die blutigen Jahre. A.a.O. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 227 Anhänger des Friedens wachsen unaufhaltsam. Die blutigen Jahre ist ein künstlerischer Ausdruck dieser weltweiten Bewegung.“454 Der Autor dieser Kritik ist übrigens Wolfgang Klaue, wissenschaftlicher Leiter des Staatlichen Filmarchivs der DDR. Bei ihm und dem Direktor Herbert Volkmann hat Leiser um Erlaubnis bitten müssen, im Archiv zu arbeiten. Klaue und Volkmann nehmen den fertigen Film ab, Klaue bespricht ihn gar, gezeigt wird er in den ostdeutschen Kinos allerdings nicht. In der Bundesrepublik erreicht die publizistische Kontroverse über Leisers Film einen traurigen Höhepunkt in der gerichtlichen Auseinan- dersetzung mit Leni Riefenstahl. Wie die Nazifilm-Regisseurin mit der Stoppuhr in der Hand der Filmvorführung von Mein Kampf folgte, beschreibt Der Spiegel in einem Artikel mit dem Titel „Riefenstahl - Ihr Kampf”.455 Leiser habe in seinem Film Material aus Triumph des Wil- lens verwendet, das verstoße gegen urheberrechtliche Bestimmungen, deshalb fordere sie Tantiemen in Höhe von 35.000 DM, so die Argu- mentation der Riefenstahl.456 Erst als sie das Geld schon als freiwillige Zahlung erhalten hat, gibt der Bundesgerichtshof der Gegenseite recht. Erwin Leiser zeichnet in seinem Buch „Deutschland erwache!“ – Propaganda im Film des Dritten Reichs die Entstehungsgeschichte von Triumph des Willens nach und kommt zu dem Schluß, daß der Film, der von der Reichsparteitagstelle der NSDAP produziert wurde, „... Eigen- tum der beiden deutschen Staaten als Rechtsnachfolger der Partei“ sei.457 Riefenstahls Ansprüche sind in drei Instanzen von bundesdeutschen Gerichten abgewiesen worden mit der Begründung, daß es sich bei Triumph des Willens um Staatseigentum handele.458 Das sah und sieht die Regisseurin anders. Der Spiegel-Artikel über die Forderungen Riefenstahls provoziert einen scheinbar juristisch versierten und offenkundig antisemitisch denkenden Leserbriefschreiber zu folgendem Statement: „Was ist daran [an der Schadensersatzforderung von 50.000 DM] erstaunlich? Nur dies: daß Sie [Der Spiegel ist gemeint] und Herr Leiser Moral und Recht als Synonyma ansehen. Herrn Leiser ist das zu verzeihen. Er ist Jude und außerdem inszeniert er Filme.”459 Ein anderer Leserbriefschreiber 454 Klaue, Wolfgang: Die blutigen Jahre. A.a.O. 455 Riefenstahl - Ihr Kampf. In: Der Spiegel, Nr. 3 vom 11.1.1961, S. 54f. 456 Mein Kampf ist für Leni Riefenstahl bis heute „... eine grobe Urheberrechtsverletzung und geistiger Diebstahl.“ Vgl. Riefenstahl, Leni: Memoiren 1945-1987. Für das Taschenbuch neu eingerichtete Ausgabe. Frankfurt/Main, Berlin, 1992, S. 193. 457 Vgl. Leiser, Erwin: „Deutschland erwache!“ Propaganda im Film des Dritten Reiches. Erw. Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg, 1978 (1968); S. 122-125. 458 Vgl. Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 154. 459 Leserbrief von Hans Sommerauer, Hamburg. In: Der Spiegel, Nr. 6 vom 1.2.1961, S. 13. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 228 rechnet hingegen vor: „Ein Opfer des NS-Regimes erhält als Tagesent- schädigung für KZ oder Gestapo-Gefängnis fünf Mark. Um, wie die Riefenstahl, 85.000 DM zu erhalten, hätte es 17.000 Tage im KZ verbringen müssen, also 46 Jahre und sieben Monate.“460 Die Leserbriefe, die auf den Bericht über Leisers Film Mein Kampf in der Redaktion des Spiegels eintreffen, stammen überwiegend von Alt- Nazis, die aus ihrem Haß gegenüber Leiser und dessen „Emigranten- hetze” keinen Hehl machen. Besonders ärgert die Ewiggestrigen die Darstellung Hitlers, dessen Leben „... wohl auch noch unter etwas ande- ren Aspekten gesehen werden müsse als immer nur aus der engherzigen, moralischen Froschperspektive von Klageweibern.”461 Ein anderer Leserbriefschreiber aus Caracas, Venezuela, reiht die „Greuel der ande- ren“ auf und schließt mit der Bemerkung in Richtung Leiser: „Wer ande- ren in der Nase bohrt, ist selbst ein Schwein.“462 Diesen Leserbrief- schreibern geht es wie ihre Äußerungen zeigen nicht um eine inhaltliche Diskussion des Films, sondern darum, den Holocaust zu relativieren und den Filmemacher Erwin Leiser zu diffamieren. II.3.6. Mein Kampf und das Gesamtwerk Erwin Leisers 1961 zieht Erwin Leiser nach Zürich. Im selben Jahr beginnt die gericht- liche Auseinandersetzung mit Leni Riefenstahl um die Verwendung von einigen Hundert Metern Film aus Triumph des Willens in Mein Kampf. Auch sein nächster Film, Eichmann und das Dritte Reich, erregt öffent- lichen Protest. Leiser fühlt sich veranlaßt, dem Film eine einleitende Sequenz voranzustellen, in der die Notwendigkeit beschworen wird, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Den Text spricht der Generalstaatsanwalt des Landes Hessen, Fritz Bauer, ohne den es den zwei Jahre später beginnenden Frankfurter Auschwitzprozeß nicht gege- ben hätte. Leiser erhält wie schon bei Mein Kampf Drohschreiben, bei einigen Kinos werden die Schaukästen demoliert. Kritik an Eichmann und das Dritte Reich üben aber auch Rezensenten, die Mein Kampf über- zeugender finden. So moniert der Rezensent der Filmkritik: „Gelang es Leiser in seinem ersten Film, den Mythos zu zerstören, allein Hitler sei das Dritte Reich, so mißlingt es diesmal, die Vorstellung zu zerstreuen, allein Eichmann sei die ‚Endlösung‘.“463 Leiser weiß sehr gut, daß nicht 460 Leserbrief von Erich Wollenberg, München. In: Der Spiegel, Nr. 6 vom 1.2.1961, S. 13. 461 Leserbrief von Wolf Hoffmann, Hamburg. In: Der Spiegel, Nr. 34 vom 17.8.1960, S. 9. 462 Leserbrief von F. Mangold, Caracas. In: Der Spiegel, Nr. 34 vom 17.8.1960, S. 9. 463 Eichmann und das Dritte Reich. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 5. Jg., H. 7/1961. Nachdruck, Bd. 1, 1957-1961. Frankfurt/M., 1975, S. 342. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 229 einer allein für das Terrorsystem verantwortlich ist, nur geht es in seinem zweiten Film darum, diesen Schreibtischtäter Eichmann als exemplarisch darzustellen. Von Hannah Arendts im Zusammenhang mit der Person Adolf Eichmann gebrauchten Formulierung „Die Banalität des Bösen“ hält Leiser nicht viel. Jean Amérys Schilderungen der Folter bestätigten, daß das Böse nicht banal, sondern eben böse sei.464 Die sechziger Jahre sind eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, deutlich erkennbar an der zunehmenden Bereitschaft, öffentlich die deut- sche Vergangenheit zu diskutieren. Eine wissenschaftliche Beschäfti- gung mit der NS-Propaganda in Spielfilmen beginnt, nachdem Leiser Arbeiten wie „Deutschland, erwache!“ vorgelegt hat. 1969 erscheint Gerd Albrechts Standardwerk über „Nationalsozialistische Filmpolitik“. Als Folge des Aufbruchstimmung im deutschen Films, markiert durch das „Oberhausener Manifest“ von 1962, setzt eine Institutionalisierung der Ausbildung von Filmemachern ein. Zum 1. Januar 1966 wird Erwin Leiser zusammen mit Heinz Rathsack zum Geschäftsführer an die neu gegründete Berliner Film- und Fernsehakademie berufen. Die Erwartun- gen, die an die Akademie und ihre Repräsentanten gestellt werden, sind hoch, die Vorbereitungszeit, die die Entwicklung eines Curriculums erfordert, ist allerdings knapp. Ein Jahr später schon sind die Kontro- versen zwischen Leiser als künstlerischem Leiter und den Studierenden öffentlich. Die Studenten werfen dem Filmemacher „autoritäres Verhal- ten” vor, zudem „Unkorrektheiten und Willkür gegenüber Studenten und ihren Arbeiten” und „mangelnde Qualifikation zum Aufbau und zur Leitung der Akademie”. Sie kritisieren: „Das ist keine Filmkunstakade- mie, sondern eine Berufsschule für Opas Kino.” Die Hauptforderung jedoch lautet „Annullierung der Prüfungsergebnisse”. Die Studenten sind sich einig und wollen „Leiser treten“.465 Die Akademie wird zu einem der Schauplätze dessen, was später als „Studentenrevolte“ in die Geschichte der Bundesrepublik eingeht. 1969 tritt Leiser von seinem Direktorenposten zurück, denn: „Die Studenten wollen keine Filme machen, sondern Revolution!”466 Leisers Filmographie belegt zum einen die enorme Vielfalt im künstle- rischen Werk des Filmemachers, zum anderen zeigt sie, daß Leiser von seinem Erstling Mein Kampf (1960), über Eichmann und das Dritte Reich (1961), „Deutschland erwache!“ (1968), Der lange Marsch der 464 Vgl. Leiser, Erwin: Gott hat kein Kleingeld. Erinnerungen. Köln, 1993, S. 164. 465 Vgl. Leiser treten. In: Der Spiegel, Nr. 21 vom 15.5.1967, S. 154. 466 Schauer, Lucie: Hat die Filmakademie noch eine Chance? In: Die Welt vom 20.7.1968, S. IV. Siehe auch: Maerker, Christa: Eine Akademie am Ende? Die Situation an der Berliner Film- und Fernsehakademie. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 5. Jg. H. 6/1967, S. 1. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 230 NPD (1968), Von Bebel bis Brandt - Die Geschichte der SPD (1974), Leben nach dem Überleben (1982), Vor fünfzig Jahren war alles dabei (1983), Die Mitläufer (1985), Die Feuerprobe - Novemberpogrom 1938 (1988), „Pimpf war jeder“ (1993), Zehn Brüder sind wir gewesen (1996) immer wieder die Themen Nationalsozialismus und Holocaust aufge- griffen hat. Auch in den Künstlerportraits über bildende Künstler wie Edward Kienholz, Bram van Velde, Willem de Kooning, Fernando Botero und Hans Falk, den Fotografen Roman Vishniac oder die Lite- raten Isaac Bashevis Singer und Elie Wiesel sind diese Themen präsent. 1993 entsteht mit „Pimpf war jeder“ ein Film, der viel von Erwin Leiser selbst erzählt. Für diesen Film hat er seine noch lebenden Mitschüler aufgesucht und sie nach ihren Erinnerungen an die gemeinsame Schul- zeit im „Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster“ befragt. Der Titel des Films zitiert das Statement eines Mitschülers. Es drückt die Selbstverständlichkeit aus, mit der die Jungen sich vom Nationalsozia- lismus vereinnahmen ließen. Pimpf war aber eben nicht jeder. Erwin Leiser mußte als Jude das Gymnasium verlassen. Mit Pimpf war jeder hat Erwin Leiser 1993 einen ganz ähnlichen Film gemacht wie 1970 Eberhard Fechner mit Klassenphoto. Auch in Fechners Film geht es u.a. um die Ausgrenzung der jüdischen Mitschüler, die den Nichtjuden aber kaum bewußt ist. 1993 widmet sich Leiser noch einmal in einem Drei- teiler der Geschichte der UFA, Die Ufa – Mythos und Wirklichkeit, zwei Jahre später untersucht er in Feindbilder die propagandistischen Tricks der Deutschen und der Alliierten. Leisers letzter Dokumentarfilm, Zehn Brüder sind wir gewesen (1996) wird am Holocaust-Gedenktag 1997 ausgestrahlt. Mit diesem Film will er die Geschichte der Judenverfolgung und -ermordung in einer Stunde erzählen. Ein ähnliches Unterfangen wie Mein Kampf, der Versuch, die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus zu erklären. Leiser zeigt am Ende des Films Porträts von Juden, die ermordet worden sind, Alte, Kinder, Frauen, Männer. Unterlegt mit dem jiddischen Volkslied „Zehn Brüder sind wir mal gewesen“. In den letzten Jahren der Judenverfol- gung und -vernichtung ist der Text von den Inhaftierten ergänzt worden: „Zehn Brüder sind wir mal gewesen, doch dann mußten wir ins Gas“. Leiser gelingt es, mit Hilfe der von ihm wiederum sorgfältig zusammen- gestellten Archivbilder - zum Teil bis dahin nichtveröffentlichte - das Ausmaß der Katastrophe anzudeuten. Der Film ist eindrucksvoll, Schil- derungen wie die einer Überlebenden, die die Kleidung der Ermordeten sortieren muß und dabei die Handtasche ihrer Mutter findet, vergißt der Zuschauer nicht. Erwin Leiser wird im Lauf der Jahre mit zahlreichen Preisen und Ehren- doktorwürden ausgezeichnet. 1991 erhält er die Ehrendoktorwürde der II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 231 Universität Stockholm und den Titel eines Ehrenprofessors des Berliner Senats. Leiser ist ein politisch denkender Mensch, er verwahrt sich gegen eine rein ästhetische Betrachtungsweise von Filmen, insbesondere von Filmen aus der NS-Zeit. Politische Absichten der Filmemacher und Zensoren, Produktions- und Rezeptionsbedingungen interessieren ihn mehr. Er scheut sich nicht, Filme anderer über Hitler, den Nationalsozia- lismus und den Holocaust zu kritisieren. So äußert er sich in beinahe allen publizistischen Kontroversen über Holocaustfilme, die nach Mein Kampf entstanden sind. Im Vorwort zur zweiten Auflage der Bilddoku- mentation Mein Kampf nimmt er Stellung zu Filmen, die in den sechzi- ger und siebziger Jahren zum Thema Nationalsozialismus und Massen- mord entstanden sind. An Hans Jürgen Syberbergs Hitler - ein Film aus Deutschland und Joachim Fests und Christian Herrendörfers Film Hitler - eine Karriere bemängelt er, daß sie zu wenig die Hintergründe des Aufstiegs Hitlers erklären, fast entstehe der Eindruck, die Autoren seien selber dem „Faszinosum Hitler” erlegen.467 Für Erwin Leiser wiederholt sich die Geschichte zwar nicht, bestimmte politische Entwicklungen der Gegenwart haben jedoch ähnliche Ur- sachen wie in der Vergangenheit. Die Anschläge von Rechtsextremisten auf Ausländerwohnheime Anfang der neunziger Jahre rufen die Erinne- rung an eigene Erfahrungen mit rassistischer Verfolgung wach. Er hat die Bilder vom Novemberpogrom 1938 vor Augen. 73-jährig stirbt Erwin Leiser 1996 in Zürich. Nachrufe gibt es in allen großen Zeitungen, dabei wird immer wieder Bezug genommen auf seinen ersten – und viele meinen wichtigsten – Film, Mein Kampf. II.3.7. Resümee Mein Kampf wird insgesamt positiv besprochen und als wichtiger Bei- trag zur „Bewältigung“ der Vergangenheit gewürdigt. Die Mehrheit der Rezensenten lobt die kluge Zusammenstellung und Kommentierung des Archivmaterials. „Eindrucksvoller und gewaltiger sind verführerische Propaganda und ihre grauenvolle Auswirkung noch nicht bildhaft, in die Augen springend, entlarvt worden. ... Es ist der Anfang zu einer neuen Diskussion, die weitergehen muß“468, schreibt der Kritiker der Frank- furter Rundschau. Alle sind erschüttert von den bis dahin unbekannten 467 Vgl. Erwin Leiser‘s (sic!) Film Mein Kampf. Eine Bilddokumentation der Jahre 1914- 1945. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1979 (1960), S. 8. 468 Ungureit, Heinz: Wo Worte versagen ... . Erwin Leisers Filmdokument Mein Kampf im Frankfurter Turmpalast. In: Frankfurter Rundschau vom 26.7.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 232 Bildern, die das Leiden der Juden im Warschauer Ghetto zeigen. Den Holocaust spart dieser Film nicht aus, zugleich will er aber erklären, wie es dazu kommen konnte. Und hier erkennen einige Kritiker das Haupt- problem des Films, nämlich einen Zeitraum von vierzig Jahren auf zwei Stunden zu komprimieren und dabei auf das zurückgreifen zu müssen, was die Archive an Bild- und Tonmaterial bieten. So werfen manche dem Filmemacher vor, Wichtiges ausgelassen zu haben, auch wenn sie wissen, daß zu vielen historischen Ereignissen Bilddokumente fehlen. Ein anderer Vorwurf lautet, Leiser gewichte und interpretiere nicht rich- tig und sei dadurch tendenziös. Dieser Vorwurf ist jedoch selten und kommt wenn, dann erst nach der Beteuerung, es handele sich bei Mein Kampf um einen wichtigen Film, der sich um Objektivität und Sachlich- keit „bemühe“. Objektivität und Authentizität sind zwei Begriffe, die in der Auseinan- dersetzung mit dem Kompilationsfilm stets gebraucht werden. Der Glaube an den „objektiven Dokumentarfilm“ führt zu Unterscheidungen, die letztlich nicht überzeugen. So differenziert der Kritiker der Illu- strierten Film-Bühne zwischen Spielfilmen, Dokumentarfilmen und „echten, politischen Dokumentarfilmen“. Er nennt einige „recht gut ge- lungene Zeitfilme“ wie In jenen Tagen, Ehe im Schatten und Film ohne Titel, meint aber, daß insbesondere bei englischen, französischen und US-amerikanischen Spielfilmen zu „derartigen Themen“ die „... Gefahr einer tendenziösen Gestaltung recht nahe liegt“. Sie „... mußten als ten- denziöse Machwerke abgelehnt werden, weil die wirklichen Tatsachen in eindeutiger Absicht völlig verzerrt wiedergegeben waren.“ Beim Doku- mentarfilm sei diese Gefahr der Tendenz nicht ganz so groß, erst recht nicht bei einem „echten politischen Dokumentarfilm“ wie Mein Kampf, „... weil er nur aus absolut authentischem Bildmaterial zusammengesetzt wurde und sich auch in seinen sonstigen Schilderungen streng an die historischen Tatsachen hält.“469 Jay Leyda argumentiert in seiner Studie über den Kompilationsfilm überzeugender: „Es besteht allerdings kein Zweifel daran, daß der Dokumentarfilm und der Kompilationsfilm eines gemeinsam haben, nämlich eine Manipulation der Wirklichkeit. Welcher Art auch immer die Beweggründe für eine solche Manipulation sein mögen, ob es sich um künstlerische, propagandistische, erzieherische oder kommerzielle Motive handelt, man versucht die künstliche Veränderung zu verbergen, damit das Publikum nichts sieht als die ‚Wirklichkeit‘, das heißt die spe- 469 Mein Kampf. Nr. 5341. In: Illustrierte Film-Bühne. Vereinigt mit Illustrierter Film- Kurier. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 233 ziell arrangierte Wirklichkeit, die der Filmproduzent für seine Zwecke zurechtschneidert.“470 Dessen ist sich Erwin Leiser bewußt. In seinem letzten Buch, Auf der Suche nach Wirklichkeit, äußert er sich über die „Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms“ und betont, daß dem Filmemacher bei allem Bemühen um Sachlichkeit und Authentizität klar sein muß, daß er subjektiv vorgeht. Er nimmt zwar seinen Stoff aus der Wirklichkeit, re- produziert aber nicht die äußere Wirklichkeit, sondern stellt durch die von ihm geschaffenen neuen Bezüge eine neue Wirklichkeit her. Den Begriff „Objektivität“ vermeidet Leiser und unterstreicht stattdessen, daß jede filmische Darstellung interpretierend ist und Einsichten vermitteln will, die auf Bewußtseinsänderungen beim Zuschauer abzielen.471 Eine Minderheitenmeinung vertritt der Kritiker Enno Patalas, wo er von den „Grenzen des Films“ Mein Kampf spricht, „... die in seiner Be- schränkung auf dokumentarisches Material“ lägen. „Die soziologischen und ideologischen Gründe für den Aufstieg Hitlers bleiben außerhalb der Perspektive des Films. Der gestalterischen Bemühung, die die Einbe- ziehung des Ungefilmten bedeuten würde, versagt sich der Film. Die Filmform, die durch die Oberfläche des dokumentarisch Erfaßten hin- durchgreift, harrt noch der Erfindung.“472 Hingegen fordert der Kritiker des katholischen film-diensts, Mein Kampf nicht „... als eine kompaktes Wissen vermittelnde Geschichts- und Zeitgeistdarstellung letzter Gültig- keit“ zu betrachten: „Der riesige Komplex von Hitler, NS-Staat und Europas Blutjahren ist in seiner Totalität vom Film überhaupt nicht voll- kommen zu erfassen und gestaltbar.“473 Aufschlußreich ist ein Teilkonflikt innerhalb der publizistischen Kontro- verse über Mein Kampf: Die Auseinandersetzung darüber, ob dieser Film für Jugendliche geeignet ist und wie junge Leute auf ihn reagieren. Wer nicht möchte, daß die Jüngeren fragen, wie sich die Älteren verhalten haben, wird dem Film als Auslöser solcher Fragen nicht unbedingt posi- tiv gegenüber stehen und sich dafür aussprechen, ihn Jugendlichen nicht zugänglich zu machen. Das Argument, die gezeigten Bilder seien zu grausam und man dürfe sie Jugendlichen nicht zumuten, tragen deshalb 470 Leyda, Jay: Filme aus Filmen. Eine Studie über den Kompilationsfilm. Berlin (Ost), 1967, S. 8. 471 Leiser, Erwin: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms. In: ders.: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Meine Filme 1960–1996. Konstanz, 1996, (= Bd. 7 der Reihe: close up. Schriften aus dem Haus des Dokumentar- films. Europäisches Medienforum, Stuttgart. Hrsg. von Rolf M. Bäumer u.a.), S. 17-22. 472 E.P. (= Enno Patalas): Mein Kampf. In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Film- freunde. 4. Jg., H. 8/1960. Nachdruck, Bd. 1, 1957-1961. Frankfurt/M., 1975, S. 230. 473 Bas: Mein Kampf. Nr. 9312. In: Film-Dienst, 13. Jg. vom 3.8.1960, S. 259. II.3. Mein Kampf (Schweden 1960) 234 nicht nur um das Wohl ihrer Kinder besorgte Eltern vor, sondern auch diejenigen, die sich nicht rechtfertigen wollen. Zufrieden mit den Reak- tionen der Jugendlichen, die den Film gesehen haben, sind nur wenige Kritiker. Erwin Leiser äußert sich positiv über die Diskussionen mit jun- gen Leuten, an denen er teilgenommen hat, und er beteuert, daß die wichtigste Auszeichnung für ihn der „Preis der Jugend“ der Stadt Berlin gewesen ist. „Ermutigend“ findet Ralph Giordano, daß Hitler auf junge Leute nicht dieselbe Wirkung hat wie seinerzeit auf ihre Eltern. Die Jugend Anfang der sechziger Jahre bildet nach Helmut Schelsky „die skeptische Generation“. Diese Skepsis gegenüber extremen politischen Bewegungen oder charismatischen Verführern sehen sowohl Enno Pata- las als auch konservative Kritiker nicht. Meint Patalas Demagogen von rechts, so warnen die Kritiker in Christ und Welt und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor „linken Legenden“ und den Gefahren „neuer Totalitarismen“. Carl Gustav Ströhm schreibt: „Diese neue Bewegung freilich – und das verkennen manche unserer professionellen Vergan- genheitsbewältiger – wird ... in ihrer äußeren Erscheinungsform genauso den sechziger und siebziger Jahren angepaßt sein, wie das braune Welt- theater sich dem Massengeschmack anzupassen wußte.“474 In der Aus- einandersetzung mit der sogenannten 68er-Bewegung, für die Filme wie Nacht und Nebel und Mein Kampf prägend gewesen sind, stößt man in der konservativen Presse immer wieder auf diese „antitotalitäre“ Inter- pretation. Ralph Giordano schreibt schon 1960, daß „... der Name Erwin Leiser ... in die Geschichte des Dokumentarfilms eingehen wird, auch wenn von ihm nichts anderes mehr herausgebracht wird als dieser Mein Kampf.“475 Erwin Leiser hat noch Dutzende wertvoller Filme gemacht, dennoch nimmt sein Erstling einen besonderen Platz in der Filmografie Leisers ein, denn Mein Kampf war der erste überzeugende Versuch, den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und die Folgen der Errichtung eines totalitären Regimes im Film zu erklären. Die überragende Bedeu- tung dieses Holocaustfilms bestätigen auch die Nachrufe auf Erwin Leiser. 474 Ströhm, Carl Gustav : Hitler im Kino. War er wirklich lächerlich? Zum Dokumentar- film Mein Kampf. In: Christ und Welt vom 18.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 475 Giordano, Ralph: Mein Kampf. Betrachtungen zu einem Dokumentarfilm über die NS- Zeit. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Düsseldorf) vom 5.8.1960. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 235 II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) II.4.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 1958 erscheint in der DDR der Roman Nackt unter Wölfen von Bruno Apitz, der als Kommunist im Lager Buchenwald inhaftiert gewesen ist. Der Roman enthält eine Widmung: „Ich grüße mit dem Buch unsere toten Kampfgenossen aller Nationen, die wir auf unserem opferreichen Weg im Lager Buchenwald zurücklassen mußten. Sie zu ehren, gab ich vielen Gestalten des Buches ihre Namen.“476 Apitz‘ Werk beruht auf eigenem Erleben, dennoch entscheidet er sich für die Gattungsbezeich- nung Roman. Das Buch findet sehr schnell sehr viele Leser. Ein Jahr nach Erscheinen ist es bereits eine halbe Million mal verkauft worden. In der DDR wird es in den Kanon der Schullektüre aufgenommen. Bis heute ist es in vielen Auflagen und Übersetzungen erschienen. Der große Erfolg des Romans legt eine Verfilmung nahe. Zunächst inter- essiert sich das Fernsehen der DDR für den Stoff. Zum „15. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald“, 1960, soll ein Film fertiggestellt sein. Die Regie übernimmt Georg Leopold. Der Fernsehfilm, am 10. April 1960 ausgestrahlt, wird in der Presse sehr gelobt. In der Gewerkschafts- zeitschrift Tribüne fordert der Kritiker, ihn in Kürze zu wiederholen und er bittet die DEFA und Bruno Apitz, einen Kinofilm Nackt unter Wölfen zu drehen. Eine solche öffentlich ausgesprochene Bitte beruht zumeist auf Weisungen. Vermutlich war über ein Filmprojekt schon positiv ent- schieden worden. 1962 beginnen die Dreharbeiten zum Kinofilm, die Regie übernimmt diesmal der dreißig Jahre alte Regisseur Frank Beyer. Nackt unter Wölfen entsteht unmittelbar nach dem Bau der Mauer. Der „antiimperialistische Schutzwall“ soll die „Republikflucht” verhindern. Ein nicht geringer Teil der künstlerischen Intelligenz begrüßt zunächst den Mauerbau, so schreibt Konrad Wolf im Neuen Deutschland: „Die Maßnahmen dienen unserer Sicherheit und Ruhe, nicht nur heute son- dern auch in Zukunft. Ich bin sofort ins DEFA-Studio gegangen und habe mich bei der Kampfgruppe gemeldet, der ich angehöre. Wer fragt, was ein Künstler mit einer Kampfgruppe zu tun hat, dem muß gesagt werden, daß es da keinen Unterschied gibt. Wir müssen Künstler und Kämpfer zugleich sein, und viele haben schon mit ihren Filmen demon- striert, daß sie es sind.”477 Bruno Apitz fühlt sich nun sicher und kom- 476 Apitz, Bruno: Nackt unter Wölfen. Roman. Halle/Saale, 1961 (1958), S. 5. 477 Wolf, Konrad, zit. nach Gersch, Wolfgang: Film in der DDR. Die verlorene Alterna- tive. In: Geschichte des deutschen Films. Hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 236 mentiert den Mauerbau an selber Stelle mit dem Satz: „Nicht mehr nackt unter Wölfen.“478 Frank Beyer beschreibt die Stimmung der Filmemacher in einem Inter- view von 1991 folgendermaßen: „Gerade nach dem Mauerbau haben wir gedacht, nun sind wir unter uns, jetzt ist die Grenze gesichert, wie das damals im offiziellen Sprachgebrauch hieß, und jetzt wollen wir uns kri- tisch über die Verhältnisse in der DDR auseinandersetzen.“ Beyer hat im Mauerbau weder eine „Bedrohung“ noch eine „Befreiung“ gesehen, eher eine „Niederlage, aber eine von der man sich vielleicht noch erholen kann.“479 Gedreht wird vom 4.5.1962 bis 10.9.1962 in den DEFA-Ateliers in Babelsberg und in Buchenwald selbst. Erstmals bei einem DEFA-Film wird in Cinemascope gedreht. Ein Redakteur der Gewerkschaftszeit- schrift Tribüne ist während der Dreharbeiten dabei und befragt den Regisseur, warum er gerade diesen Film macht. Frank Beyer: „Als wir den Plan faßten, den Roman zu verfilmen, kam mancher Einwand. Meistens sagte man, daß die Menschen so etwas nicht mehr sehen wol- len. Die DEFA hätte schon genügend darüber gebracht. In Wirklichkeit gibt es aber noch keinen Film, der den Widerstand der Häftlinge, ihren Kampf von innen heraus zeigt. Und wenn es angeblich niemand sehen will, so frage ich mich, warum das Buch zum ausgesprochenen Best- seller wurde?“480 Der knapp zweistündige Schwarz-Weiß-Film wird rechtzeitig fertig, so daß er am 10.4.1963, dem „18. Jahrestag der Be- freiung von Buchenwald“ in Ost-Berlin aufgeführt werden kann. II.4.2. Inhalt und Interpretation Der Film spielt im Frühjahr 1945. Im Lager Buchenwald verstecken Häftlinge ein polnisches Kind, das mit einem Transport aus Auschwitz gekommen ist, vor dem Zugriff der Nazis. Das Kind gefährdet die Ver- suche der geheimen Häftlingsorganisation, gegen ihre Peiniger vorzu- gehen, denn diese wissen von der Existenz des Kindes und foltern einen Häftling nach dem anderen, um das Versteck zu erfahren. Im engeren Hans Helmut Prinzler in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek Ber- lin. Stuttgart, Weimar, 1993, S. 339. 478 „Nicht mehr nackt unter Wölfen.“ Bruno Apitz, Nationalpreisträger. In: Neues Deutschland vom 15.8.1961, S. 4. 479 „Wir haben jetzt den Normalzustand.“ Interview mit Frank Beyer von Christiane Peitz. In: die tageszeitung vom 6.6.1991, S. 15. 480 Wertke, Werner: Begegnung mit der Vergangenheit. In: Tribüne (Ost-Berlin) vom 7.7.1962. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 237 Führungszirkel der Häftlingsorganisation entsteht Streit darüber, was mit dem Kind geschehen soll. Höfel spricht sich dafür aus, den Jungen auf einen der nächsten Transporte zu schicken, was seinen sicheren Tod be- deutet. Der Lagerälteste, Walter Krämer, läßt die Abschiebung nicht zu, und trotz aller Gefahren wird der dreijährige Junge für die Häftlinge zum Sinnbild des Lebens und der Mitmenschlichkeit. Die Amerikaner rücken näher, doch ist ungewiß, ob sie rechtzeitig kommen werden. Die Situa- tion spitzt sich zu. Im entscheidenden Augenblick beginnt der bewaff- nete Kampf. Die SS flieht, die Amerikaner treffen auf die Häftlinge, die sich selbst befreit haben. Das Kind ist gerettet. So der Film. Den historischen Tatsachen entspricht er nicht ganz. Ebenso die literarische Vorlage, deren Handlung auf die letzten zwei Monate vor der Befreiung beschränkt ist. Epische Überhöhung und die Verfremdung der Ereignisse und Akteure sind in der Literatur ein legitimes Mittel. Apitz selbst bezeichnet sein Werk als „Roman“. Im folgenden sollen vier Themen behandelt werden, die für die Interpretation des Films wichtig sind, zum einen geht es um das „Kind von Buchenwald“, zum anderen um die inneren Strukturen des vorwiegend von politischen Häftlingen selbstverwalteten Arbeitslagers, des weiteren um den Mythos der Selbst- befreiung und schließlich um die zwei Vergangenheiten des Lagers Buchenwald. Das „Kind von Buchenwald”, den dreijährigen polnisch-jüdischen Jungen, gibt es tatsächlich. Er heißt Stefan Jerze Zweig und wurde 1941 im Krakauer Ghetto geboren. Mit dem großen Erfolg des Romans und des Films Nackt unter Wölfen wächst das Interesse an seinem weiteren Lebensweg. Horst Knietzsch spekuliert, ob er heute [1963] vielleicht irgendwo in den USA lebt. Dann aber wird der Kritiker des Neuen Deutschland konkreter und behauptet: „Die amerikanischen Soldaten, die nach der Befreiung des Lagers durch die Häftlinge nach Buchenwald kamen, hörten von seinem erregendem Schicksal. Jemand nahm ihn mit sich, adoptierte ihn. Nachforschungen über sein weiteres Schicksal blieben bislang ergebnislos.“481 Adoptiert wurde der Junge mit Sicher- heit nicht, denn er und sein Vater haben Buchenwald überlebt. Nach seinem Militärdienst in Israel, heißt es bei Ulrich Teschner, habe Stefan Jerze Zweig in Potsdam-Babelsberg Kamera studiert und arbeite heute beim ORF.482 Anderen Quellen ist zu entnehmen, daß Stefan Jerze 481 Knietzsch, Horst: Ein Lied vom wahren Menschen. Nackt unter Wölfen in Berlin urauf- geführt. In: Neues Deutschland vom 11.4.1963, S. 4. 482 Teschner, Ulrich: „...die haben unseren Sozialismus nicht verstanden.“ In: Filmland DDR. Ein Reader zu Geschichte, Funktion und Wirkung der DEFA. Hrsg. von Harry Blunk und Dirk Jungnickel. Köln, 1990, S. 19. Teschner behauptet wie Knietzsch, Stefan J. Zweig habe im KZ seinen Vater verloren. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 238 Zweig in Frankreich studiert hat.483 Während des Frankfurter Auschwitzprozesses ist er als Zeuge aufgetreten. 1963 besucht er seinen Beschützer, den ehemaligen Buchenwald-Häftling Willi Bleicher, in Stuttgart. Szenen, die Peter Rocha 1982 für den Interviewfilm Sonst wären wir verloren... Buchenwaldkinder erinnern sich mit dem früheren Studienkollegen Zweig dreht, dürfen nicht verwendet werden. Die DDR- Staatssicherheit mißtraut Zweig, der in der israelischen Armee gedient hat. Im Roman und im Film entsteht der Eindruck, daß „Juschu“, so wird der Kleine in den Kritiken genannt, das einzige Kind in Buchenwald ge- wesen ist. Das ist nicht richtig. Richtig aber ist, daß die Überlebens- chancen von Kindern extrem gering waren. Im Herbst 1944 ging ein Transport mit Kindern und Jugendlichen nach Auschwitz, darunter der sechzehnjährige Zigeuner Willy Blum, der anstelle Stefan Jerze Zweigs auf die Todesliste gesetzt wurde. Nach der Evakuierung der weiter öst- lich liegenden Lager kamen einige Jugendliche wieder nach Buchen- wald, unter ihnen Elie Wiesel, Imre Kertész, Iszo Rosenmann und der spätere Oberrabbiner Israels, Rabbi Israel Meir Lau. Wiesel spricht „von vierhundert Jugendlichen ... der jüngste ist sechs oder acht Jahre alt.“484 Eugen Kogon berichtet in dem Kapitel „Kinder und Jugendliche in den KL“: „Etwa 15 Prozent der eingelieferten Minderjährigen waren weniger als zwölf Jahre alt, 85 Prozent zwischen zwölf und achtzehn Jahren. Im KL Buchenwald gab es zuletzt 877 Jugendliche, als jüngstes ein dreiein- 483 So schreibt Günter Petzold: „Nach der Befreiung fuhr Juschu zunächst mit seinem Vater nach Krakau zurück. Ein Jahr wartete der Vater vergeblich auf seine Frau und seine Tochter. Dann erfuhr er von dem schrecklichen Tod der beiden. Er ging dann mit Juschu zuerst nach Frankreich, wo Juschu lungenkrank wurde und zwei Jahre im Sana- torium lag, und 1949 nach Israel. Nachdem Juschu auch drei Jahre in der israelischen Armee gedient hatte, ging er wieder nach Frankreich, um dort eine Ingenieurschule zu besuchen. Dort erfuhr er dann, daß sein Lebensretter, Willi Bleicher, in Stuttgart lebt. Sein in Moskau lebender Onkel, der im Juli 1963 bei den Moskauer Filmfestspielen den das Schicksal Juschus behandelnden Film Nackt unter Wölfen (nach dem gleichnami- gen Roman von Bruno Apitz) gesehen hatte, hatte dem Autor die Adresse von Juschus Vater in Israel gegeben. Von Apitz, der Juschus Vater in Israel besuchte, hatte dann der Vater und von diesem dann der Sohn in Frankreich die Adresse Willi Bleichers erfah- ren. Beide schrieben sofort an Bleicher, der darüber so glücklich war, als hätte er einen verlorenen Sohn wiedergefunden.“ Petzold, Günter: Sie überlebten die Hölle von Buchenwald. In: Solidarität. Zentralorgan des Österreichischen Gewerkschaftsbunds. Nr. 177/178, März/April 1964, o.S. Siehe auch: „Mein Vater, was machst du hier ...?“ Zwischen Buchenwald und Auschwitz. Der Bericht des Zacharias Zweig. Frankfurt/M., 1987; Willi Bleicher. Ein Leben für die Gewerkschaften. Hrsg. von Georg Benz, Kurt Georgi, Leonhard Mahlein, Willy Schmidt. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1983. 484 Wiesel, Elie: Alle Flüsse fließen ins Meer. Autobiographie. Hamburg, 1995, S. 137. Die Geschichte von Kindern in Buchenwald erzählt auch Gisela Karau: Der gute Stern des Janusz K. Eine Jugend in Buchenwald. Berlin, 1994. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 239 halbjähriges polnisches Kind, dessen Karteikarte tatsächlich die Be- zeichnung ‚Partisan‘ trug.“485 Roman und Film geben nur bedingt Auskunft, wer im Lager Buchenwald inhaftiert gewesen ist und wie der Alltag der Häftlinge ausgesehen hat. Im Mittelpunkt stehen die politischen Häftlinge, ausnahmslos überzeugte Kommunisten. Nicht zu sehen sind die Häftlinge, die wegen ihrer Reli- gionszugehörigkeit, wegen ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus aufgrund nichtkommunistischer politischer Überzeugungen einsitzen, oder wegen ihrer sexuellen Neigung oder angeblich asozialen Verhaltens inhaftiert sind. Wir erfahren auch nichts über die Häftlings-Selbstver- waltung und die Rolle der roten Kapos in Buchenwald. Um überhaupt etwas für ihre Mithäftlinge erreichen zu können, mußten Widerständler Machtpositionen besetzen. Dadurch gerieten sie in Gefahr, mit dem Gegner zu kollaborieren. Nach der Befreiung der Lager wurden Vor- würfe laut, die organisierten Häftlinge hätten ihre Macht mißbraucht, indem sie eigene „wertvolle” Kader dadurch retteten, daß sie andere in den Tod schickten. Auch von „Säuberungen” in den eigenen Reihen ist die Rede. Hier wird deutlich, daß die Grenzen zwischen Tätern und Opfern nicht immer eindeutig sind. Die Nazis aber setzten bewußt - sowohl in den Ghettos als auch in den Lagern - auf ein System abge- stufter Macht innerhalb der Opfergruppe, um so Mißtrauen zu säen, aber auch, ganz pragmatisch, um nicht eigenes Personal einsetzen zu müssen. Seit 1938 hatten die bei den Nazis als diszipliniert geltenden Kommu- nisten Schlüsselpositionen der Selbstverwaltung einnehmen können, im Krankenrevier, in der Effektenkammer, beim Lagerschutz und in der so- genannten Arbeitsstatistik, wo entschieden wurde, wer welchem Arbeitskommando zugeteilt und wer weiter in die Vernichtungslager deportiert wurde. Diese Position hatte Willi Seifert inne, der als „graue Eminenz“ des Lagers galt. Bis 1983 war er Stellvertretender Minister des Innern der DDR.486 Welche Entscheidungs- und Handlungsspielräume die Häftlinge tatsächlich besessen haben, kann der Film natürlich nicht umfassend darstellen. Auffallend aber ist das Schweigen darüber, daß trotz mancher Solidaritätserfahrungen die Häftlingsgesellschaft keine egalitäre Solidargemeinschaft gewesen ist. Zu der herausgehobenen Rolle des kommunistischen Widerstands in der DDR-Geschichtsschreibung sowie in dem Roman und Film Nackt unter Wölfen paßt die Legende von der Selbstbefreiung des Lagers Buchen- wald. Zunächst ist festzuhalten, daß Buchenwald kein Vernichtungslager 485 Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Kinder und Jugendliche in den KL. 18. Aufl. München, 1974, S. 287. 486 Vgl. Niethammer, Lutz: Der gesäuberte Antifaschismus. Die SED und die Kapos in Buchenwald. Berlin, 1994. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 240 wie z.B. Auschwitz gewesen ist, dennoch sterben von den 238.980 Häft- lingen, die seit der Errichtung des Lagers im Juli 1937 dort inhaftiert gewesen sind, ungefähr 56.000. Sie kommen durch Ausbeutung, Hunger, Krankheit, Folter und Erschießungen ums Leben. Viele Insassen erleben den Tag der Befreiung von Buchenwald nicht. Als amerikanische Trup- pen am 11. April 1945 das Lager einnehmen, sehen sie Berge von Leichen. 21.000 Gefangene, darunter 4.000 Juden sind gerettet. Die Be- wohner der umliegenden Orte werden einige Wochen später gezwungen anzusehen, was in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft passiert ist. 61 Personen, Angehörige des Lagerpersonals, Zivilisten und drei Häftlinge werden 1947 wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ange- klagt, neun von ihnen zum Tode verurteilt. Der genaue Ablauf der Ereignisse läßt sich ziemlich lückenlos rekon- struieren. Anfang April 1945, als die Alliierten immer weiter vorrücken, spitzt sich die Situation im Lager zu. Die Häftlinge fürchten, im letzten Augenblick „evakuiert“ zu werden. Was das bedeutet, wissen sie von den wenigen in Buchenwald eintreffenden Häftlingen, die die Todes- märsche aus den östlicher gelegenen Lagern überlebt haben. Man fürch- tet außerdem die Bombardierung des Lagers durch die Deutschen. Von der Gestapo Weimar ergeht am 5. April der Befehl, 46 politische Häft- linge zu erschießen, darunter Bruno Apitz und Eugen Kogon. Die 46 werden im Lager versteckt. Am 6. April müssen mehr als 3.000 Juden zu Fuß Buchenwald verlassen, am 7. April sollen weitere 14.000 Mann zum Abmarsch bereit stehen. Die Befehle werden so schleppend wie möglich ausgeführt, jeder Fliegeralarm bedeutet einen Zeitgewinn. Die Träger des Widerstandes im Lager Buchenwald sind zum bewaffneten Aufstand bereit. Am Mittwoch, dem 11. April 1945, befinden sich noch 21.000 Men- schen im Lager. Die Amerikaner sind nur wenige Kilometer entfernt. Die SS bietet an, das Lager zu übergeben, gleichzeitig fordert sie von einem nahegelegenen Flugplatz Tiefflieger zur Vernichtung des Lagers an. Doch schließlich zieht die SS ab. Eugen Kogon schreibt: „Die Würfel waren gefallen. Zurück blieben die Posten auf den Wachtürmen, die sich beim näher und näher kommenden Schlachtenlärm kurz vor 15 Uhr in den umliegenden Wald zurückzogen, worauf die Kameraden des Lager- schutzes, die bewaffnet in Deckung lagen, sofort den Stacheldraht durch- schnitten, die Türme ihrerseits besetzten, das Tor am Lagereingang nahmen und die weiße Fahne auf Turm 1 hißten. So fanden die ersten II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 241 amerikanischen Panzer, die vom Nordwesten her anrollten, das befreite Buchenwald vor.“487 Ob sich die Häftlinge selbst oder aber die Amerikaner das Lager befreit haben, ist eine Frage der Einschätzung der damals herrschenden Lage. Das Heranrücken der Amerikaner ließ die SS die Flucht ergreifen, das wiederum ermöglichte den Trägern des Widerstands, aktiv zu werden. Fest steht, daß es im Lager Buchenwald ein illegales internationales Lagerkomitee und eine illegale internationale Militärorganisation gege- ben hat, denen vor allem Kommunisten angehörten. Sie haben die ent- scheidenden Posten im Lager besetzt und Waffen ins Lager geschmug- gelt. Während Kogon das Eintreffen der Amerikaner auf den 11. April nachmittags datiert, werden in Apitz’ Roman und Beyers Film die Akti- vitäten der Häftlinge als bewaffnete Selbstbefreiung beschrieben, ohne daß Amerikaner beteiligt sind. Ebenso steht in dem Bericht ehemaliger KZ-Häftlinge zu lesen, daß am 11. die Selbstbefreiung stattfand, am 13. erst die „Übernahme des befreiten Lagers durch eine Abteilung der II. US-Armee.“ Daß US-amerikanische Truppen am 11. April im Lager eintreffen, verzeichnet der Bericht nicht.488 Die in Cinemascope gedrehte Schlußeinstellung des Films zeigt, wie die Häftlinge jubelnd auf den Appellplatz und Richtung Lagertor strömen. Hans Müncheberg kom- mentiert diese Szenen als „legitim über die tatsächlichen Vorgänge hin- aus dramatisiert, aber nicht hochstilisiert: die Selbstbefreiung der Häft- linge in Buchenwald.“489 In anderen Texten wird das Ende des Terrors weniger pathetisch darge- stellt. Elie Wiesel, dessen Vater kurz vor der Befreiung stirbt, notiert: „11. April 1945: Buchenwald wird befreit, Verzeihung: Das Lager hat sich selbst befreit. Die bewaffneten Widerstandskämpfer kommen aus dem Untergrund hervor und erheben sich wenige Stunden vor dem wunderbaren Erscheinen der ersten amerikanischen Truppen.“490 Imre Kertész hört im Krankenblock die Lautsprecherdurchsagen in allen Sprachen, auch in ungarisch: Wir sind frei! „Aber ich konnte achtgeben, auch bei ihnen war, wie bei allen anderen vorher, nur von Freiheit die Rede und keine Andeutung, kein Wort von der noch ausstehenden 487 Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. 18. Aufl. München, 1974, S. 362. 488 Vgl. Buchenwald, ein Konzentrationslager. Bericht der ehemaligen Häftlinge Emil Carlebach, Paul Grünewald, Helmuth Röder, Willy Schmidt, Walter Vielhauer. Berlin, 1986, S. 137-149 und S. 186. 489 Müncheberg, Hans: Vom Bildschirm ins Kino. Noch einmal Nackt unter Wölfen 1963. In: Regie: Frank Beyer. Hrsg von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam. Berlin, 1995, S. 181. Dieselbe Formulierung wählt Klaus Wischnewski: Nackt unter Wölfen 1963. In: Regie: Frank Beyer. A.a.O., S. 178. 490 Wiesel, Elie: Alle Flüsse fließen ins Meer. Autobiographie. Hamburg, 1995, S. 135. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 242 Suppe.“491 Am 16. April beginnt eine vom US-Nachrichtendienst beauf- tragte Gruppe ehemaliger Häftlinge, den Lageralltag zu dokumentieren. Es werden Interviews geführt und ein Abschlußbericht verfaßt, der die Grundlage für Eugen Kogons berühmtes Buch Der SS-Staat bildet. Der Umgang mit der Geschichte des Lagers Buchenwald ist bis 1990 geprägt durch die Selbstdefinition der DDR als erster deutscher soziali- stischer und antifaschistischer Staat. Die Rechtsnachfolge des Dritten Reichs lehnt sie ab, der „Antifaschismus“ wird gleichsam Staatsreligion. Die Bezeichnung „faschistisch/antifaschistisch“ ist die übliche, zudem kapitalismustheoretisch verankerte, die Bezeichnung „nationalsoziali- stisch“ wird hingegen im offiziellen Sprachgebrauch vermieden, um nicht unerwünschte Assoziationen hervorzurufen. Die Gedenkstätten- politik der DDR ist dadurch gekennzeichnet, daß insbesondere, z.T. aus- schließlich, der kommunistische Widerstand gewürdigt wird. Die zahl- reichen Besucher des Lagers Buchenwald erfahren kaum etwas über die nichtkommunistischen Opfer der Nazis und sie erfahren nicht, daß nach der Befreiung das Lager bald wieder als Internierungslager genutzt wor- den ist. Inhaftiert werden nach der Übergabe des Lagers an die Sowjets im Juli 1945 nicht nur NS-Verbrecher, sondern auch andere politisch mißliebige Personen. Erst nach der Vereinigung 1990 und der Ent- deckung von Massengräbern beginnen Wissenschaftler, die zwei Ver- gangenheiten des Lagers Buchenwald zu untersuchen. 1997 wird auf dem Gelände des ehemaligen KZ eine Dauerausstellung eröffnet zur Erinnerung an das sowjetische Speziallager Nr. 2 aus den Jahren 1945- 1950. Dort sind mehr als 28.000 Menschen inhaftiert gewesen, ca. 7.000 sind infolge von Hunger und Krankheiten gestorben. Die zwei Vergangenheiten des Lagers Buchenwald spalten in den neun- ziger Jahren die öffentliche Meinung. Das Internationale Buchenwald- komitee fürchtet, daß mit dem Hinweis auf das sowjetische Speziallager der kommunistische Widerstand diskreditiert werden soll und daß es zu einer Gleichsetzung von Nazi- und SED-Diktatur kommt. Politiker und der Leiter der Gedenkstätte, Volkhard Knigge, betonen, daß das Leid und der Widerstand der Häftlinge des NS-Regimes nicht verharmlost werde und insgesamt die Aufarbeitung und Darstellung des Speziallagers Nr. 2 der zum NS-Lager nachgeordnet bleibe. Nach fünf Jahrzehnten des Schweigens dürfe man aber nicht länger diesen Teil der Geschichte des Lagers aussparen. Es gehe um eine sachliche Darstellung der Fakten fern jeder Ideologie – auch wenn das für manche schmerzhaft sei. Die bishe- rige Gedenkstättentradition der DDR, wie sie Buchenwald präsentiert, könne nicht unangetastet bleiben. Eine Neukonzeption der gesamten 491 Kertész, Imre: Roman eines Schicksallosen. Berlin, 1996, S. 258. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 243 Anlage soll den Besuchern ermöglichen, sich ein eigenes Bild zu machen.492 In einem Gespräch, mehr als dreißig Jahre nach Nackt unter Wölfen, stellt Ralf Schenk dem Regisseur Frank Beyer die Frage, wie authentisch der Film sei. Beyer spricht über Kinder in Buchenwald, die Lagerver- waltung durch politische Häftlinge und über die internationale Wider- standsgruppe, die über Waffen verfügt hat, und er nennt die Dinge, die der Film ausspart: „... das ‚Kleine Lager‘, in dem schlimme Zustände herrschten, oder die Erschießungen von russischen Kriegsgefan- genen.“493 Zu der Schlußszene meint Beyer: „Ein wenig überhöht in Buch und Film ist die Befreiung. Ich weiß nicht, ob tatsächlich Tausende von Häftlingen auf das Tor zugelaufen sind. Mich hat aber auch nicht interessiert, ob das der Realität entsprach. Ich wollte diesen großen Gegensatz zeigen: Die Euphorie der Masse, die sich befreit fühlt, und das weinende Kind, das nichts versteht, unter dem Arm des Lagerälte- sten Krämer. Das schien mir ein großes filmisches Finale zu sein.“494 II.4.3. Mitwirkende Stab Regie Frank Beyer Buch Frank Beyer und Bruno Apitz Produktionsleitung Hans Mahlich Aufnahmeleitung Heinz Fröhlich, Oscar Ludmann, Leonhard Pawlaczyk Kamera Günter Marczinkowsky Bauten Alfred Hirschmeier, Willi Schäfer Licht Günter Müller Schnitt Hildegard Conrad Ton Bernd Gerwin Kostüme Günter Schmidt Maske Kurt Tauchmann, Ruth Kwiatkowski 492 Vgl. Klose, Dirk: Dem NS-Terror folgten die stalinistischen Unterdrücker. In: Das Parlament, Nr. 24 vom 6.6.1997, S. 11. 493 Beyer, Frank, zit. nach Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. In: Regie: Frank Beyer. Hrsg von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam. Berlin, 1995, S. 39. 494 Ebenda. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 244 Darsteller Krämer, Lagerältester Erwin Geschonnek Bochow Gerry Wolff Höfel Armin Mueller-Stahl Kropinski Krzysztyn Wójcik Pippig Fred Delmare Rose Peter Sturm Bogorski Wiktor Awdjuschko Jankowski Boleslaw Plotnicki Pribula Zygmunt Malanowicz Kodiczek Jan Pohan Zidkowski Leonid Swetlow das Kind Jürgen Strauch der alte Mann Bruno Apitz Mandrill Fred Ludwig Reineboth, Rapportfürer Erik S. Klein Zweiling Wolfram Handel Hortense, Zweilings Frau Angela Brunner Kluttig Herbert Köfer Schwahl Schwahl Heinz Scholz Weisangk Joachim Tomaschewsky Wunderlich Günter Rüger Gey Gerd Ehlers Der Regisseur Frank Beyer, geboren 1932 in einem Dorf in Thüringen, arbeitet ab 1950 als Kreissekretär des Kulturbundes in Altenburg und ist Dramaturg und Regie-Assistent am Kreistheater Crimmitschau. 1952 beginnt er ein Regie-Studium an der Prager Filmhochschule und arbeitet nebenbei als Regieassistent bei der DEFA. Für seinen ersten Spielfilm Zwei Mütter, 1957, erhält er das Regie-Diplom als Hochschulabschluß. Es folgen Eine alte Liebe, 1958, ein Film über die Kollektivierung der Landwirtschaft, und Fünf Patronenhülsen, „ein wortkarges Action- Drama“495, bzw. ein „politischer Abenteuerfilm“496, der von den Mit- gliedern einer Internationalen Brigade im Spanischen Bürgerkrieg er- zählt. In Königskinder, 1961/62, geht es um das Problem von Anpassung und Widerstand zur Zeit des Nationalsozialismus. Dieser Film arbeitet viel mit Rückblenden, die die Vorgeschichte der drei Protagonisten er- 495 Blumenberg, Hans C.: Frank Beyer. Die unzerstörbare Menschenwürde. In: Film in der DDR. Mit Beiträgen von Heiko R. Blum u.a. München, Wien, 1977, (= Reihe Film 13), S. 103. 496 Frank Beyer. In: Cinegraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. Hrsg. von Hans- Michael Bock. München, 1984 ff. (Loseblattsammlung, Lieferung Nr. 5, B1). II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 245 zählen. Er besticht durch seine expressive Kameraführung und Montage sowie den Einsatz von Licht und Schatten. Zum Teil werden Beyers formale Experimente in den DDR-Rezensionen kritisiert, Hans C. Blumenberg lobt Beyer als den „vielleicht brillantesten Handwerker des DDR-Kinos.“497 Sein nächster Film, Nackt unter Wölfen, thematisiert wiederum Vergangenes: das Ende das Lagers Buchenwald und die Rettung eines dreijährigen polnisch-jüdischen Kindes. Hier wird die Chronologie der Ereignisse beibehalten, Musik wird nicht eingesetzt, „... nur zum Schluß ein paar Klangeffekte, die in die Geräusche eingeordnet sind“498, es gibt keine stilistischen Experimente, sondern „sozialistischen Realismus“ mit „positiven Helden“. Beyer orientiert sich an der literarischen Vorlage des Bruno Apitz und arbeitet eng zusammen mit dem Autor, der selbst in Buchenwald inhaf- tiert gewesen ist. Apitz, 1900 in Leipzig geboren, ist seit 1927 Mitglied der KPD. Zwischen 1917 und 1945 wird er aus politischen Gründen mehrmals verhaftet. Zuletzt kommt er nach Buchenwald. Kurz vor der Befreiung im April 1945, steht er gemeinsam mit 45 anderen politischen Häftlingen auf einer Sonderliste der SS. Sie sollen „liquidiert“ werden. Ihre Genossen verstecken sie jedoch und Apitz überlebt. Nach dem Krieg arbeitet er als Redakteur der Leipziger Volkszeitung, Dramaturg bei der DEFA und ist kurze Zeit Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen Leipzig. Währenddessen arbeitet er an dem Roman Nackt unter Wölfen, der Schriftstellerverband der DDR lehnt es zunächst aber ab, das Vorhaben zu finanzieren. Der Roman erscheint erst 1958, wird allerdings schnell zu einem großen literarischen Erfolg - Apitz‘ einzigem. In Beyers Verfilmung des Romans übernimmt Apitz selbst eine kleine, freilich nicht unwichtige Rolle. Er spielt einen alten Mann, der während der Befreiung des Lagers stirbt. Neben Bruno Apitz kann Beyer noch zwei weitere Zeitzeugen des Nazi- Terrors in den Lagern für seinen Buchenwald-Film gewinnen. Zum einen Erwin Geschonneck, der den Lagerältesten Krämer spielt, zum anderen Peter Sturm, der den Häftling Rose spielt. Den Krämer soll zu- nächst Ernst Busch darstellen, der aber sagt wegen Krankheit ab. Geschonneck, 1906 im ostpreußischen Bartenstein geboren, emigriert als KPD-Mitglied während der NS-Zeit über Prag nach Moskau, wird fest- genommen und muß sechs Jahre in verschiedenen Lagern verbringen. Seine Karriere als Schauspieler beginnt nach dem Krieg, 1946 bei den Hamburger Kammerspielen. Er arbeitet mit den Regisseuren Helmut 497 Blumenberg, Hans C.: Frank Beyer. Die unzerstörbare Menschenwürde. A.a.O., S. 108. 498 Beyer Frank, zit. nach Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. A.a.O., S. 46. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 246 Käutner, Wolfgang Liebeneiner, Arno Asmann, Günther Rennert, Erich Pabst zusammen und spielt im Berliner Ensemble den Knecht Matti in Bertolt Brechts Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti. Die DDR ehrt ihn mit sechs Nationalpreisen, 1992 erhält er für seine Verdienste um die deutsche Kultur das Filmband in Gold. Jurek Beckers und Frank Beyers für den Oscar nominierter Film Jakob, der Lügner, in dem er den Kowalski spielt, und Nackt unter Wölfen bleiben für Geschonneck seine wichtigsten Filme. Frank Beyer hat ihn lange bearbeiten müssen, die Rolle des Lagerältesten Krämer zu spielen. Zu nahe sind die eigenen Erfahrungen. Als Blockältester in Dachau hat er überlebt, wäre aber bei- nahe unter den 4000 KZ-Häftlingen gewesen, die durch die Bombardie- rung der Cap Arkona ums Leben gekommen sind. Als Nackt unter Wölfen 1968 mit großem Erfolg auch in Westdeutschland gezeigt wird, spricht der Schauspieler in Heidelberg und Frankfurt über sein Leben und seine Filme. Anders als viele seiner Schauspielerkollegen begrüßt Geschonneck 1976 die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Peter Sturm, in Österreich geboren, ist während der NS-Zeit neun Jahre in Haft gewesen. Er spielt sowohl in dem Fernsehfilm als auch in dem Kinofilm den Häftling August Rose, der aus Angst vor der Folter zum Verrat bereit ist. Er ist die Gegenfigur zu Pippig, der trotz Folter schweigt und das mit dem Leben bezahlt. Rose, von Anfang an in Buchenwald, will nicht „kurz vor dem Ende noch draufgehen.“ Im Roman erfährt der Leser, daß Rose verhaftet worden ist, weil er „für seine Partei noch kassiert“499 hat, als die Nazis die Opposition schon ausgeschaltet hatten. Offensichtlich ein SPD-Kassenwart. Fred Gehler befaßt sich in seiner Kritik mit dieser Figur: „Rose versagt, wird schwach in der entscheidenden Stunde. Die Schöpfer des Films ent- schuldigen ihn nicht, diffamieren ihn aber auch nicht moralisch. Sie ver- suchen, seine Haltung zu begreifen. So zeigen sie sein Ringen, seinen erschütternden Kampf gegen seine eigene Schwäche. Rose wird zu einer tragischen Figur, ist kein bloßer Kapitulant.“500 Sturm, der schon bei Eine alte Liebe mit Beyer zusammengearbeitet hat, nehmen die Arbeiten an Nackt unter Wölfen sehr mit, er ist nach Drehschluß lange Zeit krank. Den Höfel in Nackt unter Wölfen besetzt Beyer mit Armin Mueller- Stahl, der auch in seinen Filmen zuvor, Fünf Patronenhülsen und Königskinder, mitgespielt hat. Mueller-Stahl ist seit 1952 Schauspieler am Theater am Schiffbauerdamm, außerdem Ensemblemitglied der Volksbühne. Bis 1976 spielt er in mehr als 60 DEFA-Filmen mit. 499 Apitz, Bruno: Nackt unter Wölfen. Roman. Ungek. Ausgabe. München, 1995 (1958), S. 252. 500 Gehler, Fred. Nackt unter Wölfen. In: Sonntag (Berlin-Ost), Nr. 15 vom 14.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 247 Mueller-Stahl unterzeichnet die Protestresolution gegen die Biermann- Ausbürgerung, daraufhin werden laufende Verträge gekündigt, neue Engagements bekommt er nicht. „Lieber einen Knick in der Biographie als im Rückgrat”, meint Mueller-Stahl. Er geht in den Westen, wo er seine Karriere fortsetzen kann. Mueller-Stahl ist heute einer der wenigen auch international gefragten deutschen Schauspieler, berühmt für seine akribische Vorbereitung und seine Wandlungsfähigkeit. In allen seinen Arbeiten zeigt sich ein besonderes Interesse an der jüngsten deutschen Geschichte. Spielt er in Nackt unter Wölfen einen politischen Häftling in Buchenwald, so verkörpert er in einem späteren Werk Das Biest (so der Titel des Films) schlechthin: Adolf Hitler als Untoten, der den Nachge- borenen keine Ruhe läßt. In den DDR-Kritiken wird die Solidarität der Häftlinge aus allen Län- dern besonders betont und eine Verbindung hergestellt zu den aktuell engen Beziehungen zwischen den „sozialistischen Bruderstaaten“, aus denen die Schauspieler Krystyn Wojcik, Wiktor Awdjuschko und Boleslaw Plotnicki stammen. Der in der Nähe von Majdanek aufgewach- sene Krystyn Wojcik erklärt dementsprechend, der Film bringe „... die Brüderlichkeit zwischen den Nationen zum Ausdruck. Und das wird hier durch die gemeinsame Arbeit erneut erhärtet.“501 Gelobt wird auch der Schauspieler Fred Delmare. Er hat in Teufelskreis von 1956 den Marinus van der Lubbe gespielt. In dem Fernsehfilm Nackt unter Wölfen stellt er den Häftling Pippig dar. Neben Peter Sturm und dem Darsteller eines SS-Manns gehört Delmare zu den Schauspielern, die für den Kinofilm übernommen werden. Seine Figur des Pippig, des Häftlings mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, der sich von Anfang an für die Rettung des Kindes ausspricht, hat die Zuschauer bewegt. Peter Edel lobt in der Weltbühne: „Er gibt das gültige Porträt eines der Tausenden von schlichten Arbeitern, die den heldenhaften Kampf, den sie bestanden, als selbstverständliche Pflicht ansahen ... .“502 Die Kritikerin des DDR- Filmspiegels, Erika Richter, erkennt in Delmares Pippig „eine echte Volksfigur“, seine „Hintergründigkeit“ würde „... zuweilen an den Schweik erinnern“.503 501 Wertke, Werner: Begegnung mit der Vergangenheit. In: Tribüne (Berlin-Ost) vom 7.7.1962. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde 502 Edel, Peter: Das Kind vom Ettersberg. Gedanken über ein kleines Bild und einen großen Film. In: Die Weltbühne (Berlin-Ost). Zeitschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 18. Jg., Nr. 19 vom 8.5.1963, S. 601. 503 Richter, Erika: Romangestalten auf der Leinwand. In: Filmspiegel 8/1963. Nachge- druckt in: Spielfilme der DDR im Urteil der Kritik. Ausgewählte Rezensionen 1946- 1969. Mit einer Bibliographie. Hrsg. vom Institut für Filmwissenschaft. Berlin (Ost), 1970, S. 249-251. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 248 Dem Lob für die Darsteller der Häftlinge folgt in den DDR-Kritiken eine Gesamtabrechnung mit „den Faschisten“, wobei z.B. Erika Richter in ihrer Charakterisierung des SS-Manns Zweiling Formulierungen wählt, die an Hetzartikel aus früheren Zeiten erinnern: „Die geistige Infantilität, sein dümmliches Mißtrauen, seine lächerliche, von jedem durchschau- bare Schlauheit, seine Unsicherheit, Würdelosigkeit und absolute Gefühllosigkeit sind durch den Schauspieler Wolfram Handel in einem frappierendem Maße getroffen.“ Dieser Zweiling sei „ein geistiger und seelischer Krüppel. Ein System, das sich einer solchen Kreatur bedient, ja, sie sogar fördert, ihr Macht einräumt, ist damit gerichtet.“504 Wenig- stens unterscheiden die Rezensenten zwischen den Figuren im Film und ihren Darstellern, meinen aber, daß nur unter größter Anstrengung ein sozialistischer Schauspieler einen Nationalsozialisten spielen kann.505 Die Besetzungsliste für Nackt unter Wölfen zeigt, daß Beyer zum einen Wert darauf gelegt hat, mit Schauspielern zusammenzuarbeiten, die er kennt, zum anderen solche zu verpflichten, die ihm aufgrund eigener Erfahrungen helfen können, eine Szene realistisch zu gestalten. Der Film zeigt vor allem das politische Wirken der aus überzeugten Kommunisten bestehenden geheimen Häftlingsorganisation. In ihr sind diejenigen ver- sammelt, die nach den Kriterien des „Sozialistischen Realismus“ als „positive Helden“ bezeichnet werden können. Vorbilder allesamt, und so ist der Film wie es Alexander Abusch auf der zweiten SED-Filmkonfe- renz 1958 gefordert hat, eine „... einprägsame, packende, parteiliche Darstellung positiver Gestalten unserer Arbeiterklasse“ und zeigt „... die Gestalt des sozialistischen Kämpfers in seinen Schicksalen, Leiden und Freuden, Niederlagen und Siegen, in seinem geschichtlich notwendigen Aufstieg gegen die zum Untergang verurteilten Mächte der alten kapita- listischen Gesellschaft.“506 Verkörpert der schweigsame Höfel Rationa- lität, wo er verlangt, das Kind fortzuschicken, verkörpert Pippig Emotio- nalität, „Herz und Schnauze“. Erwin Geschonneck in der Rolle des Anführers Krämer ist sowohl verstandesgeleitet als auch gefühlvoll und benennt den Konflikt, in dem er sich als Lagerältester befindet: „Ich schicke Menschen in den Tod, um Menschen zu retten.“ Wie August Rose sagt er einmal: „Ich will leben, nicht kaputtgehen kurz vor dem 504 Ebenda. 505 Vgl. Robert Siewert, ehemaliger Kapo der Bauarbeiter des KZ Buchenwald: „Ich kann mir vorstellen, daß es den Schauspielern besonders schwer fällt, sich in die negativen Typen einzuleben.“ Zit. nach Knietzsch, Horst: Ein Lied vom wahren Menschen. Nackt unter Wölfen in Berlin uraufgeführt. In: Neues Deutschland vom 11.4.1963, S. 4. 506 Abusch, Alexander: Aktuelle Probleme und Aufgaben unserer sozialistischen Film- kunst. In: Deutsche Filmkunst, Nr. 9/1958, S. 265f., zit. nach Kersten, Heinz: Das Filmwesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Hrsg. vom Bundesmini- sterium für gesamtdeutsche Fragen. Bonn, Berlin, 1963, S. 43. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 249 Ende.“ Dieser Lebenswille würde bei ihm jedoch nicht dazu führen, daß er seine Ideale verrät. Krämer eint in sich die Charaktereigenschaften des „neuen Menschen“ und des „anständigen Deutschen“. Im Gegensatz dazu die SS-Schergen. II.4.4. Resonanz Uraufgeführt wird Nackt unter Wölfen am 10.4.1963 im Ost-Berliner Kino Colosseum. Es ist der 18. Jahrestag der Befreiung des Lagers Buchenwald. Vorab hat es schon eine Aufführung speziell für ehemalige Buchenwaldhäftlinge gegeben, worüber das Neue Deutschland am 7.4. berichtet. Dabei zitiert das Parteiorgan ausführlich die überlebenden Kommunisten Walter Bartel, Heinz Gronau, Harry Kuhn, Erich Reschke. Nach einem Jahr haben 806.915 Zuschauer den Film gesehen, bis 1976 sind es mehr als eineinhalb Millionen, bis 1994 zweieinhalb. Im deut- schen Fernsehfunk läuft der Film am 11. und 12.9.1966, am 20.1.1971, 1.3.1972, 10.1.1973, 4.3.1974, 19.1.1976507 und vermutlich genauso häufig in den achtziger Jahren. Nackt unter Wölfen kennt daher - ob von der Schullektüre oder als Film - fast jeder Bürger der DDR. Im April 1995, zum 50. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds, zeigt der MDR den Film zur Primetime am Samstagabend. Am 27.1.1997, dem offiziellen Holocaust-Gedenktag, läuft er wiederum im MDR (22.45 - 0.45h), am 27.1.1999 um 23 Uhr im Hessen-Fernsehen. Nackt unter Wölfen wird gleich nach seinem Start in Ost-Berlin auch in Polen und in der Tschechoslowakei aufgeführt. Der Prager Korrespon- dent der westdeutschen Zeitung Die Tat berichtet von der Premiere, bei der der tschechoslowakische Justizminister, selbst ein Buchenwaldhäft- ling, anwesend ist. Der Artikel enthält den Satz: „Hoffen wir, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik bald Gelegenheit erhält, diesen Film anzusehen.“508 Dort ist er einige Jahre nur in Sondervorstellungen zu sehen, so z.B. im Frankfurter Turmpalast im März 1964 oder im Münchener Arri-Filmtheater, wo sich im April 1964 über 700 Zuschauer versammeln. Erst 1968 findet sich ein Verleih. Inzwischen ist Nackt unter Wölfen in allen europäischen Ländern, Ost wie West gelaufen, außerdem in den USA, Kanada, Guinea, Äthiopien, Moçambique, China und Chile. 507 Vgl. Regie: Frank Beyer. Hrsg. von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam. Berlin, 1995, S. 283. 508 Kraus, F.R.: Ein echter antifaschistischer Film. Der Siegeszug des DEFA-Films. In: Die Tat (Frankfurt/M.) vom 4.5.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 250 Der Film gewinnt 1963 während der Internationalen Filmfestspiele in Moskau zwar nicht den Großen Preis, den spricht die internationale Jury - laut Beyer zu Recht - Frederico Fellini für 8½ zu, doch Beyer erhält den Regiepreis und wird im selben Jahr mit dem Nationalpreis der DDR 1. Klasse geehrt. Den hatte auch schon Bruno Apitz für seinen Roman Nackt unter Wölfen bekommen. 1965 wird der Film während der Cine- parade in Melbourne mit dem Ehrendiplom ausgezeichnet. Die Evange- lische Filmgilde (Frankfurt/Main) empfiehlt ihn im März 1968 als „Besten Film des Monats“, die Filmbewertungsstelle Wiesbaden verleiht das Prädikat „wertvoll“. II.4.5. Filmkritiken In der ostdeutschen Presse wird der Film vorab besprochen und sehr gelobt. Ehemalige Häftlinge des Lagers Buchenwald haben Gelegenheit, den Film vor der Premiere zu sehen. Ihnen räumt das Neue Deutschland großzügig Platz ein, in das Lob einzufallen. Harry Kuhn, militärisch Verantwortlicher des Lagerkomitees von Buchenwald, 1963 Mitarbeiter im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, stellt fest: „Der Film füllt eine spürbare Lücke in der Geschichte der Konzentrationslager aus. Er ist ein Dokument des Aufstandes und der Selbstbefreiung des Lagers Buchenwald. Das unterscheidet ihn von anderen KZ-Filmen, die ihr Schwergewicht auf die Leiden der Häftlinge legen.”509 Heinz Gronau, ehemaliger Lagerelektriker, 1963 Kommandeur des Wachregiments Berlin, gefällt an dem Film, „daß er den proletarischen Internationalis- mus hervorragend zum Ausdruck bringt.”510 Als der Film zum 18. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald offiziell anläuft, jubelt das Neue Deutschland: „Mit Nackt unter Wölfen haben die Filmschaffenden unseres Landes eine nationale Verpflichtung erfüllt. Zum ersten Male im deutschen Film sind die menschliche Größe, der Mut, die revolutionäre Leidenschaft und die internationale Solidarität der ‚Politischen‘ in den faschistischen Konzentrationslagern in den Mittel- punkt eines Spielfilms gestellt worden. ... Dieser Film wird in die Geschichte der sozialistischen deutschen Filmkunst ... eingehen.”511 In den ostdeutschen Rezensionen wird auf die antifaschistische Tradition der DEFA hingewiesen, auf Filme wie Die Mörder sind unter uns, Ehe 509 Nackt unter Wölfen - ein großer Wurf. Vor der Premiere eines bedeutenden Filmkunst- werks. In: Neues Deutschland vom 7.4.1963, S. 4. 510 Ebenda. 511 Knietzsch, Horst: Ein Lied vom wahren Menschen. Nackt unter Wölfen in Berlin urauf- geführt. In: Neues Deutschland vom 11.3.1963, S. 4. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 251 im Schatten, Rat der Götter, Stärker als die Nacht, Thälmann, Professor Mamlock, Sterne, Königskinder, Fünf Patronenhülsen. Nackt unter Wölfen aber sei der erste Spielfilm über ein faschistisches Konzentra- tionslager und „als eine Krönung jener Filme anzusehen, die von der DEFA über diese Thematik geschaffen wurden.“512 „Nur gesetzmäßig“ sei, „daß in jenem Staat, in dem der Ungeist von Buchenwald restauriert wurde, auch kein Filmwerk entstehen konnte, das einer jungen Genera- tion Einblick ins Wesen des Faschismus gibt ... .“513 Daß die Häftlinge „keine stumm duldende graue Menschenmasse“ sind und der Film „nicht die Geschichte des Martyriums, sondern die des Widerstands“514 erzählt, betonen die DDR-Rezensenten ebenso wie die internationale Solidarität der Kommunisten damals und heute. So finden sich in allen Kritiken Überlegungen, wie aktuell ein Film über ein deut- sches Konzentrationslager ist. Fred Gehler, der spätere Direktor des Leipziger Dokumentarfilmfestivals, schreibt in der Wochenzeitung Sonntag, das KZ sei eine„... Stätte der extrem zugespitzten Klassen- kampfsituation. Die beiden Wege der deutschen Entwicklung werden deutlich.“ Und er stellt fest: „Ein Buchenwaldfilm 1963 kommt an der Tatsache nicht vorbei, daß die 1945 im Lager existierenden Fronten inzwischen ihre politische Inkarnation in zwei deutschen Staaten und ihren Repräsentanten gefunden haben.“515 Der Kritiker des Neuen Deutschland, Horst Knietzsch, betont ebenso das Fortwirken der Nazi- Verbrecher in der bundesrepublikanischen Gesellschaft: „Nicht alle Verantwortlichen für die Verbrechen sind zur Verantwortung gezogen worden. Viele von ihnen sind zum Beispiel in Westdeutschland wieder in entscheidenden Positionen. Sie tragen nicht mehr die alten Uniformen, sie geben sich demokratisch, oft in der Maske des Biedermannes.“516 Als „Schlüsselszene“ nennen die Rezensenten „das Vertauschen der Mörder- uniform mit Zivil.“517 Gemeint ist die Szene, in der der SS-Mann Zweiling – sein Name deutet schon auf den opportunistischen Charakter dieser Figur - seiner Frau erklärt, „warum ihm das Judenbalg noch einmal nützlich sein kann“. Er ahnt, daß es „bald einmal andersherum 512 Edel, Peter: Das Kind vom Ettersberg. Gedanken über ein kleines Bild und einen großen Film. In: Die Weltbühne. Zeitschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 18. Jg., Nr. 19 vom 8.5.1963, S. 597. 513 A.a.O. 514 H.U. (= Helmut Ullrich): Vom Triumph menschlicher Würde. In: Neue Zeit vom 11.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 515 Gehler, Fred: Nackt unter Wölfen. In: Sonntag (Berlin-Ost), Nr. 15 vom 14.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 516 Knietzsch, Horst: Ein Lied vom wahren Menschen. A.a.O. 517 Vgl. Gehler, Fred: Nackt unter Wölfen. A.a.O und Edel, Peter Das Kind vom Etters- berg. A.a.O., S. 599. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 252 kommt“. Dann kann er sich als Beschützer des Kindes darstellen und ansonsten auf Befehlsnotstand herausreden. Seine zivile Kleidung hat er schon bereit gelegt. Den Zuschauern wird durch diese Szene verdeut- licht, daß Typen wie Zweiling zwar ihre äußere Erscheinung verändern können, im inneren aber Verbrecher bleiben. Die DDR-Rezensenten gehen in ihrer Deutung noch einen Schritt weiter und behaupten, daß die Zweilinge in Westdeutschland nichts zu befürchten hätten. Im bundesdeutschen Feuilleton wird der Film zunächst kaum erwähnt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet im Juli 1963, daß ausge- wählte westdeutsche Journalisten während der Berliner Filmfestspiele eingeladen gewesen sind, Nackt unter Wölfen anzusehen. In der Kritik heißt es: „Der Film ist breit angelegt, es gelingt ihm nicht ganz, sich der Schwarzweißmalerei zu enthalten, das Niveau der berühmten DEFA- Filme Die Mörder sind unter uns und Der Untertan erreicht er nicht. Trotzdem: das Ganze ist sauber gearbeitet.“518 Ein Verleih findet sich für den Film in Westdeutschland nicht, was einige wenige Filmkritiker ver- anlaßt zu fragen: „Warum wird der Buchenwald-Film von Bonn nicht freigegeben?“519 Die Süddeutsche Zeitung berichtet ausführlich über eine Sondervorstellung in München 1964 und fragt auch, „... ob der Interministerielle Ausschuß das Importersuchen überhaupt genehmigen würde“, wenn westdeutsche Filmimporteure Interesse an der DEFA- Produktion zeigten.520 Frank Beyer und sein Kameramann Günter Marczinkowsky sind während der Münchner Sondervorstellung anwe- send, „zwei junge Männer, Altersgenossen etwa der Oberhausener ... .“521 Mit diesem Hinweis beendet der Kritiker seinen Beitrag, nachdem er gemahnt hat, daß „... dies ein Film (ist), von dem wir uns nicht durch beiläufige Hinweise auf Ulbricht und Kommunismus dispensieren können.“522 Hier klingen zwei Fragen an, die die westdeutschen Kritiken bestimmen: erstens, warum es keinen vergleichbaren Film aus der Bundesrepublik gibt und zweitens, inwieweit ideologische Differenzen 518 Zwei deutsche KZ-Filme. Nackt unter Wölfen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.7.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 519 Feuerer, Karl: Nackt unter Wölfen in München. Warum wird der Buchenwald-Film von Bonn nicht freigegeben? In: Die andere Zeitung (Hamburg) vom 7.5.1964. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 520 hfn: Nackt unter Wölfen. Der DEFA-Film wurde in einer geschlossenen Vorstellung gezeigt. In: Süddeutsche Zeitung vom 24.4.1964, S. 19. 521 Ebenda. Damit spielt der Kritiker auf das „Oberhausener Manifest“ an, das 1962 bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen den Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films konstatiert („Opas Kino ist tot!“) und einen filmkünstlerischen Neuanfang ver- kündet hat. Bis Alexander Kluges Film Abschied von gestern tatsächlich diesen Neuan- fang markiert, vergehen aber noch vier Jahre. 522 Ebenda. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 253 beim Thema nationalsozialistische Konzentrationslager eine Rolle spie- len können. Über die Sondervorstellung in München berichtet auch Die andere Zeitung aus Hamburg. Der Kritiker Karl Feuerer fragt ebenfalls, „... warum der Buchenwald-Film von Bonn nicht freigegeben wird?“ und „... warum solche Filme nicht in der Bundesrepublik hergestellt“ werden? Er argumentiert, daß „... solange die braune Vergangenheit nicht bewältigt ist, solche Filme notwendig sind.“ Außerdem zwinge der Film dazu, „... zur Gegenwart überzugehen, in der sich Leute wie z.B. Globke und Bütefisch in hohen Positionen festsetzen konnten ...“. Feuerer argumen- tiert damit ganz ähnlich wie die ostdeutschen Rezensenten. Zum Ende seiner Kritik aber, als er erneut fordert sich zu bemühen, den Film „frei- zubekommen“, widerspricht er der zuvor konstatierten Aktualität von Nackt unter Wölfen und stellt fest, „... daß es in ihm keinen Bezug zur aktuellen Gegenwart gibt.“523 Diese Kritik belegt in ihrer Widersprüch- lichkeit recht gut, daß der Film propagandistische Wirkung erzielen kann, ohne offen propagandistisch zu sein. Die andere Zeitung wird insgesamt ihrem Anspruch, anderes als die anderen zu berichten, gerecht, denn sie verfolgt sehr genau, wie Nackt unter Wölfen in Westdeutschland aufgenommen wird. Vor der Kritik von Karl Feuerer berichtet Heinz Brüdigam schon über das Treffen des „Buchenwald-Jungen mit seinen Lebensrettern“. Dieses Treffen hat im Januar 1964 in Stuttgart stattgefunden. Stefan Jerzy Zweig, inzwischen 23 Jahre alt und israelischer Staatsbürger, besucht Willi Bleicher, zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der IG-Metall Baden-Württemberg. Bleicher erklärt nach dem Wiedersehen: „Wenn mein Leben keinen andern Zweck gehabt haben sollte - daß dieser Junge mit meiner Hilfe überleben durfte, das gibt ihm seinen Sinn.“ Auch Bruno Apitz hat Stefan J. Zweig getroffen. Dem Autor von Nackt unter Wölfen sei es vorgekommen, „... als hätte er nach 19 Jahren sein eigenes Kind wiedergefunden.“ Brüdi- gam schildert sehr anschaulich, wie es möglich wurde, daß die drei sich überhaupt je wiedersehen konnten. Er schließt seinen Bericht mit dem Hinweis, daß der Film Nackt unter Wölfen „... für die Öffentlichkeit durch den Interministeriellen Beschluß in Bonn immer noch verboten ist“ und fragt: „Welche Wahrheit fürchtet man eigentlich?“524 523 Feuerer, Karl: Nackt unter Wölfen in München. Warum wird der Buchenwald-Film von Bonn nicht freigegeben? In: Die andere Zeitung (Hamburg) vom 7.5.1964. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 524 Brüdigam, Heinz: Damals Nackt unter Wölfen. Der „Buchenwald-Junge“ traf mit seinen Lebensrettern zusammen. In: Die andere Zeitung (Hamburg) vom 20.2.1964. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 254 Ebenso engagiert und in Teilen anklägerisch ist die Rede Siegfried Einsteins zur Erstaufführung in Frankfurt am Main, die Die andere Zeitung vollständig in ihrer Ausgabe vom 19.3.1964 abdruckt. Sie ist durchsetzt mit Lyrik-, Zeitungs- und Filmzitaten, Schilderungen des Lageralltags und im Kontrast dazu Schilderungen des Wiedersehens von Zweig, Bleicher und Apitz. Einstein beschließt seine Rede mit einem Angriff auf westdeutsche Revanchisten: „Willi Bleicher in der Bundes- republik und Bruno Apitz in der DDR haben ihrem Juschu nicht unter Einsatz ihres eigenen Lebens die Stunde des Wiedersehens ermöglicht, um nun mitansehen zu müssen, wie Westdeutschland ‚seinen Streit mit Rußland‘ austragen ‚und die verlorenen Gebiete zurückgewinnen‘ will.“525 Die Kritiker der angesehenen Zeitschriften Filmkritik und Film befassen sich grundsätzlich mit dem Anspruch, die Realität des Lagers filmisch begreifbar zu machen. Ulrich Gregor konstatiert in einer Rückschau auf die letzten Filme aus Ostdeutschland: „Die anspruchsvollste Produktion, mit der die DEFA 1963 aufwarten konnte, war jedoch wiederum ein antifaschistischer Stoff und noch dazu eine Romanverfilmung: Nackt unter Wölfen. Frank Beyer transponierte den bekannten Roman von Bruno Apitz auf die Leinwand, unterstützt vom Autor. ... Was in Nackt unter Wölfen nicht gelungen ist, rührt an das grundsätzliche Problem aller KZ-Filme: es ist nicht möglich, die Schreckenswelt eines nazisti- schen Konzentrationslagers im Studio (oder selbst auf dem Gelände des ehemaligen Lagers wieder aufzubauen: jede Reproduktion muß hier notwendig hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, von der einzig das filmische Dokument einen Eindruck wiederzugeben vermag.)“526 Bei- nahe scheint es so, als wolle Hans Helmut Prinzler dem Kollegen Gregor antworten, wo er erklärt: „Natürlich vermochte Beyer nicht, die KZ- Wirklichkeit zu reproduzieren. Doch dieser Schwierigkeit war er sich bewußt: ‚Die bekannten Dokumentarfilme über die Verbrechen des Faschismus beweisen, daß eine exakte Rekonstruktion unmöglich ist. Es kann also beim Spielfilm immer nur darum gehen, bestimmte innere Vorgänge, bestimmte geistige, weltanschauliche und moralische Haltun- gen transparent zu machen.“527 525 Einstein, Siegfried: Nackt unter Menschen. Rede im Frankfurter Turmpalast zur Erst- aufführung von Nackt unter Wölfen. In: Die andere Zeitung (Hamburg) vom 19.3.1964. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 526 Gregor, Ulrich: Im Osten nichts Neues? In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 8. Jg., H. 6/64, S. 295f. 527 Prinzler, Hans Helmut: Regisseure in der DDR. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 3. Jg., H. 6/1965, S. 31f. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 255 Erst 1968 läuft Nackt unter Wölfen auch in westdeutschen Kinos. „Es kann heute fünf Jahre dauern, bis ein Film von Deutschland nach Deutschland kommt“528, leitet der Kritiker des Hamburger Sonntags- blattes seine Rezension ein. Friedrich Luft bespricht den Film in der Welt. Er stellt noch einmal die Frage nach der Figurenkonstellation. Daß in dem Film nur „Politische”, ausnahmslos überzeugte Kommunisten, aufträten, schade der Glaubwürdigkeit von Nackt unter Wölfen. Luft be- dauert: „Aber daß ihnen [den kommunistischen Widerstandskämpfern] hier eine Art Ausschließlichkeit für die besten Tugenden dramaturgisch zugeteilt wird, macht, leider, den Film streckenweise für seine Partei allzu parteilich. Dadurch hört man seiner wichtigen Moral skeptischer zu, als man möchte. Schade, daß ein DEFA-Film denn doch immer als ein solcher zu erkennen sein muß. In diesem Fall besonders.”529 Luft stellt einen Bezug zu dem in Ost wie West sehr erfolgreichem Tagebuch der Anne Frank her. In beiden Werken gelinge es, „... anhand einer sinnlos verfolgten Kindlichkeit und Unschuld, einen Abglanz, einen einigermaßen verständlichen Begriff von Ausmaß und Schrecklichkeit der Verfolgung zu geben. ... In der millionenfachen Multiplikation des Einzelfalles nur kann der große, fürchterliche Fall annähernd verstanden werden und begriffen.“ Als Nackt unter Wölfen 1963 bzw. 1968 aufgeführt wird, kommen die Kritiker immer auch auf „die Jugend“ zu sprechen, die erfahren muß, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland passiert ist. In der Beto- nung des „Nie wieder!“ gleichen sich die Kritiken in Ost und West, doch werden die DDR-Kritiker konkreter und sprechen von „den Genossen, den Kämpfern“ als „Helden und Vorbilder“.530 Der Rezensent der Neuen Zeit schreibt: „Eine ganze junge Generation ist seitdem herangewachsen, die den Faschismus nicht selbst erlebt hat, ihn nur aus den Erzählungen Älterer und aus Büchern kennt. Junge Menschen – nicht nur sie, aber sie vor allem – sollten diesen Film Nackt unter Wölfen sehen. Damit sie wissen, was damals geschah. Damit sie wissender, bewußter dagegen kämpfen, daß Gleiches noch einmal in Deutschland geschieht.“531 Peter Edel schildert in seiner Kritik die aufwühlende Wirkung des Films auf junge Zuschauer und verneint die Existenz eines „Generationsproblems“, 528 Haffner, Hellmut: Nackt unter Wölfen. In: Sonntagsblatt (Hamburg) vom 28.4.1968. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 529 Luft, Friedrich: Das Kind von Buchenwald. Der DEFA-Film Nackt unter Wölfen läuft jetzt auch im Westen. In: Die Welt vom 20.7.1968, S. IV. 530 Knietzsch, Horst: Ein Lied vom wahren Menschen. Nackt unter Wölfen in Berlin urauf- geführt. In: Neues Deutschland vom 11.4.1963, S. 4. 531 H.U.(= Helmut Ullrich): Vom Triumph menschlicher Würde. In: Neue Zeit vom 11.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 256 denn: „Auf den Standort, die ideologische Position kommt es an.“532 Ob alt oder jung spiele hingegen keine Rolle, als Beweis dienen ihm die ge- glückte Zusammenarbeit zwischen dem jungen Regisseur Beyer und dem „jung gebliebenen“ Apitz und natürlich das Einstehen der kommu- nistischen Häftlinge in Buchenwald für ihren „jüngsten Kumpel“. Bei aller kämpferischen Rhetorik fällt den Kritikern doch der Verzicht auf brutale Folterszenen auf. Der Regisseur deutet mehr an, als daß er zeigt. Dem Schauspieler Fred Delmare gegenüber, der den zu Tode ge- folterter Pippig spielt, erklärt Beyer: „Wir machen keinen Film für Sadi- sten! Ich will, daß der Zuschauer seine eigenen Bilder findet!“533 Im Gespräch mit Ralf Schenk erläutert Beyer seine Einstellung zu Gewalt- szenen. Er habe oft den Eindruck, das antifaschistische Thema sei nur Vorwand, um mit Brutalitäten das Publikum zu schockieren. Weil Beyer weiß, daß die Rekonstruktion realer Grausamkeiten nicht möglich ist, bevorzugt er ein indirektes Erzählen, will also nicht zeigen, wie Pippig gefoltert wird, sondern zeigt den ängstlichen Rose, der, nachdem er den halbtot geprügelten Pippig sieht, fürchtet, als nächster mißhandelt zu werden. Diese Furcht teilt der Zuschauer mit der Figur Rose.534 II.4.6. Nackt unter Wölfen und das Gesamtwerk Frank Beyers Die frühen Filme Frank Beyers, Zwei Mütter, Eine alte Liebe, Fünf Patronenhülsen, Königskinder, Nackt unter Wölfen, Karbid und Sauer- ampfer spielen alle in den dreißiger und vierziger Jahren und werden all- gemein als seine „antifaschistischen Filme“ bezeichnet. So beschreibt sie auch Beyer selbst: „Das Gemeinsame, Verbindende all dieser Filme war ihr Antifaschismus, der ja gleichzeitig die moralische Grundlage der sich neu formierenden DDR-Gesellschaft war. Ich fühlte mich als Teil dieser Gesellschaft. Insofern waren diese Stoffe indirekt doch Gegenwarts- stoffe.“535 Beyer hatte von Anfang an vor, einen Stoff aus der Gegenwart zu nehmen und so zu erfüllen, was SED-Kulturpolitiker in den sechziger Jahren fordern. Jedoch zeigt sich in der Praxis, daß Filme mit Gegen- wartsbezug stärker von Zensur bedroht sind. 532 Edel, Peter: Das Kind vom Ettersberg. Gedanken über ein kleines Bild und einen großen Film. In: Die Weltbühne. Zeitschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 18. Jg., Nr. 19 vom 8.5.1963, S. 598. 533 Zit. nach Kleine Leute. Das Leben des Schauspielers Fred Delmare. Aufgeschrieben von Michael Hametner. Berlin, 1997, S. 135. 534 Vgl. Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. In: Regie: Frank Beyer. Hrsg von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam. Berlin, 1995, S. 40. 535 Beyer, Frank, zit. nach Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. A.a.O., S. 38f. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 257 Nach Nackt unter Wölfen und der überaus erfolgreichen Komödie Karbid und Sauerampfer – beide spielen 1945 – wendet sich Beyer mit der Adaption des Romans Spur der Steine von Erik Neutsch den aktu- ellen Problemen im „real existierenden Sozialismus“ zu. Dieser Film über eine aufmüpfige Bauarbeiterbrigade und den Fall eines Partei- sekretärs im Industriestädtchen Schkona wird aufgrund des strengen Kurses nach dem 11. Plenum im Dezember 1965 verboten. Das kurze Tauwetter nach dem Mauerbau ist vorbei. Der Film, der zunächst mit lobenden Worten angekündigt worden ist, wird nur einige Male aufge- führt. Den positiven Kritiken folgen Verrisse, bestellte Provokateure unterbrechen durch lautes Rufen die Aufführungen. Spur der Steine verschwindet wie Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich, Frank Vogels Denk bloß nicht, ich heule und andere Filme im DEFA-Archiv. Kritisiert wird von seiten der Partei der „Pessimismus“ und der „Skeptizismus“ dieser Filme. Statt die Errungenschaften des Sozialismus zu preisen oder zumindest „konstruktive Kritik“ zu üben, seien die Filme nur negativ. Kurt Hager spricht vom gebrochenen Verhältnis einiger Künstler zum Staat, das Politbüromitglied Paul Verner bezeichnet die Filme „politisch falsch und schädlich” und sieht in ihnen „einen Angriff auf unsere sozia- listische Gesellschaft in der DDR.”536 Für Beyer, der unmittelbar nach der Fertigstellung von Spur der Steine begonnen hat, mit Jurek Becker ein Drehbuch zu Jakob, der Lügner zu schreiben, markiert das 11. Plenum eine Zäsur. Daß die wenigen Kino- aufführungen von Spur der Steine durch die Stasi gestört werden, ist für ihn ein „Grunderlebnis“: „So etwas kannte ich nur vom Hörensagen von den Nazis, die in den dreißiger Jahren so ähnlich gegen den Remarque- Film Im Westen nichts Neues vorgegangen waren. Nie im Traum hätte ich gedacht, daß die eigene Partei so etwas veranstalten könnte.“537 Der bis dahin mit viel Lob bedachte Regisseur erhält keine Aufträge mehr. Er distanziert sich nicht von seinem Werk und wird daraufhin im Sommer 1966 entlassen. Beyer weiß nicht, wie es nun weitergehen soll, für ihn ist 1966 die Bundesrepublik keine Alternative. Der Regisseur soll sich an einem Provinztheater „bewähren“. Die Vorarbeiten zu Jakob, der Lügner werden gestoppt, auch weil von polnischer Seite das Interesse an einem Film, der das Leid der Juden thematisiert, nicht besonders groß ist.538 536 Verner, Paul: Der Künstler soll Mitgestalter unserer Gesellschaftsordnung sein. In: Neues Deutschland vom 20.12.1965, S. 4. 537 Beyer, Frank, zit. nach Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. A.a.O., S. 57. 538 Vgl. Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. A.a.O., S. 62. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 258 Beyer arbeitet am Theater in Dresden, was ihm Spaß macht, aber nicht das ist, was er will: Filme drehen. Als er Angebote vom Fernsehen der DDR bekommt, sagt er zu, obwohl beim Fernsehen die Gängelung der Mitarbeiter noch stärker ist als bei anderen Medien. Beyer inszeniert mehrteilige Fernsehfilme, z.T. mit historischem Bezug und unter Ver- wendung von Archivmaterial wie Rottenknechte oder Komödien wie Die sieben Affären der Dona Juanita. Den Plan, Jurek Beckers inzwischen zum Roman angewachsene Geschichte von Jakob, dem Lügner, zu er- zählen, hat Beyer nicht aufgegeben. Er bittet Heinz Adameck, den Leiter des DDR-Fernsehens, das Projekt in Zusammenarbeit mit der DEFA realisieren zu dürfen. Jakob, der Lügner wird Beyers erster Farbfilm und sein größter internationaler Erfolg. Im Januar 1977, unmittelbar nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns, erfährt Beyer, daß der Film für den Oscar nominiert worden ist. Dem Regisseur, der gegen die Ausweisung protestiert hat, kommt das öffentliche Interesse gelegen, weil er nicht abschätzen kann, welche Folgen seine Unterschrift haben wird. Tatsäch- lich ist die Situation 1977 vergleichbar der 1966. Beyers Film Das Ver- steck mit Manfred Krug und Jutta Hoffmann - beide Unterzeichner der Resolution – wird nicht aufgeführt, ebenso Geschlossene Gesellschaft. Neue Projekte können nicht realisiert werden, man droht dem Regisseur mit Parteiausschluß, wenn er seine Unterschrift nicht zurücknimmt. Viele Freunde Beyers beantragen die Ausreise, er selbst erhält Angebote aus dem Westen, die er annimmt, ohne jedoch in den Westen überzu- siedeln. In den achtziger Jahren entstehen in Zusammenarbeit mit Ulrich Plenz- dorf, Klaus Poche, Wolfgang Kohlhaase und in beiden deutschen Staaten bekannten Schauspielern die Filme Der König und sein Narr (1981), Die zweite Haut (1981), Der Aufenthalt (1983), Bockshorn (1984) und Der Bruch (1989). Als die DDR sich aufzulösen beginnt, arbeitet Beyer an einem Fernsehfilm über die Schuld deutscher Wissenschaftler an der Entwicklung der Atombombe: Ende der Unschuld. Er erkennt auch in diesem Film, in dem es um die Rolle „der Intelligenz“ in einer Diktatur geht, aktuelle Bezüge. In den neunziger Jahren gibt es wieder einen Ehe- film, Sie und Er (1992), eine Ost-West-Geschichte, Das große Fest (1992), einen 1945-Film, Das letzte U-Boot (1993), einen Ghetto-Film, Wenn alle Deutschen schlafen (1995) und einen Film, in dem Frank Beyer die Auflösung des Staates DDR nachzeichnet, Nikolaikirche (1995). Er beruht auf dem gleichnamigen Roman von Erich Loest. Frank Beyers Filmographie weist ihn als einen Regisseur aus, der deut- sche Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählt und sie mit seinen eigenen Erfahrungen verbindet. Aufgewachsen zur Zeit des deutschen National- sozialismus, konfrontiert mit den Schrecken des Krieges und des millio- II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 259 nenfachen Mordes erscheint ihm der Sozialismus als Alternative. In der Praxis aber ist der „real existierende Sozialismus“ der DDR zuweilen unerträglich. Bis 1989 glaubt Beyer dennoch an so etwas wie einen „dritten Weg“. Er unterschreibt den von Christa Wolf initiierten Aufruf „Für unser Land“. Als er 1991 den Bundesfilmpreis für sein Gesamtwerk erhält, spricht Beyer von der „... bemerkenswerten Entscheidung, diesen Bundesfilmpreis einem Regisseur zu geben, dessen sämtliche Kino- Filme im DEFA-Studio für Spielfilme in Potsdam-Babelsberg entstan- den sind. Dadurch würde der Innenminister Rudolf Seiters „ein ein- drucksvolles Zeichen gegen alle Tendenzen der Pauschalverurteilung von DDR-Kunst“ setzen.539 Der Filmkritiker der linksalternativen tageszeitung, Kraft Wetzel, bezeichnet nach der Verleihung des Preises den Regisseur Frank Beyer als „unseren Musterossi“. So wie ihn wünsche sich die bundesdeutsche Filmpolitik den zu integrierenden Ost-Regisseur. „Mit Beyer wird ein Pragmatiker herausgestellt, einer, der die Balance zwischen Anpassung und Eigensinn halten konnte, der zwar aneckte, auch mal verboten wurde (1966 mit Spur der Steine, 1978 mit Geschlossene Gesellschaft), der sich dann aber weder bis zur Gesichtslosigkeit anpaßte, noch zum Dissi- denten, gar zum Märtyrer radikalisierte, einer, den man denn auch stets weiterarbeiten lassen konnte, weil er den Bogen der vorgefundenen Möglichkeiten nie überspannte.“ Für Beyers Erfolg nun auch im Westen spricht laut Wetzel, daß er ästhetisch ein Pragmatiker ist, „der ,große‘, allseits anerkannte, also finanzierbare Stoffe (am häufigsten Anti- faschismus) mit einem soliden Sinn für kinowirksame Dramaturgie auf- bereiten und mit zugkräftigen Schauspielern (am liebsten: Manfred Krug) populär erzählen kann: der Typus des demonstrativ bescheidenen Kinohandwerkers, wie er im selbstverliebten westdeutschen Autorenfilm so gut wie ausgestorben ... ist.“540 Wetzel mag mit seiner Charakterisie- rung des Regisseurs nicht völlig daneben liegen, die Häme freilich, mit der er Beyers Lebensweg beschreibt, ist unangebracht und zeugt von wenig Verständnis für einen Mann, der auch unter widrigen Bedingun- gen Filme gemacht hat, die im Gedächtnis bleiben und die deutsche Filmgeschichte bereichern. 539 Dankesrede nach der Auszeichnung mit dem Filmband in Gold am 6.6.1991. Zit. nach Dokument 14. In: Regie: Frank Beyer. Hrsg von Ralf Schenk im Filmmuseum Pots- dam. Berlin, 1995, S. 151. 540 Wetzel, Kraft: Wiedervereinigung mit kleinen Fehlern. Beobachtungen beim deutschen Filmpreis 1991. In: die tageszeitung vom 13.6.1991, S. 15. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 260 II.4.7. Resümee Anders als Literatur aus der DDR hat der ostdeutsche Film im Westen kaum Beachtung gefunden. Das Desinteresse an Film und Fernsehen aus dem anderen deutschen Staat gründet bis heute auf Vorurteilen. Die Pro- duktionen seien durchweg künstlerisch minderwertig, langweilig und ideologisch geprägt. Zum Teil erklären diese Vorurteile die eher geringe Beachtung, die der Literaturverfilmung von Nackt unter Wölfen zu- kommt, obwohl der Roman auch im Westen viel gelesen worden ist. Marcel Reich-Ranicki rezensiert ihn 1961 in der Zeit. Er sucht den un- gewöhnlichen Publikumserfolg des Romans zu ergründen. Die künstle- rische Qualität kann es nicht sein, denn der Kritiker sieht „sprachliche Schwierigkeiten“, „eine primitive oft ungeschickte Schreibweise“, „Schwarz-Weiß-Malerei“ und „Sentimentalität“. Er räumt aber ein, daß „bei der Beurteilung eines derartigen Buches die Frage nach der künstle- rischen Qualität ihre Dringlichkeit verliert“, und er lobt Apitz‘ „Instinkt“ und seine Fähigkeit, den „Leser zu fesseln und bisweilen zu bewe- gen“.541 Wenn es nun nicht die künstlerische Qualität ist, die den Erfolg des Romans ausmacht, und auch der Konflikt dem Kritiker „ebenso lebens- fremd wie unaufrichtig“ scheint, weil „keine konspirative Organisation – geschweige denn eine kommunistische – unter den dargestellten Um- ständen auch nur einen Augenblick zweifeln würde“542, wo doch die Aufdeckung der Widerstandsorganisation auf dem Spiel steht – was ist es dann, was diesen Roman so anziehend für die Leser macht? Es ist laut Reich-Ranicki die höhere, menschliche Moral, die sogar über den Inter- essen der Partei steht. Denn die Helden mißachten die Regeln der Kon- spiration und des Widerstands und entscheiden sich für den Einzelnen, das Kind. Dem Kommunisten Höfel wird deshalb „Disziplinbruch“ vor- geworfen. Er bezichtigt sich selbst, „schuldig an der Partei geworden zu sein“ und bietet als Rechtfertigung ein protestantisch anmutendes: „Ich konnte nicht anders ...“. Dem Autor und ehemaligen Buchenwald-Häftling Apitz ist sicher nicht bewußt gewesen, daß er in seinem Roman über den heldenhaften Wider- stand gerade in der Lösung des Konflikts – das Kind opfern oder die Zerschlagung des Widerstands riskieren – nicht auf Parteilinie liegt. Das, so Reich-Ranicki, erkläre den Erfolg des Buches. „In einem Land, in 541 Reich-Ranicki, Marcel: Mehr als die Autoren sagen wollen ... In: Die Zeit, Nr. 44 vom 27.10.1961, S. 17. Nachdruck als: Bruno Apitz. Ein ungewöhnlicher Publikumserfolg. In: Marcel Reich-Ranicki: Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR. Ungek. Ausg. München, 1993, S. 27-31. 542 Ebenda. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 261 dem ein Lied gesungen wird, das mit den Worten beginnt: ‚Die Partei, die Partei, die hat immer recht ...‘, ist man für einen Roman dankbar, der eine Aktion rühmt, die möglich wurde, weil sich ein Genosse der Partei widersetzt hat.“543 Reich-Ranickis Begründung des Erfolgs des Romans ist ohne weiteres auf den Film Nackt unter Wölfen zu übertragen. Der Film hält sich strikt an die Vorgaben der literarischen Vorlage. Was Reich-Ranicki als die konsequente Nutzung literarischer Mittel umschreibt, „die man als die- jenigen des anspruchslosen Unterhaltungsromans bezeichnen könnte“544, sieht Ulrich Gregor auch beim Film gegeben. Die gesamte Spielfilm- produktion der DEFA vor Augen erkennt er in Nackt unter Wölfen keinen Höhepunkt des ostdeutschen Filmschaffens: „Eine künstlerische Befruchtung der DEFA-Spielfilmproduktion mit neuen Impulsen wird kaum von Filmen wie Nackt unter Wölfen ausgehen können, die sich trotz ihrer aufrichtigen Bemühung doch in den Grenzen längst fixierter ästhetischer und moralischer Positionen halten, sondern eher von un- orthodoxen Produktionen mehr unterhaltenden Charakters wie Karbid und Sauerampfer, vielleicht aber auch von neueren Entwicklungen im Dokumentarfilm ... .“545 Neben Reich-Ranickis kompliziert psychologischer Begründung des Erfolgs von Nackt unter Wölfen - er erreiche gerade deshalb das Publi- kum, weil er Menschlichkeit statt Parteidisziplin predige - kann eine sehr einfache genannt werden: das Zusammentreffen der drei K’s: Kind, KZ, Kameradschaft. Das spricht alt und jung, Männer und Frauen an. Zudem beruhen Roman und Film auf einer wahren Geschichte. Das Erzählens- werte ist, daß sich anders als angenommen, Kind, KZ und Kamerad- schaft nicht ausschließen. Die Kameradschaft der Häftlinge ermöglicht die Rettung des Kindes und die Überwindung des KZ. Der Begriff der Kameradschaft erfährt daher in den DDR-Kritiken besondere Beachtung, dieser „... durch Kommiß, Freikorps, Feme und SA verluderte Begriff ist in deutschen Konzentrationslagern neu geadelt worden ...“, schreibt Klaus Wischnewski. So erklärt sich auch die Bezeichnung des kleinen Jungen als „Kamerad“ und „unser jüngster Kumpel“. Das Kind, nackt unter Wölfen, spricht die zarten Seiten der über Jahre hart gewordenen Männer an. Sie nennen es im Gegensatz zur SS nicht „Judenbalg“, sondern „Kätzchen“, „Maikäfer“, „Wurm“, „Rotznase“, 543 Ebenda. 544 Ebenda. 545 Gregor, Ulrich: Im Osten nichts Neues? In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 8. Jg., H. 6/64, S. 296. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 262 „richtiger, kleiner Mensch“.546 Einen Namen, der den Jungen als Indivi- duum kennzeichnet, geben sie ihm nicht. Das Kind steht für das Mensch- sein schlechthin. Höfel sagt, daß er selbst Vater eines inzwischen siebenjährigen Jungen ist, den er aber noch nie hat sehen dürfen. Der gutmütige Pippig riskiert sein Leben, um für das Kind Milch zu besor- gen. Daß die Häftlinge sich für das Kind entscheiden, interpretieren die DDR-Kritiker im Gegensatz zu Reich-Ranicki als Beweis der „mora- lischen Überlegenheit“ und „Charakterstärke“.547 Die „Krämer, Bochow, Höfel, Pippig“ seien die „legitimen Erben der humanistischen Traditio- nen der deutschen Nation“548, ... „diejenigen, welche in unserem Teil Deutschlands den schweren Anfang beim Neuaufbau machten und heute bei uns wirken.“549 Hier wird das entscheidende Argumentationsmuster in den DDR-Kriti- ken deutlich: die kommunistischen Widerstandskämpfer verkörpern 1933 bis 1945 das andere, bessere, antifaschistische Deutschland. Mit Gründung der DDR wird diese Tradition aufgenommen und fortgesetzt. Im Gegensatz dazu beruht die BRD auf Traditionen, die das Aufkommen des Faschismus begünstigt haben. Deswegen und weil es keinen perso- nellen Neuanfang gegeben hat, kann der Faschismus in der Bundesrepu- blik jederzeit wieder Oberhand gewinnen. In allen DDR-Kritiken wird daher zwecks Abgrenzung auf die Macht der alten Eliten und neonazisti- sche Umtriebe in Westdeutschland verwiesen. Das tut auch Peter Edel in seiner Kritik, wo er beklagt, „... daß die Lenker und Komplicen derjeni- gen, die im Kommandoturm des KL-Buchenwald mit Mord und Folter ihr Schreckensregime führten, heute im Westen Deutschlands abermals auf Kommandoposten gesetzt worden sind“.550 Zugleich aber übt Edel als einziger DDR-Rezensent Solidarität mit den „Freunden und Gefähr- ten in Westdeutschland“, denen er wünscht, daß der Film Nackt unter Wölfen ihnen „nicht mehr lange vorenthalten bleibt“.551 546 Friedrich Luft nennt es in seiner Kritik: „Kindlein zart“, „Balg“, „Gör“. Vgl. ders.: Das Kind von Buchenwald. Der DEFA-Film Nackt unter Wölfen läuft jetzt auch im Westen. In: Die Welt vom 20.7.1068, S. IV. 547 Vgl. Netzeband, Günter: Nackt unter Wölfen. Großer Gegenstand – große Wirkung. In: Filmspiegel 1963/9. Nachgedruckt in: Institut für Filmwissenschaft (Hg.): Spielfilme der DDR im Urteil der Kritik. Ausgewählte Rezensionen 1946-1969. Mit einer Biblio- graphie. Berlin (Ost), 1970, S. 246-248. 548 Gehler, Fred: Nackt unter Wölfen. In: Sonntag (Berlin-Ost), Nr. 15 vom 14.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 549 Netzeband, Günter: Nackt unter Wölfen. Großer Gegenstand – große Wirkung. A.a.O., S. 247. 550 Edel, Peter: Das Kind vom Ettersberg. Gedanken über ein kleines Bild und einen großen Film. In: Die Weltbühne. Zeitschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft. 18. Jg., Nr. 19 vom 8.5.1963, S. 597. 551 Edel, Peter: Das Kind vom Ettersberg. A.a.O., S. 601. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 263 Neben der Frage nach der Aktualität werden in den Kritiken der DDR- Presse drei Punkte besonders hervorgehoben: erstens, daß in Nackt unter Wölfen Kampfbereitschaft und Widerstandsgeist statt Lethargie und Feigheit gezeigt werden, zweitens die internationale Solidarität – die nach 1945 beginnende Freundschaft mit den kommunistischen Bruder- ländern klinge im Film schon an -, drittens die differenzierten Charak- tere, einerseits auf seiten der Häftlinge, andererseits auf seiten der SS und Lagerleitung. Die Zeichnung der Figuren wird zum Systemvergleich herangezogen. So sehen die ostdeutschen Rezensenten in den Nazi-Figu- ren den deutschen Kleinbürger, der nach 1945 in Westdeutschland wieder Karriere machen konnte. Die Häftlinge hingegen verkörpern das gute, humanistische, sozialistische Deutschland, die spätere DDR. Diese drei Punkte werden von allen Kritikern „abgearbeitet“, z.T. benutzen sie dieselben Formulierungen und Zitate, was in einem staatlich gelenktem Mediensystem nicht verwundert. Und alle lassen bei der Behandlung dieser drei Punkte anklingen, daß damals 1945 in Buchenwald Entschei- dungen getroffen wurden, die sich bis heute, 1963, auswirken. Die deut- sche Teilung erscheint dadurch als eine unmittelbare Folge dessen, was der Film zeigt. Wie gelungen die Zeichnung der Figuren ist, beurteilen die Kritiker in Ost und West unterschiedlich. Fred Gehler vom Sonntag meint, daß Nackt unter Wölfen anders als manche westdeutsche Streifen die KZ- Wächter nicht einfach nur dämonisiere und damit ein politisches Alibi schaffe. Und selbstkritisch räumt er ein: „In der Vergangenheit war oft auch in unseren Filmen das Profil der SS-Leute sozial unscharf.“552 Hans C. Blumenberg stimmt mit Gehler überein in seinem Lob für die „diffe- renzierten Portraits“ der Täter. Die SS-Männer seien „keine Teufel in Menschengestalt, keine dämonisierten Karikaturen, sondern eher durch- schnittliche Bürokraten und Kleinbürger ...”.553 Andere westdeutsche Kritiker sprechen dagegen von „Schwarzweißmalerei“.554 Friedrich Luft bedauert, mit welcher Ausschließlichkeit die besten Tugenden den Männern der KP zugeteilt werden. Beyer versuche gar nicht, „die ja wirklich unverständlich grausame Welt der Lagerbewacher verständlich werden zu lassen. Die Henker sind feist, grundbös, zynisch, spießig und blutdürstig.“555 Interessanterweise erklärt der ehemalige DEFA-Chef- 552 Gehler; Fred: Nackt unter Wölfen. In: Sonntag (Berlin-Ost), Nr. 15 vom 14.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 553 Blumenberg, Hans C.: Frank Beyer. Die unzerstörbare Menschenwürde. In: Film in der DDR. München, Wien 1977, S. 109f. 554 Zwei Deutsche KZ-Filme. Nackt unter Wölfen und Mensch und Bestie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.7.1963., S. 16. 555 Luft, Friedrich: Das Kind von Buchenwald. Der DEFA-Film Nackt unter Wölfen läuft jetzt auch im Westen. In: Die Welt vom 20.7.1068, S. IV. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 264 dramaturg Klaus Wischnewski 1994: „Beim illegalen internationalen Lager-Komitee stört mich heute wie damals die stereotype Führungs- rolle, die der Sowjetmensch Bogorski zu absolvieren hat, auch wenn Regisseur und Darsteller Viktor Awdjuschko das souverän und mit leisem Humor machen ...“.556 Wie aus einem Reflex heraus zieht er Parallelen zur gegenwärtigen Situation in Deutschland: „Die taktischen Scharmützel der Herrenmenschen bleiben wichtig; Erik S. Kleins Rapportführer: ‚Zivil und Englisch lernen‘ – man kennt die Biographien, man ist ihnen 1994 wieder näher, wo leben wir denn.“557 Die unterschiedliche Beurteilung der Figurenkonstellation in Nackt unter Wölfen hat zum einen ideologische Gründe, zum anderen beruht sie auf Mißverständnissen. Betrachtet nämlich ein Teil der Kritiker die differen- zierte Zeichnung der Figuren innerhalb der Gruppe der Täter oder der Opfer, bezieht sich der andere Teil der Kritiker auf die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern. Eine gewisse Vereinfa- chung der Figurenkonstellation ist dramaturgisch zwangsläufig und zumal in einem Film über ein Konzentrationslager auch berechtigt. Redlicherweise hat Beyer selbst einige Aspekte genannt, die der Film ausspart.558 Dazu gehört das Leiden der jüdischen Opfer in den Ghettos und Lagern. Das thematisiert Beyer später in Jakob, der Lügner. Bei Nackt unter Wölfen handelt es sich weniger um einen Holocaustfilm im strengeren Sinne als tatsächlich um ein „Zeugnis des Antifaschismus‘“. Im Mittel- punkt stehen der Kampf und die internationale Solidarität. Auf rassisti- sche Klassifizierungen der Nazis – so eine Interpretation – wird daher bewußt verzichtet. Die Worte „jüdisch“ oder „Jude“ kommen dement- sprechend im Roman, im Film und in den DDR-Kritiken nicht vor.559 Wichtiger als die Frage, ob ein Häftling jüdisch ist oder nicht, sei die nach seiner Zuverlässigkeit. Dieser Deutung mag man gern folgen, den- noch bleibt ein Unbehagen ob der Kriterien, nach denen der Status eines Häftlings bemessen wird. Elie Wiesel schreibt in seinen Erinnerungen: „Jahre, Lichtjahre sind seitdem vergangen. Ich tausche mit Jorge Semprun Erinnerungen an Buchenwald aus. Es war im großen Lager. Er arbeitete in der Schreibstube und mußte nicht unter Hunger und Kälte leiden. Er kannte das kleine Lager, wenn man so will, von weitem. Warum so tun, als wäre es nicht so gewesen? Das Los der Juden war 556 Wischnewski, Klaus: Nackt unter Wölfen 1963. In: Regie: Frank Beyer. A.a.O., S. 178. 557 Ebenda. 558 Vgl. Anm. 15, Kap. 2. 559 Lediglich Peter Edel spricht in seiner Kritik von „... dem furchtbaren Weg, den sechs Millionen Juden gingen“. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 265 grundverschieden von dem der Nichtjuden. Wir lebten zwar in unmittel- barer Nähe, und dennoch jeder in einer anderen Welt.“560 In der Filmliteratur wird Nackt unter Wölfen als eine der wichtigsten DEFA-Produktionen bezeichnet. Er ist tatsächlich einer der wenigen deutschen Filme, die den schrecklichen Alltag in einem KZ zeigen. Die ostdeutschen Kritiker stellen in ihren Rezensionen nicht nur einen Bezug zur Gegenwart her, sondern ordnen den Film auch historisch ein und vergleichen ihn mit frühen Filmen über Konzentrationslager: „Waren Filme wie Die letzte Etappe in ihrer angestrebten Authentizität Appelle an das Weltgewissen, an eine aus dem faschistischen Krieg gerade ent- lassene Generation, geht es 1963 nicht mehr um geschichtliche Reminis- zenzen.“ Dieses Argument bezieht sich eindeutig auf inhaltliche Positio- nen, die der Film zu verdeutlichen hat, nicht auf künstlerische. Folglich messen die DDR-Kritiker dem politischen Gehalt des Films eine sehr viel größere Bedeutung bei als dem künstlerischen. Die Kritiken sind ideologische Abhandlungen. Was die Filmästhetik anbelangt, liegt Ulrich Gregor richtig mit seinem Urteil, Nackt unter Wölfen bewege sich im Rahmen des Gewohnten. Die ostdeutschen Kritiker aber loben, zumal im Vergleich mit Königskinder, die „wohltuende Schlichtheit und Einfachheit“, das Fehlen „großer Gesten“, „plakativer Schaustellung“ und „aufdringlicher Bedeutsamkeit“.561 Friedrich Luft hält wegen der starken Fabel „die ruhige Einfalt der Darstellung“ für „angemessen“.562 Die überragende Bedeutung des Films Nackt unter Wölfen betonen die Kritiker auch Jahrzehnte später. In einer vom MDR herausgegebenen „Retroperspektive der 50 besten deutschen Filme” wird Nackt unter Wölfen aufgeführt. Die Kurzbeschreibung des Films basiert im wesent- lichen auf DDR-Quellen. Das gleiche Lob wie 1963 im Neuen Deutsch- land ertönt. Da ist die Rede von der „schlichten, geradlinigen Erzähl- weise”, von „seltener Eindringlichkeit und moralischer Authentizität”, von der „antifaschistischen Häftlingsselbstverwaltung” und der „Selbst- befreiung”.563 Ulrich Teschner behauptet in dem Band „Filmland DDR“: „Hier im Westen hat man erst an die Gaskammern und Verbrennungsöfen geglaubt nach der amerikanischen Fernsehserie Holocaust. Von der Ver- filmung des Romans von Bruno Apitz Nackt unter Wölfen wußte man 560 Wiesel, Elie: Alle Flüsse fließen ins Meer. Autobiographie. Hamburg, 1995, S. 137. 561 Gehler, Fred: Nackt unter Wölfen. In: Sonntag (Berlin-Ost), Nr. 15 vom 14.4.1963. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 562 Luft, Friedrich: Das Kind von Buchenwald. A.a.O. 563 Die 50 besten deutschen Filme. Hrsg. vom MDR. Berlin, 1995, S. 77. II.4. Nackt unter Wölfen (DDR 1963) 266 hier wenig.“564 Die DEFA, so die beinahe einhellige Meinung der Film- kritiker, habe von Anfang an versucht, den deutschen Nationalsozialis- mus filmisch aufzuarbeiten. Trotz der „antifaschistischen“ Rhetorik der Filme, seien künstlerisch anspruchsvolle Werke entstanden. Ralf Schenk fragt im Gespräch mit Frank Beyer, was dieser angesichts der publizisti- schen Kontroverse über Schindlers Liste empfunden hat, in der „sei es aus Vergeßlichkeit, sei es aus Unkenntnis, oder vielleicht auch aus Bor- niertheit“ die DEFA-Filme zum Thema nicht erwähnt worden seien. Beyer berührt es durchaus, daß man nach der Lektüre der Kritiken zu Schindlers Liste annehmen muß, es habe nie einen einzigen DEFA-Film zu dieser Problematik gegeben. Doch räumt er ein, daß „die DEFA tat- sächlich keinen Film zum Holocaust im engeren Sinne des Wortes gedreht, sondern sich dem Thema von sehr verschiedenen Standpunkten aus genähert“ hat. Beyer nennt Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns und Kurt Maetzigs Ehe im Schatten, die Arbeiten von Konrad Wolf und schließlich seine eigenen. Ihn tröstet, daß „unsere Filme“ ja nicht vergessen sind: „Viele Zuschauer haben sie im Kino gesehen und die besten werden immer wieder im Fernsehen ausgestrahlt.“565 564 Teschner, Ulrich: „... die haben unseren Sozialismus nicht verstanden.“ In: Filmland DDR. Ein Reader zu Geschichte, Funktion und Wirkung der DEFA. Hrsg. von Harry Blunk und Dirk Jungnickel. Köln, 1990, S. 19. 565 Beyer, Frank, zit. nach Schenk, Ralf: Damit lebe ich bis heute. Ein Gespräch mit Frank Beyer. In: Regie: Frank Beyer. Hrsg von Ralf Schenk im Filmmuseum Potsdam. Berlin, 1995, S. 43. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 267 II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) II.5.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Zu Beginn der sechziger Jahre, als das Fernsehen sich als vielgenutztes und auch ästhetisch legitimiertes Medium zu etablieren beginnt, ent- wickeln sich neue Formen der Fernsehunterhaltung, die gleichzeitig der Information und der Bildung dienen sollen. Die Ziele der Fernsehmacher sind hoch gesteckt: sowohl aufklärerische als auch publikumswirksame Produktionen zu senden. Der Programmauftrag wird ernst genommen; es ist der Wille erkennbar, neue Darstellungs- und Vermittlungsformen im TV zu erproben. Eine häufig gewählte Gattung ist das Fernsehspiel, zwischen Dokument und Fiktion angesiedelt, scheint es offen für Expe- rimente. Zugleich ruft sein Zwittercharakter Kritik hervor, es sei eine „... zwielichtige Gattung, die immer die fehlende dramatische Qualität mit dokumentarischen Rücksichten und den Unwert als Dokument mit dra- maturgischen Notwendigkeiten entschuldigte.“566 Der NDR übernimmt, was Zahl und Qualität der Produktionen anbe- langt, in den sechziger Jahren eine führende Position innerhalb der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Egon Monk, ehemaliger Regieassistent Bertolt Brechts, Hörfunk- und Fernsehredakteur, wird 1959 Leiter der Fernsehspielredaktion des NDR. Dort arbeiten Jerzy Bossak, Klaus Wildenhahn, Joachim Fest, Horst Lommer, Dieter Meichsner, Eberhard Fechner und andere Autoren und Regisseure. Sie begreifen die Ausein- andersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der bun- desrepublikanischen Gegenwart als wichtigste Aufgabe ihrer Redaktion und betonen die gesellschaftspolitische Funktion des öffentlich-recht- lichen Rundfunks. Beeinflußt durch die tagespolitischen Ereignisse wie dem Eichmann-Prozeß in Jerusalem und später dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß entstehen Dokumentationen wie Auf den Spuren des Henkers von Peter Schier-Gribowski und Carsten Diercks, (NDR 1961), Die Anfrage (NDR 1962), Mauern (NDR 1963) und Ein Tag (NDR 1965). Dabei geht es nicht nur darum zu zeigen, was gewesen ist, son- dern Erklärungen zu bieten, wie es zur nationalsozialistischen Diktatur, zu Krieg und Massenmord hat kommen können. Also wird auch gezeigt, welchen Rückhalt die Nazis in weiten Teilen der Bevölkerung genossen haben. Hinzu kommen als Themen die Ost-West-Problematik, insbeson- dere nach dem Mauerbau 1961, und der Alltag „ganz normaler Bürger“ 566 Netenjakob, Egon: Expeditionen in den Alltag. Das Fernsehspielporträt: Eberhard Fechner. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 6. Jg., H. 6/1976, S. 16. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 268 in der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft, in der aber nicht alle am Wohlstand teilhaben. (Wilhelmsburger Freitag, Nachrede auf Klara Heydebreck, Warum ist Frau B. glücklich?). Bei aller Themenvielfalt fällt Monk auf, „... daß es keinen deutschen Film gab, der sich mit diesem urdeutschen Thema [den Konzentrations- lagern] zentral beschäftigt hätte. Es hatte zwei, drei Kinofilme gegeben, in denen das KZ sozusagen als Schauplatz vorkam. Das Konzentra- tionslager als Thema war nicht dargestellt außer in einem Film der DEFA, Nackt unter Wölfen, der eine ganz bestimmte Episode aus der Geschichte des Lagers Buchenwald schildert, und außer mehren auslän- dischen Produktionen.“567 Überzeugt, daß es auch einen westdeutschen Film über das System der nationalsozialistischen Lager geben muß, ent- wickelt Monk gemeinsam mit dem KZ-Überlebenden Gunther R. Lys die Idee zu Ein Tag. Auf offenen Widerstand stoßen sie mit ihrem Vor- haben nicht, doch stellt Monk rückblickend fest: „ ... schon damals - Mitte der Sechziger - hieß es seit mehr als zehn Jahren, es sei noch zu früh, einen solchen Film zu machen. Unmittelbar darauf hörte ich, nun sei es zu spät. Für Leute, die solche Filme machen ... war eigentlich nie der richtige Zeitpunkt bei uns.“568 1964 beginnen die Arbeiten am Dreh- buch für Ein Tag. Die Dreharbeiten im Studio und in einem nachgebau- ten Lager finden von Januar bis März 1965 statt. Ausgestrahlt wird der 92-minütige Schwarz-Weiß-Film am 6.5.1965 in der ARD. II.5.2. Inhalt des Films und Interpretation In Ein Tag. Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 wird der Tagesablauf in einem Konzentrationslager gezeigt. Der Film schil- dert nur einen Tag, ungefähr in der Mitte der zwölf Jahre dauernden Diktatur in Deutschland, zwei Monate nach dem Novemberpogrom, acht Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Noch schlimmere Tage werden folgen. Aber niemand, der nur einen Tag an diesem Ort erleben muß, bleibt unbeschädigt. Das Geschehen im fiktiven „Schutzhaftlager Altendorf“ steht auf den ersten Blick im Kontrast zum Alltag im NS- Staat, jedoch ist das eine ohne das andere nicht vorstellbar. Monk drückt es so aus: „ ... das Konzentrationslager erwies sich, wenn auch in maßlos verzerrter Weise, als ein Spiegelbild der Gesellschaft, die es erbaut hatte. Das Konzentrationslager war als eine staatliche Einrichtung darzustellen, 567 Monk, Egon: Über die Genauigkeit. In: Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen und ein Portrait des festangestellten Fernsehregisseurs Klaus Wildenhahn. Berlin, 1984, S. 161. 568 Ebenda. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 269 als die Perversion der noch allen Zeitgenossen bekannten Ordnung im Lande, als Behörde, die sich von anderen Behörden nur dadurch unter- schied, daß dort die Grundsätze des Nationalsozialismus brutaler als anderswo praktiziert wurden.“569 Das Fernsehspiel ist in sieben Akte unterteilt, in „Ankunft“, „Appell“, „Alltag“, „Tod des Anwalts Katz“, „Appell“, „Unter ordentlichen Men- schen“. Mit Hilfe von Zwischentiteln wird der Beginn eines neuen Aktes angekündigt. Was der Film im einzelnen zeigt, soll hier wiedergegeben werden. Ankunft Männer in einen LKW gepfercht. Bei sich tragen sie kleine Koffer „mit dem Nötigsten“. Der Lkw hält vor dem Eingang zum Lager. Namen werden aufgerufen, die Männer gezwungen, eine militärische Haltung einzunehmen. „Noch“, so der SS-Scharführer, „können Sie sich das neue Zuhause von außen ansehen.“ Die Neuankömmlinge sehen einen toten Häftling in den elektrischen Lagerzaun gekrallt. Appell Der Tag im Lager beginnt mit dem Appell. Die Häftlinge werden schi- kaniert, ihre Häftlingskleidung auf „Ordnung und Sauberkeit“ kontrol- liert. Es herrscht ein militärischer Drill. Ein älterer Gefangener hat sich mit einem alten Papiersack unter der Kleidung gegen die Kälte zu schüt- zen versucht, ein anderer trägt einen Schal. Beiden drohen schlimmste Strafen. Nicht nur die Häftlinge haben strammzustehen, Meldung zu machen und Befehle auszuführen, auch die Bewacher exerzieren. Alltag Der Tote im Zaun soll zum Krematorium gebracht werden. Überblen- dung: Zu sehen sind der Empfang Hitlers für das Diplomatische Korps in der Reichskanzlei 1939 und jubelnde, „Heil Hitler“ rufende Massen. Die Häftlinge müssen eine Grube ausheben, groß genug, um als Massengrab genutzt zu werden. Der SS-Oberscharführer läßt sich von einem Häftling rasieren. Zur gleichen Zeit wird den Neuankömmlingen der Kopf geschoren und man gibt ihnen Sträflingskleidung und Holzpantinen, 569 Monk, Egon: Ein Tag – ein Film für, nicht gegen die Zuschauer. In: Deutschland auf der Mattscheibe. Die Geschichte der Bundesrepublik im Fernsehspiel. Hrsg. von Martin Wiebel. Frankfurt/M, 1999, S. 83. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 270 alles andere hat man ihnen abgenommen. Ein Alter beteuert, es sei ein Irrtum, daß er hier sei. In der Krankenbaracke haben Häftlinge selbst Selektionen durchzuführen. Die Neuen verstehen: „Hier gibt es keine Kranke, hier gibt es nur Gesunde und Tote.“ Die Häftlinge sind aus unterschiedlichen Gründen im KZ. Auf die Frage des SS-Schergen ant- wortet ein alter Mann, er sei als Wilddieb erwischt worden, ein anderer, ein Friseur, hat einen politischen Witz erzählt. Der Nazi-Scherge zwingt ihn, den Witz zu erzählen. Der Nazi lacht, dann schlägt er den Häftling zu Boden. Ein anderer Neuling, ein ehemaliger Spanien-Kämpfer namens Springer, vermittelt dem SS-Mann den Eindruck, sich den Regeln der Nazi-Herrscher anpassen zu wollen. Seine unterwürfige Haltung macht die anderen mißtrauisch. Geschäfte, Schwierigkeiten, Sorgen Der Kommandant diktiert Briefe, es geht um die Verwertung des abge- schnittenen Männerhaares und die Bestellung neuer Krematorien. Für die Häftlinge sind Hunger und Krankheit allgegenwärtig, im Offizierskasino herrscht dagegen zur Mittagszeit gepflegte Gastlichkeit. Die Nazi- schergen lassen ich von den Häftlingen bedienen und üben sich in Kon- versation, erkundigen sich nach Frau und Kindern, sprechen über ihre Karrieren im SS-Staat. Der Sohn des Rapportführers verkraftet die karrierebedingten Ortwechsel seines Vaters nicht gut. „Ein Kind braucht Gewöhnung“ befindet der Vater. Aus dem Fenster sehen sie die Häft- linge die Grube ausheben, die Gefangenen werden gehetzt und geschla- gen. Sie wissen nicht, warum sie dieses 20 Meter lange, 2 Meter breite und 3 Meter tiefe Loch ausheben. Vorerst, um es wieder zuzuschütten, so lautet der Befehl des Kommandanten nach dem Mittagessen. Am Abend soll nichts mehr zu sehen sein. Im Lager sind Menschen aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert. Man- cher wurde von seinen Nachbarn denunziert. Durch die an der Häftlings- kleidung zu befestigenden farbigen Dreiecke werden die Menschen als „Kriminelle“ und „Asoziale“, „Homosexuelle“, „Politische“, „Juden“ gekennzeichnet. Manche sind schon lange da, sie erklären den Neu- ankömmlingen, was sie erwartet. Jeder verdächtigt jeden und weiß doch, daß er mit seinem Mißtrauen den Nazis in die Hände spielt. Aber es gibt sie tatsächlich, Schieber und Verräter unter den Häftlingen, die den Folterern bereitwillige Handlanger sind. Einer von ihnen ist Mennes. Die beiden Lagerältesten sind politische Häftlinge. Ein Kommunist, Karl Hermann, und ein Sozialdemokrat, Alwin Reusch. Der eine hart und pragmatisch, der andere zögerlich, bemüht, menschliche Maßstäbe zu wahren. Was nicht funktionieren kann. Die Lagerältesten müssen mitent- II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 271 scheiden über Leben und Tod. Sie schicken diejenigen zu den härtesten Arbeitseinsätzen, die nach den Gesetzen des Lagers sowieso keine Überlebenschance haben. So, und durch Eingriffe in die Lagerstatistik, hoffen sie, andere zu retten. Tod des Anwalts Katz Der jüdische Anwalt Katz, der sich beim Morgenappell mit einem Papiersack unter der Jacke vor der Kälte zu schützen versucht hat, ent- geht seiner Strafe nicht. Zunächst hat er einen Chor von Gefangenen zu dirigieren, die singen müssen: „Und Juda den Tod!“ Dabei stampfen sie die Erde auf der wieder zugeschütteten Grube fest. Dann greift sich der Blockführer die Mütze des Anwalts, wirft sie in den elektrischen Stacheldrahtzaun und befiehlt Katz, sie zu holen. Jeder weiß, was dieser Befehl bedeutet. So auch der Anwalt Katz. Er zieht seine Schuhe aus, die einem Mithäftling noch nützen können, stellt sie ordentlich nebenein- ander und geht Richtung Zaun. Da trifft ihn eine Maschinengewehrsalve vom Wachturm aus. „Auf der Flucht erschossen“ wird es im Protokoll heißen, und der junge Soldat auf dem Turm hat sich damit ein freies Wochenende verdient. Appell Vor dem Abendappell reinigen die Häftlinge notdürftig ihre blutenden und schwieligen Hände. Die Kamera blendet über in eine andere Welt: „draußen“, „das ‚normale‘ Leben“. Aus dem Off verkündet eine Stimme, daß heute abend die Tanzmeisterschaften beginnen. Gutgekleidete Men- schen strömen in einen Saal, bereit, sich unterhalten zu lassen. Die Häft- linge versammeln sich zur gleichen Zeit auf dem Appellplatz. Sie haben zu stehen, bis die Zahlen endlich stimmen. Neuzugänge, „Abgänge“ wie der ermordete Anwalt Katz müssen berücksichtigt werden. Ein Geist- licher wird besonders schikaniert. Er soll sagen: „Gott ist ein Schwein.“ Er weigert sich und wird bestraft. Mit den Händen nach hinten wird der Mann so an einen Pfahl gebunden, daß er einen Meter über dem Boden hängt. Den geschundenen Häftlingen bleiben Nazi-Parolen nicht erspart. Der Scharführer verkündet: „Es gibt einen Weg in die Freiheit. Seine Meilensteine heißen: Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Nüchternheit, Wahrheitssinn, Opfermut und Liebe zum Vaterland.“ 570 570 Diese Parole ist dem Roman Kilometerstein 12,6 von Gunther R. Lys entnommen. Dort wird geschildert, wie die Neuankömmlinge in Auschwitz mit diesem Spruch konfron- tiert werden. Schon nach kurzer Zeit ist den Häftlingen klar: „Es gibt nur einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen Fron, Folter, Krematorium.” Zit. nach Lys, Gunther II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 272 Unter ordentlichen Menschen Für die Nazi-Täter endet ein Tag in einem deutschen Konzentrations- lager 1939 mit dem Dienstschluß. Am Abend nutzen sie die Gelegenheit, wieder „unter ordentlichen Menschen“ zu sein. Es herrscht „Normalität“, man speist in Restaurants, unterhält sich angeregt. Im Hintergrund aber dröhnen noch die Befehle und Drohungen der Nazi-Folterer. Immer wieder: „Ihr lernt dat noch! Dat lernt ihr noch!“ Der KZ-Kommandant ist, ohne daß etwas Besonderes geschehen müßte, wieder eins mit den Bürgern der Stadt. Das Fernsehspiel Ein Tag hat den Untertitel Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939. Bericht als Gattungsbezeichnung verweist auf Objektivität. Es wird mitgeteilt, was passiert ist. Jedoch nicht nur in einem deutschen Konzentrationslager im Januar 1939, sondern auch sonst in der Welt. Zu sehen sind Aufnahmen vom Empfang des diplo- matischen Corps bei Hitler, jubelnde Massen, Theater- und Restaurant- besucher, Teilnehmer eines Tanzturniers. Dokumente? Diese Ereignisse finden am selben Tag statt wie die Einlieferung unschuldiger Menschen in ein Lager. Davon gibt es keine Bilder. Monk und sein Team inszenie- ren sie, rekonstruieren Realität. Die Kamera überblendet die Bilder und verdeutlicht so den Zusammenhang zwischen den zwei Welten, der Lagerwelt und der Welt der „anständigen Deutschen“. „Ausgehend von den propagandistischen Bildern einer scheinbar unverfänglichen Norma- lität wird das zum Bild gemacht, was bilderlos bleiben sollte, sowohl damals, als auch nach 1945, als die Greuel der Lager als unvorstellbar und unbeschreiblich abgewehrt wurden“571, schreibt Karl Prümm. Streng genommen inszeniert Monk; er stellt - möglichst genau allerdings - nach, wie es gewesen sein könnte und erreicht damit höchste „fiktive Authentizität“, so paradox das klingen mag. Die Rekonstruktion recht- fertigt er mit der Unmöglichkeit „die Realität“ abzubilden. Und mit Verweis auf Brecht spricht er von der „sozialen Kausalität“, die der Film begreiflich zu machen hätte, denn schließlich ergäbe eine Photographie der Krupp-Werke oder der AEG beinahe nichts über diese Institute.572 Einfaches Abbilden genügt also nicht, stattdessen muß der Zuschauer R.: Kilometerstein 12,6. Basel, Frankfurt/M., 1987, S. 49 und S. 55. 571 Prümm, Karl: Inszeniertes Dokument und historisches Erzählen. Die Fernsehfilme von Egon Monk. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 44. 572 Vgl. Brecht, Bertolt: Der Film braucht die Kunst. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 18. Frankfurt/M., 1968, S. 161f. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 273 erfahren, wer, was, warum, zu welchem Zeitpunkt getan oder nicht getan hat. Diese Überzeugungen erklären Monks Lust an der Explikation, sowohl mit seinen Schauspielern als auch mit dem Zuschauer befindet er sich im andauernden Dialog. Heute wirkt dieser erklärende Gestus zu- weilen altmodisch, gar oberlehrerhaft. „Wissen wir alles schon“, mögen sich manche Zuschauer denken. In den sechziger Jahren aber ist Monks Art, Geschichte zu erzählen, neu. Nicht nur die Bilder zwingen die Zuschauer zur Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit, sondern auch die Antworten, die die Fernsehspiele auf die Frage bieten, wie es „dazu“ hat kommen können. Täter und Opfer werden sehr genau gezeichnet, sind nicht einfach nur gut oder böse. Monk vermeidet Klischees, die es dem Zuschauer erleichtern könnten, sich abzuwenden, weil er mit solchen Typen nichts zu tun hat. Die Figuren bleiben Figuren, zwar als Individuen erkennbar, jedoch im Fall der Häftlinge nicht „Helden“ oder „Vorbilder“, die zur Identifikation einladen. Nur selten stellt die Kamera eine besondere Nähe her. Die Zuschauer verlieren einzelne Figuren, die sich als Häft- linge in das Lagersystem eingliedern müssen, im Verlauf des Tages aus den Augen. Ebenso bleiben die Täter Figuren, auswechselbar. Die Hier- archien, sowohl unter den SS-Leuten als auch den Häftlingen, sind erkennbar. Es treten der Lagerkommandant, der Rapportführer und Blockführer auf, unter den Häftlingen sind Kriminelle und Asoziale, Geistliche, Homosexuelle, Politische, Juden. Keine Gruppe wird ausge- spart. Täter und Opfer sprechen verschiedene Dialekte, kölnisch, hessisch, norddeutsch, berlinerisch, aber auch sächsisch und schlesisch. Monk sagt dazu: „Die Dialekte hatten eine doppelte Funktion: Sie stell- ten erstens Nähe zur Realität her und verhalfen zweitens zu aktuell- politischen Assoziationen.“573 Dieser Gegenwartsbezug - darin ähnelt Ein Tag allen anderen frühen Holocaustfilmen, vor allem der DEFA-Produktion Nackt unter Wölfen - ist Monk sehr wichtig. Bewußt hat er nicht einen Tag aus den letzten Jahren der Diktatur ausgewählt. Ihm geht es um das „Wehret den An- fängen“. Er möchte die Erkenntnis der Zuschauer befördern, daß Nicht- Einmischen Folgen hat und dieses für 1933 oder 1939 genauso gilt wie für 1965. Monk bearbeitet nicht nur in Ein Tag historische Stoffe. Geschichte als solche aber ist ihm gleichgültig, äußert er in einem Inter- 573 Monk, Egon: Rede zur Verleihung des DAG-Fernsehpreises in Berlin am 23.4.1966. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 70. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 274 view: „Mich interessiert an der Vergangenheit nur das Noch- Gegenwärtige.“574 Wichtig ist für Monk - möglicherweise als Resultat des Eichmann- Prozesses - die Darstellung der Lagerbürokratie, des folgenreichen All- tags der Schreibtischtäter. So wie ein Unternehmen beliefert wird, wird auch das Lager mit „Menschenmaterial“ beliefert. Es werden Listen er- stellt, Durchschläge angefertigt, Unterschriften gefordert. Was die noch Arbeitsfähigen erwirtschaften, wird verkauft, ebenso, was von den Toten verwertbar ist. Die zeitaufwendigen Verwaltungsarbeiten sind in Filmen fast nie zu sehen, sie aber deuten an, was die Einzigartigkeit der natio- nalsozialistischen Lager ausmacht: das geschäftsmäßige, vollbürokrati- sierte, z.T. industriealisierte Morden. Indirekt wird dadurch der Zusam- menhang zwischen Nationalsozialismus und Kapitalismus hergestellt. Ganz entscheidend für die Entstehung von Ein Tag ist die Zusammen- arbeit mit Gunther R. Lys, der die Lager Sachsenhausen und Lieberose überlebt hat. Ausgehend von seinem Buch „Kilometerstein 12,6“ ent- steht, so Monk, „... ein glaubwürdiges, wahrhaftiges und in gewisser Weise sehr, das sage ich ausnahmsweise mal ohne Anführungsstriche, kunstvolles Drehbuch, in dem 90 Minuten lang, das ist ja eine enorm kurze Zeit, ein langer Tag so ausgedrückt wird, daß man als Zuschauer den Eindruck hat haben können, tatsächlich die wichtigen Ereignisse nicht nur im großen und ganzen, sondern auch in den wichtigen Details kennengelernt zu haben, den Eindruck, jetzt weiß ich, wie das war, in einem deutschen Konzentrationslager gewesen zu sein.“575 Die Details, die durch Lys‘ frappierendes Erinnerungsvermögen, im Film beschrie- ben werden können, sind für Monk die Voraussetzung jeder Rekon- struktion. Er ist der Überzeugung, „der Teufel steckt im Detail“.576 Filme, in denen auf Einzelheiten verzichtet wird, wirken auf ihn „seltsam leblos“. So erhalten die Schauspieler eine militärische Grundausbildung, um zu zeigen, „... wie das KZ auch eine Verlängerung des preußisch- nazistischen Drills war.“577 Monk will es „zackig“, denn der Film hätte sonst bei Zuschauern, die eine militärische Ausbildung noch am eigenen 574 Prümm, Karl: Was unsere Zeit noch in Bewegung hält. Ein Interview mit Egon Monk über Die Geschwister Oppermann. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medien- wissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 73. 575 Monk, Egon: Über die Genauigkeit. In: Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen und ein Portrait des festangestellten Fernsehregisseurs Klaus Wildenhahn. Berlin, 1984, S. 162. 576 Ebenda. 577 A.a.O., S. 163. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 275 Leib erfahren haben, unglaubwürdig erscheinen können.578 Durch besondere Sorgfalt und Genauigkeit erreicht der Regisseur Authentizität trotz bzw. durch Inszenierung. Nachdem die Zuschauer Ein Tag gesehen haben, können sie sich vorstellen, was „Vernichtung durch Arbeit“ bedeutet, wie klein die Essensrationen sind, wie ein Zählappell verläuft, wie wenig Hygiene und ärztliche Versorgung möglich sind, in welche Hierarchien sich Täter und Opfer, freiwillig oder gezwungenermaßen, einfügen. II.5.3. Mitwirkende Stab Regie Egon Monk Regieassistenz Klaus Wildenhahn Buch Gunther R. Lys, Klaus Hubalek, Egon Monk Produktionsleitung Günter Handke Kamera Walter Fehdmer Schnitt Irene Brunhöver Ton Hans Diestel Musik Ernst Fischer Szenenbild Herbert Kirchhoff Kostüme Brigitte Dankwardt Darsteller Hans Neumann Josef Fröhlich Ernst Springer Hartmut Reck Ludwig Pfitzner Hans Stadtmüller Paschke, SS-Mann Peter Lakenmacher Karl Hermann, Lagerältester Heinz Giese Alwin Reusch, Lagerältester Ernst Ronnecker Lagerschreiber Werner J. Heyking Blockältester I Harald Eggers Blockältester II Egon Mohr Mennes Eberhard Fechner 578 Vgl. ebenda. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 276 Katz Josef Schaper Kapo I (Vorarbeiter) Curt Timm Kapo II (Vorarbeiter) Gottfried Kramer Eichner, Rapportführer Conny Palme Böhm Ludwig Wühr Hans Steinberger Reent Reins Schwabbel Gerhard Hartig Vorarbeiter 632 Jochen Schenck Häftling 1018 Charles Parlent Pfarrer Ernst Jacobi Otto, VA Lumpentrenner Hermann Behn Rüttig, Lagerführer Gerd Haucke Schwarz, Blockführer 1 Peter Lehmbrock Blockführer 2 Herbert Leonhardt Blockführer 3 Günter Langer Blockführer 4 Frank Strass Fischer, Revier-Kalfaktor Bruno Vahl-Berg Pipel Berthold Weiss Egon Monk wird 1927 in einem Berliner Arbeiterviertel geboren. In den letzten Kriegsjahren ist er noch Luftwaffenhelfer. Von 1945 bis 1947 besucht er die Schauspielschule und ist Regieschüler bei der DEFA, es folgen verschiedene Engagements, ab 1949 ist Monk Regieassistent beim Berliner Ensemble und arbeitet eng mit Bert Brecht zusammen. Bei allen Freiheiten, die ihm Brecht gewährt, will Monk selbständig arbeiten. In der stalinistischen Enge der DDR fühlt sich der Sozialist Monk nicht wohl. 1954 wechselt er zum Rundfunk, ist freier Autor und Hörspiel- Regisseur beim RIAS Berlin. 1957 geht er ganz in den Westen und arbeitet als Hörspiel-Dramaturg in Hamburg. 1959 wird ihm die Leitung der neuen Fernsehspielabteilung des NDR angetragen. Monk hat diese Position bis 1968 inne. Für kurze Zeit übernimmt er die Intendanz des Hamburger Schauspielhauses. Nach diesem „Nicht-einmal-hundert- Tage-Intermezzo“579 arbeitet er als freier Autor für den NDR. Gunther R. Lys wird 1907 in Hamburg geboren. 1925 zieht er nach Berlin. Lys arbeitet als Photograph, Lektor, Übersetzer und Autor, schreibt u.a. erfolgreiche Krimis. 1936 erhält er wegen „politischer Un- zuverlässigkeit“ Berufsverbot. 1941 wird er verhaftet und wegen Aus- landskontakten und „Gefährdung der Sicherheit des deutschen Reichs“ 579 So nennt es Egon Netenjakob, unterläßt es aber, Monk dazu zu befragen. Vgl. Neten- jakob, Egon: Realismus und Fernsehspiel. Gespräche mit Egon Monk und Klaus Wildenhahn. In: Notizen zum ARD-Programm. 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952 bis 1977. Hrsg. von der Programmdirektion Deutsches Fernsehen/ARD. S. 113. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 277 nach Sachsenhausen gebracht. Die Rote Armee befreit das Lager im April 1945. Nach dem Krieg leitet Lys für kurze Zeit das Kulturamt Oranienburg, arbeitet als Lektor und Übersetzer für den Verlag „Volk und Welt“ und macht Sendungen für den Berliner Rundfunk. Den Lager- roman „Kilometerstein 12,6“580 verfaßt er während eines Krankenhaus- aufenthaltes im Winter 1947/48. Lys wird als Autor in einem Atemzug mit dem jungen, sozialistischen Vorzeigedichter Kurt Bartel, Pseudonym „Kuba“, genannt581, als jedoch die Anfänge einer rigiden staatlichen Kulturpolitik in der DDR sichtbar werden, geht Lys nach West-Berlin. Er arbeitet zusammen mit Claus Hubalek für den RIAS. Beide wechseln zum NDR. „Genau am Tag des Mauerbaus rollten meine Möbel durch die Zone“582, erzählt Lys. 1961 wird er Cheflektor der Abteilung Fern- sehspiel des NDR in Hamburg. Dort schreibt er das Drehbuch zu Mauern, in dem es um den Generationenkonflikt zwischen den Vätern, die sich als Nationalsozialisten und Kommunisten in den zwanziger und dreißiger Jahren gegenüberstanden, und ihren Kindern geht. Für Mauern erhält Lys den Adolf-Grimme-Preis. Das Drehbuch zu Ein Tag stammt ebenfalls von Lys. Monk lobt es als künstlerisch überragend und betont: „Wäre der Lys nicht hier gewesen, wäre er nicht Häftling gewesen in Sachsenhausen und wäre er nicht Autor gewesen, so gäbe es diesen Film nicht. Denn der Einblick, das Wissen, die Kenntnisse, wie lief denn ein Tag in einem deutschen Konzentrationslager im Januar 1939 ab, wären uns bei allem Fleiß aus dem bekannten vorliegenden Material zu erar- beiten nicht möglich gewesen.“ Nach dem großen Erfolg von Ein Tag siedelt Lys 1966 gemeinsam mit seiner zweiten Frau Ruth nach Haifa über. Nach ihrem Tod 1984 kehrt er noch einmal nach West-Berlin zu- rück. Egon Monk liegt als Leiter der Fernsehspielredaktion besonders die Förderung des Nachwuchses am Herzen. Klaus Wildenhahn kommt nach der Auflösung der alten Panorama-Redaktion in die Fernsehspielab- teilung. Er assistiert bei der Arbeit zu Ein Tag, und Monk hofft, den Dokumentarfilmer von seiner Arbeitsweise als „Spiel-Autor, -Regisseur, -Redakteur“ überzeugen zu können, denn er findet „... noch immer un- 580 Eine Rezension von Kilometerstein 12,6 erscheint in der Kantorowicz-Zeitschrift Ost und West von Wolfgang Joho, H. 1/1949, S. 84/85. 581 Vgl. Menschheitsdichtung und KZ-Roman. In: Neues Deutschland vom 3.11.1948, S. 3. 582 Lys, Gunther R., zit. nach Michael Rohrwasser: Nachwort. In: Lys, Gunther R.: Kilo- meterstein, 12,6. Basel, Frankfurt/M., 1987, S. 225. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 278 sere Arbeit der Dokumentarfilmarbeit weit überlegen und viel inter- essanter.“583 Eberhard Fechner, wie Monk Jahrgang 1927, spielt in Ein Tag den Häft- ling Mennes, einen Verräter. Monk regt Fechner an, selbst Regie zu führen. Sein erstes Fernsehspiel, Selbstbedienung (1967), schildert den Einbruch einer Bande Jugendlicher in ein Kaufhaus. Von Film zu Film verfeinert Fechner die Montagemethoden, so daß die Portraitierten wie z.B. in Klassenphoto oder Comedian Harmonists in einem scheinbaren Dialog ihre gemeinsame Geschichte erzählen. Zu Fechners Hauptwerken und zu den wichtigsten deutschen Filmen über den Holocaust zählt seine mehrteilige Dokumentation des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses.584 II.5.4. Resonanz „Seit Beginn der 60er Jahre mit einem Höhepunkt fünf Jahre später (nach Start des ZDF) überschwemmte die Republik eine Welle histo- rischer Fernsehspiele, Dokumentationen, Dokumentarspiele und fach- kundiger Studio-Diskussionen, wobei arbeitsteilig in Serien „Das Dritte Reich“ von der ARD (1961) und „Weimarer Republik“ vom ZDF bewältigt wurden“585, schreibt Michael Stoffregen-Büller in einem Rückblick auf 25 Jahre Deutsches Fernsehen. Die ARD strahlt Ein Tag am 6.5.1965 aus, zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. 1965 verfügen nahezu alle bundesdeutschen Haushalte über einen Fern- seher. Zu empfangen sind drei oder vier Programme, ARD, ZDF, ein oder zwei dritte Programme, eventuell DDR 1 und 2 oder ein ausländi- scher Sender. Ein zur Hauptsendezeit ausgestrahlter Beitrag kann dem- entsprechend mit einer Einschaltquote rechnen, die bei 50% liegt. Monk macht sich Gedanken über die „zehn oder fünfzehn Millionen Men- schen“, die er erreicht. Daraus wächst für ihn eine besondere Verant- wortung, denn er beeinflußt Meinungen, was aber legitim sei, solange das eigene Engagement, stets „... das Engagement der Unwillkommenen, der falschen Vertreter der nationalen Interessen...“ hervorrufe.586 583 Monk, Egon: Über die Genauigkeit. In: Netenjakob, Egon: Liebe zum Fernsehen und ein Portrait des festangestellten Fernsehregisseurs Klaus Wildenhahn. Berlin, 1984, S. 160. 584 Siehe Kapitel II. 7. 585 Stoffregen-Büller, Michael: Wie soll das Fernsehen deutsche Vergangenheit bewälti- gen? In: Notizen zum ARD-Programm. 25 Jahre Deutsches Fernsehen 1952-1977. Hrsg. von der Programmdirektion Deutsches Fernsehen/ARD. München, 1977, S. 71. 586 Monk, Egon: Rede zur Verleihung des DAG-Fernsehpreises in Berlin am 23.4.1966. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 279 Zur Resonanz von Ein Tag beim Publikum liegen Daten vor, die Infra- test ermittelt hat. Die Sehbeteiligung hat bei 46% Prozent gelegen, knapp die Hälfte der befragten Testpersonen, 45%, hat Ein Tag positiv beur- teilt. Auf die Frage: „Finden Sie es gut, daß ein solches Thema im Fern- sehen behandelt wird?“, antworteten die Befragten folgendermaßen.587 Tabelle 6: Grundsätzliche Einstellung zur Ausstrahlung des Fernsehspiels Ein Tag Aufgliederung nach Geschlecht in % Aufgliederung nach Altersgruppen in % Gesamt Männer Frauen 14-29 30-49 >50 (n=425) (n=224) (n=201) (n=116) (n=155) (n=154) ja 60 65 56 74 57 54 nein 39 35 42 26 42 45 1 - 1 - 1 1 keine Angabe/ weiss nicht Quelle: Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung? Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1971, S. 166 Infratest hat außerdem nach Gründen für das positive oder negative Ur- teil gefragt:588 Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk - Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 65. 587 Vgl. Infratest: Die Zuschauerreaktion auf die Fernsehsendung vom 6.5.1965 Ein Tag. Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager. München, 1965, S. 24. Zit. nach Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung? Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1971, S. 166. 588 Vgl. Infratest: A.a.O, S. 6. Zit. nach Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung. Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1971, S. 167. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 280 Tabelle 7: Gründe für die Einstellung zum Fernsehspiel Ein Tag Aufgliederung nach Geschlecht in % Aufgliederung nach Altersgruppen in % Gesamt Männer Frauen 14-29 30-49 >50 (n=425) (n=224) (n=201) (n=116) (n=155) (n=154) Eine interessante und gute Aufklärung, das wusste man noch nicht 36 34 39 49 29 34 Hat realistisch und objektisch gezeigt, wie es damals war, wie grausam 17 18 15 14 19 16 Schauspielerisch gut 9 11 7 6 12 8 Sendung war gut gemacht 6 6 6 9 7 3 Wichtig für die jüngere Generation 3 3 3 4 1 5 Eine Warnung, das darf sich nicht wiederholen 3 3 3 3 3 4 Sonstige postive Äußerungen 1 2 1 1 1 2 Damit soll man aufhören, davon wird zuviel gebracht 14 13 14 6 12 21 Es wirkte nicht überzeugend, es wirkte übertrieben 8 9 6 2 12 8 Zu grauenvoll 6 4 9 7 9 3 Beschmutzung des eigenen Nestes auch Verbrechen des anderen 2 2 1 - 2 3 Nicht näher begründetes Desinteresse, Ablehung 4 4 4 6 4 2 Sonstige Negative Äußerungen 0 1 0 - 1 1 Keine Ahngabe 1 1 1 1 1 1 Quelle: Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung. Politik, Ökonomie und Kommuni- kation in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1971, S. 167. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 281 Die Sehbeteiligung ist insgesamt hoch (46%), die Mehrheit der Befrag- ten äußert sich positiv (45%), doch fallen auch viele kritische Bemer- kungen (35% äußern sich eher negativ). Das liegt zum einen grundsätz- lich am Thema Konzentrationslager, das insbesondere von Frauen als grauenvoll empfunden wird, zum anderen an dem allgemeinen Wunsch, mit der Vergangenheit nicht länger behelligt zu werden. Negative Äuße- rungen rühren zum Teil daher, daß die Zuschauer kaum Gelegenheit hatten, ihre Aufmerksamkeit auf tragische Einzelschicksale zu richten, und sie keine eindeutigen Identifikationsangebote bekamen. Zudem zwingt insbesondere die Schlußszene die Zuschauer, nach der eigenen Verantwortung zu fragen. Das erklärt Abwehrreaktionen. Die Zustimmung ist in der Gruppe der 14-29-jährigen besonders groß, aber auch ältere Zuschauer begrüßen das Fernsehspiel als gelungene Aufklärung und Warnung vor ähnlichen Entwicklungen in der Gegen- wart. Die Gestaltung der Sendung hat sich laut Infratest von Vorteil erwiesen, denn „... bei einem reinen Bild-Dokumentarbericht ohne zusammenhängende Handlung hätte so mancher Zuschauer vermutlich vorzeitig abgeschaltet.“589 Beeinflußt durch andere Holocaustfilme, die das Morden in den Ver- nichtungslagern in den Mittelpunkt gerückt haben (genannt wird Nacht und Nebel), wird vereinzelt die Aussage getroffen, was Ein Tag biete, sei doch noch harmlos. Diese Aussage beruht jedoch überwiegend auf der Tatsache, daß es einen Unterschied zwischen den Konzentrationslagern, „Schutzhaftlagern“ genannt, im Reichsgebiet Ende der dreißiger Jahre und den Vernichtungslagern in Polen bis 1945 gegeben hat, und daß das eine dem anderen vorausgegangen ist. Horst Holzer, der in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft als Vertreter des neomarxistischen Ansatzes gilt, benutzt die von Infra- test ermittelten Daten über die Resonanz von Ein Tag zur Stützung seiner These von der gescheiterten Aufklärung in der kapitalistischen Gesellschaft. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könne wenig bewirken, wie das Beispiel Ein Tag zeige, schreibt er 1971, als es noch keine Kon- kurrenz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch privat-kommer- zielle Anbieter gibt: „In der Zwiespältigkeit des redaktionellen Angebots - hier Propagierung einer öffentlichen Aufgabe, dort profitorientierte Produktion herrschaftsaffirmativer Auskünfte über eine Gesellschaft, deren verschleierter Zustand sozusagen das Lebenselixier der Massen- medien darstellt -, in dieser Zwiespältigkeit sowie in der bewußtseins- 589 Vgl. Infratest: A.a.O, S. 24. Zit. nach Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung. Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1971, S. 166. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 282 verdunkelnden Wirkung auf ihr Publikum offenbart sich das politöko- nomische Dilemma dieser Institutionen: nach dem Grundgesetz für Orientierung und Aufklärung, Kritik und Kontrolle sorgen zu sollen; aber im Interesse der die Medien und die Gesellschaft beherrschenden Machtgruppen aus Ökonomie und Politik die Disziplinierung des Publi- kums und die Kaschierung des Klassencharakters der Bundesrepublik vorantreiben zu müssen.“590 Holzers pessimistischer Sicht ist entgegenzuhalten, daß mehr Aufklärung nur durch mehr Zwang zu erreichen wäre. Daß nahezu die Hälfte aller Fernsehzuschauer das Angebot des öffentlich-rechtlichen Senders ange- nommen und sich damit auseinandergesetzt hat, ist trotz der negativen Stimmen ein Erfolg und spricht für die Idee des gesellschaftlich organi- sierten Rundfunks. Egon Monk hat vorab betont, daß die Zahl der er- reichten Zuschauer wichtiger sei als ein eindeutig positives Votum. Die Resonanz, die Ein Tag schließlich erzielt, erstaunt um so mehr, als im ZDF fast zeitgleich zu dem Fernsehspiel ein Film ausgestrahlt wird, der schon aufgrund seiner Ankündigung mehr Unterhaltung verspricht. Die Hörzu faßt den Inhalt des Spielfilms Eine Kriegsliebe folgendermaßen zusammen: „Frankreich November 1944! An der Invasionsfront toben heftige Kämpfe. Jeder Tag bringt Tote und Verwundete. Inmitten dieses Infernos interessiert den französischen Kriegsberichterstatter Pierre Level nur eins: den Krieg so schonungslos wie möglich zu fotografieren! ... Dabei verliebt er sich in eine junge Engländerin aus dem Hilfskorps. Ann ist keineswegs schön, aber sie ist ein natürliches, unverbildetes Menschenkind. Ihr gelingt es schließlich, den harten Reporter zu bekeh- ren.“591 Der Zweite Weltkrieg liefert hier lediglich den Hintergrund einer Liebesgeschichte, er wird als zusätzliche Prüfung der Liebenden darge- boten. In Ein Tag hingegen geht es um das, was dem Krieg vorausge- gangen ist: den Terror im eigenen Land, der Ausschaltung derjenigen Personen, die den Nazis bei der Durchsetzung ihrer Ziele bis hin zum Krieg im Weg gestanden haben. Doch trotz der Unterschiede im Genre und dem, worüber Ein Tag und Eine Kriegsliebe berichten, beziehen sich beide Filme auf die Verbrechen der Nazis. Anlaß dieser geballten Beschäftigung mit der jüngsten Geschichte ist der 20. Jahrestag des Kriegsendes. Ein Tag wird mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Seit 1965 verleiht die Deutsche Angestelltengewerkschaft jährlich ihre Fernsehpreise für her- 590 Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung. A.a.O., S. 167. 591 Hörzu, Nr. 18/1965, S. 99. Zit. nach Classen, Christoph: Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955– 1965. Köln, Weimar, Wien, 1999. (= Medien in Geschichte und Gegenwart, Bd. 13, hrsg. von Jürgen Wilke), S. 35. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 283 ausragende Fernsehspiele, die der politischen Bildung dienen, die Ur- teilsfähigkeit in gesellschaftlichen Fragen erhöhen und die Bereitschaft zum politischen Engagement für Freiheit und Demokratie stärken sollen.592 Die Autoren von Ein Tag werden 1966 mit dem DAG-Preis in Gold ausgezeichnet. Egon Monk hält zur Verleihung des Preises am 23.4.1966 in Berlin eine Rede, in der er Anspruch und Programm der NDR-Fernsehspielredaktion erläutert. Ein Tag gewinnt außerdem die Goldene Kamera und den Fernsehpreis der Akademie der Darstellenden Künste, beide 1966. Im selben Jahr zeigt das Schweizer Fernsehen Ein Tag, im Juli wird der Film außer Konkurrenz während des Internationa- len Fernsehfestivals in Prag gezeigt. Das ARD-Gremium hatte „... aus unerfindlichen Gründen den ungleich schwächeren Beitrag“ 593 Tag des Zorns nominiert. Das Fernsehspiel ist auch in Ungarn zu sehen, „... in der DDR hingegen würgten ihn Funktionäre des Internationalen Sach- senhausen-Komitees ab“594, so Gunther R. Lys. Hinzu kommt vermut- lich, daß Lys und Monk der DDR den Rücken gekehrt hatten und dort folglich zu Unpersonen geworden waren. Im Oktober 1966 wird Ein Tag als Beispiel deutscher Fernsehkunst in den USA gezeigt. Es läuft unter dem Titel Only one day und stößt in der US-amerikanischen Presse auf beachtliche Resonanz. Es berichten u.a. The New York Times, New York Herald Tribune, New York World Telegram&Sun, New York Post, The Evening Bulletin (Philadelphia), The Philadelphia Inquirer, The Boston Globe. Lys erzählt, daß ihm ein Journalist vom New York Herold nach der Vorführung gesagt habe: „Ach, ich dachte, es seien nur Juden im KZ gewesen.“595 In der Bundesrepublik berichtet der Tagesspiegel über die Aufführung von Ein Tag in den USA: „Die kurzen Ausschnitte aus dem KZ-Drama Ein Tag von Gunter R. Lys erschütterten. Mancher fragte, warum man so etwas nicht hier zu sehen bekommt, es sei doch viel stär- ker als Weiss‘ ‚Ermittlung‘.“596 Die britische BBC zeigt Ein Tag am 10.12.1977, zur Erinnerung an die Unterzeichnung der UNO-Menschen- rechtsdeklaration 1948. In der Bundesrepublik erfährt Ein Tag nur wenige Wiederholungen. Gezeigt wird das Fernsehspiel am 17.1.1967, dann erst wieder zwölf Jahre später, nach der heftigen publizistischen Kontroverse über die US- 592 Vgl. Politische Bildung durch Fernsehspiele. 25 Jahre DAG-Fensehpreis. Hrsg. von Herbert Nierhaus. Hamburg, 1989. 593 Haas, Anneliese de: Am Ende blieb nur Resignation. Rückblick auf das Internationale Fernsehfestival von Prag. In: Die Welt vom Juli 1966. Quelle: Privatarchiv Monk. 594 Lys, Gunther R., zit. nach Michael Rohrwasser: Nachwort. In: Gunther R. Lys: Kilo- meterstein, 12,6. Basel, Frankfurt/M., 1987, S. 225. 595 Ebenda. 596 Wilk, Gerard H.: Salut für den kleinen David. Das deutsche Fernsehen zu Gast in den USA. In: Der Tagesspiegel vom 25.11.1966, S. 4. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 284 amerikanische Serie Holocaust. Die ARD sendet am 9.11.1979 ab 23 Uhr Ein Tag zur Erinnerung an die antijüdischen Pogrome 1938. Genau zehn Jahre später zeigt das öffentlich-rechtliche Gemeinschaftspro- gramm Eins Plus den Film. Das ist also am 9.11.1989, als die Zuschauer gebannt den Nachrichten über den Fall der Mauer folgen. Seitdem ist Ein Tag nur noch in Sonderveranstaltungen gezeigt worden, nicht mehr im Fernsehen, obwohl sich immer wieder Programmverantwortliche für die Wiederholung von Qualitätssendungen ausgesprochen haben. So der nach Egon Monk als Fernsehspielchef des NDR fungierende Dieter Meichsner, der das Verstauben überragender Fernsehfilme in den Archi- ven als eine „ ... beispiellose Vergeudung wirtschaftlicher Mittel und kreativer Leistungen“ kritisiert.597 II.5.5. Filmkritiken Anders als bei den hier analysierten publizistischen Kontroversen über Holocaustfilme gibt es über Ein Tag keine über Wochen stattfindende Auseinandersetzung in der Tages- und Wochenpresse. Niemand hat vor oder unmittelbar nach der Ausstrahlung öffentlich gegen dieses Fernseh- spiel, sein Thema, seine Machart protestiert.598 Interpretationen und Kritiken – passender wäre, von Würdigungen zu sprechen – finden sich überwiegend in der Fachliteratur. Aufschlußreich sind die Aussagen des Regisseurs Egon Monk selbst, so z.B. die Rede, die er zur Verleihung des DAG-Preises gehalten hat. Da sagt Monk: „Seit 1960, seit ich ange- fangen habe, Fernsehspiele zu machen, ist das politische Engagement für mich und für alle meine Mitarbeiter die selbstgewählte und uns selbst- verständlich erscheinende Voraussetzung für unsere Arbeit. ... Und das ist der Grund für unsere Parteinahme: an die Stelle des Glaubens, an die Unfehlbarkeit staatlicher Ordnung die Kenntnis von ihrer Fehlbarkeit zu setzen, das Vertrauen auf die Richtigkeit der jeweiligen Obrigkeit zu er- schüttern, unsere Zuschauer zu überreden, doch lieber zweimal zu zwei- feln als einmal hinzunehmen.“599 Diese Rede, zudem die Interviews, die der Filmemacher Egon Netenjakob, Karl Prümm u.a. gegeben hat, er- hellen den Entstehungshintergund von Ein Tag und Monks ästhetisches Programm. Das Bekenntnis des Regisseurs zum gesellschaftspolitischen 597 Meichsner, Dieter, zit. nach Ke: Thema verharmlost? In: Frankfurter Rundschau vom 9.11.1979, S. 20. 598 Erst zehn Jahre später äußert sich Herbert John abfällig über Ein Tag. Vgl. John, Her- bert: Wie aus Butter Margarine wird. Die deutschen Fernsehunterhalter machen die besten Ideen kaputt (II). In: Die Zeit, Nr. 17 vom 18.4.1975, S. 53. 599 Parteinahme als Notwendigkeit. Egon Monk über seine Fernsehspielarbeit am Beispiel von Ein Tag. In: epd/Kirche und Fernsehen. Nr. 17 vom 30.4.1966, S. 1f. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 285 Auftrag des Fernsehens, so Karl Prümm, „... lenkten die Rezeption und prägten Grundmotive, ja Grundmuster der Kritik aus, im Positiven wie im Negativen.“600 Damit deutet Prümm an, daß Kritiken zu den Fern- seharbeiten Monks immer auch politisch motiviert gewesen sind. Es ging also nicht nur um das Werk als Kunstwerk, seine Machart und Ästhetik, sondern zugleich um seine politische Aussage, die Tendenz und mögl- iche Wirkung. Diese Annahme Prümms gilt es zu überprüfen. In der Fachpresse jeden- falls finden sich kaum negative Kritiken zu Ein Tag, weder zur Machart des Fernsehspiels, noch zu seiner Tendenz. In der Tagespresse erschei- nen ebenfalls kaum kritische Rezensionen. Viele Blätter weisen auf die Sendung hin, auch weil der NDR einige Tage zuvor Ein Tag in einer Pressevorführung gezeigt hat. Sogar der Bild-Zeitung ist das Fernseh- spiel einen Artikel wert. Er beginnt mit der Einladung, sich und der Familie „etwas Gutes zu tun“, nämlich Ein Tag zu sehen, auch wenn diese neunzig Minuten Film „... vielleicht die längsten eineinhalb Stun- den Ihres Daseins als TV-Verbraucher (sein werden). Aber hinterher werden Sie sich in unserer Welt, 20 Jahre nach dem Ende des Nazi- Schreckens wieder umsehen und sich ihrer Freiheit freuen.“601 In ande- ren Ankündigungen lassen Kritiker eine extrem auf das Nationale einge- schränkte Sicht erkennen, wo sie beklagen, daß es zwar ausländische Filme über das Leid in den KZ gäbe, eine deutsche Produktion aber fehle. Mit Ein Tag läge nun ein Werk vor, welches „... ganz klar aus- drückt, daß bis 1939 allein Deutsche in diesen überdimensionalen Folterkammern gequält wurden.“602 Als Beispiel überaus positiver Berichterstattung kann ein Beitrag in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gelten, der das Fernsehspiel als „nicht nur glaubwürdig, sondern glaubhaft“ lobt und feststellt, daß der NDR mit dieser Produktion „Maßstäbe gesetzt“ und „den Bann gebro- chen“ habe. Mögliche Einwände gegen die Machart oder den Zeitpunkt der Ausstrahlung entkräftet der Autor, ebenso die Argumente ehemaliger Häftlinge, die eine Profanierung ihres Leidensweges befürchten. Nach- dem sie sich während der ersten Drehtage von der Lauterkeit des Unter- 600 Prümm, Karl: Inszeniertes Dokument und historisches Erzählen. Die Fernsehfilme von Egon Monk. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 34. 601 Neunzig Minuten KZ-Häftling. In: Bild-Zeitung vom 6.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. 602 Lindberg, Jens: Kein Tag wie jeder andere. Zum Fernsehspiel Ein Tag, das morgen erstmalig gesendet wird. In: Hamburger Abendblatt vom 5.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 286 nehmens überzeugen konnten, hätten einige sich spontan entschieden, als Berater und Komparse zur Verfügung zu stehen.603 Der Kölner Stadt- anzeiger zählt Ein Tag gleich nach der Ausstrahlung am 6.5. „... zu den ganz wenigen gelungenen Versuchen, die Banalität und Bestialität des Bösen in ihrer historischen Gestalt noch einmal zu vergegenwärti- gen.“604 Horst Both beendet seinen Artikel mit dem Satz: „Hamburg hat mit diesem Film den lethargischen Fernsehalltag mutig durch- brochen.“605 Der Rezensent des Berliner Tagesspiegels übt Selbstkritik angesichts Ein Tag: „Man sieht hin und schämt sich, damals gelebt zu haben.“606 Positiv aufgenommen wird Ein Tag in den USA. Das Fernsehspiel ist dort im Januar 1966 im Fernsehen, Channel 13, zu sehen. Nicht syn- chronisiert, schwarz-weiß, Thema: ein deutsches Konzentrationslager – das sind nicht gerade gute Voraussetzungen, viel Zuschauer zu erreichen, auch wenn der Film nachts um halb vier wiederholt wird und in der Presse auf diese westdeutsche Produktion nachdrücklich hingewiesen wird. Der Kritiker der New York Herald Tribune bekennt: „Ein Tag last night shamed us, our POW situation comedies, and our perversion of television.“ Auch andere Kritiker - und Egon Monk selbst in seiner DAG-Preisrede - vergleichen Ein Tag mit US-amerikanischen Produk- tionen, in denen Deutsche als tumbe Nazis gezeigt werden. Monks Meinung nach ist das Stereotyp des Deutschen als brüllender, Hacken zusammenschlagender Nazi nur dann zu überwinden, wenn sich die Deutschen selbst differenzierter darstellen. Wie langlebig Vorurteile über „deutsche Tugenden“ jedoch sind, zeigt das Statement des Kritikers der Zeitung The evening bulletin. Ein Tag sei ein Film „...produced with the German passion for accuracy in detail ...“.607 Im April 1966 werden die Autoren von Ein Tag mit dem DAG-Preis ausgezeichnet. Anfang Mai ist Ein Tag in der Schweiz zu sehen. Der Kritiker der Neuen Zürcher Zeitung hält grundsätzlich am Darstellungs- verbot fest. Das kollektive Leiden, „Auschwitz“, seien im Film trotz solcher Versuche wie Die letzte Etappe, Nacht und Nebel, Kapo, Die Passagierin nicht darstellbar. Der Rezensent unterscheidet zwischen 603 Ru.: Viele sollten das sehen. Ein Tag im Konzentrationslager. Heute im Ersten. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 6.5.1965, S. 11. 604 BD: Banalität des Bösen. In: Kölner Stadtanzeiger vom 8.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. 605 Both, Horst: Ein Tag vor dreißig Jahren. In: Hamburger Morgenpost vom 8.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. 606 Paul, Wolfgang: Bestiarium. In: Der Tagesspiegel vom 6.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. 607 Only one day. In: The Evening Bulletin vom 11.1.1966. Quelle: Privatarchiv Monk. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 287 „den [!] ehrenhaften und weniger ehrenhaften Versagen“, was er jedoch erklären will: „Denn was heißt hier ‚Versagen‘: es heißt, daß ein huma- nitäres Denken und Mitdenken engagiert sind, denen die letzten Niede- rungen der Vergangenheit verschlossen bleiben müssen.“608 Filme- macher können demnach an der Darstellung des Holocaust nur scheitern. Die Autoren von Ein Tag hätten das jedoch offensichtlich begriffen, weshalb sie versuchten, „ ... die Anfänge des Unvorstellbaren [Hervor- hebung durch den Autor], quasi die noch überschaubaren Wurzeln des später uferlosen Leidens in den Griff zu bekommen.“ Bei seinem Urteil über das Fernsehspiel wählt der Schweizer Rezensent wie schon bei dem Substantiv „Versagen“ plötzlich den Plural: „Zu den ehrenhaften Versa- gen würden wir Ein Tag von Gunther R. Lys und Egon Monk zählen.“609 Eindeutig positiv sind die westdeutschen sowie die Prager Kritiken, nachdem Ein Tag dort im Juli 1966 außer Konkurrenz auf dem Inter- nationalen Fernsehfestival gezeigt worden ist. Die Kritikerin der Welt stimmt beispielsweise mit dem Kollegen der Zeitung Čislo überein, daß die ARD statt der BR-Produktion Tag des Zorns lieber Ein Tag hätte nominieren sollen. Der Prager Journalist spricht von der Diskussion mit den Autoren nach dem Film als eine Veranstaltung von Brechtscher Intensität: „Ich begriff plötzlich, wie stark der Bildschirm sein kann, wenn man sich an die ihm eigenen, breiten Audrucksmöglichkeiten hält, an den ihm eigenen Stil.“610 Die erste Wiederholung von Ein Tag im westdeutschen Fernsehen findet im Januar 1967 statt. In den TV-Ankündigungen loben die Kritiker wie- derum die Sachlichkeit und grausame Realistik des „zu recht mehrfach preisgekrönten“ Fernsehspiels. Ausführliche Rezensionen bieten Die andere Zeitung und Die Zeit, beide aus Hamburg. In der anderen Zeitung zieht der Autor Parallelen zwischen der Schlußszene des Fernsehspiels und der aktuellen bundesrepublikanischen Situation, in der über Grund- gesetzänderungen für den Fall inneren und äußeren Notstandes gestritten wird. „Die ‚Notverordnung über Sicherheitsmaßnahmen‘ sieht vor, einen gewissen Personenkreis ohne richterlichen Haftbefehl in Gewahrsam zu nehmen. Und die ‚ordentlichen Menschen‘ wissen wieder einmal von nichts.“611 Walter Jens lobt als Fernsehkritiker Momos insbesondere die durch Einblendungen und die Schlußszene vorgenommene direkte Ansprache der unbeteiligten Deutschen, die doch „... mithalfen, daß sich 608 sb.: Gunther R. Lys/Egon Monk: Ein Tag. In: Neue Zürcher Zeitung vom 1.5.1966, S. 7. 609 Ebenda. 610 Havliček, Dušan: Televize. In: Čislo. Quelle: Privatarchiv Monk. 611 Holm: Das Lager. Egon Monks Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager. In: Die andere Zeitung, Nr. 4 vom 26.1.1967. Quelle: Privatarchiv Monk. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 288 die Welt in Gut und Böse zerteilte“. Dieser Kunstgriff, lobt der Rheto- rikprofessor, „... machte die (streng und ringkompositorisch durchge- führte) Parabel zu einer Geschichte, die in der Gegenwart spielt, zu einem Lehrstück, das nicht lehrhaft ist, einem Modell, dessen Kalkül sich nicht aufdrängt, einem Passionsspiel, das, statt Rührung zu erregen, an den Verstand appelliert, einem Bericht, der von einem ebenso kunst- verständigen und klugen wie politisch erfahrenem Team ausgearbeitet wurde.“612 Jens hat an Ein Tag nichts auszusetzen. Seine ganz und gar zustimmende Kritik endet mit dem Satz: „An diesem Report, einer distanzierten Dokumentation von Evidenz und spiritueller Durchsichtig- keit stimmt jedes Detail. Es ist nicht besser zu machen.“613 Ausführliche Analysen des Fernsehspiels finden sich außer in den Wochenzeitungen in der Fachpresse. Karl Günter Simon beschäftigt sich in der Zeitschrift Film über mehrere Ausgaben mit „Stilen und Profilen im deutschen Fernsehen“. Egon Monk, die Fernsehspielredaktion des NDR und Ein Tag stehen im Mittelpunkt der Serie. Simon erklärt aus- gehend von dem Titel Ein Tag. Bericht aus einem deutschen Konzentra- tionslager das Konstruktionsprinzip dieses Fernsehspiels: „Monk und sein Autor schrecken vor dem Extrem zurück. Man sieht nur einen [Hervorhebungen des Autors] Juden in den Stacheldraht laufen, nur einen schwäbelnden Schützen, der ihn zusammenschießt, nur eine Folte- rung, nur einen Tag. Lys und Monk zeigen den Status nascendi, das Sta- dium, in dem man das Feuer noch austreten kann, wenn man es erkennt, das ist das Stadium in dem man sagt: ‚Ein Einzelfall, - es ist ja alles halb so schlimm.‘ Aus der heutigen Perspektive erweist sich der Einzelfall als Anfangsglied einer Kette.“614 Die intellektuelle Leistung der Zuschauer besteht nun darin, aus dem Einzelnen, Besonderen auf das Gesamte, das System des nationalsozialistischen Terror zu schließen, zu verstehen, daß dieser eine gezeigte Tag Beispiel für die Tage ist, die folgten. Der Tote im Zaun, den die Häftlinge bei ihrer Einlieferung sehen, bleibt eben nicht ein Einzelfall. Der jüdische Anwalt Katz ist das nächste Opfer. Im letzten Akt von Ein Tag, Unter ordentlichen Menschen, hat Monk die Restaurantszene mit dem KZ-Ton unterlegt. Während die einen ihren Feierabend genießen, gut essen und trinken, werden die anderen gepei- nigt und getrieben. Zu hören sind Befehle („Hinlegen, aufstehen“!), Drohungen („Dat lernt ihr noch!“) und angstvolles Keuchen. Die Asyn- chronität von Bild und Ton will Karl Günter Simon nicht als formales 612 Momos (= Walter Jens): Ein Spiel für die Anständigen. In: Die Zeit, Nr. 4 vom 27.1.1967, S. 20. 613 Ebenda. 614 Simon, Karl Günter: Das dritte Porträt: Monk und seine Autoren. In: Film. Eine deut- sche Zeitschrift. 3. Jg., H. 11/1965, S. 30. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 289 Spiel oder „Cineasten-Gag“ verstanden wissen, vielmehr werde so dem Publikum der Spiegel vorgehalten: „die kauenden Leute, wenn nicht die lachenden Nazis, sind wir selbst im Fernsehsessel, die Schreie spielen unser Gewissen gleich mit. Aus dem formalen Trick wird das Symbol unserer eigenen Schizophrenie.“615 Knut Hickethier zitiert aus Funk- Korrespondenz: „Wie zu Beginn die Häftlinge im verschlossenen LKW aus der Welt draußen (auf die letzte hastige Blicke fallen) hinwegfahren werden in die Hölle der Isolation, so kehrt am Ende der Lagerkomman- dant nach Dienstschluß in die Welt draußen zurück, im PKW, und nimmt unauffällig Platz in einem Lokal mitten unter ordentlichen Leuten, die von nichts wissen, die das satanische Gebrüll nicht hören, das zur glei- chen Stunde, im gleichen Augenblick Menschen demütigt und Befehle zur Marterung gibt. Man weiß, während man das sieht, daß man dazuge- hört hat, daß man sich unbekümmert seinem Leben hingegeben hat.“616 Etwas anders als beispielsweise Walter Jens und Karl Günter Simon interpretiert Ernst Wendt diese Schlußszene und den Einsatz verschie- dener Dialekte: „An solchen Stellen, wo das Gewöhnliche und Alltäg- liche als das Gemeine, Entmenschte denunziert wird, und dort, wo Bild und Ton asynchron laufen und einander kommentieren, wird Monks Film polemisch. Da weicht er ab von der lähmend nüchternen Aufzeich- nung typischer und festgelegter Abläufe.“617 Wendt wirft hier die wich- tige Frage nach der Normalität und dem Alltag in Diktaturen auf. Sind alle, die versucht haben, irgendwie weiterzumachen, die sich angeblich in die „innere Emigration“ geflüchtet haben, schuldig? Weil sie die Augen verschlossen haben vor dem, was in unmittelbarer Nähe gesche- hen ist? Und lassen diejenigen, die 1965 bequem in ihren Fernsehsesseln sitzen, noch oder wieder Unrecht zu? Monk möchte die Zuschauer, das zeigt seine DAG-Preisrede, aufschrecken und verunsichern. Wendt aber fragt sich, ob der Regisseur mit den für die Schlußszene gewählten künstlerischen Verfahren tatsächlich „... den Zuschauer stärker betreffen und vor sich selbst entsetzen“ kann. Vermutlich nicht. Das Stimmungs- bild, das Wendt zeichnet, weist auf den allgemeinen Wunsch nach Ver- drängung: „Es wird uns ja – gerade jetzt um den Jahrestag der Kapitula- tion herum – mit Hartnäckigkeit eingeredet, alles sei nur das Teufels- werk einer kleinen verbrecherischen Clique gewesen. Und wir armen Verführten, Ahnungslosen, die wir doch damals den Witz mit der Seife nur zu gut verstanden, glauben’s heute bald wirklich, daß wir nie nichts 615 A.a.O., S. 31. 616 Vgl. Hickethier, Knut: Das Fernsehspiel der Bundesrepublik. Themen, Form, Struktur, Theorie und Geschichte 1951-1977. Stuttgart, 1980, S. 272. 617 Wendt, Ernst: Ein Tag. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 3. Jg., H. 6/1965, S. 46. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 290 wußten.“618 Resigniert beendet der Kritiker seine Rezension mit der Feststellung: „Und vor einem Publikum, das sich wahrscheinlich doch Augen und Ohren zuhält, ist’s ja ohnehin gleichgültig, ob und auf welche Weise Bild und Ton synchronisiert sind.“619 Manfred Delling beschäftigt sich ebenfalls mit den Möglichkeiten und Grenzen des Genres Fernsehspiel. Nachdem er Szenen in Ein Tag beschrieben hat, die das Ineinander von Terror und „Normalität“ zeigen, konzediert er: „... in solchen Partikeln also ist das Fernsehspiel Ein Tag ... bis zum äußersten Grad einer überzeugenden Fiktion vorgestoßen.“620 Andererseits spricht Delling im selben Atemzug davon, „ ... daß kein naturalistisches Spiel der Wirklichkeit entsprechen kann.“ Angesichts der Lagerszenen bleibe „jener unaufhebbare Rest des Unbehagens.“621 Delling setzt sich grundsätzlich mit Fragen der Dramaturgie von Holo- caustfilmen auseinander. Er meint – und steht damit ziemlich allein – daß dort, wo die „Banalität des Bösen“ an ihren Endpunkt gelangt sei, wo der ausweglose, monotone und daher untheatralische Mechanismus der Vernichtung herrsche, ein Drama nicht funktionieren könne: „Aktion und Gegenaktion, Entscheidung und Zaudern gab es nur noch in ihrer pervertiertesten Form: Der Automatismus der Todesfabriken nahm Insassen wie Schergen jede Handlungsfreiheit.“622 „Ein schlechter Stoff für Dramen“623, konstatiert Delling deshalb. Monk aber verteidigt Versuche, mit Hilfe der Kunst aufzuklären. Er nimmt den Adornoschen Kulturpessimismus zum Anlaß, anders zu arbeiten als vorher und verweist auf die besonderen Möglichkeiten des Mediums Film. Rückblickend erklärt er: „Als ich überlegte, diesen Film zu machen, war es für mich überhaupt keine Frage, daß man einen solchen Film machen konnte, obwohl es auch damals hieß, das, was in den Konzentrationslagern vor sich gegangen sei, übersteige die Kraft der Ausdrucksmittel, die unserem Gewerbe zur Verfügung stünden. [...] Die Art und Weise, wie der Film gemacht ist, mag vielleicht auch einen Teil der Antwort darauf enthalten, wie man erstens unterhalten kann und zweitens angesichts eines solchen Gegenstands.“624 618 Ebenda. 619 Ebenda. 620 Delling, Manfred: Das Dokument als Illusion. Zur Verwendung von Fakten und Fiktio- nen im Dokumentarspiel des Fernsehens. In: Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. Hrsg. von Peter von Rüden. München, 1975, S. 124. 621 Ebenda. 622 Ebenda. 623 Ebenda. 624 Monk, Egon, zit. nach Holocaust und Unterhaltung. Eine Diskussion mit: Edgar Hilsen- rath, Michal Kramer, Ursula Link-Heer, Egon Monk und Marcel Ophüls. Diskussions- II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 291 Eine der wenigen negativen Äußerungen zu Monk und seiner Arbeit stammt von Herbert John: „Die Konfusion ist weit verbreitet. Ein Fern- sehregisseur namens Egon Monk zeigte sich besonders spendabel im Umgang mit Gebührengeldern. In einem KZ-Spiel verbrauchte er Kilo- meter von Stacheldraht und ließ graue Kolonnen von Horizont zu Hori- zont ziehen. Auch der Hamburger Senat hielt diese Geldverschwendung für künstlerische Potenz und ernannte Monk zum Intendanten des Staat- lichen Schauspielhauses, ein Fehlgriff, von dem sich das Theater nie wieder erholt hat.“625 Johns Rundumschlag gegen den öffentlich-recht- lichen Rundfunk und sein Plädoyer für eine stärkere Orientierung am US-amerikanischen System provoziert Gegenmeinungen. Günter Rohr- bach, Programmchef für Unterhaltung des WDR, verwahrt sich gegen Johns „hemdsärmelige Bausch-und–Bogen-Denunziation“, auch wenn Kritik am öffentlich-rechtlichen Fernsehen berechtigt sein mag. Mehr noch als Johns Anwürfe wundert Rohrbach, daß die renommierte Wochenzeitung Die Zeit über fünf Folgen John Gelegenheit gegeben hat, nach allen Seiten auszuteilen. „Was findet man bei der Zeit so witzig daran, daß einer der wichtigsten Filme der deutschen Fernsehgeschichte, Monks KZ-Stück Ein Tag, als eine Verschwendung von Stacheldraht beschrieben wird?“626 Rohrbach, der sich drei Jahre später für den Ankauf der Serie Holocaust einsetzt, vermutet hinter Johns Attacke mehr: den Anfang vom Ende des öffentlich-rechtlich organisierten Fern- sehens in Deutschland. Rohrbach warnt: „Wem der Hinweis auf die privatwirtschaftlich verfaßte Schlager- und Kinobranche nicht genügt, der kann sich in Mainzer Archiven umsehen. Dort lagert noch eine ganze Reihe ungesendeter Produktionen aus den Zeiten des gescheiterten Adenauer-Fernsehens.“ Während der publizistischen Kontroverse über die US-amerikanische Fernsehserie Holocaust 1978/79 taucht erneut die Frage auf, welche Beiträge das deutsche Fernsehen und der deutsche Film zur Auseinan- dersetzung mit dem Nationalsozialismus geleistet hätten. Da nun erinnern einige Kritiker, erstaunt ob der großen Aufgeregtheit und der Beteuerungen, „davon“ nichts gewußt zu haben, an das Fernsehspiel Ein Tag, das eine höhere Einschaltquote gehabt habe als Holocaust.627 Doch leitung: Rüdiger Steinlein, Zusammenfassung: Manuel Köppen. In: Kunst und Literatur nach Auschwitz. Hrsg. von Manuel Köppen in Zusammenarbeit mit Gerhard Bauer und Rüdiger Steinlein. Berlin, 1993, S. 108. 625 John, Herbert: Wie aus Butter Margarine wird. Die deutschen Fernsehunterhalter machen die besten Ideen kaputt (II). In: Die Zeit, Nr. 17 vom 18.4.1975, S. 53. 626 Rohrbach, Günther: Beethoven – besser als Lehár. „Das deutsche Fernsehen ist eine schwerfällige und treue Institution.“ In: Die Zeit, Nr. 22 vom vom 23.5.1975, S. 45. 627 Vgl. Fest, Joachim: Nachwort zu Holocaust. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.1.1979, S. 1. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 292 räumt Karl-Heinz Bohrer in Bezug auf die Zuschauer ein: „Sie konnten vor zehn Jahren Egon Monks dokumentarisch wie atmosphärisch über- zeugenden Fernsehfilm Ein Tag sehen. Aber das war schon die Summe von zwanzig Jahre ‚Vergangenheitsbewältigung‘, betrieben nur von einer intellektuellen Minorität.“628 Als das Fernsehspiel zum 9. November 1979 wiederholt wird, erscheinen Rezensionen in der Tagespresse, in denen Kritiker darauf hinweisen, daß es sich „... hierbei nicht um eine deutsche Nachschöpfung in der Folge von Holocaust handelt.“629 Sie beklagen, daß der Film zwölf Jahre lang nicht gezeigt worden ist und zitieren Dieter Meichsners Kommentar, welch ein wirtschaftlicher Widersinn darin stecke, statt Qualitätssendun- gen zu wiederholen, Neues, aber Zweitklassiges aufzuführen. Bedenken müsse man auch den Generationenwechsel vor den Fernsehschirmen.630 In allen Kommentaren wird der späte Sendetermin, 23 Uhr bis 0.30 Uhr, bemängelt. Doch trotz des einmütigen Lobs für das Fernsehspiel und der Bitte um Wiederholung vergeht wiederum ein Jahrzehnt, bis Ein Tag aufgeführt wird. Diesmal im Gemeinschaftsprogramm von ARD und ZDF, Eins Plus. Das Datum, der 9. November, scheint zunächst gut gewählt, doch hat das Fernsehspiel über einen Tag in einem deutschen Konzentrationslager 1939 gegen die aktuellen Ereignisse an der deutsch- deutschen Grenze 1989 keine Chance. Das Fernsehspiel wird in den neunziger Jahren nicht im Fernsehen wie- derholt. Zu sehen ist es lediglich während filmwissenschaftlicher Tagun- gen. Indes findet Ein Tag sehr häufig Erwähnung in der Fachpublizistik und manchmal auch im Feuilleton, wenn es um Fernsehästhetik geht. Monks Arbeiten werden im Gegensatz zu aktuellen Fernsehformaten betrachtet. Egon Netenjakob schreibt im TV-Filmlexikon 1994: „Die Methode des ebenso nüchtern wie detailgenauen Dokumentierens ohne künstliche Dramatik führte mit Ein Tag (1965) zu einem der meist- genannten und -geschätzten Filme der Fernsehspielgeschichte.“631 628 Bohrer, Karl-Heinz: Holocaust – eine Prüfung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.9.1978, S. 23. 629 Müntze, Ingeborg: Ein deutsches KZ vor Ausbruch des Krieges. Zur Wiederaufnahme von Monks Film Ein Tag. In: Hamburger Abendblatt vom 9.11.1979. Quelle: Privatarchiv Monk. 630 Vgl. Brumm, Dieter: Der mörderische Alltag der KZ-Opfer. In: Süddeutsche Zeitung vom 9.11.1979, S. 34. 631 Netenjakob, Egon: TV-Filmlexikon. Regisseure, Autoren, Dramaturgen 1952-1992. Frankfurt/M., 1994, S. 268f. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 293 II.5.6. Ein Tag und das Gesamtwerk Egon Monks Daß Monk vom Theater kommt, seine enge Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht, bestimmt seine Arbeit als Redakteur, Dramaturg und Autor. Prinzipien des epischen Theaters, wie das bewußte Spiel und die direkte Ansprache der Zuschauer, Unterbrechungen zur Reflektion oder die Ein- blendung von Zwischentiteln überträgt er auf das Medium Fernsehen. Doch nicht nur Brecht steht Pate. Monks Anstöße zur Entwicklung der Gattung Fernsehspiel lassen den Kritiker Werner Kließ 1967 von der „Hamburgischen Dramaturgie“ sprechen, womit zum einen der Ort be- nannt ist, an dem das NDR-Fernsehspiel Bedeutung erlangt hat, zum anderen an einen Vorläufer Monks erinnert wird: Gotthold Ephraim Lessing und seine Reform des Theaters.632 Karl Prümm erläutert, was Monks „Hamburgische Dramaturgie“ ausmacht: „Zeitnähe, Kontrolle und Beobachtung der Gegenwart, Aktivierung des Zuschauers, Befähi- gung zum Zweifel.“633 Von den 107 Fernsehspielen seiner Abteilung hat Monk 7 inszeniert. Seine Autoren sind Bert Brecht, Maxim Gorkij, Christian Geißler und Gunther R. Lys: Tabelle 8: Fernsehspiele Egon Monks Autor Titel augestrahlt am: Bert Brecht Leben des Galilei 11.01.1962 Christian Geißler Anfrage 15.02.1962 Christian Geißler Schlachtvieh 14.02.1963 Maxim Gorkij Wassa Schelesnowa 04.04.1963 Gunther R. Lys Mauern 30.05.1963 Christian Geißler Wilhelmsburger Freitag 19.03.1964 Gunther R. Lys Ein Tag 06.05.1965 632 Vgl. Kließ, Werner: Egon Monks Hamburgische Dramaturgie. Das Fernsehspiel Zucht- haus, inszeniert von Rolf Hädrich, produziert von Egon Monk. In: Film. Eine deutsche Zeitschrift. 5. Jg., Nr. 6/1967, S. 38-39. 633 Prümm, Karl: Inszeniertes Dokument und historisches Erzählen. Die Fernsehfilme von Egon Monk. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 34. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 294 Seine späteren Arbeiten beruhen auf Werken von Hans Fallada (Bauern, Bonzen und Bomben, 1973), wiederum Bertolt Brecht (Die Gewehre der Frau Carrar, 1975), Lion Feuchtwanger (Die Geschwister Oppermann, 1983) und Ralph Giordano (Die Bertinis, 1988). Anregungen aus der Literatur erfährt Monk gern, der Literaturverfilmung als Versuch der 1:1-Übersetzung in das Medium Film steht er jedoch kritisch gegenüber: „Je mehr ein Film wie das Buch sein will, um so weniger wird er ein Film sein.“634 Zu berücksichtigen sei der historische Kontext, in dem das Werk entstanden ist, doch müsse man bei einer Adaption die geschilder- ten Ereignisse vom gegenwärtigen Standpunkt aus betrachten, erklärt Monk im Zusammenhang mit der Adaption des Feuchtwanger-Romans von 1933. Auch wenn zu dem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen sei, was passieren wird, so wüßten wir es heute, und dieses Mehrwissen müsse künstlerisch fruchtbar gemacht werden.635 Hier zeigt sich wiederum Monks Ansatz, Geschichte für die Gegenwart aufzubereiten. Um herausragende Fernsehfilme wie die Arbeiten Egon Monks vor dem Vergessen zu bewahren, hat die Stiftung Deutsche Kinemathek Film- kopien von Schlachtvieh, Ein Tag und Industrielandschaft mit Einzel- händlern angefertigt und in Zusammenarbeit mit Medienwissenschaft- lern ein Kolloquium veranstaltet. Karl Prümm stellt in dem Vorwort des daraus entstandenen Tagungsbandes fest, daß das Fernsehen sein eigenes Repertoire vernachlässige, es gäbe kaum noch klug komponierte Reihen und Reprisen, der Weg ins Kino sei den Fernsehfilmen in der Regel ver- sperrt.636 II.5.7. Resümee Streng genommen ist Ein Tag insofern kein Holocaustfilm, als nicht der Massenmord an den Juden, die 1941 beschlossene „Endlösung“, Gegen- stand des Films ist, sondern der sich in den 30er Jahren etablierende Terror, der vom Konzentrationslager zum Vernichtungslager geführt hat. Bereits in „Friedenszeiten“ werden Menschen aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung inhaftiert, gefoltert, ermordet, ohne daß in Deutschland oder im Ausland davon groß Notiz genommen wird. In der Tradition des „Wehret den Anfängen“ stehend haben sich Egon Monk 634 Prümm, Karl: Was unsere Zeit noch in Bewegung hält. Ein Interview mit Egon Monk über Die Geschwister Oppermann. In: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. A.a.O., S. 73. 635 Vgl. A.a.O., S. 75. 636 Vgl. Prümm, Karl: Vorwort. In: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Drama- turg, Regisseur. A.a.O., S. 5. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 295 und der KZ-Überlebende Gunther R. Lys bewußt dieser frühen Phase des Schreckens in den Lagern zugewandt. Wie beispielsweise der Kritiker der Neuen Zürcher Zeitung mutmaßt, habe dieser Entschluß der Filme- macher mit der Einsicht zu tun, daß sich das tausendfache Morden in den Vernichtungslagern nicht darstellen lasse. Doch obwohl sich Monk der Probleme der filmischen Repräsentation bewußt ist, gehört er zu den- jenigen Künstlern, die an die Überzeugungskraft der (filmischen) Erzählung glauben. Er erinnert an Viktor Klemperers Lingua tertii impe- rii und warnt vor einer Sprache des 4. Reichs, die aus „Fluchtvokabeln“ besteht wie „unfaßbares Grauen“, „namenloses Leid“, „sinnloser Tod“, „sich der Vorstellungskraft entziehendes Schicksal“, „Todesmaschine- rie“. Anders als die Verfechter der Sprach- und Bildertabus meint Monk, daß sich nicht nur sagen und darstellen läßt, was passiert ist, sondern auch, wie es dazu gekommen ist. „Weist man die Vorgänge in Hitlers Konzentrationslagern ins Reich der Metaphysik, behandelt man sie wie ein Kapitel aus der Religionsgeschichte, entfernt man sie also aus der Kontrollierbarkeit unserer näheren Umgebung, dann wird zu recht ange- nommen, daß ein Konzentrationslager nicht darstellbar ist. Ich weigere mich aber zu akzeptieren, daß die Millionen Gemordeter Opfer einer wie immer gearteten Fügung waren. Ich müßte ja dann auch für möglich halten, daß die SS ein Werkzeug des Schicksals gewesen sein könnte.“637 Monk ist also grundsätzlich für die Darstellung, weil er der Überzeugung ist, als Künstler Mittel und Wege zu finden, auch komplizierte Sachver- halte zu erklären. Sein Realismusbegriff ist so weit gefaßt, daß er Insze- nierungen zur Erreichung einer höheren Wahrheit für zulässig hält. Geprägt durch Brechts episches Theater, das Cinéma vérité und die Lite- ratur der Moderne setzt Monk Stilmittel ein – Zwischentitel, Standbilder, Überblendungen, Wiederholungen, Asynchronität von Bild und Ton, Inserts in Form von Foto- und Zeitungsdokumenten, Wochenschaumate- rial - , die den Zuschauer aktivieren, ihn zum Nachdenken anregen sollen. Umstritten ist, inwieweit ihm das gelingt. Die quantitativen und qualitativen Daten zur Resonanz von Ein Tag haben die Filmemacher selbst, die Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten, Wissenschaftler und Fernsehkritiker ganz unterschiedlich interpretiert. Wo Horst Holzer von einem Beispiel gescheiterter Aufklärung spricht und das öffentlich- rechtliche Rundfunksystem in Frage stellt, behauptet Hans Abich im ARD-Jahrbuch von 1970„ ... daß das Fernsehspiel Ein Tag von Gunther 637 Monk, Egon: Rede zur Verleihung des DAG-Fernsehpreises in Berlin am 23.4.1966. In: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft. Hrsg. von Jürgen Felix u.a. Heft 21: Deutsche Geschichten. Egon Monk – Autor, Dramaturg, Regisseur. Marburg, 1995, S. 65-71. II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 296 R. Lys (Regie Egon Monk) das Publikum von der absolut unmensch- lichen Funktion der Konzentrationslager mehr überzeugt hat als Statistik und Dokumente ...“.638 Von seiten der Film- und Fernsehkritiker in der Tages- und Fachpresse ist bis auf ganz wenige Ausnahmen nur Positives zu Ein Tag erschienen. Das gilt für jede Neuaufführung des Fernseh- spiels, für jeden Vergleich mit nach Ein Tag entstandenen Produktionen, für die inländische wie die ausländische Presse. Egon Netenjakob schreibt schon 1966 in der Funkkorrespondenz: „Die szenische Doku- mentation, bezeichnenderweise auch der einzige westdeutsche Versuch über dieses Thema, ragt unter allen Bemühungen um die sogenannte Bewältigung der Vergangenheit hervor. ... Monks Absicht, die Vorgänge in Hitlers Konzentrationslagern aus dem metaphysischen Bereich des angeblich Unvorstellbaren und Unfaßlichen zu vertreiben und rational kontrollierbar zu machen, ist geglückt.“639 Eine besondere Aufmerksamkeit erreicht das Fernsehspiel von 1965, als 1979 im Zuge der publizistischen Kontroverse über Holocaust wiederum die Frage aufkommt, welche deutschen Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus es denn gäbe. Ein Tag loben die Kritiker nicht nur als einen frühen, deutschen Versuch, das Leiden in den KZ zu thematisieren, sondern auch für den ästhetisch anspruchsvolleren: „ ... anders als in der Holocaust-Serie fehlen die spektakulären Bildmittel wie melodramatische Zuspitzungen, opulente Dekors, schwindelerregende Kamerafahrten und effektvolle Überblendungen. Die karge Genauigkeit der Dekors findet ihre Entsprechung in der Verwendung der Kamera.“640 Kontrovers diskutiert werden im Zusammenhang mit Ein Tag drei Punkte: erstens, inwieweit die Schlußszene, die im Restaurant „unter ordentlichen Menschen“ spielt, eine Denunzierung des Alltäglichen, Normalen bedeutet, und ob dieses Ende die Zuschauer verprellt oder sie nachdenklich stimmt. Zweitens geht es um die politische Botschaft und den Aktualitätsbezug des Films. Die Kritiker und Zuschauer verstehen den Film durchaus als Aufforderung zu fragen, wie sich denn die Mehr- heit der Bürger heute zu Menschenrechtsverletzungen oder konkret den sogenannten Notstandsgesetzen verhält. Hier werden zwei Argumenta- tionslinien deutlich, die eher linke, alarmierte, die konstatiert, „wir sind schon wieder so weit“, und die eher rechte, die den Gegensatz zwischen 638 Abich, Hans: Wünschelrutengänge der Dramaturgie. Erfahrungen mit dem Fernseh- spiel. In: ARD-Jahrbuch 1970. Hamburg, 1970, S. 99. 639 Netenjakob, Egon: Eine politische Mission. Fünf Jahre Fernsehspiel des NDR (1961- 1965) - Eine Konzeption und ein Spielplan. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 47 vom 17.11.1966, S. 3. 640 Kasten, Jürgen: Die Wirklichkeit durchdringen. Zur Aktualität der Fernsehspielkon- zepte Egon Monks. In: Neue Zürcher Zeitung vom 22.3.1991, S. ? II.5. Ein Tag (Bundesrepublik Deutschland 1965) 297 dem NS-Regime und dem Rechtsstaat Bundesrepublik beschwört. Als extreme Position in der publizistischen Kontroverse über Ein Tag kann drittens die Herbert Johns genannt werden, der die vermeintliche Ver- schwendung öffentlicher Gelder bei der Herstellung des NDR-Fernseh- spiels anprangert. So wie Egon Monk in Ein Tag den Alltag in einem deutschen Konzen- trationslager schildert und damit auf das nationalsozialistische Terror- system insgesamt verweist, will Alexander Solšenizyn Anfang der sech- ziger Jahre in Ein Tag des Iwan Denissowitsch auf das sowjetische Lagersystem aufmerksam machen. Seine Erzählung wird erstmals 1962 in Novyj mir abgedruckt und 1970 als britisch-norwegische Co-Produk- tion verfilmt. Solšenizyn schildert in dieser Erzählung, die wie zuvor Archipel Gulag für weltweites Aufsehen sorgt, den Ablauf eines Tages in einem sibirischen Arbeitslager während der Stalin-Herrschaft. Es gibt in Ein Tag des Iwan Denissowitsch einen auktorialen Erzähler, Voraus- und Rückschauen, aber auch innere Monologe der Hauptfigur Schuchow. Er ist zufrieden mit diesem einen Tag, damit, daß er über- leben durfte. Die Erzählung endet mit den Sätzen: „Er hatte heute viel Glück gehabt: Er mußte nicht in den Bunker, die Brigade wurde nicht in die Sozsiedlung abkommandiert, zum Mittagessen hatte er sich einen Schlag Grütze geschnorrt, der Brigadier hatte gute Prozente für sie herausgeschlagen, das Mauern hatte Schuchow Spaß gemacht, beim Filzen war er mit dem Sägeblatt durchgekommen, abends hatte er sich bei Caesar etwas verdient und noch Tabak gekauft. Und war nicht krank geworden, hatte sich wieder aufgerappelt. Ein Tag war vergangen, durch nichts getrübt, ein fast glücklicher Tag. So sahen die dreitausendsechs- hundertdreiundfünfzig Tage seiner Haftzeit vom Wecksignal bis zum Schlußappell aus. Wegen der Schaltjahre waren es drei Tage mehr ...“641 641 Solschenizyn, Alexander: Ein Tag des Iwan Denissowitsch. Erzählung. Deutsch von Christoph Meng. München, 1979, S. 127. II.6. Holocaust (USA 1978) 298 II.6. Holocaust (USA 1978) II.6.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten 1976 gibt die amerikanische Fernsehgesellschaft NBC die Erarbeitung einer Serie in Auftrag, die den Massenmord an den Juden während des Nationalsozialismus in Deutschland zum Thema haben soll. Der Konkur- rent ABC hat mit seinem Sklavenepos Roots einen immensen Erfolg verbuchen können, NBC hofft auf ähnlich hohe Einschaltquoten und be- auftragt Gerald Green, ein Drehbuch zu verfassen. Als Regisseur wird Marvin Chomsky verpflichtet, ein „Schnellschußspezialist“, der an Roots mitgearbeitet und in wenigen Wochen den Film Unternehmen Entebbe abgedreht hat, in dem es um die Geiselbefreiung durch eine israelische Spezialeinheit in Uganda 1976 geht. Von Juli bis November 1977 wird Holocaust, so der Titel der geplanten Serie, in Europa gedreht. Für die Außenaufnahmen werden Straßenzüge im Berliner Wedding zum Warschauer Ghetto, die KZ-Szenen in Buchenwald und Auschwitz dreht Chomsky im österreichischen Mauthausen. Drehgenehmigungen für Ungarn, die Tschechoslowakei und Jugoslawien hat Chomsky nicht erhalten. Die Begründung lautet, daß das vorgelegte Drehbuch „zionisti- sche“ Elemente enthalte. Um eine Dreherlaubnis in Polen oder der DDR hat man sich daher gar nicht erst bemüht.642 In den USA wird Holocaust zwischen dem 16. und 19.4.1978 gesendet und erreicht ca. 120 Millionen Zuschauer. Bis zur Erstaustrahlung von Holocaust im Deutschen Fernsehen, im Januar 1979, haben schon mehr als 30 Länder die Serie angekauft.643 II.6.2. Inhalt des Films und Interpretation In der Vorabpublizistik zur Serie klären verschiedene Autoren den Begriff „Holocaust“, so Rudolf Walter Leonhardt in der Zeit vom 19.1.1979. Leonhardt verweist auf die Bibelstellen in der Genesis und im Buch Exodus und leitet holocaust vom Griechischen holos = ganz und gar und kautos = verbrannt ab. Er nennt Beispiele für den Gebrauch des 642 Vgl. Holocaust: Die Vergangenheit kommt zurück. Spiegel-Titelgeschichte. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 29.1.1979, S. 21. 643 Vgl. Knilli, Friedrich: Endlösung aller Zukunftsfragen des US-Fernsehens? Ein Marke- ting-Produkt und seine Rezeption in den USA. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 23. II.6. Holocaust (USA 1978) 299 Wortes, so habe ein Chronist im bibelkundigen England 1833 vom „Holocaust“ geschrieben und damit ein von Ludwig VII. veranlaßtes „viehisches Hinschlachten“ von 1300 Personen in einer Kirche gemeint. Leonhardt beendet seine Begriffsklärung mit der Feststellung: „Wir werden uns mit dem Wort schwer anfreunden können, aber begreifen müssen wir es doch.“644 Holocaust will in sieben Stunden die Geschichte der Judenverfolgung und -vernichtung zwischen 1935 und 1945 erzählen. Die Folgen der politischen Ereignisse dieser Zeit werden am Beispiel einer jüdisch- deutschen Familie erzählt. Holocaust wird in der Bundesrepublik in vier Teilen gesendet. Der Inhalt der einzelnen Teile soll kurz wiedergegeben werden. Bei der anschließenden Interpretation der Serie und der Analyse der publizistischen Kontroverse über Holocaust wird auf einzelne Szenen und Figuren weiter eingegangen. Teil 1: Die hereinbrechende Dunkelheit (1935-1940) Berlin 1935. Die Geschichte beginnt mit einer Hochzeitsfeier. Der Künstler Karl Weiss heiratet Inga Helms. Er ist jüdisch, seine Frau katholisch. Heinz Müller, ein Gast, spricht von dem baldigen Verbot solcher „Mischehen“. Die Familie Weiss - Dr. Josef Weiss, seine Frau Berta, die Tochter Anna, die Söhne Rudi und Karl - hat bislang gehofft, daß die Nazis nicht lange an der Macht bleiben. Das Leben ist seit Hitlers Machtübernahme jedoch immer schwerer für sie geworden. Von dem Machtwechsel profitiert hat der bis dahin arbeitslose Jurist Erik Dorf. Auf Drängen seiner Frau Martha hat er sich um den Posten des persönlichen Referenten Reinhard Heydrichs beworben. Dorf, früher Patient bei Dr. Weiss, warnt den Arzt. Er rät ihm, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen. Insbesondere Berta Weiss aber will in Berlin, ihrer Heimatstadt, bleiben. Im November 1938, während der sogenannten Reichskristallnacht eska- liert die Situation. Der Nazi-Mob zieht durch die Straßen, zerstört jüdi- sche Geschäfte und Synagogen. Auch die Buchhandlung des Vaters von Berta Weiss, Heinrich Palitz, wird zerstört. Ihn, der auf seine Verdienste als Offizier im Weltkrieg verweist, verprügeln die Nazis in Zivil. Karl wird verhaftet und nach Buchenwald gebracht, Dr. Josef Weiss muß Deutschland verlassen und in sein Geburtsland Polen übersiedeln. In 644 Leonhardt, Rudolf Walter: „Holocaustum“. In: Die Zeit vom 19.1.1979, S. 26. Vgl. auch Kap. I.3.1. II.6. Holocaust (USA 1978) 300 ihrer Wohnung dürfen die Weiss’ nicht länger bleiben. Die Großeltern Palitz begehen Selbstmord. Anna Weiss wird abends auf der Straße von Nazis verfolgt, als Jüdin erkannt und vergewaltigt. Ein Arzt weist die schwer traumatisierte junge Frau in die „Heil- und Nervenanstalt“ Hadamar ein. Wenige Wochen später erhält ihre Mutter die Todes- urkunde: Anna sei an Lungenentzündung gestorben. Rudi, der mittlere Sohn, will nicht einfach warten, bis auch er verhaftet und deportiert wird. Er verläßt heimlich Deutschland. In Prag lernt er die Jüdin Helena Slomova kennen. Sie verlieben sich und beschließen Richtung Osten zu fliehen, um den Deutschen zu entkommen. Teil 2: Die Straße nach Babij Jar (1941-1942) Karl Weiss ist im Lager Buchenwald und leistet Zwangsarbeit im Stein- bruch. Inga, seine Frau, versucht über Heinz Müller, inzwischen Wach- mann in Buchenwald, Kontakt zu ihrem Mann aufzunehmen. Müller erklärt sich bereit, Briefe weiterzuleiten und Karl in eine anderes Arbeitskommando versetzen zu lassen, wenn Inga zu „Gegenleistungen“ bereit ist. Karl arbeitet bald in einer Werkstatt. Rudi und Helena haben sich bis nach Kiew durchgeschlagen. Dort ist schon die deutsche Wehrmacht. Unter den Soldaten Hans Helms, Ingas Bruder. Bei Gefechten um die Stadt wird er verwundet, Rudi und Helena helfen ihm, er jedoch verrät die beiden. Mit dreißigtausend anderen Männern, Frauen und Kindern sollen sie in der Schlucht von Babij Jar erschossen werden. Rudi und Helena gelingt es, auf dem Weg dorthin zu fliehen. Entsetzt beobachten sie das Massaker. Die Nazi-Henker denken derweil über effektivere Mordmethoden nach. Erik Dorf widern die blutigen Massenexekutionen der Sondereinsatz- kommandos an, sie sind ihm nicht „sauber“ genug. Als er Kritik an Blobel, dem Führer einer Einsatzgruppe übt, zwingt dieser ihn, sich an den Erschießungen zu beteiligen. Dorf schießt. Josef und Berta Weiss haben sich im Warschauer Ghetto wiederge- funden. Dort ist auch Josefs Bruder Moses. Die Zustände im Ghetto sind menschenunwürdig, täglich sterben hunderte. Dr. Weiss kann nicht helfen. Er und sein Bruder beschließen, sich der geheimen Widerstands- gruppe anzuschließen. Die Dorfs in Berlin sind inzwischen gesellschaftlich etabliert. Ihre Wohnung ist gutbürgerlich eingerichtet. Frau Dorf spielt auf einem Flügel, der früher der Familie Weiss gehört hat. Was sie spielt, klingt II.6. Holocaust (USA 1978) 301 verzerrt. Auf den Saiten findet sie Fotos der Familie. Angewidert wirft sie die Bilder ins Kaminfeuer. Teil 3: Die Endlösung (1942-1944) Während der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 beschließen die An- wesenden, unter ihnen Erik Dorf, die vollständige Vernichtung der euro- päischen Juden. Karl Weiss ist von Buchenwald nach Theresienstadt, Hitlers Vorzeige- KZ, verlegt worden. Dort arbeitet er in einer Graphik-Werkstatt. Neben Propagandaplakaten zeichnen die Künstler heimlich Bilder des Lager- lebens. Rudi und Helena haben sich einer jüdischen Partisanengruppe ange- schlossen. Versteckt im Wald lassen sie sich nach jüdischer Tradition trauen. Inga Helms bittet Müller, sie zu denunzieren, um wie Karl nach There- sienstadt zu kommen. Er und seine Künstlergruppe sind inzwischen auf- geflogen. Sie werden gefoltert, um zu erfahren, wo sie ihre Bilder ver- steckt haben. Karls Hände werden mehrfach gebrochen. Über das Warschauer Ghetto bricht das Verhängnis herein. Täglich werden über 6000 Menschen ‚umgesiedelt’. Niemand weiß, wohin die Fahrt in den überfüllten Waggons geht - bis bekannt wird, daß die End- stationen Auschwitz und Treblinka heißen. Die zurückbleibenden Juden entschließen sich zum Widerstand. Teil 4: Die Überlebenden (1944-1945) Der Aufstand im Warschauer Ghetto wird niedergeschlagen, Berta und Josef Weiss nach Auschwitz deportiert. Josef Weiss arbeitet noch einige Wochen für Dorfs Onkel Kurt im Straßenbau. Dann wird auch er wie zuvor Berta Weiss und der ebenfalls nach Auschwitz deportierte Karl vergast. Inga hat Karl in Theresienstadt noch sehen und ihm mitteilen können, daß sie ein Kind von ihm erwartet. Helena kommt bei einem Überfall auf einen deutschen Konvoi ums Leben. Rudi wird gefangengenommen und in das Lager Sobibor ge- bracht. Dort beteiligt er sich erfolgreich an einem Ausbruch der Gefan- genen. Die Alliierten sind auf dem Vormarsch. Der Zusammenbruch des II.6. Holocaust (USA 1978) 302 NS-Regimes ist abzusehen. Rudi macht sich auf die Suche nach seinen Verwandten. Er muß feststellen, daß bis auf Inga niemand mehr lebt. Sie will mit ihrem Kind nicht in Deutschland bleiben. Gemeinsam mit einer Gruppe junger Juden, die das KZ überlebt haben, bricht Rudi Weiss Richtung Palästina auf. Erik Dorf wird von den US-Amerikanern gefangengenommen. Er streitet jede Verantwortung für den Massenmord ab. In einem unbeobachteten Moment nimmt er Gift. Seine Frau und seine Kinder sehen in ihm wei- terhin den Helden. Dorfs Onkel Kurt aber sagt: „Wir müssen einsehen, daß wir uns alle schuldig gemacht haben. Ich werde nicht schweigen.“ Damit endet der Film. Die Inhaltsangabe zeigt, daß die Verbindung zweier Familiengeschichten mit historischen Ereignissen konstruiert wirkt. Holocaust führt den Zuschauer an viele Orte der Vernichtung - Berlin, Hadamar, Buchen- wald, Prag, Theresienstadt, das Warschauer Ghetto, Auschwitz, Sobibor - und konfrontiert ihn mit einer Vielzahl historischer Daten und Fakten - Machtergreifung, Rassegesetzgebung, Bücherverbrennung, November- pogrom, Wannseekonferenz, Attentat auf Heydrich - zudem mit fiktiven Personen, die z.T. aber reale Vorbilder haben. Dieses „geballte Grauen“ ist - neben anderem - Anlaß zur Kritik, vorgetragen häufig von Histori- kern, denen an Einhaltung der Chronologie und Sachlichkeit gelegen ist. „Die historische Wahrheit“ ist daher ein wichtiger Teilkonflikt in der publizistischen Kontroverse über Holocaust. Dieser Teilkonflikt hängt eng zusammen mit der Frage nach der Machart der Fernsehserie. Wie kann Geschichte fernsehgerecht - und beim privat- kommerziellen TV heißt das zuschauergerecht - aufbereitet werden, ohne historische Ereignisse zu verfälschen? Einer der häufigsten Vorwürfe gegenüber Holocaust lautet, daß das unbeschreibliche Verbrechen der systematischen Vernichtung der europäischen Juden in Form einer „Soap-Opera“ den Zuschauern dargeboten wird. Sabina Lietzmann fragt in ihrem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, in dem sie über die Rezeption in den USA berichtet: „Aber ist es wirklich möglich, das Ungeheure im Privaten zu erfassen, wenn dieses so ökonomisch (auf größtmöglichen Einfluß sämtlicher historischer Stationen hin) kalkuliert, jenes aber auf private Miniszenen so anschaulich verkleinert ist? Das Grauen in schmackhafte Brockenhappen aufgeteilt, immer noch fürch- terlich, gewiß, doch auf die ‚durchgehende Geschichte einer Familie‘ angelegt, noch dazu so, daß der Zuschauer zum Einschalten der Fort- setzung am nächsten Abend festgehakt wird? Und überdies alle fünf- II.6. Holocaust (USA 1978) 303 zehn, zwanzig Minuten durch einen Block von vier, fünf schwachsinni- gen Werbefilmen unterbrochen, doppelt schockierend durch ihre naive Banalität.“645 Lietzmann nennt hier einige das Genre Soap-Opera kenn- zeichnende Merkmale: Komplexitätsreduktion durch Personalisierung, Identifikationsangebote aufgrund der Figurenkonstellation, Fragmentie- rung, Spannung, die dafür sorgt, daß der Zuschauer auf die Fortsetzung wartet und wieder einschaltet, und schließlich Werbeeinblendungen. Die klassische Soap-Opera, entstanden im US-amerikanischen Hörfunk Ende der zwanziger Jahre, ist aus der Idee einiger Werbetreibender ent- standen, Programm und Werbung so aufeinander abzustimmen, daß ein „optimales Werbeumfeld“ entsteht. Mehrere Firmen kauften gemeinsam Sendezeit und teilten diese untereinander auf. Weil es sich dabei vor- nehmlich um Seifenfabrikanten handelte, entstand der Name Soap- Opera. Der Erfolg der Sendungen war phänomenal, sie richteten sich vor allem an Hausfrauen, die in ihren Kaufentscheidungen beeinflußt werden sollten. Mit der Verbreitung des Fernsehens setzte sich der Erfolg des Genres fort. Auch die TV-Soap-Fans sind überwiegend weiblich. Als „Daytime Serials“ laufen die Soap Operas tagsüber, die einzelnen Folgen werden zumeist täglich und über Jahre gesendet. Es sind einfache Geschichten aus höchstens drei parallel verlaufenden Handlungssträn- gen, von denen sich der eine in der Entwicklungsphase befindet, der andere dem Höhepunkt zustrebt, und der dritte am Ausklingen ist. Diese Strategie und das eher geringe Tempo erfordern keine permanente Auf- merksamkeit. Neuseher oder Pausierende können ohne weiteres wieder einsteigen, auch weil die Filmzeit fast der Realzeit entspricht und die Erzählchronologie beibehalten wird. Rückblenden und Vorausschauen kommen kaum vor. Das Drehbuch für eine Soap-Opera entsteht meistens im Team, produziert wird überwiegend im Studio, um die Kosten gering zu halten. Themen der Soap Opera sind Liebe, Ehe, Familie, aber auch soziale Pro- bleme, Krankheit, Kriminalität, die Gefährdung des Normalen also. Ein gewisses Maß an Realität ist demnach vorhanden, der Zuschauer könnte von diesen Problemen ebenfalls betroffen werden. Krieg, Umweltzerstö- rung, Hungerkatastrophen jedoch kommen nicht vor. Soap Operas sind in der Regel handlungsarm, stattdessen wird über Ereignisse und Perso- nen gesprochen. Der regelmäßige Konsum der Daily Soaps führt häufig zu parasozialen Interaktionen. Die Figuren der Serie wachsen dem Zuschauer ans Herz, und er will wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Bei heranziehenden Gefahren zittert er mit und gibt gute Ratschläge. Die 645 Lietzmann, Sabina: Die Judenvernichtung als Seifenoper. Holocaust - eine Serie im amerikanischen Fernsehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.4.1978, S. 25. II.6. Holocaust (USA 1978) 304 Soap Opera überfordert ihre Zuschauer nicht, sie vermittelt allgemein akzeptierte Werte und verkündet Wahrheiten, die sich mit den Erfahrun- gen und Wünschen der Zuschauer decken. Das Gute siegt, und das Böse wird bestraft. Eine Vielzahl für das Genre Soap Opera konstitutiver Merkmale erfüllt die Serie Holocaust nicht. Weder handelt es sich um eine Geschichte ohne Anfang und Ende, noch um eine tägliche über Jahre laufende Serie, die nebenbei zu konsumieren ist. Das Erzähltempo ist hoch, in sieben Stunden wird ein Zeitraum von zehn Jahren zusammengefaßt. Die Geschichte beruht z.T. auf Fakten, zwar haben die meisten Figuren keine authentischen Vorbilder, doch orientieren sich die Geschichten der Familien Weiss und Dorf an historischen Ereignissen. Im Laufe der Serie werden sogar Dokumente eingeblendet, die wenigen Schwarz-Weiß- Bilder, die es von Massenerschießungen gibt. Dorf zeigt sie Heydrich, um ihn zur Erprobung anderer Tötungsverfahren zu bewegen; US-ame- rikanische Ankläger zeigen sie Dorf als Beweis seiner Schuld. Holocaust ist im Gegensatz zu klassischen Soaps nicht überwiegend im Studio pro- duziert worden, und das Verfassen des Drehbuchs war Aufgabe eines Autors. Die Zielgruppe ist wesentlich größer, Erwachsene beiderlei Geschlechts sollen erreicht und die Serie international vermarktet werden. Physische Gewalt wird anders als in der Soap Opera nicht aus- gespart und es ist nicht so, daß das Gute letztlich triumphiert, im Gegenteil, die Familie Weiss, mit der sich der Zuschauer identifiziert, wird bis auf eines ihrer Mitglieder umgebracht. Doch bleiben einige Punkte, die an die klassische Soap Opera erinnern: die kommerziellen Beweggründe, Holocaust zu produzieren, die Dia- loglastigkeit, das Figurenkonzept, das auf einfache Schwarz-Weiß- Malerei hinausläuft (die gute Familie Weiss/die böse Familie Dorf), das Personal der Serie, das für jedes Alter und jedes Geschlecht Identifika- tionsangebote bereithält, und bestimmte Stereotype, die die Orientierung erleichtern. Völlig hoffnungslos wird der Zuschauer trotz allen Unglücks nicht zurückgelassen. Wenigstens Rudi Weiss hat überlebt. Er geht nach Palästina. Und zumindest Kurt Dorf gesteht seine Mitschuld ein. Wolfgang Würker meint, daß den Dallas und Denver gewohnten Fern- sehzuschauern der achtziger Jahre eine Serie wie Holocaust nicht mehr als etwas Besonderes erscheint. „Die arglose Zusammenfassung eines komplexen Weltgeschehens in trivialen Familiengeschichten setzt sich in den erfolgreichen Serien der achtziger Jahre mehr und mehr durch. Alte Identifizierungsmuster des ‚good guy‘ und des ‚bad guy‘ und klare Zugehörigkeiten zu sogenannten ‚Wir‘- und ‚Die‘-Gruppen‘ verdrängen in diesen Serien, auch in dem Film Holocaust (gleichwohl er weitaus II.6. Holocaust (USA 1978) 305 verantwortungsbewußter, engagierter produziert wurde als die neuen Serien) zusehends jede differenzierte Darlegung. Vereinfachungen und Schematismen haben freilich ihre Funktion: sind Charaktere und Grup- pierungen erst einmal (und meist ein für allemal) festgelegt, können im Film - natürlich nacheinander montiert - verschiedenen Handlungen parallel verfolgt werden; Spannung und Entspannung, Glücks- und Angstgefühle beim Zuschauer sind dann so leicht zu dosieren und abzu- stimmen, daß man selbst bei einem Film über die Judenvernichtung noch an den Bildschirm gefesselt bleibt, ja sich geradezu ‚unterhalten‘ fühlt.“646 Würker spricht in seinem Beitrag auch von der „ ... strukturel- len Ähnlichkeit [der Serie Holocaust] mit den auf Trivialität und Emo- tionalität gebauten Propagandafilmen des Dritten Reichs“, die „Psycho- logen zumindest aufgefallen“ sei.647 Dieter Prokop erkennt in dem Fernsehfilm Holocaust Handlungsfolgen, die eher an den klassischen Western als an die Soap Opera erinnern: „Destruktion von Personen wird auch in Holocaust zum Teil nach klassi- schem Hollywoodmuster induziert: als Folge persönlich übersteigerter Erwartungen und dadurch verursachter Unflexibilität. (Wenn in einem Hollywood-Western ein Nebenheld, noch dazu ein etwas verweichlich- ter, am Lagerfeuer in Großaufnahme glücklich in die Ferne blickend von seiner Verlobten spricht, die er gern wiedersehen und mit der er Kinder, Familie, Haus haben möchte, dann weiß man bereits, daß er den näch- sten Indianerüberfall nicht überleben wird.) Nach alten Hollywood- muster führt ... fehlende ‚Realitätstüchtigkeit‘ meist zum Tod.“648 646 Würker, Wolfgang: Wenn Holocaust wiederkommt. Der amerikanische Fernsehfilm im ersten Programm: Ein Medienereignis, das die Meinungen gespalten hat. In: Frankfur- ter Allgemeine Zeitung vom 13.11.1982, S. 25 647 Ebenda. Michael Schwarze sieht gar Gemeinsamkeiten zwischen Veit Harlans anti- semitischem Hetzfilm Jud Süß von 1940 und Holocaust. Vgl. Schwarze, Michael: Jud Süß mit umgekehrtem Vorzeichen? Über die Unzulänglichkeit unserer Wahrnehmung. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 3/1979, S. 24f. 648 Prokop, Dieter: Zeichen von Glück und Destruktion. Zur Struktur eines internationali- sierten Medienprodukts. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 19f. II.6. Holocaust (USA 1978) 306 II.6.3. Mitwirkende Stab Regie Marvin Chomsky Gesamtleitung Herbert Brodkin Produktion Robert Berger Drehbuch Gerald Green Szenenbild Theo Harisch Kamera Brian West Musik Morton Gould Ton John Stevenson Schnitt Brian Smedley-Aston Darsteller Dr. Josef Weiss Fritz Weaver Berta Palitz-Weiss Rosemary Harris Rudi Weiss Joseph Bottoms Karl Weiss James Woods Inga Helms-Weiss Meryl Streep Anna Weiss Blanche Baker Moses Weiss Sam Wanamaker Heinrich Palitz Marius Goring Frau Palitz Nora Minor Herr Helms Werner Kreindl Frau Helms Nina Sandt Hans Helms Michael Beck Helena Slomova Tovah Feldshuh Erik Dorf Michael Moriatry Martha Dorf Deborah Norton Kurt Dorf Robert Stephens Reinhard Heydrich David Warner Heinrich Himmler Ian Holm Hans Frank John Bailey Adolf Eichmann Tom Bell Rudolf Höss David Daker Heinz Müller Anthony Haygarth Ernst Kaltenbrunner Hans Meyer Über den Regisseur Marvin Chomsky ist wenig in Erfahrung zu bringen. Ausführungen zur Einordnung der Serie Holocaust in sein Gesamtwerk entfallen daher. Gerald Green, 1922 geboren, kommt aus einer jüdischen II.6. Holocaust (USA 1978) 307 Familie und ist im New Yorker Stadtteil Brooklyn aufgewachsen. Er ist Romancier, Drehbuchautor und TV-Produzent. Dieter E. Zimmer äußert sich in der Zeit abfällig über den Literaten Green: „Der Eindruck der Billigkeit“ sei bei Greens „Roman“ Holocaust noch stärker als beim Film. Die Idee, zwei Erzähler auftreten zu lassen, einen SS-Offizier und einen Überlebenden in Gestalt eines israelischen Turnlehrers, findet Zimmer schlicht „abstrus“. Zudem kritisiert er: „Beide sprechen sie die gleiche Sprache, nämlich wie Gerald Green, und der spricht wie das Schreibbüro einer Agentur für Illustriertenstories.“649 Green muß vor allem Kritik für sein Figurenkonzept und die Zeichnung einzelner Charaktere einstecken. Henrich von Nussbaum fragt: „Warum bleiben Greens Charaktere so bläßlich, blutleer und prototypisch, wie im Wachsfigurenkabinett? Warum zeigen seine todgeweihten Musterhelden keine Fehler? Besonders seine Frauenfiguren wirken wie abgeschrieben aus einer Schreibanleitung für einen dramatic-workshop oder eine drama school ...“.650 Die Kritiker stört die Schwarz-Weiß-Malerei, die durch das parallele Erzählen der Geschichten zweier Familien – eine heißt auch noch Weiss – betrieben wird. Verstörend wirkt zudem, daß manche Figuren authentische Vorbilder haben und unter deren Namen auftreten (Heydrich, Höss, Kaltenbrunner, Eichmann, Himmler), andere realen Vorbilder nachempfunden sein könnten (Eric Dorf = Werner Best651), die meisten aber frei erfunden sind, auch wenn es Gemeinsamkeiten mit authentischen Personen gibt. Wie gut und böse auf Figuren verteilt ist, erinnert die Kritiker an andere triviale Genres, den Western oder eine Familienserie wie Dallas. Dem- nach entspräche Berta Weiss = Miss Ellie, Josef Weiss = Jock, Anna = Lucy, Inga = Pam, Bobby = Rudi, JR = die Nazis. Sigrid Schniederken ärgert diese Klischeehaftigkeit, da sie den Deutschen ermögliche, auf die noch schlimmeren Nazis zu verweisen: „Natürlich muß die Serie auch wieder einige idealtypische Schurken herausstellen, auf die man alle Schuldgefühle projizieren kann, um sich sodann desto sicherer von ihnen 649 Zimmer, Dieter E.: Melodrama vom Massenmord. Holocaust. Ein Fernsehspiel mit dem Entsetzen. In: Die Zeit, Nr. 3 vom 19.1.1979, S. 23f. Zimmers Verriß zeigt, daß er sich das billige Büchlein gar nicht erst genau angeschaut hat. Der „israelische Turnlehrer“ ist Rudi Weiss, der „SS Offizier“ Erik Dorf. Rudi Weiss tritt als Erzähler auf. Außer- dem enthält die „novel“ Holocaust Tagebuchaufzeichnungen Erik Dorfs, die sein Onkel Kurt dem in Israel lebenden Rudi Weiss nach Kriegsende zugeschickt hat. Vgl. Green, Gerald: Holocaust. London, 1978. 650 Nussbaum, Henrich von: The most beautiful show. Das Medienereignis Holocaust als Indikator. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 12. 651 Vgl. Herbert, Ulrich: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. 3. Aufl. Bonn, 1996. II.6. Holocaust (USA 1978) 308 zu distanzieren. Holocaust hat natürlich auch die dafür tauglichen Mon- ster im Angebot in zweifacher Ausführung mit jeweiliger Untergruppie- rung: den kleinbürgerlichen Radau-Antisemiten und das masochistische SA-Schwein, das genüßlich kleine Judenmädchen vergewaltigt; und die coolen Organisatoren des industriealisierten Massenmords, ein opportu- nistischer Pantoffelheld der eine, ein versoffener Zyniker der andere. Wenn das alles war, komme ich, wie wohl die meisten hierzulande, mit meiner Verwandtschaft noch ganz gut weg. Sie hat nämlich ‚nur‘ natio- nalsozialistisch gewählt, hat Adolf Hitler den Fahneneid geschworen und den Namen Auschwitz erstmals nach Kriegsende gehört.“652 Der Teilkonflikt in der publizistischen Kontroverse über Holocaust, der sich am Figurenkonzept und der Besetzung der jüdischen Figuren ent- zündet, ist nicht frei von Rassismen. Sigrid Schniederken beruft sich auf Christopher Bookers Artikel im Spectator, in dem er als „zynischste Verkehrung“ der Serie vorwirft, „... daß die heldenhafte jüdische Fami- lie, deren Schicksal die Hälfte der Geschichte ausmacht, durchweg von auffällig nicht-jüdischen Schauspielern dargestellt wurde.“653 Schnieder- ken scheint das Dilemma bewußt. Da man im Namen der Rasse gemor- det habe, spreche man heute nicht gern von Rassenunterschieden. „Arier“ wie „Nichtarier“ würden aus welchen Gründen auch immer Un- terschiede am liebsten verneinen. Bei Holocaust ist ihrer Meinung nach die Besetzung der Figuren nach absatzstrategischen Überlegungen er- folgt: „Wer so bewußt den Arier-Merkmalskatalog der Antisemiten be- folgt, um verbal als Juden ausgewiesene Serienhelden als Sympathie- träger ‚annehmbar‘ zu machen, darf sicher sein, daß die Gemeinde der Käufer von Coca-Cola und Cornflake hüben und die Masse der bislang Trauer-Unwilligen hierzulande so herzerfrischend weinen werden, wie sie vordem zur Lovestory geweint haben.“654 Neben der Physiognomie der Darsteller bemängeln Kritiker, daß in Holocaust bevorzugt westliche, hochkultivierte, städtische Juden gezeigt werden, mit denen sich amerikanische wie deutsche Fernsehzuschauer eher identifizieren könnten. Diejenigen, die ermordet worden sind, waren aber in der Mehrzahl verarmte, zum Teil streng orthodoxe, ländliche Juden Osteuropas. Sie kommen nicht vor. In einer Szene benutzt Berta Weiss, die sich als Deutsche fühlt, das Argument von der „deutschen 652 Schniederken, Sigrid: „For better or for worse“? Holocaust - ein didaktisches Lehrstück und die Folgen. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 5 vom 31.1.1979, S. 4. 653 Booker, Christopher, zit. nach Schniederken, Sigrid: „For better or for worse“? Holo- caust - ein didaktisches Lehrstück und die Folgen. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 5 vom 31.1.1979, S. 2. 654 Schniederken, Sigrid: „For better or for worse“? Holocaust - ein didaktisches Lehrstück und die Folgen. A.a.O., S. 3f. II.6. Holocaust (USA 1978) 309 Kulturnation“. Als ihr Mann erzählt, Dorf habe ihn aufgefordert, das Land zu verlassen, tröstet sie ihn, am Flügel sitzend: „Wir werden’s schon überleben. Dies ist das Land Beethovens, Schillers und Mozarts!“ Josef Weiss hält dem resigniert entgegen, daß „nur leider zur Zeit keiner von denen an der Macht ist.“ Die Kritik an der zu wenig differenzierten Zeichnung der jüdischen Figuren ist sicher zutreffend, andererseits hätte stärkere Differenzierung den Vorwurf nach sich ziehen können, daß antisemitische Stereotype verbreitet würden. Ähnlich kompliziert ist die Zeichnung der nichtjüdi- schen deutschen Figuren. Sie können weder ausschließlich als Nazis, noch als Verführte und Mitläufer dargestellt werden. Wie schwer eine Trennlinie zwischen den einen und den anderen zu ziehen ist, verdeut- licht Green daran, daß innerhalb einer Familie Anhänger und Gegner aufeinandertreffen können, so bei den Helms und den Dorfs. Inga Helms und Kurt Dorf sind aber eindeutig in der Minderheit. Für die Darsteller in Holocaust sind Identifikation und Distanz ein großes Problem. Der katholische Darsteller des Dr. Weiss, Fritz Weaver, fühlt sich hinterher jüdisch. Michael Moriatry, der Eric Dorf spielt, sei mehrmals zusam- mengebrochen und habe gefragt: „Wie konnten die so was tun!“655 II.6.4. Resonanz Unterbrochen von im privaten Fernsehen üblichen Werbespots, wird die Serie im April 1978 in den USA erstmals gesendet. Zuvor haben ver- schiedene Organisationen, z.B. das American Jewish Comittee, zur Popularisierung der Serie beigetragen, indem sie Informationsmaterial über die Judenvernichtung an Mitglieder, in Schulen und Universitäten verteilt haben. NBC läßt eine Holocaust-Information erstellen, von der zwei Millionen Exemplare vertrieben werden. Gerald Greens Roman Holocaust wird noch vor Ausstrahlung der Serie 1,5 Millionen mal ver- kauft und führt die Bestseller-Listen an. Über 70 Millionen Zuschauer sehen die Serie, die Ratings (TV-Geräte, die NBC eingeschaltet haben im Vergleich mit der Gesamtzahl an Geräten in den USA = Quote) liegen im Schnitt bei 27,1%, die Shares (TV-Geräte, die NBC einge- schaltet haben im Vergleich zu allen eingeschalteten Geräten = Markt- anteil) liegen bei 43%. In der Liste der erfolgreichsten TV-Serien 1977/78 belegen Teil 1-4 von Holocaust die Plätze 1-3 und 9. Bei den erfolgreichsten TV-Serien aller Zeiten erreicht die vierte Folge von 655 Moriatry, Michael, zit. nach Holocaust: Die Vergangenheit kommt zurück. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 29.1.1979, S. 21. II.6. Holocaust (USA 1978) 310 Holocaust Platz 49.656 Die Serie ist ein Medienereignis. Holocaust wird in der US-amerikanischen Presse ausführlich und kontrovers diskutiert, positive Rezensionen überwiegen letztlich. Die TV-Produktion gewinnt acht Emmy Awards, für das Drehbuch, die Regie und für schauspiele- rische Leistungen. In der Bundesrepublik Deutschland herrscht zunächst Unsicherheit, ob, und wenn ja, von welchem Sender die Serie ausgestrahlt werden soll. Die SPD-Politiker Georg Leber, Dietrich Stobbe und Horst Ehmke spre- chen sich nach einer USA-Reise für den Ankauf der Serie aus. Der WDR erwirbt die Ausstrahlungsrechte für 1,2 Millionen DM, was zu dem Vorwurf führt, der „Rotfunk“ beuge sich dem Genossenvotum. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß wettert gegen „Geschäftemacherei“, die „nicht der geschichtlichen Wahrheit“ diene.657 Für die Ausstrahlung in der ARD benötigt der WDR die mehrheitliche Zustimmung der Programmdirektoren. Der Direktor des Bayerischen Rundfunks, Helmut Oeller, verweigert sein Ja. Zögerlich zeigen sich auch Südfunk, Südwestfunk und Saarländischer Rundfunk, die gemein- sam das Dritte Programm S3 veranstalten. Nach Meinung des Fernsehspielchefs des SWF, Peter Schulze-Rohr, ist der Film „fahrlässig gemacht“.658 Er biete vielleicht Informationen für die US-amerikanischen Zuschauer, die protestierenden Überlebenden in New York und anderswo aber wüßten es besser. „Wir und unsere euro- päischen Nachbarn wissen es leider auch besser.“659 Dennoch sei in der Bundesrepublik der Irrtum verbreitet, Gesinnung ersetzte Qualität. Schulze-Rohr findet die Zuordnung links = pro Holocaust, rechts = contra Holocaust verfehlt und fordert, die Ausstrahlung noch einmal zu überdenken. „Den Vorwurf, aus Indifferenz und mangelnder Courage Schund zu einem Thema gesendet zu haben, zu dem man keinen Schund senden darf“660, werde man nicht dadurch los, daß man die Serie in die Dritten Programme verbanne. Auf diesen Kompromiß jedoch einigen sich die Programmdirektoren und Intendanten der ARD. Das Für und Wider die Ausstrahlung der Serie beschert Holocaust vorab eine unge- 656 Vgl. Knilli, Friedrich: Endlösung aller Zukunftsfragen des US-Fernsehens. Ein Marke- tingprodukt und seine Rezeption in den USA. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 22. 657 Vgl. Saur, Karl-Otto: Geschichtsbewältigung oder Gewinnsucht? Seit Monaten erregt die US-Serie über die Judenverfolgung im Dritten Reich die Gemüter. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.9.1978, S. 18. 658 Schulze-Rohr, Peter: Keine Frage von rechts oder links. In: Die Zeit, Nr. 26 vom 23.6.1978, S. 11. 659 Ebenda. 660 Ebenda. II.6. Holocaust (USA 1978) 311 heure Aufmerksamkeit, so daß die ersten Kritiken ein dreiviertel Jahr vor Ausstrahlung der Sendung erscheinen. Diese Kritiken beruhen nicht immer auf eigener Anschauung. Seit April 1978 berichten die Korrespondenten über Reaktionen im Ausland. Manche Journalisten aber lassen sich von Kollegen im Ausland Video- Kopien schicken, andere gehören zum kleinen Kreis derer, die der WDR zehn Tage vor Ausstrahlung der Serie zu einem zweitägigen Seminar einlädt. Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit eines doch öffentlich- rechtlichen Senders stößt in Journalistenkreisen auf Unmut, zumal bei Kritikern, die für Fachzeitschriften schreiben. Für sie kommen solche Veranstaltungen zu spät.661 Der WDR ist mit dem Erfolg seiner PR jedoch sehr zufrieden. Ivo Frenzel, Redakteur beim WDR-Fernsehen, stellt fest: „... die Wirkung des Seminars war außerordentlich. Die Kritik wurde differenzierter, die Notwendigkeit der Ausstrahlung von Holo- caust nun durchweg bejaht.“662 Als Beispiele für den Meinungsum- schwung nennt er die Kritiken von Eugen Kogon im stern und Günther Rühle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.663 Die Fernsehzuschauer werden auf Holocaust durch Features wie Anti- semitismus von Erhard Kloess und Endlösung von Paul Karalus vorbe- reitet. Zwischen dem 22. und 26. Januar 1979 wird Holocaust jeweils ab 21 Uhr gesendet. Die Quoten steigen von 31% (1. Folge) über 35% (2. Folge), 37% (3. Folge) auf 40% (4. Folge). 14,3% (6,0 Mio) der Erwach- senen ab 14 Jahren sehen eine Folge; 10,8% (4,6) zwei Folgen; 10,5% (4,4 Mio) drei und 12,6% (5,3 Mio) alle vier Folgen der Serie. Die Seh- beteiligung von Kindern zwischen 8 und 13 Jahren ist kontinuierlich an- gestiegen. 661 Vgl. z.B. Neudeck, Rupert: Öffentlichkeit, verwaltet und ungeteilt. Holocaust, ein neuer Höhepunkt. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 29-30. 662 Frenzel, Ivo: Vorbemerkungen der Herausgeber. In: Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen. Hrsg. von Peter Märthesheimer und Ivo Frenzel. Frankfurt/M., 1979, S. 21. 663 Vgl. Kogon, Eugen: Über die innere Wahrheit des Fernsehfilms Holocaust. In: stern vom 18.1.1979. Nachgedruckt in: Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen. Hrsg. von Peter Märthesheimer und Ivo Frenzel. Frankfurt/M., 1979, S. 66-69. Rühle, Günther: Wenn Holocaust kommt. Vor der Fernsehsendung über die Massenvernichtung der Juden. Ein Ereignis, das die Meinungen spalten wird. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.1.1979, S. 21. II.6. Holocaust (USA 1978) 312 Tabelle 9: Einschaltqouten und Sehbeteiligung von Holocaust bei einzelnen Folgen und den anschließenden Diskussionen Eingeschaltete Geräte Erwachsene ab 14 Jahre Kinder 8-13 Jahre 3-7 Jahre Sendung in % in % in Mio in % in Mio in % in Mio 1. Folge Holocaust 31 24 10,16 4 0,21 1 0,04 Anruf erwünscht 11 7 2,96 0 0,05 0 0,00 2. Folge Holocaust 35 28 11,66 7 0,41 2 0,05 Anruf erwünscht 13 9 3,93 0 0,02 0 0,01 3. Folge Holocaust 37 31 13,21 9 0,53 2 0,07 Anruf erwünscht 15 12 4,95 1 0,70 1 0,02 4. Folge Holocaust 40 32 13,43 15 0,89 2 0,06 Anruf erwünscht 18 15 5,59 2 0,10 0 0,00 Quelle: Magnus, Uwe: Holocaust im Spiegel der Teleskopie-Zahlen. Einschalt- quoten und Sehbeteiligung. In: Media Perspektiven. H. 2/1979, S. 77. Bei den anschließenden Diskussionsrunden664 sind die Einschaltquoten immer noch sehr hoch, 30.000 Zuschauer nutzen die Gelegenheit, beim WDR anzurufen, um Fragen zu stellen und das Gesehene zu kommentie- ren. Fast eine halbe Million Schreiben gehen beim Sender ein, in denen um Aufklärungsmaterial gebeten wird. Die Publikumsreaktionen, dieses überwältigende Interesse, überraschen sowohl die Programmverantwort- lichen als auch die Journalisten, die sich vor Ausstrahlung der Sendung eher abfällig über die „amerikanische Seifenoper“ geäußert haben. Viele setzen sich erneut mit der Machart und Rezeption der Serie auseinander 664 Unter der Leitung von Robert Leicht (Süddeutsche Zeitung) diskutieren Eugen Kogon (Überlebender von Buchenwald, Publizist), Karl Dietrich Bracher (Historiker), Wolf- gang Scheel (Historiker), Walter Laqueur, (Direktor der Wiener Library, London) und Heinz Werner Hübner (Programmdirektor WDR). Nachdem jedoch viele Anrufer Robert Leichts „zu intellektuelle Art“ kritisiert haben, übernimmt Hübner die Dis- kussionsleitung. An der Diskussionssendung am 26.1.1979 nimmt der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki teil, der im Falle von Holocaust nichts gegen Trivialität einzu- wenden hat. II.6. Holocaust (USA 1978) 313 und gelangen zu dem Schluß, daß Holocaust geschafft hat, was aufwen- dig recherchierten Dokumentationen nicht gelungen ist: eine öffentliche Debatte über die deutsche Vergangenheit und den Mord an Tausenden Juden in Gang zu setzen. Zuschauer aus allen Alters- und Bildungsgrup- pen sind erreicht worden. Tabelle 10: Durchschnittliche Sehbeteiligung von Holocaust in Untergliederung nach Geschlecht, Alter und Bildung Geschlecht Alter Bildung (in %) (in %) (in %) Frauen 28,0 14-29 J. 27,5 Volkshochschule ohne Lehre 24,8 Männer 29,5 30-49 J. 34,5 Volkshochschule mit Lehre 31,3 > 50 J. 24,3 Weiterführende Schulen 29,3 Quelle: Magnus, Uwe: Holocaust im Spiegel der Teleskopie-Zahlen. Einschalt- quoten und Sehbeteiligung. In. Media Perspektiven. H. 2/1979, S. 80. Die Resonanz ist bei Frauen und Männern etwa gleich stark gewesen, die mittleren Jahrgänge haben sich dem TV-Angebot gegenüber aufge- schlossener gezeigt als die Jungen und diejenigen, die zur Kriegsgenera- tion zu zählen sind. Was den Bildungsstand anbelangt, hat sich die untere Bildungsschicht Holocaust tendenziell eher entzogen. Aufschlußreich sind die Briefe, die beim WDR eingehen. Darunter anonyme Zuschriften, ausschließlich Schreiben rechtsextremistischen Inhalts. Heiner Lichtenstein, hat sie alle gelesen und in drei Gruppen eingeteilt: zustimmende, ablehnende und berichtende. Lichtenstein stellt fest: „Die meisten Karten und Briefe kamen von Frauen, von Jugend- lichen und von evangelischen Pfarrern. Fast nie fehlten persönliche Daten wie Alter, Beruf, Herkunft.“665 Die Zuschriften sind ganz über- wiegend positiv. Daß Holocaust gesendet wurde, begrüßen zwei Drittel, vielen aber ist der Sendetermin zu spät am Abend. Auf Zustimmung 665 Lichtenstein, Heiner: Holocaust und die Reaktionen der Fernsehzuschauer. In: Holo- caust. Brief an den WDR. Hrsg. von Heiner Lichtenstein und Michael Schmid-Ospach. Wuppertal, 1982, S. 12. II.6. Holocaust (USA 1978) 314 stößt das Figurenkonzept der Serie, es ermögliche Identifikation und eine Vorstellung vom Ausmaß des Holocaust. Viele berichten von Auseinan- dersetzungen innerhalb der Familie nach der Sendung und davon, daß sie sich vorgenommen haben, Verwandte nach ihrem Tun während der NS- Zeit zu fragen. Die negativen Stellungnahmen enthalten laut Lichtenstein stets dieselben Argumente: es solle endlich Schluß sein mit den Vorhal- tungen, die anderen hätten auch Kriegsverbrechen begangen. Genannt werden Katyn, Dresden, Hiroshima, Vietnam, besonders häufig die Ver- treibung aus den früheren deutschen Ostgebieten. Die Forderung, nun müsse mal ein deutscher Film zeigen, wie „es“ wirklich gewesen sei, verbinden diese Briefeschreiber mit eben jenem Hinweis auf die „Ver- brechen der anderen“. Vertrauen in die deutsche Filmindustrie oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben sie gleichwohl nicht. Deutlich wird die antiamerikanische und antisemitische Einstellung der Absender, wo sie die NBC-Serie als „von jüdischem Finanzkapital“ produziert diffamieren.666 Die Auswertung der Zuschauerpost ist nur ein Teilbereich der erstmals in diesem Umfang stattfindenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema Geschichtsvermittlung durch audio-visuelle Medien. Grund- sätzlich geht es um die Frage nach der Wirkung eines solchen Medien- ereignisses: hat Holocaust Einstellungen verändert, wird die Serie an- regen, sich intensiver mit deutscher Geschichte, mit Ursachen und Folgen der nationalsozialistischen Ideologie auseinanderzusetzen, oder wird nach kurzer Betroffenheit das Interesse schwinden? Die Medien- wirkungsforschung soll dazu die Daten liefern. In vielen Universitäts- instituten werden Rezeptionsstudien vorbereitet. Der WDR und die Bundeszentrale für politische Bildung geben im Herbst 1978 eine drei- stufige Begleitstudie in Auftrag. Ausführendes Institut ist die Marplan- GmbH, Offenbach. In der vorletzten Woche vor Ausstrahlung der Serie werden in einer Repräsentativ-Erhebung allgemeine Fragen zu National- sozialismus, Antisemitismus und Judenverfolgung gestellt, dabei ein Bezug zu Holocaust vermieden. Eine Woche nach der Sendung werden in einem zweiten Schritt diese Fragen teilweise wieder gestellt und mit Fragen zu Holocaust verbunden. In einem dritten Schritt überprüfen die Wissenschaftler 14 Wochen nach Ausstrahlung der Serie mittelfristige Wirkungen. Die Stichproben umfassen 900, 1.800 und 500 Befragte. Erste Ergebnisse werden schon im Frühjahr 1979 publiziert.667 73% urteilen über die Fernsehserie positiv, 7% negativ, zwanzig Prozent 666 Vgl. A.a.O., S. 13. 667 Magnus, Uwe: Die Reaktionen auf Holocaust. Ergebnisse der Begleitstudien des WDR und der Bundeszentrale für politische Bildung. In: Media Perspektiven. H. 4/1979, S. 226-240; Schwarze, Michael: Die Wirkung von Holocaust. Ergebnisse einer II.6. Holocaust (USA 1978) 315 haben keine Meinung. Gelobt wird der Aufklärungseffekt allgemein und die Personalisierung, die zur Identifikation einlädt. Die Hälfte der Zuschauer hat an der Serie nichts auszusetzen. Auf eine kathartische Wirkung könnten die Forscher nach Analyse der Empfindungen der Zuschauer schließen. Mehr als die Hälfte spricht von Erschütterung, Scham und Tränen. 9% der Zuschauer aber zeigen sich empört darüber, daß „man uns Deutsche auf diese Weise verunglimpft“. Die Mehrheit des Publikums gibt an, durch Holocaust Neues über die Zeit des Natio- nalsozialismus erfahren zu haben. Das ist eine Äußerung, die je älter die Zuschauer sind, um so mehr erstaunt, denn da stellt sich die Frage, was Institutionen der politischen Bildung, Parteien, Schulen, Universitäten und nicht zuletzt die Massenmedien seit Ende des zweiten Weltkriegs eigentlich geleistet haben? „Zu wenig“ ist aber sicher die falsche Ant- wort. Heftige publizistische Kontroversen hat es über die NS-Vergan- genheit und den Holocaust immer gegeben. Das belegen u.a. die in dieser Arbeit untersuchten durch Filme ausgelösten Debatten. Vielmehr stellt sich die Frage, worin die besondere Leistung von Holocaust besteht, daß Informationen, die man aufgenommen und dann verdrängt hat, plötzlich als neu und so noch nicht gehört begriffen werden? Selbst diejenigen Zuschauer, die sich als politisch stark interessiert beschreiben, geben an, durch Holocaust etwas dazugelernt zu haben; 67% der Zuschauer unter 20 Jahren halten Holocaust für einen guten Geschichts- unterricht. Signifikante Einstellungsveränderungen sind bei der Einschätzung des Nationalsozialismus und seiner Folgen zu verzeichnen. Meinten vor der Ausstrahlung etliche Befragte, der Nationalsozialismus habe „auch posi- tive Seiten“ gehabt, verringert sich die Zahl derjenigen mit dieser Ein- stellung nach der Ausstrahlung erheblich. Die negativen Auswirkungen der NS-Diktatur sind ins Bewußtsein gerückt. Auch die Zahl der Opfer des Holocaust halten die Befragten nun für realistisch. Einstellungsveränderungen lassen sich insgesamt aber nur bei einem geringen Teil der Befragten feststellen. Überwiegend ist es so, daß schon vorhandene Meinungen bestärkt und befestigt worden sind. Das gilt für die Befürworter der Serie ebenso wie für die Gegner. Demoskopisch interessant sind daher besonders diejenigen, die bei der ersten Befragung zum Themenkomplex Nationalsozialismus und Holocaust keine ge- festigte Meinung hatten. Hier hat die Serie in Bezug auf Widerstand, kollektive Schuld/Kollektive Verantwortung und Entschädigungszahlun- gen tatsächlich meinungsbildend gewirkt. Die Zahl derer, die das Atten- Begleituntersuchung des Westdeutschen Rundfunks. In: Frankfurter Allgemeine Zei- tung vom 4.5.1979, S. 25. II.6. Holocaust (USA 1978) 316 tat vom 20.7.1944 für gerechtfertigt halten, stieg um 14% auf 63%, die Zahl derer, die eine Mitschuld aller Deutschen anerkennen, die während des Nationalsozialismus Erwachsene waren, stieg von 16% auf 22%, ebenso nahmen die Zustimmung zu Entschädigungsleistungen und die Empörung über Bestrebungen zu, NS-Verbrechen verjähren zu lassen. Dem sich über Jahre ziehenden Düsseldorfer Majdanek-Prozeß wird wieder mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. Fraglich ist nun, ob diese Einstellungsveränderungen über einen längeren Zeitraum Bestand haben werden. Anzuerkennen ist aber zunächst, daß Massenmedien - anders als in der Theorie der kognitiven Dissonanz angenommen - durchaus Wirkungen im Sinne von Einstellungsverände- rungen haben können. Andere Theorien spielen hier außerdem eine große Rolle: die Theorie der Schweigespirale und die des multi-step- flow of communications. Ohne die Ankündigungen und Vorabbespre- chungen in der Presse, ohne die Begleitsendungen im Fernsehen und die geballte Aufmerksamkeit, die die Multiplikatoren und „opinion leader“ der Serie entgegenbrachten, hätten nicht so viele Menschen den Ein- druck gewonnen, daß sie an diesem Medienereignis teilhaben müssen. Durch die hohe Beteiligung der Zuschauer wird Holocaust dann tatsäch- lich zum Medienereignis. Der Streit über die Wirkung von Holocaust führt zu einer Auseinander- setzung über Methoden der empirischen Kommunikationsforschung und die Interpretation der ermittelten Zahlen. Dieter Prokop fordert, daß jeder Wirkungsstudie eine kritische Produktanalyse vorausgehen müsse. Den Begleitstudien668 wirft er vor, daß man mit ihrer Hilfe alles beweisen könne. Es seien „suggestive Pädagogenfragen“ gestellt worden, um erwünschte Antworten zu bekommen. Prokop bezweifelt „ganz ent- schieden“, daß Holocaust Politisierungsprozesse in Gang gebracht habe – „es sei denn, man versteht unter Politisierung das schlichte aufgeregte Reden angesichts eines Ereignisses.“669 Mit Hilfe zweifelhafter Stich- proben wollen auch andere Kritiker beweisen, daß trotz Holocaust und begleitender Publizistik bei den deutschen Zuschauern „nichts hängen- 668 Prokops Vorwürfe richten sich insbesondere gegen die von der Bundeszentrale für politische Bildung und vom WDR in Auftrag gegebenen Holocaust-Begleitstudie, durchgeführt vom Marplan-Institut, Offenbach. Zum Konzept dieser Studie gehört jedoch eine Wiederholungsbefragung 14 Wochen nach Ausstrahlung der Serie, um längerfristige Wirkungen feststellen zu können. Ergebnisse publiziert Tilman Ernst in den Media Perspektiven. H. 12/1979, S. 819-827. 669 Prokop, Dieter: Der politisierende Effekt von US-Fernsehserien. Wie man durch „Begleitstudien“ alles beweisen kann. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 10. Jg., H. 1/1980, S. 6-7. II.6. Holocaust (USA 1978) 317 geblieben“ sei.670 Deutlich wird bei diesen Beiträgen eine nur vorder- gründige Auseinandersetzung mit Problemen der Medienwirkungsfor- schung. Die Autoren sind mit der Serie Holocaust und dem, was sie bewirkt hat, nicht zufrieden. Sie verlangen mehr vom öffentlich-recht- lichen Fernsehen und vom Publikum. Die massenhaften Reaktionen ver- dächtigen diese Kritiker als nur oberflächlich und kurzfristig. Auch die Anstrengungen ihrer Kritikerkollegen genügen ihnen nicht. Es kann nicht sein, was nach ihrem Verständnis nicht sein darf: daß ein triviales Rührstück, produziert aus kommerziellen Gründen, ernsthaftes und andauerndes Interesse an der eigenen Geschichte befördert. Bestätigt fühlen sich die Zweifler durch die nur mäßige Resonanz, die Holocaust bei Wiederholungen erfährt.671 Schon als die Serie im November 1982 erneut ausgestrahlt wird, ist die öffentliche Aufgeregt- heit längst nicht so allumfassend wie 1979. Die Gründe dafür sind viel- fältig. Einerseits haben viele Zuschauer Holocaust bei der Erstausstrah- lung gesehen, andererseits sind diejenigen 50%, die 1979 nicht zu- schauen wollten, auch drei Jahre später schwer zu erreichen. Bleiben die jüngeren Zuschauer, eine zahlenmäßig nicht sehr große Gruppe. Zwei Dinge kommen außerdem erschwerend hinzu: die bei den Wiederholun- gen fehlende intensive Berichterstattung und die in den achtziger Jahren in Deutschland entstehende Sendervielfalt im Zuge der Etablierung des privat-kommerziellen Fernsehens. Schließlich könnte noch das Gefühl, über den Holocaust genug zu wissen, Zuschauer abgehalten haben, sich erneut oder überhaupt mit der Serie auseinanderzusetzen. Nach Holo- caust und aufgrund der zahlreichen Gedenktage, Rückschauen und geschichtspolitischen Kontroversen scheint die Vergangenheit präsenter als je zuvor. Siegfried Zielinski findet es dennoch erstaunlich, daß elf Jahre nach dem spektakulären Medienereignis Holocaust unbeachtet von der Publizistik gesendet wird. „Tele 5 reiht die Mini-Serie in den alltäg- lichen Programmfluß ein wie jedes beliebige andere Element auch, wie die vielen anderen Ladenhüter des internationalen Fernsehmarktes, die man billig erworben hat.“672 Dazwischen wird Werbung geschaltet, überwiegend Eigenwerbung für den Kanal, was nach Zielinski aber weniger an ethisch bedingtem Feingefühl als an Werbekundenmangel 670 Ost, Burkhard: Fiction, Facts, und Phantasie. Holocaust und was hängen blieb. Eine Stichprobe. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 10. Jg., H. 5/1980, S. 27-30. 671 Erstausstrahlung im Januar 1979 in den Dritten Programmen der ARD, Wiederho- lungen im November 1982 im Ersten Programm, im November 1983 im WDR, im Januar 1991 im Privatsender Tele 5. 672 Zielinski, Siegfried: Aus dem Ereignis wird ein Ladenhüter. Seifenwerbung zur Seifenoper: Die Ausstrahlung von Holocaust in Tele 5. In: Süddeutsche Zeitung vom 17.1.1991, S. 50. II.6. Holocaust (USA 1978) 318 liegt. Dem Kritiker ist diese Art Fernsehen zuwider, er ist der Auffas- sung, daß „... die Opfer von Auschwitz abermals in eine Verwertungs- maschinerie kommen“. Besonders scheinheilig sei die Argumentation des Senders, dann mit zusätzlichen Sendungen zum Thema zu kommen, wenn das Publikum danach verlangt. Das aber hat es nicht. Trotz des abnehmenden Interesses an der US-amerikanischen Serie seit ihrer Erstausstrahlung, ist Holocaust eine der international erfolgreich- sten TV-Produktionen. Sie wurde in mehr als dreißig Länder verkauft und weltweit von 500 Millionen Zuschauern gesehen. Das Wort „Holo- caust“ wurde 1979 vom deutschen bibliographischen Institut zum „Wort des Jahres“ gewählt. Es hat sich inzwischen trotz aller Kritik internatio- nal als Bezeichnung für den Massenmord an den Juden durchgesetzt. In der Geschichte der Bundesrepublik stellt die publizistische Kontroverse über Holocaust eine geschichtspoltische Zäsur dar. II.6.5. Filmkritiken Mit der Ausstrahlung der Serie in den USA und einigen westeuropäi- schen Ländern beginnt in der Bundesrepublik die publizistische Kontro- verse über Holocaust. Zunächst geht es dabei vor allem um die Ent- stehungsbedingungen der US-amerikanischen Serie, ihre Machart und die Frage, ob diese „Seifenoper“, das „Docu-Drama“, das Fakten und Fiktion vermische, im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden soll. Als das Land, in dem der Holocaust geplant und organisiert wurde, könne man sich der Diskussion nicht verweigern, lautet ein Argument. Die ersten bundesdeutschen Kritiken referieren Positionen in der US- amerikanischen Kontroverse. Insbesondere die Stellungnahme des Holo- caust-Überlebenden Elie Wiesel in der New York Times vom 16.4.1978 wird zitiert, weil er die Empfindungen eines Zeugen der Massen- vernichtung in Worte faßt und die grundsätzliche Frage nach der Dar- stellbarkeit abschlägig beantwortet: „Als Fernsehproduktion ist der Film eine Beleidigung für die, die umkamen und für die, die überlebten. Trotz seines Titels ist dieses ‚docu-drama‘ nicht das, was einige in Erinnerung haben. ... Er [der Film] versucht, das darzustellen, was sich selbst der Vorstellungskraft entzieht. Er verwandelt ein ontologisches Ereignis in eine Seifenoper.“673 673 Wiesel, Elie: Die Trivialisierung des Holocaust: Halb Faktum und halb Fiktion. Nach- gedruckt in: Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen. Hrsg. von Peter Märthesheimer und Ivo Frenzel. Frankfurt/M., 1979, S. 26. II.6. Holocaust (USA 1978) 319 Die USA-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sabina Lietzmann, berichtet ausführlich über die Diskussion, die Holocaust ausgelöst hat. Sie zitiert einen ehemaligen KZ-Häftling, der die Kommerzialisierung des Grauens durch NBC ironisch kommentiert: „ ... ich bin überrascht, daß man noch keine Eisbude oder, noch passender, eine Seife nach dem Holocaust benannt hat.“674: Lietzmann schließt sich dem negativen Urteil Wiesels an, „ ... daß der Holocaust in Erinnerung bleiben muß, doch nicht als Fernseh-Show.“675 Der „Warencharakter“ der Serie und die kommerziellen Beweggründe, Holocaust herzustellen, werden in der deutschen Debatte ausführlich behandelt und überaus negativ bewertet. Die Rede ist von einem „Zuschauermaximierungs- produkt“676. Ein Überlegenheitsgefühl können manche Kritiker kaum verhehlen, auch wenn sie den privat-kommerziellen Rundfunk in den USA „als ein strukturelles Problem der amerikanischen Medienland- schaft“677 beschreiben. Gestützt auf Theodor W. Adorno ruft Siegfried Zielinski zu einem „medienkritischen Experiment“ auf: Holocaust solle auch in Deutschland durch Werbeeinblendungen unterbrochen werden, um zu „... brüskieren, zur Überlegung (zu) reizen, zur notwendigen Emanzipation vom Stereotyp an(zu)regen.“678 Vier Monate später revidiert Sabina Lietzmann ihr Urteil und begründet den Sinneswandel folgendermaßen: „Die Reaktionen der amerikanischen Öffentlichkeit auf Holocaust, viele erst mit Spätzündung ausgelöst, haben darüber belehrt, daß die intellektuell-kritische Reaktion eins ist, die spontane Wirkung auf das naive Gefühl ein anderes. Für Millionen Zuschauer in den Weiten des Landes war Holocaust der erste und einzige Zugang zu jenem sonst unvorstellbaren Phänomen der Judenver- nichtung. Wir halten noch immer einen guten und kühlen Dokumentar- film für das überlegenere Informationsinstrument, aber wir wissen, daß die Fernsehserie ‚in terms of people’, wie die Produzenten sie entwickelt haben, die Massen zum Hinschauen und Mitfühlen zwingt, eine Macht, welche das noch so gut gemachte Dokument nicht besitzt. Wenn wir vor der Alternative stehen, ob wir lieber gar keine Information ‚ankommen‘ lassen wollen als eine nach Unterhaltungsrezepten hergestellte, ein- gängig zur ‚Story‘ zugeschnittene, so wählen wir heute, wenngleich vor 674 Lietzmann, Sabina: Die Judenvernichtung als Seifenoper. Holocaust - eine Serie im amerikanischen Fernsehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.4.1978, S.25. 675 Ebenda. 676 P.C.H. (= Peter Christian Hall): Auschwitz zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 2. 677 Zielinski, Siegfried: Die Werbespots nicht einfach rausschmeißen. Aufforderung zu einem medienkritischen Experiment. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 29. 678 Ebenda. II.6. Holocaust (USA 1978) 320 den Realitäten resignierend, die Story. In diesem Sinne hat Holocaust eine Funktion, mag unser Geschmack und unser kritischer Purismus sich auch sträuben.“679 Karl-Heinz Bohrer berichtet im September 1978 von den Reaktionen der Briten auf Holocaust. Dort habe es große Unterschiede zwischen Kriti- ker- und Publikumsmeinungen gegeben, einerseits Ablehnung, anderer- seits große Zustimmung. Bohrer fragt, ob die Diskrepanz nicht zu einer Revision jener Ansicht führen müsse, wonach „... nur die künstlerisch überzeugendsten Mittel auch die politisch beste Wirkung erzielten.“ Er ist gespannt auf die deutsche Debatte. Intellektuelle und ästhetische Bedenken erscheinen ihm als Ausflüchte, und er gibt zu bedenken, daß diese gerade den Verdrängern entgegen kämen. In der Süddeutschen Zeitung beginnt eine vierteilige Diskussion über Holocaust, in der die Kritiker die US-amerikanischen, britischen und israelischen Reaktionen sowie die Differenzen innerhalb der ARD bewerten. Thomas Thieringer vertritt in seinem Beitrag, der zwei Wochen später auch in der Frankfurter Rundschau abgedruckt wird, eine Sowohl-als-auch-Haltung, die bis zum Januar 1979 die meisten Kritiker beibehalten: Holocaust ist demnach einerseits „ein Machwerk, das Informationseifer, Engagement und Ernsthaftigkeit vorgibt, um gute Geschäfte zu machen.“680 Andererseits stimmt Thieringer einer Auffüh- rung zu, weil er auf eine nützliche Auseinandersetzung darüber hofft, wie Geschichte massenmedial aufbereitet werden kann. „Ein Film wie Resnais‘ Nacht und Nebel sagt mehr über die deutsche Wirklichkeit zwischen 1935 und 1945 als dieser grausam sentimentale Fernseh- schinken. Ihn den Zuschauern aber vorenthalten hieße, sich billig vor einer notwendigen Diskussion zu drücken und die Zuschauer für unmün- dig zu erklären.“681 Im Januar 1979, als die Sendetermine der Serie feststehen, und der WDR verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betreibt, steigt die Zahl der Vorabbespre- chungen. Es wird auf die begleitenden Sendungen (18.1. Endlösung von Paul Karalus, 28.1. Aus einem deutschen Leben von Theodor Kotulla), hingewiesen und der Inhalt von Holocaust referiert, um die Zuschauer einzustimmen auf das, was sie erwartet. „Wenn Holocaust kommt“ lautet 679 S.L. (= Sabina Lietzmann): Kritische Fragen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.9.1978, S. 21. 680 Thieringer, Thomas: Die Ereignisse müssen sich ins Muster fügen. Kritische Anmer- kungen zur Aufführung der amerikanischen Serie in Großbritannien. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.9.1978, S. 29. 681 Thieringer, Thomas: Am Ende ohne Schock. In England wurde die US-Serie Holocaust gezeigt, die auch hier ausgestrahlt wird. In: Frankfurter Rundschau vom 5.10.1978, S. 24. II.6. Holocaust (USA 1978) 321 die Überschrift des Beitrags von Günther Rühle in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er prophezeit, daß dieses „Ereignis“ „die Meinun- gen spalten wird“. In allen überregionalen Meinungsführermedien findet eine ausführliche Vorbereitung auf Holocaust statt. In der Zeit erscheint gar ein mehrseitiges Dossier, in dem unter anderem Augenzeugen be- richten, „wie es wirklich war.“ Dieter E. Zimmer versammelt wie Günther Rühle alle Argumente gegen Holocaust, um dann in einem nächsten Schritt zu fragen, ob nicht die Primitivität der Serie gerade ihr Vorteil sein könnte? Er faßt das Dilemma zusammen: „Die Geschichte, die dieser Film erzählen will, ist grauenhaft. Der Film ist ästhetisch grauenhaft. Und grauenhaft ist die Vorstellung, daß viele Mitmenschen nur durch eine ästhetische Grauenhaftigkeit von der Grauenhaftigkeit der Geschichte zu überzeugen sein dürften.“682 Die Zuschauer geraten nun auch in anderen Vorabbesprechungen in den Mittelpunkt. Die Überzeugung „Der Zweck heiligt die Mittel“ bestimmt die Argumentation. Wollten Fernsehmacher einem Millionenpublikum deutsche Geschichte nahebringen, dürften sie in der Wahl ihrer ästhe- tischen Mittel nicht zimperlich sein. Karl-Otto Saur traut höchstens Eberhard Fechner zu, Fakten erzählerisch so aufzubereiten, daß nicht nur eine Minderheit zuschaut.683 Am Montag, dem 22. Januar 1979 wird in allen Dritten Programmen der erste Teil der Serie ausgestrahlt, am 23., 25. und 26. folgen Teil 2 bis 4. In der Presse erscheinen täglich Berichte. Aufgeschreckt über die enorme Resonanz beim Publikum liefern die Zeitungen und Zeitschriften Hintergrundberichte. So dokumentiert die Frankfurter Rundschau auf zwei Seiten die Referate, die Norbert Schneider, Direktor des Gemein- schaftswerk der Evangelischen Publizistik, und die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen während des WDR-Presseseminars gehalten haben. Mitscherlich fragt nach der kollektiven Mentalität der Deutschen. Sie interessiert, warum Hitler „... einen so unglaublichen Einfluß auf uns Deutsche ...“ auszuüben vermochte und - wie die Hitler- Filme von Syberberg und Fest gezeigt hätten - bis heute vermag. Im Verlauf einer Charakterisierung der aktuellen politisch-geistigen Situa- tion in der Bundesrepublik setzt sich die Psychoanalytikerin mit der 682 Zimmer, Dieter E.: Melodrama vom Massenmord. Holocaust. Ein Fernsehspiel mit dem Entsetzen. In: Die Zeit, Nr. 3 vom 19.1.1979, S. 23f. 683 Vgl. Saur, Karl-Otto: Holocaust - nur ein Cornflakes-Melodram? In: Süddeutsche Zei- tung vom 22.1.1979, S. 21. Eberhard Fechner beobachtet zur Zeit der publizistischen Kontroverse über Holocaust den Düsseldorfer Majdanek-Prozeß. Seine aus diesem Material entstehende Dokumentation Der Prozeß löst fünf Jahre nach Holocaust wiederum eine heftige Debatte über die filmische Auseinandersetzung mit der NS- Vergangenheit aus. Siehe Kapitel II.7. II.6. Holocaust (USA 1978) 322 These auseinander, die linksextremistischen Terroristen seien „Kinder Hitlers“.684 Schneider gibt einen Überblick über deutsche Versuche, sich in Literatur, Theater, Film, Hörfunk, Fernsehen und Presse mit der NS- Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er befürchtet, daß die doch nicht wenigen ambitionierten Kunstwerke „offenbar immer wieder nur die- selbe Rezipientengruppe im Auge hatten und haben.“685 Es nütze nichts, die Aufgeklärten noch einmal aufklären zu wollen, und daher plädiert auch er dafür, unterhaltende Elemente einzusetzen. Nach der „Holocaust-Woche“ erscheinen ab Montag, dem 29.1.1979, vermehrt bilanzierende Kommentare. Roderich Reifenrath spricht von einer lehrreichen Woche und sieht in Holocaust so etwas wie Geschichtsnachhilfe: „Mit Hilfe eines pädagogischen Außenseiters wurden Anstöße gegeben, die im Idealfall bewirken könnten, daß Nach- kriegsversäumnisse einer ganzen Generation aufgearbeitet werden.“686 Versäumnisse sieht er speziell auch bei der Vermittlung von Fachwissen an eine breite Öffentlichkeit: „Die Nazizeit ist längst zum Tummelplatz der Historiker geworden.“687 Im Spiegel, der mit einer Titelgeschichte zu Holocaust aufwartet, spricht Heinz Höhne gar von einem „schwarzen Freitag für die Historiker“: „Eine amerikanische Fernsehserie von trivialer Machart, produziert aus mehr kommerziellen als aus mora- lischen Motiven, mehr zur Unterhaltung als zur Aufklärung, hat ge- schafft, was mit Hunderten von Büchern, Theaterstücken, Filmen und TV-Sendungen, Tausenden Dokumenten und allen KZ-Prozessen in drei Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte nicht gelungen ist: die Deutschen über die in ihrem Namen begangenen Verbrechen an den Juden so ins Bild zu setzen, daß Millionen erschüttert wurden.“688 Joachim Fest spricht im Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von der selten so entmutigend sichtbar gewordenen Entfremdung zwischen Fachleuten und Öffentlichkeit. Das Publikum aber nimmt Fest in Schutz. Nicht es sei desinteressiert an jüngster deutscher Geschichte, sondern die Fach- 684 Mitscherlich-Nielsen, Margarete: In Wahrheit stand man den Hitler-Filmen recht hilflos gegenüber. Ein Referat im Rahmen des WDR-Presseseminars zu Holocaust. In: Frankfurter Rundschau vom 25.1.1979, S. 14. Auch in der Süddeutschen Zeitung am 23.1.1979, S. 15. 685 Schneider, Norbert: Für wenige wird viel, für viele wenig angeboten. Faschismus in den Medien. Eine Referat im Rahmen des WDR-Presseseminars zu Holocaust. In: Frank- furter Rundschau vom 25.1.1979, S. 8. 686 Reifenrath, Roderich: Deutschstunden. In: Frankfurter Rundschau vom 29.1.1979, S. 3. 687 Ebenda. 688 Höhne, Heinz: Schwarzer Freitag für die Historiker. Holocaust: Fiktion oder Wirklich- keit. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 29.1.1979, S. 22f. II.6. Holocaust (USA 1978) 323 leute und Publizisten interessierten sich nicht für die Bedürfnisse der Leser und Zuschauer.689 Die Kluft zwischen Fachkreisen und der Bevölkerungsmehrheit beklagt auch Günther Rohrbach, der seit dem 1. Februar 1979 nicht länger Leiter der Abteilung Fernsehspiel und Unterhaltung des WDR ist: „Eine Gesellschaft von gebildeten Bürgern kommuniziert miteinander in der Hoffnung, daß die Nachrichten irgendwann einmal, und auf welchen Wegen auch immer, unten ankommen.“690 Für den Rest gäbe es Ohn- sorg-Theater, Peter Alexander und den Blauen Bock. Durch Holocaust aber sei etwas Neues und für viele Überraschendes eingetreten: „... in einer Von-oben-nach-unten-Kultur hat sich der Film von unten nach oben durchgesetzt und damit scheinbar gesicherte Maßstäbe entkräf- tet.“691 Rohrbach sieht in Holocaust ein herausragendes Produkt der US- amerikanischen Massenkultur: „Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Fähigkeit so groß, eine Geschichte auf ihren Punkt zu bringen, dem Massenmedium zu geben, was es braucht, einen hochempfindlichen, der Darstellung sich scheinbar entziehenden Stoff so zu erzählen, daß jeder- mann davon angerührt wird.“692 In Deutschland hingegen herrsche der Hochmut der Bildungseliten, Repräsentanten einer Kulturnation empör- ten sich gegen Hollywood-Barbaren. Der Erfolg der Serie beim Publi- kum aber müßte diese Kritiker nachdenklich stimmen. Ganz ähnlich argumentiert Marion Gräfin Dönhoff in der Zeit: „Unter der Liga der Filmkritiker, angeführt im vorigen Jahr von der New York Times, gab und gibt es auch bei uns manch kritischen Einwand: melo- dramatische Schnulze, triviales Unterhaltungsklischee, Love-Story und Horror-Story in unzulässiger Mischung - als ob diesen ästhetischen Kategorien gegenüber der moralischen Dimension und Botschaft dieses Films auch nur geringste Bedeutung zukäme. Bei manchen Kritikern ist die Überschätzung und Überbewertung des Ästhetischen auf Kosten des Moralischen zuweilen wirklich erschreckend.“693 Dönhoffs Plädoyer für Moral und gegen ihrer Meinung nach überzogene ästhetische Bedenken ruft wiederum Reaktionen der Holocaust-Gegner 689 Vgl. Fest, Joachim: Nachwort zu Holocaust. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.1.1979, S. 1. 690 Rohrbach, Günter: Ende der Von-oben-nach-unten-Kultur? Erkenntnisse und Folgerun- gen für die Arbeit von Fernsehanstalten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.2.1979, S. 19. 691 Ebenda. 692 Rohrbach, Günther, zit. nach WDR: Holocaust war nur in USA möglich. In: Frank- furter Rundschau vom 30.1.1979, S. 9. 693 Dönhoff, Marion: Eine deutsche Geschichtsstunde. Holocaust-Erschrecken nach dreißig Jahren. In: Die Zeit vom 2.2.1979; S. 1. II.6. Holocaust (USA 1978) 324 hervor, die sich vor Intellektuellen-Schelte durch Intellektuelle verwahrt sehen möchten. Wolfram Schütte antwortet Rohrbach und Dönhoff in der Frankfurter Rundschau: „Daß Fragen der Ästhetik auch (oder sogar: gerade) Fragen der Moral sind; und daß die Kritiker von Holocaust ihre ästhetischen Bedenken aus moralischen Gründen geäußert hatten; daß weiter ein ästhetischer Prozeß auch einer der Reflexion und der Erkennt- nis sein kann, wo nicht gar eo ipso ist: - die Möglichkeit solcher Über- legungen und derartigen selbstkritischen Umgangs, sowohl mit der Wirklichkeit als mit ihrer ästhetischen Aneignung, Formung und Wie- dergabe wird jedoch durch die existentielle Betroffenheit, welche Holo- caust nicht nur bei Frau Dönhoff ausgelöst hat, gar nicht mehr zuge- lassen - ja geradezu höhnisch, in einem Frankfurter Allgemeine Zeitung- Artikel Günter Rohrbachs, mit dem triumphierenden Hinweis auf Einschaltquoten und den Hitzegrad öffentlicher Erregung, als elitärer Intellektuellen-Hochmut abgetan. ... Unter dem Vorwand des Populis- mus: die neueste Form des Bildersturms und der Kunstverachtung?“694 Günther Rohrbach hat mit seiner Beschreibung der Kluft zwischen Intellektuellen und der Mehrheit der Bevölkerung erstere – Linksintel- lektuelle - zutiefst getroffen. Peter Iden wirft an selber Stelle wie Wolfram Schütte Rohrbach vor, von einem „erstarrten Gesellschaftsbild“ auszugehen. Damit negiere er jede Chance auf Entwicklung einer Gesellschaft und erhebe Stagnation zum Programm. Iden glaubt an Auf- klärung und Erziehung. Einschaltquoten dürften jedoch keinesfalls als Argument herhalten. Seine Begründung: „Künstlerische Äußerungen, ja, eine ganze Kultur, sollen in die Pflicht der großen Zahl genommen werden: Das war es, was die Nationalsozialisten wollten.“695 An diesem Punkt stößt die publizistische Kontroverse über Holocaust wiederum an eine Grenze. Gerieten anfangs diejenigen unter Faschismusverdacht, die sich negativ zum Ankauf der Serie geäußert hatten, unterstellt man nun denjenigen eine Nähe zum Nationalsozialismus, die mit den Bedürfnis- sen der Bevölkerungsmehrheit argumentieren. Auf den Vorwurf, Holocaust verfälsche historische Tatsachen antworten die Befürworter der Serie, daß diese eine „höhere Wahrheit“ vermittele. Peter Märthesheimer hat sich schon lange vor der Ausstrahlung gegen „die Knöpfezähler“ unter den Holocaust-Gegnern gewandt: „Aber es kann doch nicht im Ernst gegen die historische Wahrhaftigkeit ein 694 Schütte, Wolfram: Wie einige Intellektuelle den Kopf verlieren und den anderer for- dern. Holocaust und erste Folgen einer „Revision unseres Kunstbegriffes“. In: Frank- furter Rundschau vom 5.2.1979, S. 19. 695 Iden, Peter: Wie einige Intellektuelle den Kopf verlieren und den anderer fordern. Holocaust und erste Folgen einer „Revision unseres Kunstbegriffes“. In: Frankfurter Rundschau vom 5.2.1979, S. 19. II.6. Holocaust (USA 1978) 325 ästhetischer Rigorismus ins Feld geführt werden, der die Uniformknöpfe der Barbaren nachzählt und seine Ergebnisse zum Maßstab dafür macht, ob die Barbarei ‚glaubwürdig‘ dargestellt sei.“696 Den Befürwortern der Serie erscheinen Bemerkungen zu Uniformen und Kragenspiegeln als schlecht getarnte Ausweichmanöver. Weil Details nicht stimmten, werde der Film als ganzes in Frage gestellt. So lasse sich eine Auseinander- setzung auch umgehen. Daß „die historische Wahrheit“ jedoch für Pädagogen von besonderem Interesse ist, sehen die Fürsprecher der Serie ein. Lehrer müssen schließlich überzeugende Antworten auf die Fragen ihrer Schüler finden, müssen erklären können, wie die NSDAP an die Macht gelangt ist, wer zu den Opfern der Nazis gehört hat, welche Arten von Lager es wo gegeben hat, wieviele Menschen dort auf welche Weise ermordet worden sind – und auch, wer wann welche Uniformen und Rangabzeichen – oder den gelben Stern - getragen hat. Im Spiegel vom 5.2.1979 finden Pädagogen Hinweise, wie sie sich im Unterricht gemeinsam mit den Schülern der historischen Wahrheit nähern können. Die Fehler bzw. Ungenauigkeiten in der Serie sollen sie offen benennen – was voraussetzt, daß die Pädagogen selbst Bescheid wissen. Für die Schulen sowie die Institutionen der politischen Bildung stellt die US-amerikanische Serie eine Herausforderung dar, der sie sich stellen wollen. Tilman Ernst, Referent in der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, führt in seinem Beitrag für medium zunächst die Argu- mente der Holocaust-Gegner an: daß das Medium Film nicht geeignet sei, die Geschehnisse von damals adäquat darzustellen, daß die Aus- strahlung der Fernsehserie einer Neuauflage jener Zwangsvorführungen gleichkäme, die die Amerikaner nach Kriegsende mit Dokumentarfilmen über die Greuel in den Konzentrationslager veranstalteten – nur diesmal in einer unterhaltenden Verpackung – , daß die Popularisierung und Trivialisierung des Themas von aktuellen Themen ablenke, gar die Aus- söhnung zwischen Juden und Deutschen verhindere. Ernst läßt diese Einwände nicht gelten. Er sieht in Holocaust eine „wertvolle und pädagogisch nutzbare Gelegenheit“, eine Fernsehserie, die mehr bewir- ken wird „als hundert Stunden Geschichtsunterricht“. Ausgangspunkt der Bewertung müßten – „ohne Rücksicht darauf, ob man selber die Machart der Sendereihe und die historischen Ungenauigkeiten akzeptie- ren kann oder nicht“ - die Reaktionen der durchschnittlichen Zuschauer sein.697 Rohrbach und Ernst, Fest und Dönhoff, Vertreter des öffentlich- rechtlichen Rundfunks und der Bundeszentrale für politische Bildung, 696 Märthesheimer, Peter: Das muß er schon selbst vertreten. Leserbrief. In: Die Zeit, Nr. 27 vom 30.6.1978, S. 27. 697 Ernst, Tilman: Positiver Beitrag zu einem notwendigen Lernprozeß. Holocaust aus der Sicht der politischen Bildung. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 26. II.6. Holocaust (USA 1978) 326 einer konservativen Tages- und einer liberalen Wochenzeitung sind sich also einig. Andere hingegen sprechen von „Gleichschaltung“ der öffent- lichen und veröffentlichten Meinung.698 Wie bei jedem Film über den Massenmord an den Juden wird auch bei Holocaust die Frage aufgeworfen, warum nicht deutsche Filmemacher sich diesem Thema gestellt haben? In der Diskussionsrunde nach Holo- caust resümiert der nicht gerade als ein Freund des Trivialen bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki: „Es war Aufgabe der Deutschen, diesen Film zu machen.“699 In der Fachzeitschrift medium und der Wochenzeitung Das Parlament äußert sich der Serien-Autor und Produ- zent Heiner Michel sehr subjektiv zu der Frage, ob ein Deutscher einen solchen Film hätte machen können. Michel hat in einer Drehbuchversion von Holocaust als Anmerkung gelesen, daß in Sinferopol auf der Krim massenhaft Juden erschossen worden sind. „Sinferopol war die Anschrift meines Vaters im Kriege. Bei einer Polizeieinheit.“ Und er hat über die Kollaboration polnischer, baltischer und ukrainischer Polizisten und Soldaten bei der Vernichtung der Juden gelesen. „Wie sage ich das als Deutscher, ohne zum Reinwäscher zu werden?“ Drittens belastet ihn als Christen „das totale Versagen meiner Kirche“.700 Diese drei Gründe nennt Heiner Michel. Sie deuten das Involviertsein auch derjenigen Deutschen an, die nicht unmittelbar zur Tätergeneration gehören. Michel nennt einen weiteren Grund, der verhindert haben wird, daß in Deutsch- land eine solche Serie entsteht: die Angst vor der Trivialität. Er spricht sich ganz klar für künstlerische Verfahren aus, die man als trivial be- zeichnen kann, denn letztlich gehe es darum, die Zuschauer zu erreichen. Am Ende seine Beitrags stellt er eine Frage, die seine Unsicherheit spie- gelt und leicht mißzuverstehen ist: „Wir Deutschen haben einen unsäg- lich trivialen Holocaust veranstaltet. Dürfen wir nun ästhetische Skrupel haben, ihn so vorzuführen, wie er war?“701 Verbunden mit der Frage, ob deutsche Autoren und Produzenten zu wenig Abstand haben, um eine Serie wie Holocaust zu entwickeln, ist die nach den bis dahin produzierten Filmen und Fernsehsendungen. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß in Deutschland nicht wenige anspruchsvolle Filme, Dokumentationen und Fernsehspiele entstanden 698 Vgl. Schniederken, Sigrid: „For better or for worse“? Holocaust – ein didaktisches Lehrstück und die Folgen. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 5 vom 31.1.1979, S. 1. 699 Reich-Ranicki, Marcel, zit. nach Vetter, Hans: Recht brüsk brach die Diskussion ab. In: Frankfurter Rundschau vom 29.1.1979, S. 29. 700 Michel, Heiner: Auschwitz trivial? Das muß sein. Überlegungen eines deutschen Serienautors. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 3. 701 Ebenda. II.6. Holocaust (USA 1978) 327 sind. Karl Heinz Bohrer und Joachim Fest nennen u.a. Egon Monks Ein Tag und betonen, daß auch dieses Fernsehspiel sehr viele Zuschauer erreicht hat.702 Dennoch zeigt sich in einigen Beiträgen die Furcht deut- scher Fernsehmacher, daß Holocaust Auswirkungen haben könnte auf die Arbeit in den von Konkurrenzdruck relativ freien öffentlich-recht- lichen Anstalten. Schließlich, so Wolfram Schütte, habe Günther Rohr- bach doch in seinem FAZ-Beitrag gefordert, daß „... Fernsehen nach Holocaust auch bei uns nicht mehr sein (dürfe), was es bisher war.“703 Diese Furcht vor Veränderungen teilen die Autoren der Zeitschrift medium mit denen der Frankfurter Rundschau: „Wenn das so schutz- bedürftige, liberal strukturierte und programmierte öffentlich-rechtliche Rundfunksystem der Bundesrepublik in solchen Schlüsselfragen der nationalen Identität keine besseren, d.h. differenzierteren Erzeugnisse anzubieten hat als das vollkommen kommerzialisierte Networksystem der USA in Überlebenspanik und unter Erfolgszwang (er)zeugt, dann steht in dieser Auseinandersetzung um ein Medienereignis viel mehr zur Debatte als der Inhalt, die Botschaft der gegenwärtig umstrittenen Doku- Serie. Nämlich: die Strukturen, Methoden und Zielsetzungen der öffent- lichen Kommunikation in diesem Land schlechthin.“704 Auf der Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing einen Monat nach der Ausstrahlung von Holocaust gewinnen die kritischen Stimmen aus dem linken Lager an Lautstärke. Peter Märtesheimer setzt sich mit den Identifikationsangeboten der Serie auseinander und stellt fest, daß „... die Familie Weiß von Aussehen und Gehabe her weniger eine typisch jüdische als eine normale ‚gute deutsche Familie‘“ gewesen sei, womit sich die Zuschauer leichter identifizieren konnten.705 Das Mitleid der Zuschauer, führt der medium-Redakteur Peter Christian Hall aus, sei vor allem Selbstmitleid: „So wie Auschwitz über die Juden kam, kamen Auschwitz und der ‚Zusammenbruch‘ ja auch über uns ...“, fühlten seiner Meinung nach die Zuschauer.706 Oder, um einen Schritt weiter zu 702 Vgl. Fest, Joachim: Nachwort zu Holocaust. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.1.1979, S. 1; Bohrer, Karl Heinz: Holocaust – eine Prüfung. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung vom 13.9.1978, S. 23. 703 Schütte, Wolfram: Wie einige Intellektuelle den Kopf verlieren und den anderer fordern. Holocaust und erste Folgen einer „Revision unseres Kunstbegriffes“. In: Frankfurter Rundschau vom 5.2.1979, S. 19. 704 Nussbaum, Henrich von: The most beautiful show. Das Medienereignis Holocaust als Indikator. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 14. 705 Märthesheimer, Peter, zit. nach Bolesch, Cornelia: War das Mitleid nur Selbstmitleid? Eine Tagung mit Irritationen: Die Evangelische Akademie Tutzing über Holocaust. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.2.1979, S. 26. 706 Hall, Peter Christian, zit. nach Bolesch, Cornelia: War das Mitleid nur Selbstmitleid? A.a.O. II.6. Holocaust (USA 1978) 328 gehen als Hall: „So wie der Holocaust über die Juden kam, kommt Holo- caust nun über uns ... .“ Diese „zynische“ und „elitäre“ Sicht auf die Publikumsreaktionen paßt einem Teil der Anwesenden in Tutzing nicht. Ästhetische Kategorien anzuführen, finden sie angesichts des Themas unmoralisch. Hall kritisiert nicht nur die Reaktionen der durchschnittlichen Fernseh- zuschauer, sondern auch die der Journalistenkollegen, die eingelullt von der Öffentlichkeitsarbeit des WDR auf den „Holocaust-Kitsch mit einer Fülle von journalistischem Kitsch“ reagiert hätten. Als besonders entlar- vend empfindet er dabei das „egozentrische Bekennerpathos“ eines Aug- stein oder Nannen.707 Diese Stellungnahmen zweier prominenter Journalisten und Herausgeber unterscheiden sich jedoch in einem wesentlichen Punkt: der Begründung und Bewertung des eigenen Verhaltens. Augsteins Kommentar trägt die Überschrift „Ich habe es nicht gewußt“, Nannens „Ja, ich war zu feige“. Aus Augsteins anfänglichem Nicht-wissen-Können wird schnell ein Nicht-wissen-Wollen. Er gibt zu, daß der Krieg ihn stumpf gemacht und sein eigenes Schicksal ihn mehr interessiert habe. Zwar registriert er als junger Mann die Vertreibung der Juden aus seiner Heimatstadt Hanno- ver, ist 1941 in Kulm (= Chelmno), beobachtet 1943 und 1944 Deporta- tionen in der Ukraine und in Rumänien, glaubt aber, daß die Juden in Arbeitslager gebracht werden. Daß die Überlebenschancen Älterer nicht besonders hoch sind, weiß er. „Aber einem Juden, der noch arbeiten konnte oder der pfiffig war, würde man dem nichts zu essen geben? Un- denkbar (übrigens, meine eigene Chance als VB-Funker den Krieg zu überstehen, schätzte ich nicht viel höher ein).“708 1944 kommt Augstein als Offiziersanwärter nach Theresienstadt und kann „... nun mit eigenen Augen feststellen, daß es noch Juden gab.“ Nach Kriegsende machen ihm „... die ersten Bilder von Skelett-Halden Grausen, aber kein schlechtes Gewissen.“ Augsteins Kommentar zu Holocaust endet mit dem Satz: „Als Reporter wurde ich von den Briten eingeteilt für den ersten KZ-Prozeß.“709 Die hielten ihn also für „unbelastet“ und so sieht sich auch Augstein. Er beharrt darauf, von der systematischen Vernich- tung der Juden nichts gewußt zu haben. Nannen nimmt eine andere, selbstkritische, Perspektive ein. Für ihn ist nicht entscheidend, ob die Deutschen die Einzelheiten des Massenmords 707 Hall, Peter Christian, zit. nach Bolesch, Cornelia: War das Mitleid nur Selbstmitleid? A.a.O. 708 Augstein, Rudolf: „Ich habe es nicht gewußt“. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 29.1.1979, S. 20. 709 Ebenda. II.6. Holocaust (USA 1978) 329 kennen konnten, sondern daß sie der schrittweisen Ausgrenzung ihrer Nachbarn nichts entgegengesetzt haben. Die Deutschen wußten genug, waren aber zu feige oder zu bequem zu protestieren. Nannen meint, daß dieses Verhalten thematisiert werden müsse und zu fragen sei, ob nicht auch heute wieder Minderheiten verächtlich gemacht würden. Er be- dauert, „... daß es eines amerikanischen Films bedurfte, um uns klarzu- machen: Holocaust ist überall.“ Denjenigen Lesern, die ihm von den „Verbrechen der Alliierten“ schreiben wollen, rät er, das Porto zu sparen. „Das Verbrechen der anderen entschuldigt das eigene nie.“710 Ende Februar erscheinen in der Tages- und Wochenpresse nur noch ver- einzelt Beiträge zu Holocaust. Die publizistische Kontroverse verlagert sich in die Fachpresse. medium, Media Perspektiven, Rundfunk und Fernsehen publizieren Ergebnisse der Medienwirkungsforschung, es erscheinen gleich in Buchform Zusammenstellungen der wichtigsten in der Presse erschienenen Debattenbeiträge. II.6.6. Exkurs: Die Holocaust-Resonanz in der DDR Vor und während, erst recht aber nach der Ausstrahlung von Holocaust im bundesdeutschen Fernsehen haben Kritiker gefragt, welche Folgen dieses Medienereignisses für den Selbstverständigungsprozeß der Deut- schen über ihre nationale Identität haben wird. Gemeint waren die Deut- schen in der Bundesrepublik, die Deutschen in der DDR hingegen blieben außen vor. Nur einige Beiträge zum Thema Holocaust-Rezeption in der DDR sind in der westdeutschen Presse erschienen. In den staatlich kontrollierten Massenmedien der DDR aber hat man zunächst versucht, das Thema totzuschweigen, obwohl den Zensoren bekannt gewesen ist, daß die Serie auch in der DDR gesehen wird. Einige mutige DDR- Bürger haben sogar ihr Recht auf Information beim WDR und anderen bundesdeutschen Institutionen eingeklagt. Der Spiegel schreibt am 30.1.1979: „Der schärfste Protest gegen diese Verlegenheitslösung [Holocaust in den Dritten Programmen auszustrahlen] ging erst jetzt ein: Interessenten aus der DDR, in der die Dritten Programme nur in Grenz- nähe zu empfangen sind, beschwerten sich bei der ARD über die kurz- sichtige Entscheidung, sie total von Holocaust auszuschließen.“711 710 Nannen, Henri: „Ja, ich war zu feige.“ In: stern vom 1.2.1979, S. 5-6. Nachgedruckt in: Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen. Hrsg. von Peter Märthesheimer und Ivo Frenzel. Frankfurt/M., 1979, S. 277-280. 711 Holocaust: Die Vergangenheit kommt zurück. Spiegel-Titelgeschichte. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 29.1.1979, S. 23. II.6. Holocaust (USA 1978) 330 Einen Tag später berichtet auch die Frankfurter Rundschau über die Enttäuschung der DDR-Bürger, ausgeschlossen worden zu sein. Außer, daß die Dritten Programme schwer empfangbar seien, so die Zuschriften aus der DDR, hätte auch berücksichtigt werden müssen, daß 21 Uhr für Ostdeutsche schon später Abend sei, schließlich werde in der DDR „meist sehr früh aufgestanden.“ Ihr Interesse begründen die wenigen Zuschauer712, die eine Verbindung zum Telefondienst des SFB bekom- men, damit, daß sie doch auch Deutsche seien. Ein Anrufer berichtet, daß sein Hinweis, Bürger der DDR zu sein, im Ausland überhaupt nichts nütze: „Wenn es um die Verbrechen geht, die der Faschismus im deut- schen Namen verübt hat, machen unsere sozialistischen Nachbarn keinen Unterschied zwischen Deutschen Ost und Deutschen West, auch nicht die sowjetischen Freunde!“713 Viele Anrufer erklären, daß sie sich zwar gut über den antifaschistischen Widerstand informiert fühlten, jedoch wenig über die Vernichtung der europäischen Juden wüßten. Das entspricht der offiziellen Linie. In der Grußadresse Erich Honeckers vom 9. November 1978 an den Verband der Jüdischen Gemeinde spricht er von den „Maßnahmen“, mit denen „alle Antifaschisten getroffen werden“ sollten. Marlies Menge, die Ostberliner Bürger nach Holocaust gefragt hat, stellt fest, daß viele nichts von der Aufgeregtheit im Westen wissen, denn Westpresse oder DDR-Programmzeitschriften mit westdeutschem Fern- sehprogramm gibt es für die meisten nicht. Diejenigen, die eine oder mehrere Folgen dennoch gesehen haben, kritisieren häufig die Machart, räumen aber ein, daß so eventuell mehr Menschen für das Thema zu interessieren seien. Also eine ganz ähnliche Argumentation wie im Westen. Insgesamt fühlen sich die DDR-Bürger über die Nazi-Zeit besser informiert als ihre Landsleute in der Bundesrepublik. Eine junge Frau empfindet die Forderung, den Film auch in der DDR zu zeigen, als „Infamie“. Es schwingt die Überzeugung mit, sich auf der moralisch besseren Seite zu befinden, was die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit betrifft. „Die Nazis sitzen in Westdeutschland, nicht in der DDR“, lautet ein häufiges Statement. Eine Ostberliner Jüdin ist der Ansicht, die DDR könne ihre antifaschistische Haltung am besten dadurch beweisen, daß sie den Film auch zeige. Aufschlußreicher als die Serie ist für viele Befragte die Diskussion, die im Westen ausgebrochen ist. Menge zitiert 712 Marlies Menge nennt die Zahl zwanzig. Vgl. dies: „Keine hohen Nazis in der DDR“. Holocaust und die Reaktionen im Osten. In: Die Zeit, Nr. 6 vom 2.2.1979, Zeit-Dossier, S. 12. 713 Zit. nach Baum, Karl-Heinz: Böse Worte für das Westfernsehen. DDR und Holocaust. In: Frankfurter Rundschau vom 30.1.1979, S. 3. II.6. Holocaust (USA 1978) 331 einen Ingenieur, der hofft, daß Holocaust beiträgt, für die Verjährung von NS-Verbrechen keine politischen Mehrheiten zu erhalten.714 Die offizielle DDR-Sicht auf Holocaust vermittelt der Beitrag von Heinz Grote in der Fachzeitschrift Film und Fernsehen. Er trägt in Anspielung auf Helmut Käutners Nachkriegsfilm und um auf Kontinuitäten hinzu- weisen die Überschrift In diesen Tagen. Grote, viele Jahre Chefredakteur der DDR-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera und von 1974 bis 1977 Korrespondent des Deutschen Fernsehfunks in der Bundesrepublik, stützt sich auf Beiträge westdeutscher Zeitungen. Seinen Artikel leitet er ein mit einem Zitat aus der Frankfurter Rundschau vom 29.1.1979. Da hat Roderich Reifenrath festgestellt: „Die Deutschen haben eine lehr- reiche Woche hinter sich.“ Diese Verallgemeinerung weist Grote zurück: „Sie [die lehrreiche Woche] galt übrigens nicht ‚den Deutschen‘, sondern allenfalls den Bundesdeutschen.“715 Dann folgen die üblichen Abgrenzungen: die Meinungsmacher der BRD schreiben nun von „Schock“, dabei sind es doch gerade sie, die Unkenntnis und Unwissen- heit verschuldet, bewirkt und am Ende gewollt haben! Grote nennt DEFA-Filme zum Thema „Antifaschismus“, beruft sich auf Eberhard Fechner und Günter Rohrbach, die als Westdeutsche gegen die Programmpolitik der Sender protestiert haben, kritisiert dann die kom- merziellen Beweggründe der US-Fernsehanstalt NBC, Holocaust zu produzieren, und beruft sich auch dabei auf Kritiker dort, so auf Elie Wiesel in der New York Times, ohne aber diesen als Autor zu nennen. Danach wendet sich der Autor wieder der „BRD“ zu, der IG-Farben und ihren Nachfolgeunternehmen, den alten Nazis, die ihre Pension genie- ßen, dem sich über Jahre hinziehenden Majdanek-Prozeß, den „Kommu- nistenverfolgungen ..., die heute wie damals am Anfang vom Ende stan- den“, schließlich den Berufsverboten. Grote endet wie er begonnen hat: „Nicht ‚die Deutschen‘ haben Nachhilfeunterricht nötig. Der historische Hilfsschüler heißt Bundesrepublik Deutschland. Sie ist sitzengeblieben. Mitten in ihrer unbewältigten Vergangenheit.“716 Vier Jahre nach der Erstausstrahlung der US-amerikanischen Serie im bundesdeutschen Fernsehen erscheint in der DDR-Fachpresse noch ein- mal ein längerer Beitrag zu Holocaust. Siegfried Friese stützt sich in seiner Kritik fast ausschließlich auf „westliche Quellen“, vor allem auf die Zeitschrift medium (Heft 1/1979 und Heft 1/1981), in der die meisten ablehnenden Kritiken westdeutscher Filmwissenschaftler erschienen 714 Vgl. Menge, Marlies: „Keine hohen Nazis in der DDR“. A.a.O., S. 12. 715 Grote, Heinz: Holocaust. In: Film- und Fernsehen. Hrsg. vom Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR. 20. Jg., H. 3/1979, S. 2. 716 Ebenda. II.6. Holocaust (USA 1978) 332 sind. Friese verurteilt das „Produkt der amerikanischen Medienindu- strie“717, weil es „... die Funktion des Faschismus - letzte Maßnahme des Kapitals gegen wirtschaftliche und soziale Demokratisierungstendenzen gewesen und in vielen Ländern heute wieder zu sein -...“718 verschweige, weil es „... Denkweisen der Konfliktaustragung...“719 propagiere, „... welche zu Beginn der 80er Jahre charakteristisch für jene politischen Positionen des Imperialismus wurden, die weltweit die Wende von der Entspannungspolitik zur Konfrontationspolitik einleiteten...“720 und schließlich weil die „... Position der militanten rechten israelischen Führer im Vernichtungskampf gegen das palästinensische Volk“ 721 gestützt werde. Nach dieser Aufzählung räumt der Autor ein: „Nun sind diese Intentionen in keiner einzigen Szenen explizit herausgestellt.“722 Die Wachsamkeit eines DDR-Filmkritikers läßt ihn jedoch fragen: „Heißt das aber, daß sie deshalb nicht vorhanden, nicht angelegt sind, um sich in der konkreten Rezeption zu realisieren?“723 Friese geht nur kurz auf Gestaltungsmittel der Serie ein und stellt fest: „...wirkungsvolle politische Filme zu machen, ist erwiesenermaßen das Leichteste nicht.“724 Aber ob man deshalb „von Holocaust lernen“ könne, scheint ihm fraglich, da Holocaust nur ein „entpolitisiertes Faschismusbild“ biete, in dem „politische Parteien, Klassenstrukturen und soziale Schichtungen, geistige Auseinandersetzungen keine Erwäh- nung finden.“725 Den Autor stört besonders, daß im Mittelpunkt der jüdi- sche Widerstand steht. „Andere Kämpfer gegen den Faschismus im damaligen Deutschland gibt es für Holocaust nicht.“726 Die aktuelle (1983) Auseinandersetzung mit dem Westen im Blick, stellt Friese wiederholt einen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus her. „Obwohl die Bundesrepublik Deutschland nicht schematisch mit dem politischen Deutschland des Jahres 1933 ver- glichen werden kann, erinnert der von der Industrie angekündigte ‚Inve- stitionsstreik‘ [vor dem Regierungswechsel 1982] fatal daran, daß diese 717 Friese, Siegfried: Holocaust nah und fern. In: Beiträge zur Film- und Fernsehwissen- schaft. Schriftenreihe der Hochschule für Film und Fernsehen in der DDR. 5/83, 24. Jg., S. 103. 718 Ebenda. 719 Ebenda. 720 Ebenda. 721 A.a.O., S. 103f. 722 A.a.O., S. 104. 723 Ebenda. 724 A.a.O., S. 105. 725 Vgl. A.a.O., S. 109. 726 A.a.O., S. 110. II.6. Holocaust (USA 1978) 333 Machtgruppen im Prinzip wie vor 50 Jahren handeln.“727 Nach dem Hinweis, daß „... die arabischen Staaten, fast alle afrikanischen aber auch die sozialistischen Länder“728 nicht zu den Käufern von Holocaust gehörten, fragt er: „Konnte den Produzenten von Holocaust daran gele- gen sein, den Ländern, in denen heute Veränderungen der wirtschaft- lichen Besitzverhältnisse gefordert werden, eine Serie anzubieten, die zeigt, wie das Kapital in einem solchen Fall [dem Aufkommen der Nazis] reagiert hat und wieder reagieren würde?“729 Damit legt Friese nahe, daß Länder, die den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus begriffen haben, an einem Produkt wie Holocaust nicht interessiert sein könnten. Der in diesen Ländern offen propagierte Anti- israelismus und der schlichte Mangel an Devisen dürften allerdings ebenso so gewichtige Gründe für die Ablehnung der US-amerikanischen Serie über den Massenmord an den Juden sein wie ideologische Vorbe- halte. II.6.7. Resümee Hier werden zuerst die einzelnen Phasen in der publizistischen Kontro- verse über Holocaust nachgezeichnet, danach überprüft, inwieweit es sich um eine „Rechts-Links-Debatte“ handelt, schließlich die Argumente pro und contra Holocaust noch einmal zusammengefaßt. Die publizisti- sche Kontroverse über Holocaust hat verschiedene Phasen durchlaufen. Zu Beginn erscheinen einige wenige Berichte über die Produktion der Serie. Ausführlich kommentiert wird dann die Rezeption in den USA Ende April 1978. Die deutschen Korrespondenten zitieren überwiegend ablehnende Äußerungen, so die des Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel. Im Sommer beginnt die Diskussion darüber, ob auch im deut- schen Fernsehen Holocaust gezeigt werden sollte. Daran beteiligen sich Politiker und Programmverantwortliche in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. SPD-Politiker sind überwiegend für den Ankauf der Serie, CDU/CSU-Politiker überwiegend dagegen. Begründet wird die ablehnende Haltung mit hohen Kosten, Vertreter aller politischen Rich- tungen führen ästhetische Bedenken an. „Trivialisierung“ und „Soap Opera“ sind häufig benutze Schlagworte. Die Einsicht, daß gerade die Deutschen sich der Debatte nicht entziehen können, führt schließlich zum Ankauf der Serie. Jedoch können sich die Intendanten der ARD nur darauf einigen, Holocaust in den Dritten Programmen auszustrahlen. 727 A.a.O., S. 106. 728 Ebenda. 729 A.a.O., S. 111. II.6. Holocaust (USA 1978) 334 Im September 1978 beginnt in den Feuilletons die Berichterstattung über Reaktionen im Ausland verbunden mit der Spekulation, wie wohl in Deutschland die Serie aufgenommen werden wird. Die Fernsehkritiker äußern alle möglichen Bedenken, sind abwartend-kritisch. Diejenigen aber, die Holocaust schon sehen und die Debatten in den USA oder England verfolgen konnten, äußern sich differenzierter. Seit feststeht, daß Holocaust im Januar 1979 gesendet wird, betreiben der WDR aber auch die Institutionen der politischen Bildung verstärkt Öffentlichkeits- arbeit bzw. Aufklärung. Die Spannung wächst. Kein Journalist kann das Medienereignis ignorieren, selbst wenn er in seinen Beiträgen, die Insze- nierung solcher TV-Events kritisiert, berichtet er doch. Und auch die Zuschauer wissen durch die Vorabpublizistik, daß von ihnen Reaktionen erwartet werden. Dennoch übersteigt die enorme Publikumsresonanz alle Erwartungen. Sie führt dazu, daß die TV-Kritiker, die abwartend-kritisch das Ganze verfolgt haben, ihre Position überdenken. Das Argument der Quote verbunden mit der Kritik an der ansonsten vorherrschenden „Von- oben-nach-unten-Kultur“ (Günther Rohrbach) überzeugt. Einige Publi- zisten wie Marion Gräfin Dönhoff, Eugen Kogon, Henri Nannen machen ihren Meinungswechsel öffentlich, bezichtigen sich selbst und andere einer intellektuellen Haltung, die angesichts der großen Betroffenheit, die Holocaust ausgelöst habe, fehl am Platze sei. Gerade diese große Betroffenheit aber bestärkt die wenigen verbliebenen Gegner der Serie in ihrer ablehnenden Haltung. Die Kontroverse breitet sich aus. Nun wird nicht mehr nur über die Serie gestritten, sondern über alles, was mit dem Thema Nationalsozialismus und Massenmord an den Juden zusammen- hängt. Dem folgt die Debatte über die Debatte. Auf der Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing gewinnen die Holocaust-Gegner wieder Aufmerksamkeit. Insbesondere die Vorwürfe, daß Holocaust keine langfristigen Wirkungen zeitige und bei den deutschen Zuschauern lediglich eine klassische Täter-Opfer-Verkehrung stattgefunden habe, stimmen nachdenklich. Wirkungsstudien, die Holocaust einen positiven, aufklärerischen Effekt bescheinigen, werden daher kritisch betrachtet, ihre Methodik in Zweifel gezogen. Das von Wiederholung zu Wieder- holung geringer werdende Interesse sowohl der Meinungsführerpresse als auch des Fernsehpublikums nehmen die Kritiker als Bestätigung ihrer pessimistischen Einschätzung. Durchgesetzt aber hat sich die Auffassung, daß die Ausstrahlung von Holocaust eine Zäsur im bundesrepublikanischen Geschichtsdiskurs dar- stellt. Heinrich Böll stellt 1979 fest: „Es sieht so aus, als würde es in Zukunft ein ‚Vor-Holocaust‘ und ein ‚Nach-Holocaust‘ geben, wenn sich jemand - gleich auf welcher Ebene - mit ‚Endlösung‘ und Antisemi- tismus beschäftigen wird; vergleichbar dem vor und nach der Währungs- union, wenn es um ökonomische Daten der Bundesrepublik geht.“ Zum II.6. Holocaust (USA 1978) 335 Vorwurf der Trivialisierung des Massenmords meint der Schriftsteller: „Umstritten wird diese Darstellung am Einzelschicksal immer sein, doch es könnte der Fall eintreten, daß Emotion und Aufklärung nicht im Dauerstreit bleiben. Arroganz gegenüber Emotion ist nicht angebracht, schließlich ist nichts, aber auch gar nichts Verwerfliches daran, wenn da Zuschauer bewegt werden, wo doch Aufklärung (Dokumentation) nicht unbedingt totale Unbewegtheit bedeutet.“730 Paul Karalus zitiert Böll, um nach der Wiederholung der Serie im November 1982 gegen die „Arroganz der Puristen“ unter den Filme- machern zu argumentieren. Ihn stört die zynische Haltung derer, die Holocaust als US-amerikanische Soap-Opera abtun und darauf verwei- sen, in welcher Form sie schon lange vor Holocaust „Trauerarbeit gelei- stet“ hätten. Karalus, Autor der 1979 vor Holocaust ausgestrahlten Dokumentation über Antisemitismus und Verfolgung in Deutschland, ärgert sich über die „Besserwisser und Knöpfezähler, die ästhetischen Sachwalter der neudeutschen Innerlichkeitsszene“. Der Streit um Holo- caust hat für Karalus eindeutig politische Hintergründe. Er vermutet, daß bestimmten Filmemachern, „den Lobrednern und Auftraggebern des angeblich so einzigartigen Fakten-Features oft Ideologie vor Wahrheit, Dogmenverkündung vor subjektiver Erkenntnis“ geht. „Dem Macher, der diese Art von gesellschaftspolitischer Manipulation nicht nachvoll- ziehen wollte, attestierte man flugs das fehlende Bewußtsein. Er wurde als ‚Rechter‘, bestenfalls als ‚sozialdemokratischer Ignorant‘ denun- ziert.“ 731 Die einfache Zuordnung der Holocaust-Befürworter und -Gegner in das Rechts-Links-Schema gelingt, wie Karalus zeigt, freilich nicht ohne weiteres. Zum Teil liegt das an den Sozialdemokraten, die zwar gemein- hin als „links“ gelten, Ende der siebziger Jahre vielen „Linken“ aber zu „rechts“, zu staatstragend, zu wenig kritisch erscheinen. Als sich führende SPD-Politiker nach einer USA-Reise für den Ankauf der Serie aussprechen, Franz-Josef Strauß daraufhin gegen den Einfluß der Roten in den Funkhäusern mobil macht, scheint die Sache klar: Links ist dafür, Holocaust in Deutschland zu zeigen, Rechts dagegen. Dann aber sorgen die Frage nach der künstlerischen Qualität der Serie und eine USA- kulturkritische Haltung sowohl bei Linken als auch bei Rechten für Verwirrung. Peter Schulze-Rohr plädiert dafür, „keine Frage von rechts oder links“ daraus zu machen, ob Holocaust im deutschen Fernsehen gezeigt wird, sondern allein künstlerische und wissenschaftliche Maß- 730 Böll, Heinrich, zit. nach Karalus, Paul: Gegen die Arroganz der Puristen. In: Süddeut- sche Zeitung vom 19.11.1982, S. 11. 731 Karalus, Paul: Gegen die Arroganz der Puristen. In: Süddeutsche Zeitung vom 19.11.1982, S. 11. II.6. Holocaust (USA 1978) 336 stäbe gelten zu lassen. Henrich von Nussbaum behagt diese Links- Rechts-Einteilung ebenfalls nicht: „Das Ärgste aber: Die Stellungnahme pro oder contra ist zu einem Weltanschauungsbekenntnis für ‚rechts‘ oder ‚links‘ verkommen und zu einer Prestigefrage für den einkaufenden WDR und seine vorschnellen Abteilungsfürsten.“ Der notwendige Streit über Holocaust sei abgewürgt worden „... durch die lautstarke Nötigung, sich für oder gegen Vergangenheitsbewältigung zu bekennen, für oder gegen Schuld und Sühne des deutschen Volkes an den Juden, nicht nur im eigenen Hoheitsbereich, für oder gegen Nazismus und Faschismus, Rassendiskriminierung, öffentlich-rechtliches Fernsehen, Meinungs- und Pressefreiheit, ‚rechts‘ oder ‚links‘ und was dergleichen Totschlage- floskeln mehr sind.“732 Zusätzliche Verwirrung stiftet Ephraim Kishon mit seiner Aussage: „Wer aber an diesem Film Kritik übt, ist für mich schon wieder verdäch- tig, weil er damit den Antisemitismus wieder wachruft.“733 Linke, die bis dahin den Kommerzcharakter der Serie angeprangert haben, formulieren vorsichtiger, um nicht in die Nähe rechter Antisemiten zu geraten, die in Holocaust eine Verschwörung des internationalen Finanzjudentums wittern. Konsensbereite Kritiker der gesellschaftlichen Mitte warten zu- nächst ab, wie die Serie vom Publikum angenommen wird. Die Publi- kumsreaktionen überraschen alle. Die zahlenmäßig kleine extreme Rechte hat noch versucht - und sei es durch Attentate und anonyme Schreiben - öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Sie verstummt. Viele linke/liberale Kritiker, die bis zur Ausstrahlung der Serie mit Zurückhaltung reagiert haben, ändern nun ihre Meinung, da sie der Trivialitäts- und Manipulationsvorwurf nicht länger überzeugt. Das Publikum hat entschieden, dem sei von Seiten der Kritik Rechnung zu tragen. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens - Christdemo- kraten, Liberale, Sozialdemokraten u.a. - Holocaust als Chance zu be- greifen. Dieser Konsens in der veröffentlichten Meinung und die Intel- lektuellenschelte durch Intellektuelle verstört Linke jenseits der Mehr- heitssozialdemokratie. Sie versuchen zu belegen, daß Holocaust bis auf große Aufgeregtheit nichts bewirkt hat. Kritik an der Serie eint verschiedene politische und gesellschaftliche Gruppen: alte und neue Nazis, linke und rechte Antisemiten, christliche Antijudaisten, antiisraelische Staaten, linke und rechte USA-Gegner, 732 Nussbaum, Henrich von: The most beautiful show. Das Medienereignis Holocaust als Indikator. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 9. Jg., H. 1/1979, S. 8-14. 733 Hörzu vom 3.1.1979, zit. nach Schniederken, Sigrid: „For better or for worse“? Holo- caust – ein didaktisches Lehrstück und die Folgen. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 5 vom 31.1.1979, S. 2. II.6. Holocaust (USA 1978) 337 Kapitalismuskritiker, Angehörige nichtjüdischer Opfergruppen, die zu stark das jüdische Leiden in den Vordergrund gerückt sehen, Juden, denen die Darstellung des jüdischen Widerstands zu gering erscheint, Anhänger des alttestamentarischen Bilderverbots, Gegner der TV- Massenkultur mit ihren trivialen Genres u.v.m. Ebenso heterogen ist die Gruppe der Holocaust-Befürworter. Die Argumente pro und contra sollen zum Abschluß noch einmal versammelt werden: Argumente gegen Holocaust: • die Shoah ist grundsätzlich nicht darstellbar, weil Grauen und Aus- maß der Vernichtung unfaßbar sind, • Adornos Verdikt, daß Lyrik nach Auschwitz barbarisch sei, gilt erst recht für den Spielfilm, • Aufklärung verträgt keine Stereotype, keine suggestiven Bilder und Aussagen. Ein auf Einschaltqouten-Maximierung spekulierender Unterhaltungsfilm ist zur Auseinandersetzung mit diesem ernsten Thema nicht geeignet. • Holocaust verletzt das in der jüdischen Religion gründende Bilder- verbot und ist eine Beleidigung für Umgekommene und Überlebende zugleich, • Die Würde der Opfer wird durch eine „Hollywoodisierung“ der Shoah verletzt. • die Figuren sind nicht überzeugend, • die Opfer und die Täter hätten einen besseren Film verdient, • Dokumentaraufnahmen sind geeigneter, • es gibt historische Fehler, • allen Schrecken des Naziregimes ist die Familie Weiss ausgesetzt: Pogromnacht 1938, Hadamar, Buchenwald, Theresienstadt, War- schauer Ghetto, Babij Jar, Auschwitz - das wirkt in der Häufung un- glaubwürdig, • es gibt genügend seriöse Versuche - auch von deutschen Filme- machern- sich dem Thema zu stellen, • der Film dient zur Rechtfertigung der Existenz des Staates Israel und seiner Politik, • wer in diesem Film weint, weint aus den falschen Gründen. Zu befürchten ist ein Katharsis-Effekt, • die angestrebte Identifikation mit den Opfern verhindert bei den deut- schen Zuschauern ein Nachdenken über eigene Schuld und Verant- wortung. Jüngere Zuschauer berufen sich auf die „Gnade der späten Geburt“, • Holocaust produziert lediglich kurzzeitige Erschütterung, bietet jedoch kaum Anlaß, sich umfassend über Ereignisse und Hinter- II.6. Holocaust (USA 1978) 338 gründe zu informieren. Nach kurzer Aufgeregtheit ist alles wieder vergessen. Argumente pro Holocaust: • wer den Holocaust für nicht darstellbar hält, mystifiziert ihn und trägt bei, ihn aus der kollektiven Erinnerung zu verdrängen, • ohne Auschwitz keinen Auschwitz-Film, nicht die Serienverfasser haben die Greuel erfunden, • Dokumentaraufnahmen stammen häufig von Nazi-Filmern. Sie sind nicht authentischer und wahrer - entscheidend ist die Aufbereitung des Materials: Montage, Kommentar, Musik,... • die wenigen Dokumente kennt inzwischen jeder. Sie immer wieder zu zeigen, führt zur Abstumpfung, • die Wahrheit des Ganzen bleibt von geringfügigen Unstimmigkeiten unberührt, • der Serie zeigt, Juden können kämpfen (Rudi Weiss) und „lassen sich nicht wie die Schafe zur Schlachtbank führen“, • die Serie erreicht die Menschen, filmästhetische bzw. dramaturgische Feinsinnigkeiten sind unangebracht, • gegen Emotionalisierung und Dramatisierung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, • ein nicht in allen Einzelheiten gelungener Versuch, sich dem Thema zu stellen, ist besser als es unbearbeitet zu lassen, • nachwachsenden Generationen muß das Thema mit Hilfe des Me- diums nahegebracht werden, das sie auch nutzen, • die Serie regt an, aktuelle politische Entwicklungen kritisch zu be- trachten, • jeder einzelne Zuschauer muß sich ständig fragen, wie er in der jeweiligen Situation reagiert hätte. Wäre auch er zum Täter gewor- den? Wann hätte er Widerstand geleistet?, • ästhetische Bedenken tragen diejenigen vor, die in Wirklichkeit mit der Nazi-Vergangenheit nichts mehr zu tun haben wollen. Insbeson- dere Kritik an der „Hollywoodisierung“ des Themas deutet auf laten- ten Antiamerikanismus, • die Serie stellt eine Zäsur dar. Ihre Ausstrahlung führte zu einer um- fassenden Beschäftigung mit der deutschen Geschichte des 20. Jahr- hunderts. Es ist von einer insgesamt positiven Wirkung auszugehen. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 339 II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) II.7.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Eberhard Fechners Film Der Prozeß dokumentiert den längsten Prozeß in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte zu nationalsozialistische Gewaltverbrechen (NSG-Verfahren), den Düsseldorfer Majdanek- Prozeß. Nach fünfzehnjähriger Ermittlung wird am 30.11.1975 das Ver- fahren gegen sechzehn Angeklagte eröffnet, die Urteile werden sechs Jahre später gesprochen, am 30.6.1981. Nicht nur wegen seiner Dauer stellt der Majdanek-Prozeß etwas Besonderes dar, sondern auch, weil es sich um einen der letzten Sammelprozesse handelt, weil mit Hermann Hackmann einer der KZ-Kommandanten angeklagt ist, und schließlich, weil mehrere Frauen als NS-Verbrecherinnen vor Gericht stehen. Fech- ner will mit seinem Film zeigen, daß ein Prozeß wie der in Düsseldorf auch drei Jahrzehnte nach Kriegsende seine Berechtigung hat: daß Massenmord nicht verjähren darf. Der Regisseur und sein Team begleiten den Prozeß im Auftrag des NDR. Hans Brecht hat die Idee gehabt, den vermutlich letzten großen NS- Prozeß zu dokumentieren. Anfangs ist noch nicht abzusehen, wie lange das Verfahren dauern wird. Für Fechner und sein Team folgen insgesamt acht Jahre Arbeit. Sie filmen parallel zum Prozeß. Fechner selbst ist in den fünf Jahren an etwa zwanzig Verhandlungstagen anwesend. Im Gerichtssaal darf allerdings nicht gefilmt werden. Daher führt Fechner außerhalb der Gerichtsverhandlung Interviews mit den Staatsanwälten und Richtern, den Angeklagten, den Zeugen und Prozeßbeobachtern. Insgesamt spricht der Regisseur mit siebzig Personen. Die Gespräche gehen über den Gegenstand der Anklage des Gerichts hinaus. Neben der Rekonstruktion von Fakten und der Beschreibung von Lebensumständen dokumentiert Fechner Bewußtseins- und Gefühlslagen. So entstehen achttausend Seiten Gesprächsmitschriften und zweihundertdreißig Stun- den Filmmaterial, das für eine fernsehtaugliche Fassung auf dreimal neunzig Minuten komprimiert werden muß. (Das restliche Material lagert im Koblenzer Bundesarchiv.) Das Drehverhältnis beträgt 1:50. Allein die Aktenmenge, die im Laufe der Ermittlungen angefallen ist, füllt über siebzig Ordner. Fechner liest sich ein. Aufschlußreich ist die Anklageschrift, die die zur Verhandlung stehenden Taten, Beweismittel, frühere Geständnisse und Urteile, Zeugenaussagen und darüber hinaus Adressen und Lebensläufe der Angeklagten, der Verteidiger, der drei- hundert Zeugen und Sachverständigen, Staatsanwälte, Schöffen und Richter enthält. Fechner entwickelt und verfeinert sein Konzept im Ver- lauf des Prozesses. Die Schnittlisten und Mischpläne des Regisseurs II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 340 füllen ebenfalls bald über achtzig Aktenordner. Die Endmontage des Films dauert noch einmal zwei Jahre. Im November 1984, vierzig Jahre nach der Befreiung des Lagers Lublin/Majdanek, acht Jahre nach Eröff- nung des Verfahrens vor dem Düsseldorfer Landgericht wird Eberhard Fechners Film Der Prozeß im deutschen Fernsehen gezeigt. Die drei 89, 92 und 88 Minuten langen Teile sind zwischen dem 21.11. und 25.11.1984 in den Dritten Programmen der ARD zu sehen. II.7.2. Inhalt des Films und Interpretation Der Prozeß rekonstruiert sowohl die Ereignisse im Konzentrationslager Lublin/Majdanek zwischen 1940 und 1944 als auch das Strafverfahren dreißig Jahre später gegen Angehörige der KZ-Wachmannschaften. Der Film verbindet Vergangenheit und Gegenwart, Verbindungsglied sind die befragten Personen. Der Titel des Film, Der Prozeß, bezeichnet zum einen das Strafverfahren als solches, zum anderen aber auch den Prozeß der Erinnerung und Auseinandersetzung mit den Ereignissen vor mehr als dreißig Jahren. Der Dramatiker George Tabori meint: „Dieser Film macht uns den Prozeß. Und unsere Antwort wird unsere Rolle darin festlegen, als Richter oder Opfer, als Monster oder Beobachter.“734 Die Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Lublin/ Majdanek ist allgemein weniger bekannt als die anderer Vernichtungs- lager. Dabei wurden zwischen 1941 und 1944 dort mehr als 250.000 Menschen ermordet: sie verhungerten, wurden erschossen, erschlagen, vergast. Als die Rote Armee das Lager Ende Juli 1944 befreit, treffen sie nur noch ca. tausend Häftlinge und sechs Angehörige der Wachmann- schaften an. Letzteren wird im Oktober 1944 in Polen der Prozeß gemacht. In der Bundesrepublik verläuft die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen schleppend. Erst mit der Einrichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg bei Stuttgart, 1958, werden Vorermittlungsverfahren geführt, Täter ermittelt und die Zustän- digkeit des Gerichts festgelegt. Es dauert noch einmal fünfzehn Jahre, bis am 26. November 1975 das Verfahren gegen den ehemaligen Schutzhaftlagerführer Hermann Hackmann und vierzehn weitere Ange- klagte, neun Männer und sechs Frauen, eröffnet wird. Insgesamt sind zu dem Zeitpunkt von den Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren gegen 86.500 Personen eingeleitet worden, verurteilt wurden 6.446. 734 Tabori, George: Ein Schulterzucken, ein Lächeln und eine Hand, die zittert. In: Süd- deutsche Zeitung vom 29.11.1984, S. 45. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 341 Gegen 2.500 laufen die Verfahren noch, 77.600 sind eingestellt wor- den.735 Während des Prozesses ergeben sich für das Gericht einige Probleme, die eine objektive und schnelle Verhandlung gefährden. Zum einen fällt es den Zeugen schwer, sich an fünfunddreißig Jahre zurückliegende Details zu erinnern. So müssen zusätzliche Recherchen angestellt, Dokumente herangezogen und weitere Zeugen gehört werden. Zum anderen versuchen die Verteidiger alles, um das Verfahren hinauszu- ziehen. Sie stellen Befangenheitsanträge oder beantragen längere Verhandlungspausen, weil sich die Angeklagten krank fühlen. So wer- den die Urteile erst sechs Jahre nach Prozeßbeginn, nach vierhundert- vierundsiebzig Verhandlungstagen gefällt. Der Film ist von Fechner in drei Teile geteilt worden, die den formalen Verlauf des Prozesses nachzeichnen: I. Die Anklage, II. Die Beweisauf- nahme und III. Die Urteile. Diese drei Teile wiederum bestehen aus mehreren Kapiteln: I. Die Anklage Die Ermittlungen (1960-1974) / Die Beschuldigten / Die Prozeßeröff- nung / Die Ortsbesichtigung (März 1976) / Die Entstehung des Konzen- trationslagers Lublin/Majdanek (1941) / Die SS-Wachmannschaften / Die Ankunft der Häftlinge/Die Selektion / Die Einkleidung / Die Ein- weisung ins Lager. II. Die Beweisführung Die Angeklagten / Die Beschreibung des Lagers Lublin/Majdanek / Die Funktionshäftlinge / Alltag im Lager / Die Arbeitskommandos / Die Aufseher / Das Krankenlager / Die Leichenkommandos / Eine Kinder- aktion / Abendappell / Dienstschluß. III. Die Urteile Prozeßbehinderungen / Praktiken eines Anwalts / Anklagepunkte / Die Befreiung des Lagers (23. Juli 1944) / Freisprüche und Haftbefehle Vor- strafen / Urteilsverkündung (30. Juni 1981). Neben der Einteilung in Kapitel zeigt der Film eine thematische Ord- nung: Der Sinn des Prozesses / Öffentliche Meinung / Warum so spät? / Unterlagen und Beweismittel / Auswahl der Zeugen / Staatsanwälte und Strafanträge / Aufgaben der Anwälte / Die Richter / Die Angeklagten / 735 Vgl. die Aussage des Oberstaatsanwaltes Adalbert Rückerl im Film. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 342 Befehlsnotstand? / Anwälte im Prozeß / NS-Zeugen / Zeugenaussagen / Die Identifizierung der Angeklagten / Prozeßverlauf / Reisen des Ge- richts / Prozeßdauer / Kosten des Verfahrens / Urteile und Freisprüche / nach dem Prozeß / Der Galka-Prozeß / Persönliches und Philosophien.736 Alle drei Teile beginnen mit derselben einleitenden Sequenz. Zu sehen sind Luftaufnahmen des Lagers Lublin/Majdanek aus den vierziger Jahren, dazu der Kommentar, der Relationen verdeutlicht: „Von Herbst 1941 bis zum 23. Juli 1944 existierte in Lublin/Majdanek ein Konzen- trationslager, in dem mindestens 250.000 Menschen ermordet worden sind.“ Dem folgen Bilder des leeren Düsseldorfer Gerichtssaals: „Vom 26. November 1975 bis zum 30. Juni 1981 wurde in Düsseldorf ein Prozeß gegen 15 ehemalige Mitglieder der mehr als 1500 SS-Bewacher des Lagers geführt. Man klagte sie an, an dem 100.000fachen Mord beteiligt gewesen zu sein. Es war der längste Prozeß in der deutschen Justizgeschichte.“ Der Film erhält seine Spannung durch die Interview- und Montage- technik Fechners. Die einzelnen Interviews sind so montiert, daß der Eindruck entsteht, die Befragten stünden in einem Dialog. Befragt werden sie aber einzeln, in Wohnungen, Büros, Hotelzimmern, nach der Verurteilung auch in ihren Zellen. Fechner ist als Interviewer nicht im Bild, seine Fragen sind nicht zu hören. Die am Prozeß Beteiligten befragt er entsprechend dem Prozeßverlauf und der inhaltlichen Gliederung seines Films. Natürlich unterscheiden sich die Antworten der Täter und Opfer und weiteren am Prozeß beteiligten Personen stark. Individuellen Erfahrungen und Sichtweisen stellt Fechner Aussagen zu allgemein diskutierten Themen wie individuelle/kollektive Schuld, Erin- nern/Vergessen, die Rolle der Justiz damals und heute, Zivilisation und Barbarei gegenüber. Dabei muß der Zuschauer sich erschließen, wer da spricht, denn die Untertitel belassen die Befragten in einer funktionalen Anonymität. Der Zuschauer erfährt nur, daß es sich um Zeugen oder An- geklagte, Verteidiger, Staatsanwälte, Prozeßbeobachter, etc. handelt. Namen werden nicht genannt, ebenso gibt es keine Einteilung der Zeu- gen nach Täter oder Opfer. So ist der Zuschauer gezwungen, genau hin- zuhören und hinzuschauen, einzelne Gesten und Formulierungen zu interpretieren, um die aufeinanderfolgenden Personen einordnen zu können. Fechner hat sich bewußt gegen die Namensnennung entschie- den, weil es „... in fünfzig Jahren, und eigentlich auch schon heute, voll- kommen uninteressant (ist), ob die Frau oder der Mann, die dort spre- chen Silberstein oder Laurich geheißen haben. Es gibt nur zwei Leute, 736 Vgl. Netenjakob, Egon: Eberhard Fechner. Lebensläufe dieses Jahrhunderts im Film. Weinheim, Berlin, 1989, S. 171. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 343 bei denen der Name heute interessant gewesen wäre, Bossak und Wie- senthal. Wobei Bossak auch schon nur Insidern bekannt ist.“737 Weinende Opfer will Fechner nicht zeigen, unter anderem weil er meint, daß das Weinen heute nicht mehr sehr viel über die Wirklichkeit damals aussagt. „Wenn ich sah, daß Leute über Ereignisse, die vierzig Jahre zurückliegen, furchtbar weinten, und wenn es noch so echt war, kriegte ich eine innere Abwehr.“738 Auf starke Emotionalisierung setzt der Regisseur – außer im Kapitel Eine Kinderaktion – nicht. Fechners Ver- zicht auf spektakuläre Aufnahmen von psychischen Zusammenbrüchen versetzt den Zuschauer aber in die Lage, mit der Zeit kleinste Gefühls- regungen wahrzunehmen: das Zittern in der Stimme, der starre Blick, die fahrigen Bewegungen, die Suche nach dem richtigen Ausdruck. Der Regisseur ist überaus zurückhaltend, was den Einsatz technischer Mittel anbelangt. Die Kamera ist auf die Befragten gerichtet, diese halten sich ganz überwiegend in geschlossen Räumen auf. Außenaufnahmen gibt es nur vom Platz vor dem Düsseldorfer Landgericht und vom ehe- maligen Lager Lublin/Majdanek. Neben den Interviews werden Fotos und Dokumenten aus der Zeit zwischen 1941 und 1945 und aktuelle Presse- und Fernsehberichte (Tagesschau/Tagesthemen, ZDF-Bericht Die Vergangenheit kehrt zurück) über den Prozeß eingeblendet. Fotos sind Fechner überaus wichtig. Sie dienen ihm als Beweismittel. Fast fünfhundert sind in Der Prozeß zu sehen. Die meisten stammen aus pol- nischen Archiven oder sind private Erinnerungsfotos. Auch auf histo- rische Filmsequenzen greift Fechner zurück, so auf Jerzy Bossaks Film Majdanek – Friedhof Europas, der kurz nach der Befreiung des Lagers gedreht wurde, und auf einen Ausschnitt aus einer polnischen Wochen- schau, der die Angeklagte Lächert 1944 vor Gericht zeigt. Auf einen Kommentar verzichtet der Regisseur, zu Wort kommen nur die Inter- viewten. Die Erzählfilme Fechners werden gemeinhin als Dokumentarfilme be- zeichnet. Der Filmemacher wehrt sich jedoch gegen diese Zuordnung, denn: „Es gibt kaum eine Form der Kommunikation, die sich besser zur Manipulation eignet als der sogenannte Dokumentarfilm. Weil Darsteller und Dargestelltes authentisch sind, scheinen diese Filme die Wirklichkeit zu repräsentieren; weil in ihnen Dokumente und andere Realien als Be- lege für bestimmte Ansichten vorgezeigt werden, glaubt man, darin nach einem Objektivitätsgehalt suchen zu müssen. Doch sowenig wie ein 737 Fechner, Eberhard, zit. nach Netenjakob, Egon: Eberhard Fechner. Lebensläufe dieses Jahrhunderts im Film. Weinheim, Berlin, 1989, S. 183. 738 Fechner, Eberhard, zit. nach Netenjakob, Egon: Lebensläufe dieses Jahrhunderts im Film. A.a.O., S. 175. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 344 Roman, ein Bild oder eines andere künstlerische Aussage überhaupt etwas objektiv darstellen kann, so aussichtslos ist es natürlich auch, einen objektiven Film drehen zu wollen.“739 Erzählfilm oder Gesprächs- film ist seiner Meinung nach treffender. Und so sieht sich Fechner weni- ger als Dokumentaristen, denn als Geschichte(n)erzähler. Die Unter- scheidung zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm, oder wie es sein NDR-Kollege Klaus Wildenhahn vorschlägt zwischen dokumentarischen und synthetischen Filmen, hält er für unbrauchbar: „Gut, in einem Dokumentarfilm haben die Personen keinen vorgegebenen Text und keine Spielanleitung. Aber das ist auch der einzige Unterschied zum Spielfilm.“740 Fechners Verzicht auf einen Kommentar und der stattdessen bevorzugte „synthetische Dialog“ sollen die Zuschauer mit verschiedenen Ansichten konfrontieren, ihn mit bekannten und neuen Aspekten der Thematik ver- traut machen und schließlich ihre Meinungsbildung befördern. Er ver- sucht, „ ... mit dieser Methode unkommentierter, jedoch sich selbst decouvrierender Aussagen beim Zuschauer ... (einen) Denkprozeß in Gang zu setzen.“741 Interpretationen direkt vorgeben will Fechner nicht. Inwieweit der Filmemacher Einfluß nimmt, ob er zu sehr oder aber zu wenig „manipuliert“ (dieser Begriff wird in den siebziger und achtziger Jahren häufig gebraucht) fragt beispielsweise Ute Blaich: „Sind diese so kunstvoll konstruierten Biographien später nicht Manipulation?“ Sie be- antwortet die Frage selbst mit einem Zitat Fechners, das er von Max Frisch übernommen hat: „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält ... .“742 II.7.3. Mitwirkende Die am Film Mitwirkenden sind zum einen die Filmemacher, zum ande- ren die Befragten. Nach einer kurzen Nennung dieser am Film beteilig- ten Personen, sollen einzelne ausführlicher vorgestellt werden. 739 Fechner, Eberhard: Von der Faszination des menschlichen Gesichts. Wie man die Wirklichkeit auf den Bildschirm bringen kann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.6.1975, S. 19. 740 Fechner, Eberhard, zit. nach Mangel: Hitler raus aus dem Märchenland! Zu den Doku- mentarfilmen Eberhard Fechners. In: die tageszeitung vom 23.2.1985, S. 16. 741 Fechner, Eberhard: Von der Faszination des menschlichen Gesichts. A.a.O. 742 Blaich, Ute: Mensch komm raus: Eberhard Fechner und die Kunst des Erzählens. In: Die Zeit, Nr. 5 vom 27.1.1989, S. 71. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 345 Stab Buch und Regie Eberhard Fechner Fachliche Beratung Adalbert Rückerl Kamera Frank Arnold, Nils-Peter Mahlau, Bernd Schofeld Ton Hans Diestel, Dieter Schulz Regie-Assistenz Janet Geffken Schnitt und künstlerische Mitarbeit Brigitte Kirsche Schnittassistenz Sabrina Ziemer Trickkamera Heidi Müller Bildtechnik Winfried Staschau Produktionsleitung Herbert E. Phillips, Günter Handke Produktion Dieter Meichsner Redaktion Hans Brecht Eberhard Fechner wird am 21. Oktober 1926 in Liegnitz/Schlesien gebo- ren. Nach der Scheidung seiner Eltern lebt er mit seiner Mutter zusam- men in Berlin. Das Geld reicht nicht, dem literatur- und theaterbe- geisterten Sohn den Besuch eines Gymnasiums zu ermöglichen. Nach Abschluß der höheren Handelsschule beginnt er, der doch Schauspieler werden will, eine kaufmännische Ausbildung bei der UFA. Der Acht- zehnjährige wird kurz vor Kriegsende noch Soldat. Verwundet kommt er in amerikanische Gefangenschaft. Erst nach dem Krieg erfährt er von seiner Mutter, daß nicht der Hauptschullehrer Paul Fechner sein Vater ist, sondern ein jüdischer Student namens Schmuler. Diese Verbindung ist der Grund für die Scheidung des Ehepaares Fechner gewesen. Sein leiblicher Vater hat die NS-Zeit nicht überlebt. Wieder zurück in Berlin beginnt er mit der Ausbildung zum Schau- spieler, bekommt kleinere Engagements, arbeitet nebenbei für den Hör- funk und macht Kabarett. Prägend ist für ihn die Zusammenarbeit mit dem italienischen Theaterregisseur Giorgio Strehler am Piccolo Teatro in Mailand. Von 1961 bis 1963 ist er sein Regie-Assistent. Fechner beginnt selbst Regie zu führen. Zurück in Deutschland muß er jedoch feststellen, daß er auf eine Form des Theaters trifft, die er „bei Strehler verachten gelernt“743 hat. Seine Vorstellungen kann er an deutschen Bühnen zu selten umsetzen. Er beginnt als Schauspieler für das Fernsehen zu arbei- ten. In Egon Monks Film Ein Tag spielt er einen KZ-Häftling, der zum 743 Seegers, Armgard: Blick ins Gestern. Ein Fernseh-Regisseur, der mit schwierigen Stoffen ein großes Publikum anzieht. In: Die Zeit, Nr. 48 vom 23.11.1984, S. 89. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 346 Verräter wird. Die Zusammenarbeit mit Monk, der wie er vom Theater kommt, führt dazu, daß Fechner nun für das Fernsehen als Regisseur tätig wird. Im Auftrag des NDR, später auch anderer Anstalten, ent- stehen Spielfilme und Interviewfilme, in denen Menschen und ihre Geschichten im Mittelpunkt stehen. Rückblickend stellt er fest: „Die Arbeit, die ich nun seit 1966 mache, hätte ich schon viel früher beginnen müssen.“744 Der Regisseur schätzt trotz aller Abhängigkeiten die Freiheit, die er als Fernsehregisseur und Autor hat. Seine Arbeitsweise vergleicht er mit der eines Schriftstellers, der ebenfalls Geschichten, Fakten und Dokumente sammelt, bis er schließlich das zusammengetragenen Material neu ordnet, verdichtet, montiert. Als „eine Form von epischer Literatur“745 bezeichnet Fechner daher seine Filme. Mit Hilfe der Kamera wird er zum Chronisten des 20. Jahrhunderts. Dabei geht es ihm jedoch nicht um die Geschichte „großer Männer“, sondern um normale Menschen und ihre Schicksale, darin könne der durchschnittliche Zuschauer sich leich- ter wiederfinden. Ihn interessiert nicht jeder historische Stoff, stattdessen diejenigen aus der unmittelbaren Vergangenheit, „... die weder in der subjektiven Problematik eines einzelnen, noch in der abstrakten Proble- matik der Geschichte steckenbleiben. Im Zentrum jeder meiner Arbeit muß der Mensch stehen, und zwar in seiner genau fixierten geschicht- lichen Dimension. Nur dann läßt sich durch das Private auch das Allge- meine darstellen.“746 Dieses Ziel - mehr mitzuteilen als private Geschichten - erreicht Fechner in allen seinen Gesprächsfilmen, insbe- sondere in Der Prozeß, in dem einzelne Personen und ihre Aussagen für kollektive Bewußtseinslagen stehen. Die Realisierung eines Films wie Der Prozeß ist nur in einem gut einge- spielten Team möglich. Fechner arbeitet bei seinen Filmen überwiegend mit denselben Leuten zusammen. Von Anfang an ist seine Frau Jannet Gefken-Fechner als Regie-Assistentin dabei. Sie bezeichnet er als seine wichtigste Mitarbeiterin. Während des Drehens behält sie den Überblick. Bei der Montage arbeitet Fechner eng mit der Cutterin Brigitte Kirsche zusammen. Grundlage ist der ausführliche Montageplan Fechners. Zusammen haben sie das filmische Verfahren des „identischen Rekurs“ derart weiterentwickelt, daß Gesprächspartner B den von A begonnen Satz zu Ende führt, oder D die Frage beantwortet, die C gestellt hat, oder 744 Ebenda. 745 Ebenda. 746 Fechner, Eberhard: Das Fernsehspiel – Dichtung und Wahrheit. In: Eberhard Fechner. Die Filme, gesammelte Aufsätze und Materialien. Hrsg. von Josef Nagel und Klaus Kirschner. Erlangen, 1984 (= Erlanger Beiträge zur Medientheorie und –praxis; Sonderheft 1984), S. 133f. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 347 F genau das Gegenteil dessen behauptet, was E zuvor behauptet hat. Ein Kommentar aus dem Off wird durch diese Gesprächsmontagen überflüs- sig. Für die Kameraleute ist die Zusammenarbeit mit Fechner eine Heraus- forderung, jedoch keine künstlerische. Bei den Gesprächsfilmen verlangt er von ihnen, mit der Kamera eine Position einzunehmen, die der des Interviewers entspricht. Gefragt sind keine effektvollen Schwenks und Kamerafahrten, sondern eine ruhige Kamera, die höchstens einmal aus- gleicht, wenn die befragte Person sich bewegt. Diese wird auch bei mehreren Interviews immer aus demselben Blickwinkel und vom selben Kamerastandort aus aufgenommen. Vielen Kameraleuten ist das sture „Draufhalten“ zu langweilig. Doch Fechner braucht diese beinahe unbe- wegliche Kamera, um bei der Montage fließende Übergänge herstellen zu können. Die Interviews werden mit einer 16 mm-Handkamera gedreht, obwohl der 16 mm-Film eine geringere optische Auflösung hat als der übliche 35 mm-Film. Fechner hat sich bewußt für dieses Format entschieden, da es den Eindruck aktueller Berichterstattung verstärkt und die leichte, handlichere Kamera auch Aufnahmen unter ungünstigen Bedingungen erlaubt.747 In Zurückhaltung üben müssen sich gleichfalls Beleuchter und Tontechniker. Fechner bevorzugt die Arbeit im kleinen Team. Die Befragten sollen die Anwesenheit der Filmemacher am besten kaum spüren. Daher verzichtet der Regisseur z.B. auf Klappen. Sie stö- ren die Gesprächsatmosphäre. Für die Cutterin bedeutet das enorme Schwierigkeiten, die Zeitgleichheit von Bild und Ton wieder herzu- stellen. Sind Fechners Mitarbeiter für die Realisierung seiner Ideen, für das technische Gelingen, zuständig, so entscheiden die befragten Personen über Gehalt und Wirkung des Films. Zur Auswahl der Gesprächspartner befragt antwortet der Regisseur: „Zwei Voraussetzungen waren mir wichtig. Erstens mußten sie zu wichtigen Punkten wirklich etwas auszu- sagen haben, und zweitens sollten sie wenigstens etwas deutsch sprechen.“748 Alle Befragten werden nur durch Angabe ihrer Funktion im Prozeß dem Zuschauer vorgestellt. Das Insert erscheint erst nach einigen Sekunden. Vor Gericht haben sich die Angeklagten auf Anraten ihrer Verteidiger nicht zu den ihnen vorgeworfenen Taten geäußert. Fechner gegenüber aber zeigen sich die meisten gesprächsbereit, weil sie wissen, daß die Filmaufnahmen nicht vor Gericht verwertbar sind. Richter und Schöffen dürfen erst nach Abschluß der Verfahrens befragt 747 Vgl. Fechner, Eberhard: Über das „Dokumentarische“ in Fernseh-Spielfilmen. A.a.O., S. 114. 748 Fechner, Eberhard, zit. nach Netenjakob, Egon: Eberhard Fechner. Lebensläufe dieses Jahrhunderts im Film. Weinheim, Berlin, 1989, S. 151. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 348 werden. Die Opfer erfüllen überwiegend Fechners Interviewwunsch, weil sie Zeugnis ablegen wollen. Unabhängig von ihrer Funktion im Prozeß sollen die Befragten ihre Ansichten frei äußern können. Fechner legt Wert auf eine Gesprächsatmosphäre, die diese freie Rede ermög- licht. Allerdings werden Aussagen durch die Aussagen anderer Prozeß- Teilnehmer ergänzt, korrigiert, z.T. vollständig widerlegt. Das teilt er auch den Angeklagten mit. Sie befragt er zunächst zur Person, läßt sie erzählen über Ausbildung und Beruf. Dann folgen Fragen zur NS-Zeit, zu damaligen Einstellungen und Wünschen, schließlich konkret zu Majdanek und den Aufgaben dort, zur Schuldfrage, zur Rechtmäßigkeit der Anklage, etc. Die Interviews gehen über mehrere Stunden, denn Fechner weiß: je länger ein Täter, der seine Taten nicht eingestehen will, redet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er die Kontrolle ver- liert, sich verplappert.749 Die Befragten Die Ermittler: Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Adalbert Rückerl, Leiter der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg, Leitender Oberstaatsanwalt Alfred Spieß, Staatsanwalt Dr. Rudolf Gehrling. Das Gericht: Vorsitzender Richter Günter Bogen, Schöffe Wendelin Hammer, Schöffe Herbert Strauch. Die Staatsanwaltschaft: Staatsanwalt Dieter Ambach, Staatsanwalt Wolfgang Weber. Die Nebenkläger: RA Dr. Johannes Geiger, RA Dr. Rudolf Pick. Historischer Sachverständiger: Prof. Dr. Wolfgang Scheffler. Die Verteidiger: RA Hans Birkelbach, RA Ludwig Bock, RA Jürgen Fritz, RA Paul-Gerd Henke, RA Jürgen Hohl, RA Rolf Hussel, RA Conrad Paetz, RA Dr. Gerhard Pilz, RA Dr. Kurt Ritzor, RA Dr. Wilhelm Stolting, RA Rudolf Stratmann. Die Angeklagten: Hermann Hackmann, ehemaliger Erster Schutzhaft- lagerführer, Hildegard Lächert, ehemalige SS-Aufseherin, Emil Laurich, ehemaliger SS-Schreiber, Rosa Süß, ehemalige SS-Aufseherin, Heinz Villain, ehemaliger SS-Feldführer. 749 Vgl. Fechner, Eberhard, zit. nach Netenjakob, Egon: Eberhard Fechner. A.a.O., S. 163. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 349 Die Zeugen: a.) ehemalige SS-Angehörige: Luzie Moschko, ehemalige SS-Aufseherin, Elisabeth Rapior, ehemalige SS-Aufseherin, Erna Wallisch, ehemalige SS-Aufseherin, ein Geistlicher, der ungenannt blei- ben möchte, ehemaliger SS-Hundestaffelführer. b.) ehemalige Polizeian- gehörige: Johann Barth, ehemaliger Polizist. c.) ehemaliger Funktions- häftling: Karl Galka, ehemaliger Kapo. d.) ehemalige Häftlinge: Lucina Domb, Alexander Dytmann, Irena Gössinger, Julian Gregorowicz, Eva Jakubowicz, Maria Kaufmann-Krasowska, Janina Latowicz, Israel Mai- dan, Dr. Danuta Medryk, Leo Miller, Dr. Jan Nowak, Dr. Josef Ochlewski, Henryka Ostrowska, Zippora Pestes, Marilla Reich, Hela Rosenbaum, Jutta Scharff, Jenryka Schaynberg, Israel Spiegelstein, Andrzej Stanislawski, Prof. Dr. Romuald Sztaba, Josef Überkleid, Jad- wiga Wegrecka, Gabriel Wizenblitt, Joshua Wizenblitt. Die Unterteilung zeigt, daß ganz unterschiedliche Personen allgemein als Zeugen bezeichnet werden. Zu ihnen gehören die Opfer, darunter Funk- tionshäftlinge, aber auch Polizei- und SS-Angehörige, die aufgrund der Beweislage nicht als Angeklagte vor Gericht stehen. Zeugenbetreuerin: Elisabeth Adler-Cremers, Gesellschaft für christlich- jüdische Zusammenarbeit. Prozeßbeobachter: Prof. Jerzy Bossak, Regisseur und Produzent; Jose- phine Jürgens „Stille Hilfe“; Heiner Lichtenstein, Publizist; Erwin Mie- rick, ehemaliger SS-Mann; Mr. Ryan, Ehemann der Angeklagten Ryan- Braunsteiner; Shaja Weißbecker, Sprachlehrer und Journalist; Dr. Simon Wiesenthal, Ermittler; Lilli Laurich, Ehefrau des Angeklagten Emil Lau- rich. Erläuterungen zu einzelnen Personen bzw. Befragtengruppen: Der leitende Oberstaatsanwalt Dr. Adalbert Rückerl ist von 1966 bis 1984 Leiter der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Auf- klärung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg. Die Ermittlungen gegen Hackmann und andere gehen vor allem auf die Recherchen der Zentral- stelle zurück. 1962, nach Feststellung des Aufenthalts der Tatverdächti- gen, gibt sie ihre Daten an die zuständige Staatsanwaltschaft weiter. Dann aber vergehen noch einmal 13 Jahre bis zum Prozeßbeginn in Düsseldorf. Rückerl hat sich in den Büchern Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen 1945–1978 und NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung kritisch mit den Bemühungen der bundesdeutschen Justiz auseinandergesetzt, NS-Verbrechen zu ahnden. Er stellt dabei fest, daß die Justiz von politischen Vorgaben abhängig gewesen ist, besonders deutlich zeigen das die Verjährungsdebatten. Mit der Strafprozeßordnung sind Verbrechen wie Massenmord kaum in den II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 350 Griff zu bekommen. Es ist schwierig, Taten nach vierzig Jahren Einzel- personen nachzuweisen. Entsprechend fallen die Urteile aus. Doch dient der Prozeß laut Rückerl nicht nur der Bestrafung, sondern auch „... der Bewußtseinsbildung, als er der Öffentlichkeit noch einmal eindringlich vor Augen führte, daß ein gegen Gesetz und Recht verstoßendes Handeln auch dann ein strafwürdiges Verbrechen bleibt, wenn es von einer pervertierten Staatsführung geduldet, gebilligt, gewünscht oder gar befohlen wird.“750 Der Vorsitzende Richter Günter Bogen, Jahrgang 1930, leitet den Prozeß mit Sachverstand und Geduld, in entscheidenden Augenblicken jedoch mit der nötigen Durchsetzungskraft. Das Alter der Richter ist für die Zeugen wichtig. Sie fürchteten von jemandem vernommen zu werden, der die NS-Diktatur als Erwachsener mitgetragen hat. Nahezu sechs Jahre lang, an 474 Verhandlungstagen haben Bogen und seine Richter- kollegen versucht, die Geschehnisse im Lager Lublin/Majdanek zu rekonstruieren, haben dafür 215 Zeugen befragt. Als Richter Bogen am 30. Juni 1981 die Urteile im Majdanek-Prozeß verkündet, bebt seine Stimme. Die Unzulänglichkeit der Rechtsprechung vierzig Jahre nach den grausamen Morden kann er schwer ertragen. Gegen den Sachverständigen Prof. Dr. Wolfgang Scheffler stellt der Verteidiger Fritz Steinacker aus Frankfurt einen Befangenheitsantrag mit der Begründung, dessen Buch Judenverfolgung im Dritten Reich und die Zusammenarbeit mit jüdischen Wissenschaftlern sprächen nicht für seine Unabhängigkeit und Neutralität. Außerdem habe Scheffler bei einem Juden promoviert und sei Berater der deutschen Beobachterdelegation während des Eichmann-Prozesses gewesen. Die meisten Anwesenden sind entsetzt über diese Argumentation. Ein Prozeßbeobachter, Heiner Lichtenstein, sagt in Fechners Film: „Für mich war es der erste Prozeß, in dem ohne jede Scham nazistisch, rassistisch, antisemitisch argumen- tiert wurde. Von den meisten der damals dreißig Verteidiger. ... die Art, in der diese Argumente vorgetragen wurden ... das war die Sprache von Julius Streicher und seinem Hetzblatt Stürmer.“ Die Kammer lehnt den Antrag ab, Scheffler bleibt Sachverständiger. Außer Franz Steinacker fallen weitere Verteidiger unangenehm auf. Dr. Hans Mundorf, der den Antrag stellt zu überprüfen, ob es im Lager statt nach verbranntem Menschenfleisch nicht nach Tierfleisch gerochen haben könnte, Dr. Otto Pannenbecker, der Verteidiger von Hermine Braunsteiner-Ryan, Dr. Ludwig Bock, der Verteidiger von Hildegard 750 Rückerl, Adalbert im Film und zit. nach -wie: Verstecktes Mahnmal. Fechners Drei- teiler über den Majdanek-Prozeß. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 17.6.1991, S.11. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 351 Lächert. Bock ist nach Israel gereist ist, um Zeugen zu befragen. Dabei hat er seine wahre Identität nicht preisgegeben, im Gegenteil die Befragten bewußt getäuscht, indem er sich als Doktorand ausgegeben hat, der eine Arbeit über den Majdanek-Prozeß schreiben will. Als ihn eine Zeugin im Gerichtssaal wiedererkennt, leugnet Bock, sie zu kennen. Erst als das Leugnen nicht länger durchzuhalten ist und Richter und Kollegen ihn auffordern, entschuldigt er sich offiziell bei der Zeugin. Verstärkt wird der überaus negative Eindruck von Bock durch den Antrag, eine Zeugin wegen „Beihilfe zum Mord“ gleich im Gerichtssaal festzunehmen. Die Überlebende von Majdanek war gezwungen, Zyklon- B-Behälter zu den Gaskammern zu schleppen. Der Verteidiger Dr. Hermann Stolting, ehedem Staatsanwalt beim Sondergericht in Bromberg, hält die Todesurteile, die er damals in Polen und zwischen 1945 und 1949 in Hessen gefällt hat, für rechtens. Er argumentiert wie der frühere Marinerichter und spätere baden-württem- bergische Ministerpräsident Hans-Georg Filbinger: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Seit April 1979, dem Freispruch für seine Mandantin Hermine Böttcher, ist Stolting nicht mehr am Prozeß beteiligt. In Fechners Film wird er mit dem Satz zitiert: „Meine erste Rente verdanke ich dem Führer und die zweite auch.“ Die Angeklagten Bereit, sich gegenüber Fechner zu äußern, sind Hermann Hackmann, ehemaliger Erster Schutzhaftlagerführer, Hildegard Lächert, ehemalige SS-Aufseherin, Emil Laurich, ehemaliger SS-Schreiber, Rosa Süß, ehe- malige SS-Aufseherin, Heinz Villain, ehemaliger SS-Feldführer. Ange- klagt sind außerdem Alice Orlowski, Rosa Süß, Hermine Böttcher, Charlotte Mayer, August Reinartz, Thomas Ellwanger, Heinrich Schmidt, Heinrich Groffmann, Fritz Petrik und Arnold Strippel. Urteile werden am 30.6.1981 verhängt gegen Hermine Braunsteiner-Ryan (lebenslänglich), Hildegard Lächert (12 Jahre), Hermann Hackmann (10 Jahre), Emil Laurich (8 Jahre), Heinz Villain (6 Jahre), Fritz Petrik (4 Jahre), Arnold Strippel (31/2 Jahre) und Thomas Elwanger (3 Jahre). Die anderen Angeklagten waren nicht verhandlungsfähig oder wurden mangels Beweisen freigesprochen. Fechner zeichnet mit Hilfe der Anklageschrift die Lebenswege der Angeklagten nach. Ihn interessiert, wie sich jemand für den Dienst in einem Konzentrationslager entscheiden konnte. Die Antwort ist banal. Die Arbeit dort schien weit angenehmer als in einer Fabrik und weit weniger gefährlich als der Fronteinsatz. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 352 Die Angeklagten fühlen sich nicht schuldig, vielmehr verstehen sie sich als Opfer und argumentieren mit Befehlsnotstand. Obwohl kein einziger Fall bekannt ist, bei dem die Weigerung zu morden schwerwiegende Konsequenzen bedeutet hätte, suchen die Angeklagten sich so zu recht- fertigen. Oder bleiben bei der Behauptung, nichts Schlimmes getan, nur ihren Dienst abgeleistet zu haben. Mr. Ryan, der Ehemann von Hermine Braunsteiner, bezeichnet seine Frau als „Gefangene Westdeutschlands“ und fragt, ob die Untersuchungshaft, die für sie angeordnet wurde, nun der Lohn sei, „den ihr die deutsche Nation dafür gibt, daß sie für Deutschland im zweiten Weltkrieg Kriegsdienste leistete.“ Die Ange- klagten sehen sich als „Prügelknaben der Nation“ (Villain), als „kleine Hasen“ (Villain) und empfinden den Prozeß als „Theater“ (Laurich). Ihnen fehlt jegliches Unrechtsbewußtsein. Von den ehemaligen SS- Wachmännern zeigt allein der Führer der Hundestaffel Ansätze von Scham und Reue. Vor einem Kruzifix sitzend verbirgt er während der Filmaufnahmen das Gesicht. Seiner Meinung nach hat „... niemand, ob Häftling oder Wachmann, Majdanek je überwunden.“ Die Opfer Jedoch: Opfer und Täter trennen Abgründe. Die einen können nicht ver- gessen, die anderen wollen nicht erinnert werden. Obwohl die Opfer bereit sind, Zeugnis abzulegen, fällt es ihnen schwer, alles wieder durchleben und in der Sprache der Täter berichten zu müssen. Die Zeu- gin, die der Rechtsanwalt Bock gleich im Gerichtssaal wegen Beihilfe zum Mord verhaften lassen will, ist entsetzt, wütend und enttäuscht, daß ein solcher Antrag überhaupt möglich ist. Später überfallen sie Depres- sionen. Sie erzählt Fechner: „Aber wenn ich nach Hause gekommen bin und hab ich so überlegt und die ganze Prozeß habe ich wieder analysiert, da, da habe ich viel Wochen gedacht, vielleicht hat Herr Bock recht gehabt, - daß ich ein Mörder bin.“ Die Konfrontation mit den früheren Peinigern ist für die Opfer schwer erträglich. Nicht die Angeklagten müssen beweisen, daß sie nicht schul- dig sind, sondern sie, die Überlebenden, müssen beitragen, die Täter zu überführen. Die Attacken einiger Verteidiger rufen bei den Opfern das Gefühl hervor, sie stünden als Täter vor Gericht. Daß die tatsächlichen Täter bislang unbehelligt leben konnten, und nun Desinteresse oder Überlegenheit demonstrierend im Gerichtssaal sitzen und schweigen, ärgert die Opfer. Mit Genugtuung stellen sie fest, daß die früher so Mächtigen heute alt und häßlich sind. Ein Zeuge, der polnische Arzt Prof. Staba, beschreibt den Gegensatz: „So groß und so schlank, und dann in diesen Uniformen. Und wir dagegen so klein und so elend. Und da sehen wir die plötzlich vor Gericht wieder, und dann sind sie plötzlich II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 353 alte Männer, alte Frauen mit solchen hängenden Bäuchen. Und dann sagen wir, das soll der gewesen sein? Nein, das ist ja fast gar nicht zu glauben.“ Die Identifizierung der Täter fällt auch deswegen schwer, weil sich diese, so ein Opfer, „ihnen ja schließlich nicht mit Namen vorge- stellt hätten.“ Aber die Überlebenden erkennen die SS-Leute wieder, an ihren Augen, ihren Stimmen. Sie identifizieren die „blutige Brigida“ Hildegard Lächert, die „Kobyla“ = „Stute“ Hermine Braunsteiner, das „Engelchen“, den Schläger Emil Laurich mit dem Engelsgesicht, oder den „Tuman“ = „Tölpel“ Heinz Villain. Und die Opfer fragen sich, was die Angeklagten nun denken: „Sind die wirklich überzeugt, die haben richtig gemacht? Wie können die vertragen, vier- bis fünfmal in der Woche sitzen sieben Stunden im Gericht und hören das alles, was die Häftlinge erzählen?“751 Die Zeugenbetreuer Mitarbeiter des Roten Kreuzes und Mitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit kümmern sich um die dreihundert Zeugen, die aus Polen und Israel, den USA, der Sowjetunion und Öster- reich nach Düsseldorf kommen. Sie sind vor, während und nach der Aussage vor Gericht für sie da. In Fechners Film äußert sich Elisabeth Adler-Cremers vom Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Sie erzählt, wie sie und andere Betreuer während einer Verhandlungspause auf das Ge- tuschel der auf dem Flur wartenden Verteidiger reagiert haben. Als sie hören: „Das sind alles Juden ...!“, widersprechen sie: „Nein, wir sind Düsseldorfer Bürger und wir fühlen uns solidarisch mit den Zeugen.“ Prozeßbeobachter Das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien ist nicht gleichbleibend groß. Es gibt nur wenige Personen, die den Prozeß von Anfang bis Ende verfolgen. Zu ihnen gehört der Publizist Heiner Lichtenstein. 1932 in Chemnitz geboren, ist er nach dem Krieg mit seiner Familie in den Westen gegangen. Er hat Geschichte, Germanistik und Publizistik, u.a. bei Walter Hagemann in Münster studiert. Seit 1961 ist er Redakteur beim WDR in Köln. Der Sender hat ihm ermöglicht, zahlreiche NS- Prozesse als Berichterstatter zu verfolgen. In Fechners Film übernimmt er gleichsam die Rolle des auktorialen Erzählers752, faßt zusammen, 751 Staba, Zeuge, zit. nach Müller-Münch, Ingrid: Facetten des Grauens. Zur Ausstrahlung des Films Der Prozeß von Eberhard Fechner in den dritten Programmen. In: Frank- furter Rundschau vom 16.11.1984, S. 27. 752 Vgl. Emmelius, Simone: Fechners Methode. Studien zu seinen Gesprächsfilmen. Mainz, 1996, S. 252. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 354 interpretiert und schafft Übergänge zu folgenden Themen. Lichtenstein spricht den Kommentar in der für alle drei Teile gleichen Einleitungs- sequenz und er spricht das Schlußwort des Films: „Es war in Majdanek vielleicht zu spät, aufzuschreien und nein zu sagen. Nein zu sagen, das muß man früher tun. Und wenn an Häuserwänden Inschriften stehen, die menschenverachtend, menschentötende sind - ‚Die Juden haben´s hinter sich, die und die haben´s vor sich‘ - jetzt brauch ich gar nicht zu sagen wer - dann ist es höchste Zeit aufzustehen, zu demonstrieren, zu prote- stieren und zu sagen, nein, da tue ich nicht mit, hier stehe ich auf und leiste Widerstand. Das, finde ich, sollte eine Lehre aus den zwölf Jahren und den mehr als 30 Jahren NSG-Verfahren sein. Und wenn das damit erreicht wird, ist viel erreicht worden. Davon wird kein Toter wieder lebendig, aber damit kann man vielleicht verhindern, daß Unschuldige in der Zukunft ermordet werden.“ Den polnischen Filmemacher Jerzy Bossak kennt Fechner seit der gemeinsamen Arbeit für die NDR-Fernsehspielredaktion Anfang der sechziger Jahre. Bossak konnte 1944 als einer der ersten polnischen Regisseure in Majdanek nach der Befreiung durch die Rote Armee filmen. Daraus ist die Dokumentation Majdanek - Friedhof Europas ent- standen. Bossak macht in den fünfziger Jahren Karriere. Er wird Leiter der polnischen Wochenschau, Direktor des polnischen Dokumentarfilm- studios, Leiter der Filmgruppe Kamera, Dozent an der Filmhochschule in Lodz. Gemeinsam mit Waclaw Kazmierczak dreht er 1955 den Film Requiem für 500.000, der über das Leiden der Juden im Warschauer Ghetto und die Niederschlagung des Aufstandes berichtet. In den sech- ziger Jahren arbeitet er in der Gruppe Fernsehspiel des NDR mit. Bossaks Abgrenzungen von Dokumentar- und Spielfilm zitiert Klaus Wildenhahn ausführlich in seinem Buch Über synthetischen und doku- mentarischen Film.753 Simon Wiesenthal, 1908 in der Ukraine geboren, hat mehrere Konzen- trationslager überlebt. Zuletzt ist er in Mauthausen, das die Amerikaner am 5. Mai 1945 befreien. Von 1947 bis 1954 leitet Wiesenthal, der vor dem Krieg als Architekt gearbeitet hat, in Linz das Dokumentations- zentrum der Judenverfolgung. 1961 übernimmt er die Leitung des Wiener jüdischen Dokumentationszentrums. Ende der siebziger Jahre wird er zum Namensgeber des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles. Er ist beteiligt an der Aufspürung Adolf Eichmanns in Argen- tinien und anderer Kriegsverbrecher, z.B. Franz Stangl, Franz Murer, Josef Mengele und Hermine Braunsteiner-Ryan. Ihretwegen und um zu 753 Wildenhahn, Klaus: Über synthetischen und dokumentarischen Film. Zwölf Lese- stunden. Hrsg. von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert. Erw. Neuaufl. Berlin, 1973. Vgl. Kapitel I.5.2. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 355 beobachten, wie die deutsche Justiz über die Verbrechen in Majdanek urteilt, nimmt der inzwischen international als „Nazi-Jäger“ bekannte Wiesenthal am Düsseldorfer Prozeß teil. Obwohl er bei einigen Staats- anwälten das ernsthafte Bemühen um Gerechtigkeit anerkennt, ist sein Kommentar zu den Urteilen von Enttäuschung gekennzeichnet: „Man fragt sich, ob es noch einen Sinn hat, länger mit einer Justiz zusammen- zuarbeiten, die Beihilfe zum Mord in einer unbestimmten Zahl von Fällen mit dreieinhalbjährigem Freiheitsentzug – wie einen Einbruch- diebstahl – bestraft.754 Eine weitere Beobachterin des Prozesses ist Josephine Jürgens von der „Stillen Hilfe“, einer Vereinigung, die sich um verurteilte NS-Täter und ihre Angehörigen kümmert. Sie ist von einem Monitor-Reporter mit ihrer Aussage konfrontiert worden, daß Düsseldorf unter jüdischer und kommunistischer Herrschaft stehe. Jürgens bestätigt, daß sie das anneh- men müsse, „... weil unsere Presse nichts bringt, was irgendwie zum Vorteil der Angeklagten wäre.“ Lichtenstein weist darauf hin, daß Jürgens während dieses Statements das Bundesverdienstkreuz am Revers getragen hat. II.7.4. Resonanz Zu unterscheiden ist zwischen der Resonanz, die der Prozeß in der Presse und im Rundfunk erfahren hat, und der Resonanz, die Fechners Film Der Prozeß erfahren hat. Es ist über den Prozeß, gerade in den überregionalen Tageszeitungen kontinuierlich und ausführlich berichtet worden. Das gleiche gilt für die damals ausschließlich öffentlich-recht- lichen Sender. Auch ausländische Medien haben den Düsseldorfer Majdanek-Prozeß aufmerksam verfolgt. Heiner Lichtenstein hingegen spricht von nur ganz wenigen Journalisten, die außer ihm die Ereignisse im Gerichtssaal von Prozeßtag zu Prozeßtag verfolgt haben. Stattdessen sei das anfängliche Interesse schnell erlahmt und nur nach bestimmten Vorkommnissen wieder vorhanden gewesen, so z.B. nach der Ausstrah- lung der Fernsehserie Holocaust im Januar 1979.755 Ein wichtiger Teilkonflikt in der publizistischen Kontroverse stellt der Sendeplatzstreit756 dar, der ausbricht, nachdem Fechner erfahren hat, daß 754 Wiesenthal, Simon, zit. nach Pick, Hella: Simon Wiesenthal. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg, 1997, S. 305. 755 Vgl. Lichtenstein, Heiner: Majdanek. Reportage eines Prozesses. Frankfurt/M., 1979, Kap. „Die Medien“, S. 109-118. 756 Ausführlich im folgenden Kapitel II.7.5. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 356 Der Prozeß nicht im 1. Programm ausgestrahlt werden soll. Dieser Sendeplatzstreit führt zu einer umfangreichen Vorauspublizistik und Werbung für den dreiteiligen Film. Die meisten Zeitungen und Zeit- schriften757 kündigen die genauen Sendetermine an und tragen somit bei, Öffentlichkeit herzustellen und Interesse an Fechners Film zu wecken. Ende November 1984 wird Der Prozeß im Fernsehen gezeigt, in den Dritten Programmen der ARD, doch anders als zunächst versprochen nicht zur selben Zeit, sondern an verschiedenen Wochentagen und zu verschiedenen Uhrzeiten. Tabelle 11: Ausstrahlungstermine von Der Prozess in Deutschland Teil NDR, RB, SFB WDR S3 BR HR 1 Mi, 21.11., 20.15 Mi, 21.11., 20.15 Mi, 21.11., 20.15 Mi, 21.11., 20.15 Fr, 23.11., 19.00 2 Fr, 23.11., 20.15 So, 25.11., 21.45 So, 25.11., 19.55 Fr, 23.11., 20.15 Sa, 24.11., 20.40 3 So, 25.11., 20.15 Mo, 26.11., 22.15 Di, 27.11., 21.15 Di, 27.11., 19.00 So, 25.11., 20.15 Zwischen 1,4 und 2,5 Millionen Zuschauer haben die einzelnen Folgen der dreiteiligen Dokumentation verfolgt. Das entspricht Einschaltquoten zwischen 2% und 8%. Der 1. Teil, der an Buß- und Bettag von allen Dritten Programmen (bis auf den Hessischen Rundfunk) ausgestrahlt worden ist, erreicht die höchste Zuschauerquote: bei der Nordkette 8% (= ca. 650.000 Zuschauer ab 14 Jahren), auch Südwest 3 (SDR, SR, SWF) 8%, WDR und BR 6% (= ca. 770.000 bzw. 330.000 Zuschauer). Beim Hessischen Rundfunk liegt die Quote zwei Tage später ebenfalls 757 Münchner Merkur 29.10., Funk-Korrespondenz 2.11. Frankfurter Rundschau 16.11., Die Zeit 16.11., Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 18.11., Süddeutsche Zeitung 20.11., medium 11/84, epd-Film 11/84 u.v.a. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 357 bei 6%. Bei der Ausstrahlung von Teil 2 und 3 nimmt die Sehbeteiligung weiter ab.758 Tabelle 12: Sehbeteiligung an Der Prozess (in %) Sender Teil NDR, RB, SFB WDR S3 BR HR 1 8 6 8 6 6 2 3 6 5 4 3 3 4 7 5 2 2 Quelle: Teleskopie, Gesellschaft für Fernsehzuschauerforschung mbH. Die insgesamt niedrigen Einschaltquoten sind auch bedingt durch die konkurrierenden Angebote im 1. Programm der ARD und im ZDF. Während Teil 1 des Prozesses in den Dritten läuft, zeigt das ZDF den Spielfilm Die Unbezwingbaren und erreicht damit 26% der Zuschauer (ca. 12 Millionen), eine Don Carlos-Inszenierung im 1. kommt auf 13%. Der 2. Teil des Prozesses konkurriert mit dem Spielfilm Die Feuerprobe im 1. und Derrick im 2. Programm. Der 3. Teil, der je nach dem sonn- tags, montags oder dienstags gesendet wird, hat gegen den Tatort im 1. (51%) oder Dallas wenig Chancen.759 Wie schon bei Holocaust erfüllt sich beim Prozeß die Vorhersage, daß niemand zuschaut, wenn man denn angeblich nur Minderheiten inter- essierende Filmen auf schlechte Programmplätze schiebt. Fechner hat die geringe Resonanz in seiner Erklärung prophezeit: „So wird dieser Film wieder bloß Menschen erreichen, die die Schuld der Deutschen an natio- nalsozialistischen Verbrechen ohnehin nicht vergessen haben. Aber er wird all jenen erspart, die verdrängen oder gar leugnen wollen, was von deutschen Menschen in den Konzentrationslagern getan worden ist.“760 758 Vgl. Die Zuschauerquoten bei Fechners Prozeß. epd-Meldung. In: Frankfurter Rund- schau vom 4.12.1984, S. 11. Die Zahlen stammen von der Vorgängerin der GfK, der Teleskopie, Gesellschaft für Fernsehzuschauerforschung mbH, die bis 1984 Reich- weitenmessungen für ARD und ZDF durchgeführt hat. 759 Ebenda. 760 Fechner, Eberhard: „Den Bürger endgültig zum Konsumenten erniedrigt?“ In: Süddeut- sche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. Auch in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fern- sehen, Film, Presse. 14. Jg., H. 11/1984, S. 27. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 358 Diese pessimistische Sicht Fechners teilen viele Kritiker. George Tabori wünscht sich einen 4. Teil von Der Prozeß, in dem die Reaktionen der Zuschauer festgehalten werden: „... von jenen, die unberührt oder betrunken davor saßen oder sich dabei erbrechen mußten: von jenen, die wegsahen oder zu Don Carlos umschalteten; von jenen, die nicht zu- schauten, aber Bescheid wußten; von jenen zehn, es sind offenbar immer dieselben zehn, die anriefen, um Verwünschungen loszulassen; von jenen, die nichts gewußt haben; von jenen, die Anteil nahmen; von jenen, denen es egal war.“761 Im November 1985 zeigt der ORF in seinem Ersten Programm den Film Der Prozeß. Der Journalist Heiner Lichtenstein, der das Düsseldorfer Verfahren von Anfang bis Ende verfolgt hat und in Fechners Film das Schlußwort spricht, faßt in der Programmankündigung der Süddeutschen Zeitung das Geschehen im Gericht zusammen und fordert die Zuschauer in Österreich auf, Fechners Film anzuschauen. Dabei weist er auf die Mittäterschaft vieler Österreicher und die mangelhafte Strafverfolgung durch die österreichische Justiz.762 Nach Fechners Vorwurf, es handele sich um „öffentlich-rechtlich Zensur“, den dreiteiligen Film in den Dritten Programmen zu zeigen, ist das Verhältnis zwischen ihm und der Fernsehspielabteilung des NDR zerrüttet. Sieben Jahre später aber, 1991, wird Der Prozeß endlich im 1. Programm gezeigt. Das ist möglich aufgrund neuer Personen und Mehr- heitsverhältnisse in den Gremien der ARD und weil der neue NDR-Fern- sehdirektor Jürgen Kellermeier den Vorschlag des ehemaligen Süd- deutsche Zeitung- und nun Spiegel-Redakteurs Karl-Otto Saur aufgreift, zum zehnten Jahrestag der Majdanek-Urteile Fechners Film zu wieder- holen. Der Regisseur empfindet das zwar als späte Wiedergutmachung, kann seine Enttäuschung von 1984 aber nicht vergessen. Während der Berlinale 1985 läuft Der Prozeß in der Akademie der Künste. Im selben Jahr wird Fechner mit Preisen überhäuft: er erhält den Deutscher Kritikerpreis und den Adolf-Grimme-Preis für sein Gesamt- werk, den Alexander-Zinn-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg und den Eduard Rhein-Preis für Der Prozeß. In der DDR wird Fechners Film nicht besonders beachtet, immerhin aber druckt die Zeitschrift Film und Fernsehen ein halbes Jahr nach Ausstrahlung im bundesdeutschen Fernsehen eine Kritik von Fritz Wolf ab, die zuerst in der Deutschen Volkszeitung/die tat erschienen ist. Die fundierte Rezension enthält 761 Tabori, George: Ein Schulterzucken, ein Lächeln und eine Hand, die zittert. In: Süd- deutsche Zeitung vom 29.11.1984, S. 45. 762 Lichtenstein, Heiner: Ein Prozeß voll Zorn und Tränen. Fechners Majdanek-Dokument im österreichischen Fernsehen. In: Süddeutsche Zeitung vom 11.11.1985, S. 31. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 359 wenig Systemkritisches, wenn auch wie üblich der westdeutschen „bür- gerlichen“ Justiz Versagen vorgeworfen wird, weil ihr eine antifaschisti- sche Ordnung als Grundlage fehle. Auch vermutet der Autor eine geheime Übereinkunft „... zwischen denen, die schon immer gesagt haben, daß endlich Schluß sein muß, und denen die nicht mehr wagen, diesen Film dem Fernsehbürger vorzusetzen.“763 Namentlich erwähnt wird der Staatssekretär Carl Dieter Spranger, der 1979 hinter Ausstrah- lung von Holocaust „internationale Machenschaften“ gewittert hat und der auch 1985 keine Notwendigkeit sieht, Fechners Film in der politi- schen Bildungsarbeit einzusetzen. II.7.5. Filmkritiken Noch bevor das Verfahren in Düsseldorf und Fechners Film darüber ab- geschlossen sind, erscheinen in der Tagespresse Berichte über das Vor- haben des Filmemachers. Heiner Striebeck befragt ihn für die Süddeut- sche Zeitung. Fechner gibt als Gründe für die Übernahme des NDR- Auftrags seine Wißbegierde an. Er will „... erfahren, wie es wirklich gewesen ist, ... wie es dazu gekommen ist, was das eigentlich für eine Welt ist, in der wir heute leben?“764 Schon als er mit dem Prozeß be- ginnt, fühlt er, „... daß dies der wichtigste Film sein müßte, den ich in meinem Leben gemacht habe.“765 Auch rückblickend bezeichnet Fech- ner den Prozeß als seinen wichtigsten Film. Das erklärt die Heftigkeit, mit der der Filmemacher auf die Nachricht des NDR-Fernsehspielleiters Dieter Meichsner reagiert, Der Prozeß werde nicht im 1. Programm aus- gestrahlt. Dieser Briefwechsel findet Ende August 1984 statt. So lange ist es nicht möglich gewesen, einen genauen Sendetermin festzulegen, da erst die Entscheidung über die Revisionsanträge der Verteidigung abge- wartet werden mußte. Nun aber sind die Urteile rechtskräftig und Der Prozeß kann ausgestrahlt werden. Fechner ist immer davon ausgegangen, daß sein Film im 1. Programm der ARD gesendet wird, obwohl es darüber keine schriftlichen Vereinba- rungen gegeben hat. Er ist empört und enttäuscht, da sich der NDR gar nicht erst für eine Ausstrahlung im 1. Programm eingesetzt hat. Auch ein 763 Wolf, Fritz: „Sie haben Tausende erschlagen, aber sie sahen wie normale Menschen aus“. In: Film und Fernsehen. Hrsg. vom Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR. H. 5/1985, S. 41-43. 764 Striebeck, Heiner: Eine extreme Annäherung an die Realität. Gespräch mit Eberhard Fechner über die filmische Aufarbeitung des Majdanek-Prozesses. In: Süddeutsche Zeitung vom 31.7.1981, S. 51. 765 Ebenda. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 360 Kompromiß – zumindest Teil 1 des Films zur Hauptsendezeit im 1. aus- zustrahlen – kommt nicht zustande. Daraufhin geht Fechner an die Öffentlichkeit. Während der im Oktober stattfindenden „17. Mainzer Tage der Fernsehkritik“, die sich unter dem Titel „Die entfernte Wirk- lichkeit“ mit Fernsehdokumentarismus beschäftigen, wird Der Prozeß gezeigt. Der Regisseur gibt eine Erklärung ab, die für großes Aufsehen sorgt und die anwesenden Fernsehmacher und –kritiker aufhorchen läßt: der NDR habe zwar die Produktion des Films ermöglicht – wofür ihm zu danken sei – wolle ihn aber im 3. Programm verstecken. Fechner fragt, ob nicht „der Bürger endgültig zum Konsumenten erniedrigt“ werde, wenn die Programmdirektoren öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten argumentierten, ein Film wie Der Prozeß wäre zu anspruchsvoll für die Mehrheit der Fernsehzuschauer. Der Filmemacher erinnert an den Pro- grammauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zu dem neben der Unterhaltung auch die Information und Bildung gehörten. Offensichtlich aber bestimme die Furcht vor der privat-kommerziellen Konkurrenz die Entscheidungen der ARD. Schließlich spricht Fechner von Zensur: „Die- sen Film so tot wie möglich zu schweigen, ist die öffentlich-rechtliche Form von Zensur.“766 Damit beginnt die publizistische Kontroverse über den Film Der Prozeß. Vier Tage nach Fechners Erklärung bringen die Tageszeitungen eine Stellungnahme des NDR zu Fechners Vorwürfen. Der Sender weist dar- auf hin, daß Der Prozeß erheblich an Umfang zugenommen habe. Geplant gewesen seien zweimal 60 Minuten, nun aber dauere der drei- teilige Film mehr als viereinhalb Stunden. Die Dritten Programme seien deswegen eine geeignete Abspielstätte, weil das Publikum inzwischen erkannt habe, daß Zusammenschaltungen nur in besonderen Fällen statt- fänden. Erfahrungsgemäß honoriere es diese mit einer hohen Ein- schaltquote.767 Diese Erklärung überzeugt die wenigsten Kritiker. Thomas Thieringer fragt, warum sich die ARD so verhalte: „Aus Angst vor der Vergangen- heit, vor den Reaktionen der Zuschauer, dem Druck der Parteien?“768 Uwe Kammann meint, es sei wohl nicht zu verhindern, daß Zuschauer nach zehn Minuten in ein anderes Programm abwandern, jedoch sollten die Programmverantwortlichen nicht von vornherein den Zugang er- 766 Fechner, Eberhard: „Den Bürger endgültig zum Konsumenten erniedrigt?“ In: Süddeut- sche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. 767 Vgl. Besondere Bedeutung berücksichtigt. NDR widerspricht Eberhard Fechner, dem Autor des Majdanek-Films. In: Süddeutsche Zeitung vom 29.10.1984, S. 29. 768 Thieringer, Thomas: Alle Facetten des Verbrechens ausgeleuchtet. In: Süddeutsche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 361 schweren.769 Die Akademie der Künste in Berlin bittet in einem offenen Brief den ARD-Programmdirektor Schwarzkopf, diese „politische Ent- scheidung“ zu revidieren. Die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursaus- schüsse von ARD und ZDF (AGRA) unterstützt ebenfalls Fechners For- derung nach einem besseren Programmplatz, eine Ausstrahlung in den Dritten Programmen stelle eine „Abwertung des eigenen Programms“ dar.770 NDR-Fernsehspielchef Dieter Meichsner erklärt nach einer Pressevorführung des NDR: „Ich bin nicht autark, ich habe nicht über die ARD zu verfügen.“ Axel Eggebrecht, einer der Mitbegründer des NWDR, nutzt die Gelegenheit zur Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seiner raschen „Kapitulation vor dem Privatfunk.“771 Eggebrecht ist der Auffassung, daß Der Prozeß viel wichtiger sei als die ganze Heimat-Serie im Ersten Programm. Der Vergleich mit anderen Sendungen - z.B. Samstagabendshows und Fußballübertragungen, die zu kurzfristige Programmänderungen führen - und der Hinweis auf die private Konkurrenz sind in vielen Kritiken zu finden. Sie deuten auf die Verunsicherung, die der Sendebeginn von RTL am 1.1.1984 und der bevorstehende von SAT1 am 1.1.1985, aus- lösen. Wenn auch der Erfolg der privat-kommerziellen Konkurrenz Ende 1984 noch kaum meßbar ist, scheinen die Mitarbeiter öffentlich-recht- licher Sendeanstalten und die Film- und Fernsehkritiker zu ahnen, daß nichts mehr sein wird, wie es war. Sie beklagen den vorauseilenden Gehorsam der Programmplaner von ARD und ZDF und fühlen sich ver- schaukelt, wenn im Streit um den Sendeplatz für Der Prozeß plötzlich Argumente gebraucht werden, die unter umgekehrten Vorzeichen auch in der Holocaust-Kontroverse angeführt worden sind. Uwe Kammann dazu: „Gerade in der Holocaust-Diskussion war ja gefordert worden, dem auf Effekt setzenden Emotionskalkül etwas entgegenzusetzen, was Emotionen in Beziehung bringt mit den zugrundeliegenden Wirklich- keiten. Daß diese Aufgabe eine ‚konsequente künstlerische Strenge‘ zur Grundbedingung hat, darf doch nicht - wie jetzt in der NDR-Begründung zur Plazierung in den Dritten geschehen - dem Film als Nachteil angehängt werden, mit der Unterstellung: das große Publikum wird durch künstlerische Strenge abgestoßen.“772 Kammann spricht sich übri- 769 Vgl. Kammann, Uwe: Noch ist ein Fehler zu korrigieren ... . Zum Plazierungsstreit um Fechners dreiteiligen Film Der Prozeß über das Majdanek-Verfahren. In: Frankfurter Rundschau vom 7.11.1984, S. 10. 770 „Abwertung des eigenen Programms.“ TV-Redakteure kritisieren „Majdanek“-Sende- platz. In: Süddeutsche Zeitung vom 6.11. 1984, S. 22. 771 Streit um Film von Fechner geht weiter. In: Frankfurter Rundschau vom 31.10.1984, S. 11. 772 Kammann, Uwe: Programm als Anspruch. Die Plazierung von Fechners „Majdanek“- Trilogie. In: epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 86 vom 31.10.1984, S. 3-5. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 362 gens dagegen aus, eine Reihe wie Edgar Reitz‘ Heimat „nachträglich zu diskreditieren.“773 Den Erfolg der US-amerikanischen Serie Holocaust bezeichnet Kam- mann als „Dennoch-Erfolg“, der ohne die umfangreiche Vorauspubli- zistik undenkbar gewesen wäre. Die Dritten Programmen seien nicht gleichwertige nationale Abspielstätte, sondern eher „Ort des Strittigen, dessen, was Mehr- oder Minderheiten der Sender dem Publikum eben nicht auf dem Hauptteller präsentieren wollen.“ Wie der Filmkritiker Manfred Delling während der Mainzer Tage der Fernsehkritik bewertet Uwe Kammann die Frage, ob Der Prozeß im Ersten gezeigt wird, als eine moralische. „Wenn eine solche ... überfällige Programmänderung nicht mehr möglich ist, hat das öffentlich-rechtliche System einen Teil seines Legitimationsvorsprungs gegenüber privater Konkurrenz ver- wirkt.“774 Allerdings gibt es auch andere Stimmen, die in der Ausstrahlung in den Dritten Programmen kein Problem sehen, und die eher den Aufschrei der Entrüstung kritikwürdig finden. Zu ihnen zählt Gerhard Mauz im Spie- gel. Die Überschrift seines Beitrags stellt Fechners Vorwurf der öffent- lich-rechtlichen Zensur in Frage.775 Mauz beginnt mit einer Kindheits- erinnerung: „Man hatte etwas getan, was man nicht hätte tun dürfen, doch da war nun die nicht zu erfüllende Erwartung des Satzes: ‚Schämst Du Dich nicht?!‘.“ Diesen Zwang, Scham zu empfinden, spürt er und spürten andere auch im Zusammenhang mit Fechners Film Der Prozeß. „Es mag mancher nur deshalb nicht begreifen, weil eine bestimmte persönliche Reaktion von ihm erwartet wird, weil man ihn ‚Schämst Du Dich nicht?!‘ anschreit, weil ihn der Dünkel derer, die nicht vergessen haben, ekelt.“ Mauz benutzt den Begriff „Gleichschaltung“, um Fechners Bemühungen zu diskreditieren, wenn schon nicht im Ersten, die drei Teile des Prozesses zur gleichen Zeit in den Dritten Programmen zu senden. „In der Verstörung und Empörung über die Plazierung des Majdanek-Films in den Dritten Programmen und darüber, daß er an diesem – angeblich minderen – Ort nicht einmal gleichgeschaltet gesen- det wird, steckt ein Anspruch der fürchten macht; steckt ‚Hitler in uns selbst‘.“ Mauz meint, daß die Anerkennung der Schuld der Deutschen nicht mit Gewalt durchgesetzt werden könne, „...auch nicht mit dem Gewaltakt, daß an drei Abenden auf den Bildschirmen der Bundesrepu- blik nichts anderes als der Majdanek-Film zu sehen ist. Gemein- 773 Ebenda. 774 Ebenda. 775 Vgl. Mauz, Gerhard: Ein Fall von öffentlich-rechtlicher Zensur? In: Der Spiegel, Nr. 45 vom 5.11.1984, S. 79-80. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 363 schaftsempfang unter Aufsicht des Blockwarts, damit keiner zu einem Buch oder gar zum Skatspielen entkommt?“ Diesem in seiner Rhetorik sehr zweifelhaften Plädoyer für die Entscheidungsfreiheit eines jeden Fernsehzuschauers folgt eine Inhaltsangabe des Films, die Interesse zu wecken vermag. Mauz schließt seinen Beitrag mit einer höflichen Auf- forderung: „Es ist darum zu bitten, daß sich viele ihm [dem Film] stellen. Die Einschaltquote wird nicht für oder gegen etwas sprechen. Es gibt keine Reaktion auf das Angebot dieses Films, die erwartet oder gefordert werden darf.“776 In einem Nachtrag zu den Mainzer Tagen der Fernsehkritik beschäftigt sich Elmar Hügler mit Fechners Erklärung. Der Regisseur, den Hügler „als Dokumentaristen“ überaus schätzt, habe mit seinem Auftritt dafür gesorgt, „... andere, das Genre tödlich bedrohende Probleme vom Tisch zu halten: Ihm wäre ... vorzuwerfen, daß er dieses nicht erkannte und daß er seine privilegierte Stellung innerhalb der Sparte (keine 45-Minuten- Limitierung bei Produktionen auf Fernsehspielterminen, acht Jahre Drehzeit, 150.000 m Materialverbrauch) wahrscheinlich für üblich hält. ... Was also berechtigt Fechner, sich und seinen Film als Beispiel für die Verelendung der Dokumentation im deutschen Fernsehen anzubie- ten?“777 Hügler hat auch kein Verständnis für die Abwertung der Dritten Programme, da sei Fechners Argumentation „psychologischer Natur“, „... denn die Abspielfläche, des Zuschauers häusliche Mattscheibe, ist schließlich ja die gleiche.“ Wenn denn das 1. Programm für seichte Unterhaltung stünde, müßte Fechner doch geradezu fordern, daß sein Film in den Dritten, wo Bildung eine wichtige Rolle spielt, gezeigt würde. Die Mehrheit der Kritiker steht jedoch hinter Fechner und seiner Erklä- rung. Sie nehmen den Sendeplatzstreit und den Umgang mit einem Film über NS-Verbrechen und deren juristische Ahndung zum Anlaß, grund- sätzlich mit den Institutionen der Bundesrepublik abzurechnen und das geistige Klima nach der Wende von 1982/83 zu beklagen. Klaus Krei- meier ärgert sich über „... mit den berüchtigten Sekundärtugenden von Subalternbeamten ausgestattete, im übrigen gedanken- und empfin- dungslose Technokraten, (die) selbstherrlich darüber befinden, ... daß 776 Ebenda. 777 Hügler, Elmar: „Das Fernsehen tötet den Dokumentarfilm...“. Ein Nachtrag zu den „Mainzer Tagen der Fernsehkritik“. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 14. Jg., H. 12/1984, S. 36-37. Eventuell bedingt durch die Kritik Hüglers setzt sich Fechner einige Zeit später noch einmal grundsätzlich mit der Situation des Fernsehdokumentarismus auseinander und scheut sich nicht, die ARD vor ihren eigenen Programmdirektoren zu warnen. Was diese ihm übelnehmen. Vgl. Fechner, Eberhard: ... den kulturellen Auftrag nicht preisgeben. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fern- sehen, Film, Presse. 15. Jg., H. 6/1985, S. 7-9. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 364 Eberhard Fechners Majdanek-Film Der Prozeß seiner ‚künstlerischen Strenge‘ wegen nicht ins Erste, sondern in die Dritten Programme ‚ein- zuspeisen‘ sei.“ Diese neue Generation von Beamten und Managern setze die Verdrängungsarbeit fort, „...die in unserem Land seit 1945, trotz positiver Gegenströmungen, letztlich die Oberhand behalten hat.“ Als Vertreter dieser „neuen, technokratisch fundierten Arroganz der Macht“ sieht Kreimeier den SDR-Programmdirektor Boelte, der die Programmplazierung des Prozesses als Möglichkeit bezeichnet hat, „neue Sehgewohnheiten auszubilden“. Eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart stellen neben Kreimeier auch andere Kritiker her, so Valentin Polcuch in der Welt: „Um es gleich vorneweg festzuhalten: Der TV-Film von Eberhard Fech- ner betreibt nicht Vergangenheitsbewältigung, sondern handelt von der Gegenwart.“778 Karl-Heinz Janßen spricht von einem „Spiegelbild der bundesrepublikanischen Gesellschaft in den siebziger Jahren“.779 Und Manfred Delling bekräftigt in seinem Beitrag für das Deutsche Allge- meine Sonntagsblatt, daß es hier nicht nur um Programmplanung geht: „In einer Zeit der Verluderung politischer Sitten ist, jenseits aller prag- matischen Beteuerungen, der Sendeplatz für diesen Film vor allem eine moralische Frage.“780 Der Dramatiker George Tabori wünscht, Der Pro- zeß wäre willkommen gewesen „... in dieser unserer schlaftrunkenen Republik. Nach der sogenannten Wende ist im Lande der Ruf nach Ruhe in Puff & Patria laut geworden; in manchen Nächten kann man, wenn man mit dem dritten Ohr hinhört, das gleichförmige Schnarchen der Gerechten vernehmen, die von all den Null-Schock-Programmen ins Vergessen gewiegt werden.“781 Ihm, Tabori, hat Fechners Film den Schlaf geraubt, wofür er dem Regisseur jedoch dankbar ist. Die Alp- träume, die sich nach dem Prozeß einstellten, seien notwendig. „Fechner hat meine schlaflosen Nächte mit seinen lebenden Ikonen bevölkert, er hat auf mein Dach getrommelt wie der Sturm am Freitagabend und hat um Einlaß gebeten. Jetzt leben wir in einer Wohngemeinschaft ... .“782 778 Polcuch, Valentin: Der Rauch schweigt. Eberhard Fechners Majdanek-Film Der Pro- zeß. In: Die Welt vom 23.11.1984, S. 20. 779 Janßen, Karl-Heinz: Über das Böse und das Tugendhafte. „Sie konnten Menschen tot- schlagen – und sie waren ganz normal“. Eberhard Fechners so schrecklicher wie wich- tiger Maidanek-Film. In: Die Zeit, Nr. 47 vom 16.11.1984, S. 57. 780 Delling, Manfred: Für das Gedächtnis der Menschheit. Majdanek – Dokumente eines Todeslagers. Der Platz im Dritten Programm ist ein Skandal. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 18.11.1984, S. 25. 781 Tabori, George: Ein Schulterzucken, ein Lächeln und eine Hand, die zittert. In: Süd- deutsche Zeitung vom 29.11.1984, S. 45. 782 Ebenda. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 365 Wo es um die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit insgesamt geht, kommen die Kritiker noch einmal auf den Erfolg der Serie Holo- caust zu sprechen. Karl-Heinz Janßen berichtet von der Frage eines jun- gen Kollegen: „Soll ich meinen alten Eltern, die schon vor Jahren Holo- caust gesehen haben, auch das noch zumuten?“ Janßens Antwort: „Man soll nicht, man muß, den Alten wie den Jungen.“783 Volker Hage be- schreibt den Unterschied zwischen Holocaust und dem Prozeß. Letzterer dringe tiefer, werde aber nicht ein solches Echo haben wie die US- amerikanische Serie. Das läge daran, daß Der Prozeß „eine Tortur“ sei und keine Katharsis vorsehe. „Denn er gestattet nicht jene Qual des Mitleidens, die auch eine Wohltat, weil Entlastung, ist: Wer den Opfern mit viel Tränen und aufrichtigem Mitgefühl innerlich in den Tod gefolgt ist, darf sich einbilden, ein Teil des Leids gespürt und auf sich genom- men zu haben.“784 Besonders betont wird, daß mit dem Prozeß nun end- lich ein anspruchsvoller deutscher Holocaustfilm vorliegt. Karl-Otto Saur erinnert an die Forderung der Holocaust-Gegner, daß „... erst eine deutsche Aufarbeitung vorliegen müßte, bevor man sich über Pro- grammplätze so erregt streitet.“785 Fechner selbst schließt seine „Erklä- rung“ mit dem Bericht darüber, welches Erstaunen sein Film bei hollän- dischen Kollegen hervorgerufen hat. Daß ein Deutscher einen solchen Film macht, damit hätten sie nicht mehr gerechnet. Die Ausstrahlung im 1. Deutschen Fernsehprogramm zu verhindern, passe freilich wieder ins Bild.786 Mitte November 1984, als Fechners Niederlage im Kampf um einen bes- seren Sendeplatz für seinen Film absehbar ist, widmen sich die Kritiker stärker inhaltlichen Fragen, erklären Fechners Arbeitsweise, diskutieren seine Interview- und Montagetechnik und fragen nach der Wirkung des Prozesses auf die Zuschauer. Insgesamt sind die Kritiken lobend, zum Teil überschwenglich, doch gibt es vereinzelt auch Nachfragen und Ab- lehnung. So kritisiert Wilhelm Roth die starre Kamera und die „flache Fernsehbeleuchtung“ und bezeichnet den Prozeß abschätzig als einen „Film der sprechenden Köpfe“: „Da aber die Gespräche intelligent inein- andergeschnitten sind, die Meinungen über das Verfahren hart aufeinan- derprallen (vor allem zu Beginn des 1. Teils und im ganzen 3. Teil), 783 Janßen, Karl-Heinz: Über das Böse und das Tugendhafte. A.a.O. 784 Hage, Volker: Ich war es. War ich es? Eberhard Fechners Film zu den Verbrechen in Majdanek. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.11.1984, S. 25. 785 Saur, Karl-Otto: Die Kapitulation vor dem Wagnis „Majdanek“. Die Programm-Placie- rung von Eberhard Fechners Dokumentation des NS-Prozesses hat eine Kontroverse ausgelöst. In: Süddeutsche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. 786 Vgl. Fechner, Eberhard: „Den Bürger endgültig zum Konsumenten erniedrigt?“ In: Süddeutsche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. Auch in: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 14. Jg., H. 11/1984, S. 27. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 366 bekommt das abgenutzte Verfahren hier eine ungewohnte Intensität.“787 „Angemessen sperrig“ und „zäh zeitlos“ erscheint Der Prozeß Peter Kurath. Der Zuschauer müsse geduldig sein, denn es gäbe „...keine publikumsfreundlichen Auflockerungen, keine plumpe Anbiederung, keine versöhnlichen Rührseligkeiten, aber auch keine rational-verdau- bare Handreichungen.“ Stattdessen nur „spröde Beklemmung“.788 Aus der Sicht des Zuschauers beurteilt auch Karl-Heinz Janßen Fechners Verfahren. Der Regisseur zwinge Rollen auf: „... die des gespannt lau- schenden Schülers, des entsetzt begreifenden Augenzeugen, des Beicht- vaters und Seelenarztes, bald auch die des Prozeßbeteiligten.“789 Der Prozeß ist kein objektiver Dokumentarfilm, jedenfalls sieht sich Fechner weder in der Rolle des neutralen Vermittlers noch in der des Richters. In Interviews und dem Begleitmaterial des NDR zitiert er Anton Čechov: „Der Künstler soll nicht Richter seiner Personen sein, sondern nur ein leidenschaftsloser Zeuge. Beurteilen werden es die Geschworenen, das heißt die Leser. Meine Sache ist nur, die Fähigkeit zu besitzen, die wichtigen Äußerungen von den unwichtigen zu unter- scheiden und sie in Beziehung zueinander zu setzen.“790 Fechner schlägt vor, das Wort „Leser“ durch „Zuschauer“ zu ersetzen, um zu verstehen, welche Art Filme er macht. Statt von Dokumentarfilmen spricht er von Erzählfilmen. Der Oral History und der Geschichtsschreibung von unten fühlt sich Fechner verbunden. Ihn interessiert, wie Menschen Geschichte subjektiv erlebt haben; wie sie tatsächlich gewesen ist, lasse sich, wenn überhaupt, nur unter Berücksichtigung vieler verschiedener Erlebnisse rekonstruie- ren. „Jede Sache hat doch vier Seiten, nicht nur eine. Schon dadurch, daß ich mich entscheide, die Kamera in eine Richtung zu halten, treffe ich eine bestimmte Auswahl. Ich versuche, diese vier Seiten dadurch darzu- stellen, daß ich die Aussagen von Menschen, die ich zu gleichen Dingen befragt habe, so aneinandersetze, daß ein mehrschichtiges Bild ent- 787 Roth, Wilhelm: Der Prozeß. In: epd Film. Zeitschrift des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik. 1. Jg., H. 11/1984, S. 40. 788 Kurath, Peter: „Was sind wir eigentlich für Menschen?“ Zu Eberhard Fechners Doku- mentation Der Prozeß – Eine Pflicht-Zumutung. In: Funk-Korrespondenz Nr. 44 vom 2.11.1984, S. P4-P6. 789 Janßen, Karl-Heinz: Über das Böse und das Tugendhafte. „Sie konnten Menschen tot- schlagen – und sie waren ganz normal“. Eberhard Fechners so schrecklicher wie wich- tiger Maidanek-Film. In: Die Zeit, Nr. 47 vom 16.11.1984, S. 57. 790 Der Prozeß. Eine Darstellung des sogenannten „Majdanek-Verfahrens“ gegen Angehö- rige des Konzentrationslagers, Lublin/Majdanek in Düsseldorf von 1975 bis 1981 von Eberhard Fechner. Hrsg. vom Norddeutscher Rundfunk, Pressestelle Programm. Hamburg, S. 8. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 367 steht.791 Objektivität ist laut Fechner letztlich nicht zu erreichen, doch setzt er auf eine Annäherung an die Realität durch Intersubjektivität: „Denn, was auch immer der einzelne in den Details subjektiv sieht – die Summe dieser Subjektivitäten und Erfahrungen ergibt dann doch ein komplexes Bild. Eine, soweit Film überhaupt eine Annäherung bieten kann, eine extreme Annäherung an die Realität.“792 Fechner erreicht in Der Prozeß diese extreme Annäherung an die Reali- tät des Lagers und der Jahrzehnte später stattfindenden juristischen Auf- arbeitung, indem er über siebzig Personen befragt, die in unterschied- licher Weise an den Ereignissen bis 1944 oder am Prozeß beteiligt gewe- sen sind. Er spricht auch mit den Tätern. Daß er ihnen Gelegenheit gibt, sich zu äußern, bewerten die Kritiker unterschiedlich. Die Rezensenten beobachten, daß Fechner es vermeidet, „... die Mörder von Majdanek zu dämonisieren“793, und daß er „... nicht zur Beruhigung der Zuschauer die Angeklagten zu Monstren auf(putscht).“794 Doch ist niemand der Auf- fassung, daß der Regisseur die Täter zu viel hat reden lassen, oder daß ein kritischer Kommentar ihre Aussagen hätte korrigieren müssen795, obgleich Wilhelm Roth fragt: „Steht hinter diesem Verfahren, das Fech- ner auch schon bei früheren Filmen angewendet hat, eine These? Etwas diese: Alle, die in Majdanek waren, waren Opfer, die Wärter ebenso wie die Häftlinge?“796 Roth beantwortet diese Frage zunächst nicht, konze- diert aber, daß die Stärke des Films in den Irritationen liegt, die die „Normalität“ der Täter hervorruft. Schließlich stellt er klar, daß Fechners Film insgesamt „nicht standpunktlos“ ist. Bedenken gegenüber dem Umgang mit den Tätern formuliert außer Wilhelm Roth Karl-Heinz Janßen in der Zeit. Fechners „Geschichts- unterricht“, seine „Gegenwartsbeschreibung“ blieben „... unzulänglich, 791 Seegers, Armgard: Blick ins Gestern. Ein Fernseh-Regisseur, der mit schwierigen Stoffen ein großes Publikum anzieht. In: Die Zeit, Nr. 48 vom 23.11.1984, S. 89. 792 Fechner, Eberhard, zit. nach Striebeck, Heiner: Eine extreme Annäherung an die Reali- tät. Gespräch mit Eberhard Fechner über die filmische Aufarbeitung des Majdanek- Prozesses. In: Süddeutsche Zeitung vom 31.7.1981, S. 51. 793 Thieringer, Thomas: Alle Facetten des Verbrechens ausgeleuchtet. In: Süddeutsche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. 794 Kurath, Peter: „Was sind wir eigentlich für Menschen?“ Zu Eberhard Fechners Doku- mentation Der Prozeß – Eine Pflicht-Zumutung. In: Funk-Korrespondenz Nr. 44 vom 2.11.1984, S. P4-P6. 795 Das ist bei den frühen Filmen Fechners gefordert worden. Eckart Kroneberg geht in seiner Kritik zu Klassenphoto sogar so weit zu behaupten, „... daß ein Bewußtseins- unterschied zwischen Filmer und Gefilmten nicht besteht“ und die „...gerühmte Objek- tivität nun in zweifelhaftem Licht“ erscheint. Vgl. Eckart Kroneberg. In: epd/Kirche und Fernsehen, Nr. 3 vom 23.1.1971, S. 3-5. 796 Roth, Wilhelm: Der Prozeß. In: epd Film. Zeitschrift des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik. 1. Jg., H. 11/1984, S. 40. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 368 weil eine Seite des Geschehens ausgeblendet wird, die Motive nicht aus- gelotet sind. So stellt sich, von ihm vielleicht gar nicht gewollt, Ver- ständnis für die Angeklagten ein, für die Umstände, unter denen Men- schen in Situationen hineinwachsen können, wo sie ihr Gewissen abtöten müssen, um das unmenschliche Handwerk ausüben zu können, das man ihnen abfordert.“797 Unzufrieden ist Janßen auch mit dem von Heiner Lichtenstein gesprochenen Schlußwort, das nicht mehr als ein „Wehret den Anfängen!“ enthalte. Es klinge „banal“ und sei „zu wenig ... nach einem Film, der uns so betroffen zurückläßt.“798 Daß Fechner sich als Interviewer nicht in den Vordergrund drängt, son- dern vielmehr bemüht ist, auch von den Tätern etwas zu hören, rechnet ihm Georg Hartwanger hoch an: „Es gibt jedoch in letzter Zeit wieder eine Vielzahl von Filmen, die gerade dies [daß die Täter reden können] durch selbstgerechte Vernehmerposen einschränken oder nahezu verhin- dern.“ Als Beispiele nennt der Kritiker Paul Karalus‘ und Lea Roshs Filme. „ ... schon der empört forsche Ton der Autorin, mit dem sie sogar uninformierte Nachbarn von ehemaligen SS-Leuten anfährt, wenn sie nicht gleich ihre Meinung annehmen, (ist) weder der Recherche, noch der Überzeugungskraft – insbesondere gegenüber jugendlichen Zu- schauern - dienlich.“799 Ein solches Auftreten der Interviewer könne Mitleid und Sympathien mit den NS-Tätern wecken. Die Rezensenten fragen nach der Überwindung, die es Fechner gekostet haben wird, mit den Tätern eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre aufzubauen. Peter Lilienthal bewundert Fechner für sein Durchhaltever- mögen: „Den Mördern von Majdanek in die Augen zu schauen, an irgendeine Art Vielfalt von Schöpfung zu glauben, die auch noch das Monströse erklärt, muß für ihn eine übermenschliche Anstrengung gewesen sein. Ich wäre jede Sekunde hinter der Kamera fluchend her- vorgelaufen.“800 Armgard Seegers berichtet, daß der Regisseur es als einziger in seinem Team geschafft habe, „im Dienst der Sache“ den Verbrechern von Majdanek die Hand zu geben. Erst hinterher sei er „explodiert“.801 Ingrid Müller–Münch, die sich ebenso wundert, wie 797 Janßen, Karl-Heinz: Über das Böse und das Tugendhafte. „Sie konnten Menschen tot- schlagen – und sie waren ganz normal“. Eberhard Fechners so schrecklicher wie wich- tiger Maidanek-Film. In: Die Zeit, Nr. 47 vom 16.11.1984, S. 57. 798 Ebenda. 799 Hartwanger, Georg: „Wenn man ihnen befohlen hätte, gut zu sein?“ In: Medien und Erziehung. 29. Jg., H. 2/1985, S. 95. 800 Lilienthal, Peter: Eine Flaschenpost, die der Suche nach dem anderen galt. Peter Lilienthal erinnert sich an seinen Freund Eberhard Fechner und dessen Arbeit. In: Süd- deutsche Zeitung vom 10.8.1992, S. 10. 801 Seegers, Armgard: Blick ins Gestern. Ein Fernseh-Regisseur, der mit schwierigen Stoffen ein großes Publikum anzieht. In: Die Zeit, Nr. 48 vom 23.11.1984, S. 89. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 369 Fechner den Kontakt mit den Altnazis ertragen konnte, konstatiert: „Er hat ihn jedenfalls hergestellt. Und das ist gut so.“ Die Kritiker, insbeson- dere die Kritikerinnen Seegers, Müller-Münch, Kardorff, zitieren aus- führlich Aussagen der Angeklagten und teilen somit Fechners Auffas- sung, die Täter entlarvten sich selbst. Sie finden es richtig und wichtig, daß der Regisseur die Täter zum Reden gebracht hat, zumal diese wäh- rend des Prozesses auf Anraten ihrer Verteidiger geschwiegen haben. Volker Hage erstaunt die plötzliche Offenheit: „Vor dem großen Publi- kum löst sich die Zunge. Warum? Was geht da vor? Zu vermuten ist, daß die Betroffenen wenn schon nicht von ihren Richtern, so doch von den Zuschauern Verständnis erhoffen.“802 Hage mutmaßt, daß die Ange- klagten viel weniger als das Gericht das Fernsehen als Instanz anerken- nen. Aus den Rezensionen spricht Mitgefühl für die Opfer. Ihre Statements werden häufig zitiert. Überwiegend beschäftigen sich die Kritiker jedoch mit den Tätern und fragen, was sie für Menschen sind. „Personen, bis zum Kragen zugeschüttet mit Banalität und Kleinkrämerei, Selbstmitleid und Selbstbetrug“803, sieht Ingrid Müller-Münch. Viele Kritiker stellen eine Verbindung her zwischen Hannah Arendts Bericht Eichmann in Jerusalem und Fechners Film Der Prozeß. Arendt hat in ihrer Reportage den Begriff von der „Banalität des Bösen“ geprägt und damit gemeint, daß die Mörder in vieler Hinsicht „schrecklich normal“ gewesen sind. Sie als Bestien zu bezeichnen, die Unbegreifliches getan haben, sei zwar entlastend, beschreibe die Täter jedoch nur unzureichend. Arendts Bericht ist für Fechner ein Schlüsseltext, der die Erkenntnis nahelegt, daß „die Mörder Menschen wie wir sind“804, so der Regisseur. Diese Erkenntnis verstört und provoziert. George Tabori stellt fest: „Die Mörder sind nicht unter uns, sondern in uns.“805 Ursula von Kardorff spricht vom „Doktor-Jekyll–und-Mister-Hyde-Effekt“: „Eben noch ziviler Mensch, dann Bestie, dann wieder zivil und brav.“ Klaus Krei- meier schreckt das Normale, Alltägliche, Ununterscheidbare: „Die Mör- der werden nicht etwa ‚sympathisch‘, und die Leiden ihrer Opfer werden nicht ‚entwertet‘. Aber aus den Gesichtern der einen wie der anderen 802 Hage, Volker: Ich war es. War ich es? Eberhard Fechners Film zu den Verbrechen in Majdanek. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.11.1984, S. 25. 803 Müller-Münch, Ingrid: Facetten des Grauens. Zur Ausstrahlung des Films Der Prozeß von Eberhard Fechner in den dritten Programmen. In: Frankfurter Rundschau vom 16.11.1984, S. 27. 804 Fechner, Eberhard, zit. nach Delling, Manfred: Für das Gedächtnis der Menschheit. Majdanek – Dokumente eines Todeslagers. Der Platz im Dritten Programm ist ein Skandal. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 18.11.1984, S. 25. 805 Tabori, George: Ein Schulterzucken, ein Lächeln und eine Hand, die zittert. In: Süd- deutsche Zeitung vom 29.11.1984, S. 45. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 370 blickt uns zuallererst der Alltag, unser heutiger Alltag, an: Unvorstell- bare Verbrechen werden von ihm zugedeckt. Lebensgewohnheiten, Redewendungen, Kleidung, Verhaltensweisen geben keine Auskunft darüber, welcher Seite sie angehören.“806 Volker Hage zitiert einen Überlebenden: „Das war schrecklich, daß sie normal waren. Ich kann verstehen, daß einer einen totschlägt, wenn er verrückt ist. Aber sie waren normal dabei. Das kann ich bis heute nicht verstehen.“807 Für Fechner ist Arendts Bericht wie gesagt ein Schlüsseltext. Sie, die emigrierte Philosophin, sei im Gegensatz zu den Historikern, die Ereig- nisse nachzeichnen, „... eine der wenigen, die sich damit auseinander- setzen, warum es passiert ist.“ Fechner interessieren Beweggründe: was bringt Menschen dazu, andere zu ermorden? Wie können Mörder mit sich selbst im Reinen sein? Was ist normal? Der Regisseur ist erstaunt, wieviel Neues auch ein gutinformierter Mensch erfahren kann. Er will Gewißheiten erschüttern, will die Zuschauer zu der Frage verleiten, wie sie selbst sich verhalten, wie weit sie mitgemacht und wann sie „Nein!“ gesagt hätten. Georg Hartwanger erklärt Fechners Verfahren und Absicht treffend: „Hier wird also nicht auf eine schnelle und oberflächliche Soli- darität abgezielt, die einen animiert, in die entlastende Rolle des Richters oder Rächers zu schlüpfen, sondern auf Konzentration, die einen auffor- dert, einen Standpunkt des genauen Beobachters, des Zweiflers einzu- nehmen, bis man sich schließlich sogar selbst mit seiner satten anti- faschistischen Integrität (Statement aus der Diskussion mit Fechner im Forum) in frage zu stellen bereit ist.“808 Offensichtlich sind jedoch nicht viele dazu bereit. Denjenigen, denen die Frage nach der eigenen Ver- führbarkeit „noch immer provozierend oder gar ... absurd“ vorkommt, hält Manfred Delling entgegen, daß sie „das eigentlich Verheerende des Nationalsozialismus weiter verleugnen“ wollen. 809 Leugnend oder rela- tivierend wirken kann natürlich auch eine Aussage, die die eigene Ver- führbarkeit betont. Die Frage, „wie hätte ich mich verhalten?“, stellt sich der Zuschauer ständig während des Prozesses. Manche Kritiker leiten daraus ab, daß der Film insbesondere für nachwachsende Generationen geeignet ist. Für 806 Kreimeier, Klaus: Im Lapidaren das Abgründige. Eberhard Fechners Fernsehfilm über den Majdanek-Prozeß. In: Frankfurter Rundschau vom 24.11.1984, S. ZB 2. 807 Hage, Volker: Ich war es. War ich es? Eberhard Fechners Film zu den Verbrechen in Majdanek. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.11.1984, S. 25. 808 Hartwanger, Georg: „Wenn man ihnen befohlen hätte, gut zu sein?“ In: Medien und Erziehung. 29. Jg., H. 2/1985, S. 94. 809 Delling, Manfred: Für das Gedächtnis der Menschheit. Majdanek – Dokumente eines Todeslagers. Der Platz im Dritten Programm ist ein Skandal. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 18.11.1984, S. 25. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 371 „die Jugend“, so Karl-Heinz Janßen, sei Fechners Film „ ... ein Anschauungsunterricht, aus welchem Holze Staaten ihre Folterknechte schnitzen, welch triebhaften Versuchungen Menschen ausgesetzt sind, denen man in ihrer Abhängigkeit einen Knüppel, ein Schießeisen, eine Gasspritze in die Hand drückt.“810 Doch eben nicht nur junge Leute sollten den Film sehen. Janßen spricht sich in derselben Kritik dafür aus, auch den Älteren nach Holocaust den Prozeß zuzumuten. Bis auf Gerhard Mauz teilen alle Rezensenten die Auffassung, daß man Fech- ners Film sehen müsse, wenn sie auch befürchten, der Film werde wieder nur die wenigen erreichen, die sich sowieso für die Thematik interessie- ren. 810 Janßen, Karl-Heinz: Über das Böse und das Tugendhafte. „Sie konnten Menschen tot- schlagen – und sie waren ganz normal“. Eberhard Fechners so schrecklicher wie wich- tiger Maidanek-Film. In: Die Zeit, Nr. 47 vom 16.11.1984, S. 57. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 372 II.7.6. Der Prozeß und das Gesamtwerk Eberhard Fechners Filmographie Eberhard Fechners 1967 Vier Stunden von Elbe 1 1968 Damenquartett 1969 Der Versager 1969 Nachrede auf Klara Heydebreck 1969 Gezeiten 1969/70 Klassenphoto 1970/71 Frankfurter Gold 1971 Geheimagenten 1973 Aus nichtigem Anlaß 1973/74 Unter Denkmalschutz - Erinnerungen aus einem Frankfurter Bürgerhaus 1974 Tadellöser & Wolff 1975 Lebensdaten 1975/76 Die Comedian Harmonists 1977 Winterspelt 1978/79 Ein Kapitel für sich 1983/84 Im Damenstift 1976- 1984 Der Prozeß 1987/88 La Paloma 1991 Wolfskinder Villa Grunewald (nicht vollendet) Als Eberhard Fechner mit der Arbeit an Der Prozeß beginnt, ist er schon ein angesehener Fernsehregisseur. Der Film über Die Comedian Harmo- nists und die Kempowski-Verfilmung Tadellöser & Wolff haben den Filmemacher einem breiten Publikum bekannt gemacht. Trotz aller Zu- fälle, die ihn einen Stoff aufgreifen lassen, sieht er den Zusammenhang zwischen seinen Filmen: „In den letzten sechzehn Jahren, von 1973 an, hab ich keinen Film mehr gemacht, der nicht in irgendeiner Beziehung zu allen anderen steht. Das heißt, ich habe mich für ein Thema, für ein Projekt erst dann entschieden, wenn ich mir klar darüber wurde, daß es als Ergänzung, als Pendant, als Gegensatz, als Widerspruch zu dem bis- her Gemachten taugt. Ich entscheide mich für einen Stoff immer unter Berücksichtigung dessen, was ich bisher gemacht habe. Wie immer es auch andere sehen mögen, für mich bringt es eine kontinuierliche Be- reicherung, Erweiterung und Vertiefung. Das berühmte Beispiel eines II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 373 Autors, der eine Reihe von Büchern geschrieben hat, die alle miteinander zusammenhängen, ist Balzac mit seiner Menschlichen Komödie. Damit vergleiche ich mich nicht. Vergleichbar ist nur die Absicht. Die Filme sind jeder einzeln für sich zu betrachten und zu bewerten, sie sind aber auch in einem größeren Zusammenhang von mir gedacht.“811 Das Verbindende zwischen Fechners Filmen ist, daß sie Menschen ver- schiedener Klassen, Schichten und Generationen in den Mittelpunkt stellen, Männer und Frauen, Opfer, Täter, Mitläufer. Zusammen ergeben die Filme eine Chronik des 20. Jahrhunderts, eine sehr deutsche Chronik, denn Fechner macht Filme über Orte, Menschen und Ereignisse, die ihm nicht fremd sind. Vielleicht kann man sogar sagen: zu denen er einen persönlichen Zugang findet. Während der Arbeit am Prozeß verfolgt Fechner auch andere Projekte. Es entstehen zwischen 1976 und 1984 Winterspelt nach Alfred Andersch, die Kempowski-Fortsetzung Ein Kapitel für sich und der Gesprächsfilm Im Damenstift. Der Prozeß freilich ist Fechners wichtig- ster Film, das betont er immer wieder. Dieses Unternehmen hat ihn Kraft gekostet. Fechner ist herzkrank. Die Verfilmung von Ralph Giordanos Die Bertinis kann er nicht zu Ende bringen, er muß das Projekt an Egon Monk abtreten. Der hat eigene Vorstellungen von der Umsetzung des Werks, was die Freundschaft zwischen Fechner und seinem alten Förde- rer Monk belastet. Nach dem Matrosen-Film La Paloma plant Fechner, Brechts Ballade „Kinderkreuzzug 1939“ zu verfilmen. Es soll ein Kinospielfilm unter Beteiligung der DEFA und der Moskauer Gorkij- Studios werden, ein Film „... nur mit Kindern und aus Dialogen“, so Fechner, und um zu zeigen, „... daß die Hauptopfer in den Kriegen unse- res Jahrhunderts die Kinder sind.“ Nach dem Fall der Mauer muß das Projekt jedoch verschoben werden, Wolfskinder stellt eine Art Ersatz dar, so der Regisseur im Interview.812 Dieser letzte Film Fechners ist mit sechseinhalb Millionen Zuschauern überaus erfolgreich. Zu seinem 60. Geburtstag erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel von Franz Josef Görtz, in dem der Regisseur als Künstler, Historiker, gar als Poet gelobt wird. Görtz zitiert aus einer früheren Rezension von Michael Schwarze: „Seine Arbeiten bestimmen eine Kontinuität und stilistische Geschlossenheit, die in dem öffentlich-rechtlich verfaßten Fernsehen wohl einzigartig ist. Erfolgreich hat er den Nivellierungs- 811 Netenjakob, Egon: Eberhard Fechner. Lebensläufe dieses Jahrhunderts im Film. Wein- heim, Berlin, 1989, S. 98. 812 Vgl. Fechner, Eberhard, zit. nach „Zieh dir die Schuhe aus, wenn du am Fluß bist.“ Der ständige Kampf um Qualität im Massenmedium - Eberhard Fechner wird 65. Gespräch zwischen Roland Timm und Eberhard Fechner. In: Süddeutsche Zeitung vom 21.10.1991, S. 36. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 374 tendenzen dieses Mediums opponiert, ist nicht zum bequemen Routinier geworden, sondern hat seine künstlerische Individualität behauptet. Er ist der beste Fernsehregisseur in Deutschland.“813 Fechner trägt dazu bei, dem Medium Fernsehen künstlerische Reputation zu verschaffen. Seine Filme werden allgemein gelobt und erreichen nicht nur eine intellektuelle Minderheit. Fechner gehört zu den wenigen Fern- sehschaffenden, die in den PEN-Club gewählt worden sind. Statt mit dem Stift macht er sich Notizen mit der Kamera, statt am Schreibtisch entsteht das Werk am Schneidetisch. Wenn auch wie Fechner betont Der Prozeß nur halb so viel gekostet hat wie ein Tatort, erscheint seine Arbeitsweise in Zeiten des Dualen Rundfunks langwierig, kostspielig, überholt. Sein Ansehen sichert Fechner noch gewisse Spielräume, den- noch wird es zunehmend schwieriger Projekte zu realisieren. Der Regis- seur spart nicht mit Kritik gerade auch am öffentlich-rechtlichen Rund- funk. Als Vizepräsident der Abteilung Film und Medienkunst an der Berliner Akademie der Künste setzt er sich zugleich ein für die Grün- dung der Deutschen Mediathek, eine Art Fernsehmuseum, um TV- Produktionen nicht länger in den Archiven der Sender verstauben zu lassen, sondern sie zugänglich zu machen. Den Spielfilm Villa Grunewald kann Eberhard Fechner nicht beenden. Er stirbt 65-jährig am 6.8.1992. Manfred Delling stellt fest: „Kurios genug, die Bild-Zeitung widmete ihm einen zwar fehlerreichen, aber län- geren Nachruf als der Spiegel.“814 Dort erscheinen nur einige Zeilen unter „Personalien“. Der NDR sendet eine Dokumentation über Fechner mit dem Titel Chronist des einzigartigen Normalen und wiederholt Klassenphoto, der WDR Nachrede auf Klara Heydebreck. In den über- regionalen Meinungsführermedien erscheinen längere Nachrufe. Patrick Bahners erinnert an den Regisseur in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Knut Hickethier in der taz, Manfred Delling im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt, Peter Lilienthal in der Süddeutschen Zeitung. In den Nachrufen zeigen sich die Kritiker besorgt, daß mit dem Tod Fechners die Qualität öffentlich-rechtlicher Programme leiden wird. Wie er kann kaum jemand Information und Unterhaltung verbinden. Klaus Kreimeier faßt das Widersprüchliche an Fechner und seinen Filmen zusammen: „Eine ingeniöse, in Deutschland seltene Mischung aus Prote- stantismus und Sinnenfreude, Aufklärungsoptimismus und tiefer Skep- 813 Schwarze, Michael, zit. nach Görtz, Franz Josef: ... und ein Poet dazu. Zum sechzigsten Geburtstag des Regisseurs Eberhard Fechner. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.10.1986, S. 27. 814 Delling, Manfred: Ein Stiller, der Furore machte. Eberhard Fechner ließ gewöhnliche Zeitgenossen die Geschichte des Jahrhunderts erzählen. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 33 vom 14.8.1992, S. 27. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 375 sis, detektivischer Genauigkeit und Lust am Spektakel und am Speku- lieren prägt Fechners Werk.“815 II.7.7. Resümee Der Streit um den Sendeplatz ist eine erste Auseinandersetzung im Schatten der sich abzeichnenden Konkurrenz zwischen öffentlich-recht- lichen und privat-kommerziellen Sendern. Den Hinweis auf die neue Konkurrenz geben sowohl diejenigen, die für die Ausstrahlung in den Dritten Programmen sind, als auch die, die dagegen sind. Meinen die einen, man dürfe das Publikum mit Filmen wie Der Prozeß nicht be- lasten, meinen die anderen, daß gerade angesichts des Angebots der privat-kommerziellen der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Pro- grammauftrag zu erfüllen und Minderheitenprogramme zu senden hat. Das unentschlossene Taktieren innerhalb der ARD und Fechners öffent- liche Reaktion darauf führen zu einer verstärkten Presseberichterstat- tung. Der Sendeplatzstreit als Auftakt der publizistischen Kontroverse über Fechners Film macht das Publikum auf den Prozeß aufmerksam. Doch ist die Aufgeregtheit längst nicht so groß wie 1978/79, als über die Ausstrahlung der US-amerikanischen Serie Holocaust in den Dritten Programmen debattiert worden ist. Daß nun endlich ein dem Thema an- gemessener, künstlerisch anspruchsvoller Film vorliegt, zudem von einem deutschen Regisseur, heben die Kritiker hervor. Zugleich sehen sie in der Ernsthaftigkeit und Länge des Films Gründe für die geringe Resonanz beim Publikum. Dennoch fordern sie auf, den Prozeß anzu- schauen. Für die meisten handelt es sich hierbei um eine Frage der Moral. Wer sich dem Prozeß entzieht, gilt als potentieller Verdränger. So findet in den Kritiken häufig eine Gleichsetzung des Prozesses in Düsseldorf mit dem Film Der Prozeß statt. Vergangenheit und Gegen- wart gehen nicht nur im Film ineinander über. Auch in den Rezensionen spielen - gerade nach dem Regierungswechsel und der Ankündigung einer „geistig-moralischen Wende“ - „die Kontinuitäten“ eine wichtige Rolle. Es schwingt der Vorwurf mit, „an den Schalthebeln der Macht“, im Justizapparat, aber auch in den Medien, säßen Typen, die, solange es ihnen nützt, jeden Staat mittragen, egal ob Rechtsstaat oder Diktatur. Kritiken wie die von Kreimeier, Polcuch, Delling und Tabori durchzieht die Frage: „Sind wir schon wieder so weit ... ?“. 815 Kreimeier, Klaus: Filmische Erzählungen. Zum Tod von Eberhard Fechner. In: Frank- furter Rundschau vom 10.8.1992, S. 9. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 376 Die grundsätzliche Debatte über Erfolg oder Mißerfolg der „Vergangen- heitsbewältigung“ überlagert zum Teil die filmästhetische Debatte. Mehr noch als mit Fechners Gesprächsführung und Montagetechnik befassen sich die Kritiker mit den Angeklagten. An ihrer Schuld besteht kein Zweifel: „Indem sie sich selber als Einzelpersonen verteidigen, die persönliche Beteiligung an den jeweiligen Mordtaten leugnen, bestätigen sie zugleich als die Experten, die sie ja sind, mit präzisen Details, die fürchterlichsten Vorgänge.“816 Die Berichte der Täter über ihren beruf- lichen Werdegang und ihr Leben nach Dienstschluß finden die Kritiker überaus aufschlußreich. Daß Fechner auch danach fragt, liegt nahe. Schon in Ein Tag sehen wir die KZ-Schergen abends als ganz normale Menschen im Restaurant speisen. Und so fragen sich die Rezensenten wie von Fechner intendiert, „was sind wir eigentlich für Menschen?“817 Auch die „Banalität des Bösen“ erklärt nicht wirklich, wie ganz normale Menschen zu Massenmördern werden. Laut Klaus Kreimeier spricht es nicht gegen den Film, daß auch er letztlich diese Frage nicht beantworten kann. 818 Fechners Interview- und Montagetechnik stoßen allgemein auf Zustim- mung, weil der ehemalige Schauspieler Fechner durch seine Art der Gesprächsführung, vor allem durch intensives Zuhören, Menschen zum Reden ermuntert. Das gilt für alle Befragten, Opfer wie Täter. Wie sehr Fechner dann durch die Auswahl und Montage der Interviews Interpre- tationen vorgibt, ist umstritten. Daß überhaupt den Tätern Gelegenheit gegeben wird, sich ausführlich zu äußern, sehen diejenigen mit Unbe- hagen, die befürchten, die Zuschauer seien kaum zu kritischer Distanz fähig. Die Mehrheit der Rezensenten nimmt aber wie Fechner an, daß sich die Täter redend selbst entlarven und sich die Zuschauer ganz über- wiegend nicht mit ihnen identifizieren. Zudem bleiben die Aussagen der Täter nie unkommentiert stehen, gegenübergestellt werden ihnen die der Opfer und anderer Prozeßbeteiligter sowie Fotos und Dokumente. Was für eine Art Film Der Prozeß ist, spielt anders als bei Fechners ersten Werken keine große Rolle mehr. Nach Klassenphoto (1970) hat man ihm noch Standpunktlosigkeit und mangelndes politisches Bewußt- sein vorgeworfen. Auf die Bezeichnung Dokumentarfilm verzichten die 816 Netenjakob, Egon: Die Normalität und ihr Bezugspunkt. Zu Eberhard Fechners Der Prozeß. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 14 Jg., H. 12/1984, S. 38-39. 817 Fechner, Eberhard, zit. nach Kammann, Uwe: Programm als Anspruch. Die Plazierung von Fechners „Majdanek“-Trilogie. In: epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 86 vom 31.10.1984, S. 3-5. 818 Vgl. Kreimeier, Klaus: Filmische Erzählungen. Zum Tod von Eberhard Fechner. In: Frankfurter Rundschau vom 10.8.1992, S. 9. II.7. Der Prozeß (Bundesrepublik Deutschland 1984) 377 Kritiker nun und halten sich stattdessen lieber an die Aussagen des Regisseurs zu seiner Methode. Daß aber „...die größte Subjektivität die größte Objektivität verspreche“, hätten die Kritikerkollegen doch immer „mit einer gewissen Ratlosigkeit registriert“ 819, berichtet Patrick Bah- ners. Eindeutigkeit, vor allem wenn es um politische Urteile geht, er- leichtert den Journalisten die Kritik. Beim Prozeß scheint diese Eindeu- tigkeit gegeben, wenn auch Fechner im Interview die Frage, ob er durch den Film ein anderer geworden sei, eher zweideutig beantwortet: „Nein! – Nur: Was sich in mir zum Teil grundsätzlich verändert hat, ist meine Meinung über die Haltung diesen Dingen gegenüber hier in diesem Lande. Wobei ich da jetzt nicht in Einzelheiten gehen möchte. Ich habe da bestimmte Ansichten gehabt, wie Leute über solche Dinge denken – und da merke ich, daß ich da doch klischeehaft gedacht habe, und da haben sich starke Wandlungen bei mir vollzogen. Und das wird hoffent- lich in dem Film zu hören sein.“ Den Prozeß zeichnet wie alle Filme Fechners eine besondere Form der Zeitlosigkeit aus. Er ist trotz der Beschäftigung mit historischen Ereig- nissen bis heute aktuell und aufschlußreich, was zum einen daran liegen mag, daß Geschichte immer als Geschichte von Menschen präsentiert wird, zum anderen daran, daß dem Zuschauer das Urteilen nicht zu leicht gemacht wird. Gerade Der Prozeß ist ein Film, der in mehrfacher Weise mit Menschen ins Gericht geht. Der Zuschauer bleibt davon nicht ausge- nommen. Fechners dreiteiliger Film stellt in der Tat etwas Besonderes dar in der Reihe der filmischen Auseinandersetzungsversuche. Nicht nur, weil Der Prozeß - vor Holocaust begonnen und vor Shoah abgeschlossen - der lang ersehnte deutsche Beitrag ist820, sondern weil er überdies Maßstäbe setzt. „Eine der Zeuginnen, eine polnische Jüdin, sprach es aus: Es gebe eigentlich keine Sprache für das, was in Majdanek gesche- hen sei. Genau diese Befürchtung hat Fechner widerlegt: sein Film hat die Sprache, wahrscheinlich die einzig mögliche Sprache gefunden, uns das Unvorstellbare vorstellbar zu machen.“821 819 Bahners, Patrick: Der Regisseur inmitten der Geschichte. Biograph des zwanzigsten Jahrhunderts: Nachrede auf Eberhard Fechner. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.8.1992, S. 27. 820 An dieser Stelle muß erneut betont werden, daß auch vor dem Prozeß eine Vielzahl künstlerisch anspruchsvoller Filme in Deutschland entstanden ist. 821 Fabian, Walter: Die einzig mögliche Sprache. Eberhard Fechners Film Der Prozeß. In: epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 95 vom 1.12.1984, S. 18-19. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 378 II.8. Shoah (Frankreich 1985) II.8.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Der französische Journalist und Filmemacher Claude Lanzmann beginnt 1974 mit den Vorbereitungen zu Shoah. Es ist nach Pourquoi Israel? sein zweiter Film, und es ist ein Film, an dem er über ein Jahrzehnt arbeiten wird. Der Regisseur, Jahrgang 1925, Mitglied der Résistance, beantwortet die Frage, warum sein Thema die Vernichtung der Juden durch die Deutschen ist, wie folgt: „Ich habe damals mit dem Gewehr gegen die Deutschen gekämpft ... Es gibt vermutlich viele Gründe, wes- halb ich diesen Film gemacht habe, und wahrscheinlich liegen sie sehr tief.“822 An anderer Stelle spricht er davon, daß der Film „... um meine Obsessionen herum entstanden ist, anders wäre er nicht möglich gewe- sen.“823 Am Anfang liest Lanzmann alles, was an Literatur zum Thema Holo- caust zu bekommen ist. Er beschließt, Zeitzeugen zu befragen. Diese ausfindig zu machen und zum Reden zu bewegen, kostet Zeit und Über- zeugungskraft. Seine Geldgeber fordern ein Konzept. Als er aber mit den Dreharbeiten beginnt, stellt er fest, daß Faktenwissen, Exposés und Zeit- pläne nicht mit dem in Einklang zu bringen sind, was ihm die Befragten erzählen. Die innere Struktur des Films ergibt sich für Lanzmann - darin ähnelt er Fechner - erst während der Dreharbeiten. Mit seinem Team sucht der Regisseur Zeugen in Polen, Deutschland, den USA und Israel auf. Von 1976 bis 1981 produzieren die Filmemacher 350 Stunden Mate- rial. Die Transkription der Interviews füllt fast 6.000 Seiten. Die Mon- tage des neuneinhalbbstündigen Films erfordert weitere vier Jahre inten- siver Arbeit. Der Film, der zunächst Der Ort und das Wort heißen soll, erhält den Titel Shoah, was aus dem Hebräischen kommt und so viel heißt wie großes Unheil, Katastrophe.824 Shoah zeigt die Gegenwart. Augenzeugen, Täter, Opfer, „Unbeteiligte“ treten auf und berichten, was sie erlebt haben. Mit diesem Film will sich der Autor von den üblichen „Vergangenheitsbewältigungsfilmen“ ab- 822 Lerch, Gisela: Die Tränen sind der Einbruch der Wahrheit. Ein Gespräch mit Claude Lanzmann anläßlich der Ausstrahlung von Shoah im Bayerischen Fernsehen. In: Süddeutsche Zeitung vom 5.4.1986, S. 12. 823 Lanzmann, Claude, zit. nach Ash, Timothy Garton: Das Leben des Todes. Anmerkun- gen zu zwei Arten, die Vergangenheit zu bewältigen: Edgar Reitz' Heimat und Claude Lanzmanns Shoah. In: die tageszeitung vom 15.2.1986, S. 14f. 824 Vgl. Kap. I.2.1. Begriffsklärung. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 379 setzen - kein Hitler, keine Leichenberge, keine „prominenten Überleben- den“. Aufgrund der Tatsache, daß es kaum historische Bilddokumente von der Vernichtung der Juden gibt, und die wenigen existierenden zu Propagandazwecken von den Nazis hergestellt worden sind, hat sich Lanzmann für die Form des Augenzeugenberichts entschieden. Produziert wird der neuneinhalbstündige Film von den Firmen Les Films Aleph/Historia Films, Verleih ist die Pandora-Film. Gekostet hat Shoah laut Lanzmann ca. 8,5 Millionen DM. An der Finanzierung beteiligt ist das französische Kultusministerium, durch Vorabverkäufe an das franzö- sische und das bundesrepublikanische Fernsehen werden zudem Mittel eingenommen. Der WDR ist mit 500.000,- DM beteiligt. 1985 ist Shoah fertiggestellt. Lanzmann möchte ihn in zwei Teilen à 274 Minuten und 292 Minuten aufgeführt sehen. Die Premiere findet am 30. April 1985 in Paris statt. In der Bundesrepublik ist der Farbfilm erstmals während der Berliner Filmfestspiele im Februar 1986 zusehen. Im März läuft Shoah synchronisiert im bundesdeutschen Fernsehen allerdings in vier Teilen, wobei Teil 1 146.57 Minuten, Teil 2 115.42 Minuten, Teil 3 140.10 Minuten, Teil 4 140.14 Minuten lang ist. II.8.2. Mitwirkende Die Abfolge der einzelnen Kapitel wird im Fall von Shoah dahingehend verändert, daß das Kapitel „Mitwirkende“ dem Kapitel „Inhalt des Films und Interpretation“ vorausgeht. Diese Umstellung ist erforderlich, weil in Shoah die befragten Personen und ihre Berichte den Film ausmachen. Ausgehend von ihren Aussagen kann der Film als solches, sein „Inhalt“, die Machart und Montage der einzelnen Interviewsequenzen interpretiert werden. Am Film Mitwirkende sind einerseits die Filmemacher, die die technische Umsetzung einer Idee ermöglichen, andererseits die Augen- zeugen. Während der Befragung der Zeugen ist der Regisseur zu hören, manchmal auch zu sehen. Claude Lanzmann wird 1925 in Paris geboren. Er schließt sich der fran- zösischen Widerstandsbewegung an. Nach dem Krieg studiert er in Deutschland und schreibt eine Dissertation über Leibniz. 1947 bitten ihn Studenten der FU Berlin, überwiegend Kriegsheimkehrer, die älter sind als er, Seminare zum Thema Antisemitismus abzuhalten. Die franzö- sische Militärregierung in Berlin hat ihm das aber bald untersagt. Das sei Politik und in Berlin nicht machbar. Lanzmann wird Mitherausgeber der Zeitschrift Les Temps modernes und steht in enger Verbindung zu Jean- Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Gertrud Koch bezeichnet Lanz- II.8. Shoah (Frankreich 1985) 380 mann als Sartre-Schüler und vertritt die These, daß Lanzmann mit Shoah Jean-Paul Sartres Kritik der Freudschen Psychoanalyse und Trauma- theorie folgt. „Verschiebt Freud zunehmend das Ereignis auf die Ebene eines in der Erinnerung konstruierten Erlebnisses, versucht Lanzmann in seiner Interviewtechnik aus dem Erlebten das Ereignis zu rekonstruieren, an die Stelle der Kamera als Augenzeugen treten die Überlebenden, um Zeugnis abzulegen.“825 Mit wem Claude Lanzmann in den elf Jahren, in denen Shoah gedreht worden ist, zusammengearbeitet hat, läßt sich nicht vollständig ermitteln. Kameraleute waren Dominique Chapuis, Jimmy Glasberg, William Lubchansky, für Schnitt und Montage verantwortlich Ziva Postec. Der Regisseur dankt im Vorspann von Shoah seinen Mitarbeitern und einigen Interviewpartnern: „Dieser Film war für mich ein langer und schwieriger Kampf. Ich hätte ihn nicht in Angriff nehmen und beenden können ohne die Unterstützung und den festen Glauben einer Reihe von Män- nern und Frauen: manche von ihnen sind nicht mehr unter uns. Dieser Film ist auch der ihre. Ich danke den Mitgliedern meiner Crew, den Männern und Frauen, die an den Recherchen, Reportagen und der Filmarbeit beteiligt waren. Besonders danke ich Irène Steinfeldt-Lévi und Corinna Coulams, die mir assi- stierte und sogar ihre persönliche Sicherheit in Stunden der Gefahr aufs Spiel setzten. Und Ziva Postec, mit der ich den Film geschnitten habe. Mein Dank gilt auch Yehuda Bauer, Professor für Zeitgenössische Jüdische Geschichte an der Hebrew Univer- sity of Jerusalem und Raul Hilberg, Professor für Politische Wissenschaften an der University of Vermont, Burlington, USA.“ Die in Shoah befragten Personen lassen sich in die Gruppen Opfer, Täter, Zeugen und „Experten“ einteilen. Ein Teil der Opfer, als arbeits- fähig eingestufte Männer, war in Arbeits- und Sonderkommandos einge- setzt, so Abraham Bomba, Itzhak Dugin, Richard Glazer, Filip Müller, Mordechai Podchlebnik, Simon Srebnik, Motke Zaidl, Rudolf Vrba. Die anderen befragten Opfer sind Armando Aaron, Paula Biren, Inge Deutschkron, Ruth Elias, Moshe Morde, Simha Rottem, Gertrude Schneider und ihre Mutter, Itzhak Zuckermann und Mitglieder der jüdi- schen Gemeinde auf Korfu, die nach Auschwitz deportiert wurden und überlebten. Polnische und deutsche Zeitzeugen, die die Verfolgung und Vernichtung beobachten konnten, sind Czeslaw Borowi, Pan Falbowski, 825 Koch, Gertrud: Die Einstellung ist die Einstellung. Visuelle Konstruktionen des Juden- tums. Frankfurt/M., 1992, S. 161. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 381 Pan Filipowicz, Henrik Gawkowski, Jan Karski, Frau Michelsohn, Pana Pietyra, Jan Piwonski, Bauern aus der Umgebung von Treblinka, Eisen- bahner von Treblinka, Polinnen und Polen aus Chelmno und Grabow. Täter sind Franz Grassler, Joseph Oberhauser, Franz Schalling, Walter Stier, Franz Suchomel. Als Experten/“neutrale“ Informanten treten Raul Hilberg, Alfred Spiess und Hanna Zaidl auf. Die einzelnen Mitwirkenden sollen im folgenden kurz vorgestellt wer- den: Abraham Bomba, stammt aus Czestochowa. Als Friseur wird er in Treblinka dem Arbeitskommando zugeteilt, das den Frauen vor ihrem Gang in die Gaskammer, die Haare abschneiden muß. Itzhak Dugin, muß bei Wilna Massengräber öffnen und Leichen ver- brennen, um Spuren zu verwischen. Richard Glazar, überlebt Treblinka. Filip Müller, überlebt die Liquidierungen der Sonderkommandos in Auschwitz, die in den Krematorien arbeiten. Mordechai Podchlebnik, muß bei Chelmno Massengräber mit den in Vergasungswagen Ermordeten füllen, später die Leichen wieder ausgra- ben und verbrennen. Simon Srebnik, muß als 13-jähriger dieselbe Arbeit wie Mordechai Podchlebnik verrichten, außerdem für die SS deutsche Volkslieder sin- gen. Rudolf Vrba, arbeitet an der Rampe von Auschwitz, später in der Ver- waltung. Kann als Mitglied der Widerstandsbewegung 1944 fliehen. Armando Aaron, Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Korfu, Über- lebender von Auschwitz. Paula Biren, Überlebende von Auschwitz. Inge Deutschkron, überlebt in einem Versteck in Berlin. Ruth Elias, Überlebende von Theresienstadt und Auschwitz. Moshe Mordo, stammt von Korfu, überlebt Auschwitz. Simha Rottem, Mitglied der jüdischen Kampforganisation im War- schauer Ghetto. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 382 Gertrude Schneider und ihre Mutter, Überlebende des Warschauer Ghettos. Itzhak Zuckermann, 2. Befehlshaber der jüdischen Kampforganisation im Warschauer Ghetto. Czeslaw Borowi, polnischer Bauer, sieht die in Treblinka ankommenden Transporte. Pan Falbowski, sieht die Deportation der Juden aus Kolo. Pan Filipowicz, sieht die Deportation der Juden aus Wlodowa. Henrik Grawkowski, Lokführer, der Juden bis zur Rampe von Treblinka bringt. Jan Karski, sieht, was im Warschauer Ghetto passiert, ist Kurier der pol- nischen Exilregierung. Lebt heute als Professor in den USA. Frau Michelsohn, sieht als Ehefrau des Nazi-Lehrers in Chelmno die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Pana Pietyra, sieht als Einwohnerin des Ortes Auschwitz die Deporta- tionszüge. Jan Piwonski, Einwohner von Sobibor, Hilfsarbeiter bei der Bahn. Franz Grassler, Stellvertreter des Nazi-Kommissars Auerswald für das Warschauer Ghetto. Joseph Oberhauser, Fahrer von Globocznik, des Leiters der „Aktion Reinhard“ und Mitarbeiter von Kriminalkommissar Wirth. Franz Schalling, Mitglied der Schutzpolizei, abgestellt zur Bewachung der „Arbeitsjuden“ in Chelmno, gehört zum „Schloßkommando“. Walter Stier, Reichsbahner, verantwortlich für die Koordination der Todeszüge. Franz Suchomel, SS-Unterscharführer, Wächter in Treblinka. Raul Hilberg, als Jugendlicher aus Wien in die USA emigriert, Histo- riker und Politologe. Alfred Spiess, Oberstaatsanwalt, Vertreter der Anklage in beiden Treblinka-Prozessen. Hanna Zaidl, Tochter von Motke Zaidl. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 383 Sie alle kommen unterschiedlich lang zu Wort. Die Berichte der Über- lebenden der Arbeits- und Sonderkommandos - Srebnik, Bomba, Glazar, Müller und Vrba - nehmen besonders viel Raum ein. Die Ereignisse werden nicht chronologisch erzählt und auch nicht chronologisch darge- boten. Lanzmann begründet das damit, daß die Vernichtung von Anfang an Ziel der rassistischen Politik der Nazis gewesen sei. Gleich zu Beginn teilt der Filmemacher Fakten mit: daß ab Dezember 1941 400.000 Juden in Chelmno vergast worden sind, nur zwei, nämlich Mordechai Podchlebnik und Simon Srebnik, haben überlebt. Die Personen äußern sich zu den Ereignissen in Polen zwischen 1940 und 1945. Der Regisseur befragt die Zeugen überwiegend an ihrem aktu- ellen Wohnort - Israel, USA, Schweiz, Bundesrepublik, Korfu - bzw. die polnischen Zeugen in ihren Heimatorten, Chelmno, Grabow, Treblinka, Auschwitz. Mit Simon Srebnik aber fährt Lanzmann nach Chelmno. Diese Szene des Zurückkehrens an den Ort des Schreckens ist der Beginn des Films. Srebnik fährt wie damals als 13-jähriger Arbeitsjude in einem Boot die Ner hinunter und singt die Lieder, die er vor vierzig Jahren seinen Peinigern vorsingen mußte. Für Dietrich Leder ein „ ... Sinnbild des gesamten Films: Simon Srebnik befährt als Charon den Todesfluß Styx, als Grenzgänger zwischen dem Reich der Toten und der Lebenden, ein Bote jener, die in Chelmno umgebracht wurden, ein Bote für diejenigen, denen er via Film von den Untaten Zeugnis ablegt.“826 Einige der Befragten sind schon vor Shoah bekannte Personen. So Rudolf Vrba827, der als Zeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozeß ausge- sagt hat, und Filip Müller828. Gespräche mit Richard Glazar und dem SS- Unterscharführer Franz Suchomel hat Gitta Sereny in ihrem Buch „Am Abgrund“ publiziert.829 Inge Deutschkron hat durch ihren autobiographi- schen Bericht „Ich trug den gelben Stern“, ihre Arbeit als Journalistin deutscher und israelischer Blätter und ihre umfangreiche Vortragstätig- keit Bekanntheit erlangt hat. Raul Hilberg tritt in Shoah als Experte auf. Der Politologe und Historiker ist Verfasser des 1961 erschienenen drei- 826 Vgl. Leder, Dietrich: Bis an die Grenzen des Sagbaren. Eine Auseinandersetzung mit Shoah von Claude Lanzmann im Fernsehen. In: Funk-Korrespondenz Nr. 16 vom 18.4.1986, S. P1. Den Vergleich mit Charon, dem Fährmann aus der griechischen Mythologie, stellen auch andere Kritiker an. Georg Hartwanger sieht in dem polnischen Eisenbahner Henrik Gawkowski den Charon, der tausende von Juden an die Rampe des Todesreichs gefahren hat. Vgl. Hartwanger Georg: Der Versuch, Unfaßliches faßbar zu machen. Shoah. In: Medien und Erziehung. 30. Jg, H. 3/1986, S. 171. 827 Vgl. Vrba, Rudolf: Ich kann nicht vergeben. München, 1964. 828 Vgl. Müller, Filip: Sonderbehandlung – drei Jahre in den Krematorien und Gaskam- mern von Auschwitz. München, 1979. 829 Vgl. Sereny, Gitta: Am Abgrund. Eine Gewissenserforschung. Gespräche mit Franz Stangl, Kommandant von Treblinka, und anderen. Frankfurt/M., Berlin, Wien, 1980. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 384 bändigen Werks „Die Vernichtung der europäischen Juden“, das in deut- scher Übersetzung erst seit 1982 vorliegt. Als Wissenschaftler wechselt Hilberg vom strukturalistischen zum biographischen Ansatz. Dazu be- wogen hat ihn die Herausgabe des Tagebuchs des Adam Czerniakow, Vorsitzender des Judenrats im Warschauer Ghetto.830 In Shoah spricht Hilberg lange über diesen Menschen, der in seiner Verzweiflung schließlich Selbstmord begangen hat. Lanzmann hat zu Hilberg nach dem Interview gesagt: „Du warst Czerniakow.“831 Hilbergs Einfluß auf Shoah zeigt sich vor allem an der Befragungs- methode Lanzmanns. Der Historiker und der Filmemacher meinen, nur in kleinen Schritten Antworten auf die „großen Fragen“ erhalten zu kön- nen. Deshalb fragen sie nach Einzelheiten, äußeren Umständen, Arbeits- abläufen.832 Beide interessieren sich dafür, wie der geplante Massen- mord in die Tat umgesetzt wurde, sie studieren die Fahrpläne der Reichsbahn und müssen feststellen, daß anders als behauptet, viele gewußt haben, wohin die Juden transportiert werden und was sie dort erwartet. Von Hilberg übernimmt Lanzmann außerdem die Einteilung der Zeugen in „victims, perpetrators, bystanders“, und verdeutlicht, daß die Grenzen insbesondere zwischen Zuschauern, die nichts unternehmen, und Tätern fließend sind. Der Historiker Hilberg ist in Shoah der einzige, der eine Erklärung für den Mord an den Juden abgibt. Er geht von einer Stufentheorie aus, Hauptursache für Verfolgung und schließlich Mord sei der im Christentum wurzelnde Antijudaismus: „ ... die christlichen Missionare (hatten) zu den Juden gesagt: Ihr könnt unter uns nicht als Juden leben. Die weltlichen Herrscher, die ihnen vom Spätmittelalter an folgten, entschieden: Ihr dürft nicht unter uns leben . Und die Nazis beschlossen: Ihr dürft nicht leben.“833 Die Nazis, so Hilberg, haben vieles genauso gemacht wie die Judenhasser in allen Jahrhunderten, die sogenannte Endlösung jedoch sei ihre große Erfindung, „...von da an 830 Aussagen zur Rolle der Judenräte provozieren häufig Streit. Wie Hannah Arendt nach Eichmann in Jerusalem sieht sich Raul Hilberg nach Die Vernichtung der europäischen Juden der Kritik ausgesetzt, die Zwangssituation, in der sich mit den Deutschen zusammenarbeitende Juden befanden, zu wenig berücksichtigt zu haben, und Antise- miten Argumente zu liefern. Vgl. Hilberg, Raul: Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers. Frankfurt/M., 1994. 831 Hilberg, Raul: Unerbetene Erinnerung. A.a.O., S. 162. 832 Vgl. Niroumand, Mariam: „Ganz im Sinne des Historikers Raul Hilberg vermeidet er die direkte Beantwortung der ‚großen Fragen‘, indem er ausschließlich unmittelbaren Zeugen der Vernichtung genaue Schilderungen der Techniken und Umstände abver- langt.“ Diess.: „Du sollst Dir kein Bildnis machen.“ Experimentalfilme über den Holo- caust nach Lanzmanns Shoah. In: die tageszeitung vom 12.11.1992, S. 13. 833 Hilberg, Raul, zit. nach Lanzmann, Claude: Shoah. Mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir. 3. Aufl. Düsseldorf, 1986, S. 101. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 385 unterscheidet sich die Entwicklung von allem, was es jemals vorher ge- geben hatte.“834 Eine andere bekannte in Shoah befragte Person ist Jan Karski, eigentlich Jan Kozielewski, geboren 1914 in Lodz. Karski gerät nach Ausbruch des Krieges in deutsche und sowjetische Gefangenschaft. Nach gelungener Flucht schließt er sich dem polnischen Untergrund an. Als Kurier für Sikorskis Exilregierung erhält er 1942 vom „Büro für Information und Propaganda der Heimarmee“ den Auftrag, die Alliierten über die Juden- vernichtung durch die Deutschen zu informieren. Karski läßt sich getarnt als ukrainischer Wachmann ins Warschauer Ghetto einschleusen und wird Zeuge von Selektionen und Erschießungen. Auf abenteuerliche Weise gelangt er nach London, um dort seine Beweise zu präsentieren. Karski muß jedoch feststellen, daß seine Informationen nicht auf das er- hoffte Interesse stoßen. 1943 trifft er Präsident Roosevelt, auch er ver- sagt die Unterstützung US-amerikanischer Truppen bei der Befreiung der Juden. Karski erlebt die größte Enttäuschung seines Lebens und schwört sich, nie wieder über das Gesehene zu sprechen. Zwar hält er seine Eindrücke schriftlich fest (1944, The story of a secret state), stellt sich aber keiner Diskussion. Erst 1984 kann ihn Claude Lanzmann zu einem Interview für Shoah überreden. 1997 schreiben zwei amerika- nische Historiker und Journalisten Karskis Lebensgeschichte auf, die Geschichte eines - wie Elie Wiesel im Vorwort schreibt - „... großen Po- len ..., der es wagte, den in chauvinistischen Teilen des polnischen Un- tergrunds herrschenden Antisemitismus aufzudecken und zu verurteilen ...“, eines „...bekennenden Katholiken, der sein Leben riskierte, um Millionen Juden zu schützen.“835 II.8.3. Inhalt des Films und Interpretation Shoah läßt sich in 12 Sequenzen einteilen, wobei die Trennlinien nicht scharf sind. Jeder Zuschauer stellt unabhängig vom jeweiligen Gegen- stand des Gesprächs Verbindungen zwischen den Personen und ihren Aussagen her. Die „Themen“ können daher nur allgemein formuliert sein. Natürlich erzählen die Befragten sehr viel mehr, schweifen ab, wiederholen sich, suchen Antworten, schweigen. Das Sequenzprotokoll 834 Ebenda. 835 Wiesel, Elie: Vorwort. In: Wood, E. Thomas/Jankowski, Stanislaw M.: Jan Karski - Einer gegen den Holocaust. Als Kurier in geheimer Mission. 2. Aufl. Gerlingen, 1997. S. 8. Vgl. auch Jasper, Willi: Berichte, die keiner hören wollte. Die Geschichte des Kuriers Jan Karski, der die Westmächte über den Holocaust informierte. In: Die Zeit, Nr. 8 vom 14.2.1997, S. 14. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 386 führt auf, in welcher Reihenfolge die Interviews montiert sind und wor- über die Befragten hauptsächlich Auskunft geben. Lanzmann vermeidet die direkte Konfrontation der Opfer mit den Tätern, um erstere zu schüt- zen. Nur durch die Montage treffen die verschiedenen Gruppen aufein- ander. Doch in einer Szene bricht Lanzmann mit diesem Prinzip: wo Simon Srebnik vor der Dorfkirche mit den Bewohnern Chelmnos zusammentrifft, zum Ende des ersten Teils des Films. 1. Teil des Films 1. Sequenz: was in Chelmno passiert ist. Bauern von Chelmno / Simon Srebnik / Bauern von Chelmno / der an- dere Überlebende, Mordechai Podchlebnik (Israel) / Hanna Zaidl, Toch- ter von Motke Zaidl (Israel), Überlebender von Wilna / Motke Zaidl und Itzhak Dugin, Überlebende von Wilna / Jan Piwonski (Sobibor) / Morde- chai Podchlebnik / Motke Zaidl und Itzhak Dugin / Richard Glazar (Schweiz), Überlebender von Treblinka / Motke Zaidl und Itzhak Dugin / Simon Srebnik / Paula Biren (Cincinnati, USA), Überlebende von Auschwitz. 2. Sequenz: jüdisches Leben in Polen vor der Shoah; Reaktionen der Polen auf die Juden in den Deportationszügen. Pana Pietyra, Oswiecim (Auschwitz) / Pan Filipowicz (Wlodawa) / Pana Pietyra / Pan Filipowicz / Pan Falborski (Kolo) / Abraham Bomba (Israel), Überlebender von Treblinka / Czeslaw Borowi (Treblinka) / Bauern von Treblinka / Eisenbahner von Treblinka / Bauer von Treblinka / Czeslaw Borowi / Abraham Bomba / Henrik Gawkowski (Malkinia) / Abraham Bomba / Henrik Gawkowski / Abraham Bomba. 3. Sequenz: Deportationen - wußten die Deportierten, was sie erwartet? Richard Glazar / Bauern von Treblinka / Czeslaw Borowi / Henrik Gawkowski / Czeslaw Borowi / Henrik Gawkowski / Jan Piwonski (Bahnhof von Sobibor). II.8. Shoah (Frankreich 1985) 387 4. Sequenz: Ankunft im Lager, Selektion, Einteilung in Arbeitskomman- dos. Rudolf Vrba (New York), Überlebender von Auschwitz / Abraham Bomba / Richard Glazar / Abraham Bomba / Rudolf Vrba / Richard Gla- zar / Abraham Bomba / Richard Glazar / Abraham Bomba / Richard Glazar. 5. Sequenz: was haben die Deutschen gewußt; Treblinka; das Sonder- kommando; Bierausschank; „Aktion Reinhard“, von der Verfolgung zur Vernichtung. Inge Deutschkron (Berlin), überlebt im Versteck / Franz Suchomel, SS- Unterscharführer / Filip Müller, tschechischer Jude, Überlebender der fünf Liquidationen der Sonderkommandos Auschwitz / Franz Suchomel / Joseph Oberhauser und ein andere Kellner (München, in einer Bierwirt- schaft) / Oberstaatsanwalt Alfred Spiess, Vertreter der Anklage in beiden Treblinka-Prozessen / Jan Piwonski (Sobibor) / Filip Müller / Raul Hil- berg, Historiker (Burlington, USA). 6. Sequenz: Die „Schloßaktion“, Vergasungswagen, das Verhältnis zwi- schen der jüdischen und katholischen Bevölkerung. Franz Schalling (Deutschland) / Mordechai Podchlebnik, Überlebender der ersten Vernichtungsphase in Chelmno / Frau Michelsohn (Deutsch- land), Frau des Nazi-Lehrer in Chelmno / Claude Lanzmann liest vor dem Gebäude, das früher die Synagoge von Grabow war, einen Brief des früheren Rabbiners von Grabow vor / eine Gruppe von Frauen (Grabow) / ein Paar / ein Mann / das Paar / ein anderer Mann / der erste Mann / eine Gruppe von Frauen / der erste Mann / eine Frau / der erste Mann / der andere Mann / die Gruppe von Frauen / das Paar / Frau Michelsohn. 7. Sequenz: Srebnik singt; trifft auf die Bewohner von Chelmno. Simon Srebnik, Überlebender der zweiten Vernichtungsphase in Chelmno / Frau Michelsohn / Simon Srebnik / Gruppe von Dorfbewoh- nern vor der Kirche von Chelmno, sie umringen Simon Srebnik / Pan Falborski / Simon Srebnik / Einblendung eines Dokuments, versehen mit der Aufschrift „Geheime Reichssache“, „technische Abänderungen an II.8. Shoah (Frankreich 1985) 388 den im Betrieb eingesetzten und an den sich in Herstellung befindlichen Spezialwagen“ betreffend. 2. Teil des Films 8. Sequenz: Suchomel singt; der Weg in die Gaskammer von Treblinka. Franz Suchomel, SS-Unterscharführer / Abraham Bomba (Israel) / Franz Suchomel / Richard Glazar (Schweiz), Überlebender von Treblinka / Rudolf Vrba (New York), Überlebender von Auschwitz / Filip Müller, Überlebender der fünf Liquidationen des Sonderkommandos in Auschwitz. 9. Sequenz: Deportation der Juden von Korfu; Koordination der Depor- tationszüge. Ein Überlebender von Auschwitz (Korfu) / Moshe Mordo (Korfu) / Ar- mando Aaron, Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Korfu / Walter Stier, NSDAP-Mitglied, Reichsbahner / Raul Hilberg, Historiker (USA). 10. Sequenz: Vernichtung; Widerstand. Filip Müller / Franz Suchomel, SS-Unterscharführer / Richard Glazar / Filip Müller / Rudolf Vrba / Ruth Elias (Israel), Überlebende von There- sienstadt und Auschwitz / Rudolf Vrba / Filip Müller / Rudolf Vrba / Filip Müller / Rudolf Vrba. 11. Sequenz: Unterrichtung der Alliierten über die Vernichtung der Juden, Adam Czerniakow und die Arbeit des Judenrats im Warschauer Ghetto. Jan Karski (USA), ehemaliger Kurier der polnischen Exilregierung / Dr. Franz Grassler (Deutschland), Assessor bei Dr. Auerswald, dem Nazi- Kommissar des Warschauer Ghettos / Raul Hilberg / Franz Grassler / Raul Hilberg / Franz Grassler / Raul Hilberg / Franz Grassler / Raul Hil- berg / Franz Grassler / Gertrude Schneider und ihre Mutter (New York), Überlebende des Ghettos. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 389 12. Sequenz: Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto. Museum des Kibbuz Lohame Haghettaot (Kibbuz der Ghettokämpfer, Israel), Itzhak Zuckermann, genannt „Antek“, zweiter Befehlshaber der jüdischen Kampforganisation / Simha Rottem, genannt „Kajik“. Shoah ist ein Film über die Vergangenheit, jedoch ganz in der Gegen- wart angesiedelt. Claude Lanzmann verwendet - anders als beispiels- weise Erwin Leiser in Mein Kampf – keine Aufnahmen aus den dreißiger und vierziger Jahren, sondern filmt die Personen und Orte der Gegen- wart, genauer zwischen 1974 und 1985. Nur einmal wird ein Schriftstück eingeblendet. Dabei handelt es sich um ein Schreiben aus dem Reichs- sicherheitshauptamt, es betrifft „technische Abänderungen an den im Betrieb eingesetzten und an den in Herstellung befindlichen Spezial- wagen.“ Gemeint sind damit die Lastwagen, die zur Vergasung einge- setzt werden. Technische „Verbesserungen“ sollen die „Effizienz“ beim Morden erhöhen. Gegen den Kompilations-/Archivfilm hat sich Lanzmann aus mehreren Gründen entschieden: erstens weil es keine „authentischen“ Bilder der Vernichtung gibt, zweitens weil er der Überzeugung ist, daß nur der bewußte Verzicht auf Bilder, nur Aussparungen und Leerstellen, eine Vorstellung vom Unvorstellbaren geben können. Er will zeigen, daß die Auslöschung der Juden beinahe vollständig gewesen ist, daß kaum etwas übrig geblieben ist, was ihre Existenz – und die Vernichtung ihrer Existenz – beweisen kann, und daß man nach diesem wenigen suchen, es hervorholen, zwingen muß. Gertrud Koch hält Lanzmanns künstlerisches Verfahren für wohlüberlegt und dem Thema angemessen: „Für das, was Massenvernichtung war, gibt es keine adäquate Augenzeugenschaft der Kamera, die den inneren Zusammenhang zwischen dem gigantischen, externen Organisationsaufwand und der buchstäblichen Vernichtung, der Tötung selbst im Inneren der Vernichtungslager hergestellt hätte.“836 Lanzmann setzt ebenso sehr wie auf das Bild auf das Wort. In Shoah gibt es lange Einstellungen; zu sehen sind Landschaften, kommentarlos. Dann sind wieder Menschen zu sehen, die nach Worten suchen. „Talking 836 Koch, Gertrud: Die Einstellung ist die Einstellung. Visuelle Konstruktionen des Juden- tums. Frankfurt/M., 1992, S. 159. Koch widmet dem Film die Kapitel „Die ästhetische Transformation der Vorstellung vom Unvorstellbaren. Claude Lanzmanns Film Shoa“ (Sic!) und „Der Engel des Vergessens und die black box der Faktizität - Zur Gedächt- niskonstruktion in Shoa.“ II.8. Shoah (Frankreich 1985) 390 heads vor Landschaften“ nennt es ein Kritiker etwas respektlos.837 Lanzmann läßt allen Beteiligten ihre Sprache, ihre individuelle Aus- drucksform, auch auf die Gefahr hin, daß die Zuschauer nicht alles ver- stehen. Doch was erzählt wird, ist so oder so zuweilen unverständlich, trotz Übersetzung und Untertitelung. Manchen Augenzeugen versagt die Sprache: Simon Srebnik:„ Das ... das ... das kann man nicht erzählen. Niemand kann das nicht bringen zum Besinnen, was war so was da hier war. Unmöglich. Und keiner kann das nicht verstehen. Und jetzt glaub ich auch, ich kann das auch schon nicht verstehen.“838 So ist Shoah ein Film über das Reden und Verstummen angesichts unsäglicher Dinge. Interessiert hat den Regisseur in den Gesprächen mit den Zeitzeugen an- geblich weniger die Frage nach dem „Warum?“ als die nach dem „Wie?“. Hier kann er sicher sein, Antworten zu erhalten. So fragt er nach technischen Details, Arbeitsabläufen, dem Wetter, der Einrichtung von Räumen. Die Antworten enthüllen manchmal mehr als gerade den be- fragten Tätern und danebenstehenden Beobachtern lieb sein kann. Doch auch die Opfer bringt er durch seine „Wie?“-Fragen zu genaueren Schil- derungen und – das ist beabsichtigt – dazu, die Vergangenheit zu ver- gegenwärtigen. Jan Karski sagt von sich, daß er nie über seine Erlebnisse gesprochen habe. Das stimmt nicht, er hat offiziell berichtet und über das Warschauer Ghetto publiziert. Was er meint, ist, daß er nie die von ihm selbst geschaffene Distanz im Gespräch hat durchbrechen können, er nicht den Mut gehabt hat, das Gesehene zu vergegenwärtigen, es noch einmal zu durchleben. Lanzmann aber beharrt darauf, daß die Personen des Films nicht Erinnerungen erzählen, sondern Situationen im Freud- schen Sinne „wiederholen und durcharbeiten“. Vor allem den Opfern verspricht er eine befreiende Wirkung; die Täter entziehen sich seiner Meinung nach dem Prozeß des Erinnerns und lügen weiter. Konfrontiert er sie mit ihren Taten, antworten sie: „Das ist interessant, das muß ich mir notieren.“, so Dr. Franz Grassler, Jurist und Stellvertreter des deut- schen Kommissars für das jüdische Ghetto in Warschau.839 Psycho- logisch ist diese Szene überaus aufschlußreich. Es findet eine Verkeh- rung statt. Grassler versucht Lanzmann als Zeugen dafür zu benutzen, daß er nichts gewußt haben kann. Obzwar mitverantwortlich für die 837 Vgl. Widmann, Arno: Talking Heads vor Landschaften. In: die tageszeitung vom 15.2.1986, S. 14. 838 Srebnik, Simon, zit. nach Lanzmann, Claude: Shoah. Mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir. Düsseldorf, 1986, S. 20f. Für Wilfried Wiegand klingt diese Erzählung Srebniks „... wie eine Elegie, wie eine Totenklage. Nicht zufällig wird der Filmtext in der Buchausgabe von Shoah präsentiert, als handele es sich um Verse.“ Wiegand, Wilfried: Von Auschwitz erzählen. Der Dokumentarfilm Shoah: Das Wort haben die Überlebenden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.2.1986, S. 25. 839 Vgl. Franz Grassler, zit. nach Lanzmann, Claude: Shoah. A.a.O., S. 238. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 391 Deportation der Warschauer Juden, tut er so, als hörte er zum ersten Mal davon und schreibt eifrig mit. Lanzmann selbst und die Dolmetscher sind in einigen Szenen zu sehen, die Fragen und Übersetzungen – sind anders als beispielsweise in den Filmen Eberhard Fechners - zu hören. Der Regisseur nimmt sich nicht zurück, er ist mittendrin. Die Interview-Situation wird nicht negiert, son- dern ist immer präsent. Daß die Anwesenheit der Kamera und das Mikrophon des Interviewers Reaktionen von „Unbeteiligten“ heraus- fordern, die zum ersten Mal im Fernsehen sind, nutzt Lanzmann gerade in den Gesprächen mit den polnischen Zeugen aus. Shoah scheint auf den ersten Blick alle Kriterien des klassischen Doku- mentarfilms zu erfüllen. Wir sehen Menschen und Orte, Gegenwart wird widergespiegelt. Diese Menschen und Orte haben jedoch eine Vergan- genheit. Über diese berichten sie. Sie ist nicht ohne weiteres repräsen- tierbar, sondern muß von den Zuschauern rekonstruiert werden. Um ihnen dies zu erleichtern, inszeniert Lanzmann Geschichte, läßt Ereig- nisse darstellen und nachspielen. In zwei Szenen ist dieser Kunstgriff des Regisseurs deutlich erkennbar, in der Szene, in der Simon Srebnik vor der katholischen Kirche von Chelmno mit Bewohnern des Dorfes zusammentrifft und diese ihn erneut ausgrenzen, und in der Szene, in der Abraham Bomba in einem Friseursalon in Tel Aviv wiederholen muß, wie er den Frauen in Treblinka vor ihrem Gang in die Gaskammer die Haare abgeschnitten hat. Diese beiden Szenen sind die am stärksten um- strittenen in Shoah. (Dazu später mehr). Lanzmann aber verteidigt sein Verfahren des erzwungenen Wiederdurchlebens früherer Pein. Nur so sei „die Wahrheit“ zu vermitteln. Der Regisseur meint damit eine tiefere, filmische Wahrheit jenseits der Debatte über dokumentarischen und synthetischen Film. Bewußt hat er sich gegen einen Film entschieden, in dem Zeugnisse mit wissenschaftlich überprüften Fakten konfrontiert werden. In Interviews stellt er klar: „ ... der Film ist nicht dokumenta- risch - das ist Kino, Inszenierung. ... Was ich gemacht habe: Ich habe wirkliche Gestalten der Geschichte in Darsteller verwandelt, die dabei fast zu Gestalten der Literatur oder des Theaters werden.“840 „Inszeniert“ wird natürlich auch im Dokumentarfilm. Die Auswahl der Personen und der Drehorte, Licht, Kamera, Ton, die Themenvorgabe und die Interviewtechnik bis hin zu einzelnen Fragen, Aufforderungen und 840 Hurst, Heike: Gespräch mit Claude Lanzmann. „Der erste befreiende Film seit 1945“. In: Frankfurter Rundschau vom 1.2.1986, S. ZB3. In der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste bezeichnet er Shoah dann doch als Dokumentarfilm. Vgl. Lanz- mann, Claude: Ihr sollt nicht weinen. Einspruch gegen Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.3.1994, S. 27. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 392 nonverbalen Reaktionen im Gespräch, schließlich die Montage der Bilder – dies alles ist Inszenierung, die laut Lanzmann der „Reinkarna- tion“ dienen soll. Dadurch wird Shoah zu einer Darstellung in der Dar- stellung, oder wie es Lothar Baier nennt: eine sich selbst dokumentie- rende Dokumentation, die für das Genre – wenn man Shoah einen Dokumentarfilm nennen will – neue Maßstäbe setze.841 Shoah verzichtet weitgehend auf den Einsatz technischer Mittel wie Rückblenden, Zeitlupe, schnelle Schnitte, den Gegensatz von Farbe und Schwarz-Weiß, wechselnde Kameraperspektiven. Eine wichtige Rolle spielen hingegen sprachliche und bildliche Leitmotive, neben Wäldern, Gras und üppiger Vegetation immer wieder Züge, Lokomotiven, Schlote, Rauch, Eisenbahnschienen, Schranken, Bahnhöfe, Verladerampen. Lanzmann bezeichnet Shoah als einen „bodenständigen, topographi- schen, geographischen Film.“842 Er glaubt an die Aussagekraft eines Ortes, Ruth Klüger hingegen, Überlebende von Auschwitz, bezweifelt diese und formuliert grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Auf- suchen der Stätten der Vernichtung: „Ich gehe nicht dahin zurück, wo ich war. Ich bin geflohen. Lanzmann geht dahin zurück, wo er nie gewe- sen ist. Keine Landschaft, habe ich immer geglaubt, kann das zurück- rufen, was geschah, denn die Steine schreien nicht. Lanzmann glaubt, daß sie es tun.“843 Wälder und Landschaften bestimmen Shoah, jedoch, so Arno Widmann in der tageszeitung: „Unter jedem Baum scheint sich das Schrecklichste zu verbergen ...“.844 Das indirekte Zeigen, das Thematisieren durch Auslassen, ist Lanzmanns künstlerische Antwort auf die Frage der Repräsentierbarkeit der Shoah. Bezweifelt Brecht zur Zeit der Nazi-Diktatur die Rechtmäßigkeit eines Gedichts über Bäume845 und Adorno nach 1945 die der Lyrik nach Auschwitz überhaupt, zeigt Lanzmann 1985 ein Wäldchen in Polen, das die Deutschen 1944 auf einem Leichenfeld anlegen ließen. 841 Baier, Lothar: Täter und Opfer. Claude Lanzmanns Rekonstruktion der Judenvernich- tung: Shoah. In: Frankfurter Rundschau vom 7.9.1985, S. 12. 842 Claude Lanzmann im Gespräch mit Marc Chevrie und Hervé Le Roux. Der Ort und das Wort. In: Cahiers du Cinéma Nr. 374. Juli/August 1985. Nachgedruckt in: die tages- zeitung vom 19.2.1986, S. 13. 843 Klüger, Ruth, zit. nach Leiser, Erwin: Die Kunst ist das Leben. Begegnungen. Köln, 1995, S. 54. 844 Widmann, Arno: Talking Heads vor Landschaften. Claude Lanzmanns Shoah. In: die tageszeitung vom 19.2.1986, S. 10. 845 Vgl. Bertolt Brechts An die Nachgeborenen: „... was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Un- taten einschließt!...“. In: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. 10. Aufl. Frankfurt/M., 1999 (1981), S. 722f. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 393 Für Simone de Beauvoir ist Shoah vom Aufbau her vergleichbar mit einer Musikkomposition „... mit seinen Momenten, in denen das Grauen den Höhepunkt erreicht, mit seinen friedlichen Landschaften, seinen Lamentos, seinen neutralen Einstellungen. Und das Ganze wird rhythmi- siert durch das geradezu unerträgliche Rattern der Züge, die auf die Lager zu rollen.“846 Wirkt der Film als ganzes schon wie eine musika- lische Komposition, so sind einzelne Passagen hervorzuheben, in denen tatsächlich Musik eingesetzt wird. Besonders erschütternd ist da der Gesang von Simon Srebnik, einem der beiden Überlebenden von Chelmno. Damals, während des Krieges, mußte er als noch minderjäh- riger „Arbeitsjude“ für die Soldaten Lieder singen. Diese Lieder hat er nicht vergessen. Lanzmann fordert ihn auf, sie jetzt, vierzig Jahre später, wieder zu singen. Eines heißt „Wenn die Soldaten...“, ein Volkslied, das, so Klaus Theweleit, früher jeder kannte, er selbst hörte es seine Mutter singen.847 Heute kennt das Lied kaum jemand mehr. Die deutsche Rück- übersetzung aus dem Französischen entspricht nicht dem ursprünglichen Text, doch die wenigstens wissen das.848 Marlene Dietrich hat das Lied 1969 während ihrer ersten Tournee in der Bundesrepublik gesungen. Eigentlich ein Antikriegslied, die Soldaten kehren nicht heim und wenn, so sehen sie ihre Liebste in den Armen eines anderen. Srebnik singt das Lied mit jiddischem Akzent. „Wenn die Soldaten durch die Stadt mar- schieren, öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen, ei warum, ei warum, nur wegen dem Tschingderassa bum ...“ Dorothee Sölle schildert ihre Empfindungen während dieser Filmszene: „Als ich das hörte, drehte sich mir der Magen um. ... Dieses Lied ist kein Nazilied, sondern eines dieser rohen, dummen, munteren Soldatenlieder aus dem vorigen Jahrhundert ... [es] stellt den historischen Zusammen- hang her: vom Nationalismus zur Herrenrasse, vom gutmütig-spießigem Militarismus zum sadistisch-aggressiven. In diesem Augenblick ver- schluckte mich der Film.“849 Simon Srebniks Gesang steht in Verbindung mit dem Franz Suchomels in der folgenden Sequenz. Singt das Opfer Srebnik das deutsche Volks- lied wieder, das er auf Befehl der Deutschen singen mußte, so singt der 846 Beauvoir, Simone de: Das Gedächtnis des Grauens. Claude Lanzmann Shoah. In: Frankfurter Rundschau vom 1.2.1986, S. ZB3. 847 Theweleit, Klaus: Das Land, das Ausland heißt. Essays, Reden, Interviews zu Politik und Kunst. München, 1995, S. 116. 848 So steht in dem Buch zum Film statt „Tschingderassa bum“ „nur meine Kinder assa Kinder assa bum“, was darauf hindeutet, daß auch den Lektoren vom Claassen-Verlag das Lied nicht mehr bekannt ist und sie sich nach dem richten, was Srebnik gesungen hat. 849 Sölle, Dorothee: Von Gott verlassen. Augenzeugen des Holocaust. Claude Lanzmanns Film Shoah. In: Die Zeit, Nr. 9 vom 21.2.1986, S. 55. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 394 Täter Suchomel das Lied, das die Arbeitsjuden im Lager Treblinka zu singen hatten. Suchomel erzählt nicht ohne Stolz, „daß der Franz die Melodie aus dem Lager Buchenwald, wo er Wächter war, mitgebracht hat.“ Den Text habe Franz sich selbst ausgedacht. „Das ist ein Original! Das kann kein Jude heute mehr!“850 Zwei Szenen, auf die sich die Rezensenten häufig beziehen, sollen hier beschrieben werden, zum einen die Szene, in der Simon Srebnik die Bewohner von Chelmno trifft (7. Sequenz), zum anderen die Szene, in der Abraham Bomba zeigt, wie er den Frauen vor dem Gang in die Gas- kammer die Haare abschneiden mußte (8. Sequenz). Die Szene „Eine Kirche in Chelmno“ entlarvt auf erschreckende Weise, von welchen Vorurteilen das Verhältnis vieler Polen zu den polnischen Juden bis heute geprägt ist. Deutlich wird: Antisemitismus existiert auch ohne Juden. Denn in den polnischen Städtchen Chelmno und Grabow gibt es keine Juden mehr. Lanzmann reist mit dem Überlebenden Simon Srebnik in dessen Heimatort zurück. Die ehemaligen Nachbarn, die ge- rade aus der Sonntagsmesse kommen, erkennen ihn, schlagen ihm freundschaftlich auf die Schulter und erzählen dem Interviewer Lanz- mann, wie das damals so war, mit den Juden und mit Simon Srebnik. Eine Bewohnerin habe zu einem Deutschen gesagt: „Hören Sie, lassen Sie dieses Kind laufen!“ Da habe er sie gefragt: „Wohin?“ „Zu seinem Vater und seiner Mutter!“ Daraufhin habe der Deutsche zum Himmel und geantwortet: „Ja, bald wird er dort hinaufkommen, zu seinem Vater und seiner Mutter.“ Simon Srebnik steht während dieser Erzählung da- bei, lächelt freundlich und schweigt. Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, was sich tatsächlich ereignet hat. Die Juden von Chelmno wurden in die Dorfkirche eingesperrt, um dann in Vergasungsbussen abtransportiert und ermordet zu werden. Ihre katholischen Nachbarn haben die Schreie gehört, aber nichts getan. Lanzmann fragt die aus der Kirche Kommenden: „Waren so viele Juden in der Kirche wie heute Christen?“ Die Dorfbewohner: „Beinahe.“ Lanzmann: „Und wieviele Gaswagen brauchte man, um die Kirche zu räumen?“ Die Dorfbewohner: „Fünfzig durchschnittlich.“ 850 Franz Suchomel, zit. nach Lanzmann, Claude: Shoah. A.a.O., S. 146. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 395 Später fragt Lanzmann: „Wie konnte ihrer Meinung nach den Juden diese Geschichte passieren?“ Die Dorfbewohner: „Weil sie die Reichsten waren!“ „Auch viele Polen sind umgebracht worden, wirklich! Priester.“ Als Katholiken sehen die meisten bis heute in den Juden die „Christus- mörder“ und glauben, die Ermordung der Juden sei Gottes Strafe gewe- sen. Dabei berufen sie sich sogar auf einen Rabbiner, der seinen Glau- bensbrüdern kurz vor der Deportation diese Erklärung gegeben haben soll. Das ganze schauerliche Repertoire antisemitischer Einstellungen bieten die Bewohner von Chelmno. Immer wieder reden sie davon, daß die Juden reich gewesen seien, ihre Koffer „voll mit Wertsachen und Gold“. Die Dorfbewohner: „Wenn man den Juden zu essen gab, warfen sie uns manchmal solche Wertsachen zu, gelegentlich Geld.“ Lanzmann: „Aber Sie haben doch eben gesagt, daß man mit den Juden nicht reden konnte, daß das verboten war.“ Die Dorfbewohner: „Das war streng verboten.“ Die andere Szene wird in einem extra für diesen Zweck angemieteten Friseursalon in Tel Aviv gedreht. Der Regisseur fordert den inzwischen pensionierten Friseur Abraham Bomba auf zu schildern, wie der Raum in Treblinka aussah, in dem den Frauen und Kindern die Haare abge- schnitten wurden. Lanzmann fragt nach Details: wieviele Menschen in den Raum hineingedrängt wurden, ob die Friseure Scheren oder Rasier- apparate hatten, ob dort Spiegel angebracht waren? Dann bittet er Bomba: „Können Sie das nachmachen? Wie haben Sie gearbeitet?“ Bomba soll es an einem Kunden demonstrieren. Lanzmann fragt weiter: wieviele Friseure, wieviele Frauen, ob sie lange oder kurze Haare hatten, ob sie angezogen oder nackt den Raum betraten. Dann wiederholt er: „Ich habe Sie doch gefragt: Was haben sie das erste Mal empfunden, als Sie die nackten Frauen mit den Kindern sahen; was haben Sie gefühlt? Sie haben nicht darauf geantwortet.“ Bomba berichtet, er habe sich wie tot gefühlt. Manche Frauen und Kinder habe er gekannt, weil sie aus demselben Ort stammten wie er. Sie freuten sich, ihn zu sehen und wollten wissen, was sie in Treblinka erwarte. „Was sollte man ihnen sagen?“, fragt Bomba. Dann erzählt er von einem Freund, wie er Friseur in Treblinka, der seine Frau und seine Schwester den Vorraum der Gas- kammer betreten sieht. Bomba bricht ab, weint. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 396 Lanzmann: „Sprechen Sie weiter, Abe, Sie müssen. Es ist notwendig.“ Bomba: „Zu furchtbar ...“ Lanzmann: „Ich bitte Sie. Wir müssen das machen. Sie wissen das.“ Bomba: „Ich kann nicht.“ Lanzmann: „Es muß sein. Ich weiß, daß es hart ist, ich weiß, verzeihen Sie mir.“ Bomba: „Lassen Sie uns aufhören ...“ Lanzmann: „Ich bitte Sie, fahren Sie fort.“ Bomba: „Ich habe Ihnen gesagt: Das wird sehr hart sein. – Sie haben das in Säcke getan und nach Deutschland geschickt. – Gut, machen Sie wei- ter.“ Lanzmann: „Ja. Was hat er geantwortet, als seine Frau und seine Schwe- ster hereingekommen sind?“ II.8.4. Resonanz Die Uraufführung findet am 30. April 1985 in Paris statt, der franzö- sische Staatspräsident François Mitterand, der Kulturminister Jacques Lang und Simone Veil, ehemalige Präsidentin des Europaparlaments, sind anwesend. Im Oktober 1985 hat Shoah Premiere in den USA, von New Yorker Filmkritikern wird er zum besten Dokumentarfilm des Jahres gewählt. Er läuft auf den Filmfestivals in Venedig, Rotterdam und New York, während der 36. Internationalen Filmfestspiele in West- Berlin läuft Shoah zwar nicht im Wettbewerb, ist aber der Höhepunkt des Internationalen Forums des jungen Films. Er erhält den erstmals von der Arbeitsgemeinschaft für kommunale Filmarbeit vergebenen Caligari- Preis, den Fipresci-Preis der Fédération Internationale de la Presse Cinématographique und wird besonders empfohlen von der Internatio- nalen Katholischen Filmorganisation OCIC. Während der Film auf der Berlinale zu sehen ist, erscheint das Textbuch zum Film mit einem Vor- wort von Simone de Beauvoir. In den Kritiken zum Film wird auf das Textbuch hingewiesen. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 397 Einige Wochen später ist Shoah im bundesrepublikanischen Fernsehen zu sehen, in den Dritten Programmen der ARD. Wie schon bei Holo- caust und Der Prozeß ist die Ausstrahlung in den Dritten Programmen ein Teilkonflikt in der publizistischen Kontroverse über Shoah. Und wiederum zögert der Bayerische Rundfunk, sich der gemeinsamen Aus- strahlung anzuschließen und wiederum ist der Westdeutsche Rundfunk die federführende Anstalt. Der WDR hat durch einen Vorabkauf die Fertigstellung des Films ermöglicht. Als verdienstvoll bezeichnet Diet- rich Leder, daß die Redakteure beim WDR speziell für die Fernseh- fassung des Films eine neue, besser übersetzte und plazierte Untertite- lung mit einer größeren Schrift besorgt haben.851 Im Auftrag des Senders entsteht außerdem eine Dokumentation über Shoah von Angela Wittlich mit dem Titel Erleben, nicht erinnern – Claude Lanzmann und ‚Shoah‘, die in der Woche, in der Shoah im Fernsehen läuft, zusätzlich ausge- strahlt wird. 851 Vgl. Leder, Dietrich: Bis an die Grenzen des Sagbaren. Eine Auseinandersetzung mit Shoah von Claude Lanzmann im Fernsehen. In: Funk-Korrespondenz, Nr. 16 vom 18.4.1986, S. P4. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 398 Die Ausstrahlung von Shoah im bundesrepublikanischen Fernsehen Tabelle 13: Sendetermine von Shoah Hessen 3 Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 1.3.86 2.3.86 8.3.86 9.3.86 20.15 20.15 20.15 20.15 Sa So Sa S0 WDR, NDR, SFB, Radio Bremen Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 3.3.86 6.3.86 10.3.86 13.3.86 21.15 20.15 21.15 20.15 Mo Do Mo Do SWF, SDR, SR Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 22.3.86 25.3.86 27.3.86 28.3.86 21.00 21.15 21.35 20.15 Sa Di Do Fr Bayerischer Rundfunk Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 7.4.86 14.4.86 10.00 13.30 10.00 13.30 So So Tabelle 14: Einschaltquoten von Shoah (in %) Sender Sender Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Durch-schnitt WDR 6 4 5 3 4,5 HR 3 9 4 8 6 Nord 3 4 5 4 2 4 Süd 3 2 3 2 4 3 BR 2 2 2 2 2 Quelle: GfK-Daten. Zit. nach: Müller, Hans-Jürgen: Shoah - Ein Film. Erinnerungs- arbeit in der Erwachsenenbildung mit dem Mittel der Kunst. Hrsg. vom Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Oldenburg. Oldenburg, 1991. (= In- formationen zur wissenschaftlichen Weiterbildung 47), S. 66. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 399 Der Bayerische Rundfunk hat sich der Ausstrahlung zunächst nicht angeschlossen. Er sendet Shoah einen Monat später. Und obwohl er wie von Lanzmann intendiert den Film in zwei Teilen bringt, kritisiert der Regisseur den Zeitpunkt der Ausstrahlung. In dem Gespräch mit Gisela Lerch wird Lanzmann sehr heftig und greift den Bayerischen Rundfunk an mit dem Hinweis: „Schließlich ist München die Wiege des Faschis- mus, wie jeder weiß.“852 Den Film Sonntag vormittags zu zeigen, empfindet er als „Infamie“, denn wer werde dann zuschauen? Lanzmann selbst gibt die politisch wenig korrekte Antwort: „Vielleicht ein paar Kinder oder türkische Hausfrauen, die neben dem Saubermachen fern- sehen.“ Das ist für ihn „eine Perversion von wirklich faschistischer Art, wenn man den Film zeigt, ohne ihn wirklich zu zeigen.“853 Dieses Gespräch wird in der Sendung Kulturjournal auf Bayern 2 gesendet. Direkt geht man nicht auf die Vorwürfe Lanzmanns gegen den Bayeri- schen Rundfunk ein. Stattdessen verliest eine Sprecherin eine Erklärung der TV-Direktion, in der der Ausstrahlungstermin gerechtfertigt wird. Am Ende heißt es: „Es widerspricht unserem Stil, auf Lanzmanns Argu- mente einzugehen. Sie sprechen für sich selbst.“854 Uwe Schmitt nimmt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Stellung zu der Kontroverse um den Sendetermin von Shoah. Nicht nur Lanzmanns Shoah auch Dokumentationen wie Fechners Der Prozeß oder Buchheims Das Boot seien „auf den Wühltischen des deutschen Fernsehens ver- ramscht“ 855 worden. Und ebenso die Serie Holocaust lief zunächst in den Dritten Programmen. Da habe sie jedoch sensationelle Quoten erreicht: mehr als ein Drittel der Zuschauer entschieden sich für dieses Programm. Shoah oder Der Prozeß blieb ein solcher Erfolg verwehrt. Woran das liegt, ist schwer zu entscheiden. Das Argument, die Zuschauer kennten den dritten Knopf an der Fernbedienung nicht, kann jedenfalls nicht geltend gemacht werden. Schmitt glaubt: „Ein stiller Konsens mit ängstlichem Seitenblick auf Einschaltquoten ist die Ursache für dieses Unding, nicht etwa die Sabotage eines diktatorischen Fernseh- ‚Faschisten‘ oder gar einer rechtslastigen Geheimloge der Intendanten.“ Vielmehr vermutet der Autor eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: 852 Lerch, Gisela: Die Tränen sind der Einbruch der Wahrheit. Ein Gespräch mit Claude Lanzmann anläßlich der Ausstrahlung von Shoah im Bayerischen Fernsehen. In: Süd- deutsche Zeitung vom 5.4.1986, S. 12. 853 Ebenda. 854 Zit. nach Bolesch, Cornelia: Signale aus Orwells Welt. Das Kulturjournal mit seinem Programm-Schwerpunkt Shoah. In: Süddeutsche Zeitung vom 21.3.1986, S. 32. 855 Schmitt, Uwe: Auf dem Wühltisch des Fernsehens. Zur Kontroverse um Claude Lanz- manns Film Shoah. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.4.1986, S. 27. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 400 „Weist ‚Minderheitenprogrammen‘ minderwertige Sendeplätze zu. Und seht! Wieder wird nur eine Minderheit diese Sendung sehen.“856 Shoah wird allein durch seine Länge von neuneinhalb Stunden zu einem für das Fernsehen kaum geeigneten Film, zumal Lanzmann darauf be- steht, ihn nicht in programmgerechte Portionen aufzuteilen. Angesichts des Themas scheint dem Regisseur Rücksicht auf den durchschnittlichen Zuschauer nicht angebracht. Seinen Film muß man sehen, man muß bereit sein, mehrere Stunden lang auf einem kleinen Bildschirm den Erzählungen vieler verschiedener Personen an wechselnden Orten mit Hilfe von Untertiteln zu folgen. Shoah erreicht nur ein ganz kleines Publikum. Eine halbe Million Zuschauer haben Teile des Films gesehen, kaum jemand aber den ganzen Film. Als Gründe für die geringe Reso- nanz bei den Fernsehzuschauern werden die Übersättigung mit Filmen und Dokumentationen zum Thema genannt sowie die fehlende Voraus- publizistik. Beide Begründungen sind jedoch ungenau, zum einen wird nicht deutlich, wo das Zuviel beginnt und welche Zuschauergruppen gemeint sind, zum anderen sind auch bei Shoah schon vor der Ausstrah- lung mehr als achtzig ausführliche Berichte in den Tages- und Wochen- zeitungen und der Fachpresse erschienen. Kontrovers diskutiert wurde vorab allerdings nicht. So treffen bei Shoah mehrere Faktoren zusam- men. Neben dem Thema und der Machart des Films haben das unter- haltende Angebot der Konkurrenz, der ungünstige Sendeplatz und die ungünstige Sendezeit sowie die Länge eine stärkere Resonanz verhin- dert. Gingen nach der Ausstrahlung von Holocaust Tausende von Brie- fen und Anrufen beim WDR ein, so melden sich nach Shoah gerade einmal 41 Zuschauer. Die Hälfte davon lobt den Film als überaus beein- druckende Dokumentation, kritisiert aber den Sendeplatz. Die negativen Rückmeldungen enthalten die üblichen Beschimpfungen, von „alles Lüge“ bis „die anderen haben doch auch“. Ein Schreiber beschwert sich, schon wieder mit KZ-Bildern konfrontiert zu werden, das habe man doch schon x-mal gesehen.857 Dieses Statement ist aufschlußreich, da in Shoah diese Bilder gerade nicht gezeigt werden. II.8.5. Filmkritiken In der publizistische Kontroverse über Shoah stellen die Kritiker häufig Bezüge her zu aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus. Lothar Baier berichtet, daß die Kinogänger in Paris gebeten werden, ihre 856 Ebenda. 857 Vgl. Müller, Hans Jürgen: Shoah - Ein Film. A.a.O., S. 75. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 401 Taschen zu öffnen, weil einige Wochen zuvor, während des jüdischen Filmfestivals, eine Bombe detoniert ist. Das belege, „...daß dieser Film von einer Vergangenheit handelt, die noch nicht zu Ende ist.“858 Diese „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, so der Titel eines Beitrags des Historikers Ernst Nolte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist Thema des im Jahr 1986 ausbrechenden Historikerstreits. Die Kontroverse entzündet sich an der Frage, inwiefern die Verbrechen der Nazis einzigartig seien. Mehrere an der Kontroverse Beteiligte stellen einen Bezug zu Shoah her, u.a. Ernst Nolte selbst. Der als „Faschismusexperte“ bekannte Historiker schreibt: „Eine voreilige Äußerung eines Bundestagsabgeordneten zu gewissen Forderungen der Sprecher jüdischer Organisationen oder das Ausgleiten eines Kommu- nalpolitikers in eine Geschmacklosigkeit werden zu Symptomen von ‚Antisemitismus‘ aufgebauscht, als wäre jede Erinnerung an den genui- nen und keineswegs schon nationalsozialistischen Antisemitismus ver- schwunden, und um die gleiche Zeit läuft im Fernsehen der bewegende Dokumentarfilm Shoah eines jüdischen Regisseurs, der es in einigen Passagen wahrscheinlich macht, daß auch die SS-Mannschaften der Todeslager auf ihre Art Opfer sein mochten und daß es andererseits unter den polnischen Opfern des Nationalsozialismus virulenten Antisemitis- mus gab.“859 Abgesehen von Noltes unsinniger Unterscheidung zwischen genuinem und nationalsozialistischem Antisemitismus ist seine Deutung „einiger Passagen“ von Shoah bestenfalls als sehr subjektiv zu bezeichnen, denn wo zeigt Lanzmann SS-Mannschaften als Opfer? Aber daß es auch in Polen virulenten Antisemitismus gab und gibt, ver- schweigt Lanzmann in der Tat nicht. Die von Nolte als „voreilige Äußerungen eines Bundestagsabgeord- neten“ bezeichneten Sätze stammen von Hermann Fellner, dem innen- politischen Sprecher der Bonner CSU-Landesgruppe. Zur gleichen Zeit fällt der CDU-Bürgermeister des Städtchens Korschenbroich, Degen- hardt Wilderich Graf von Spee, durch antisemitische Äußerungen auf. Fellner hat in einem Interview mit dem Kölner Express die rechtliche und moralische Grundlage der Forderungen nach Wiedergutmachungs- leistungen für jüdische Zwangsarbeiter in Frage gestellt und dabei von den Juden gesprochen, „... die sich schnell zu Wort melden, wenn irgendwo in deutschen Kassen Geld klimpert.“860 Graf von Spee hat vorgeschlagen, „...einige reiche Juden zu erschlagen, um die Haushalts- 858 Baier, Lothar: Täter und Opfer. Claude Lanzmanns Rekonstruktion der Judenvernich- tung: Shoah. In: Frankfurter Rundschau vom 7.9.1985, S. 12. 859 Nolte, Ernst: Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6.6.1986, S. 25. 860 Vgl. Zwangsarbeiter. Wie die Fliegen. In: Der Spiegel, Nr. 3 vom 13.1.1986, S. 28-30. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 402 probleme der Stadt Korschenbroich zu lösen.“861 Laut Micha Brumlik hat sich mit diesen Stimmen „der real existierende Antisemitismus wieder klar und unter Beifall artikuliert.“862 Brumlik leitet mit diesem Statement seine Rezension zu Shoah ein. Lothar Baier zieht die Parallele zwischen damaligem und heutigem Geschehen am Ende seiner Kritik und erinnert an die geschichtspolitische Kontroverse, die der Deutsch- landbesuch des US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan ein Jahr zuvor ausgelöst hat: „Shoah ist die denkbar massivste Antwort auf Bitburg. ... Claude Lanzmanns einzigartiges Filmdokument kommt zum rechten Zeitpunkt, um in der neuen deutschen Mickymauswelt, in der Auschwitz und die Vertreibung der Ostdeutschen dieselbe Bonbonfarbe annehmen, die Proportionen zurechtzurücken.“863 Auch Peter Buchka, Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung, stellt in seinem Beitrag mehrmals fest: „Shoah kommt zur rechten Zeit.“ Zur rechten Zeit, deshalb, um den Schlußstrichwünschen, die sich hinter einer Formulierung wie der von der „Gnade der späten Geburt“ verbergen, etwas entgegenzusetzen. Es gäbe nämlich „...auch eine Arroganz der späten Geburt.“864 Nicht nur den Filmkritikern dient Shoah als Argument in der politischen Ausein- andersetzung, als ein Kunstwerk, das der nach dem Regierungswechsel 1983 angekündigten „geistig-moralischen Wende“ gegenübersteht. Auch der Parteivorsitzende der SPD, Willy Brandt, hält Filme wie Shoah für „... nötig in einer Zeit, in der deutsch-nationale Beschränktheit und poli- tische Spekulation auf antisemitische Ressentiments sich bereits wieder ungeniert zu Wort melden und eine Wende – auch auf dem Gebiet der politischen Moral und des menschlichen Anstands durchsetzen möch- ten.“865 Die deutschen Kritiken zu Shoah heben neben seinem künstlerischen Wert die historische Bedeutung des Films hervor. Sie sind alle sehr ähn- lich aufgebaut. Fast immer beginnen sie mit der Beschreibung einer Filmszene. Fast immer beschreiben die Rezensenten Szenen, in denen Simon Srebnik oder Abraham Bomba erzählen. Diesem „Einstieg“ folgt eine Erklärung des Begriffs „Shoah“, dann Informationen zu Claude 861 Vgl. „Die Vergangenheit holt uns ein“. Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann über die Kleinstadt Korschenbroich und den Antisemitismus. In: Der Spiegel, Nr. 10 vom 3.3.1986, S. 59-71. 862 Brumlik, Micha: Der zähe Schaum der Verdrängung. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 17.2.1986, S. 192ff. 863 Baier, Lothar: Täter und Opfer. Claude Lanzmanns Rekonstruktion der Judenvernich- tung: Shoah. In: Frankfurter Rundschau vom 7.9.1985, S. 12. 864 Buchka, Peter: Was ein Leben vom Menschen ist. Shoah von Claude Lanzmann. Eine Dokumentation der Judenvernichtung im Dritten Reich. In: Süddeutsche Zeitung vom 1./2.3.1986, S. 151. 865 Brandt nennt Shoah ein erschütterndes Dokument. dpa-Meldung. In: Der Tagesspiegel vom 19.2.1986, S. 4. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 403 Lanzmann und seiner Arbeitsweise. An diesem Punkt erfolgt eine Wer- tung, muß der Kritiker Stellung beziehen. Denn hier geht es um die Frage, was in Shoah dokumentarisch, was inszeniert ist, und ob Lanz- manns Art der Befragung akzeptabel ist. Die Rezensenten unterscheiden zwischen der Befragung der Täter und der Opfer. Bei beiden interessiert aber, wie freiwillig sie sich den Fragen des Regisseurs ausgesetzt haben. In dem Gespräch mit Lanzmann im Bayerischen Rundfunk (Hörfunk) fragt Gisela Lerch, ob die Szenen mit dem SS-Unterscharführer und dem Bahnbeamten, beide eindeutig den Tätern zuzurechnen, mit versteckter Kamera aufgenommen worden sind. Lanzmann weigert sich zunächst, eine Antwort zu geben, wird dann aber der Journalistin gegenüber sehr deutlich, als diese anmerkt, daß dadurch ja auch Persönlichkeitsrechte der Gezeigten verletzt worden seien. Lanzmann: „Ich zeige mit Arroganz und Stolz - vor der ganzen Welt - , daß ich diese Leute getäuscht habe. Ich verstecke mich nicht. Ich zeige das öffentlich. Ich zeige voller Stolz, daß ich sie belogen habe, denn sie haben das oberste Gesetz, das Gesetz aller Gesetze, das Gesetz des Lebens, nicht respektiert. Deshalb emp- finde ich überhaupt keine persönlichen oder ethischen Konflikte gegen- über diesen Menschen, keine.“866 Dietrich Leder findet diese Szenen mit dem SS-Unterscharführer Suchomel und dem Reichsbahnbeamten Stier nicht nur deswegen frag- würdig, weil Lanzmann die Befragten getäuscht hat, sondern auch, weil sie an einen schlechten Spionagefilm erinnern. „Es sei angemerkt, daß nicht alle inszenierten Passagen geglückt sind. Das Spiel mit den illega- len Videoaufnahmen des SS-Mannes und des Eisenbahners wird stets von Bildern unterbrochen, die einen kleinen Bus zeigen, auf dessen Dach sich demonstrativ eine Antenne dreht, mit der – das legen die Gegen- schnitte nahe – gerade die Videoaufnahmen eingefangen werden. Das ist effekthascherischer als die Illegalität der Aufnahmen selbst, die sich die Täter von damals heute verbeten haben.“867 Lanzmann verschweigt die Inszenierung gerade dieser Szenen jedoch nicht, sonst hätte er vermut- lich Franz Suchomels Kommentar, nachdem er das Treblinka-Lied gesungen hat, weggeschnitten. Suchomel: „Nehmen Sie mir’s nicht übel. Weil ... sie wollen Geschichte haben, und ich sag Ihnen Geschichte.“868 866 Lerch, Gisela: Die Tränen sind der Einbruch der Wahrheit. Ein Gespräch mit Claude Lanzmann anläßlich der Ausstrahlung von Shoah im Bayerischen Fernsehen. In: Süd- deutsche Zeitung vom 5.4.1986, S. 12. 867 Vgl. Leder, Dietrich: Bis an die grenzen des Sagbaren. Eine Auseinandersetzung mit Shoah von Claude Lanzmann im Fernsehen. In: Funk-Korrespondenz Nr. 16 vom 18.4.1986, S. P4. 868 Franz Suchomel, zit. nach Lanzmann, Claude: Shoah, A.a.O., S. 145. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 404 Die Deutschen, die in Shoah auftreten, sind alle uneinsichtig, verlogen und voll Selbstmitleid. Lanzmann setzt Täter und Deutsche gleich. Wie Daniel Jonah Goldhagen zehn Jahre später spricht der Regisseur immer von „den Deutschen“ im Kollektiv, um damit anzudeuten, daß alle Deut- schen in irgendeiner Form schuldig geworden sind, und sei es, weil sie weggeschaut haben, sich nicht gekümmert haben, was ab 1933 ihren jüdischen Nachbarn angetan wird, weil sie nicht wissen wollten, was passiert. Den deutschen Tätern und Mittätern stellt Lanzmann keine Fragen nach ihrer persönlichen Schuld, nach Gründen für ihr Handeln, denn er ist sich sicher, darauf nur Lügen zur Antwort zu bekommen. Er fragt sie lieber nach Einzelheiten, dem Wetter, Tagesabläufen, was sie gesehen haben, wie denn die Lebensumstände für sie im annektierten Teil Polens gewesen seien. Da schildert dann die Frau des Nazilehrers in Kulmhof/Chelmno, wo täglich Hunderte in Gaswagen ermordet wurden, die nicht sehr luxuriöse Ausstattung ihres Hauses. Die Gaswagen habe sie gesehen, „aber nie reingeguckt“. Die im Krieg oder nach 1945 Geborenen hält Lanzmann für nicht schul- dig, sie seien jedoch verpflichtet, die Verantwortung für das Geschehen zu übernehmen und dafür zu sorgen, daß Vergleichbares nicht wieder geschieht. Abgesehen von dieser allgemeinen, fast floskelhaften Formu- lierung – keine Kollektivschuld, aber kollektive Verantwortung!- die auf breite Zustimmung stößt und Teil einer jeden Sonntagsrede ist, äußert sich Lanzmann allerdings überaus kritisch zur nachwachsenden Genera- tion: „Die jungen Deutschen, mit ihren Schnauzbärten, die heute zwi- schen fünfunddreißig und vierzig sind, kommen mir wie Gespenster vor, kopflos, blind. Sie sehen ihre eigene Geschichte nicht. Hundertmal im Verlauf meiner Nachforschungen habe ich es erlebt, daß alte Nazis, die ich interviewte, von ihren Kindern abgeschirmt wurden.“869 Shoah nennt Claude Lanzmann „den für die Deutschen ersten befreien- den Film seit 1945“870, führt indes nicht aus, wovon Shoah befreien kann und ob der Film nur für die Deutschen befreiend ist. Verständlicher wird dieses Statement vielleicht im Zusammenhang mit Äußerungen des Regisseurs über andere Holocaustfilme. „Es wird behauptet, der ameri- kanische Film Holocaust habe die Deutschen aufgerüttelt. Das stimmt nicht. Es war nur ein Strohfeuer, zumal der Film selbst purer Schwach- sinn ist.“ Die Wirkungslosigkeit von Holocaust belegt er durch die Weigerung einer jungen Frau, nachzufragen, was ihr Nachbar während des Krieges getan hat. Als Lanzmann ihr erklärt, daß der nette Nachbar 869 Lanzmann, Claude, zit. nach Sölle, Dorothee: Von Gott verlassen. Augenzeugen des Holocaust. Claude Lanzmanns Film Shoah. In: Die Zeit, Nr. 9 vom 21.2.1986, S. 55. 870 Hurst, Heike: „Der erste befreiende Film seit 1945“. Gespräch mit Claude Lanzmann. In: Frankfurter Rundschau vom 1.2.1986, S. ZB 3. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 405 verantwortlich für den Tod von vierzigtausend Juden ist, antwortet die Frau: „Jeder hat sein Privatleben.“ Lanzmann: „Das nach dem Film Holocaust.“871 Lanzmann sagt über sich selbst und seine Interviewtechnik im Gespräch mit Heike Hurst, daß er sich nicht wie ein Richter oder Staatsanwalt den Täter gegenüber zeigen, sondern sachliche Fachgespräche mit ihnen führen wollte. Die Entschuldigungen oder Ausreden hätten ihn nicht interessiert, schließlich sei er nicht Serge Klarsfeld.872 Im Film sehen wir Lanzmann aber doch in der Rolle des Anklägers. Er schont niemanden, insbesondere nicht die deutschen Täter. Zu Recht, finden fast alle Rezen- senten, und akzeptieren daher auch Recherche- und Interviewmethoden, die in anderen Zusammenhängen kritischer gesehen werden. Grundsätz- lich bemühe sich Lanzmann, sachlich zu bleiben und sich moralischer Urteile zu enthalten, „..auch wenn ihm dies anscheinend zuweilen sehr schwer gefallen ist.“ 873 Dorothee Sölle ist der Meinung, daß Lanzmann „...die ihm gegenübersitzenden Nazis und andere Mit-Deutsche nicht verurteilt; er scheint ihnen sogar Vertrauen einzuflößen. Erst dachte ich, daß sei ein Trick, eine Art pädagogischer Zurückhaltung. Aber nachträg- lich, den Film innen noch einmal sehend, entdecke ich etwas ganz ande- res. Es ist eine Art negatives thaumazein, das Staunen, das die Griechen den Anfang der Philosophie nannten. Eine nie aufgegeben Neugier. Wie kam es?“874 Zweifel gegenüber der Befragungsmethode Lanzmanns und seiner „moralischen Unerbittlichkeit“ hegt der Rezensent der Zeitschrift Medien und Erziehung, Georg Hartwanger: „Dieses Zweck-heiligt- Mittel-Denken wäre noch akzeptabel, wenn die Aussage des Films und damit sein Gewicht als historisches Dokument gesteigert worden wäre. Nur, das ist nicht der Fall, denn die unscharfen Aufnahmen von Gesich- tern bringen weder einen notwendigen Beleg noch Erkenntnis, außer der, daß Lanzmann Sensationsatmosphäre zu schaffen weiß. ... Problematisch ist die latente Wirkung auf Jugendliche, die wiedereinmal vorgeführt bekommen, daß sich ein Moralist mehr Rechte als jeder andere nehmen 871 Lanzmann, Claude, zit. nach Sölle, Dorothee: Von Gott verlassen. A.a.O. Mit denselben Argumenten wendet sich Lanzmann acht Jahre später gegen Schindlers Liste. Der Regisseur stellt sich jedoch nicht der Frage, wie sich künstlerischer Anspruch und Massenwirksamkeit vereinbaren lassen könnten. Vgl. Kapitel II.9. 872 Vgl. Hurst, Heike: „Der erste befreiende Film seit 1945“. A.a.O. 873 Müller, Hans Jürgen: Shoah - Ein Film. Erinnerungsarbeit in der Erwachsenenbildung mit dem Mittel der Kunst. Informationen zur wissenschaftlichen Weiterbildung 47. Hrsg. vom Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Oldenburg. Oldenburg, 1991, S. 62. 874 Sölle, Dorothee: Von Gott verlassen. A.a.O. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 406 kann.“875 Tzvetan Todorov formuliert ähnliche Bedenken gegenüber dem „Kunstwerk“ Shoah und dem Umgang des Regisseurs mit Tätern und Opfern. Daß Lanzmanns Sympathie den Opfern gilt, findet er nur natürlich, sein Haß auf die Täter, Mitläufer und Profiteure mache es aber unmöglich zu verstehen, warum diese Personen sich so und nicht anders verhalten haben. „Er beruhigt uns (und sich), indem er altvertraute Gegensätze bekräftigt: wir und sie, Freund und Feind, Gut und Böse ...“.876 Andererseits macht Lanzmann im Umgang mit Tätern und Opfern keinen Unterschied, wo er sie zwingt, seinen Vorgaben zu folgen. Damit vermittele er den Zuschauern in etwa folgendes: „Auf den Willen des Individuums dürfen Sie keine Rücksicht nehmen, wenn er sie daran hindert, Ihr Ziel zu erreichen.“ Diese auch von Hartwanger kritisierte Unnachgiebigkeit und Fixierung auf entlarvende Aussagen hält Todorov für bedenklich. Da es in Shoah „... um die Darstellung einer Welt geht, die sich vor allem dadurch auszeichnete, daß der individuelle Wille in ihr nichts galt, wünscht man sich doch, daß Lanzmann in der Wahl seiner Mittel etwas vorsichtiger gewesen wäre.“877 Können die Kritiker überwiegend akzeptieren, wie unnachgiebig sich Lanzmann bei der Befragung der Täter zeigt, hegen sie doch Zweifel, „...ob es zulässig ist, die Überlebenden wie ein Kommissar mit Druck und guten Worten und unter allen Umständen dazu zu bringen, das Aufwühlendste, das ihnen widerfuhr, der Öffentlichkeit zu verraten.“878 Hier meint Brumlik die Szene mit dem Friseur Abraham Bomba. Auf sie beziehen sich auch Peter Buchka, Klaus Kreimeier und Jürgen Haber- mas, andere Kritiker führen die Szene „eine Kirche in Chelmno“ mit Simon Srebnik an, um zu diskutieren, ob Lanzmann dem Opfern zu viel zumutet. Peter Buchka beschreibt seine Empfindungen angesichts des Zusam- menbruchs Bombas: „Da möchte man sie [die Zeugen] nur stumm in die Arme nehmen und vor dem lästigen Frager schützen.“ Buchka ist sich aber sicher, daß Lanzmann „weiß, was er tut.“879 Klaus Kreimeier bezeichnet Lanzmanns Methode als eine, „... die nur unmenschlich scheint: Gleich der inquisitorischen Technik der Psychoanalyse muß sie 875 Hartwanger, Georg: Der Versuch, Unfaßliches faßbar zu machen. Shoah. In: Medien und Erziehung. 30. Jg, H. 3/1986, S. 173. 876 Todorov, Tzvetan: Angesichts des Äußersten. München, 1993, S. 299. 877 Ebenda. 878 Brumlik, Micha: Der zähe Schaum der Verdrängung. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 17.2.1986, S. 192ff. 879 Buchka, Peter: Was ein Leben vom Menschen ist. Shoah von Claude Lanzmann. Eine Dokumentation der Judenvernichtung im Dritten Reich. In: Süddeutsche Zeitung vom 1./2.3.1986, S. 151. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 407 Schutzschichten zerbrechen, um das traumatische Material freizulegen. Mit einigen seiner Zeugen hat Lanzmann offensichtlich eine Verein- barung getroffen, va banque zu spielen: Erinnerung als Folter, als Expe- riment mit ungewissem Ausgang.“880 Kreimeier bietet eine Erklärung, warum Lanzmann den Opfern die Qualen des Erinnerns zumutet: „... damit sie uns – den Nachgeborenen oder Gleichgültigen – eine schwache Ahnung jener Hölle vermitteln können, in deren Bannkreis sie seit mehr als vierzig Jahren leben.“881 Das heißt: Retraumatisierung der Opfer, damit wir endlich verstehen. Muß das sein? Letztlich bejahen die Rezensenten diese Frage, denn: „Solche Indezenz ist nur auf der Basis einer selbstverständlichen Solidarität mit den Opfern möglich. Dies unterscheidet Lanzmanns Taktlosigkeit von den selbsternannten Enttabuisierern in Frankfurt, die Fassbinders ‚Müll‘ auf die Bühne zwingen wollten.“882 So stellen die Rezensenten nicht nur eine Verbindung her zu aktuellen antisemitischen Äußerungen (Fellner, von Spee), Kohls Rede von der „Gnade der späten Geburt“, Bitburg und dem Historikerstreit, sondern auch der seit 1976 immer wieder auf- brechenden Kontroverse über Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“. Im Oktober 1985 haben Gegner die Bühne des Frankfurter Kammerspiels besetzt, um die Aufführung des ihrer Meinung nach antisemitischen Stückes zu verhindern, andere sprechen danach von unzulässiger Zensur.883 Grundsätzlicher deuten Kurt Scheel, Jürgen Habermas und Peter Buchka die Rolle der Sprache, das Reden und Schweigen von Opfern und Tätern. Scheel meint, gerade weil die Nazis treffende Bezeichnungen für den Massenmord vermieden haben, dieser möglich geworden ist. Gegen Sprachlosigkeit und Schweigen kämpfe Lanzmann an, und so erkläre sich auch das Motto, das er Shoah voranstellt: „Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.“ (Jesaja, 56,5).884 Haber- mas äußert sich zu Shoah in seiner Antwort auf Nolte: „Wir haben den beinahe körperlichen Vorgang der Erinnerung an Szenen nachvollziehen können, in denen ein unerbittlicher Claude Lanzmann den Opfern von Auschwitz und Majdanek die Zunge löst. Bei jenem Friseur wird der starr und stumm gewordene Schrecken zum ersten Mal in Worte gefaßt – 880 Kreimeier, Klaus: Unsagbares sagen. Claude Lanzmanns Film Shoah. In: epd Film. H. 2/86, S. 26. 881 Ebenda. 882 Brumlik, Micha: Der zähe Schaum der Verdrängung. A.a.O., S. 197. 883 Vgl. hierzu Bodek, Janusz: Die Fassbinder-Kontroversen. Entstehung und Wirkung eines literarischen Textes. Frankfurt/M., Bern, 1991. 884 Vgl. Scheel, Kurt: Großes Unheil, Katastrophe. Zu Claude Lanzmanns Film Shoah. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. 40. Jg., H. 6/1986, S. 532. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 408 und man weiß nicht recht, ob man noch an die lösende Kraft des Wortes glauben soll. Auch auf der anderen Seite strömen wieder Worte aus einem Munde, der lange verschlossen gehalten wurde – Worte, die aus guten Gründen, jedenfalls in der Öffentlichkeit, seit 1945 nicht mehr gebraucht worden waren.“885 Peter Buchka deutet das allgemeine Unbe- hagen der Kritiker als Folge der Erkenntnis, „...daß im menschlichen Wort nicht nur die Wahrheit steckt, sondern sich auch die Unmensch- lichkeit der Geschichte abgelagert hat in Floskeln, die ihrerseits unfrei- willig den Horror lebendig halten.“886 So komme schließlich das Gegenteil von Lanzmanns großem Vertrauen in die Sprache zutage. Habermas‘ und Buchkas Überlegungen zum Doppelcharakter der Spra- che legen nahe: einen rationalen Diskurs über Auschwitz kann es nicht geben. Das zeigen geschichtspolitische Debatten wie der Historikerstreit und die publizistischen Kontroversen über den Holocaust im Film. II.8.6. Exkurs: Die Shoah-Resonanz in Polen Heftig umstritten ist neben Lanzmanns Befragung der Opfer und Täter die der dritten Gruppe, der sogenannten „bystanders“. Der Regisseur sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, einen tendenziösen, zutiefst anti- polnischen Film gedreht zu haben. Die antisemitischen Äußerungen der Polen, die Entschuldungsversuche und Halbwahrheiten werden im Film nicht kommentiert, nicht ergänzt oder widerlegt. Lanzmann streitet nicht mit den Polen, sondern läßt sie reden. Sie demonstrieren beispielsweise, daß sie mit einer Geste des Kehledurchschneidens auf die Juden in den Deportationszügen reagiert haben. Angeblich, um diese zu warnen. Das aber glaubt Lanzmann nicht. Vielmehr, so der Regisseur, zeige diese Geste den Sadismus und die Schadenfreude der primitiven Bauern. „Wenn das eine Warnung sein soll, und wenn die anderen sie verstehen, dann wird sie ihnen die letzten Augenblicke des Lebens noch schlimmer machen.“887 Diese und andere Szenen in Shoah führen dazu, daß die polnische Regie- rung bei der französischen gegen die Ausstrahlung von Shoah protestiert und ein Verbot des Films verlangt. Darauf geht die französische Regie- 885 Habermas, Jürgen: Vom öffentlichen Gebrauch der Historie. Das offizielle Selbst- verständnis der Bundesrepublik bricht auf. In: Die Zeit vom 7.11.1986, S. ? Auch in: „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. 9. Aufl. München, 1995 (1987), S.243 – 255. 886 Buchka, Peter: Was ein Leben vom Menschen ist. Shoah von Claude Lanzmann. A.a.O. 887 Lanzmann, Claude, zit. nach Hurst, Heike: „Der erste befreiende Film seit 1945“. A.a.O. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 409 rung nicht ein, was das Verhältnis zwischen Polen und Frankreich weiter verschlechtert. Im polnischen Fernsehen ist schließlich ein 90-minütiger Zusammenschnitt zu sehen. In der anschließenden Fernsehdiskussion wird der Film einmütig verurteilt. Fernsehreporter im Auftrag der pol- nischen Regierung „recherchieren“, daß Lanzmann den Polen in seinem Film Geld für ihre Statements gegeben habe. In der Presse aber findet eine für die damaligen Verhältnisse relativ offene und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Film und Lanzmanns Auffassung statt, die Polen seien mitverantwortlich für den Holocaust. Den jahrzehntelang totgeschwiegenen Pogrom von Kielce 1946888 thematisieren einige klei- nere Oppositionsblätter erstmals in den achtziger Jahren, ebenso die Versuche der politischen Führung Polens, bei innerparteilichen Ausein- andersetzungen und Machtkämpfen antijüdische Ressentiments in der polnischen Gesellschaft zu mobilisieren. So hat z.B. das Organ der pol- nischen Armee, Zsolnierz Wolnosci, die Gewerkschaftsbewegung Soli- darnosc 1981 als von Juden initiiert bezeichnet. Stellung beziehen in der publizistischen Kontroverse über Shoah der polnische Regierungssprecher Jerzy Urban (unter dem Pseudonym Jan Rem), Professor Artur Sandauer, der als Jude von Polen vor der Ver- nichtung gerettet wurde, Jerzy Turowiz, Chefredakteur der polnischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny, der katholische Publizist Andrzej Grzegorczyk und der Filmkritiker Krysztof Teodor Toeplitz. Alle, die sich zu Wort melden, loben zunächst den Film, es handele sich um „ein großes Werk“ (Turowic), „hervorragend“ (Rem) und „erschütternd“ (Rem, Sandauer). Dann jedoch folgt das „Aber...“. Rem wendet sich heftig gegen die einseitige Darstellung der polnischen Bevölkerung und die Art der Befragung der Personen; Lanzmann zeige „Lümmel mit spießerischer Weltanschauung voll von Xenophobie und Traumata. ... ausschließlich das intellektuelle Parterre, den Souterrain ... .“ Aus seinen Gesprächspartnern hole er raus, „was in ihnen dunkel oder sogar wider- lich ist. Er manipuliert sie und provoziert bei ihnen dumme und grau- same Äußerungen, von denen er wiederum diejenigen verwendet, die am meisten abstoßen.“ Das werde der Wirklichkeit nicht gerecht: „Einseitige 888 Auslöser der Gewalt ist die Behauptung eines kleinen Jungen, Juden hätten ihn in einem Keller festgehalten, deswegen komme er zu spät nach Hause. Daraufhin rottet sich eine Menschenmenge zusammen, treibt die vermeintlich Schuldigen aus ihren Häusern und erschlägt 42 Juden, ohne daß die Miliz einschreitet. Bis heute ist unklar, ob es sich dabei um einen spontanen Gewaltausbruch oder eine gesteuerte Aktion han- delte. Aufgrund dieser Vorfälle emigrieren 150.000 polnische Juden, zumeist nach Palästina. Fünfzig Jahre später, 1996, finden erstmals in Polen Gedenkveranstaltungen statt, zu denen Vertreter jüdischer Organisationen geladen sind. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 410 Auswahl“, so Rem, „kann manchmal dazu dienen, die Wahrheit stärker hervorzuheben. Hier aber dient sie der Lüge.“889 Bei dieser Argumentation stellt sich die Frage, wann denn Einseitigkeit die Wahrheit hervorhebt und wann nicht? Haben nicht die befragten Polen ihre tatsächliche Meinung geäußert, selbst wenn Lanzmann diese Äußerungen provoziert haben sollte? Rem hält Lanzmanns Interview- technik für unzulässig und ungerecht, und er ruft zu Recht in Erinnerung: „Nicht die Polen, sondern die deutschen Nazis schufen diese verbreche- rische Welt.“890 Artur Sandauer fordert in seinem Artikel vor allem eine offene Ausein- andersetzung mit dem Film. „Statt andere über unsere Fehler diskutieren zu lassen, sollten wir dies selbst tun. ... Wir sollten nicht zulassen, daß man aus unserem Schweigen und unserer Scham Nutzen zieht. ... Die Sorge, daß sich die Polen unter dem Eindruck des Films nicht mehr in die Augen schauen könnten, ist unbegründet.“891 Damit spielt Sandauer auf den polnischen Widerstand an. Auf ihn beruft sich auch Andrzej Grzegorczyk. Jerzy Turowicz befaßt sich hauptsächlich mit dem Vorwurf Lanzmanns, der polnische Antisemitismus sei ein Kind des Katholizismus. Bewußt hätten die Nazis ihre Vernichtungslager in Polen errichtet, weil sie mit der schweigenden Zustimmung der polnischen Bevölkerung rechneten. Diesen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Katholizismus, Anti- judaismus und Judenvernichtung will Turowicz nicht erkennen. Es habe auch katholische Polen gegeben, die den Antisemitismus bekämpften und ihr Leben für die Rettung jüdischer Nachbarn riskierten. Turowicz spricht deshalb von „Schicksalsgemeinschaft“. Er leugnet die Existenz polnischen Antisemitismus nicht, weist aber Lanzmann, den Franzosen und Résistance-Kämpfer, darauf hin, daß „75.000 französische Juden durch die französischen Polizei und die Vichy-Regierung der Ermordung durch die Deutschen ausgeliefert worden sind.“892 Das müßte Lanzmann bekannt sein, ebenso, daß „nicht in Polen, sondern in Rom, Paris und 889 Rem, Jan (= Jerzy Urban): Szpetni i dzicy. (Häßlich und unzivilisiert.) In: Polityka vom 3.8.1985, zit. nach Leszcynska, Dorota/Vetter, Reinhold: In letzter Konsequenz anti- polnisch ... . Warschauer Kommentare zu dem französischen Film Shoah über das jüdisch-polnische Verhältnis. In: Osteuropa-Archiv, 36. Jg., H. 11/1986, S. A570. 890 Ebenda, S. A 571. 891 Sandauer, Artur: Shoah a sprawa polska. (Shoah und die polnische Frage.) In: Polityka vom 3.8.1985. Zit. nach Leszcynska, Dorota/Vetter, Reinhold: In letzter Konsequenz antipolnisch... A.a.O., S. A573. 892 Turowicz, Jerzy: Shoah v polskich oczach. (Shoah mit polnischen Augen.) In: Tygodnik Powszechny vom 10.11.1985. Zit. nach Leszcynska, Dorota/Vetter, Reinhold: In letzter Konsequenz antipolnisch ... . A.a.O., S. A576. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 411 Mailand in den vergangenen Monaten Bomben auf jüdische Synagogen und Restaurants geworfen, nicht in Polen, sondern in der Bundesrepublik vor kurzem jüdische Friedhöfe geschändet wurden.“893 Grzegorczyk möchte den Begriff Antisemitismus gar nicht mehr ver- wendet sehen, da er „ideologisch“ sei und „emotionell überfrachtet“. Der katholische Publizist stellt eine Vermutung an: Konfrontiert mit dem Vorwurf, die Polen hätten den Juden nicht genügend geholfen, fragt er sich, wie groß denn die Hilfsbereitschaft der Juden bei vertauschten Rollen gewesen wäre? Seine Antwort darauf ist schon ein Beleg dafür, daß antijüdische Stereotype noch existieren: „Geht man einmal von ver- tauschten Rollen aus, dann hätte man von seiten der Juden aufgrund ihrer seit dem vergangenen Jahrhundert wenig entwickelten Kampftradition und aufgrund ihres religiös bedingten nationalen Egoismus vielleicht noch weniger Hilfsbereitschaft erwarten können, als sie die Polen schließlich aufgebracht haben.“894 Zum Schluß wird Grzegorczyk ver- söhnlerisch und endet seinen Artikel: „Wir verzeihen und wir bitten um Verzeihung.“ Prompt und angemessen reagiert Krysztof Teodor Toeplitz auf diese Plattheit: „ ... ich möchte Professor Grzegorczyk fragen, was eigentlich seiner Meinung nach die Polen den ermordeten polnischen Juden und den wenigen Überlebenden des jüdischen Volkes sowie deren Nach- kommen, die den Krieg überstanden haben, verzeihen sollten? ... Es wäre nicht gut, wenn unter dem Deckmantel des Verzeihens Intoleranz, Rassismus und Nationalismus zum Ausdruck kämen.“895 Noch deut- licher kann Toeplitz gegenüber Grzegorczyk wohl nicht werden. Insge- samt zeigt diese Auseinandersetzung, daß die Frage nach Schuld und Unschuld während der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur die publi- zistischen Kontroversen in Deutschland bestimmt, sondern auch in ande- ren Ländern dieses Thema Jahrzehnte nach Kriegsende die Menschen 893 Ebenda. 894 Grzegorczyk, Andrzej: Kwestia zydowska. (Die jüdische Frage.) In: Polityka vom 16.11.1985. Zit. nach Dorota Leszcynska, Reinhold Vetter: In letzter Konsequenz anti- polnisch ... . A.a.O., S. A577. Das gleiche „Gedankenspiel“ führt 1998 zu einer Ver- schärfung der publizistischen Kontroverse über Martin Walsers Friedenspreisrede. Walsers Fürsprecher Klaus von Dohnanyi fragt ebenso wie Turowicz, wie sich wohl die Juden in umgekehrter Situation verhalten hätten und bietet am Ende dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, Versöhnung an. Vgl. dazu Scharf, Wilfried/Thiele, Martina: Die publizistische Kontroverse über Martin Walsers Friedensrede. In: Deutsche Studien. Vierteljahreshefte. 36. Jg., H. 142, S. 147-208. 895 Toeplitz, Krysztof Teodor: To jest kwestia ideologiczna. (Das ist eine ideologische Frage.) In: Polityka vom 30.11.1985, zit. nach Leszcynska, Dorota/Vetter, Reinhold: In letzter Konsequenz antipolnisch ... . Warschauer Kommentare zu dem französischen Film Shoah über das jüdisch-polnische Verhältnis. In: Osteuropa-Archiv. 36. Jg., H. 11/1986, S. A578. (Zuerst in: Tygodnik Powszechny vom 10.11.1985). II.8. Shoah (Frankreich 1985) 412 bewegt. Erstaunlich ist der Vorwurf, Shoah sei einseitig, weil nur passive Zeitzeugen zu Wort kommen, nicht aber solche, die aktiv gegen die Ver- nichtung vorgegangen sind.896 Was ist mit Jan Karski? Er wird nicht erwähnt, vermutlich weil er als in den USA lebender Pole „persona non grata“ ist. Die polnische Kontroverse über Shoah beachtet auch die deutsche Presse. Die Zeit bittet den polnischen Journalisten Daniel Passent, der für die Wochenzeitung Polityka schreibt, um eine Stellungnahme. Passent stellt voll Ironie fest, daß Lanzmann mit seinem Film erreicht hat, was niemandem seit Einführung des Kriegsrechts 1981 in Polen gelungen ist: daß sich die sozialistische Regierung, die katholische Kirche und fast die gesamte Nation verbündet haben – gegen den französisch-jüdischen Filmemacher.897 So sieht es auch die Autorin der tageszeitung. Shoah komme der polnische Regierung gerade recht, um von Versorgungs- problemen und Preiserhöhungen abzulenken.898 Passent geht in seinem Artikel von der Annahme aus, daß sich die Polen und der Regisseur Lanzmann in ihrem Stolz und ihrer Verletzlichkeit, ihrer Egozentrik und Emotionalität sehr ähnlich sind und daher die heftige Auseinandersetzung beinahe unvermeidbar gewesen ist. Passent stellt fest, daß der Film „...der antipolnischen Hatz förderlich“ ist und einmal mehr zeigt, „...wie unaufrichtig und schizophren der Westen Polen betrachtet. Mal ist Polen der östliche Brückenkopf der westlichen Zivilisation, die Vormauer des Christentums, die Maginotlinie gegen die asiatischen Kommunistenhorden, die Heimat vom Papst, von Milosz und Walesa. Dann wieder, ja nach Bedarf, sind die Polen lauter Geistes- schwache, die wie Nomaden in der osteuropäischen Tiefebene herum- streunen, pathologische Antisemiten, die Juden für ein Stückchen Brot verraten haben oder ihnen mit der Auslieferung an die Gestapo drohten, wenn sie ihnen nicht ihre letzte goldene Uhr und die Ohrringe schenkten; die schließlich zuschauten, wie Rudolf Höss in Auschwitz für die Kreu- zigung Christi Rache nahm. Und das alles, obwohl neben Millionen Juden auch Millionen Polen umkamen; unter ihnen gab es Helden, die für die Rettung von Juden mit ihrem Leben bezahlten, und Hyänen, die das Schicksal der Unglücklichen ausschlachteten.“ Passent sieht in Shoah durchaus eine Kränkung Polens, hofft jedoch, daß Lanzmann diese Kränkung nicht beabsichtigt hat. Der einzige Nutzen des Films 896 So zumindestens Rem und Grzegorczyk, a.a.O. 897 Vgl. Passent, Daniel: Die Fahne beschmutzt. Lanzmanns Shoah hat die Polen an ihrer schmerzlichsten Stelle getroffen. In: Die Zeit, Nr. 11 vom 7.3.1986, S. 102. 898 Luwa: Polnischer Antisemitismus und Shoah. In: die tageszeitung vom 3.3.1986, S. 10. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 413 läge darin, „daß nun über ein Thema diskutiert wird, das bislang, da es zu schmerzlich war, als Tabu galt.“ In der DDR wird Shoah in Prisma erwähnt, dem von Horst Knietzsch herausgegebenen DDR-Kino- und Fernsehalmanach. Knietzsch geht in einer „Anmerkung des Herausgebers“ auf die polnischen Reaktionen ein und zitiert sogar Daniel Passents Zeit-Artikel.899 Die Anmerkung des Herausgebers bezieht sich auf den Beitrag von Rolf Richter zu Shoah. Richter ist seine Erschütterung anzumerken. Seine Sätze sind vage, ver- quält. „Obwohl wir vieles über die Vernichtung der Juden wissen, sah ich den Film mit tiefem Erschrecken. Lanzmann stellt uns die Unge- heuerlichkeit der Vorgänge nicht nur vor unsere inneren Augen, mit die- sem langen Film will er sie tief einprägen, das Vergessen unmöglich machen. Mit diesem Wissen muß ein Mensch unserer Tage leben, ein Verdrängen wäre nicht nur Schwäche, sondern ein Versuch, aus der Geschichte herauszutreten, eine Verweigerung, die hinter den wirklichen Erfahrungen zurückbleiben würde. Die Fragen, die mit Shoah gestellt werden, betreffen die Bestimmung des Menschen, sie verlangen konse- quentes Nachdenken.“900 Anders als noch in den Reaktionen auf die US- amerikanische Serie Holocaust sechs Jahre zuvor verzichtet der Autor auf ideologische Abgrenzung. Die Gründe dafür können in der Person des Filmkritikers liegen, am Film selbst, der sich in Machart und Anspruch grundlegend von Holocaust unterscheidet, oder aber an einer veränderten Position der DDR-Führung zum Thema Vernichtung der Juden. II.8.7. Shoah und das Gesamtwerk Claude Lanzmanns Claude Lanzmanns wichtigster Film ist Shoah. Er hat ihn international bekannt werden lassen. Äußert sich Lanzmann öffentlich, sieht das Publikum in ihm zuerst den Regisseur von Shoah. Die in diesem Film deutlich werdenden Einstellungen Lanzmanns beispielsweise gegenüber Polen prägen auch spätere Statements. Im Streit über das Karmeliter- kloster auf dem Gelände von Auschwitz vertritt er die Auffassung, daß - wenn nicht die jüdische - keine Religion eine ständige Vertretung am Ort der Shoah haben sollte. Die Karmeliterinnen dort, das sieht für ihn nach Bekehrung der Toten aus. Lanzmann stellt resigniert fest, daß jüdische 899 Anmerkung des Herausgebers. In: Prisma. Kino- und Fernseh-Almanach, Bd. 18. Hrsg. von Horst Knietzsch. Berlin (Ost), 1988, S. 275. 900 Richter, Rolf: Vertrauen in die Kraft der Bilder. Eindrucksvolle Filme jenseits von Hollywood. In: Prisma. Kino- und Fernseh-Almanach, Bd. 18. Hrsg. von Horst Knietzsch. Berlin (Ost), 1988, S. 135f. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 414 Interessen so oder so fehlinterpretiert werden. Sollten sich die Karmelite- rinnen aufgrund weltweiten Protestes zurückziehen, hieße es wieder: die bösartigen Juden haben die guten, unschuldigen Nonnen vertrieben. In dieser Affaire um das Kloster erkennt Lanzmann den schon in Shoah dokumentierten polnisch-katholischen Antijudaismus. Dem Papst, Kardinal Glemp und dem Erzbischof von Paris, Monseigneur Lustiger (dem Vetter von Arno Lustiger), einem konvertierten Juden, schreibt er einen besonderen Einfluß in dieser Angelegenheit zu.901 Eindeutig sind auch seine Kommentare zu den Filmen anderer Regis- seure. Marvin Chomskys Holocaust ist für ihn „Schwachsinn“ und ein „Strohfeuer“, weil die Serie „nichts bewirkt“902 habe, Andrzej Wajdas Korczak hält Lanzmann für „ein antisemitisches Machwerk“903, Steven Spielbergs Schindlers Liste für „ein kitschiges Melodram“904. Lanzmann sagt in seiner Kritik zu Schindlers Liste: „Ich habe in aller Bescheiden- heit, aber auch mit Stolz wirklich geglaubt, daß es ein vor und ein nach Shoah gäbe, ich habe geglaubt, daß bestimmte Dinge nach Shoah nicht mehr machbar wären.“905 Daraus sprechen Enttäuschung und Neid, denn so berechtigt Lanzmanns Einwände sein mögen, die von ihm kritisierten Filme sind auf eine weitaus größere Resonanz beim Publikum gestoßen als Shoah. Lanzmanns Filme - Pourquoi Israel? (1973), Shoah (1985), Tsahal (1994) - sind alle Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Juden. Die Gründung des Staates Israel ist für den Regisseur logische Folge der Shoah. Mit seinem letzten Film, Tsahal, einer Hommage an die israe- lische Armee, hat sich Lanzmann nicht nur Lob eingehandelt. Die meisten Kritiker finden den Interview-Film heroisierend und monumen- tal, „über weite Strecken dominiert der reine Militärkitsch, womit jede Armee wirbt“, so Rudolf Walter in seiner Besprechung „Der Dokumen- tarfilm als Propaganda.“906 Erstaunlicher noch als der Film sind Lanz- manns Äußerungen über die israelische Armee und ihre Soldaten. In einem Gespräch mit Mariam Niroumand in der tageszeitung antwortet er auf die Frage, woher in der israelischen Gesellschaft, die stark durch die 901 Die Bekehrung der Opfer. Claude Lanzmann über die Affäre des Karmeliterklosters in Auschwitz. Dokumentation. In: die tageszeitung vom 12.09.1989, S. 8. 902 Lanzmann, Claude, zit. nach Sölle, Dorothee: Von Gott verlassen. A.a.O. 903 Lanzmann, Claude zit. nach Noack, Frank: Darf ein Heiliger vulgär sein? Schindlers Liste und andere Spielfilme über den Holocaust. In: Der Tagesspiegel vom 27.3.1994, S. VIII. 904 Lanzmann, Claude: Ihr sollt nicht weinen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.3.1994, S. 27. 905 Ebenda. 906 Walter, Rudolf: Der Dokumentarfilm als Propaganda. Claude Lanzmanns heroisieren- des Porträt der israelischen Armee. In: Süddeutsche Zeitung vom 3./4.12.1994, S. 17. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 415 Erfahrungen militärischer Schwäche und Stärke geprägt ist, die Kräfte für einen Friedensvertrag kommen könnten, folgendes: „Wenn man sich das Verhältnis der Soldaten zur Gewalt ansieht, stellt man fest: Es gibt zwar einige brutale Soldaten, aber der Mehrheit ist Gewalt fremd. Es ist nicht in ihrem Blut, wie in dem eines Texas-Cop, eines französischen Reservisten oder eines deutschen Landsers. ... Sie können mir das glau- ben oder nicht, aber die Juden haben das Brutale nicht in ihren Genen. ... Ich weiß, daß gerade die deutsche Linke Probleme hat, wenn ein Jude sagt, ich liebe meinen Panzer. Aber das Gebot heißt nicht ‚Du sollst nicht töten‘, sondern ‚Du sollst nicht morden.‘“907 Zwischen Töten und Morden besteht nach Lanzmann also ein Unterschied, und die jüdischen Soldaten unterscheiden sich von anderen Soldaten in der Welt aufgrund ihres Blutes und ihrer Gene. Eine Argumentation, die bei genauerer Betrachtung rassistisch ist. In Israel wurde Tsahal verhalten aufgenom- men. Ob der Holocaust heute jedes militärische Vorgehen der Israelis und den Wandel von einer zivilen in eine militarisierte Gesellschaft legi- timiert, scheint selbst denjenigen, die lange Jahre in der Armee gedient haben, fraglich. In einem Artikel zum 70. Geburtstag des Regisseur würdigt der Histo- riker Dan Diner Lanzmanns Werk und gibt Auskunft über dessen intel- lektuellen und künstlerischen Lebensweg, „in dem sich die gebrochenen Verläufe jüdischer Emanzipationsgeschichte widerspiegeln.“908 Unge- reimtheiten und Widersprüche sind bei Lanzmann häufig. Auf die Frage, warum er sich im Unterschied zu französischen Intellektuellen, die sich für Bosnien oder Ruanda einsetzten, immer wieder mit jüdischen The- men und Israel befasse, antwortet Lanzmann: „Weil ich der franzö- sischste von ihnen bin.“909 Daß er Jude ist bzw. daß seine Mitmenschen ihn sein vermeintliches Anderssein spüren lassen, macht ihn ärgerlich und stolz zugleich. Simone de Beauvoir schildert in ihren Memoiren eindrücklich Lanz- manns Zerrissenheit, seine Wut und Halsstarrigkeit. „Wenn er offen sagte: ‚Ja, ich bin Jude –‘, war keine Verständigung mehr möglich, und der Gesprächspartner verwandelte sich in ein blindes, taubes, böses Tier. Er suchte die Schuld an dieser Metamorphose bei sich. Gleichzeitig 907 „Ohne Armee hätte es keinen Frieden gegeben.“ Das Hauptereignis der Biennale Vene- dig: Gestern präsentierte Claude Lanzmann, der Regisseur von Shoah, seinen neuen Film Tsahal über die israelische Armee. Mit Mariam Niroumand sprach er über Tsahal und den Friedensprozeß. In: die tageszeitung vom 9.9.1994, S. 3. 908 Diner, Dan: Bilder des Unsagbaren. Der französische Publizist und Dokumentarfilmer Claude Lanzmann wird siebzig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.11.1995, S. 39. 909 Ebenda. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 416 fühlte er sich - als Jude auf einen abstrakten Begriff reduziert – aus seinem ureigenen Sein vertrieben. Das ging so weit, daß er nicht mehr wußte, ob es nicht weniger verlogen wäre, nein statt ja zu antworten. Gerade in dem Alter, in dem sich der Mensch der Gemeinschaft anzu- passen versucht, wurde ihm klargemacht, daß er nicht dazu gehöre, daß er ein anderer sei, und dieses Ausgeschlossensein hat ihn für immer gezeichnet.“910 II.8.8. Resümee Die positiven Kritiken zu Shoah überwiegen. Allgemein wird der Film als überragendes Kunstwerk gelobt, das Maßstäbe gesetzt hat. Shoah bringe eine Qualität in die Versuche der Aufklärung, die bisher nicht erreicht worden sei, schreibt beispielsweise Hans Jürgen Müller.911 Für Klaus Theweleit stellt Shoah einen bemerkenswerten Beitrag zur Erinne- rungsarbeit dar. Arbeit deswegen, weil es Mühe mache, sich der Geschichte zu stellen. Wer sagt, „das weiß ich nicht, das habe ich ver- gessen“, verweigere sich der Arbeit. Laut Theweleit ist „... diese Arbeitsverweigerung ‚normalerweise‘ ein Privileg von Mächtigen, die es ‚nicht nötig haben‘, sich an derartiger Arbeit zu beschmutzen (wie an anderer Arbeit ja ebenfalls nicht).“912 Obwohl Shoah im allgemeinen zu den Dokumentarfilmen gerechnet wird, ist den Kritikern bewußt, daß Lanzmann keinen objektiven Film machen wollte, sondern auf Inszenierung und Rekonstruierung des Kontextes gesetzt hat. Seine Begründung, daß nur ein erneutes Durch- leben eine Annäherung an die Wahrheit ermöglicht, haben die Rezen- senten weitgehend akzeptiert. Manche unterscheiden zwischen der Befragung der Opfer oder der Täter und stellen ihre anfangs formulierten Einwände im Verlauf der Rezension selbst in Frage. So gibt es in Deutschland nur vereinzelt Kritik an der Interviewtechnik des Regis- seurs. In Polen hingegen sind sie und die Auswahl der Befragten Ur- sache heftiger Proteste. Manipulation, Einseitigkeit und eine antipol- nische Grundhaltung werden dem Regisseur vorgeworfen. Lothar Baier und Dorothee Sölle fürchten, daß die ausführlichen Belege eines bis heute virulenten polnischen Antisemitismus für Deutsche ent- 910 Beauvoir, Simone de: Der Lauf der Dinge. Deutsch von Paul Baudisch. Reinbek bei Hamburg, 1966, S. 274. 911 Vgl. Müller, Hans Jürgen: Shoah - Ein Film. A.a.O., S. 2. 912 Theweleit, Klaus: Eine Kirche in Chelmno. In: ders.: Das Land, das Ausland heißt. Essays, Reden, Interviews zu Politik und Kunst. München, 1995, S. 119. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 417 lastend sein könnten. Doch werden nicht nur die Polen (mit Ausnahme von Jan Karski) als Antisemiten und Mittäter dargestellt, auch die Deut- schen sind alle unverbesserliche Nazis. Lanzmann verzichtet auf Diffe- renzierungen. Die meisten der in den Vernichtungslagern Ermordeten waren Polen jüdischen Glaubens, es gibt auch Deutsche jüdischen Glau- bens und nichtjüdische Opfer. Er aber spricht nur von den Deutschen, den Polen, den Juden, den Tätern, den Zuschauern, den Opfern. Sölle übernimmt das verallgemeinernde die Deutschen, „... weil zu sagen ‚die SS‘ oder ‚die Nazis‘ eine an Lüge grenzende Ungenauigkeit wäre.“ 913 Lanzmann gibt vor, die befragten Täter nicht verstehen zu wollen und zu können. Mord sei eine für ihn unbegreifliche Sache. Deswegen frage er nicht nach dem „Warum?“. Er begründet das mit der Antwort eines SS- Mannes, die Primo Levi zitiert hat: „Hier ist kein Warum.“ Tzvetan Todorov versteht, daß immer ein Rest Unerklärbares bleibt. Gerade die- jenigen, die wie Lanzmann jahrelang Fakten zusammentragen, stoßen immer wieder auf diesen Rest, können letztlich nicht verstehen, warum Millionen Menschen ermordet worden sind. Aber: „Gar keinen Versuch zu machen, diese Morde zu verstehen, ist das etwa die beste Art, sie für die Zukunft zu verhindern? Das Ereignis so in seine Singularität zu ban- nen, ihm jede Ähnlichkeit mit Ereignissen der Gegenwart oder Zukunft abzusprechen, beraubt uns das nicht der Möglichkeit, Lehren aus ihm zu ziehen?“914 Konsequenterweise könnte jemand, der wie Lanzmann die Frage nach dem Warum? für unergiebig hält und meint, daß die Menschen aus Auschwitz nichts lernen werden, keine Filme zum Thema Vernichtung der Juden machen. Lanzmann stimmt dem zu, auch sein Freund Gershom Sholem habe grundsätzliche Bedenken gegenüber „Holo- caustfilmen“ vorgetragen. Es sei nicht nur nicht möglich, sondern letzt- lich überflüssig, einen Film über den Massenmord an den Juden zu machen. Lanzmann meint dennoch, mit Shoah „keine Bruchlandung“ 915 gemacht zu haben. Vermutlich, weil er die Hoffnung doch noch nicht aufgegeben hat. Lanzmann bleibt der Aufklärung verpflichtet, er ist ein Moralist, parteiisch und laut Timothy Garton Ash entsprechend dem Medium Film ein „großer Diktator“: „Er benutzt bewußt die diktato- rischen Möglichkeiten des Regisseurs, Dich in einen Viehwagen zu sper- 913 Sölle, Dorothee: Von Gott verlassen. Augenzeugen des Holocaust. Claude Lanzmanns Film Shoah. In: Die Zeit, Nr. 9 vom 21.2.1986, S. 55. 914 Todorov, Tzvetan: Angesichts des Äußersten. A.a.O., S. 301. 915 Der Ort und das Wort. Aus einem Gespräch mit Claude Lanzmann, dem Regisseur von Shoah. Nachdruck des Gesprächs, das Marc Chevrie und Hervé le Roux mit dem Regis- seur geführt haben, publiziert in Cahiers du Cinéma, Nr. 374/1985. In: die tageszeitung vom 19.2.1986, S. 13. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 418 ren und Dich neuneinhalb Stunden lang auf den Weg nach Auschwitz zu schicken.“916 Tzvetan Todorov wünscht Lanzmann „etwas mehr Weis- heit“. Zwar habe er sicher das Recht, das Böse zu hassen und Ressenti- ments zu hegen, dennoch sei sein Werk nicht nur eine Beschwörung der Vergangenheit, sondern auch ein in der Gegenwart vollzogener Akt, den man in dieser Eigenschaft zu bewerten habe. Die Ungeheuerlichkeit des vergangenen Bösen rechtfertige kein gegenwärtiges Böses, und sei die- ses vergleichsweise noch so gering.917 Der Gestus von Shoah ist der eines letzten Films. Die Äußerungen des Regisseurs zu seinem Werk im Vergleich zu anderen Filmen belegen, wie überzeugt er ist, die einzig angemessene Form gefunden zu haben. Zyniker könnten fragen, ob es ein Gebot gibt, das da lautet: Du sollst keinen Holocaustfilm nach Shoah haben!, und ob Shoah nun die End- lösung der Holocaustfilmfrage bedeute. Sicher nicht, denn so wie Der Prozeß, Shoah, Schindlers Liste und viele andere Filme belegen, daß es ein Nach-Holocaust gegeben hat, ist mit Shoah die Auseinandersetzung über die Darstellbarkeit des Holocaust nicht beendet. Abgesehen davon, daß zu verschiedenen Zeiten mit Filmen, die dem einen oder anderen ästhetischen Prinzip folgen, ganz verschiedene Publika erreicht werden, brauchen die Filme einander. Der Einfluß von Resnais Nacht und Nebel (1955) und Ophuls Le Chagrin et la Pitie (1969) auf Shoah ist erkenn- bar, aber auch die Archiv- und Kompilationsfilme wie Leisers Mein Kampf und die umstrittenen Spielfilme und Serien der siebziger Jahre haben Lanzmann bewegt, einen anderen Film zu machen. Selbst die seiner Meinung nach schlechten Filme haben eine Vorarbeit geleistet, auf die Shoah setzen muß. Lanzmanns Film zu verstehen, fällt leichter, wenn die Zuschauer über Vorwissen verfügen. Denn setzt der Regisseur auf Evozierung von Bildern, so muß der Zuschauer zuvor Bilder der Vernichtung gesehen haben. Damit füllt er die Leerstellen. Das erklärt auch, warum sich manche Zuschauer sicher sind, in Shoah Bilder der Vergangenheit gesehen zu haben, die Lanzmann aber gar nicht gezeigt hat. Shoah ist ein Film, der viel voraussetzt: Wissen, Phantasie, Em- pathie, abrufbare Bilder. Wer darüber nicht verfügt, wird den Film lang- weilig finden, wird nur sprechende Köpfe und Landschaften sehen. In den Kritiken der späten neunziger Jahre verfestigt sich die Meinung, Shoah sei der Film, der Maßstäbe gesetzt habe. Immer unbefangener und banaler erzählten Film und Fernsehen vom Holocaust, benutzen ihn häufig nur noch als Kulisse, um ihre Geschichten vor einem drama- 916 Ash, Timothy Garton: Das Leben des Todes. Anmerkungen zu zwei Arten, die Vergan- genheit zu bewältigen: Edgar Reitz' Heimat und Claude Lanzmanns Shoah. In: die tageszeitung vom 15.2.1986, S. 14f. 917 Vgl. Todorov, Tzvetan: Angesichts des Äußersten. A.a.O., S. 302. II.8. Shoah (Frankreich 1985) 419 tischen Hintergrund plazieren zu können. Im Gegensatz dazu stehe Claude Lanzmanns Film: „Shoah bildet, von heute aus gesehen, den Höhepunkt und den Abschluß einer TV-Epoche, die strikt dokumenta- risch vom Holocaust berichtete. Das Ethos dieser Filme: Nur über die Aussagen von Zeitzeugen darf der Weg der Erinnerung zu den Höllen der Judenvernichtung führen. Nur die Geschichte aus dem Munde der Opfer und Täter – in ihren Qualen und Unzulänglichkeiten, in ihrem Stammeln und Weinen, in ihren Brüchen und in ihrem Ersticken – lassen das Unfaßbare ahnen. Um den Holocaust liege ein ‚Flammenkreis‘, lautete Lanzmanns Credo, eine Warnung an die Erzählmaschinen des Films und des Fernsehens, sich durch Fiktionen ein Bildnis von den Mordorgien und dem Sterben zu machen. Die Warnung half nichts. Schon die naiv-sentimentale TV-Serie Holocaust (1978) hatte das Tabu durchbrochen, es folgte der Hollywood-Kino-Hit Schindlers Liste (1993), und inzwischen lassen Film und Fernsehen immer ungenierter ihre filmische Phantasie hinter dem Flammenkreis spielen. Im Namen der großen Zahl fühlen sich alle diese Fiction-Unternehmungen gerecht- fertigt. Sie erreichen weit mehr Zuschauer als die Aufklärung der Doku- mentarfilmer. ... Lanzmanns rasender Verzweifelungsausbruch scheint so herabgestuft zur rührenden aber letztlich musealen Geste einer über- wundenen TV-Epoche.“918 Festenbergs Plädoyer für den Purismus Lanzmanns schließt freilich nicht die grundsätzliche Ablehnung fiktionaler Formen ein. Als Meisterwerk neben Shoah lobt der Kritiker Roberto Benignis Das Leben ist schön. „Wer den [Lanzmannschen] Flammenkreis durchbricht, muß seine Brandspuren zeigen. Roberto Benigni ... hat den Weg für die Nachgebo- renen gewiesen. An keiner Stelle verleugnet seine Tragikomödie, daß die Geschichte vom Vater, der, um den Sohn zu trösten, vorgaukelt, alles Geschehen im KZ sei nur ein Spiel, eine Projektion der heutigen Zeit ist. Bei Benigni ist erkennbar ein Mitglied der jetzigen Mediengesellschaft unter die braunen Mörder gefallen, es amüsiert sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode, es feiert den Sieg des Als-ob über die Realität, es brüllt bis zum Verrecken: Das Leben ist schön, weil es schön sein muß. Die durch nichts zu brechende Selbstbezogenheit der Gegenwart wird über dem Abgrund des Holocaust sichtbar – Benigni hinterm Flammen- kreis macht sich nur ein Bildnis von sich selbst. Statt wie Lanzmann zu rasen, zappelt er wie ein Clown. Aber der Grad der Verzweiflung ist nicht geringer.“919 918 Festenberg, Nikolaus von: Fabeln hinterm Flammenkreis. In: Der Spiegel, Nr. 13 vom 29.3.1999, S. 238–240. 919 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 420 II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) II.9.1. Entstehungsbedingungen und Produktionsdaten Die Geschichte des deutschen Unternehmers Oskar Schindler, der über tausend Juden vor der Vernichtung rettet, hat Thomas Keneally Anfang der achtziger Jahre zu einem Roman verarbeitet. Leopold Pfefferberg, einer der Überlebenden, hat sie dem Schriftsteller erzählt. Keneally nennt sein auf Gesprächen mit Überleben basierendes Werk „non-fiction novel“. Die Illustrierte stern druckt den Roman 1983 in 15 Fortsetzun- gen. Keneallys Buch verkauft sich dennoch nicht gut in Deutschland. In den USA hat sich Steven Spielberg die Rechte an dem Werk sichern lassen, zögert aber, diesen Stoff zu verfilmen, weil er sich dazu nach eigenem Bekunden nicht reif genug fühlt. „Er sagt heute, daß er froh darüber ist, den Film damals nicht gemacht zu haben.“920 Als Steven Spielberg 1992 mit den Dreharbeiten zu Schindlers Liste beginnt, gilt er als Starregisseur. Internationale Berühmtheit hat er in den siebziger und achtziger Jahren durch Kassenschlager wie Der weiße Hai, die Indiana Jones-Filme und E.T. – der Außerirdische erlangt. Die Ver- filmung der Dinosauriergeschichte Jurassic Parc 1993 ist wiederum ein Riesenerfolg. Was dem Regisseur jedoch fehlt ist die künstlerische Anerkennung in Form eines „Oscars“. Noch während der Arbeit am Dinosaurierfilm beginnt Spielberg mit der Verfilmung der Geschichte Oskar Schindlers. Die definitive Entscheidung, den Film zu drehen, trifft Spielberg 1992, als er zum ersten Mal nach Krakau fährt. Dem Regisseur liegt endlich ein brauchbares Drehbuch vor. Nachdem mehrere Autoren gescheitert waren, ist es Steven Zaillian gelungen, aus Keneallys Vorlage ein Dreh- buch zu machen. Auf viele Details und Figuren verzichtet Zaillian, dafür baut er eine Figur aus: die des jüdischen Buchhalters Itzhak Stern, ohne den die rettenden Listen nicht geschrieben worden wären. Die Dreharbeiten in Polen beginnen Anfang März 1993. Das Team be- steht aus Engländern, Kroaten, Iren, Österreichern, Deutschen, Kana- diern, Polen, Israelis und Amerikanern. Gedreht wird an authentischen Orten, im alten Stadtkern von Krakau, in dem Haus, das Schindler be- wohnt hat, auf dem Bahnhof Krakow Glowny, vor dem Lager 920 Leiser, Erwin: Ein Film verändert sein Leben: Steven Spielberg. In: Frankfurter Allge- meine Zeitung-Magazin vom 31.3.1994, S. 14. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 421 Auschwitz-Birkenau. Das Lager Plaszow mit der Villa Amon Göths wird nachgebaut. Über die Arbeit am Set berichtet Spielberg: „Es gab Tage, die ich als so unerträglich empfand, daß ich um ein Uhr weggehen und jeden zurück ins Hotel schicken wollte, ich wollte den Film nicht mehr drehen.“921 Zwei Tage lang wird, weil Spielberg keine Drehgenehmi- gung für das Lager erhalten hat, außerhalb der Umzäunung von Auschwitz-Birkenau gedreht. Hier entsteht eine Sequenz, die die An- kunft eines Transportes und die Selektion zeigt. Nach 72 Tagen sind die Dreharbeiten für Schindlers Liste beendet. II.9.2. Inhalt des Films und Interpretation Der Film erzählt von der Vernichtung der Juden Europas und er erzählt die Geschichte des sudetendeutschen Fabrikanten Oskar Schindler, der während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Polen Geschäfte macht und zu Geld kommt. Wirtschaftlich erfolgreich ist er auch deshalb, weil Arbeitskräfte billig sind. Schindler ist ein klassischer Kriegsgewinnler, dem es nicht um Politik, sondern um Profit geht. Juden sind für ihn billige Arbeitskräfte. Doch wandelt sich seine Einstellung, je brutaler gegen die polnisch-jüdische Zivilbevölkerung vorgegangen wird. Schindler wird Zeuge der Liquidierung des Krakauer Ghettos. Das Schicksal der Juden läßt ihn nicht länger unberührt. Er versucht zu helfen, indem er gegenüber der SS argumentiert, die bei ihm beschäftig- ten Zwangsarbeiter würden kriegswichtige Güter herstellen. Wer als Arbeiter auf Schindlers Liste steht, hat eine Chance zu überleben. Tat- sächlich gelingt es dem Fabrikanten aufgrund seiner guten Beziehungen zu dem gefürchteten SS-Hauptsturmführer Amon Göth, durch geschick- tes Taktieren und Bestechung, mehr als 1100 Menschen zu retten. Dar- unter seinen Buchhalter Itzhak Stern, ohne dessen Einsatz die Liste nicht zustande gekommen wäre. Es gelingt sogar, Arbeiterinnen, die fälsch- licherweise nach Auschwitz deportiert worden sind, in letzter Minute freizubekommen. Der Film endet mit der Ankunft der Roten Armee im tschechischen Brünnlitz, wohin Schindler zum Kriegsende seine Fabrik verlegt hat. Er selbst muß als NSDAP-Mitglied und Unternehmer, der Zwangsarbeiter beschäftigt hat, fliehen. Die Überlebenden fragen den sowjetischen Soldaten, der ihnen verkündet hat, sie seien nun frei, ob es noch Juden gäbe in Europa und wohin sie gehen könnten. Er weiß keine Antwort. Die Menschen machen sich auf den Weg, überqueren ein Feld, und in dem Augenblick wechselt der Film von schwarz-weiß zu Farbe. In der Schlußszene ziehen die Holocaust-Überlebenden ins „gelobte 921 Spielberg, Steven, zit. nach Leiser, Erwin: Ein Film verändert sein Leben. A.a.O., S. 17. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 422 Land“, nach Israel. Musikalisch unterlegt ist diese Szene mit dem wäh- rend des Sechs-Tage-Kriegs populär gewordenen Lied Yerushalaim Shel Zahav. Am Ende sehen wir die Schauspieler und die wirklichen „Schindler-Juden“ Hand in Hand an das Grab Oskar Schindlers in Jeru- salem treten. Die Geschichte des Fabrikanten Oskar Schindler, die Spielberg in sei- nem Film erzählt, ist eine wahre Geschichte, Oskar Schindler eine authentische Person. Geboren wird er 1908 in Zwittau im Sudetenland. Nach 1945 hat sich Schindler in verschiedenen Branchen als Unterneh- mer versucht, jedoch ohne Erfolg. Nachdem er mit einer Nutriazucht in Argentinien gescheitert ist, kehrt er nach Westdeutschland zurück. Er lebt in einer kleinen Wohnung im Frankfurter Bahnhofsviertel. Die von ihm Geretteten unterstützen ihn finanziell.922 Erst spät erfährt Schindler offizielle Anerkennung. Er wird mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, dem Friedenspreis der Internationalen Martin-Buber-Gesellschaft und dem päpstlichen Sylvesterorden. Auch erhält er eine Ehrenrente von knapp 500,- DM im Monat. Schindler stirbt 1974. Auf seinen Wunsch hin wird er auf dem katholischen Friedhof von Jerusalem beigesetzt. Als einer der wenigen „Gerechten“ wird Schindler in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem geehrt. Die meisten Deutschen kennen seine Geschichte erst seit Spielbergs Film. Doch Anfang 1965, als in Frankfurt der Auschwitz-Prozeß stattfindet, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Oskar Schindler, den „guten Mann von Zablocie“. Kurt Großmann habe ihn in sein Buch Die unbesungenen Helden aufgenommen, überhaupt sei Schindlers Wirken im besetzten Polen ein interessanter Filmstoff. Und so gäbe es Pläne, einen Spielfilm über Oskar Schindler mit dem Titel Bis zur letzten Stunde herzustellen. Dabei beruft sich die Frankfurter Allgemeine auf die Daily Mail: „Für die Rolle Schindlers ist Richard Burton vorgesehen, und seine Frau, die ihm in Polen tatkräftig bei der Rettung von 1200 Juden half und heute in Argentinien lebt, soll von Romy Schneider ver- körpert werden. Auch Gregory Peck ist mit von der Partie.“923 Die Frankfurter Allgemeine weiß noch mehr: „Schon 1955 wollte der deut- 922 Vgl. Schönberger, Reino: „Schindler hat erst nach dem Krieg richtig kapiert, was er getan hatte“. Der Mann, der mehr als 1200 Juden rettete, lebte nach dem Krieg verarmt in Frankfurt. Steven Spielberg setzt ihm in seinem Film ein Denkmal. In: Frankfurter Rundschau vom 25.1.1994, S. 18. 923 Der gute Mann von Zablocie. Hollywood verfilmt das Leben des Wahlfrankfurters Oskar Schindler. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.2.1965, Lokalteil. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 423 sche Filmemacher Fritz Lang Schindlers Leben verfilmen. Damals war aber die Zeit noch nicht reif dafür.“924 Aus den Projekten, egal ob von Metro Goldwyn Mayer (MGM), Fritz Lang, Billy Wilder, Artur Brauner oder Martin Scorsese geplant, ist nichts geworden. Erst Steven Spielberg verfilmt die Geschichte Oskar Schindlers. Die Frankfurter Rundschau liefert 1994 eine Vermutung, warum die frühen Pläne nicht umgesetzt worden sind: „MGM schien Mitte der sechziger Jahre wenig geneigt, den Deutschen einen Helden zu liefern, hinter dem sich die kärgliche Aufarbeitung der Nazi-Vergangen- heit womöglich hätte verstecken können.“925 Andere – z.B. wirtschaft- liche – Gründe sind ebensogut möglich, die Frankfurter Rundschau aber sieht ideologische Vorbehalte als ausschlaggebend an. Aus der Retro- spektive scheint das naheliegend. Die wahre Person Oskar Schindler und die von Liam Neeson im Film verkörperte Figur beschäftigen die Kritiker. Dabei trennen sie nicht immer deutlich zwischen beiden. Aufschlußreich sind schon die Be- zeichnungen, die zur Charakterisierung gewählt werden: „Lebemann und Lebensretter“, „kein Heiliger“, „leichtfüßiger, wenig kreditwürdiger Ha- sardeur“, „angeberisch“, „elegant“, „jovial“, „scheinbar genußsüchtiger Opportunist“, „Kettenraucher“, „Spieler“, „Trinker“, „todesmutiger Dandy“, „Angeber“, „scheinbar genußsüchtiger Opportunist“, „Profit- jäger“, „Frauenheld“, „leutseliger Großkotz“, „Playboy-Nazi“, „des Teu- fels Saboteur“, „ein Udet der KZ“. Oskar Schindler macht es Kritikern und Publikum nicht leicht. Herrscht zunächst Verwunderung, daß ausge- rechnet ein eher übel beleumundeter Parvenu sich zum Retter wandelt, setzt sich allmählich die Auffassung durch, daß gerade ein unangepaßter, risikofreudiger Spieler-Typ in Krisenzeiten mehr erreichen kann als der ängstliche Durchschnittstyp. Seine Arroganz und sein guter Geschmack haben Schindler vielleicht davor bewahrt, sich mit den Nazis gemein zu machen. Verena Lueken vergleicht ihn mit anderen Helden des deut- schen Widerstands: „Ihn umstrahlt nicht der Glanz des Idealismus wie die Geschwister Scholl, und er verfolgt auch nicht für die ganze Nation ein eigenes politisches Ziel wie die Männer um Stauffenberg. Das macht ihn ein wenig unheimlich. Schindler war ein zwiespältiger, bis zum Ende nicht ganz durchschaubarer Mann, der, ziemlich unerwartet, zur Menschlichkeit fand und die richtige Entscheidung traf. Ein unbequemes 924 Ebenda. 925 fr.: Schindlers Liste. Verfilmung des Stoffs war bereits 1965 geplant. In: Frankfurter Rundschau vom 3.2.1994, S. 9. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 424 Beispiel für die Deutschen, die angeblich niemals die Wahl hatten, die nicht wissen wollten, was sie sahen, und leugneten, was sie wußten.“926 Spekuliert wird insbesondere in Illustrierten wie dem stern, was Schind- ler bewogen haben mag zu helfen. Niklas Frank behauptet, die Liebe zu einer Jüdin, die der verheiratete Schindler aber hat sitzen lassen.927 In Wirklichkeit hat sich Schindler nie zu seinen Beweggründen geäußert. Spielberg nennt die Frage nach dem „Warum?“ in Anlehnung an Citizen Kane die Rosebud-Frage928, läßt sie allerdings wie schon Keneally offen. Schindlers Liste ist eine geradlinig erzählte Geschichte. Spielberg folgt der Chronologie der Ereignisse im besetzten Polen. Die Haupterzählung deckt den Zeitraum von Kriegsbeginn bis Kriegsende ab, doch gibt es einen Prolog, einen Epilog und ein Motto. Es stammt aus dem Talmud und lautet: „Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ Im Epilog sehen wir eine jüdische Familie bei der Sabbatfeier, hören Ge- sang und Gebete und sehen wie Kerzen angezündet werden. Die Kerzen verlöschen. Vom Kerzenrauch wird übergeblendet zu einer rauchenden Lokomotive, es ertönt ein schriller Pfiff. Dann erfolgt eine Texteinblen- dung: „September 1939, die deutsche Wehrmacht besiegte in zwei Wochen die polnische Armee.“ Als nächstes ist ein Bahnhof zu sehen, auf dem Bahnsteig werden Tische aufgestellt, Schreibutensilien bereit- gelegt, deutsche Beamte in Uniform beginnen mit der Registrierung von polnischen Juden, die an die Tische treten müssen und ihre Namen sagen. Die nächste Szene zeigt einen Raum, einen sorgfältig gekleideten Mann, der ein Bündel Geldscheine einsteckt und sich ein Nazi-Partei- abzeichen ans Revers heftet: Oskar Schindler. Helmut Korte liefert in seiner Analyse von Schindlers Liste ein detail- liertes Sequenzprotokoll und eine Graphik, die Inhalt und formalen Auf- bau des Films wiedergibt. Korte erkennt „... acht größere inhaltliche Blöcke oder Sequenzen..., denen jeweils bis zu sieben kleinere Einheiten zugeteilt sind.“929 926 Lueken, Verena: Ein Gerechter. Dokument des Wahrhaften. Spielbergs Film Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3.3.1994, S. 33. 927 Frank, Niklas: Der Deutsche, der uns rettete. In: stern, Nr. 10/1994 vom 3.3.1994, S. 205. 928 Spielberg, Steven, zit. nach Jenny, Urs: Holocaust mit Happy-End? In: Der Spiegel, Nr. 21 vom 24.5.1993, S. 213. 929 Korte, Helmut: Hollywoodästhetik und die deutsche Geschichte: Schindlers Liste (Spielberg 1993). In: ders.: Einführung in die systematische Filmanalyse. Berlin, 1999, S. 159ff. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 425 Tabelle 15: Sequenzgraphik Schindlers Liste Min’Sek Sequenzen / Subsequenzen 00’00 1. Exposition Prolog: Zeit, Ort, Situation / Oskar Schindler. 09’45 2. Schindlers Fabrik Der Judenrat, Itzhak Stern / Das Krakauer Ghetto / Enteignung und Umsiedlung / Die jüdischen Zwangsarbeiter / Es ist geschafft. 32’59 3. Erfolge und Rückschläge Emilie Schindler / Der einarmige Schlosser / Sterns Verhaftung / Amon Göth / Bau des Lagers Plaszow. 54’25 4. Räumung des Krakauer Ghettos Der Überfall / Vergebliche Fluchtversuche / Das Mädchen im roten Mantel / Das Blutbad. 70’18 5. Schindlers Wandlung Göth, der Jäger / Das Geschäft: Schindler – Göth / Sterns neuer Arbeitgeber / Schindlers Wandlung / Die Perlmanns / Helena Hirsch. 99’07 6. Selektion und Auflösung des Lagers Plaszow Macht und Gnade / Göth und Helena / Die Selektion / Die Kinder / Der Transport / Schindlers Verhaftung / Exhumierung der Ermordeten. 132’40 7. Die „Schindler“–Juden Die Listen für das Leben / Helenas Schicksal / Der Männerzug / Frauen und Kinder in Auschwitz / Die Duschen / Die Rettung / Das Lager Brünnlitz. 163’58 8. Lösung Die Kapitulation / Schindlers Abschied / Die Befreiung / Epilog / Abspann: cast & credits. 187’11 Ende Quelle: Korte, Helmut: Hollywoodästhetik und die deutsche Geschichte: Schindlers Liste (Spielberg 1993). In: ders: Einführung in die systematische Filmanalyse. Berlin, 1999, S. 159ff. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 426 Schindlers Liste ist ganz überwiegend in schwarz-weiß gedreht. Nur der Prolog - bis zum Verlöschen der Kerze - und der Epilog sind farbig. Außerdem erkennt man in der Mitte des Films, während der Liquidie- rung des Warschauer Ghettos, den roten Mantel eines kleinen Mädchens, das ein Versteck sucht. Der rote Mantel ist noch einmal zu sehen, als Leichen exhumiert werden. Auch wegen des Farbeinsatzes wird die Sequenz von der Liquidierung des Ghettos bis zur Leichenverbrennung als Schlüsselsequenz gedeutet. Schindler, der alles beobachtet, könnte hier seinen Entschluß gefaßt haben zu helfen. Der Wechsel von schwarz-weiß zu Farbe im Epilog markiert den Über- gang von der Vergangenheit zur Gegenwart. Diesen Nachsatz finden nicht alle Kritiker gelungen. Eike Geisel spottet: „Das Happy-End kommt farbig daher. Der rosige Schimmer am Horizont der Massen- vernichtung heißt Israel. ... Wenn die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ihre kühnsten Träume verfilmen dürfte, sie sähen aus wie die Schlußpassage des Films: Eine Woge der Brüderlichkeit mit Kreuz, Kipa und Kieselstein.“930 Spielberg hat sich deswegen für den sparsamen Einsatz von Farbe ent- schieden, weil er der Ansicht ist, daß unsere Erinnerung an jene Zeit von Schwarz-Weiß-Aufnahmen geprägt ist. Sie vermitteln uns den Eindruck des zwar Vergangenen, doch Authentischen. Farbdokumente aus dieser Zeit würden immer unglaubwürdig wirken. Der Regisseur und sein Kameramann Janusz Kaminski möchten, daß man dem Film nach eini- gen Jahren nicht anmerkt, wann er gedreht worden ist. Die Bilder sollen „authentisch“ wirken, dafür haben Spielberg und seine Mitarbeiter sehr viele in Polen entstandene Bilder aus den dreißiger und vierziger Jahren gesichtet. Besonders wertvoll waren private Erinnerungsfotos, heimlich hergestellte Filmaufnahmen vom Lager Plaszow und Roman Vishniacs Bilder aus der ostjüdischen Vergangenheit. Viele Filmbilder, so die Szene, in der Wehrmachtssoldaten einem alten Juden lachend Bart und Schläfenlocken abschneiden, basieren auf Fotodokumenten. Eine An- näherung an die Realität erreichen Spielberg und sein Team auch durch den Verzicht auf lange Kamerafahrten, Kamerakräne, Licht- und Ton- effekte. 40 % der Aufnahmen sind mit einer Handkamera gedreht. Ganz überwiegend wurde an authentischen Orten gefilmt, nur das Lager Plas- zow ist ein Nachbau. 930 Geisel, Eike: E.T. bei den Deutschen. Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz. In: ders.: Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Natio- nalisierung der Erinnerung. Hrsg. von Klaus Bittermann. Berlin, 1998, S. 101. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 427 Das Bestreben, fiktiven Bildern dokumentarischen Charakter zu ver- leihen, mißfällt manchen Kritikern. Sie beharren darauf, daß ein Spiel- film als Fiktion erkennbar sein muß, um die Beweiskraft echter Doku- mente zu erhalten. Andere aber loben das Bemühen um Authentizität. Im Spiegel-Gespräch mit Hellmuth Karasek räumt der Regisseur ein, daß er sich als Filmemacher „... zum erstenmal für die Wahrheit interessiert“ hat und er nicht wie in seinen anderen Filmen in Phantasiewelten aus- weichen konnte.931 Filmwissenschaftler und Kritiker fragen sich, warum häufig von der „Wahrheit“ und „Authentizität“ des Films die Rede ist, obwohl es sich doch um die filmische Umsetzung eines Romans handelt und damit um die „Fiktion einer Fiktion“?932 Wodurch entsteht dieser Eindruck des Authentischen beim Zuschauer? Manuel Köppen vermutet, daß es zum einen an der Technik liegt - Schwarz-Weiß-Bilder, Handkamera, Reiß- schwenks, Parallelmontagen - , die eine Wochenschau- bzw. TV-Nach- richtenästhetik imitiert und auch aus Kriegs- und Actionfilmen bekannt ist. Zum anderen meint er, daß es sich bei der Rede von der Authentizität und der künstlerischen Wahrheit dieses Films „... lediglich um eine terminologische Verschiebung des Betroffenheits-Diskurses...“933 han- delt wie er nach Holocaust geführt worden ist. Schindlers Liste setzt sehr stark auf Symbole und Zeichen. Darin unter- scheidet er sich nicht von anderen Holocaustfilmen: Schienen, Lokomo- tiven, Schlote, Rauch, Baracken, Stacheldraht, hinzu kommen Schreib- maschinen, Federhalter, Tintenfässer, Papier, Stempel und immer wieder Listen. Der bürokratische Charakter des Massenmords wird so verdeut- licht. Spannung entsteht im Film durch die Figurenkonstellation. Schindler, Stern, Göth markieren drei extreme Varianten von Gut und Böse, Opfer und Täter. Lassen sich Stern und Göth leicht der einen und der anderen Seite zuordnen, ist die Hauptfigur Schindler eine nichteindeutige, die im Gegensatz zu den beiden anderen eine Wandlung durchmacht. (Der Film zumindest legt das nahe.) Schindler hat Anteile von Stern und von Göth. Er hat sich im Verlauf der Ereignisse zu entscheiden, auf wessen Seite er stehen will. Er entscheidet sich für Stern und die Rettung der Juden, muß 931 Vgl. Die ganze Wahrheit schwarz auf weiß. Regisseur Steven Spielberg über seinen Film Schindlers Liste. Spiegel-Gespräch zwischen Steven Spielberg und Hellmuth Karasek. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 186. 932 Schütte, Wolfram: Wie Schindler unter deutsche List kam. In: Frankfurter Rundschau vom 30.4.1994, S. ZB3. 933 Köppen, Manuel: Von Effekten des Authentischen - Schindlers Liste: Film und Holo- caust. In: Bilder des Holocaust. Literatur - Film - Bildende Kunst. Hrsg. von Manuel Köppen und Klaus R. Scherpe. Köln, Weimar, Wien, 1997, S. 150. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 428 sich aber deshalb nach außen hin Göth annähern, mit ihm trinken und wetten. Göth erscheint manchen Rezensenten als böser Zwilling Schindlers, als dessen dunkle Seite. Erzielt wird dieser Eindruck durch die Parallelmontage, die beispielsweise beide bei der morgendlichen Rasur zeigt, oder durch Szenen, in denen sich beide in gleicher Haltung gegenübersitzen. Manuel Köppen faßt zusammen, worauf der Erfolg des Films beruht: „Die Schlüssigkeit der Anlage von Figurenkonstellation und Fabel ent- steht gerade durch die Aktualisierung mythischer Elemente, die ihren Ursprung der Filmgeschichte, den berichteten Ereignissen selbst oder gar den ‚großen‘ Erzählungen verdanken: den Geschichten von der Errettung des jüdischen Volkes oder auch der wundersamen Wandlung des Saulus in einen Paulus.“934 II.9.3. Mitwirkende Stab Regie Steven Spielberg Produzenten Steven Spielberg, Gerald R. Molen, Branko Lustig Ausführende Produzentin Kathleen Kennedy Co-Produzent Lew Rywin Buch (nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Keneally) Steven Zaillian Kamera Janusz Kaminski Schnitt Michael Kahn Musik John Williams Ausstattung Alan Starski Kostüme Anna Biedrzyckz-Sheppard Tonmischung Ron Judkins Makeup-Entwürfe Christina Smith Beratung Leopold Page (= Leopold Pfefferberg) 934 A.a.O., S. 154f. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 429 Darsteller Oskar Schindler Liam Neeson Itzhak Stern Ben Kingsley Amon Göth Ralph Fiennes Emilie Schindler Caroline Goodall Poldek Pfefferberg Jonathan Sagalle Helen Hirsch Embeth Davidtz Victoria Klonowska Malgoscha Gebel Wilek Chilowicz Shmulik Levy Marcel Goldberg Mark Ivanir Ingrid Beatrice Macola Julian Scherner Andrzej Seweryn u.v.a. In den Materialien zum Film sind 67 Personen in der Besetzungsliste aufgeführt. Jeder, egal ob Komparse oder Hauptfigur, ist auch auf dieser Liste wichtig. Zwei prominente Nazis, Rudolf Höss und Josef Mengele, werden von Hans Michael Rehberg und Daniel Del Ponte gespielt. Daß es sich in Schindlers Liste um einen Spielfilm handelt, verdeutlicht der Epilog, in dem die Schauspieler an das Grab Schindlers treten. Daß es sich zugleich um eine wahre Geschichte handelt, wird dadurch belegt, daß die Schauspieler mit den Überlebenden an das Grab treten, beispielsweise Liam Neeson und Caroline Goodall mit Emilie Schindler, Jonathan Sagalle mit Leopold Pfefferberg. Steven Spielberg wird am 18.12.1947 in Cincinnati/Ohio geboren und wächst in Phoenix/Arizona auf. 16-jährig dreht er mit einer 8mm- Kamera seinen ersten Spielfilm, mit 21 Jahren nimmt ihn Universal Pictures unter Vertrag. Sein erster großer Erfolg ist 1974 Der weiße Hai. In den achtziger Jahren entstehen die Indiana Jones-Filme, außerdem 1982 das Weltraummärchen E.T. – der Außerirdische. Als Produzent ist er an der Trilogie Zurück in die Zukunft beteiligt. Neben spannenden Science-Fiction und Abenteuerfilmen experimentiert Spielberg Mitte der achtziger Jahre auch auf anderem Gebiet, es entstehen Filme wie Die Farbe Lila und Das Reich der Sonne. Der kommerziell erfolgreichste Regisseur Hollywoods träumt von einem Oscar als Auszeichnung. Nachdem er sich 1992 in Hook, einer Peter-Pan-Geschichte, noch einmal mit Kindheitsträumen und Märchenmotiven auseinandergesetzt hat, ver- filmt er Crichtons Dinosaurier-Thriller Jurassic-Park. Ein Riesenerfolg. Parallel dazu arbeitet er schon an Schindlers Liste. In den ersten Berich- ten über Spielbergs Schindler-Projekt schwingt Skepsis mit, den Wech- sel zu ernsthaften Themen trauen viele Kritiker Spielberg nicht zu. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 430 Durch Bezeichnungen wie „Wunderkind“, „Tausendsassa“, „scheinbar bescheidener Schwarzweißfilmer“, „der kalifornischste aller Hollywood- Virtuosen“ kommt diese zum Ausdruck. Spielbergs Team profitiert von seiner heterogenen Zusammensetzung. Techniker und Schauspieler aus verschiedenen Ländern, Film- und Theaterleute arbeiten zusammen. Es sind Menschen darunter wie der Produzent Branko Lustig, der zwei Jahre seiner Kindheit in Auschwitz verbracht hat. Spielberg hat bei der Auswahl der Schauspieler bewußt auf prominente Darsteller verzichtet, damit die Zuschauer in ihrer Wahr- nehmung nicht beeinflußt sind. Der Ire Liam Neeson ist ein ausgebilde- ter Theaterschauspieler, der seit Mitte der achtziger Jahre in den USA lebt. Er hat am Broadway gespielt und kleinere Filmrollen übernommen, so in Woody Allens Komödie Husbands and Wifes. Ralph Fiennes kommt wie Leeson vom Theater. Vor Schindlers Liste hat er in der Bronte-Verfilmung Wuthering Hights und Peter Greenaways Das Wun- der von Macon mitgespielt. Der einzig bekannte Schauspieler ist Ben Kingsley, der den Buchhalter Itzhak Stern verkörpert. Kingsley hat schon für seine Darstellung Mahatma Ghandis einen Oscar, einen Golden Globe und viele andere Preise gewonnen. Er ist Mitglied der berühmten Royal Shakespeare Society. In dem britischen Fernsehfilm Murderers among us: The Simon Wiesenthal story spielt er den „Nazi- Jäger“, in Roman Polanskis Film Der Tod und das Mädchen einen mut- maßlichen Folterer. Die Besetzung der Rollen finden nicht alle Kritiker passend. Frank Noack im Tagesspiegel hält Liam Neeson für eine Fehlbesetzung. Nee- son wirke so edelmütig und bescheiden, „... daß man gleich Kevin Costner hätte engagieren können.“935 Artur Brauner hält Liam Neeson ebenfalls für den falschen Mann. Die Begründung des Filmemachers leuchtet jedoch nicht ein: „Schon die Tatsache, daß er genauso die Rolle des Kommandanten Goeth hätte spielen können, stellt deutlich unter Beweis, daß er nicht unbedingt prädestiniert war, den schillernden, aus- gelassenen, jovialen und nach dem Diktat des Herzens und Gewissens handelnden Oskar Schindler darzustellen.“936 Klaus-Maria Brandauer hält er dagegen für eine „ideale Besetzung“. Ihn hatte er vorgesehen für sein Schindler-Projekt, ebenfalls eine diskussionswürdige Wahl. Brauner setzt vor allem auf die Ungleichheit der beiden Charaktere Goeth und Schindler. Andere Kritiker unterstreichen gerade die Ähnlichkeit der beiden, die aber nur bis zu dem Punkt reicht, wo sich entscheidet, wie- 935 Noack, Frank: Darf ein Heiliger vulgär sein? Schindlers Liste und die anderen Filme über den Holocaust. In: Der Tagesspiegel vom 27.3.1994, S. VIII. 936 Brauner, Artur: Spielberg macht ernst. In: tip (Berlin), H. 4/1994, S. 7. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 431 viel einem Menschen das Leben eines anderen wert ist. Wenn Neeson den Goeth, hätte dann auch Fiennes den Schindler spielen können? Nach Schindlers Liste fällt es jedenfalls schwer, in Fiennes nicht Göth, son- dern beispielsweise The english patient zu sehen. Umstritten ist gleich- falls die Besetzung der Schindler-Juden mit eher unbekannten Gesich- tern. Loben die einen, daß man als Zuschauer im Laufe des Films die einzelnen Menschen kennenlernt, mit ihren Namen auf den Listen bald Gesichter verbindet, kritisieren andere Rezensenten, daß die „... Schind- ler-Juden eine anonyme Masse (bleiben), deren Identität sich darin er- schöpft, von Oskar Schindler gerettet zu werden.“937 II.9.4. Resonanz In den USA läuft der Film im Dezember 1993 an, die Premiere findet im Holocaust-Museum in Washington statt. Präsident Bill Clinton ruft seine Landsleute am nächsten Tag auf: „Go see it.“ Die Deutschland-Premiere ist am 1.3.1994 im Frankfurter Schauspielhaus. Spielberg und Liam Neeson, der Schindler-Darsteller, sind anwesend, unter den Gästen befinden sich viele Prominente, so Artur Brauner, Marcel Reich-Ranicki, Michael Verhoeven, Senta Berger, Iris Berben, Michel Friedman, Hans Tietmeyer, Chef der Bundesbank, der Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler, der hessische Ministerpräsident Hans Eichel. Der Bundespräsident Richard von Weizsäcker äußert nach dem Film nur: „Ich kann, ich will jetzt nichts sagen.“938 Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, meint: „Genauso war es, selbst die Details stimmen, wie sie in ihren Verstecken aufgestöbert und erschos- sen wurden. Mir ist, als ob es gestern war.“939 Bundeskanzler Kohl kann „aus terminlichen Gründen“ nicht an der Premiere teilnehmen. Daraus leiten viele Journalisten ein mangelndes Interesse am Thema ab. Weil sich so viele Prominente äußern bzw. gefragt werden, und ihre Ur- teile durchweg positiv sind, verfestigt sich der Eindruck, daß man diesen Film sehen muß. Er gilt als „oscarverdächtig“. Und in der Tat wird Schindlers Liste bei der „Oscar“-Verleihung im März 1994 siebenfach ausgezeichnet: als bester Film, für die beste Regie, das beste Drehbuch nach Fremdvorlage, die beste Kamera, die beste Filmarchitektur, den besten Schnitt, die beste Musik. Auch für Jurassic Park gibt es Preise: für den besten Ton, die besten Toneffekte und die besten optischen 937 Noack, Frank: Darf ein Heiliger vulgär sein? A.a.O. 938 Zit. nach Premierengäste kämpften mit den Tränen. In: Die Welt vom 3.3.1994, S. 11. 939 Zit. nach ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 432 Effekte. „Zehn Oscars für Steven Spielberg“940 titelt die Presse. Insge- samt ist die Resonanz auf Schindlers Liste überwältigend: zwei Monate nach Bundesstart hat der Film 3.400.000 Zuschauer in Deutschland, 7.500.000 Zuschauer in den USA. Das Buch wird als gebundene Aus- gabe 90.000 mal verkauft, als Taschenbuch 1.000.000 mal. Zwischen 1982 und dem Filmstart 1994 sind in Deutschland gerade einmal 5.000 Exemplare von Keneallys Roman verkauft worden. In der Liste der Kinohits 1994 belegt Schindlers Liste allerdings nicht Platz 1. Erfolg- reicher sind Der König der Löwen mit 7,5 Millionen und Flintstones - Die Familie Feuerstein mit 6,1 Millionen Zuschauern. Schindlers Liste sehen in Deutschland 6 Millionen Zuschauer.941 Das Echo auf den Film ist immens, es überwiegen die positiven Stim- men, obwohl es auch einige Kritiker gibt, die vorgeben, schon genug über den Holocaust zu wissen. Sie müßten sich „... nicht von Spielberg belehren lassen“942, so Will Tremper, oder wollen den Film „bewußt“ nicht sehen und sich lieber „...woanders ein paar schöne Stunden“ 943 machen, so Hans Schiemann. Sie und einige andere stellen aber die Aus- nahme dar. Überwiegend wird Schindlers Liste als „Meisterwerk“ und „Meilenstein der Filmgeschichte“ gelobt. Zahlreiche Prominente äußern sich, Politiker, Schriftsteller und die Filmemacher Artur Brauner, Egon Günther, Herbert Achternbusch, Helma Sanders-Brahms, Erwin Leiser, Claude Lanzmann. Es wird über andere Retter berichtet (Der Spiegel 8/1994, Die Zeit), „Schindler-Juden“ werden aufgesucht und befragt (u.a. Stern 10/1994; Die Woche 3.3.1994) und Bücher Überlebender aus- zugsweise abgedruckt (Der Spiegel 11/1994). Spiegel, Focus und die tageszeitung beschäftigen sich mit Reaktionen deutscher Schüler auf den Film und lassen diese zu Wort kommen (Der Spiegel 12/1994; Focus 13/1994, tageszeitung 15.3.1994). Außerdem erscheinen neben ausführ- lichen Berichten über Steven Spielberg (Frankfurter Allgemeine Zeitung- Magazin vom 31.3.94) auch zwei Interviews mit ihm (Spiegel 8/1994; Die Woche 3.3.1994). Focus interviewt in der Ausgabe vom 14.3.94 Liam Neeson, den Schindler-Darsteller. Die meisten Artikel erscheinen am 3.3.1994 als Reaktion auf die Deutschland-Premiere. Die Kritiken von Will Tremper und Sigrid Löffler verschärfen die Kontroverse über Spielbergs Film. Ebenso sorgt die Stellungnahme Claude Lanzmanns für 940 Voss, Helmut: Zehn Oscars: Späte Ehrung für Steven Spielberg. In: Die Welt vom 23.3.1994, S. 9. 941 Kinohits 1994. Quelle: VdF. In: Süddeutsche Zeitung vom 17.2.1995, S. 25. 942 Tremper, Will: Indiana Jones im Ghetto von Krakau. In: Die Welt vom 27.2.1994, S. G3. 943 Schiemann, Hans: In der Falle. In: Wolf Schön, Thomas Kielinger, Torsten Krauel, Hans Schiemann: Schindlers Liste - ein Pflichtfilm? In: Rheinischer Merkur, Nr. 10 vom 11.3.1994, S. 30. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 433 Aufregung. Im März 1994 erscheinen nahezu täglich Meldungen und Kommentare in den überregionalen Meinungsführermedien. Der Brand- anschlag auf die Lübecker Synagoge am 26.3.1994 legt die Vermutung nahe, daß es einen Zusammenhang zwischen Schindlers Liste und der antisemitisch motivierten Tat gibt. Zwei Monate später scheint über den Film alles gesagt. Nun beginnt in den Fachzeitschriften die Debatte über die Debatte. Die Frankfurter Rundschau bringt im Sommer 1994 Keneallys Schindlers Liste als Fortsetzungsroman. Die TV-Ausstrahlung des Films 1997 läßt den alten Streit noch einmal ausbrechen. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Kontroverse in den USA. Dort ist die Ausstrahlung von Schindlers Liste auf NBC An- laß, grundsätzlich über Gewalt und Sex im Fernsehen zu debattieren. Tom Coburn, Kongreßabgeordneter und Familienpolitiker, beklagt, daß NBC den Film zur Hauptsendezeit ausgestrahlt hat. Kindern aber hätten „... die Kopfschußwunden, die abscheuliche Sprache, die völlige frontale Nacktheit und die unverantwortliche sexuelle Betätigung ...“ erspart bleiben müssen. Senator Alfonse D’Amato und Don Ohlmeyer, Direk- tion des NBC-Sendebereichs Westküste, verwahren sich vor der Inter- pretation der Nacktheit der KZ-Opfer als sexistische Darstellung. Der Vorsitzende der Medienkommission Reed Hundt widerspricht ebenfalls der Auffassung Coburns. Vielmehr müsse bedacht werden, daß der Film 65 Millionen Zuschauer erreicht hat, doppelt so viele wie im Kino.944 In Deutschland sendet 1997 Pro Sieben Schindlers Liste ausgerechnet am Karfreitag. Der privat-kommerzielle Sender hat zunächst angekündigt, den Film ohne Unterbrecherwerbung auszustrahlen. Doch der Lizenz- vertrag mit Spielberg erlaubt zwei Unterbrechungen für Werbung, und so wird der dreistündige Film in zwei Teilen gesendet - zwischen den beiden Blöcken gibt es eine Nachrichtensendung, die von zwei Werbe- blöcken und der Nennung des Sponsors, der Handelsgruppe Rewe, um- rahmt ist.945 Die Fernsehkritikerin der tageszeitung sieht in der Reklame die Chance, eine Verbindung herzustellen zwischen den Kleiderhaufen der Ermordeten und Persil Megaperls, zwischen dem Zahngold und Corega Tabs.946 Zur gleichen Zeit wie Schindlers Liste läuft auf Kabel 1 Robin Hood, auf Vox Der letzte Kaiser, auf RTL Maverick und im Ersten Programm der ARD Der Club der toten Dichter. 944 Vgl. Nichts für Kinder. Streit um TV-Ausstrahlung von Schindlers Liste in Amerika. In: Süddeutsche Zeitung vom 27.2.1997, S. 20. 945 Vgl. Rewe sponsert. Schindlers Liste: nicht ganz werbefrei. In: Süddeutsche Zeitung vom 24.2.1997, S. 15. 946 Vgl. Rogalla, Annette: Megaperls vs. Vergessen. In. die tageszeitung vom 27.3.1997, S. 26. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 434 Wie der Film in Deutschland aufgenommen wird, fragen sich ausländi- sche und deutsche Kommentatoren. Groß ist das Interesse aber auch an der Resonanz in Israel oder Polen. Zur Premierenfeier in Jerusalem kommen Präsident Ezer Weizman, Premierminister Jitzhak Rabin und viele andere Politiker. Spielberg ist anwesend, dem am Tag zuvor die Ehrendoktorwürde der Universität von Jerusalem verliehen wurde, und Überlebende von Schindlers Liste mit ihren Nachkommen. Die Überle- benden reagieren zwar positiv auf den Film, betonen aber, daß die Rea- lität viel grausamer gewesen sei und der Film das - natürlich - nur ansatzweise vermitteln kann. Die israelischen Kritiker, voran Tom Segev, beharren darauf, daß die Shoah sich der Darstellung entziehe.947 Edith Heller berichtet im Tagesspiegel, wie der Film in Polen aufge- nommen wurde. Besonders betont haben die Kritiker die polnische Mit- arbeit am Film. Dem Produzenten Lew Rywin, den Oscar-Preisträgern Allan Starski, Ewa Braun (Szenographie) und Janusz Kaminski (Kamera) widmen sie verstärkt ihre Aufmerksamkeit, dem Film selber stehen sie eher kritisch gegenüber. Als grob verfälschend empfinden viele die im Abspann des Films genannten Zahlen über die heute in Polen lebenden Juden (4000) im Vergleich zu den Nachkommen der von Schindler geretteten (6000). Das würde bedeuten, daß ein einziger Deut- scher mehr Juden gerettet hat als alle Polen zusammen. In der von Adam Michnik geleiteten Gazeta Wyborcza überschreibt der Kritiker Tadeusz Sobolewski seinen Beitrag mit dem Titel Ein Märchen über die Ver- nichtung. Er zeichnet nach, welchen Traditionen Spielberg verhaftet ist und sucht zu belegen, daß auch die Schindler-Geschichte wie ein Mär- chen erzählt ist. Einem in der Geschichte verwurzelten polnischen Zuschauer müsse Spielbergs Erzählweise widerstreben, weil sie „ahisto- risch“ sei. Spielberg als Vertreter einer „Zivilisation der Optimismus“ habe eine andere Sichtweise als die meisten Polen: „Unsere eingefahrene Vorstellung vom Totalitarismus ist von Pessimismus durchsetzt und bringt ... wenig Nutzen und noch weniger Trost. Spielberg, dem Kind der Massenkultur, geht es vor allem um diesen Nutzen und um diesen Trost. Er realisiert den edlen, aber naiven Traum, den sicher alle hatten, als sie in ihrer Kindheit Bilder von Gettos sahen und in ambivalenter Rührung dachten: Wenn ich nur dort gewesen wäre und die Macht gehabt hätte, diese Menschen zu retten.“ Sobolewski wiederholt damit ein altbekann- tes Stereotyp, das man durchaus antiwestlich bzw. antiamerikanisch nennen kann: die Amerikaner seien oberflächlich, infantil, kulturlos, was 947 Vgl. Bremer, Jörg: ist der Holocaust in Bildern darstellbar? Großer Respekt, aber auch Kritik: Steven Spielbergs Film Schindlers Liste wird in Israel diskutiert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.3.1994, S. 33. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 435 sie an Kultur produzieren, gehorche den Regeln des Marktes und sei so- mit Massenkultur. Diese Verquickung von „Massenkultur und Massenmord“ mißfällt auch dem Kritiker der linken Wochenzeitung Polytika, Daniel Passent. Er hat sich schon acht Jahre zuvor überaus kritisch mit Claude Lanzmanns Shoah auseinandergesetzt. In seinem Beitrag nimmt er eine Haltung gegenüber dem Film ein, die laut Edith Heller nicht auf antideutsche oder antisemitische Ressentiments zurückgeführt werden darf, sondern vielmehr auf eine besondere persönliche Betroffenheit, „da gerade unter den Künstlern [gemeint sind auch Journalisten] viele Menschen jüdi- scher Abstammung sind.“ Sie sagen mit Daniel Passent: „Ich will mir nicht in einer perfekten Inszenierung ansehen, wie meine Eltern ins Gas kamen.“ Ihn erinnert die „Propaganda“ für den Film an „... die Indoktri- nation ‚moralisch richtiger‘ Themen durch kommunistische Kräfte.“948 Durch diese Statements – antiwestlich und antikommunistisch, gegen „Propaganda“, von wem auch immer – mag die von Sobolewski be- schriebene antitotalitäre Haltung der Polen deutlich werden. Erstaunlich ist dennoch, wie wenig Gutes polnische Kritiker laut Heller an Schind- lers Liste finden. II.9.5. Filmkritiken Weit vor der Fertigstellung des Films Schindlers Liste, im Mai 1993, berichtet die deutsche Presse ausführlich über Steven Spielbergs neues Projekt und darüber, daß ihm die polnischen Behörden eine Dreherlaub- nis in Auschwitz verweigert haben. Auch der jüdische Weltkongreß und der Zentralrat der Juden in Deutschland hätten Bedenken geäußert. Skepsis gegenüber Spielbergs Plänen bestimmt die Kritiken. So meint Edith Heller in der Frankfurter Rundschau, daß Schindlers Geschichte „... überhaupt nicht in das bisherige Schaffen des Regisseurs von E.T. oder den Abenteuern des Indiana Jones (paßt).“949 Wenn sie nicht ihre eigene Meinung vertreten, berufen sich die Kritiker auf Vorbehalte, die andere geäußert haben. Aufgeschlossener gegenüber dem Projekt Spiel- bergs zeigt sich Urs Jenny im Spiegel. Er zitiert den Einwand, daß Spiel- berg sich unter allen möglichen Holocaustgeschichten, diejenige aus- sucht, die mit einem Happy-End ausging. Doch wird dem Spielberg 948 Vgl. Heller, Edith: Ich will nicht sehen, wie meine Eltern starben. Warum Schindlers Liste von der polnischen Filmkritik fast einhellig abgelehnt wird. In: Der Tagesspiegel vom 1.5.1994, S. VIII. 949 Heller, Edith: Ein Film für die Geschichte. Steven Spielberg dreht in Krakau Schind- ler’s List. In. Frankfurter Rundschau vom 19.5.1993, S. 7. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 436 Sicht entgegengestellt: Keiner der Überlebenden habe sich „aus dem Bann der Geschichte freimachen können.“950 Im Dezember 1993 findet die Premiere von Schindlers Liste in den USA statt. Folglich erscheinen in der deutschen Presse vermehrt Berichte. Jörg von Uthmann nennt in der Frankfurter Allgemeinen Gründe, die Spiel- berg bewogen haben werden, diesen Film zu machen: weil er sich als Jude persönlich betroffen fühlt, weil die Geschichte gut endet und weil er auf künstlerische Anerkennung hofft. „Oskar Schindler wäre danach ein Vehikel für den Oscar“951, so Uthmann. Der Kritiker lobt den Film insgesamt, nennt aber auch Nachteile. Schindlers Liste sei zu lang, nicht frei von Hollywood-Klischees - als Beispiel: „der deutsche Soldat, der sich nach einer Orgie der Brutalität am Klavier entspannt“ - , die Film- musik übersüß. Die Schlußszene jedoch, in der Schauspieler und Über- lebende an das Grab Schindlers treten, findet Uthmann „ergreifend“. Er schließt seine Besprechung mit der Aufforderung des „Nichtfach- mannes“ Bill Clinton, unbedingt Schindlers Liste zu sehen. Die Kritiker in Deutschland zitieren verwundert die euphorischen Urteile ihrer US-amerikanischen Kollegen, die „so einen Film“ Spielberg nicht zugetraut haben. Die deutschen Kritiker trauen Spielberg und „Holly- wood“ „so einen Film“ nicht zu. Zwar gäbe es in den USA viele Filme über den Zweiten Weltkrieg, nicht jedoch über den Holocaust. „Völker- morde sind kein gutes Filmmaterial, bieten keine Stars und kein Happy- End“, lautet Konrad Eges Erklärung. Katrin Meier-Rust argumentiert ähnlich. Um für einen Film wie Schindlers Liste „... in Hollywood Geld zu bekommen, dafür allerdings braucht es ‚die Macht Spielbergs‘.“ Meier-Rust und Ege bezweifeln angesichts der mangelnden Geschichts- kenntnisse vieler US-Bürger nicht die „Legitimität eines Hollywood- Holocaust“. Mit Schindlers Liste sei ein Massenpublikum zu erreichen. In der Tat ist der Film in den USA überaus erfolgreich, jedoch nicht bei allen Bevölkerungsgruppen. Auf Unverständnis stößt er bei jungen Leuten und Angehörigen der ethnischen und religiösen Gruppen, die mit den Juden um einen Platz in der „Opferhierarchie“ konkurrieren. Schwarze und Moslems verweisen auf ihre eigene Unterdrückungs- und Leidensgeschichte bzw. ihre gegenwärtige Situation, die durch Dis- kriminierung gekennzeichnet sei. Diese Proteste haben in den USA dazu geführt, den Holocaust als ein Beispiel von Intoleranz und Völkermord zu erklären. Eine Diskussion über die Singularität des Holocaust wie in 950 Spielberg, Steven, zit. nach Jenny, Urs: Holocaust mit Happy-End? In: Der Spiegel, Nr. 21 vom 24.5.1993, S. 213. 951 Uthmann, Jörg von: Vom Lebemann zum Lebensretter. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.12.1993, S. 33. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 437 Deutschland zu Zeiten des Historikerstreits gäbe es in den USA aufgrund der erzieherischen Erfordernisse einer multiethnischen Gesellschaft nicht, stellt der FR-Korrespondent Rolf Paasch fest.952 Die Berichterstattung über die Reaktionen in den USA auf Spielbergs neuen Film weckt das Interesse der deutschen Öffentlichkeit. Im Januar und Februar 1994, eineinhalb Monate bevor Schindlers Liste in der Bundesrepublik startet, nimmt die Zahl der Artikel sprunghaft zu. Andreas Kilb gibt seiner Vorbesprechung in der Zeit die Überschrift „Warten, bis Spielberg kommt“. Er, so Kilb, habe „ebenso eindrucksvoll wie endgültig“ die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust beant- wortet. „Ja, es geht, und es geht sogar dann, wenn die Hauptfigur der Geschichte, wie in Schindlers Liste, ein Deutscher ist.“ Kilb weist zwar auf Fechner und Leiser, wiederholt aber den altbekannten Vorwurf, es gäbe keinen deutschen Film, der sich dem Thema widme. Wenn es um die jüngere deutsche Geschichte ginge, würden die Deutschen z.B. bei Petersens Boot oder Vilsmaiers Stalingrad als Opfer gezeigt. „Solange das so bleibt, müssen uns andere unsere Geschichte erzählen.“953 Das Süddeutsche Zeitung–Magazin bittet den Regisseur um eine Film- kritik, „der Hitler entkam und Hollywood eroberte“: Billy Wilder. Er ist voll des Lobes für diesen Film, der mehr als bloß ein Film sei: „ein Meilenstein“. Vergleichbar höchstens mit Panzerkreuzer Potemkin und Die Schlacht um Algier. Er selbst, Billy Wilder, hätte es nicht besser machen können, und das habe er Spielberg auch geschrieben. Wilder, der 1933 emigrieren mußte, ist gespannt, „... wie der Film im Land der Glatzköpfe ankommt. In Deutschland, in Österreich, in Orten wie Karls- ruhe oder Linz. Werden Neonazis die Vorführung torpedieren?“ Der Filmemacher hofft, daß der Film beiträgt, die Auschwitz-Lüge zu entlar- ven. Denn: „Wenn die Konzentrationslager und die Gaskammern alles Einbildung waren, dann sagen Sie mir bitte, wo ist meine Mutter? Wo finde ich sie?“954 Mit dieser Frage endet sein Kommentar zu Schindlers Liste. Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, die mit ihrem autobio- graphischen Werk Weiter leben Bekanntheit erlangt hat, hegt dieselben Hoffnungen wie Billy Wilder: daß der Film hilft, Revisionisten zu 952 Vgl. Paasch, Rolf: Wo die Gewalt vor der eigenen Haustür beginnt. Spielberg Film Schindlers Liste stößt bei den Jugendlichen der Schwarzen-Gettos in USA auf Unver- ständnis. In: Frankfurter Rundschau vom 1.3.1994, S. 3. 953 Kilb, Andreas: Warten, bis Spielberg kommt. Von Holocaust bis Schindlers Liste: Hollywood bewältigt die deutsche Vergangenheit. Und wir? In: Die Zeit, Nr. 4 vom 21.1.1994, S. 1. 954 Wilder, Billy: „Man sah überall nur Taschentücher“. In: Süddeutsche Zeitung-Magazin vom 18.2.1994, S. 18-19. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 438 widerlegen. Auch sie fragt sich, wie Schindlers Liste in Deutschland aufgenommen wird. Klüger ist in ihrem Urteil eindeutig und spricht es gleich zu Beginn aus: „Abgesehen von Claude Lanzmanns großem Dokumentarfilm Shoah ist dieser Spielfilm von Hollywoods erfolgreich- stem Entertainer ... das filmisch eindrucksvollste Werk zur jüdischen Katastrophe, das mir bekannt ist.“955 Klüger, die mit elf Jahren nach Auschwitz deportiert wurde, berührt insbesondere die „Veranschau- lichung des Leidens und Lebenswillen“ der Kinder. Sie ist anders als manche amerikanisch-jüdische Kritiker trotz anfänglicher Zweifel nicht gegen die „Gaskammer-Szene“, in der statt des tödlichen Gases Wasser auf die ängstlichen Frauen prasselt. Diese Szene sei realistisch und Spielberg habe „... hier den Versuch gemacht, ein genuines Dilemma zu lösen: nämlich die Gaskammern durch die Furcht vor den Gaskammern zu ersetzten, sie anzudeuten – ohne den Fehler zu begehen, sie darzu- stellen.“ Die von Film zu Film wiederholten Bedenken gegen die Ästhe- tisierung des Themas überzeugen die Literaturwissenschaftlerin nicht. „Es läuft auf Ausklammerung, auf Ghettoisierung des Erinnerns hin- aus.“956 Wie der Film in Deutschland aufgenommen wird, beschäftigt auch die deutschen Kritiker. Sie teilen ihren Lesern mit, daß die deutschen Reak- tionen vom Ausland höchst interessiert verfolgt werden. Gabriele von Arnim weist auf „Mölln und Solingen und Hoyerswerda“, die Orte, die nach Anschlägen Rechtsextremer auf Ausländer traurige Berühmtheit erlangt haben. Arnim stellt eine Verbindung her zwischen der Zivilcou- rage eines Oskar Schindler und der, die in der aktuellen Situation nötig wäre. Seine Geschichte sei „ ...eine Herausforderung und ein Politikum im Wahljahr 1994. ... Eine öffentliche Diskussion über Schindler ... könnte womöglich Schweigende ermutigen, doch zu reden, potentielle Nichtwähler an die Urnen treiben, die Stimmung eine wenig verändern, in der Rechtsextreme jetzt so prächtig gedeihen.“957 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel widmet dem neuen Film Steven Spielbergs eine Woche, bevor er in Deutschland anläuft, eine zwölf- seitige Titelgeschichte. Auf dem Titelblatt ist Liam Neeson als Oskar Schindler zu sehen, darunter steht: Der gute Deutsche. Die Titel- geschichte trägt die Überschrift Vom großen Morden. Berichtet wird über die Person Oskar Schindler, die Dreharbeiten, die Skepsis, die an- 955 Klüger, Ruth: „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 7 vom 18.2.1994, S. 21. 956 Ebenda. 957 Arnim, Gabriele von: Vom Handeln in mörderischer Zeit. Oskar Schindler - ein Politi- kum im Jahr 1994. In: Süddeutsche Zeitung vom 26./27.2.1994, SZ am Wochenende, S. II. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 439 fänglich Spielbergs Plänen gegenüber geherrscht hat, und über den ge- scheiterten Versuch Artur Brauners, den Schindler-Stoff zu verfilmen. Im Spiegel-Gespräch erzählt Steven Spielberg Hellmuth Karasek von seinen Beweggründen, dieses Projekt zu realisieren., und den Hindernis- sen, die er zu überwinden hatte.958 Die vielen positiven, nahezu enthusiastischen Kritiken, rufen jedoch Widerwillen hervor. Filmgegner meinen genügend überzeugende Ein- wände gegen Schindlers Liste vorbringen zu können. Sigrid Löffler, Journalistin der Süddeutschen Zeitung und wie Karasek Mitstreiterin in der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“, distanziert sich von der allgemeinen Jubelberichterstattung. Ihr Beitrag ist überschrieben mit Kino als Ablaß. „Ablaß“ bedeutet Erlassen von Strafen, die der Sünder im Leben oder nach seinem Tod vor dem „Jüngsten Gericht“ zu verbü- ßen hätte. Erlassen werden die Strafen nach Zahlung von Geld. Schind- lers Liste befreie die Zuschauer, so Sigrid Löffler, von der Mitschuld am Holocaust. Sie hält den Film für „Gefühlskino“, bezeichnet Hollywood als „Kraftwerk der Gefühle“ und kritisiert: „Der Film ist der gelungene Beweis dafür, daß sogar der Holocaust durch die Gefühlsstimulations- maschinerie Hollywoods gedreht werden und doch die emphatische Zustimmung praktisch der gesamten Filmkritik erringen kann.“ 959 Löffler bezweifelt, daß der Film den „Meinungs- und Haltungsapparat verändern (kann)“, spricht ihm also eine aufklärerische Wirkung ab. Mit einem äußerst zweifelhaften Vergleich sucht sie diese Befürchtung zu begründen: „Die Millionen Kids, die seinerzeit am Beispiel des Außer- irdischen E.T. durch schluchzende Einfühlung die Liebe zum Fremdling und Außenseiter einübten, hätten zu lauter Fremdenfreunden und Minderheitsschützern heranwachsen müssen.“ Machart und Ziel des Familienunterhaltungsfilms E.T. im Vergleich zum engagierten Holo- caustdrama Schindlers Liste läßt sie bewußt außer acht. Ihr scheint, der Film diene nur der „seelischen Schnellreinigung“, der „Instant-Absolu- tion“ und dem „Gefühlsquickie“. Für den Zuschauer „... wird die Kino- karte zum bequemen Ablaßzettel“. Das kleine Mädchen im roten Mantel bezeichnet sie als „süßes Rauschegoldengelchen wie Shirley Temple“; Oskar Schindler bricht „am Ende seiner guten Taten schluchzend zusammen, während die Geretteten ihn streicheln und trösten“, darauf folgt die rhetorische Frage: „Wem feuchtet sich da nicht mitfühlend das Auge?“ Und erst die Schlußszene, wo der Film „jubelnd in Farbe aus- bricht“: „Wer wäre da so abgebrüht, nicht die Träne quellen zu fühlen?“. 958 Vgl. Die ganze Wahrheit schwarz auf weiß. Spiegel-Gespräch zwischen Steven Spiel- berg und Hellmuth Karasek. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 183-186. 959 Löffler, Sigrid: Kino als Ablaß. Spielbergs mißlungener Holocaust-Film. In: Wochen- post, Nr. 9 vom 24.2.1994, S. 22 II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 440 Sigrid Löffler unterstellt dem Publikum, daß es zwar für die Dauer des Films ergriffen ist, auf seiten der Opfer steht und vom Handeln Schind- lers beeindruckt ist, allerdings keine Lehren aus diesem Film ziehen wird. Unbegründet scheint der Rezensentin das Lob für das Bemühen um Authentizität. Sie zitiert den Filmtheoretiker Amos Vogel, der meint: „Die leidenden Juden sind zu sauber gebürstet, ihre Lebensverhältnisse im Ghetto und im Lager nicht entsetzlich genug, es gibt zu wenig Exkremente und Dreck, zu wenige Leichen.“ Und sie fügt hinzu: „Waren die Leichenberge in Wirklichkeit nicht höher? Die Rauchwolken aus dem Krematorium nicht fetter?“, um anschließend festzustellen: „Ob- szöne ästhetische Erwägungen, zu denen Spielbergs Authentitätstick un- zulässigerweise provoziert.“960 Wenn die Kritikerin aber schon erkennt, daß solche Überlegungen „obszön“ sind und „unzulässigerweise provo- ziert“ werden, warum stellt Sigrid Löffler sie dann öffentlich an? Beden- kenswert ist die Kritik Löfflers an der Gaskammer-Szene: „Ist Spielberg nicht aufgefallen, daß er hier unbeabsichtigt den Auschwitz-Revisio- nisten in die Hände arbeitet?“ Zuletzt lobt sie Claude Lanzmanns Shoah und fragt resümierend: „Wie sollte es Steven Spielberg in seiner gutge- meinten und geschmackssicheren Bebilderungssucht mit den Shoah- Bildern im Kopf je aufnehmen können?“961 Setzt sich Sigrid Löffler sachlich mit Spielbergs Film auseinander, be- vorzugt Will Tremper den persönlichen Angriff. Den Namen Oskar Schindler kenne er schon seit langem, ebenso den Überlebenden Leopold Pfefferberg, überhaupt sei er mit der Geschichte der Judenverfolgung länger befaßt als der „... ausgekochte Regisseur der erfolgreichsten Abenteuerfilme Hollywoods“. Damals, als er Spielberg kennenlernte, war der „... ein bebrilltes Bürschlein von vielleicht Mitte zwanzig.“ Der Welt-Kritiker lehnt es ab, sich „... als Deutscher im Kollektiv schuldig zu fühlen. ... Es ging mir, dem bei Kriegsende 16 Jahre alten, wie fast allen Deutschen, die 1945 erst von Auschwitz gehört hatten und es als Zumu- tung empfanden, sich nachträglich mit Blut beflecken zu lassen.“962 Um seine Einwände gegen den Film zu stützen, beruft sich Will Tremper auf Heinrich Himmler und zitiert ausführlich dessen Posener Durchhalte- Rede vom Oktober 1943. Auch Amon Göth, dem Lagerkommandanten von Plaszow, „... dürften Himmlers ‚gnadenlose‘ Anweisungen nicht unbekannt gewesen sein, und die wildwestartige Räumung des Ghettos 960 Ebenda. 961 Ebenda. 962 Tremper, Will: Indiana Jones im Ghetto von Krakau. In: Die Welt vom 26.2.1994, S. G3. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 441 kann so blutrünstig nicht verlaufen sein. Die SS hätte damit gegen alle Befehle von oben verstoßen, daß Gewaltaktionen dieser Art ‚so unauf- fällig wie möglich‘ durchzuführen waren.“ Tremper glaubt nicht nur an die mäßigende Wirkung deutscher Befehlsgewalt, sondern auch an den sexuellen Anstand deutscher Soldaten. So könne das nicht gelaufen sein, weiß der Experte: „Was Spielberg uns im Film aber an sexuellen Intimi- täten zwischen SS-Männern und nackten Jüdinnen vorführt, ist reines Hollywood. ... Sich eine Jüdin ins Bett zu holen, daß hieß bei der SS eindeutig, rassereines Blut mit unreinem zu vermischen.“ Daß Buch und Film auf Zeugenaussagen basieren, überzeugt Tremper nicht von der historischen Wahrheit des Beschriebenen, denn „...viele ... der noch Lebendigen waren damals [als sie von Thomas Keneally be- fragt wurden] Kinder, die kaum begriffen haben dürften, was ihnen ge- schah. Ältere, wie Pfefferberg, waren inzwischen uralt.“ Und er bemerkt scheinbar verständnisvoll „Niemand kann ihnen verübeln, daß sie ihre Leidenszeit in Krakau hier und da etwas dramatisieren, die Verbrechen der SS überstiegen ja jede Vorstellung.“ Schließlich beruft sich Tremper noch auf jüdische Kritiker, um mit ihrer Hilfe sein negatives Urteil zu stützen. Ein bei Antisemiten beliebtes Verfahren. Seine letzten Sätze verstärken den Eindruck, daß Tremper von den Repräsentanten der Bundesrepublik wenig hält: „Für Ignatz Bubis, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, wird es allerhand zu bedenken geben, wenn er am Dienstagabend in der Alten Oper in Frankfurt/Main an der Deutschland- Premiere von Schindlers Liste teilnimmt. Seite an Seite, natürlich, mit unserem Bundespräsidenten, der seinen Landsleuten unterstellt, die Augen verschlossen zu haben vor dem Holocaust. Himmler hat es besser gewußt.“963 Durch die gesamte Rezension Trempers zieht sich die Behauptung, die Deutschen würden auch fünfzig Jahre nach Kriegsende für kollektiv schuldig gehalten. Seine Äußerungen deuten auf eine Verwechslung von Tätern und Opfern, ganz deutlich in dem Satz, daß man es „als Zumu- tung empfand, sich nachträglich mit Blut beflecken zu lassen.“ Was Trempers Beitrag – Filmkritik wäre unangemessen – an angedeuteten, aber auch offen ausgesprochenen Ressentiments enthält, ist erstaunlich. Er meint, alles zu wissen, hat aber offensichtlich nichts begriffen. Frag- lich bleibt, inwieweit er damit von der redaktionellen Linie der Tages- zeitung Die Welt abweicht. Immerhin stellt die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk eines der Springer-Essentials dar. Hat kein anderer Redakteur den Artikel Trempers noch einmal gelesen, und wenn - fand 963 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 442 er nichts dabei? Oder geht es nur noch darum, publizistische Aufmerk- samkeit um jeden Preis zu erregen? Trempers Rezension ruft große Empörung hervor. Sich auf Heinrich Himmler zu berufen, mit dessen Namen unmittelbar der Unrechts- charakter des Dritten Reichs verbunden ist, lassen ihm seine Kritiker- kollegen nicht als einmaligen Fehltritt durchgehen. Allerdings liegt zwischen der Publikation seines Beitrags und dem Erscheinen der sich darauf beziehenden Kritiken die Premiere von Schindlers Liste in Deutschland. Der Filmstart führt dazu, daß die Zeitungen voll sind mit Artikeln zu diesem Medienereignis. Jeder Filmkritiker, der auf sich hält, muß sich zu Schindlers Liste äußern. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist die Deutschland-Premiere am 1.3.1994 einen Leitartikel wert. Der Mitherausgeber Frank Schirrmacher setzt sich zunächst mit der anfänglichen Skepsis auseinander, daß ausge- rechnet Steven Spielberg, „... der Meister des Unterhaltungsfilms, einem Thema gewachsen sein sollte, an dem bisher alle Kunstanstrengung scheiterte... .“964 Ohne Dokumentationen wie Shoah ihren Wert abzu- sprechen, meint Schirrmacher zu der unter den Kritikern weit verbreite- ten Meinung, der Holocaust dürfe nur mit dem Mittel der „künstlerischen Enthaltsamkeit“ behandelt werden: „Diese Sorge war aber leider auch eine Entschuldigung für die Unfähigkeit zur künstlerischen Darstellung.“ Einem Punkt, den viele Kritiker negativ sehen, kann Schirrmacher durchaus etwas Positives abgewinnen, nämlich der möglichen Identifi- kation mit der Hauptfigur Oskar Schindler. Wo andere unterstellen, daß ein guter Nazi als Held das Gewissen vieler Deutscher reinwaschen werde, meint Schirrmacher, der Film zwinge „... den Zuschauer zu der Frage, wieso, was einem Oskar Schindler möglich war, nicht auch andere versuchten.“ Einwände, daß der Film „die Deutschen emotional entlaste“, gehen für Schirrmacher „an der Sache vorbei.“ Treffend stellt er fest: „Auf ganz andere Weise als seine Kritiker meinen, ist Spielbergs Film eine Rehabilitierung. Anders als die oft sehr bedeutenden Doku- mentarfilme hat er die Chance, nicht nur ein ausgewähltes Publikum zu erreichen.“ Hier spielt er auf Kritiker an, die sich nur mit dem künstleri- schen Wert und dem Anspruch auf Authentizität auseinandersetzen, dabei aber übersehen, daß Schindlers Liste ein weitaus breiteres Publi- kum erreicht als Werke wie Shoah, die sich an ein kleines intellektuelles Publikum wenden. Der Leitartikel endet mit der Aufforderung „Jeder 964 Schirrmacher, Frank: Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.3.1994, S. 1. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 443 sollte den Film sehen.“965 und ähnelt damit stark dem Aufruf des US- amerikanischen Präsidenten: „Go see it!“ Andreas Kilb widmet einen großen Teil seiner ausführlichen Bespre- chung in der Zeit dem geschichtlichen Hintergrund, dem Inhalt des Films und den Hauptdarstellern. Dabei gibt er einen Überblick über die Geschichte der Bilder vom Holocaust, von den ersten Dokumenten, den Bildern der befreiten KZ mit den Leichenbergen und den wenigen Überlebenden, bis hin zu den Holocaustfilmen wie Nuit et Brouillard, der Serie Holocaust und nun Schindlers Liste. Auch der Rezensent der Zeit hat Spielbergs Vorhaben zunächst mit Skepsis begleitet, die Äuße- rungen des Regisseurs, er werde ein Geständnis ablegen und ein Doku- ment schaffen, brachten Kilb zu der Annahme: „Man durfte mit dem Schlimmsten rechen.“966 Im weiteren Verlauf des Artikels wird jedoch deutlich, wie positiv Kilb den Film beurteilt. So bemerkt er anerkennend: „Von Anfang an herrscht in diesem Film eine Atmosphäre perverser Eleganz, beschwingter Bruta- lität und sadistischen Frohsinns, die mit nichts, was man sonst aus dem Kino kennt, vergleichbar ist.“ Die Serie Holocaust, die zwar die Gemüter bewegte, jedoch schnell wieder vergessen wurde, muß nicht mehr „aus- gegraben“ werden, denn, so Kilb, „mit Schindlers Liste sind wir von Holocaust erlöst.“ Von Holocaust, nicht vom Holocaust! Diesen Satz Kilbs haben andere Kritiker – vielleicht bewußt – falsch verstanden. Über die Räumung des Krakauer Ghettos meint Kilb: „Die zwanzig Minuten Film, die Spielberg dem Blutbad widmet, machen ohne große Worte verständlich, warum er Schindlers Liste drehen mußte.“ Diese Sequenz faßt den Schrecken der Nazi-Barberei eindrucksvoll zusammen. Der Protagonist Oskar Schindler beobachtet das Treiben von einer An- höhe aus, er sieht, wie ein kleines Mädchen in einem roten Mantel ver- schreckt durch die Straßen irrt. Ein Jahr später sieht er den roten Mantel wieder: als die Toten des Ghettos exhumiert und verbrannt werden, um die Spuren des Massenmordes zu tilgen. Kilb schreibt: „Irgendwann zwischen diesen beiden Augenblicken muß sich Oskar Schindler ent- schlossen haben, Hitlers Plan zu durchkreuzen und eine eigene, ganz andere Liste aufzustellen. Aber Spielberg, der sonst mit Filmfiguren wenig zimperlich ist, zeigt Schindlers Entscheidung nicht. ... So rettet Spielberg Schindler vor Hollywood.“ Der Filmkritiker der Zeit benennt freilich auch die Schwachstellen des Films. Besonders die letzte Stunde des Films findet er schlecht. Schindlers Zusammenbruch, die Selbstvor- 965 Ebenda. 966 Kilb, Andreas: Des Teufels Saboteur. In: Die Zeit, Nr. 10 vom 4.3.1994, S. 57f. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 444 würfe, nicht mehr Juden gerettet zu haben, überzeugten nicht. „Aber auch so ist Schindlers Liste noch immer viel mehr als sich das Kino je von Steven Spielberg erträumt hat.“967 Im Gegensatz zu der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit bringt die alternative tageszeitung am 3.3. neben dem eher abwägenden Artikel von Micha Brumlik einen eindeutigen Verriß. Es handelt sich dabei um die deutsche Übersetzung einer im Dezember 1993 in Village Voice erschienenen Polemik gegen Schindlers Liste. Ihr Autor ist Jim Hoberman. Schon die Vermarktung des Holocaust-Spielfilms mißfällt ihm: „Das Filmposter, auf dem eine väterliche Hand die Hand eines Kindes festhält, ist nicht das einzige, was in Schindlers Liste an E.T. erinnert.“968 Spöttisch fragt er: „Kann selbst der Holocaust spielbergi- siert werden? Ist es möglich, einen Feel-good-Unterhaltungsfilm über die ultimative Feel-bad-Erfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts zu machen? Und wo liegt unsere Schmerzgrenze?“ Die Wahl des Drehorts Polen sei nur ein weiterer „Spezialeffekt“, der „dem Film seinen gewissen Chill“ gebe. In dem Happy-End des Films sieht er den „... Grund dafür, warum Universal die Filmrechte für ihren Wunderheiler Spielberg erworben hat.“ Hoberman stört, daß der Regisseur „... auf die Großaufnahme nicht verzichten (kann), die zeigt, wie das Blut im Schnee verläuft.“ Er unter- stellt den Ghettoärzten „schöne Blicke“, bevor sie ihre Patienten mit Zyankali vor dem Tod durch die SS retten, beklagt sich weiter über die „ekelerregend überfrachtete Musik“ und resümiert: „Im Gegensatz zu Schindler hat Spielberg seine Instinkte nicht im Griff.“ Als „Tiefpunkt“ des Films bezeichnet Hoberman die Auschwitz-Sequenz. An der Gas- kammer-Szene kritisiert er: „Steven Spielberg will auch diesen Alptraum noch besetzen.“ Die Dankbarkeit der überlebenden Juden stört den Kriti- ker: „Das zufriedene Nicken und Lächeln der auserwählten Juden erin- nert an eine Ladung Waisenkinder, die sich so gut benommen haben, daß man ihnen einen Trip nach Disneyland spendiert: Totale Seeligkeit, pure Begeisterung.“ Dem Hollywood-Regisseur Spielberg nimmt er den Wechsel ins seriöse Fach übel. „In einem Jahr hat Spielberg die Saurier reanimiert und die Juden aus der Vernichtung zurückgeholt.“ Dadurch verwischten die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion - bei einem Thema wie der Shoah absolut unzulässig. Die perfekte Dramaturgie, die Komponiertheit einzelner Bilder sind Hobermann zu glatt. „Vernichtung ist unappetitlich. Sie werden aber keine Probleme haben, nach Schindlers Liste essen zu gehen. Es ist ein geschmackvoller Film.“ Verachtung und Spott für Schindlers Liste sind in Hobermanns Kritik nicht zu übersehen. Lanzmanns Shoah oder den Comic Mouse bezeichnet er dagegen als 967 Ebenda. 968 Hobermann, Jim: Spielbergs Oskar. In: die tageszeitung vom 3.3.1994, S. 13. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 445 „Meisterwerke“. „Sie haben Strategien entwickelt, den Holocaust an seinen Spuren und seiner Abwesenheit zu zeigen ...“.969 Auch für Hobermann ist der Holocaust letztlich nicht darstellbar. Übersetzt hat den Beitrag Hobermanns die Filmkritikerin der tages- zeitung, Mariam Niroumand. Sie kommentiert das Medienereignis Schindlers Liste in derselben Ausgabe des Blattes und nimmt eine treffende Einteilung der Kritiker in „Aristokraten“ und „Sozialdemokra- ten“ vor. Die Aristokraten wollten „eine ästhetische Umkreisung der Shoah“, kritisierten die Gaskammer-Szene als obszön, beriefen sich auf Claude Lanzmann und Shoah. Die Sozialdemokraten hingegen wollten aufklären und fragten, wen man wie erreichen kann. Schindlers Liste traut Niroumand zu, „die beiden Lager zu einen.“970 In den nächsten Tagen ist indes von Einheit unter den Kritikern nichts zu spüren. Im Gegenteil, die publizistische Kontroverse über Spielbergs Film gewinnt an Schärfe. Es geht nun nicht mehr nur um den Film. Verschiedene Teilkonflikte brechen aus. Zum einen ausgelöst durch die Beiträge von Sigrid Löffler und Will Tremper, zum anderen durch den Beitrag des Filmemachers, auf den sich die „Aristokraten“ unter den Kritikern berufen: Claude Lanzmann. Der erste Teilkonflikt hat beträchtliche Folgen. Er weitet sich zu einer allgemeinen Antisemitis- musdebatte aus und führt zu Stellungnahmen von Elisabeth Bauschmid (Süddeutsche Zeitung), Günther Rühle (Der Tagesspiegel), Henryk M. Broder (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Woche), Michael Wolffsohn (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Rheinischer Merkur), Jan Gympel (Der Tagesspiegel), Artur Brauner (Die Welt), Elke Schmitter (die tageszeitung). Der zweite Teilkonflikt berührt unmittelbar die Frage der filmischen Repräsentation des Holocaust, eine Frage sowohl der Ästhetik als auch der Moral. An dieser Debatte sind alle Kritiker und alle Medien beteiligt, besonders betroffen scheinen aber diejenigen Literaten und Filmemacher, die durch ihr Werk gezeigt haben, wie weit sie zu gehen bereit sind. Elisabeth Bauschmid berichtet in ihrem Beitrag, was Will Tremper geschrieben hat. Daß der früher einmal recht anerkannte Filmemacher und Enthüllungsjournalist nun in der Geistigen Welt (so heißt die Wochenendbeilage der Tageszeitung Die Welt) Heinrich Himmler zum Kronzeugen seiner verqueren Argumentation machen kann, findet sie abstoßend. Tremper deute „... die Leidenschaftslosigkeit des bürokra- tisch organisierten Fließbandmords ... zum Tugendargument“ um. Als 969 Ebenda. 970 Niroumand, Mariam: Der Widerspenstigen Führung. Frankfurter Staatsakt für Spiel- bergs Schindlers Liste. In: die tageszeitung vom 3.3.1994, S. 10. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 446 Infamie bezeichnet Bauschmid Trempers Unterstellung, Holocaustüber- lebende könnten sich kaum erinnern und würden deshalb „hier und da etwas dramatisieren“. Daß sie reden, störe Tremper wohl. Bauschmid resümiert: „Das also ist es: Schweigend hätte man ihn gern, den Juden, denn das Schweigen der einen begünstigt das Verschweigen der ande- ren.“971 Ein Jude, der bestimmt nicht schweigt, ist der Publizist Henryk M. Broder. Scharf geht er in seinem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine mit Sigrid Löffler, Will Tremper und Günther Rühle ins Gericht. Er un- terstellt ihnen Antisemitismus. Zunächst aber fragt er: „War die massive Aufklärung [über den Holocaust] schließlich kontraproduktiv? Könnte es sein, daß antijüdische Ressentiments nach 1945 nicht trotz, sondern wegen Auschwitz weiterleben?“ Er stellt fest: „Hat sich der antisemi- tische Groll früher direkt gegen die Juden gerichtet, so richtet er sich heute gegen die Beschäftigung mit dem Mord an den Juden.“972 Nach diesem Auftakt, der die Intention seiner Kritik schon erkennen läßt, greift er Löffler, Tremper und Rühle direkt an: „Unter den vielen positi- ven, abwägenden Kritiken fallen drei Quasi-Kritiken aus dem Rahmen, die für die öffentliche Meinung, wie sie in der emnid-Umfrage973 zum Ausdruck kommt, eher charakteristisch sind als für den Stand der ver- öffentlichten Meinungen.“ Löfflers Kritik an der „Gefühlsstimulationsmaschinerie Hollywood“ könnte man entgegenhalten, daß der Film „nicht in Hollywood, sondern an Hollywood vorbei und gegen Hollywood produziert“ worden ist. Und einem Regisseur vorzuwerfen, er würde ‚Gefühlskino‘ machen, sei ebenso unsinnig wie einen „Koch dafür zu tadeln, daß er Gewürze zum Kochen nimmt.“ Ihren Vergleich mit dem Spielberg-Film E.T., der die Menschen auch nicht von der Fremdenfeindlichkeit geheilt habe, kom- mentiert Broder mit: „Knapp daneben ist auch vorbei.“ Und zu Sigrid Löfflers rhetorischen Fragen „Waren in Wirklichkeit die Leichenberge nicht höher, die Rauchwolken aus den Krematorien nicht fetter?“, meint Broder sarkastisch: „Auf einen solchen Gedanken muß man erst einmal kommen, nüchtern und im Vollbesitz der geistigen Kräfte, ohne sich der 971 Bauschmid, Elisabeth: Kronzeuge Himmler. Der neue Relativismus der Geistigen Welt: Schindler, Spielberg und die Zumutung des Erinnerns. In: Süddeutsche Zeitung vom 3.3.1994, S. 3. 972 Broder, Henryk M.: Kritik der dummen Kerls. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.3.1994, S. 33. 973 Broder meint die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts emnid zum Verhältnis von Deutschen und Juden, wonach 39% der befragten nichtjüdischen Deutschen der Auf- fassung sind, daß die Juden den Holocaust für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Siehe Anmerkung 6. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 447 eigenen Abgründe bewußt zu werden.“ Broder unterschlägt jedoch Löfflers anschließenden Satz: „Obszöne ästhetische Erwägungen, zu denen Spielbergs Authenzitätstick unzulässigerweise provoziert.“ Sein Urteil steht fest: Sigrid Löffler ist latent antisemitisch. In ihrer Kritik Kino als Ablaß arbeite sie ein Ressentiment ab. „Weil sie eine kultivierte Person ist, die ihren inneren Schweinehund an einer kurzen Leine zu führen versteht, nimmt auch ihr Ressentiment eine kultivierte Form an.“974 Will Tremper, der nach seinem Welt-Artikel in Talkshows Steven Spiel- berg mit Veit Harlan vergleicht und das als großes Lob für den Ameri- kaner verstanden wissen will, ist laut Broder nicht nur latent antisemi- tisch. Der Welt-Filmkritiker möchte mit dem Thema nicht mehr belästigt werden. Seine Äußerungen sprächen für sich. Besonders verwerflich findet Broder Trempers Hinweis darauf, daß viele Holocaust-Über- lebende das Thema verdrängen. Hier bahnt sich die typische Verkehrung von Opfer- und Täterrolle an: „Der Erinnerungsschmerz der Opfer dient den Gutachtern des Verbrechens zur Rechtfertigung ihrer eigenen Amnesie. Die einen wollen sich nicht erinnern, weil sie an der Erinne- rung irre werden, die anderen, die sich nicht erinnern lassen wollen, nehmen sich daran dankbar ein Beispiel.“ Broder findet es mehr als bedenklich, daß eine solche Rezension wie die Trempers publiziert wird. „Getrieben von dem Wunsch, die Nazis schönzureden und Spielberg zum eigentlichen Schurken zu erklären, darf Will Tremper seine Anti- semitismen ausführlich in einer Zeitung verbreiten, die sich sonst auf ihren Philosemitismus viel zugute hält.“975 Zuletzt setzt sich Broder mit Günther Rühle Kommentar im Tagesspiegel vom 10.3.1994 auseinander. Rühles Statement „Mit Schindler verdienen derzeit viele Leute viel Geld“ kommt Broder als antisemitisches Stereo- typ bekannt vor: „Das ist es also. Unausgesprochen, doch unüberhörbar liegt der Vorwurf der jüdischen Geschäftemacherei in der Luft.“ Am Ende faßt Broder seine Meinung über die drei Kritiker in einem provo- kanten Fazit zusammen: „Wo andere ‚Juden Raus!‘ an Mauern schmie- ren, da schreibt er (der kultivierte Zeitgeistler) eine Kritik. Wobei der Schmierer sagt, was er denkt, während der Kritiker so tut, als würde er einen Film besprechen.“976 Zwei Tage später erscheint in der Woche ein weiterer Artikel, der sich mit Will Trempers Rezension befaßt und dessen Unterzeile ironisch Eine 974 Broder, Henryk M.: Kritik der dummen Kerls. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.3.1994, S. 33. 975 Ebenda. 976 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 448 Ehrenrettung lautet. Verfaßt hat den Beitrag Sarah Silberstein - wiederum Henryk M. Broder, der sich hinter diesem Pseudonym verbirgt. Sarah Silberstein scheut den persönlichen Angriff nicht und stellt Will Trempers journalistische Fähigkeiten in Frage: „Ihre Qualifi- kation schien uns zum einen der Hohlraum zwischen ihren Ohren, zum anderen das Teil zwischen ihren Beinen.“977 Beinahe verständnisvoll konzediert die Schreiberin: „Klar, es mußte sie wurmen, daß dieser Judenlümmel aus den USA mit einem einzigen Film mehr Anerkennung einheimst als sie mit ihrem ganzen Lebenswerk. ... warum sonst hätten sie als Zeugen gegen Spielberg ausgerechnet Heinrich Himmler aufgeru- fen? Warum sonst hätten sie sich so viel Mühe gemacht, zu beweisen, daß Spielberg einen schlechten, einen verlogenen Film gemacht hat?“ Sarah Silberstein bleibt ironisch und teilt mit: „Von so viel Liebe zur historischen Genauigkeit beeindruckt, dachten wir daran, ihnen einen kleinen Preis zu überreichen - den kleinen Stürmer, modelliert von Arno Breker und fotografiert von Leni Riefenstahl.“978 Obwohl der Beitrag Trempers einige Kollegen in der Welt so verstört, daß sie überlegen, den Arbeitsplatz zu wechseln, bleibt in der Führungsetage alles beim alten. Der Chefredakteur der Geistigen Welt, Rainer Zitelmann, stellt sich vor seinen Autor. Dessen Artikel hat der subventionsbedürftigen Welt zumindest Aufmerksamkeit beschert. Broder treibt die Sache auf die Spitze, wenn er seine Sarah Silberstein vermuten läßt: „Es würde uns nicht wundern, wenn Sie im Auftrag des Weltjudentums unterwegs wären.“979 Die Vorwürfe und Anwürfe Broders gehen vielen zu weit. Vier Tage nach Broders „Kritik der dummen Kerls“ erscheint ebenfalls in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Gegenrede Michael Wolffsohns mit dem Titel „Der eingebildete Antisemit“. Er warnt davor, die Kritiker von Schindlers Liste in die rechte Ecke zu stellen und jeden, der sich negativ äußert, des Antisemitismus zu bezichtigen: „Wer Will Tremper und Sigrid Löffler als Antisemiten bezeichnet, kennt nicht Brutalität und Rassismus der wirklichen Antisemiten.“980 Wolffsohn plädiert für eine Filmkritik, „... die nicht nur nach historisch politischen Maßstäben (ur- teilt), sondern auch (hier und da vielleicht sogar nur) nach ästhetisch filmischen.“ Wie Will Tremper beruft sich Wolffsohn auf jüdische Kriti- 977 Silberstein, Sarah (= Henryk M. Broder): Ziemlich schlau, Will Tremper! Eine Ehren- rettung. In: Die Woche, Nr. 12 vom 17.3.1994, S. 40. 978 Ebenda. 979 Ebenda. 980 Wolffsohn, Michael: Der eingebildete Antisemit. Die Kritiker von Schindlers Liste gehören nicht in die rechte Ecke. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.3.1994, S. 29. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 449 ker, die Schindlers Liste verrissen haben. Wolffsohns Kronzeuge ist Tom Segev: „Wenn schon die Kritiken von Tremper und Löffler ‚antisemi- tisch‘ waren, verdiente der Verriß von Tom Segev‚ die antisemitische Krone‘.“ Ein in Time erschienener Artikel Segevs unterstellt einigen Szenen des Films „Pornographie“ und bezeichnet den Film insgesamt als „Holocaust Park“. Wolffsohn räumt ein: „Auch er kann und darf wie andere jüdische Spielberg-Kritiker irren.“ Der Münchner Geschichtsprofessor ist mit dem Niveau der publizisti- schen Kontroverse über Spielbergs Film nicht zufrieden. Insgesamt biete „... die Auseinandersetzung um Schindlers Liste Anschauungsunterricht für den widerwärtigen Stil der gegenwärtigen Streitkultur in Deutsch- land.“ An Broder gerichtet, ohne jedoch seinen Namen zu nennen, resü- miert Wolffsohn: „Wer Andersdenkende als andere Henkende oder gar als ‚Antisemiten‘ und ‚Nazi‘ verteufelt, mag subjektiv Demokrat und Freund der Juden sein. Objektiv macht er sich zum nützlichen Idioten der Antisemiten und Antidemokraten.“981 Jan Gympel, Redakteur beim Berliner Tagesspiegel, verteidigt Tremper und beklagt die Auffassung, „Deutsche dürften Filme über deutsche Verbrechen grundsätzlich nicht schlecht finden“ sowie den „weit- verbreiteten Irrtum, daß ein gut gemeinter Film auch ein guter sein müsse.“982 Darum aber geht es nicht bei den heftigen Reaktionen, die Trempers Artikel auslöst, sondern darum, daß Tremper sich über weite Strecken auf Heinrich Himmler beruft und Zweifel an der Glaubwürdig- keit von Überlebenden sät. Darüber bei Gympel kein Wort. Er sieht Tremper als Verfolgten, dem man kein ästhetisches, sondern nur ein ideologisches Urteil zutraut. Schließlich verweist Gympel wie zuvor Tremper auf andere (jüdische) Kritiker, die an Schindlers Liste etwas auszusetzen hatten, auf Claude Lanzmann und den Kritiker der Tel Avi- ver Zeitung Ha’aretz. Doch mit deren Beiträgen ist Trempers dumpfer Ausfall sicherlich nicht auf eine Stufe zu stellen. Gympels Kollege vom Tagesspiegel, Frank Noack, meint eine Woche später zum selben Thema: „Zu Spielbergs Verteidigung muß gesagt wer- den, daß Filme über den Holocaust besonders stark dem Terror der poli- tischen Korrektheit ausgesetzt sind. Hier muß auf Staaten ebenso Rück- sicht genommen werden wie auf Institutionen.“983 Dieser Hinweis gilt aber vermutlich weniger der Verteidigung Spielbergs als seiner Kritiker 981 Ebenda. 982 Gympel, Jan: Das Kino ist keine moralische Waschanlage. Der Tagesspiegel vom 20.3.1994, S. VIII. 983 Noack, Frank: Darf ein Heiliger vulgär sein? Schindlers Liste und die anderen Filme über den Holocaust. In: Der Tagesspiegel vom 27.3.1994, S. VIII. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 450 aus der PC-Gegner-Fraktion. Deswegen auch die Rede vom PC-Terror. Zu diesen PC-Gegnern zählt sich Noack. Nur kritisiert er den Film im Gegensatz zu Tremper nach einem Vergleich mit anderen Filmen. Er schließt seinen Artikel mit dem Satz: „Ein wichtiger, schockierender, aufwühlender Film ist noch lange kein großes Kunstwerk.“984 Am 30.3.1994 setzt sich Klaus Rainer Röhl in der Wochenpost mit Hen- ryk M. Broder auseinander. Röhl, offensichtlich in klassischer Rhetorik geschult, lobt zu Beginn und zum Ende seines Beitrags: „Henryk M. Broder ist ein lesenswerter Mann.“985 Dann aber schränkt der frühere konkret-Herausgeber Röhl ein: „Leider hat der Autor so guter, lesens- werter Texte auch einen Tick, oder besser gesagt: eine Neigung zu hallu- zinativen Wahrnehmungen entwickelt.“ Für Broder seien „alle Deut- schen Antisemiten.“ Röhl schließt sich Wolffsohns Klage über den Niedergang der Streitkultur an: „Es war abzusehen, daß die Sache bei Schindlers Liste eskalieren würde, aber was dann kam, war doch eine sozusagen neue Qualität der Antisemiten-Macherei.“ Auch Röhl ist der Antisemitismus-Vorwurf zu pauschal; Rühle, Löffler, Lanzmann und Segev führten doch ernstzunehmende Gründe an und gehörten nicht in einen Topf mit Tremper geworfen. Besonders stört ihn Broders Schluß- satz: „Wo andere ;Juden raus!‘ an Mauern und Grabsteine schmieren, da schreibt er (der Kritiker) eine Kritik.“. Klaus Rainer Röhl: „Man beachte die Assoziation Grabschänder-Schmierer-Schreiber, also neonazistische Grabschänder in den Knast, mindestens zwei Jahre - Tremper, Rühle und Löffler - immer noch auf freiem Fuß.“ Röhl steht Broder nicht nach, was die persönliche Diffamierung anbelangt und folgert: „Vielleicht will Broder den Begriff Political Correctness ... jetzt in Deutschland als Selektionsprinzip einführen. Die journalistischen Kollegen werden an die Rampe gestellt und sortiert.“986 Auch Artur Brauner bezieht Stellung im Streit um Will Trempers Welt- Artikel, und zwar im selben Blatt einen Monat später. Der Filmemacher und Produzent nennt Trempers Beitrag nicht Filmkritik, sondern „ein Pamphlet, das zum Skandal wurde“.987 Mit seiner Abneigung gegenüber Filmen, die die NS-Zeit thematisieren, stehe Tremper zwar nicht allein da – Brauner kann sich nicht verkneifen, diesbezüglich von der „... weit- gehenden Einigkeit zwischen Will Tremper und den Gremien-Mitglie- 984 Ebenda. 985 Röhl, Klaus Rainer: Broders Liste. In: Wochenpost, Nr. 14 vom 30.3.1994. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 986 Ebenda. 987 Brauner, Artur: Ein Pamphlet, das zum Skandal wurde. Mit der versuchten Rein- waschung der SS hat sich Will Tremper politisch disqualifiziert. In: Die Welt vom 2.4.1994, S. 7. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 451 dern der FFA“ zu sprechen, die sein Schindler-Projekt verhindert haben – doch sei seine Kritik an Schindlers Liste hoffentlich ein Einzelfall. Daß er sich auf die wenigen, negativen Kritiken stützt, darunter die von „Konkurrenten und Neidern Spielbergs“, mache seine „Argumente“ nicht glaubwürdiger. Brauner stellt fest: „Will Tremper hat sich mit diesem Gemisch aus Kritik, verzerrter Vergangenheitsdarstellung und versuchter Reinwaschung zumindest im politischen Feld disqualifi- ziert.“988 Und als Filmkritiker? Doch geht es nach Broders Kritik der dummen Kerls inzwischen weniger um die Person Will Tremper oder den Film Schindlers Liste als um den Vorwurf des Antisemitismus. Am 6.4.1994 erscheint in der tageszeitung ein Artikel von Elke Schmitter, in dem sie zum Streit zwischen Röhl und Broder Stellung nimmt. Die Autorin spricht von „Normalisierung in deutlichster Form“ und unterstellt ihrerseits Röhl Antisemitismus. Seinen Vorwurf „... in Broders Kopf habe sich die fixe Idee festgezurrt, alle Deutschen seien Antisemiten, wohlgemerkt alle ...“ kommentiert Schmitter: „Es ist möglich, daß Röhl Gedanken besser lesen kann als Texte, denn ein Text von Broder, worin er diese ‚fixe Idee‘ zur Kenntnis gibt, ist der Öffentlichkeit noch nicht bekannt.“989 Röhls Mutmaßung, Broder sei ein Befürworter politisch korrekter Sprachregelungen, der die Journalistenkollegen zwecks Selektion an die Rampe stellen will, kommt Schmitter bekannt vor: Auch der Republikaner-Chef Franz Schönhuber halte Ignatz Bubis für den „wahren Volksverhetzer“. Klaus Rainer Röhl, der frühere konkret-Herausgeber und Ehemann Ulrike Meinhofs, ist von vielen seiner alten Positionen abgerückt und bewegt sich nun in Kreisen der Neuen Rechten. Bei Ernst Nolte hat er 1993 über die Nähe von „Kommunisten und Nationalsozialisten im Ber- liner BVG-Streit 1932“ promoviert. Schmitter bezichtigt Röhl, an der „Normalisierungsfront tätig (zu sein)“ und meint, er würde „fleißig mit an der kollektiven Umdeutung“ arbeiten. Sarkastisch führt sie an: „Ein- mal schon sind die Deutschen den Juden zuvorgekommen, als sie uns beinahe vernichtet hätten. Und wieder erkennt er sie, erkennt Klaus Rainer Röhl die Gefahr: Wenn man sie nur läßt, die Juden, dann machen sie uns allen den Garaus. Es gibt antisemitische Äußerungen, bei denen man sagen kann: Es spricht aus ihm (oder ihr). Hier hat der Autor selbst gesprochen, und die Redaktion der Wochenpost hat es gedruckt.“990 Damit erhebt Schmitter denselben Vorwurf gegenüber der Wochenpost 988 Ebenda. 989 Schmitter, Elke: Normalisierung in deutlichster Form. In: die tageszeitung vom 6.4.1994, S. 10. 990 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 452 wie zuvor Broder gegenüber der Welt: Zur Auflagesteigerung sei jedes Mittel recht, auch der Abdruck revisionistischer, antisemitischer Bei- träge. Henryk M. Broder meldet sich noch einmal zu Wort, die von ihm Ange- griffenen schweigen. In der Woche läßt sich der Publizist Mitte April grundsätzlich über „intellektuelle Linienrichter“ aus. Damit meint er diejenigen, denen der Erfolg von Schindlers Liste suspekt ist, die die Vermarktung des Hollywood-Produktes beklagen und Spielberg unter- stellen, er habe nur endlich einen Oscar gewinnen wollen. Diese Intel- lektuellen bedauerten, daß großartige Filme wie Shoah kein Publikum gefunden haben, sie fragten aber nicht, warum die ihrer Meinung nach minderwertigen Produkte erfolgreicher sind. Broder konstatiert vor allem Ratlosigkeit bei den „hauptamtlichen Aufklärer(n), die nun in Beck- messerei flüchten, mit der sie wenigstens ihre Kompetenz in Detail- fragen unter Beweis stellen möchten.“991 In Wirklichkeit gehe es den Bedenkenträgern gar nicht darum zu fragen, wie der Massenmord ange- messen dargestellt werden kann. „Es geht darum, daß Spielberg mit Schindlers Liste in die Domäne jener eingebrochen ist, die bislang das Monopol auf die ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ verwaltet haben, die mit der größten Selbstverständlichkeit und, ohne sich Gedanken um ‚würdelose Banalität‘ zu machen, die Blutbäder von gestern zu Feuille- tons von heute und Doktorarbeiten von morgen verarbeiten.“992 Auf den „Einbruch in die Domäne“ läßt sich so oder so reagieren, Feuilletons und Doktorarbeiten wird das nicht verhindern. Broder selbst hat sich in der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste fleißig eingebracht. Ohne ihn wäre die Antisemitismusdebatte als ein Teilkonflikt in der Kontroverse nicht geführt worden. Am 5.3.1994 erscheint in der Frankfurter Allgemeine Zeitung die Über- setzung von Claude Lanzmanns „Einspruch“ gegen Schindlers Liste. Zwei Tage zuvor war Lanzmanns Beitrag in Le monde unter der Über- schrift Holocauste, la représentation impossible erschienen. Lanzmann hat von 1974-1985 den neunstündigen Filmessay Shoah gedreht.993 Shoah gilt als das ästhetische Gegenprinzip zu Schindlers Liste, auf diesen Film beziehen sich nahezu alle Gegner von Schindlers Liste. Zu Beginn seines Einspruchs beteuert der Filmemacher mehrfach, wie sehr er die Arbeit Steven Spielbergs schätzt. Gemeint sind die Unterhaltungs- filme. Als Lanzmann von Spielbergs Vorhaben gehört hat, war er ge- 991 Broder, Henryk M.: Deutsch wie ein Lodenmantel. Über intellektuelle Linienrichter. In: Die Woche, Nr. 17 vom 21.4.1994, S. 30. 992 Ebenda. 993 Vgl. Kapitel II.8. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 453 spannt, wie er das Problem der Darstellbarkeit des Holocaust lösen wird. Der Regisseur von Shoah gesteht Spielberg zu, seriös gearbeitet zu haben, dennoch bleibe überwiegend Unbehagen. „... wie soll er sagen, was der Holocaust gewesen ist, indem er die Geschichte eines Deutschen erzählt, der 1200 Juden gerettet hat, während doch die überwältigende Mehrheit der Juden nicht gerettet wurde?“994 Hinzu kommt, „... daß es in dem Film nur so wimmelt von zweideutigen, manchmal gefährlichen Szenen ...“, bspw. wo jüdische Ghettopolizei gegen die eigenen Leute vorgeht und sich zum Handlanger der Deutschen macht, ohne daß über die Hintergründe dieser Zwangslage informiert wird, oder wenn Vorur- teile derart bedient werden, daß zwei alte, bärtige Juden, Mitglieder des Judenrats, Geld aus der Tasche ziehen, um Schindlers Fabrikkauf zu finanzieren. Lanzmann äußert weitere Vorbehalte gegenüber der Darstellung menschlichen Leids oder gemeiner Brutalität, er versteht nicht, wie Schauspieler das nachstellen können. Seine Ablehnung zu begründen, fällt ihm indes schwer. Lanzmann: „Man versteht es, oder man versteht es nicht.“ Der Filmemacher plädiert „nach wie vor für das absolute Bilderverbot“, so wie er es in seinem Werk verwirklicht hat. Inwieweit ihn religiöse Gründe leiten, ist unklar, der Regisseur ist jedoch der Über- zeugung, daß „Bilder die Imagination töten.“ Anders als in Shoah habe Spielberg versucht, das Geschehen zu bebildern. Das jedoch ist für Lanzmann ein Unternehmen, das zwangsläufig scheitern muß: „Der Holocaust ist vor allem darin einzigartig, daß er sich mit einem Flam- menkreis umgibt, einer Grenze, die nicht überschritten werden darf, weil ein bestimmtes absolutes Maß an Greueln nicht übertragbar ist: Wer es tut, macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig. Die Fiktion ist eine Übertretung, und es ist meine tiefste Überzeugung, daß jede Dar- stellung verboten ist.“995 Schindlers Liste funktioniert nach denselben Regeln des Melodrams wie schon Holocaust: „Ob Serie oder Film, beide übertreten, weil sie ‚trivialisieren‘ und so die Einzigartigkeit des Holo- caust zunichte machen.“ Lanzmann hält sich zugute, mit Shoah eine neue Form des Zeugnisable- gens geschaffen zu haben, Spielberg dagegen habe sich für die Rekon- struktion entschieden. Der Autor von Shoah ist ehrlich genug, seine Enttäuschung einzugestehen, daß Schindlers Liste im Gegensatz zu Shoah ein immenser Erfolg beschieden ist: „Ich habe geglaubt, daß es ein vor und ein nach Shoah gäbe, ich habe geglaubt, daß bestimmte 994 Lanzmann, Claude: Ihr sollt nicht weinen. Einspruch gegen Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.3.1994, S. 27. 995 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 454 Dinge nach Shoah nicht mehr machbar wären. Nun, Spielberg hat sie gemacht.“ Ähnlich wie Sigrid Löffler in Kino als Ablaß fürchtet Lanz- mann die kathartische Wirkung des Films. Und ihn stört, daß Spielberg „den Holocaust anhand der Person eines Deutschen zeigt.“ Lanzmann erkennt einen Trend, „ ... eine regelrechte Mode aus USA und Israel: die Mode der Gerechten.“ In den Mittelpunkt rücken die Judenretter mit ihren persönlichen Geschichten. Lanzmann drängt sich deshalb die Frage auf: „Aber wenn es denn so viele Gerechte gab, die bereit waren, Juden zu retten, warum gibt es dann so viele Juden, die umgekommen sind?“ Und wie vielen anderen Kritikern mißfällt ihm die Schlußszene: Dar- steller und Überlebende gemeinsam am Grab Oskar Schindlers, das alles in Farbe, nahelegend, daß der Staat Israel tatsächlich das gelobte Land für die Juden sei. Lanzmann, den viele für eine Zionisten halten, wider- spricht: „Nein, Israel ist nicht die Erlösung vom Holocaust. Diese sechs Millionen sind nicht gestorben, damit Israel existiere. Shoah schließt mit einem anderen Bild. Mit einem fahrenden, einem endlos rollenden Zug. Um zu sagen, daß der Holocaust kein Ende hat.“996 Lanzmanns Kritik an Schindlers Liste ist sicher eine der fundiertesten und glaubwürdigsten, zudem eine der wenigen, in der es tatsächlich um das Problem der Darstellbarkeit des Holocaust geht. Der Autor von Shoah hat sich damit ernsthaft befaßt und ist zu dem Schluß gelangt, daß es unmöglich ist, das Geschehen nachzustellen. Ihm wäre es gar unmög- lich, einen Film zu zeigen, der das Töten in Auschwitz dokumentiert. „... hätte ich so einen Film gefunden, ich hätte ihn nicht nur nicht gezeigt, ich hätte ihn zerstört. Ich bin unfähig zu sagen, warum.“ Auch hier ver- zichtet der Filmemacher auf einen Erklärungsversuch. Das wiederum stört Siegfried Kohlhammer: „Hier spricht der Großinquisitor, der die Menschen einteilt in die zur Rechten und die zur Linken, die die verste- hen - und zwar ohne Gründe - , und die, die nicht verstehen. Gründe sind nicht nur unnötig, sie zu verlangen, bewiese bereits Lauheit und Zweif- lertum, Abfall und Häresie.“997 Diejenigen jedoch, die Lanzmann meinen verstanden zu haben, glauben, daß der Filmemacher die Würde der Toten respektieren und sie nicht ein zweites Mal bloßstellen möchte. Außerdem läge ihm nichts daran, die Zuschauer einfach nur mit Bildern zu beliefern, sie sollen gezwungen sein, sich das Unvorstellbare vorzu- stellen. Fritz Göttler faßt für die Süddeutsche Zeitung Lanzmanns Argumente zusammen. Göttler meint, „... die Einmütigkeit der betroffenen Reaktio- 996 Ebenda. 997 Kohlhammer, Siegfried: Anathema. Der Holocaust und das Bilderverbot. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Hrsg. von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel. 48. Jg. H. 6/1994, S. 505f. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 455 nen [auf Schindlers Liste] ist überwältigend, auf den ersten Blick, aber doch auch trügerisch. Sie überdeckt, daß es von Anfang an auch Wider- stand gab, Einwände und kritische Stimmen.“998 Zu Lanzmann schreibt er: „Nun hat sich einer zu Wort gemeldet, auf dessen Meinung viele gewartet haben dürften.“ Göttler hält also gerade Lanzmann für berech- tigt und befähigt, Kritik an Schindlers Liste zu üben, da Shoah sich durch intellektuelle Redlichkeit auszeichne. In Lanzmanns Beitrag sieht Göttler „ein notwendiges Korrektiv zu jener Stimmung zwischen Erlösung und Euphorie um Spielbergs Film.“999 Ein anderer anerkannter Filmemacher kann indes mit Lanzmanns Argu- menten nicht viel anfangen: Erwin Leiser. Daß Lanzmann einen heim- lich gedrehten authentischen Film über den Tod in der Gaskammer nicht nur nicht gezeigt, sondern zerstört hätte, vermag Leiser nicht nachvoll- ziehen. Mit einem solchen Dokument könnten alle Zweifler und Leugner widerlegt werden. Wie Simon Wiesenthal, der im September 1944 nach Plaszow kam, lobt Leiser die Authentizität von Schindlers Liste. Und er zitiert dessen Frage: „Lanzmann hat den einen Weg beschritten – wieso sollte Spielberg nicht den anderen beschreiten dürfen?“ Erwin Leiser, der Regisseur von Mein Kampf, antwortet: „...so, wie der sensible Spiel- berg sich hier einer unerträglichen Wirklichkeit untergeordnet hat, darf, ja muß man heute Filme über dieses Thema machen. Auch nach Shoah.“1000 Mariam Niroumand ist der Auffassung, daß die Bedenken Lanzmanns gegenüber der Darstellbarkeit des Holocaust denjenigen nicht viel weiter helfen, die Geschichtskenntnisse vermitteln wollen: „Es gibt nicht, es darf nicht, man kann nicht – inzwischen ist, hauptsächlich durch Lanz- mann, eine Dornenhecke um die Frage der filmischen Repräsentation gewachsen: Du sollst nicht vergleichen, du sollst nicht verkitschen, du sollst nicht lachen schließlich, so der FAZ-Titel über Lanzmanns Kritik an Schindlers Liste: Ihr sollt nicht weinen.“1001 Schon Mitte März 1994 erscheinen die ersten resümierenden Beiträge in der Presse. Die Kritiker, zum Teil diejenigen, die selbst in die publizisti- sche Kontroverse involviert waren, ziehen ein Fazit. Der Spiegel stellt fest: „...die Abwehrfront gegen Schindlers Liste und gegen die Figur Schindler ist bunt gesprenkelt, ideologisch konträr und von kunstsinni- 998 Göttler, Fritz: Bilder töten die Imagination. In: Süddeutsche Zeitung vom 5./6.3.1994, S. 17. 999 Ebenda. 1000 Leiser, Erwin: Ist Schindlers Liste obszön? Kritik an Steven Spielberg. In: Die Welt- woche vom 17.3.1994. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. 1001 Niroumand, Mariam: Daumenkino. Balagan. In: die tageszeitung vom 21.4.1994, S. 13. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 456 gen Vorbehalten.“1002 Lanzmanns Kritik wird beiläufig erwähnt, ebenso der „Dampfhans“ Will Tremper und die „Queen vom Literarischen Quartett“, Sigrid Löffler. Was Tremper und Löffler gesagt haben, hält der Spiegel offenbar für indiskutabel. Die Frage „Noch was?“ läßt wei- tere Ausführungen überflüssig erscheinen. Andreas Kilb meint in der Zeit, daß Schindlers Liste anders als seinerzeit Holocaust keinen Streit ausgelöst hat. „Statt dessen gab es, aus bekann- ten wie aus unvermuteten Ecken, ein paar kleinliche, griesgrämige Sticheleien, die erst gar nicht versuchten, ihrem Gegenstand irgendwie gerecht zu werden.“1003 Kilb nennt Tremper, Löffler, Rühle, Broder, Wolffsohn und kommentiert diese Auseinandersetzung mit: „Man faßt es nicht.“ Trempers Aussagen findet der Zeit-Kritiker freilich schändlich. Gegenüber Lanzmann vertritt Kilb die bewährte „Sowohl-als-auch- Haltung“ der Zeit. Daß Bilder die Imagination töten sei wahr, aber auch „... daß nur Bilder imstande sind, die Erinnerungen [der Überlebenden] wenigstens in Bruchstücken einer fernsehsüchtigen Nachwelt zu über- liefern.“1004 Am 21.4.1994 erscheint in der Woche ein Artikel von Michael Berger, in dem er sich mit dem „bizarren Streit“ der Kritiker befaßt. Berger stellt zunächst fest, daß „Millionen Bundesbürger in die Aufführungen ström- ten“ und sie „erschüttert“ verließen. Der Film, so Berger, „ist allgegen- wärtig“. „Die Ereignisse [wie der Brand der Lübecker Synagoge] tragen dazu bei, daß Schindlers Liste nicht mehr ‚nur‘ als Spielfilm begriffen wird.“1005 Der Anspruch Spielbergs, ein wahrhaftiges Dokument zu lie- fern, hätte zwangsläufig zum Gesinnungsstreit geführt. Der Autor stellt fest: „Kritiker, die sich der Feuilletonmehrheit nicht anschließen, ziehen den Verdacht der ‚geistigen Wegbereitung‘ für die neue Rechte auf sich, selbst wenn sie sich auf Verrisse ausländischer, jüdischer Rezensenten berufen.“ Besonders hellsichtig ist diese Einschätzung Bergers nicht, kann es doch gerade als geschicktes Verfahren „neuer Rechter“ bezeich- net werden, sich auf ausländische, jüdische Rezensenten zu berufen. Berger stört, daß nicht unterschieden wird zwischen den „halsstarrig- besserwisserischen Belehrungen“ eines Will Trempers, der sich als „Vertreter der Generation (offenbart), die darauf besteht, nichts gewußt zu haben“ und der Rezension von Sigrid Löffler. Der Autor bedauert, daß Kritik an dem Film selten inhaltlich ist: „Auch wenn sich fast alle 1002 „Grenze für Greuel“. In: Der Spiegel, Nr. 11 vom 14.3.1994, S. 193. 1003 Kilb, Andreas: Stichelei. In: Die Zeit, Nr. 13 vom 25.3.1994, S. 57. 1004 Ebenda. 1005 Berger, Michael: Deutsche Verwirrung. Schindlers Liste hat die Kinogänger erschüttert - und einen bizarren Streit ausgelöst. In: Die Woche Nr. 17 vom 21.4.1994, S. 29. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 457 Spielberg-Kritiker auf Claude Lanzmann berufen, den Regisseur von Shoah, spielt dessen kategorisch verlangtes Bilderverbot für die Aufar- beitung der Judenvernichtung in der Diskussion kaum eine Rolle.“ Dabei stamme von Lanzmann der wichtige Einwand, daß man angesichts der Millionen Toten nicht einen Film über die wenigen Überlebenden machen könne, die zudem von einem Deutschen gerettet worden seien. Zur Wirkung des Films meint Berger mit dem Hinweis auf die Holo- caust-Erfahrung: „Daß Schindlers Liste, wie Der Spiegel hofft, die Deut- schen in die Zeit der ‚Endlösung‘ zerrt, ihnen also die Bearbeitung ihrer Vergangenheit aufgibt, kann nur glauben, wer das Medium über- schätzt.“1006 Ebenfalls am 21.4.1994 erscheint in der Woche ein Artikel von Lothar Baier, der den Film und die Debatte über Schindlers Liste in Deutschland scharf kritisiert. Der Publizist Baier ist mit seinen Beiträgen besonders häufig in konkret vertreten. Er stellt wie Lanzmann die Frage nach der Verhältnismäßigkeit: „Was hat sich der Regisseur Spielberg eigentlich dabei gedacht, als er die gewiß bemerkenswerte, aber im Angesicht des Vernichtungsprozesses marginale Episode des seine jüdischen Sklaven- arbeiter freikaufenden Fabrikanten Oskar Schindler zum Anlaß nahm, vor dem zunehmend verblassenden zeitgeschichtlichen Hintergrund der Vernichtung der europäischen Juden eine Märchengeschichte von Rettung und Auferstehung in Szene zu setzen?“1007 Obwohl Baier nicht genau dieselben „obszönen Fragen“ stellt, die Löff- ler sich verboten hat, sind auch ihm Darsteller und Orte nicht realistisch genug. „Ist es Zufall oder Absicht, daß die jüdischen Frauen, wenn sie in Auschwitz-Birkenau vom Haarescheren zurückkommen, mit einem Haarschnitt wieder auftauchen, als sei der Friseur am Werk gewesen, der Jean Seberg für Godards Außer Atem hergerichtet hat? Warum schwenkt die Kamera von der bekannten Silhouette des Lagertors von Birkenau direkt hoch zu einem qualmenden Krematoriumsschornstein, obgleich der Regisseur bei der Ortsbesichtigung ... gesehen haben muß, daß die Gaskammern und Krematorien ganz woanders standen ...? Warum hat Spielberg den Schauspieler Liam Neeson so auftreten lassen, als solle der Marlon Brando nachahmen und nicht die Rolle eines deutschen Kleinstadtharsadeurs spielen, der in einer Ausnahmesituation über- raschend über sich hinauswächst?“ Dann nimmt sich Baier, der Schindlers Liste 1993 in Montreal gesehen hat, die publizistische Kontroverse in Deutschland vor. Seine „... Vor- 1006 Ebenda. 1007 Baier, Lothar: Wir, die Judenretter. Über den neuen „volkseigenen Film“ der Deut- schen. In: Die Woche, Nr. 17 vom 21.4.1994, S. 30. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 458 stellung, daß der Film Schindlers Liste in einer mittleren westlichen Gesellschaft sich als Gegenstand einer offenen, kontroversen, unter Umständen auch sarkastisch gefärbten Diskussion anbietet“, hat sich als falsch erwiesen, denn: „... Deutschland ist eben doch ein ganz anderes Land.“ Andreas Kilbs Beitrag in der Zeit vom 21.1.1994 habe schon klar gemacht, „... daß eine kritische Haltung gegenüber Spielbergs Film in Deutschland unerwünscht ist.“ Kilb verkünde „nach Gutsherrenart vom Hamburger Pressethron aus“, daß die Darstellung des Massenmords an den europäischen Juden möglich sei, selbst dann, wenn die Hauptfigur der Geschichte ein Deutscher ist. Baier attestiert dem Zeit-Redakteur „Sensibilität für anrollende Masseneffekte“ und wirft ihm vor, „... jedem, der vielleicht noch ein paar weitere Fragen hat, das Maul (zu stopfen).“ Die Mehrheit der deutschen Journalisten würde nun Kilbs Urtext nach- beten und die Ansicht vertreten, daß „Spielberg ... nicht nur den Massenmord ins Bild gebracht, sondern auch gleich noch die gesamte deutsche Vergangenheit bewältigt (hat).“ Die wenigen kritischen Stim- men verstummten, wenn „... Einwände verschiedenster Art und Herkunft gegen Schindlers Liste ... von Broder, was ja auch sein Routinejob ist, als antisemitisch entlarvt (werden).“ Kritiker des Films seien schnell als antiamerikanisch, antisemitisch, volksfern und national gefühlsarm ab- gestempelt worden. So bleiben laut Baier nicht viele Möglichkeiten, Schindlers Liste zu kriti- sieren. „Nur Claude Lanzmann dürfte mit seinen Einwänden ... auch in Deutschland ein bißchen zu Wort kommen, denn er war gewissermaßen doppelt entschuldigt: einmal als Ausländer und zum anderen als direkt betroffener Konkurrent in Sachen massenmedialer Vermittlung.“ Baier gibt sich als Kritiker der veröffentlichen Meinung in Deutschland, die einem „massenmedialen Konformitätsdruck“ folge, ausgeübt von der „Arbeitsgemeinschaft Kulturindustrie & Nationale Identität AG“. Laut Baier ist der Film in Deutschland deshalb so erfolgreich, weil er die Deutschen entlastet. Sie identifizieren sich mit dem NSDAP-Mitglied Schindler und sind „ .... jetzt alle auch ein bißchen ‚Judenretter‘. Die Er- leichterung unter den „nationalen Sinnsuchern“ sei groß. „Auf ihren Sinnstifter Spielberg lassen sie deshalb nichts mehr kommen.“ Baier, Berger, Broder – die drei Beiträge, die alle am 21.4.1994 in Der Woche erscheinen, zeichnen noch einmal die verschiedenen Teilkon- flikte nach und bestimmen Positionen in der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste. Das gleiche gilt für die Beiträge von Claussen, Horst, John Berger, Schütte und Kreimeier. Es scheint nun alles gesagt. Neue Interpretationen oder Provokationen bleiben aus, bzw. es reagiert niemand mehr auf sie. Die publizistische Kontroverse tritt in ihre End- phase. Es erscheinen noch Artikel zum Thema KZ-Tourismus (Broder, II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 459 Szyszkowitz) und zu einzelnen Personen, die auf Schindlers Liste ge- standen haben (Berg). Von anhaltendem Interesse ist zudem, was für ein Typ Oskar Schindler ist (Loewy, Bastian, Bruhn). Ab Juni erscheinen die ersten die Kontroverse reflektierenden Zusammenfassungen, z.B. von Alarič Hamacher in medium. Sie nimmt die Reaktionen der deutschen Presse als Beweis dafür, daß die PR-Kampagne für Schindlers Liste ein voller Erfolg gewesen ist, spricht von „Gleichschaltung“ und vergleicht die Propagandastrategien von Jud Süß mit denen von Schindlers Liste. Am Ende empfiehlt sie, „... sich in der Stadtbücherei nach Shoah zu er- kundigen.“1008 In den Rückblicken auf das Jahr 1994 fehlt „das Medienereignis Schindlers Liste“ nicht. Die Meinungsführermedien erinnern noch ein- mal an die Debatte und ziehen mit Hinweis auf die Zuschauerzahlen ein positives Fazit. Focus zitiert den bestimmt nicht mainstream-verdächti- gen bayerischen Filmemacher Herbert Achternbusch: „Wenn da nur irgend so ein Kleiner herumgetüftelt hätte, wäre es sofort peinlich gewe- sen.“1009 Im Juni 1995 beschäftigen sich die Junge Welt-Autoren Stefan Ripplinger und Rayk Wieland noch einmal auf zwei Seiten mit der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste. Anlaß ist das Erschei- nen der Textsammlung von Christoph Weiss. Mit ihrer Hilfe, lobt der Rezensent Ripplinger, lasse sich studieren, „... wie die ideologischen Apparate sich des Films bedienten.“1010 Denn man dürfe sich sicher sein: wenn Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Spiel- bergs Film als „zutiefst unideologisch“ lobe, befinde man sich „im Zen- trum der ideologischen Maschinerie.“1011 1008 Hamacher, Alarič: Das Märchen vom Spielberg und den sieben Oscars: Schindlers Liste und die Reaktion der Presse. In: medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse. 24. Jg., H. 3/1994, S. 37-41. 1009 Achternbusch, Herbert, zit. nach Jahresrückblick 1994, Kultur. In: Focus, Nr. 52 vom 23.12.1994, S. 84. 1010 Ripplinger, Stefan: „Grausame Wirklichkeit“. Im letzten Jahr galt jeder Einspruch gegen Schindlers Liste als ein Sakrileg. In: Junge Welt vom 27.6.1995, S. 12. 1011 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 460 II.9.6. Schindlers Liste und das Gesamtwerk Steven Spielbergs Filmographie Steven Spielberg 1971 Duell (Duel) 1974 Sugarland Express (The Sugarland Express) 1975 Der weiße Hai (Jaws) 1978 Unheimliche Begegnung der dritten Art (Close Encounters of the Third Kind) 1979 1941 – Wo, bitte, geht‘s nach Hollywood? (1941) 1981 Jäger des verlorenen Schatzes (Raiders of the Lost Ark) 1982 E.T. – Der Außerirdische (E.T. – The Extra-Terrestrial) 1983 Unheimliche Schattenlichter (Twilight Zone – The Movie) 1984 Indiana Jones und der Tempel des Todes (Indiana Jones and the Temple of Doom) 1985 Die Farbe Lila (The Color Purple) 1986 Unglaubliche Geschichten 1 und 2 (Amazing stories: The mission; Ghost Train) 1987 Das Reich der Sonne (Empire of the sun) 1988 Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (Indiana Jones and the last Crusade) 1989 Always (Always) 1991 Hook (Hook) 1993 Jurassic Park (Jurassic Park) 1993 Schindlers Liste (Schindler’s List) 1997 Vergessene Welt – Jurassic Park II (The Lost World) 1997 Amistad (Amistad) 1998 Der Soldat James Ryan (Saving Private Ryan) 1999 The unfinished journey Steven Spielberg hat früh den Wunsch, professionell Filme zu machen. Und schon mit 21 Jahren bietet ihm Sid Sheinberg von Universals TV- Produktionen einen Vertrag an, nachdem er Spielbergs ersten 35mm- Film Amblin gesehen hat. Amblin erzählt in 24 Minuten die Geschichte eines Jungen und eines Mädchens, die per Anhalter von der Sierra Nevada zum Pazifik fahren, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Amblin wird später Spielbergs Produktionsfirma heißen. Nach Fern- seharbeiten, u.a. einer Folge für Columbo, kann Spielberg 1972 seinen ersten eigenen Fernsehfilm realisieren, Duell, eine Mischung aus Action- und Horrorfilm. Diesem Genre, kombiniert mit Phantasy- und Science Fiction-Elementen, bleibt Spielberg treu, auf ihm gründet sein Erfolg. Der internationale Durchbruch erfolgt mit Der weiße Hai. Als Produzent ist er beteiligt an Poltergeist, 1982, Gremlins, 1984, und Back to the II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 461 future, 1985. Michael Ahlten schreibt in der Süddeutschen Zeitung: „Wenn etwas gibt, was das Kino Steven Spielberg verdankt, dann ist es der sogenannte Blockbuster. Seit dem Weißen Hai gibt es Filme, bei denen sich die Frage nach der Qualität nicht mehr stellt. An deren Stelle ist die Quantität getreten: Einspielergebnisse, Startwochenenden, Kopienzahlen. Diese Filme überzeugen durch schiere Präsenz. Wie Sau- rier stapfen sie durch die Kinolandschaft, unempfindlich gegen alle Anfeindungen, unersättlich in ihrer Gier nach Zuschauern.“1012 Spielberg zählt bald zu den kommerziell erfolgreichsten Regisseuren. Der Spiegel nennt die Umsätze wichtiger Spielberg-Filme in Millionen Dollar: Der weiße Hai: 458, E.T.: 701, Jurassic Park: 916, Schindlers Liste: 300, Amistad: 44, Der Soldat James Ryan nach acht Wochen Spielzeit in den USA und Großbritannien: 187.1013 Doch der Regisseur zitiert gern die Aussage seines Vorbilds Walt Disney: „Ich drehe Filme nicht nur, um Geld zu machen. Ich mache Geld, um mehr Filme zu machen.“1014 Neben spannenden Science-Fiction- und Abenteuerfilmen experimentiert Spielberg Mitte der achtziger Jahre auch auf anderem Gebiet, es entstehen Filme wie Die Farbe Lila (1985) nach Alice Wal- kers gleichnamigen Roman und Das Reich der Sonne. Rückblickend gelten seine bei Kritik und Publikum verhalten aufgenommenen Filme als Vorbereitung auf Schindlers Liste. Dieser sehr „europäische“1015 Film markiert in Spielbergs Leben eine Wende. Das behauptet der Regisseur selbst und das behaupten auch die meisten Kritiker, meinen aber vor allem eine inhaltliche Neuausrichtung. Handwerkliche Perfek- tion und „erzählerische Intelligenz“1016 zeichne alle Filme Spielbergs aus. Mit Amistad und Der Soldat James Ryan dreht Spielberg nach Schind- lers Liste zwei weitere „Geschichtsfilme“. In ihnen geht es nun um die Sklaverei und den Zweiten Weltkrieg, genauer die Landung der Alliier- ten in der Normandie. Der Geschichte des Soldaten James Ryan, den seine Kameraden finden und nach Hause schicken sollen, weil seine drei Brüder schon gefallen sind, könnte wiederum das Motto aus dem Tal- 1012 Althen, Michael: Der geöffnete Rachen von Hollywood. Wunderkind Rex: Steven Spielbergs zweite Expedition in den Jurassic Park - Vergessene Welt. In: Süddeutsche Zeitung vom 6.8.1997, S. 11. 1013 Vgl. Follath, Erich: Sankt Stevens großer Kreuzzug. In: Der Spiegel, Nr. 40 vom 28.9.1998, S. 214. 1014 Vgl. Goldau, Antje/Prinzler, Hans Helmut: Spielberg. Filme als Spielzeug. Mit Beiträgen von Fritz Göttler, Norbert Grob und aus dem American Cinematographer. München, 1985, Klappentext. 1015 Jenny, Urs: Holocaust mit Happy-End? In: Der Spiegel, Nr. 21 vom 24.5.1993, S. 210. 1016 Vom großen Morden. Titelgeschichte. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 169. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 462 mud vorangestellt werden: „Wer nur ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“ Ein Zusammenhang zwischen der Vernichtung der Juden Europas und dem Einsatz der Alliierten wird in dem Film explizit nicht hergestellt. Für den Regisseur Steven Spielberg mag dieser Zusammen- hang existieren, vor allem aber ist Der Soldat James Ryan der Film eines US-Amerikaners und er bestätigt, was Siegfried Kohlhammer schon bei Schindlers Liste erkannt hat: „Spielberg hat im Zusammenhang mit Schindlers Liste viel von seinem wiedergefundenen Judentum erzählt. Ich glaube, daß der Film mehr noch als der eines Juden der eines Ameri- kaners ist, ein Film gegen die Totalitarismen der Welt, deren Welterret- tung und Menschheitsbeglückung und deren Großinquisitoren, für die Errettung des Individuums und sein säkulares Glück.“1017 Für seine jüdi- schen Wurzeln hat sich Spielberg lange Zeit nicht interessiert. Als Jugendlicher möchte er sich lieber seiner christlichen Umgebung anpas- sen und nicht der Außenseiter, der Jude, sein. Seine Eltern sind schon in den USA geboren, viele Verwandte und Bekannte in Europa aber haben „the great murder“ – so wird der Massenmord genannt – nicht überlebt. Spielberg erinnert sich an Menschen, die bei seinen Eltern zu Besuch waren und ihm ihre Häftlingsnummer auf dem Unterarm gezeigt haben. Der Holocaust erscheint Spielberg immer als großes, wichtiges Thema, doch zögert er, Schindlers Liste zu verfilmen. Erst mit 45 Jahren beginnt er, sich mit jüdischer Religion und Geschichte intensiv auseinanderzu- setzen. Die Erziehung seiner Kinder und das Bekenntnis seiner Frau zum jüdischen Glauben veranlassen ihn dazu. Bei den Vorarbeiten zu Schindlers Liste wird dem Regisseur klar, daß er wohl kaum am Leben wäre, wenn er vor fünfzig Jahren in Europa aufgewachsen wäre. Die Familie begleitet ihn zu den Dreharbeiten nach Polen. Im Spiegel- Gespräch mit Hellmuth Karasek bezeichnet Spielberg Schindlers Liste als seine „Entschuldigung für die feigen Versuche“, sein Jüdischsein als Kind geleugnet zu haben. Heute empfinde er Scham über seine Scham von damals.1018 Nach Schindlers Liste, so berichtet Spielberg, haben ihm viele Über- lebende ihre Geschichte erzählen wollen. Daraus ist die Idee entstanden, Berichte von Augenzeugen auf Video aufzuzeichnen. Keine neue Idee, das Fortunoff-Archiv an der Universität Yale oder das Zentrum für Anti- semitismusforschung an der Universität Potsdam dokumentieren seit einigen Jahren Zeugenaussagen auf Video. Spielberg gründet 1994 die 1017 Kohlhammer, Siegfried: Anathema. Der Holocaust und das Bilderverbot. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Hrsg. von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel. 48. Jg. H. 6/1994, S. 508f. 1018 Die ganze Wahrheit schwarz auf weiß. Regisseur Steven Spielberg über seinen Film Schindlers Liste. Spiegel-Gespräch. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 186. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 463 „Survivors of the Shoah Visual History Foundation“, Gewinne aus Schindlers Liste und Spenden von Unternehmen und Privatleuten fließen der Stiftung zu. Sie arbeitet eng mit Universitäten und Institutionen wie Silicon Graphics, Time Warner und der Wasserman Foundation zusam- men. Ziel der Shoah Foundation ist, möglichst viele, nicht nur jüdische Überlebende zu befragen. Der Kontakt entsteht durch die Vermittlung von Institutionen oder auch durch Zeitungsinserate, d.h. die Zeugen signalisieren zunächst ihre Bereitschaft mitzumachen. Die Videobänder werden in Los Angeles digitalisiert und katalogisiert. Workstations ermöglichen den Zugriff auf die Datenbestände der Shoah Foundation. Auf CD-Roms werden zu Unterrichtszwecken Zeugenaussagen, Hinter- grundinformationen, Bilder und Graphiken angeboten. Frei im Internet abrufbar werden die Daten nicht sein – aus Furcht vor dem Mißbrauch durch Neonazis, wie Spielberg erklärt.1019 Für die Interviews sollen sich die Augenzeugen zu Vorkriegszeit, Ver- folgung und dem „Danach“ ca. zwei Stunden lang äußern, den Hauptteil der Erzählung macht die Zeit der Verfolgung aus. Die ehrenamtlichen Interviewer werden sorgfältig ausgewählt und mit Befragungstechniken vertraut gemacht. Die Shoah Foundation unterhält Büros in den USA, Kanada, Australien, Israel und ganz Europa. In einem Wettlauf gegen die Zeit arbeiten 240 feste Mitarbeiter, 3.500 Interviewer und über 4.000 ehrenamtliche Mitarbeiter daran, die Augenzeugen zu befragen, die Gespräche zu dokumentieren, auszuwerten, zu übersetzen und aufzube- reiten. Schon vier Jahre nach Gründung der Shoah Foundation sind mehr als 50.000 Interviews in 57 Ländern und 32 Sprachen aufgezeichnet. Etwa ein Sechstel aller noch lebenden jüdischen Zeugen des Massen- mords wurde befragt. Sich die Interviews hintereinander anzuschauen, würde über 13 Jahre dauern. Im September 1998 kommt Spielberg nach Deutschland, weil ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen werden soll. Er besucht die Gedenk- stätte Sachsenhausen und stellt in einer Berliner Schule die Shoah Foun- dation vor. Mitgebracht hat der Regisseur eine Unterrichts-CD-Rom zum Thema Holocaust. Die bei Jugendlichen beliebten Hollywood-Stars Winona Ryder und Leonardo di Caprio geben aus dem Off Erläuterun- gen. Im Februar 1999 nimmt Spielberg eine „Goldene Kamera“ für sein Lebenswerk in Empfang, auf einem Fundraising-Dinner wird Geld für die Stiftung gesammelt, die bislang 50 Millionen Dollar benötigt hat und noch einmal so viel braucht. Die „Partners in Tolerance“, die drei großen 1019 Vgl. „Ich werde nicht der finale Schnittmeister sein“. Über den Willen zur Kooperation und die Katalogisierung des gesammelten Materials: Ein Interview mit Steven Spielberg, geführt von Eva Menasse. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.1.2000, S. III. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 464 Verlage Burda, Bertelsmann und Springer, treten als Sponsoren der Benefiz-Gala auf. Spielbergs Projekt – und es ist sein Projekt, selbst wenn viele andere Personen und Institutionen beteiligt sind – stößt wie zuvor Schindlers Liste auf Skepsis. Auch bei denen, die wie z.B. Henryk M. Broder den Film verteidigt haben. Die multimediale Aufbereitung schreckt ihn ab: „Dank einer ‚cutting edge technology‘, die speziell für die Shoah- Kollektion entwickelt wurde, wird es möglich sein, von Auschwitz nach Majdanek und von Treblinka nach Groß-Rosen zu surfen, ohne sich den Strapazen einer Reise im Viehwaggon unterziehen zu müssen.“1020 Kritisch sehen Wissenschaftler, mit welcher Eile das Projekt voran- getrieben wird. Quantität gehe vor Qualität. Natürlich stellt die Shoah Foundation auch eine Konkurrenz dar. Spendengelder, auf die Forschungseinrichtungen angewiesen sind, fließen Spielbergs Stiftung zu. Häufig formulieren Spielbergs Kritiker allerdings wie bei Schindlers Liste grundsätzliche Bedenken: Gezeigt werden die, die dem Tod ent- kommen sind. Was aber ist mit den Millionen Menschen, die sich nicht mehr äußern können? Die Einzelschicksale erklärten nicht das gesamte Ausmaß der Shoah. Das werde auch nicht durch enormen technischen und organisatorischem Aufwand begreifbar zu machen sein. In einigen Kritiken kommt die Furcht der Europäer vor der kulturellen Macht der USA zum Ausdruck. Der Kritiker der Le Monde: „Die naive Art und Weise, sich alles anzueignen, alles zu sammeln, alles aufzuheben, selbst das Unsagbare, spiegelt einen alten hegemonialen Impuls Hollywood wider, der besonders in diesem Zusammenhang regelrecht gefährlich ist ... Alles wird standardisiert, vereinheitlicht, plattgemacht.“1021 Spielberg wird als Herr der Bilder, gar als Herrscher über das kollektive Gedächt- nis bezeichnet. Die Shoah Foundation behält sich nämlich alle weiteren Verwertungsoptionen vor, und so wittern einige Kritiker Geschäfte- macherei. Insgesamt sind die Verdächtigungen, die gegenüber Spielbergs Projekt geäußert werden, nicht frei von antisemitischen Klischees. Auch wird kräftig psychologisiert: Spielbergs Aktionismus sei Folge einer Überidentifikation. Der Filmemacher sähe sich als zweiten Schindler, der wenn nicht die Juden selbst, so ihre Erinnerungen rettet. Die Befrag- ten, die zum Teil jahrzehntelang geschwiegen und auch nächsten Ange- hörigen kaum etwas erzählt haben, sind überwiegend froh, daß jemand sich für ihre Erlebnisse interessiert. Sie wollen Zeugnis ablegen, in der Hoffnung, daß künftige Generationen aus ihren Erfahrungen lernen. 1020 Broder, Henryk M.: Indiana Jones in Auschwitz. In: Der Spiegel, Nr. 37 vom 13.9.1999, S. 250. Mit der Überschrift seines Beitrags spielt der Publizist auf Will Trempers umstrittene Kritik zu Schindlers Liste an. 1021 Frodon, Jean-Michel in Le monde, zit. nach Niroumand, Mariam: Einfach Anklicken. In: die tageszeitung vom 30.3.1995, S. 21. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 465 II.9.7. Resümee Die publizistische Kontroverse über Schindlers Liste verläuft in mehre- ren Phasen. Im Frühjahr 1993 erscheinen die ersten Berichte über Spiel- bergs neuestes Projekt. Im Dezember läuft der Film in den USA an. Die Korrespondenten berichten von dem großen Erfolg des Films beim Publikum und der Kritik. Die Spannung in Deutschland wächst. Wie wird hier der Film aufgenommen? Anfang 1994 weitet sich die Bericht- erstattung aus. Noch vor der Premiere des Films am 1.3. erscheinen Kommentare und Stellungnahmen prominenter „Fachleute“ – Filme- macher, Kritiker, Schriftsteller und Politiker. Am 3.3. dann gibt es keine Tageszeitung, kein Wochenblatt, das nicht ausführlich über die Film- premiere berichtet und den Film bewertet. Doch ist hier schon absehbar, daß es nicht allein um einen Film geht. Viel mehr steht zur Debatte: neben der Frage der filmischen Repräsentation die grundsätzliche, wie in Deutschland mit der NS-Vergangenheit umzugehen ist. Der Vorwurf des Antisemitismus wird laut. Ende April aber haben sich die Wogen ge- glättet. Zwar herrscht nun nicht plötzlich Einigkeit in der Beurteilung des Films und seiner Wirkung, doch ist ein deutlicher Rückgang der Beiträge zu Schindlers Liste erkennbar. Die Phase der heftigen, z.T. sehr persön- lichen Auseinandersetzung ist vorbei. Es beginnt die wissenschaftliche Aufarbeitung des Medienereignisses. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß von FAZ bis taz, von Spiegel bis Focus, in den Illustrierten und in der Fachpresse sehr ausführlich be- richtet worden ist (wenn auch nicht so umfassend und andauernd wie bei Holocaust) und daß das Lob für Schindlers Liste überwiegt. Doch gibt es auch sehr viele negative bzw. abwägende Stimmen. In den meisten Blättern äußern sich sowohl Befürworter als auch Gegner des Films, so daß sich nicht eine unanfechtbare Einteilung in positiv oder negativ er- gibt. Dennoch sind Tendenzen zu erkennen: besonders ausführlich und eher positiv berichten Der Spiegel, Die Zeit, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Woche, eher negativ Der Tagesspiegel, Die Welt, Der Rhei- nische Merkur. Ausgewogen mit eher negativer Tendenz die liberal bis links-alternativen Blätter, die Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung, die Frankfurter Rundschau, das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, das Neue Deutschland, der Freitag, epd-film, medium. Viele verschiedene Argumente pro oder contra Schindlers Liste werden in den in Kapitel 5. zitierten und überwiegend chronologisch geordneten Filmkritiken erwähnt. Die Kritiker streiten über die Machart, einzelne Szenen, die Figurenkonstellation, die Besetzung der Rollen, die Motiva- II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 466 tion Schindlers und das „kitschige“ Ende des Films. Darüber hinaus las- sen sich aber einige Hauptstreitpunkte benennen, die die publizistische Kontroverse über Schindlers Liste bestimmen. Grundsätzlich geht es um folgendes: • die Darstellbarkeit des Holocaust, • Spielberg zeigt die Ausnahme: die Rettung einiger, während Millio- nen vernichtet worden sind, • der Retter ist ein Deutscher mit Parteiabzeichen, • die Deutschen haben keinen vergleichbaren Holocaustfilm produziert • der Film ist ein Produkt der Kulturindustrie • den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus • Gegenwartsbezug und Lehren aus diesem Film • Antisemitismus • die Darstellbarkeit des Holocaust Ob und wie der Holocaust im Film dargestellt werden kann, ist die ent- scheidende Frage in der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste. Sehen die einen in dem Film den Beweis, daß es geht, plädieren andere für das Bilderverbot und meinen, daß der Massenmord nicht nachgestellt werden kann und darf. Einig sind sich Gegner und Befür- worter des Bilderverbots darin, daß über die Shoah informiert werden muß, doch wie, mit Hilfe welcher Medien und welcher künstlerischer Verfahren, ist strittig. „Meisterwerke“ wie Shoah und der Comic Mouse von Art Spiegelman hätten „... Strategien entwickelt, den Holocaust an seinen Spuren und seiner Abwesenheit zu zeigen“1022, so Jim Hober- mann. Das Gegenargument aber lautet, daß diese Meisterwerke nur von einem kleinen Publikum zur Kenntnis genommen werden. Verbunden mit der Frage der Repräsentation ist die Debatte über Fiktion und Doku- ment. Insbesondere Holocaustfilme sollen wahrhaftige, authentische Bil- der liefern. Spielberg bemüht sich um Realismus, wie er dabei aber die Grenzen zwischen Dokument und Fiktion vermischt, halten Puristen wie Lanzmann für unzulässig. 1022 Hobermann, Jim: Spielbergs Oskar. In: die tageszeitung vom 3.3.1994, S. 13. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 467 • Spielberg zeigt die Ausnahme: die Rettung einiger, während Millio- nen vernichtet worden sind Im Talmud steht: „Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ Daß Spielberg diesen Satz als Motto seines Films gewählt hat, daß er die Geschichte der Rettung einiger weniger erzählt, wo doch Mil- lionen ermordet worden sind, werfen ihm Kritiker vor. Er bevorzuge eine Geschichte mit Happy End und präsentiere daher die Ausnahme. Die Ausnahme bestätigt aber die Regel, argumentieren diejenigen, die im Film beides sehen: Rettung und Vernichtung. Jan Philipp Reemtsma stellt der Liste Schindlers die Deportationslisten gegenüber, den gerette- ten „Schindlerjüdinnen“ die Gruppe, die stattdessen auf dem Weg zur Gaskammer ist, der Goldplombe, die freiwillig für Schindlers Ring her- ausgebrochen wird, dem in Auschwitz gesammelten Zahngold. Der Film erzähle zwar eine Geschichte, die irgendwie gut ausgeht, doch führe er zugleich dem Zuschauer „... jene Wirklichkeit vor, in der diese Geschichte eine Ausnahme gewesen ist.“1023 Der Film bietet in der Tat zwei Varianten an, zeigt aber nicht beide. Wenn die Frauen im Dusch- raum angstvoll nach oben starren und es kommt Wasser aus den Brause- köpfen, weiß der Zuschauer, daß das die Ausnahme gewesen ist. Wissen ermöglicht in diesem Fall, das Nichtgezeigte hinzuzudenken. Darauf setzt auch Shoah, obgleich Lanzmanns Film vom Zuschauer erheblich mehr Vorwissen und Einfühlungsvermögen fordert. • der Retter ist ein Deutscher mit Parteiabzeichen Auch daran, daß Spielbergs Held ein Deutscher ist, scheiden sich die Meinungen der Kritiker. Ein „guter Deutscher“, wie der Spiegel titelt, sei, so Eike Geisel, eine „contradictio in adjecto“ und diene nur der Ent- schuldung und Relativierung.1024 Hämisch kommentiert er die Freude der Deutschen über das widerständige NSDAP-Mitglied: „Nach dem guten Opfer war endlich das Gegenstück zu Anne Frank gefunden – der gute Täter.“1025 Weist auch hier die Ausnahme auf die Regel? Die 1023 Reemtsma, Jan Philipp: Die Memoiren Überlebender. Eine Literaturgattung des 20. Jahrhunderts. In: Ders.: Mord am Strand. Allianzen von Zivilisation und Barbarei. Auf- sätze und Reden. Hamburg: 1998, S. 258. 1024 Geisel, Eike: E.T. bei den Deutschen. Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz. In: ders.: Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Natio- nalisierung der Erinnerung. Hrsg. von Klaus Bittermann. Berlin, 1998, S. 97. 1025 Ebenda. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 468 Befürworter des Films lassen sich von den Gegnern nicht in eine Kollektivschulddebatte verwickeln. Stattdessen geben sie zu bedenken, daß die alten Ausreden – „man konnte doch nichts tun!“ – durch Schindlers Beispiel als Ausreden entlarvt sind. • die Deutschen haben keinen vergleichbaren Holocaustfilm produziert Obwohl es eine Vielzahl an deutschen TV- und Kinofilmen zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust gibt und Rezensenten zum Teil selbst auf Filme wie Ein Tag, Jakob, der Lügner, Der Prozeß u.a. hin- weisen, fragen Kritiker, warum es keinen vergleichbaren Film aus Deutschland gibt, warum nicht schon eher, die Geschichte Oskar Schindlers für erzählenswert erachtet wurde? Einige berichten von Artur Brauner, der für sein Projekt Ein Engel in der Hölle keine Unterstützung gefunden hat, andere meinen, daß gerade Regisseure des jungen deut- schen Films sich dieser Aufgabe hätten stellen müssen, stattdessen seien Filme wie Heimat entstanden. Wie aber hätte die Filmkritik auf einen deutschen Schindler-Film reagiert? Wäre er nicht noch mehr als Versuch der Reinwaschung empfunden worden? Welche Perspektive kann ein deutscher Regisseur beim Thema Holocaust einnehmen, ohne Gefahr zu laufen, die Schuld der Täter und das Leid der Opfer zu nivellieren? Man- che Kritiker sind Spielberg dankbar, daß er Schindlers Geschichte ver- filmt hat, nicht nur, weil der Film eine differenzierte Betrachtung der Mitschuld „ganz normaler Deutscher“ ermöglicht, sondern auch, weil sie keinen deutschen Regisseur kennen, der drei Stunden lang fesselnd er- zählen kann. Trotz Filmförderung wäre ein deutscher Schindler-Film so nicht zu realisieren und international zu vermarkten gewesen. • der Film ist ein Produkt der Kulturindustrie Ideenreichtum und handwerkliches Können Spielbergs und seines Teams halten Adorno/Horkheimer nahestehende Kritiker für weniger entschei- dend, was den Erfolg von Schindlers Liste anbelangt, als den Entste- hungshintergrund und die Vermarktung dieses „Produktes der Kultur- industrie“. Schindlers Liste wird demnach nicht als Kunstwerk, sondern als Ware betrachtet, „Hollywood“ wird zu Chiffre eines nur an Absatz und Massenverdummung interessierten Unternehmens. „Die Saurier wälzten sich noch durch die Kinos, die letzten Dollars ... sind noch nicht gezählt, da rollt eine neue PR-Kampagne an: diskreter, gedämpfter, doch II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 469 nicht minder effizient“1026, kritisiert Peter Körte in der Frankfurter Rundschau und erntet damit die Zustimmung derjenigen, die die Legiti- mität eines Hollywood-Holocaust grundsätzlich bezweifeln und den Ein- fluß der US-amerikanischen Bewußtseinsindustrie eingedämmt sehen möchten. • der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus Steven Spielberg, der im Verdacht steht, ein Handlanger und Profiteur der Kulturindustrie zu sein, weist selbst auf den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus: „Das Nazi-Reich im besetzten Polen, das war vor allem eine Industrie, die ähnlich wie US-Steel funk- tionierte, nur daß das Nebenprodukt der tausendfache Tod war.“1027 Mehrere Rezensenten drücken ihre Verwunderung darüber aus, daß Spielberg an dem Film nichts verdienen will. Ein Argument gegen Schindlers Liste ist ihnen damit genommen, obwohl es einige nicht hin- dert, Spielbergs Verzicht als taktisch kluges Manöver zu denunzieren. Linken Kritikern mißfällt an der Filmstory, daß allein die Erwirtschaf- tung von Profit Überleben ermögliche. Oskar Schindler sei in erster Linie Ausbeuter und Kapitalist, nicht Retter von Menschenleben. Rayk Wieland versteigt sich sogar zu der Interpretation „Anstatt die Juden zu vergasen und somit ihre Arbeitskraft zu vernichten, so der manifeste Sinn der anrührenden Geschichte, hätte man sie besser ihren ‚Wehr- beitrag‘ leisten lassen sollen.“1028 Georg Seeßlen hält den Film für hoch- aktuell und zwar in zweifacher Hinsicht: „...als Erinnerung an das Nichterinnerte und als Vorgriff auf eine nicht geführte Debatte um die Verantwortung des Kapitals für das Elend der Welt, für die neuen Ver- nichtungslager.“ In Schindlers Liste entdeckt der Kritiker eine „Vision von der Vermenschlichung des Kapitalisten“ und die „... Forderung, die destruktiven Kräfte des ‚freien Unternehmertums‘ zu bändigen.“1029 • Gegenwartsbezug 1026 Körte, Peter: Sterns Liste oder: Die vergebliche Erinnerung. In: Frankfurter Rundschau vom 1.3.1994, S. 8. 1027 Spielberg, Steven, zit. nach Die ganze Wahrheit schwarz auf weiß. Regisseur Steven Spielberg über seinen Film Schindlers Liste. Spiegel-Gespräch zwischen Steven Spiel- berg und Hellmuth Karasek. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 184. 1028 Wieland, Rayk: Schindlerdeutsche. Wie die Deutschen mit Schindlers Liste ihre Gegenwart bewältigten. In: Junge Welt vom 27.6.1995, S. 13 1029 Seeßlen, Georg: Shoah, oder die Erzählung des Nichterzählbaren. In: Freitag Nr. 10 vom 4.3.1994, S. 10. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 470 Schindlers Liste regt an, Bezüge zur aktuellen politischen Lage herzu- stellen. So meint Henryk M. Broder: „Es ist kaum möglich, einen Mann zu ehren, der Tausende von Juden vor den Nazis gerettet hat, und zu- gleich die Meinung zu vertreten, zum Schutz der Muslime in Bosnien könnte nichts unternommen werden.“1030 Bill Clintons Äußerung, Schindlers Liste habe seine Bosnien-Politik beeinflußt, wird mehrfach zitiert. Zwischen dem Anschlag auf die Lübecker Synagoge und Spiel- bergs Film sehen Ignatz Bubis und viele Journalisten einen Zusammen- hang. Wie aber der Film in der aktuellen politischen Auseinandersetzung von der Linken benutzt wird, mißfällt Michael Wolffsohn, der sich alle Mühe gibt, seiner Rolle als jüdischer Dennoch-Deutschnationaler ge- recht zu werden. Er vermutet nachgeholten Antifaschismus und spricht von „nachgeborenen Schreibtischwiderständlern“. Diese zögen zwar Parallelen zwischen dem Holocaust und heutigen Völkermorden, seien dabei allerdings auf einem Auge blind. Der Historiker fragt, wo denn die Demonstranten sind, die einst gegen den Vietnamkrieg auf die Straßen gingen. Seine Antwort: „Sie blieben weg, weil ihnen Ideologie wichtiger war als Menschlichkeit.“1031 Einige Kritiker wie Gabriele Arnim speku- lieren, inwieweit die Debatte über Schindlers Liste den Wahlkampf 1994 bestimmen wird. Bei der Premiere des Films ist Politprominenz anwe- send, Helmut Kohl jedoch fehlt. Vor der Europawahl am 12.6.1994 nimmt die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas Schindlers Liste und die „Sieben Oscars“ zum Anlaß für sich als antirassistische Partei ganzseitig in allen Meinungsführermedien zu werben.1032 • Antisemitismus Antijüdische Ressentiments scheinen immer vorhanden zu sein, auch nach der Shoah, vielleicht sogar ihretwegen, vermutet Henryk M. Broder. Seine Vorwürfe gegenüber Will Tremper, Günther Rühle und Sigrid Löffler führen zu einer Kontroverse innerhalb der Kontrovers über Schindlers Liste. Ihre Berechtigung ziehen Wolffsohn, Röhl, Gympel u.a. in Zweifel, zumindest finden sie an Löfflers und Rühles Bespre- chungen nichts Antisemitisches. Latenz läßt sich schwer beweisen. Bro- der steht als paranoider Antisemitenjäger da, der zu Differenzierungen nicht fähig sei. Röhl scheut nicht den Vergleich mit der Selektion an der 1030 Zit. nach Ripplinger, Stefan: Grausame Wirklichkeit. Im letzten Jahr galt jeder Ein- spruch gegen Schindlers Liste als Sakrileg. In: Junge Welt vom 27.6.1995, S. 12. 1031 Wolffsohn, Michael: Wo bleibt der Mut zum Widerstand? Rheinischer Merkur, Nr. 9 vom 4.3.1994, S. 17. 1032 Vgl. Anzeige der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.6.1994, S. 7. II.9. Schindlers Liste (USA, 1993) 471 Rampe von Auschwitz. Spätestens hier hat diese Debatte tatsächlich ihren Tiefpunkt erreicht. III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der untersuchten Filme im Vergleich 472 III. Fazit III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der unter- suchten Filme im Vergleich Ganz unterschiedliche Filme, die zusammenfassend als Holocaustfilme bezeichnet werden, stehen im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Deut- sche und nichtdeutsche, jüdische und nichtjüdische Filmemacher haben sie im Verlauf von fünf Jahrzehnten publiziert. Der aufklärerische An- spruch mag die Filmemacher einen. Doch unterscheiden sie sich durch die gewählten künstlerischen Verfahren. Kritik und Publikum haben von Film zu Film anders reagiert. Die durch die Filme ausgelösten publizisti- schen Kontroversen drehen sich aber häufig um dieselben Fragen. Diese müssen offenbar alle 5-10 Jahre erneut gestellt und zumindest teilweise beantwortet werden. Im Fazit sollen zunächst Entstehungshintergrund, Machart und Rezeption der Filme im Vergleich dargestellt werden, um dann die Hauptdiskussionspunkte in den publizistischen Kontroversen herauszuarbeiten. Schließlich werden Strukturen und Funktionen der in den Meinungsführermedien ausgetragenen Kontroversen über den Holo- caust im Film aufgezeigt. Artur Brauners und Eugen Yorks Morituri ist ein unter schwierigen Bedingungen hergestellter Film. Ebenso schwierig ist, das Publikum drei Jahre nach Kriegsende für diesen auf Tatsachen beruhenden Spielfilm zu interessieren. Das liegt zum einen an der politischen Situation 1948, den Problemen der Filmwirtschaft im geteilten Deutschland und den einge- schränkten Möglichkeiten, für Morituri zu werben, zum anderen aber liegt es an dem Film selbst. Seine Thematik scheint abzuschrecken. Die Filmkritik lobt hingegen überwiegend den Anspruch des Films, die Lei- den der Opfer in den Mittelpunkt einer Filmerzählung zu stellen und auf Ausgleich zwischen verfeindeten Völkern hinzuwirken. Machart und Erzählweise kommentieren die Filmkritiker allerdings mehrheitlich negativ. Morituri sei in weiten Teilen dem alten UFA-Stil verhaftet ge- blieben, formal biete er wenig Neues. Den Mitarbeitern des Deutschen Filmmuseums Frankfurt ist zu verdanken, daß dieser frühe deutsche Beitrag zum Thema Verfolgung nicht gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Für Artur Brauner, der den Holocaust überlebt hat, ragt Morituri aus der Masse der von ihm produzierten Filme heraus. Er war und ist ihm „eine Herzensangelegenheit“.1033 1033 Brauner, Artur, zit. nach Riess, Curt: Das gab’s nur einmal. Der Deutsche Film nach 1945. Bd. 4. Wien, München, 1977, S. 199. III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der untersuchten Filme im Vergleich 473 In der publizistische Kontroverse, die der französische Film Nacht und Nebel 1956 auslöst, geht es längst nicht nur um einen Film. Alain Resnais‘ Film über den Massenmord in den Vernichtungslagern führt zu diplomatischen Verwicklungen zwischen der Bundesrepublik und Frank- reich, zu parlamentarischen Anfragen im Bundestag und zum Eklat wäh- rend der Filmfestspiele in Cannes. Das Argument der Zensurgegner und Befürworter des Films lautet: Dieser Film zeigt die Wahrheit. Die Deut- schen haben in Konzentrationslagern Millionen Menschen ermordet. Dieser Wahrheit müssen wir uns stellen, und deshalb muß der Film ge- zeigt werden.1034 (Vgl. z.B. Die Zeit). Gestritten wird hauptsächlich über die Bereitschaft der Deutschen, ihre Schuld einzugestehen und sich von den Nazis und ihren Taten öffentlich zu distanzieren. Unumstritten ist, daß es sich bei Nacht und Nebel um einen künstlerisch überragenden Film handelt, dem ersten, der dem Thema gerecht zu werden scheint. Der Einsatz von Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Montage- technik, die von Hanns Eisler komponierte Filmmusik, der von Paul Celan ins Deutsche übersetzte Kommentar - das alles macht Nacht und Nebel zu einem der wichtigsten und überdies international bekanntesten Holocaustfilme. Angehörige der Nachkriegs-Generation berichten, wie prägend Nacht und Nebel für sie gewesen ist. Der nur halbstündige Film hat Maßstäbe gesetzt. Erkennbar ist sein Einfluß auf spätere Holo- caustfilme, so beispielsweise auf Shoah. In beiden Fällen nimmt der Autor den Standpunkt der Gegenwart ein. Wo jedoch Alain Resnais die schrecklichen Bilder der Vergangenheit zeigt, verzichtet Claude Lanz- mann vollständig auf sie, setzt allerdings darauf, daß sie in den Köpfen der Zuschauer vorhanden sind. Ein ähnliches Verfahren wählt Erwin Leiser. Für seinen Film Mein Kampf, 1960, benutzt er allerdings ausschließlich „Dokumente“, Auf- nahmen, die zwischen 1914 und 1945 entstanden sind, darunter Aus- schnitte aus Wochenschauen und NS-Propagandafilmen wie Leni Rie- fenstahls Triumph des Willens. Mit Hilfe eines sachlichen, erläuternden Kommentars will Leiser die Bilder „gegen-den-Strich-Bürsten“ und die nationalsozialistische Ideologie entlarven. In neunzig Minuten versucht er, so viel wie möglich über die Ursachen und Folgen des Nationalsozia- lismus mitzuteilen. Sein Film ist ein Appell, wachsam zu sein und den Anfängen zu wehren. Im Vorspann fordert er: „Nie wieder!“ Resnais‘ Nacht und Nebel und Leisers Mein Kampf liegen zeitlich eng beieinander, sie ähneln sich in ihrem aufklärerischen Anspruch. Doch gehen die Filmemacher unterschiedliche Wege. Atelier und Volkshoch- schule stehen sich gegenüber. Mein Kampf scheint hinter den intellektu- 1034 Vgl. Auszug aus Cannes. In: Die Zeit, Nr. 18 vom 3.5.1955, S. 2. III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der untersuchten Filme im Vergleich 474 ellen Anspruch von Nacht und Nebel zurückzufallen. Für Leisers Film spricht laut Wilfried Wiegand indes sein immenser Erfolg beim Publi- kum: „Der Zuspruch gab ihm recht. Eine ganze Generation, die sich irre- geleitet fühlte, zahlte es nun Hitler gleichsam heim, indem sie ihn in seinem Medium anklagte.“1035 Mein Kampf hat zudem stilbildend ge- wirkt und ein Muster für TV-Dokumentationen geliefert. Die DEFA-Produktion Nackt unter Wölfen (1963), eine Literaturverfil- mung, hat als Ort der Handlung das Lager Buchenwald. Im Mittelpunkt des Films steht das Bemühen kommunistischer Häftlinge, ein Kind vor dem sicheren Tod zu retten. Eine publizistische Kontroverse löst der Film zunächst nicht aus. Die in der DDR erscheinenden Kritiken sind durchweg positiv und folgen alle der gleichen Interpretation, wonach die DDR in der Tradition des antifaschistischen Widerstands steht. In der Bundesrepublik findet der Film erst 1968 einen Verleih. Die Rezensen- ten loben die gut erzählte, anrührende Geschichte, kritisieren aber die „Schwarz-Weiß-Malerei“. Ästhetisch, so Ulrich Gregor, wage der Film nichts Neues.1036 Wie der DEFA-Film Nackt unter Wölfen (1963) zeigt das westdeutsche TV-Fernsehspiel Ein Tag (1965) das Leben und Sterben in einem deut- schen Konzentrationslager. Nackt unter Wölfen spielt 1945, als zwar das Ende der Nazis absehbar ist, die Gefahr jedoch besteht, im letzten Augenblick ermordet zu werden. Ein Tag spielt zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Terrorregime der Nazis etabliert, 1939. In der Reihe der untersuchten Holocaustfilme stellt Ein Tag eine Besonderheit dar, weil er nicht für das Kino, sondern im Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens produziert worden ist, und weil der Film zur Gattung der zwischen Fiktion und Dokument angesiedelten Fernsehspiele gehört. Bei seiner Ausstrahlung 1965 erreicht Egon Monks Ein Tag immerhin 46% der Zuschauer. Für heutige Verhältnisse eine unglaublich hohe Sehbetei- ligung. Horst Holzer aber nimmt Ein Tag als Beleg für seine These von der „gescheiterten Aufklärung“.1037 In der Tagespresse wird das Fern- sehspiel sehr gelobt, ebenso in der Fachpresse. Der NDR ist stolz auf Ein Tag und die anderen Produktionen aus seiner Fernsehspielabteilung, gezeigt werden sie allerdings nicht mehr. So gehört auch dieser deutsche Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu den vergessenen Holocaustfilmen, selbst wenn einige Kritiker in den publizi- 1035 Wiegand, Wilfried: Triumph der Aufklärung. Zeitzeuge, Autor, Dokumentarfilmer: Zum Tod von Erwin Leiser. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.8.1996, S. 14. 1036 Vgl. Gregor, Ulrich: Im Osten nichts Neues? In: Filmkritik. Aktuelle Informationen für Filmfreunde. 8. Jg. H. 6/1964, S. 296. 1037 Holzer, Horst: Gescheiterte Aufklärung. Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München, 1971. III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der untersuchten Filme im Vergleich 475 stischen Kontroversen über Holocaust und Schindlers Liste an Ein Tag erinnern. In den sechziger und siebziger Jahren werden national und international sehr viele Filme produziert, in denen Nationalsozialismus und 2. Welt- krieg den Hintergrund einer Abenteuer- oder Liebesgeschichte bilden. Zugleich entstehen seriöse TV-Dokumentationen, in denen einzelne Aspekte nationalsozialistischer Politik betrachtet werden, Zeitzeugen und Experten treten auf, historische Aufnahmen dienen als Beleg. Das Interesse an Zeitgeschichte - genauer an den Themen Nationalsozialis- mus und Krieg und an der Person Adolf Hitler - ist groß. Die US-ameri- kanische TV-Serie Holocaust (1978) bedient sich zwar der aus Spiel- filmen bekannten Versatzstücke und Erzählstrategien, neu ist dennoch, die Geschichte der Massenvernichtung überwiegend aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Eine publizistische Kontroverse wie die über Holocaust hat es in der Bundesrepublik bis dahin nicht gegeben. Das belegen die Zahl der ver- öffentlichen Beiträge, die Dauer und die Schärfe der Auseinander- setzung. Erstaunt registrieren die Journalisten die unerwartet heftige Reaktion der Zuschauer. Allenthalben herrscht „Betroffenheit“. Ange- sichts der enormen Resonanz revidieren einige Kritiker ihr Urteil. Günter Rohrbach, der sich für die Ausstrahlung der Serie im deutschen Fern- sehen eingesetzt hat, erkennt ein „Ende der Von-oben-nach-unten- Kultur“1038. Rückblickend sprechen Kritiker und Wissenschaftler von einem „Vor- und Nach-Holocaust“ und bezeichnen die Kontroverse 1978/79 als Zäsur in der bundesrepublikanischen Geschichtsdebatte. Was bis dahin als „Endlösung“, „Vernichtung“ oder „Mord“ bezeichnet wurde, heißt nun „Holocaust“. Alle zuvor in den Kontroversen über „KZ-Filme“ vorgebrachten Argumente werden noch einmal versammelt: die grundsätzliche Frage der Darstellbarkeit, Dokument versus Fiktion, historische Richtigkeit, welche deutschen Filme es zum Thema es gibt, Trivialisierung der Massenvernichtung, u.v.m. Während der Kontroverse über Holocaust arbeitet Eberhard Fechner schon an seiner Dokumentation des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses, eines der längsten Verfahren in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Fechner kommt wie Monk aus der NDR-Fernsehspielredaktion. In den siebziger Jahren hat er die Gattung des Gesprächsfilms entwickelt, wobei durch die Montage von Interviews eine Art künstlicher Dialog entsteht. Von der Kritik wird 1038 Rohrbach, Günther: Ende der Von-oben-nach-unten-Kultur? Erkenntnisse und Folgerungen für die Arbeit von Fernsehanstalten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.2.1979, S. 19. III.1. Entstehungshintergrund, Machart, Resonanz der untersuchten Filme im Vergleich 476 Fechners Film sehr gelobt. Um so mehr Unverständnis ruft die Entschei- dung der ARD-Programmdirektoren hervor, den Prozeß 1984 nicht im Ersten Programm der ARD auszustrahlen, sondern wie zuvor Holocaust in den Dritten Programmen. Fechner spricht verbittert von „öffentlich- rechtlicher Zensur“1039. Wie andere überragende deutsche TV-Produk- tionen zum Thema Holocaust erfährt Der Prozeß nicht die Resonanz beim Publikum, die der Film verdient hätte, und das, obwohl in der Presse verstärkt auf den Film hingewiesen worden ist. Eberhard Fechners Prozeß von 1984 und Claude Lanzmanns Shoah 1985 werden als europäische Antworten auf die US-amerikanische Serie Holocaust verstanden. Sie folgen einem anderen ästhetischen Prinzip. Elie Wiesel schreibt in dem Vorwort zu Annette Insdorfs Indelible Shadows: „Certains productions dazzle with their authenticity, others shock with their vulgarity. Night and Fog on one side, Holocaust on the other.“1040 Wie Wiesel hält Lanzmann hält nichts von der Trivialisierung der Massenvernichtung. Auch die Bezeichnung „Holocaust“ findet er unpassend. Er wählt für seinen neuneinhalbstündigen Film den Titel „Shoah“. Strikt beachtet er das Bilderverbot und verzichtet auf histo- rische Aufnahmen. Shoah zeigt die Gegenwart, die Vergangenheit wird evoziert. Wie Fechner setzt Lanzmann auf die Befragung von Zeit- zeugen, und wie Fechner bezeichnet er seinen Film nicht als Dokumen- tarfilm, sondern spricht lieber von „Rekonstruktion“. Die Art der Befra- gung der Zeugen ist umstritten. Halten die Kritiker Lanzmanns Insistie- ren während der Gespräche mit den Tätern und Mitläufern für ange- bracht, zweifeln sie, ob es statthaft ist, die Opfer zu zwingen, Schreck- liches erneut zu durchleben. Die Darstellung der polnischen Landbevöl- kerung ruft in Polen heftigen Widerspruch gegen den französischen Film hervor. Lanzmanns künstlerischer Anspruch wird von der Kritik anerkannt. Nur wenige Rezensenten äußern Bedenken, wieviel Zuschauer ein so kom- plexer und fordernder Film wie Shoah erreichen kann. Schuld an der kaum meßbaren Resonanz sind laut Lanzmann die Programmverant- wortlichen, die Shoah in die Dritten Programme abgeschoben haben. Ein Sendeplatz, der Holocaust nicht geschadet haben mag, der aber für Fechners Prozeß und Lanzmanns Shoah zu weitgehender Nichtbeach- 1039 Fechner, Eberhard: „Den Bürger endgültig zum Konsumenten erniedrigt?“ In: Süddeutsche Zeitung vom 25.10.1984, S. 28. 1040 Wiesel, Elie: Foreword. In: Insdorf, Annette: Indelible Shadows. Film and the Holo- caust. Second edition, Cambridge, New York, 1989 (1983), S. XII. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 477 tung geführt hat. Diese Filme sind laut Uwe Schmitt „... auf den Wühl- tischen des deutschen Fernsehens verramscht (worden).“1041 Shoah gilt als das ästhetische Gegenprinzip zu Holocaust und zu dem Film, der fünfzehn Jahre später wiederum eine internationale publizi- stische Kontroverse auslöst: Steven Spielbergs Schindlers Liste. In den Meinungsführermedien wird heftig gestritten. Wie in der Holocaust- Kontroverse kritisieren einige Rezensenten, daß es sich um ein Holly- wood-Produkt handele und zu stark personalisiert würde. Nicht nur, daß der Film die seltene Ausnahme des Überlebens zeige, der Retter sei zudem ausgerechnet ein Deutscher mit Parteiabzeichen. Das Lob für diesen Film, mit dem Steven Spielberg Anerkennung als Regisseur für ernste Themen findet, überwiegt jedoch ganz eindeutig. Wie bei Holo- caust berufen sich die Befürworter des Films auf den Erfolg, den Schindlers Liste beim Publikum hat. Gerade der scheint den Gegnern suspekt. Zu den Gegnern zählt Claude Lanzmann. Er hat nicht für mög- lich gehalten, daß nach Shoah noch ein Film wie Schindlers Liste gedreht werden kann. In der Reihe der untersuchten Filme stellt Schindlers Liste eine Aus- nahme dar. Er erreicht weltweit Millionen Zuschauer, ist somit wirt- schaftlich erfolgreich und gilt zugleich als künstlerisch anspruchsvoll. Das verleitet Andreas Kilb zu dem Urteil, daß „es“ doch geht1042 und daß dieser Film uns Deutsche von Holocaust befreit hat.1043 Frank Schirrmacher vermutet ohnehin hinter den Bedenken gegenüber der Darstellung des Holocaust künstlerisches Unvermögen.1044 Der Erfolg von Schindlers Liste läßt sich freilich auch damit erklären, daß Erinne- rung Abstand braucht und deswegen erst fünfzig Jahre nach Kriegsende ein solcher Film möglich gewesen ist. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte Die Besonderheiten der Produktion und der Aufnahme der Filme durch Kritik und Publikum sind in Teil II der Arbeit beschrieben worden. Bei allen Unterschieden zeigt die Analyse der publizistischen Kontroversen 1041 Schmitt, Uwe: Auf dem Wühltisch des Fernsehens. Zur Kontroverse um Claude Lanzmanns Film Shoah. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.4.1986, S. 27. 1042 Vgl. Kilb, Andreas: Warten, bis Spielberg kommt. In: Die Zeit, Nr. 4 vom 21.1.1994, S. 1. 1043 Vgl. Kilb, Andreas: Des Teufels Saboteur. In: Die Zeit, Nr. 10 vom 4.3.1994, S. 58. 1044 Vgl. Schirrmacher, Frank: Schindlers Liste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.3.1994, S. 1. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 478 doch, daß immer wieder dieselben Argumente für und wider vorgebracht worden sind und daß es eine spezifisch deutsche Sicht auf Holo- caustfilme gibt - und wohl auch geben muß. Deutlich erkennbar ist das zum einen an dem grundsätzlichen Unwillen gegenüber dem Thema, der insbesondere bei den frühen Filmen geäußert worden ist, zum anderen - und dem völlig entgegengesetzt - an der Frage, die die ausländischen Produktionen ausgelöst haben: Warum gibt es keinen vergleichbar guten deutschen Film? Auch in der deutsch-deutschen Debatte über Holo- caustfilme taucht der Vorwurf auf, die Bundesrepublik und die DDR hätten das Thema nicht genügend oder aber zu einseitig behandelt. Im folgenden sollen die Hauptstreitpunkte zusammengefaßt werden. Sie stellen die Verbindung her zwischen auf den ersten Blick so unter- schiedlichen Filmen wie Morituri, Nacht und Nebel, Mein Kampf, Nackt unter Wölfen, Ein Tag, Holocaust, Der Prozeß, Shoah, Schindlers Liste. Diese Hauptstreitpunkte sind: das Thema Holocaust an sich, die filmi- sche Repräsentation/Darstellbarkeit des Holocaust, der Gegenwartsbezug des Films, der „Kulturindustrie“-Vorwurf, Zahl und Qualität deutscher Holocaustfilme, Resonanz und Wirkung. III.2.1. Das Thema Holocaust an sich Durch einen Film mit dem Thema Holocaust konfrontiert zu werden, ist insbesondere Deutschen unangenehm. Auch wenn Holocaust oder Schindlers Liste viele Zuschauer erreicht haben, so ist die Zahl derer, die sich gegen diese Art Film entscheiden, größer. Selten begründen sie ihre Ablehnung, obwohl es auch in den Feuilletons immer wieder Bekennt- nisse gibt, einen Film „bewußt“ nicht gesehen zu haben. Zuweilen ver- birgt sich das Unbehagen angesichts des Thema in einem Verriß. Der Film ist dann mehr Anlaß als Gegenstand des Beitrags. Beispielsweise läßt Will Trempers Artikel zu Schindlers Liste deutlich den Unwillen desjenigen erkennen, der sich „nicht im Nachhinein mit Blut beflecken lassen möchte“.1045 Solche Äußerungen sind in der Kontroverse über Spielbergs Film die Ausnahme. In den Kontroversen über Morituri, Nacht und Nebel und Mein Kampf, also den frühen Holocaustfilmen, zeigt sich das Unbehagen angesichts des Themas häufiger. Hingewiesen wird auf das Leid, das doch auch dem deutschen Volk „widerfahren“ sei, daß die anderen doch auch Schlimmes getan hätten, daß eben Krieg gewesen sei, daß es nun einmal genug sein müsse mit den ewigen Vor- würfen, daß man nicht ein ganzes Volk kollektiv schuldig sprechen dürfe 1045 Tremper, Will: Indiana Jones im Ghetto von Krakau. In: Die Welt vom 27.2.S. G3. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 479 usf. Selbst Morituri wird „Deutschfeindlichkeit“ vorgeworfen, Auffüh- rungen müssen abgebrochen werden. Bei Nacht und Nebel heißt es dann von offizieller deutscher Seite, der Film gefährde die Aussöhnung mit Deutschland. Erwin Leiser, den Regisseur von Mein Kampf, inspirieren die Ewiggestrigen zu einem Witz: „Zwei ‚alte Kämpfer‘ sehen sich den Film gemeinsam an. Beim Verlassen des Kinos sagt der eine zum andern: ‚Aber das Buch finde ich doch besser.‘“1046 Die Reaktionen auf die Serie Holocaust sind nicht mehr zum Lachen. In der Zuschauerpost an den WDR befinden sich zahlreiche Schreiben antisemitischen Inhalts. Es gibt Bombendrohungen, Sendeanlagen werden zerstört. Mit dem Thema nicht mehr behelligt zu werden, fordern Deutsche nach jedem Film. Selten jedoch öffentlich. Das übernimmt der Schriftsteller Martin Walser. In seiner Friedenspreisrede, die 1998 eine heftige und geradezu klassische publizistische Kontroverse auslöst,1047 kritisiert er „die Dauerrepräsentation unserer Schande in den Medien.“ Es vergehe „... kein Tag, an dem sie uns nicht unsere Schande vorwerfen.“1048 Wen genau er mit „sie“ meint, erläutert Walser nicht. Widersprochen hat ihm u.a. der TV-Produzent und ehemalige Fernsehspielchef des WDR, Günter Rohrbach, der sich 1978 für den Ankauf der Serie Holocaust ein- gesetzt hat. „Es gibt kein anderes Thema unserer Zeit, das ein ähnlich reiches Material bereithielte für Geschichten, die erzählt werden wollen. Der Holocaust entzieht sich nicht seiner Darstellung, er drängt sogar danach.“1049 III.2.2. Die filmische Repräsentation des Holocaust Ob und wie jedoch der Holocaust im Film dargestellt werden kann, ist die entscheidende Frage. Sie wird im Laufe der Jahre dringlicher, weil es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird, die berichten können, und weil die wenigen „Bilddokumente“ aus der Zeit zwischen 1933 und 1945, die z.T. in propagandistischer Absicht hergestellt wurden, bekannt sind. In den hier untersuchten Filmen haben die Filmemacher sich für verschie- 1046 Erwin Leiser’s (sic!) Film Mein Kampf. Eine Bilddokumentation der Jahre 1914- 1945. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1979 (1960), S. 3. 1047 Vgl. Scharf, Wilfried/Thiele, Martina: Die publizistische Kontroverse über Martin Walsers Friedenspreisrede. In: Deutsche Studien. Vierteljahreshefte. 36. Jg., H. 142, S. 147-208. 1048 Walser, Martin: Die Banalität des Guten. Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buch- handels. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.10.1998, S. 15. 1049 Rohrbach, Günther: Ich präsentiere die Schande. Hat Martin Walser recht? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.11.1998, S. 43. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 480 dene Arten der Repräsentation entschieden. Morituri, Nackt unter Wölfen, Ein Tag, Holocaust und Schindlers Liste erzählen eine Geschichte, die auf historischen Tatsachen beruht. Nacht und Nebel kontrastiert Aufnahmen aus der Zeit vor 1945 mit Aufnahmen von 1955. Musik und Kommentar ergänzen das Gezeigte. Auf den Kommentar setzt auch der Kompilations-/Archivfilm Mein Kampf. Ein Tag ist ein Fernsehspiel, Holocaust eine TV-Miniserie. Der Prozeß und Shoah stehen nicht nur zeitlich zwischen Holocaust und Schindlers Liste. Chri- stina von Braun sieht den Unterschied zwischen Shoah und Schindlers Liste in den religiösen Traditionen begründet, denen sie folgen. Shoah der jüdischen, die Braun als eine des Hörens beschreibt, Schindlers Liste der christlichen, die eine des Sehens sei.1050 Der Prozeß und Shoah, die gemeinhin als Dokumentarfilme bezeichnet werden, sind mehrstündige Gesprächsfilme, bei denen der Sinnzusam- menhang vor allem durch die Montage hergestellt wird. Eine wichtige Rolle spielen die befragten Zeitzeugen. Sie erfüllen mehrere Funktionen: sie stellen Authentizität her (Beleg- und Beweisfunktion), sie fordern zur Auseinandersetzung auf (Identifikation- oder Abgrenzungsfunktion, weil sich der Zuschauer die Frage stellt, wie er selbst sich verhalten hätte), sie klagen an oder verteidigen sich (Be- und Entlastungsfunktion). Zeitzeugen sind auch für die Spielfilmregisseure von großer Bedeutung. Menschen, die das Konzentrationslager oder im Versteck überlebt haben, fungieren als Berater oder sind selbst an der Produktion beteiligt: Artur Brauner, Jean Cayrol, Gunter R. Lys, Bruno Apitz, Erwin Geschonneck, Branko Lustig, Leopold Pfefferberg. Sie sind zuständig für die Details, können berichten, wie der Alltag im Lager ausgesehen hat. Dennoch kann nicht alles berücksichtigt werden. Die Darstellung braucht Verein- fachungen. Durch die Entscheidung für einen bestimmten Zeitraum und Ort, z.B. ein Tag in einem deutschen Konzentrationslager 1939, vor allem aber durch die Figurenkonstellation wird Komplexität reduziert. In der Zeichnung ihrer Figuren sind die Filme mehr oder weniger differen- zierend. So treten im Vergleich zu Nackt unter Wölfen in dem Fernseh- spiel Ein Tag unterschiedliche Häftlingstypen auf. Die Gegensätze zwischen „Politischen“ und „Kriminellen“ sind erkennbar. Das gleiche gilt für die Täter: vom „Knochenbrecher“ bis zum „Schreibtischtäter“ werden alle Typen des Verbrechers in Uniform präsentiert. In Nackt unter Wölfen herrscht dagegen eine wesentlich größere Eindeutigkeit, die Kritiker sprechen von Schwarz-Weiß-Malerei. Zwar seien unter den 1050 Braun, Christina von: Der Hauptmann Dreyfus - die Brüder Lumière. Realer Körper und simulierte Wirklichkeit. In: IWK-Mitteilungen. 50. Jg., H. 4/1995 (= Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien), S. 13 und S. 20. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 481 Tätern verschiedene Typen auszumachen, die Opfer allerdings zu ein- seitig als „Kommunisten aller Länder“ dargestellt. Welche Häftlings- gruppen es außerdem in Buchenwald gegeben hat, erfährt der Zuschauer nicht. Der Gegensatz in der Zeichnung der Figuren bestimmt auch Holocaust: die gute Familie Weiss, die böse Familie Dorf. Daß es sich bei den Weiss‘ um gutsituierte, assimilierte Juden handelt, hat vor allem ameri- kanisch-jüdische Kritiker gestört. Der Erfolg von Schindlers Liste grün- det sicher weitgehend auf seiner Figurenkonstellation. Itzhak Stern und Amon Göth sind eindimensionale Figuren, Oskar Schindler hingegen eine ambivalenter Charakter. Kriegsgewinnler, Parteimitglied und den- noch laut Spiegel ein „guter Deutscher“? Der Film wirft die Frage auf, was jemanden zum Retter werden läßt. Claude Lanzmanns Einwand, die Verhältnismäßigkeit in Schindlers Liste stimme nicht, man könne nicht die Geschichte einiger weniger Geretteter erzählen, wo doch Millionen ermordet worden sind, berührt eine grund- sätzliche Frage der Kunst: verweist das Besondere auf das Allgemeine? Lanzmann ist entgegenzuhalten, daß Spielberg zugleich vom Massen- mord berichtet, daß er durch die Ausnahme die Regel bestätigt. Genau genommen unterscheiden sich Shoah und Schindlers Liste in diesem Punkt nicht: beide Filme zeigen Überlebende und fordern den Zuschauer auf, das Nichtgezeigte mitzudenken. Das bedeutet allerdings, daß jeweils ein Vorwissen vorhanden sein muß, um Aussagen wie die des Friseurs Abraham Bomba oder die Duschraum-Szene in Schindlers Liste de- chiffrieren zu können. Neben grundsätzlichen, z.T. religiös begründeten Vorbehalten und der Furcht, die Opfer ein zweites Mal auszubeuten, leitet die Darstellungs- gegner die Überzeugung, die Shoah dürfe nicht in unterhaltender Form präsentiert werden. Ein Holocaustfilm müsse die Zuschauer fordern. Dieser Argumentation liegt häufig eine recht eingeschränkte Definition von Unterhaltung zugrunde, wonach Unterhaltung gleichgesetzt wird mit Niveaulosigkeit, Trivialisierung, Verdummung. Unterhaltung positiv gedeutet ist aber nicht einfach Ablenkung, Zerstreuung, Amüsement, sondern eine geschickte Kombination künstlerischer Verfahren, die den Zuschauer „dranbleiben“ läßt. Ein Vorwurf, so Siegfried Kohlhammer, sei dem Film Schindlers Liste bei aller Kritik von niemandem gemacht worden: daß er langweilig ist. Das Argument der Besonderheit, der Singularität des Holocaust überzeugt ihn nicht. Die Analogie zwischen dem religiös begründeten Darstellungsverbot Gottes („Du sollst Dir kein Bildnis machen...!“) und dem Darstellungsverbot des Holocaust deutet seiner Meinung nach auf ein perverses Absolutsetzen der Shoah, eine III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 482 Vergöttlichung und Sakralisierung. So ließen sich jedenfalls die Argu- mente Claude Lanzmanns gegen Schindlers Liste interpretieren, wo er von „schlimmster Übertretung“ spricht. Shoah, konzediert Kohlhammer, sei ein karger, reiner, in jeder Hinsicht anspruchsvoller Film. Er sei aber entstanden aus einer Obsession der Reinheit, der rassischen, religiösen, ideologischen und sexuellen Reinheit, und Lanzmann trete auf wie ein Großinquisitor, wie Gott mit seiner Forderung, „Du sollst kein Shoah neben Shoah haben ...“. So gesehen sei Lanzmanns Film die „Endlösung der Darstellungsfrage“. Die Antwort auf die Frage nach der filmischen Repräsentation lautet: Eigentlich geht es nicht, über Ausnahmen von der Regel entscheidet Claude Lanzmann.1051 Daß sich hinter dem Bilderverbot diejenigen verstecken, die ein Alibi für ihr künstlerisches Unvermögen benötigen, ist ein harte und sicherlich nicht gerechtfertigte Unterstellung. Vielleicht ist sie die Reaktion darauf, daß ein Holocaustfilm den Kritikern, egal ob „rechts“ oder „links“, immer verdächtig ist. Künstlerisch anspruchsvoll, muß er mit dem Vor- wurf rechnen, aus dem Schrecklichen ästhetisches Kapital zu schlagen, gar das Grauen zu beschönigen. Mißlingt er, heißt es, der Film sei zwar gut gemeint, dem Gegenstand aber nicht gewachsen. Genauso verhält es sich mit dem kommerziellen Erfolg. Eine überdurchschnittliche Reso- nanz beim Publikum wird als Beleg für die Trivialität, Einseitigkeit, u.v.m. des Films genommen. Aufgrund der vielen Einwände, die gegen- über der filmischen Repräsentation des Holocaust geäußert werden, hält sich bei Filmemachern, Kritikern und Publikum die Auffassung, die Shoah entziehe sich der Darstellung, mit einem Holocaustfilm könne man nur scheitern. III.2.3. Holocaustfilme als Produkt der „Kulturindustrie“ Die Bezeichnung „Kulturindustrie“ stammt aus dem 1947 von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer veröffentlichten Werk Dialektik der Aufklärung. Die Autoren grenzen den Begriff von dem der Massenkultur ab, um deutlich zu machen, daß es sich nicht um „... spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur (handelt)“, sondern um etwas planvoll Hergestelltes.1052 Vom ehemaligen israelischen Außenminister Abba Eban stammt der Sarkasmus „There is no business like Shoah- 1051 Vgl. Kohlhammer, Siegfried: Anathema. Der Holocaust und das Bilderverbot. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Hrsg. von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel. 48. Jg. H. 6/1994, S. 501-509. 1052 Adorno, Theodor W.: Résumé über Kulturindustrie. In: Medienforschung, Bd. 1. Konzerne, Macher, Kontrolleure. Hrsg. von Dieter Prokop: Frankfurt/M., 1985, S. 476. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 483 business“.1053 Kritiker berufen sich auf diesen Ausspruch, wenn sie die Entstehungsbedingungen und Vermarktung des Produktes „Holo- caustfilm“ oder aber ein Unternehmen wie Spielbergs Shoah-Foundation beklagen. Der Kulturindustrie-Vorwurf geht insbesondere bei Holocaust und Schindlers Liste einher mit der Kritik an der US-Filmindustrie, an „Hollywood“. Die Shoah würde „amerikanisiert“. Manche deutsche Kritiker fühlen sich besetzt, überrollt, bevormundet. Doron Rabinovici erkennt in diesem Ressentiment, das „schon einst in die Gaskammern führte“ und „Disneyworld mehr fürchtet als Auschwitz“, den nur mäßig verdeckten Vorwurf, die USA seien „kulturlos, materialistisch, ,verjudet’“.1054 Antiamerikanismus verbunden mit einer Kritik am kapi- talistischen Wirtschaftssystem kennzeichnet vor allem die Kritiken von links, doch gilt gerade bei dieser Argumentationsweise, daß die Extreme sich berühren. Angesichts der Wichtigkeit des Themas schwächen Kritiker den Kultur- industrie-Vorwurf im Verlauf ihrer Rezension wieder ab. Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn möglichst viele Zuschauer erreicht werden sollen, seien ein gewisser Aufwand und eine internationale PR-Kam- pagne nun einmal nötig. Manche Rezensenten sind am Ende dankbar, daß sich die Amerikaner des Themas annehmen, da es die Deutschen offensichtlich nicht können. Steven Spielberg hat, um dem Shoah-Busi- ness-Vorwurf zu entkommen, noch vor dem Filmstart erklärt, er wolle an Schindlers Liste keinen Cent verdienen. III.2.4. Der Gegenwartsbezug Alle Filme veranlassen die Kritiker, nach den Lehren für die Gegenwart zu fragen. 1948 behindern die Blockade Berlins und der beginnende Kalte Krieg die Aufführung von Morituri. Die Kritiker fragen, was dieser Film zum jetzigen Zeitpunkt soll? Er komme zu spät. Angesichts der aktuellen Lage und des möglichen Ausbruchs eines neuen Konfliktes zwischen Ost und West hätten die Menschen andere Sorgen. Artur Brau- ner aber ist gerade wegen der aktuellen politischen Situation von der Wichtigkeit seines Films überzeugt. 1956, als es um die Aufführung von Nacht und Nebel geht, bestimmt die Frage nach der deutschen Schuld und der Verantwortung, die daraus für 1053 Siehe Anmerkung 39. 1054 Rabinovici, Doron: Das Verbot der Bilder oder Sichtweise und Anschauung. In: IWK- Mitteilungen. 50. Jg., H. 4/1995 (= Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien), S. 7. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 484 die Bundesrepublik erwächst, die publizistische Kontroverse. Sie steht in einer Reihe mit den Kontroversen über Harlan, Hedler und Auerbach1055, über Entschädigungszahlungen und personelle Kontinuitäten in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Reaktionen der Bundesregierung, aber auch der gesamten deutschen Öffentlichkeit auf diesen französischen Film werden als Indikator genommen für den Erfolg der Entnazifizie- rung und Demokratisierung. Das gleich gilt für die Kontroverse über Mein Kampf. Die Befürchtung, rechtsextreme und rassistische Einstellungen seien noch oder schon wieder aktuell, hat durch die Fälle Zind, Eisele und Nieland Bestätigung erfahren. Hinzu kommt die antisemitische Schmierwelle 1959/60.1056 Leiser will mit seinem Film vor allem Jugendliche informieren und be- wegen, den Anfängen zu wehren. Die nach dem Mauerbau entstandene DEFA-Produktion Nackt unter Wölfen ist auch zu verstehen als ein Abgrenzungsversuch der DDR von der Bundesrepublik. Der Film stehe in der antifaschistische Tradition, der die DDR als „das bessere Deutschland“ folge. Die Täter von damals säßen heute im Westen und gäben sich als Biedermänner. Diese Inter- pretation bestimmt alle DDR-Filmkritiken. Doch auch in Ein Tag und fast zwanzig Jahre später in Der Prozeß treten diese „ganz normalen Deutschen“ als Täter auf. Der Jerusalemer Prozeß gegen Adolf Eichmann und der Frankfurter Auschwitz-Prozeß, insbe- sondere aber Hannah Arendts Deskription der Banalität des Bösen haben die Filmemacher Monk und Fechner beeinflußt. Egon Monk fordert direkt auf, Parallelen zu ziehen zwischen den dreißiger und den sechzi- ger Jahren und zu fragen, ob „wir“ nicht schon wieder so weit seien. Unterstützung findet er damit bei denjenigen, die dem Staat Bundes- republik Deutschland mit seinen Repräsentanten und Institutionen kri- tisch gegenüberstehen. Die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird auch in der Holocaust-Kontroverse hergestellt. Am deutlichsten ist dabei Henri Nannen, der potentielle Opfer aktueller Diskriminierung ausmacht: „Juden, Neger, Langhaarige, Vietcong, Kommunisten, Dissidenten, 1055 Diese Kontroversen haben alle einen antisemitischen Hintergrund. Vgl. Bergmann, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politi- schen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989. Frankfurt/M., New York, 1997, Kapitel I.2., I.3., I.5. 1056 Vgl. Bergmann, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. A.a.O. Kapitel II.2.1., II.2.2., II.2.4., II.4. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 485 Schah-Gegner, Radikale.“1057 Holocaust beeinflußt eindeutig politische Entscheidungen, so entscheidet z.B. der Bundestag im Juli 1979 über die Verjährung von Mord. NS-Verbrechen können auch nach mehr als drei- ßig Jahren juristisch verfolgt werden. Die Serie führt außerdem dazu, daß dem Düsseldorfer Majdanek-Prozeß wieder mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Der Sendeplatzstreit, der einen wichtigen Teilkonflikt in den publizisti- schen Kontroversen über Holocaust, Der Prozeß und Shoah darstellt, veranlaßt Filmemacher und Kritiker zu einer grundsätzlichen Auseinan- dersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem und seinem Programmauftrag. Begründen bei Holocaust die Programmverantwort- lichen die Abschiebung in die Dritten Programme mit der mangelnden Qualität der Serie, steht der Ausstrahlung von Der Prozeß und Shoah im Ersten Programm angeblich gerade der künstlerische Anspruch dieser Filme entgegen. Für Der Prozeß und Shoah setzen sich die Kritiker auch deswegen ein, weil sie nach der Ankündigung der „geistig-moralischen Wende“ 1983 vermehrt Anzeichen erkennen, daß diese sich tatsächlich vollzieht. Hingewiesen wird auf Kohls Israelreise, die Fassbinder- Kontroverse, Bitburg, antisemitische Äußerungen von Politikern, den Historikerstreit. Die NS-Vergangenheit scheint in den achtziger Jahren stets präsent. In der publizistischen Kontroverse über Schindlers Liste reflektieren die Kritiker die veränderte Situation seit der deutsch-deutschen Vereinigung. Die rechtsextremen Gewalttaten 1991/92 belegten, wie wichtig Filme seien, die wie Schindlers Liste ein Massenpublikum und vor allem Jugendliche erreichen. Eine Verbindung zwischen dem Film und aktu- eller Politik stellt US-Präsident Bill Clinton her, indem er behauptet, Schindlers Liste habe seine Bosnien-Politik beeinflußt. Damals wie heute nicht wegzuschauen, wenn Menschen verfolgt werden, ist für die Kriti- ker eine wichtige Lehre des Films. Mit dem Hinweis auf Schindlers Liste aber die deutsche Beteiligung an Militäreinsätzen zu rechtfertigen, geht der Linken zu weit. Die geradezu enthusiastische Reaktion der Mehrheit der Kritiker auf Spielbergs Film interpretiert sie als Wunsch nach Reha- bilitation, wenn nicht gar als Anzeichen für die fortschreitende Renatio- nalisierung des vereinten Deutschland. 1057 Nannen, Henri: Ja, ich war zu feige. In: stern vom 1.2.1979, S. 6. Nachgedruckt in: Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm Holocaust. Eine Nation ist betroffen. Hrsg. von Peter Märthesheimer und Ivo Frenzel. Frankfurt/M., S. 280. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 486 III.2.5. Quantität und Qualität deutscher Holocaustfilme Die Kritik am deutschen Film existiert ebenso so lang wie eine deutsche Filmindustrie. Nach 1945 formulieren Filmemacher und Kritiker ihre Hoffnung auf einen Neuanfang, sehen sich aber bald enttäuscht: „Der Film war nach 1945 die freieste aller Künste geworden. Aber er war sich dieser Freiheit nie bewußt geworden. Er hätte unsere Zeit und unsere Gesellschaft in Frage stellen können, aber er suchte sich mit ihr nur un- auffällig zu arrangieren. Statt Kritik zu üben, bestätigte er alte Vorur- teile, statt nach geistiger Erneuerung strebte er nach Restaurierung.“1058 Viele Filmkritiker, gerade auch Antinazis und enttäuschte Aufklärer, halten die Zeit zwischen 1933 und 1945 für die Glanzzeit des deutschen Films. Denn nie sei er erfolgreicher, ästhetisch überzeugender und letzt- lich wirksamer gewesen. Die im „Oberhausener Manifest“ angekündigten Versuche, den deut- schen Film zu revolutionieren, sind relativ erfolglos. Der „Abschied von gestern“ findet statt, als die Mehrheit der Deutschen sich vom Kino ab- und dem neuen Medium Fernsehen zuwendet. Hier bemühen sich Redakteure und Filmemacher um die geforderte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk Allein- anbieter ist, sogar unter reger Zuschauerbeteiligung. Dennoch wird bis heute der Vorwurf erhoben, es gäbe keinen angemessenen deutschen Film zum Thema Holocaust. Da hätte erst diese schrecklich triviale, amerikanische Sendung kommen müssen. Als Schindlers Liste die deut- schen Zuschauer in die Kinos strömen läßt, heißt es wieder, die Deut- schen hätten eben nichts Entsprechendes anzubieten. Helma Sanders- Brahms stellt resigniert fest: „Er [der Zuschauer] wäre nicht in Schind- lers Liste gegangen, wenn zum Beispiel Edgar Reitz den Film gemacht hätte. Da ist er eisern wie sein Stadtzeitungskritiker, der dann auch gewiß mit einem Verriß nicht gespart hätte. Insofern kann man Atze Brauner, der den Film ja produzieren wollte, zur Ablehnung seitens der Filmförderungsanstalt nur gratulieren. Kein Mensch wäre gekommen! Wozu die Mühe.“1059 Die Langlebigkeit des Vorurteils, die Deutschen hätten die Vernichtung der Juden nicht filmisch bearbeitet, erstaunt ebenso wie die gegenteilige Auffassung, es vergehe kein Tag, an dem uns unsere Schande in den Medien nicht vorgehalten würde (Martin Walser). Beide Sichtweisen sind vermutlich selbst durch Zahlen nicht aus der Welt zu räumen. Es 1058 Schmeling, Walter: Kunst und Kasse vor 1961. Zit. nach Blum, Heiko R.: Schöne Bilder, edle Charaktere. In: Das Parlament, Nr. 16/17 vom 18/25.4.1987, S. 5. 1059 Sanders-Brahms, Helma: Die Regional-Liga. Fernsehen, vom Bett aus: Ein Selbstversuch. In: Der Tagesspiegel vom 3.7.1994, S, VIII. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 487 gibt deutsche Filme zum Thema, aus allen Jahrzehnten, sowohl DEFA- Produktionen als auch westdeutsche, nur sind sie längst nicht so erfolg- reich gewesen wie eben Holocaust oder Schindlers Liste. Im Kapitel „Filme und TV-Produktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust“ werden Beispiele genannt. Hier sei nur auf zwei Filme verwiesen: Jakob, der Lügner und Der Prozeß. Jakob, der Lügner hätte in diese Unter- suchung aufgenommen werden sollen, und sei es nur, um den Eindruck zu korrigieren, es gäbe keinen anspruchsvollen, international beachteten deutschen Holocaustfilm, bzw. es gäbe keine DEFA-Produktion, die das Leid der Juden in den Mittelpunkt stellt. Was es tatsächlich nicht gege- ben hat, ist eine publizistische, am besten noch deutsch-deutsche Kon- troverse über diesen Spielfilm von 1974. Der Prozeß ist deshalb wichtig, weil er ebenfalls die hier diskutierte Behauptung widerlegt. Fechner hat seinen Film vor Holocaust begonnen, er ist vor Shoah gesendet worden. Klaus Kreimeier ist zuzustimmen, wo er feststellt: „Fechners Montage ... war eine gedankliche und emotionelle Arbeit, der gleichrangig nur Claude Lanzmann neunstündiger Film über die Vernichtung der Juden in Europa, Shoah, zur Seite steht.“1060 III.2.6. Resonanz und Wirkung Die Erwartungen an die Resonanz und Wirkung von Holocaustfilmen sind hoch. Bei den Filmemachern verständlicherweise, genauso aber bei Kritikern, Pädagogen, Politikern und allen, die an das Projekt Aufklä- rung glauben. Die Resonanz auf einen Film läßt sich ermitteln. Zu- schauerzahlen, Kopien, Laufzeiten, Einschaltquoten, Reichweiten, Zahl und Umfang der Rezensionen, u.v.m. Über die Wirkung, vor allem die Langzeitwirkung, läßt sich jedoch nur spekulieren. Wir wissen nahezu nichts über die Folgen des Filmeschauens, wir wissen also auch nicht, ob das Postulat, Holocaustfilme müßten einer „großen humanen Sache dienen“, über eine diskutable empirische Basis verfügt. Der Prozeß der Umsetzung einer Idee in Bilder ist höchst komplex - zumal Film im Kollektiv entsteht. Das Verstehen von Bildern, die Decodierung des Films, stellt an den Zuschauer besondere Ansprüche. Er wird nie den Film als Ganzes begreifen (der Autor „sein“ Werk freilich auch nicht) und er wird den Film nie so lesen, wie es der Autor intendiert. Außerdem wird sich seine Lesart des Films nie mit der eines anderen Zuschauers decken. Das hat Folgen für das Sprechen und Schreiben über Filme, also 1060 Kreimeier, Klaus: Filmische Erzählungen. Zum Tod von Eberhard Fechner. In: Frankfurter Rundschau vom 10.8.1992, S. 9. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 488 die Filmkritik. Und es hat Folgen für die Rezeptions- und Wirkungs- forschung, denn wie lassen sich die vielfältigen Eindrücke objektivieren? Die in den publizistischen Kontroversen vermuteten Wirkungen reichen von „gescheiterter Aufklärung“ über „Strohfeuer“ bis „Zäsur in der Geschichte der Vergangenheitsbewältigung“. Es finden sich immer Medienwirkungsforscher, die die eine oder andere Wirkung mit umfang- reichem Datenmaterial belegen. Die Rede von dem „Medienereignis“ Holocaust oder dem „Medienereignis“ Schindlers Liste wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Welche Art Film aber, zu welchem Zeitpunkt aufgeführt bei den Zuschauern echtes Erinnern und ein Han- deln bewirkt, das zukünftige Geschichtskatastrophen ausschließt, bleibt ungewiß. Holocaust und Shoah haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit immerhin Bezeichnungen für den Massenmord an den Juden geliefert und so das Sprechen über dieses Thema möglicherweise erleichtert. Mariam Niroumand ist überzeugt, daß es dem Publikum weit weniger um Aufklärung geht als den Filmemachern oder hauptberuflichen Mah- nern: „Im Nachhinein scheint doch vor allem eines deutlich: Die Leute wollten nicht wissen, gemahnt werden oder sakrale Gedenkstunden ab- halten; die Leute wollten endlich einmal in Ruhe heulen. Punkt.“ 1061 Daß Tränen, wie auch Lanzmann und Löffler behaupten, als Zeichen einer kathartischen Wirkung folgenlos bleiben, muß nicht zutreffen. Empathie ist häufig die Ursache für den Wunsch nach mehr Information. Holocaust hat nicht nur der Medienwirkungsforschung Auftrieb gege- ben, sondern eine Reihe von Publikationen nach sich gezogen, die das Wissen über den nationalsozialistischen Massenmord vertieft haben. Die Interessen der Zuschauer, ihr intellektuelles Vermögen unterscheiden sich natürlich. Mariam Niroumand kennzeichnet die Publika folgender- maßen: „So bleiben die Lager weiterhin hübsch gespalten: in die, denen Meryl Streep in der Rolle der Inga näher ist als ein Buch von Raul Hilberg; und die anderen, die auf jene mit dem Finger zeigen und den- noch heimlich nach der dritten Stunde von Lanzmanns Shoah aus dem Saal entwischen.“1062 Um so notwendiger ist ein Filmangebot, das den unterschiedlichen Zuschauerbedürfnissen entgegenkommt. Erinnern ist zunächst ein individueller Vorgang. Was im sogenannten kollektiven Gedächtnis einer Nation verankert bleibt, ist Ergebnis einer soziokultu- rell bestimmten Gedächtnispolitik und Erinnerungskultur. Medienange- bote sind dabei laut Siegfried J. Schmidt „... (unbewußt oder strategisch 1061 Niroumand, Mariam: Der Holocaust als Vierteiler. Zum Tele-5-Comeback der Deutschstunde aus Hollywood. In: die tageszeitung vom 19.11.1992, S. 17. 1062 Ebenda. III.2. Die Hauptdiskussionspunkte 489 eingesetzte) kulturell normierte Anlässe für subjektgebundene produk- tive Bedeutungskonstruktionen (wie z.B. Erinnerungen).“1063 III.2.7. Deutsche Spezifika Die Reaktion der Deutschen, der Filmkritik und des Publikums, auf aus- ländische und inländische Holocaustfilme unterscheidet sich in mancher Hinsicht von den Reaktionen im Ausland. Das liegt vor allem daran, daß Deutschland als das Land der Täter gesehen wird, auch wenn die Gene- ration derjenigen, die als Erwachsene den Nationalsozialismus miterlebt haben, allmählich ausstirbt. Die Frage nach Schuld und Verantwortung hat die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen von 1945 bis heute bestimmt. Ebenso die durch Holocaustfilme ausgelösten publizistischen Kontroversen. Der Vorwurf der „Nestbeschmutzung“, der bis in die sechziger Jahre gegenüber deutschen Filmemachern erhoben worden ist, hat diese in ihrer Auffassung bestärkt, daß Filme über die Ursachen und Folgen der Nazi-Ideologie dringend notwendig sind. Das Unbehagen am westdeut- schen Wirtschaftswunder rührt nicht zuletzt aus der Erkenntnis, daß Nationalsozialismus und Kapitalismus einander nicht ausschließen. Die Besonderheit des Holocaust sehen Zeitgeschichtler darin, daß industriell gemordet wurde. Das und die Beteiligung der Bürokraten daran zeigt Monk, indem er den KZ-Kommandanten einen Brief diktieren läßt, der die Forderung nach leistungsfähigeren Krematorien enthält, zeigt Holo- caust anhand des Juristen Eric Dorf, zeigen Der Prozeß und Shoah (z.B. die Schlußsequenz des ersten Teils, wo Lanzmann einen Brief vorliest mit Vorschlägen, die Vergasungswagen anders einzurichten. Während- dessen sind Industrieanlagen im Ruhrgebiet zu sehen, menschenleer.) und zeigt Schindlers Liste. Holocaustfilme thematisieren mehr oder weniger direkt den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus. Die frühen DEFA-Produktionen, auch Nackt unter Wölfen, folgen strikt der orthodox-marxistischen Faschismustheorie, wonach Faschismus und Nationalsozialismus eine dem Kapitalismus inhärente Krisenbewältigungsstrategie darstellen. Eine veränderte Perspektive ist in den westdeutschen Filmen der sechzi- ger Jahre zu erkennen. Ein Tag ist dafür ein Beispiel. Gefragt wird nun stärker nach der eigenen Widerstandsfähigkeit bzw. der eigenen Ver- führbarkeit. In den Mittelpunkt rücken die „ganz normalen Deutschen“, 1063 Schmidt, Siegfried J.: Die Welten der Medien. Grundlagen und Perspektiven der Medienbeobachtung. Braunschweig, Wiesbaden, 1996, S. 66. III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 490 die feigen Mitläufer, Profiteure und „Schreibtischtäter“. Die Erkenntnis von der „Banalität des Bösen“ verändert die Figurenzeichnung in den Filmen. Das gilt für alle folgenden, sowohl für die Spielfilme als auch die Gesprächsfilme. Wie die Deutschen (Täter, Opfer, Mitläufer) in Holocaustfilmen dargestellt werden, wäre eine eigene Untersuchung wert. Die stärkere Differenzierung bedeutet aber zugleich eine Auswei- tung der Schuldzuweisung. Nicht mehr nur Angehörige der NS-Eliten oder perverse Schlächter müssen sich verantworten, sondern „ganz normale deutsche Männer und Frauen“. Obwohl die Frage der Mitschuld unmittelbar nach Kriegsende diskutiert worden ist, führt sie auch Jahr- zehnte später zu heftigen Auseinandersetzungen, Schuldzuweisungen, Selbstbezichtigungen und „Betroffenheit“. Das zeigen beispielsweise die Holocaust-Kontroverse 1979 oder die Goldhagen-Debatte 1996. Diese publizistischen Kontroversen sowie die Debatte über „den guten Deut- schen“ Oskar Schindler haben so nur in der Bundesrepublik stattgefun- den. Ein deutsches Spezifikum ist auch die Debatte über die Möglichkeit und Unmöglichkeit deutscher Holocaustfilme. Als Angehörige der „Täter- nation“, auch als Nachgeborene, fällt es einigen Filmemachern schwer, die Opferperspektive einzunehmen. Die Vorwürfe gegenüber Alexander Kluge, Edgar Reitz und anderen Regisseuren des jungen deutschen Films sind deshalb ebensowenig haltbar, wie die gegenüber nichtjüdischen deutschen Filmemachern, deren Identifikation mit den Opfern zu weit gehe. III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film Die frühen Filme sind, was den Umfang und die Zahl der Beiträge anbelangt, weit weniger debattiert worden. Erschwerend kommt hinzu, daß die von ihnen ausgelösten Kontroversen längst nicht so gut doku- mentiert sind wie die über die Filme der letzten zwei Jahrzehnte. Je näher der Film an die Gegenwart heranreicht, desto zahlreicher und umfangreicher sind die Beiträge in der Meinungsführerpresse, ebenso die wissenschaftlichen Publikationen. Das liegt zum einen am Medien- system, das sich in fünf Jahrzehnten verändert hat, zum anderen an den Bedürfnissen des Publikums. Angebot und Nachfrage bedingen einander. Kritiker sehen darin einen Beleg, daß vom „Shoah-Business“ in viel- fältiger Weise profitiert wird. III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 491 Interessiert an publizistischen Kontroversen sind die Massenmedien. In unterschiedlichem Maße fungieren sie als Provokateur, Forum und Spie- gel gesellschaftlicher Konflikte. Im Verlauf einer Kontroverse mit ihren Teilkonflikten nehmen sie diese verschiedenen Rollen ein. Sie sorgen dafür, daß aus der Aufführung eines Films ein „Medienereignis“ wird. Josef Hackforth nennt die verschiedenen Aspekte dieses Begriffs: „... einmal ist damit die Resonanz und Reaktion der Zuschauer gemeint, zum zweiten können darunter die Selbstanklagen und Rechtfertigungsstrate- gien von allen Dramaturgen, Redakteuren und Schriftstellern in allen Medien subsumiert werden und schließlich auch die ökonomische Ver- marktung des zeitgeschichtlichen Themas und der Fernsehausstrahlung für Printmedien und elektronische Medien.“1064 Offensichtlich gehört zum Medienereignis nicht zwingend die Kategorie der Novität. Obwohl die Fakten bekannt sind, äußern viele Zuschauer, daß sie „es so ja nicht gewußt“ haben. Das bedeutet aber nicht, daß das Medienereignis wiederholbar ist. Auf eine erneute Ausstrahlung der Serie Holocaust hat zwar die Presse noch mit Rückblicken auf die Erstausstrahlung reagiert, die Zuschauerresonanz aber ist 1982 und erst recht 1991 weit geringer. Allerdings verlaufen publizistische Kontroversen nach dem gleichen Muster. Die einzelnen Phasen der Berichterstattung, Beginn, Eskalation, Abklingen sind erkennbar. Geht es um Filme, verfolgen die sogenannten Prestigeblätter keine ein- deutige Blattlinie. Stattdessen kommen möglichst viele Kritiker zu Wort, unterschiedliche Ansichten werden vorgetragen. Die Stellungnahmen zu Teilkonflikten innerhalb der publizistischen Kontroverse entsprechen hingegen eher der Tendenz eines Blattes. Hier werden die Unterschiede zwischen konservativer und linksliberaler Presse deutlich. Auffällig ist, daß die Tages- und Wochenpresse zum Ort der Filmkritik geworden ist. Zwar sind die Verdienste der Fachzeitschriften film-dienst, epd Film, medium u.a. groß, Initiator filmästhetischer Debatten, die nicht nur ein Fachpublikum erreichen, sind sie freilich weit weniger als die Tages- und Wochenzeitungen. Diese haben die Chance genutzt, durch regel- mäßige Filmkritiken bestimmte Leserschichten anzusprechen und zu binden. Das gleiche gilt für die audio-visuellen Medien. Zum Programmauftrag des Rundfunks gehören Bildung, Information, Unterhaltung, Beratung. Dem Interesse an Zeitgeschichte versuchen insbesondere die öffentlich- rechtlichen Anstalten gerecht zu werden. Beim Thema Holocaust kon- 1064 Hackforth, Josef, zit. nach Siedler, Joachim: Holocaust. Die Fernsehserie in der deutschen Presse. Eine Inhalts- und Verlaufsanalyse am Beispiel ausgewählter Print- medien. Münster, 1984, S. 269. III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 492 kurrieren Presse und Fernsehen oder Presse und Kino weit weniger als das sonst der Fall ist. Die Vor- und Nachberichterstattung der Presse zur Serie Holocaust und die Begleitsendungen im Fernsehen zeigen, wie sehr die beiden Medien sich ergänzt haben. Doch auch bei weniger erfolgversprechenden Filmen wie Der Prozeß oder Shoah hat die Quali- tätspresse ausführlich berichtet und für das Einschalten dieser Sendun- gen geworben. Entscheidend für den Verlauf und die Dauer einer publizistischen Kontroverse ist, wer sich an ihr beteiligt. Das sind zum einen die fest- angestellten, für Filmkritik zuständigen Redakteure, zum anderen freie Publizisten und Prominente, denn ein gewisser Bekanntheitsgrad erleichtert den Zugang zu den Medien. So äußern sich neben den Kriti- kern häufig Regisseure, Politiker, Schriftsteller, Wissenschaftler, Künst- ler, Geistliche etc. Einige Namen sind immer wieder gefallen: Friedrich Luft, Ludwig Thomé, Karl Korn, Horst Knietzsch, Manfred Delling, Enno Patalas, Theodor Kotulla, Ulrich Gregor, Wilfried Berghahn, Marion Gräfin Dönhoff, Günther Rohrbach, Lea Rosh, Annerose Katz, Walter Jens, Henryk M. Broder, Erwin Leiser, Artur Brauner, Claude Lanzmann, Mariam Niroumand, Andreas Kilb, Peter Buchka, Wolfram Schütte, Klaus Kreimeier, Knut Hickethier, Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek, Urs Jenny u.v.m. Sie geben in der Diskussion über Holocaustfilme Interpretationen vor, auf die sich andere berufen, sie bestätigen oder widerlegen. Was die genannten Meinungs- führer motiviert, öffentlich Stellung zu beziehen, kann nur vermutet werden. Die Überzeugung, daß der Holocaust im Film ein wichtiges, sowohl ästhetische als auch politische Fragen berührendes Thema ist, steht sicher an erster Stelle. Geltungsdrang und ein wenig Eitelkeit sind wohl ebenso im Spiel wie die Gewißheit, der Wahrheit näher zu sein als andere. Fest steht, daß nur das Interesse der Meinungsführer, ihre Äuße- rungsbereitschaft, eine publizistische Kontroverse in Gang setzt und dafür sorgt, daß sie sich über Wochen und Monate hinzieht. Reagiert einer der Kontrahenten nicht mehr auf Attacken seiner Mitstreiter, läuft er Gefahr, als Verlierer dazustehen. Zuweilen ist es natürlich klüger zu schweigen, beispielsweise nicht auf den Vorwurf zu reagieren, man sei ein Antisemit. Überzeugt werden müssen sowieso viel weniger die Geg- ner in einer publizistischen Kontroverse als das Publikum. Ein rationaler Diskurs, bei dem das bessere Argument siegt, ist in der Auseinandersetzung über Holocaustfilme kaum möglich. Zwar eint die am Disput Beteiligten die Verurteilung des Mordes an Millionen Men- schen und der Wunsch, die Geschichte möge sich nicht wiederholen; welche Konsequenzen aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu ziehen sind, ist jedoch höchst umstritten. Die von Diskurstheoretikern III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 493 geforderte Rationalität und Sachlichkeit ist bei Wertkonflikten noch unwahrscheinlicher als bei Interessenkonflikten. Fraglich bleibt, wo die Grenzen des Sagbaren verlaufen, inwieweit Gesetze oder PC-Überein- künfte wie „Antiantisemitismus“ helfen, rassistische Äußerungen zu unterdrücken bzw. zu sanktionieren. Die Leugnung des Holocaust, die sogenannte Auschwitz-Lüge, steht in der Bundesrepublik unter Strafe. Daß der Holocaust stattgefunden hat, zieht in der hier untersuchten Presse auch niemand in Zweifel. Aber es wird zuweilen relativiert, auf deutsches Leid und fremde Schandtaten hingewiesen, das Unbehagen am Thema an sich formuliert und vermutet, daß bestimmte Kreise ein Inter- esse hätten, die Deutschen mit ihrer Schuld zu konfrontieren. Diese Meinungen sind nicht nur unmittelbar nach Kriegsende anzutreffen. Sie führen auch aktuell zu heftigen Auseinandersetzungen. Robert Leicht nennt als Ausgangspunkte publizistischer Kontroversen, denen Experten und Wissenschaftler meist hilflos gegenüberstehen, 1. die Übersetzung ins Triviale, 2. den flagranten Versuch der Umwertung, 3. den schlei- chenden Paradigmenwechsel und 4. die moralische Gegenwehr.1065 Henryk M. Broder präsentiert die Spezifika deutscher Streitkultur – er nennt sie „die drei Wahrheiten“ - knapp und sarkastisch: „1. Der Ball ist rund (Sepp Herberger), 2. Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen möchten (Kurt Tucholsky), 3. Die Deutschen werden den Juden den Holocaust nie verzeihen (Zvi Rex).“1066 Die Analyse publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film zeigt, daß es im Kern um Politik geht. Es ist ein Streit um kulturelle Hegemonie: wer bestimmt, was wie zu sehen ist? Die Frage der filmi- schen Repräsentation beschäftigt die Kritiker weit weniger. Obwohl alle Aussagen zu Nationalsozialismus und Holocaust der politischen Positio- nierung und Abgrenzung dienen, können Sprecher und Medium nicht ohne weiteres in das Rechts-Links-Schema eingefügt werden. Das liegt daran, daß es bei aller Gegensätzlichkeit auch Gemeinsamkeiten gibt. Beispielsweise der Antiamerikanismus in Form einer Kritik an „Holly- wood“ oder die Klage über angebliche Redeverbote wie sie Jürgen Elsässer anstimmt: „Die Opfer des Holocaust und ihre Nachfahren haben das Recht, diesen Film zu kritisieren, die Täter und ihre Nachfahren nicht. Sie sollen ins Kino gehen und ansonsten den Mund halten.“1067 1065 Vgl. Leicht, Robert: Ein Urteil, kein Gutachten. Warum der Streit um die Studie sich lohnt. In: Die Zeit, Nr. 37 vom 6.9.1996, S. 7. 1066 Broder, Henryk M.: Halbzeit im Irrenhaus. Sie reiten und reden über das dünne Eis der Aussöhnung: die Pirouetten der Protagonisten – Anmerkungen zur Debatte um Martin Walsers Friedenspreisrede. In: Der Tagesspiegel vom 24.11.1998, S. 25. 1067 Elsässer, Jürgen, zit. nach Ripplinger, Stefan: „Grausame Wirklichkeit“. Im letzten Jahr galt jeder Einspruch gegen Schindlers Liste als Sakrileg. In: Junge Welt vom 27.6.1995, S. 12. III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 494 Stefan Ripplingers ausgerechnet im ehemaligen FDJ-Blatt Junge Welt publizierte Kritik am Versagen der Linken während der Schindlers Liste- Kontroverse ist da aufschlußreich: „ ... die linke Intelligenz (ist) nicht nur weit davon entfernt, über eine ‚kulturelle Hegemonie‘ zu gebieten, sondern (sie ist) zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Nicht, daß zum Thema nicht auch intelligente Aufsätze linker Intellektueller (zu nennen sind Lothar Baier, Detlev Claussen, Joachim Bruhn) erschienen wären - aber sie hatten auf den allgemeinen Diskurs keinen Einfluß mehr. ... Noch schockierender aber ist die Tatsache, daß Argumente, die recht- zeitig von linker Seite hätten kommen müssen, auf der äußersten Rech- ten vorgetragen wurden.“1068 Die Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film sind vielfältig. Hans Mathias Kepplinger nennt die kognitive, die individuelle und die soziale/politische Funktion des öffentlichen Streits. Die kognitive Funktion, bei der es um Sachfragen und den Austausch von Argumenten geht, spielt bei Wertkonflikten eine eher untergeordnete Rolle, maßgeblich scheint dagegen die individuelle Funktion zu sein, wonach den am Konflikt Beteiligten eine sehr große Bedeutung zu- kommt. Ihre persönlichen Motive sich einzuschalten, sind für Beginn, Verlauf und Ergebnis einer Debatte entscheidend. Die soziale/politische Funktion des Disputs besteht zunächst darin, Öffentlichkeit herzustellen, dem Publikum Argumente an die Hand zu liefern und, so Kepplinger, die Komplexität des eigentlichen Konfliktgegenstandes zu reduzieren. Den Meinungsführermedien kommt bei dieser Wahrnehmung ihrer öffent- lichen Aufgabe eine besondere Verantwortung zu. Schließlich geht es um „die Vorbereitung eines Konsens über die Interpretation und den Geltungsbereich sozialer Werte und Normen.“1069 Hier stellt sich die Frage, welcher Konsens am Ende einer Kontroverse über Holocaustfilme erreicht worden ist und von welcher Dauer dieser gesellschaftliche Konsens ist? Anscheinend muß um Übereinstimmung im Grundsätzlichen in regelmäßigen Abständen gerungen werden. Ein Streit hilft, sich der Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft noch einmal zu vergewissern, Positionen auszumachen und auf veränderte Bedingungen zu reagieren. Dazu gehört, nachwachsende Generationen mit dem Thema vertraut zu machen, um sie am Meinungsbildungsprozeß zu beteiligen. Schon der zeitliche Abstand zu geschichtlichen Ereig- nissen erklärt das intervallähnlich auftretende Bedürfnis nach Auseinan- 1068 Ebenda. 1069 Vgl. Kepplinger, Hans Mathias/Hachenberg, Michael/Frühauf, Hermann: Struktur und Funktion eines publizistischen Konflikts. Die Auseinandersetzung um Heinrich Bölls Artikel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“. In: Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung. H. 1/1977, S. 32. III.3. Strukturen und Funktionen publizistischer Kontroversen über den Holocaust im Film 495 dersetzung. Die Zunahme und Dauer geschichtspolitischer Auseinander- setzungen in den achtziger und neunziger Jahren kann zum einen mit den Veränderungen des Mediensystems (Konzentrationsprozesse, Dualer Rundfunk) erklärt werden, zum anderen mit der Befürchtung, daß der von Martin Broszat vorhergesagte Historisierungsprozeß einhergeht mit einer Renationalisierung des kollektiven Bewußtseins. Bislang allerdings konnten sich die Befürworter eines Schlußstriches öffentlich nicht durchsetzen. Bislang haben sich auch die Befürchtungen der Normalisie- rungsgegner nicht bestätigt. Die politische Kultur der Bundesrepublik ist weiterhin bestimmt durch Auseinandersetzungen über die NS-Vergan- genheit, wie sowohl die Kontroversen über Holocaustfilme als auch die über Goldhagen, das Schwarzbuch des Kommunismus, die Wehrmachts- ausstellung, Entschädigungszahlungen oder Walser belegen. Wahr- scheinlich werden der Generationenwechsel und die Jahrtausendwende daran nichts ändern. Publizistische Kontroversen über den Holocaust im Film dienen in erster Linie der Selbstvergewisserung und Selbstver- ortung der Deutschen, in zweiter Linie der Erörterung ästhetischer Fragen. A 496 IV. Literatur A • A.E.K.: Morituri. Film-Uraufführung in Hamburg. In: Abendpost (Hannover) vom 30.9.1948, S. 3. • Abich, Hans: Wünschelrutengänge der Dramaturgie. Erfahrungen mit dem Fernsehspiel. In: ARD-Jahrbuch 1970. Hamburg, 1970, S. 96-109. • Adorno, Theodor W./Eisler, Hanns: Vorurteile und schlechte Gewohnheiten. In: Theorie des Kinos. Hrsg. von Karsten Witte. 2. Aufl. Frankfurt/M., 1973 (1972), S. 192-199. • Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. In: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 6. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt/M., 1977 (1973), S. 7-412. • Adorno, Theodor W.: Résumé über Kulturindustrie. In: Medien- forschung. Bd. 1. Konzerne, Macher, Kontrolleure. Hrsg. von Dieter Prokop. Frankfurt/M., 1985, S. 476-483. • Adorno, Theodor W.: Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangen- heit? 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In: Die Zeit, Nr. 5 vom 27.1.1989, S. 71. • Blasphemie als Erinnerungsarbeit? Gespräch zwischen dem Regisseur Andres Veiel und Cilly Kugelmann In: Freitag, Nr. 48 vom 25.11.1994, S. 11. • Blumenberg, Hans C.: Frank Beyer. Die unzerstörbare Men- schenwürde. In: Film in der DDR. Mit Beiträgen von Heiko R. Blum u.a. München, Wien, 1977, (= Reihe Film 13), S. 103-114. • Blunk, Harry: Die DDR in ihren Spielfilmen. Reproduktion und Konzeption der DDR-Gesellschaft im neueren DDR-Gegenwarts- spielfilm. 2. unv. Aufl. München, 1987. • Bodek, Janusz: Die Fassbinder-Kontroversen. Entstehung und Wirkung eines literarischen Textes. Frankfurt/M., Bern, 1991. • Bodemann, Michal Y.: Gedächtnistheater. Die jüdische Gemein- schaft und ihre deutsche Erfindung. Mit einem Beitrag von Jael Geis. Hamburg, 1996. • Bodenheimer, Alfred: Dokumentation und Darstellbarkeit. Zur Kontroverse um Schindler‘s List: In: Neue Zürcher Zeitung vom 2.6.1994, S. 46. • Boe.: Das Erlebbarmachen von Geschichte. Zur Ausstrahlung von Claude Lanzmanns Shoah im Fernsehen Südwest 3. In: Neue Zür- cher Zeitung vom 21.3.1986, S. 81. • Böer, Christine: „Realität und Poesie müssen keine Gegensätze sein“. Eberhard Fechner, der Schauspieler, Dokumentarist und Buchautor wird am kommenden Montag 65 Jahre alt. In: die tageszeitung vom 19.10.1991, S. 18. B 502 • Bohrer, Karl Heinz: Holocaust – eine Prüfung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.9.1978, S. 23. • Bolesch, Cornelia: Signale aus Orwells Welt. Das „Kulturjournal“ mit seinem Programmschwerpunkt Shoah. In: Süddeutsche Zei- tung vom 21.3.1986, S. 32. • Bolesch, Cornelia: Von Mäusen und Menschen. Markenzeichen der ARD. In: ARD-Jahrbuch 1993, 25. Jg., Hrsg. von der ARD- Werbung. Frankfurt/M., 1993, S. 15-22. • Bolesch, Cornelia: War das Mitleid nur Selbstmitleid? Eine Tagung mit Irritationen: Die Evangelische Akademie Tutzing über Holocaust. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.2.1979, S. 26. • Borgelt, Hans: „Ich bin ein Glückskind unter der Sonne.“ Doch den Boden unter den Füßen verliert er nie: Zum 80. Geburtstag des Berliner Filmmoguls Artur „Atze“ Brauner. In: Die Welt vom 1.8.1998, S. 10. • Bösch, Frank: Das „Dritte Reich“ ferngesehen. Geschichtsver- mittlung in der historischen Dokumentation. Unveröff. Manu- skript. Göttingen, 1997. • Bossak, Jerzy: Der polnische Film wurde im antifaschistischen Befreiungskampf geboren. In: Dokumentaristen der Welt in den Kämpfen unserer Zeit. Selbstzeugnisse aus zwei Jahrzehnten (1960-1981). Hrsg. von Hermann Herlinghaus. Berlin (Ost), 1982, S. 81-93. • Both, Horst: Ein Tag vor dreißig Jahren. In: Hamburger Morgen- post vom 8.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. • Br. Der große Mord. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.9.1978, S. 23. • Br.: Fernsehspiel schildert KZ-Leben. In: Rheinische Post vom 6.5.1965. Quelle: Privatarchiv Monk. • Brandt nennt Shoah ein erschütterndes Dokument. dpa-Meldung. In: Der Tagesspiegel vom 19.2.1986, S. 4. • Braun, Christina von: Der Hauptmann Dreyfus - die Brüder Lumière. Realer Körper und simulierte Wirklichkeit. In: IWK- Mitteilungen, H. 4/1995. 50. Jg., (= Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, Wien), S. 13-23. • Brauner, „Atze“: Mich gibt´s nur einmal. Rückblende eines Lebens. München, 1976. • Brauner, Artur: „Es war nicht richtig, daß Juden wieder in Deutschland seßhaft geworden sind.“ In: Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik. Hrsg. von Henryk M. Broder und Michael R. Lang. Mit einem Vorwort von Bernt Engelmann. Frankfurt/M., 1979. S. 76-81. B 503 • Brauner, Artur: Aufklärung auf Zelluloid. Von Morituri bis Hitlerjunge Salomon: Juden und Jüdisches im deutschen Film nach 1945 – eine persönliche Bilanz. In: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung. Jubiläumsausgabe zum fünfzigjährigen Bestehen des Zentralrats der Juden in Deutschland. Nr. 15 vom 15.7.2000, S. 35. • Brauner, Artur: Ein Pamphlet, das zum Skandal wurde. Mit der versuchten Reinwaschung der SS hat sich Will Tremper politisch disqualifiziert. In: Die Welt vom 2.4.1994, S. 7. • Brauner, Artur: Spielberg macht ernst. In: tip (Berlin), H. 4/1994, S. 7. • Brecheisen, Claudia: Literatur des Holocaust: Identität und Judentum bei Jakov Lind, Edgar Hilsenrath und Jurek Becker. Dissertation. Augsburg, 1993. • Brecht, Bertolt: Der Film braucht die Kunst. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 18. Frankfurt/M., 1967, S. 135-216. • Bremer, Jörg: ist der Holocaust in Bildern darstellbar? Großer Respekt, aber auch Kritik: Steven Spielbergs Film Schindlers Liste wird in Israel diskutiert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.3.1994, S. 33. • Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin, 1998, (= Schriftenreihe des Fritz-Bauer-Insti- tuts, Bd. 14). • Brockhaus, Gudrun: Schauder und Idylle. Faschismus als Erleb- nisangebot. München, 1997. • Broder, Henryk M.: Ausflug zu Schindler. In: Die Woche, Nr. 26 vom 30.6.1994, S. 30. • Broder, Henryk M.: Deutsch wie ein Lodenmantel. Über intellek- tuelle Linienrichter. In: Die Woche, Nr. 17 vom 21.4.1994, S. 30. • Broder, Henryk M.: Deutsche Ausreden. Über einige Lehren, die man hierzulande aus Schindlers Liste ziehen kann - wenn man nur will. In: Die Woche, Nr. 10 vom 3.3.1994, S. 29. • Broder, Henryk M.: Die Zeit ist reif. Im Gerichtsthriller Nichts als die Wahrheit erklärt sich der Nazi-Arzt Josef Mengele zum barm- herzigen Samariter. In: Der Spiegel, Nr. 38 vom 20.9.1999, S. 289. • Broder, Henryk M.: Halbzeit im Irrenhaus. Sie reiten und reden über das dünne Eis der Aussöhnung: die Pirouetten der Protago- nisten - Anmerkungen zur Debatte um Martin Walsers Friedens- preisrede. In: Der Tagesspiegel vom 24.11.1998, S. 25. • Broder, Henryk M.: Hitler schafft neue Stellen. In: Süddeutsche Zeitung-Magazin, Nr.7 vom 14.2.1992, S. 14f. B 504 • Broder, Henryk M.: Indiana Jones in Auschwitz. In: Der Spiegel, Nr. 37 vom 13.9.1999, S. 246-264. • Broder, Henryk M.: Kritik der dummen Kerls. In: Frankfurter All- gemeine Zeitung vom 15.3.1994, S. 33. • Broschüre der Karp-Film, Düsseldorf., 1956. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. • Browning, Christopher R.: Ganz normale Männer. Das Reserve- Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Reinbek bei Hamburg, 1993. • Brüdigam, Heinz: Damals Nackt unter Wölfen. Der „Buchenwald- Junge“ traf mit seinen Lebensrettern zusammen. In: Die andere Zeitung (Hamburg) vom 20.2.1964. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. • Bruhn, Joachim: Produktiver Kapitalist, potenter Liebhaber. In: konkret, H. 6/1994, S. 52-55. • Brumlik, Micha: Der zähe Schaum der Verdrängung. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 17.2.1986, S. 192ff. • Brumlik, Micha: Ein Deutscher der dritten Art. In: die tages- zeitung vom 3.3.1994, S. 12. • Brumlik, Micha: Schrift, Bild und Ikone. Wege aus dem Bilder- verbot. Frankfurt/M., 1994. • Brumm, Dieter: Der mörderische Alltag der KZ-Opfer. In: Süd- deutsche Zeitung vom 9.11.1979, S. 34. • Bruno Apitz. Ein ungewöhnlicher Publikumserfolg. In: Marcel Reich-Ranicki: Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR. Ungek. Ausg. München, 1993, S. 27-31. • Brussig, Thomas: Das Leben ist schön. Eine Empfehlung, ins Kino zu gehen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.12.1998, S. 45. • Bubis, Ignatz: Wer ist hier intolerant? In: Die Zeit, Nr. 15 vom 2.4.1998, S. 62. • Buchenwald, ein Konzentrationslager. Bericht der ehemaligen Häftlinge Emil Carlebach, Paul Grünewald, Helmuth Röder, Willy Schmidt, Walter Vielhauer. Berlin, 1986. • Buchka, Peter: Der anständige Mörder. Gibt es eine humane Ästhetik der Gewalt? Überlegungen zu Romuald Karmakars Der Totmacher mit Götz George. In: Süddeutsche Zeitung vom 22.11.1995, S. 13. • Buchka, Peter: Der Schwarzmarkt des Todes. Das Unfilmbare filmen: Steven Spielbergs Schindlers Liste. In: Süddeutsche Zei- tung vom 3.3.1994, S. 3. C 505 • Buchka, Peter: Was ein Leben vom Menschen ist. Shoah von Claude Lanzmann. Eine Dokumentation der Judenvernichtung im Dritten Reich. In: Süddeutsche Zeitung vom 1./2.3.1986, S. 151. • Bundesregierung gegen Nacht und Nebel. Die Debatte im Parla- ment. In: Das Parlament, Nr. 17 vom 25.4.1956, S. 8. • Büscher, Wolfgang: Ein Jude in Berlin. In: Die Welt vom 13.2.1999, S. 3. • Bylow, Christina: Tee bei Geschonneck. In: Wochenpost, Nr. 1 vom 23.12.1996, S. 38f. C • Cannes. In: Die Welt vom 30.4.1956, S. 4. • Cannes. Nur noch Kirmes. In: Der Spiegel Nr. 18 vom 2.5.1956, S. 50f. • Cinegraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. Hrsg. von Hans-Michael Bock. München, 1984 ff. • Classen, Christoph: Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Natio- nalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955 – 1965. Köln, Weimar, Wien, 1999, (= Medien in Geschichte und Gegenwart, Bd. 13, hrsg. von Jürgen Wilke). • Claussen, Detlev: Fortsetzung der Lichterketten mit anderen Mit- teln? Zur Bedeutung von Schindler‘s List als Medienweltereignis. In: Frankfurter Jüdische Nachrichten, Nr. 84 vom 25.3.1994. In: „Der gute Deutsche“. Dokumente zur Diskussion um Steven Spielbergs Schindlers Liste in Deutschland. Hrsg. von Christoph Weiss. St. Ingbert, 1995, S. 202-206. • Claussen, Detlev: Nach Auschwitz kein Gedicht? Ist Adornos Diktum übertrieben, überholt und widerlegt? In: Nationalsozialis- mus und Moderne. Hrsg. von Harald Welzer. Tübingen, 1993, S. 240-247. • Clayton, Sylvia: Reminder of That to human rights. In: The Daily Telegraph vom 12.12.1977. Quelle: Privatarchiv Monk. • Cole, Time: Images of the Holocaust. The Myth of the „Shoah Business“. 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In: Die Welt vom 26.10.1960, S. 3. • Delling, Manfred: Das Dokument als Illusion. Zur Verwendung von Fakten und Fiktionen im Dokumentarspiel des Fernsehens. Das Fernsehspiel. Möglichkeiten und Grenzen. Hrsg. von Peter von Rüden. München, 1975, S. 115-135. • Delling, Manfred: Ein Stiller, der Furore machte. Eberhard Fech- ner ließ gewöhnliche Zeitgenossen die Geschichte des Jahrhun- derts erzählen. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 33 vom 14.8.1992, S. 27. • Delling, Manfred: Für das Gedächtnis der Menschheit. Majdanek – Dokumente eines Todeslagers. Der Platz im Dritten Programm ist ein Skandal. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 18.11.1984, S. 25. • Demokratische Streitkultur. Theoretische Grundpositionen und Handlungsalternativen in Politikfeldern. Hrsg. von Ulrich Sarci- nelli. Bonn, 1990, (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politi- sche Bildung, Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 289). • Den Opfern des Faschismus gewidmet. Schwedischer Regisseur brandmarkt faschistische Propaganda in Westdeutschland. ADN- Meldung. In: Freiheit (Halle/Saale), 28.1.1961. • Deppisch, Walter: Sterben ist nur ein Teil des Alltags. Die ARD wiederholt Egon Monks KZ-Film Ein Tag. In: Die Welt vom 9.11.1979, S. 20. • Der „gesäuberte“ Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald. Dokumente. Hrsg. von Lutz Niethammer unter D 507 Mitarbeit von Karin Hartewig, Harry Stein und Leonie Wanne- macher. Eingeleitet von Karin Hartewig und Lutz Niethammer. Berlin, 1994. • Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Hrsg. von David A. Hacket. München, 1996. • Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF-Tagung. Hrsg. von Knut Hickethier, Eggo Müller, Rainer Rother. Berlin, 1997, (= Sigma-Medienwissenschaft; Bd. 23; Schriften der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft, 6). • Der Film Nacht und Nebel kommt nach Deutschland! Publikums- befragung anläßlich einer Sondervorführung am 30.6.1956 im Bonner „Metropol“-Theater. In: Die Europäische Zeitung vom 20.7.1956. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. • Der gewöhnliche Faschismus. Ein Gespräch zwischen dem Regis- seur des Films Michail Romm und den Kritikern Hermann Herlinghaus und Friedrich Hitzer. In: Film. Eine deutsche Zeit- schrift. 4. Jg. H. 5/1966, S. 49-56. • Der gute Mann von Zablocie. Hollywood verfilmt das Leben des Wahlfrankfurters Oskar Schindler. In : Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.2.1965, Lokalteil. Quelle: Deutsches Institut für Filmkunde. • Der Holocaust aus Hollywood? In: Deutsches Allgemeines Sonn- tagsblatt, Nr. 12 vom 25.3.1994, S. 3. • Der Ort und das Wort. Aus einem Gespräch mit Claude Lanz- mann, dem Regisseur von Shoah. Nachdruck des Gesprächs, das Marc Chevrie und Hervé le Roux mit dem Regisseur geführt haben, publiziert in Cahiers du Cinéma, Nr. 374/1985. In: die tageszeitung vom 19.2.1986, S. 13. • Der Prozeß. Eine Darstellung des sogenannten „Majdanek- Verfahrens“ gegen Angehörige des Konzentrationslagers, Lublin/Majdanek in Düsseldorf von 1975 bis 1981 von Eberhard Fechner. Hrsg. vom Norddeutschen Rundfunk, Pressestelle Pro- gramm. Hamburg, 1984, S. 1-16. • Der Umgang mit dem Holocaust. Europa - USA - Israel. Hrsg. von Rolf Steininger. 2. Aufl. Wien, Köln, Weimar, 1994. • Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Hrsg. von Stephan Braese, Holger Gehle, Doron Kiesel, Hanno Loewy. Frankfurt/M., New York, 1998. (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 6). • Deutscher Filmpreis 1951-1980. Hrsg. vom Bundesminister des Innern. Bonn, 1980. D 508 • Deutschland auf der Mattscheibe. Die Geschichte der Bundes- republik im Fernsehspiel. Hrsg. von Martin Wiebel. Frankfurt/M, 1999. • Deutschlandbilder Ost. Dokumentarfilme der DEFA von der Nachkriegszeit bis zur Wiedervereinigung. Hrsg. von Peter Zimmermann. Konstanz, 1995, (= Close up. Schriften aus dem Haus des Dokumentarfilms. Bd. 2) • Die bleierne Zeit. Ein Film von Margarethe von Trotta. Hrsg. von Hans Jürgen Weber in Zusammenarbeit mit Ingeborg Weber. Frankfurt/M., 1981. • Die Erinnerung als Staatsgebrauch. Ein Gespräch mit dem Holo- caust-Forscher James E. Young. In: Frankfurter Rundschau vom 21.1.1995, S. ZB2. • Die ganze Wahrheit schwarz auf weiß. Regisseur Steven Spielberg über seinen Film Schindlers Liste. Spiegel-Gespräch zwischen Steven Spielberg und Hellmuth Karasek. In: Der Spiegel, Nr. 8 vom 21.2.1994, S. 184. • Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. 10. Aufl. Frank- furt/M., 1999 (1981). • Die Macht der Filmkritik. Positionen und Kontroversen. Hrsg. von Norbert Grob und Karl Prümm. München, 1990, (= Literatur und andere Künste; Bd. 6). • Die Oberhausener. Rekonstruktion einer Gruppe 1962-1982. Hrsg. von Rainer Lewandowski. Diekholzen, 1982. • Die Spender Kohls. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.3.2000, S. 2. • Die Vergangenheit in der Gegenwart. Konfrontationen mit den Folgen des Holocaust im deutschen Nachkriegsfilm. Hrsg. vom Deutschen Filminstitut, Frankfurt/M., 2001. • Die Wirkung auf Amerikaner. In: Die Zeit, Nr. 3 vom 19.1.1979, S. 25. • Die Zuschauerquoten bei Fechners Prozeß. epd-Meldung. In: Frankfurter Rundschau vom 4.12.1984, S. 11. • Diederichs, Helmut H.: Anfänge deutscher Filmkritik. Stuttgart, 1986. • Dillmann, Claudia: Er liebt nun mal das Kino der großen Gefühle. Filmen als Überlebenskampf: Die CCC des Berliner Produzenten Artur Brauner wird 50 Jahre alt. In: Die Welt vom 20.7.1996, S. G4. • Dillmann-Kühn, Claudia: Artur Brauner und die CCC. Filmge- schäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946 - 1990. Frank- furt/M., 1990, (= Schriftenreihe des Deutschen Filmmuseums. Hrsg. von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert). E 509 • Diner, Dan: Bilder des Unsagbaren. Der französische Publizist und Dokumentarfilmer Claude Lanzmann wird siebzig. 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In: die tageszeitung vom 6.6.1991, S. 15. • „Wirklich, ich bin froh, daß ich so weit weg bin.“ Richard Wein- stein, Überlebender des Krakauer Ghettos. Über Spielbergs Schindler-Film und die Hölle Gegenwart. In: Neues Deutschland vom 3.3.1994, S. 3. • „Zieh dir die Schuhe aus, wenn du am Fluß bist.“ Der ständige Kampf um Qualität im Massenmedium - Eberhard Fechner wird 65. Gespräch zwischen Roland Timm und Eberhard Fechner. In: Süddeutsche Zeitung vom 21.10.1991, S. 36. • 20 Jahre DEFA-Spielfilm. Ein Bildband mit 400 Fotos. Von Die Mörder sind unter uns bis Solange Leben in mir ist. Hrsg. von Heinz Baumert und Hermann Herlinghaus. Berlin (Ost), 1968.