Lehrkräfte im Wirkungsfeld der Schulautonomie: motivational-affektive Variablen der individuellen Lehrkraft als Determinanten für die Qualität von Einzelschulen
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2023
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Zusammenfassung
Die vorgelegte Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie (Dr. phil.)
elaboriert die Rolle von Lehrkräften im deutschen Schulsystem im Kontext stetiger
Reformprozesse und des Wandels von gesellschaftlichen Erwartungen. Dabei wird die
übergreifende These verfolgt, dass motivational-affektive Konstrukte wie Commitment,
Enthusiasmus, Selbstwirksamkeit oder Motivation der einzelnen Lehrkraft bedeutende Faktoren
für das Gelingen von reformspezifischen Implementationsprozessen und – in gegenseitiger
Abhängigkeit – die Qualität der schulischen Prozesse darstellen.
Die von Rosa (u.a. 2005) beschriebene Beschleunigung von gesellschaftlichen
Wandlungsprozessen spiegelt sich auch im deutschen Schulsystem wider. Die letzten Jahrzehnte
werden durch zahlreiche Reformbemühungen und Paradigmenwechsel bestimmt, die als Reaktion
auf veränderte (gesellschaftliche) Anforderungen entstanden sind beziehungsweise konzipiert
wurden. Einige dieser Wandlungs- und Reformprozesse bieten die Ausgangslage für die Analysen
der vorliegenden Arbeit. Dazu zählen (1) der verstärkte Fokus auf die Einzelschule als
Handlungseinheit, welcher mit einer gesteigerten Schulautonomie und einer ergebnisorientierten
Steuerung einhergeht (vgl. Altrichter & Maag Merki, 2016). (2) Die breite Einführung des
Ganztagsbetriebs als eine der umfangreichsten Reformbemühungen des deutschen
Bildungssystems (vgl. Rollet, 2014) sowie (3) die verstärkte Verantwortung der individuellen
Lehrkraft für den schulischen Erfolg der Lernenden, welche sich auf den umfangreichen Meta2
Analysen von Hattie (2009) begründet. Insbesondere unter herausfordernden sozialen und
schulischen Bedingungen avancieren die Qualität der Einzelschule und die Leistung der
individuellen Lehrkraft zu entscheidenden Größe für den schulischen Output (u.a. Ditton, 2013).
Grundlegend für die Struktur der Arbeit ist das Mehrebenenmodell des deutschen Schulsystems
nach Fend (u.a. 2008), welches eine Differenzierung zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene
vornimmt. Auf der Makroebene lässt sich die Bildungsadministration ansiedeln, welche
verantwortlich für die Definition von übergreifenden Standards ist und den Ursprung für die
Reformen und einhergehende Anforderungen darstellt. Diese Ebene wird in den Analysen nicht
tiefgreifender beleuchtet, sondern vielmehr als definitorischer Ausgangspunkt für die
thematisierten Reformprozesse und Paradigmenwechsel betrachtet, die wiederum grundlegend für
die theoretische Kontextualisierung der Analysen der dieser Arbeit inhärenten Einzelbeiträge sind.
Die Einzelbeiträge lassen sich thematisch auf der Meso- und Mikroebene verorten, da zum einen
wichtige Größen zur Qualität der Einzelschule als Handlungseinheit (Mesoebene) betrachtet
werden und zum anderen ein wechselseitiger Einfluss mit motivational-affektiver Eigenschaften
der Lehrkräfte (Mikroebene) sowie das Führungshandeln der Schulleitung analysiert wird.
Zur theoretischen Einbettung der Analysen werden auf der Mesoebene einschlägige Modelle zur
Schulkultur, Schulqualität und Schulentwicklung erläutert und diskutiert. Auf der Mikroebene
werden verschiedene Konzepte zum Führungshandeln der Schulleitung eingeführt und begrifflich
differenziert. Mit Blick auf die Lehrkräfte konzentrieren sich neben der grundlegenden
Einordnung der (professionellen) Rolle der Lehrkräfte im Kontext der Einzelschule die
theoretischen Darlegungen vornehmlich auf der Erläuterung von motivational-affektiven
Konstrukten, die ihren Ursprung überwiegend in der psychologischen Forschungstradition finden.
Aufbauend auf diesen Einordnungen und begrifflichen Abgrenzungen bieten die Analysen einen
erkenntnisreichen Einblick in den Zusammenhang der eingeführten Konzepte und Konstrukte.
Der erste Beitrag thematisiert das Commitment der Lehrkräfte als zentrales Konstrukt für die
Bindung der Lehrkräfte zu ihrer Schule. Der Fokus liegt hierbei auf dem affektiven Commitment,
welches die emotionale Bindung der Lehrkräfte beschreibt. Lehrkräfte mit einem hohen affektiven
Commitment zu ihrer Schule sind eher dazu bereit, einschneidende Veränderungen (beispielsweise
durch Reformen) des gewohnten Arbeitsalltags zu tolerieren und setzen sich sogar vermehrt aktiv
für die Umsetzung der angestrebten Ziele ein, da sie diese als ihre eigenen Ziele internalisieren.
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Als wichtige Erkenntnis des Beitrags kann gezeigt werden, dass das Gesamtbild der Einzelschule
stark durch die Wahrnehmung der individuellen Lehrkraft bedingt ist. So wird in diesem Beitrag
aufgezeigt, dass für die Lehrkräfte, die sich aktiv im Ganztag beteiligen und die Lehrkräfte, die
dies nicht tun, unterschiedliche Prädiktoren verantwortlich für ein hohes affektives Commitment
zur Einzelschule sind. Für Lehrkräfte, die im Ganztag zumindest rudimentär mitwirken, erweisen
sich demnach vermehrt ganztagsspezifische Konstrukte als entscheidende Faktoren für das
affektive Commitment zur Einzelschule.
Beitrag zwei intensiviert den Blick auf motivationale Determinanten der Lehrkräfte und erweitert
zugleich das Repertoire der berücksichtigten Konstrukte. Neben dem affektiven Commitment
werden der Enthusiasmus für den Ganztag, Selbstwirksamkeitserwartungen sowie die
Berufszufriedenheit der Lehrkräfte in den Analyserahmen integriert. Additiv zum
Führungshandeln der Schulleitung wird der Einfluss dieser Konstrukte auf die Zufriedenheit mit
und Mitwirkung der Lehrkräfte bei ganztagspezifischen Prozessen an den Einzelschulen
untersucht. Die Prädiktoren werden hierbei nach Deci und Ryan (u.a. 1985) in intrinsisch und
extrinsisch motivierende Faktoren differenziert. Ziel dieses Beitrags ist es, die Bedeutung
individueller motivationaler Determinanten für die Einstellung der Lehrkräfte gegenüber der
Einführung der Ganztagsschule zu erörtern und Ansatzpunkte für die Steigerung der Bereitschaft
zur Mitwirkung an dieser Reformierung zu identifizieren. Zudem wird gezeigt, dass der
Schulleitung eine bedeutende Rolle für die Steigerung der Zufriedenheit mit dem Ganztagsbetrieb
und der Mitwirkung der Lehrkräfte daran zukommt.
Beitrag drei greift diese motivationalen Faktoren in Kombination mit der Einflussnahme der
Schulleitung erneut auf und setzt sie in einen anderen Kontext als der Ganztagsschule. Die
befragten Lehrkräfte sind alle an Schulen beschäftigt, die sich in einer herausfordernden sozialen
Lage befinden. Dieser Artikel blickt vertieft auf die intensivierte Objektivierung der individuellen
Leistung der Lehrkräfte und der intraindividuellen Vergleichbarkeit. Abermals wird ein Effekt von
motivationalen Determinanten und kulturellen Bedingungen auf ein Schulqualitätsmerkmal
untersucht: die Unterrichtsqualität. Grundlage für die Analysen biete das Four-Path-Model von
Leithwood et al. (u.a. 2017), welches zwischen einem rationalen-, Emotionen-, organisationalen
und Familien-Pfad differenziert.
Die Artikel dieser Arbeit liefern einen umfangreichen Einblick in die Wechselwirkungen von
4 kulturellen/organisationalen Bedingungen der Einzelschule, motivationalen Determinanten der
Lehrkräfte und dem Erfolg von Reformbemühungen im deutschen Bildungssystem. Dabei wird
herausgestellt werden, dass personenbezogene Eigenschaften und Einstellungen der Lehrkräfte
grundlegend für die Etablierung von Neuerungen sind.
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Schlagwörter
Lehrkräfte, Einzelschule, motivational-affektive Variablen, Schulleitung