V O R W O R T
In kleiner Auflage an der Radierpresse
abgezogen faszinieren diese Blätter durch sammtene Schwärzen und
Schatten mit weichsten Übergängen zu den lichten Partien durch die
charmanten Tonwerte, die wir nicht nur an Kunstfotografien aus den
20er, 30er Jahren kennen, sondern vor allem an den per
Heliogravüre-Technik gedruckten Fotografien in der legendären
Zeitschrift "Camera Work", die der berühmte amerikanische Fotograf
Alfred Stieglitz zwischen 1903 und 1917 herausgab. Der mit Georgia
O´Keefe verheiratet gewesene Künstler hatte größten Einfluß auf die
Entwicklung der Fotografie und der modernen Kunst in den USA. Er trug
dazu bei, nicht nur der Fotografie, sondern auch der Heliogravüre die
Anerkennung als eigenständige künstlerische Medie zu verschaffen.
TECHNIK Die Heliogravüre (griech. helios = Sonne),
bisweilen auch Photogravüre (griech. photos = Licht) genannt, seltener
Chemigravüre, ist als Technik ein manuelles Tiefdruckverfahren. Die
dafür erforderliche Druckplatte wird ähnlich wie die für die Aquatinta-Radierung
hergestellt. Allerdings zeichnet der Künstler dabei nicht direkt auf
die Kupferplatte, sondern die Bildübertragung geschieht auf
fotomechanischem Wege. Dieser Prozeß spielt sich potentiell jedoch
nicht unkontrolliert ab. Sein Ablauf bleibt dem Gestaltungswillen des
Künstlers unterworfen.
Der Künstler kann auch die daran anschließende Ätzung im
Eisenchlorid-Bad kontrollieren und beliebig manipulieren, mit der er
die Druckplatte für den Druckvorgang an der Tiefdruckpresse
vorbereitet. Die Heliogravüre, die Vorläuferin des modernen,
industriellen Kupfertiefdrucks, ist so alt wie die Fotografie. Der
schottische Forscher Mungo Ponton und der tschechische Maler Karl Klic
(1841-1926) entwickelten unabhängig voneinander eine Methode,
Diapositive mit Hilfe lichtempfindlicher Gelatine auf eine Druckplatte
zu übertragen. Fast gleichzeitig mit der Erfindung der Fotografie
publizierte Mungo Ponton 1839 die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit
über die Wirkung der lichtempfindlichen Kaliumbichromat-Lösungen auf
organische Stoffe wie z. B. Gelatine und Eiweiß. Er fand heraus, daß
sich Chromgelatine (mit Chromsäure sensibilisierte Gelatine) besonders
dadurch auszeichnet: Erstens quillt sie nicht in kaltem Wasser,
zweitens ist sie in heißem Wasser nicht mehr löslich, und drittens ist
sie zwar in durchnäßtem, nicht jedoch in trockenem Zustand resistent
Säuren. Auf dieser Entdeckung beruht das Prinzip der Bilderzeugung bei
der Heliogravüre. Karl Klic baute auf diesen Erkenntnissen auf. Nach
Jahre dauernden Experimenten stellte er 1879 mit ersten gedruckten
Heliogravüren ein damals neues Verfahren des Tiefdrucks vor, das
anfangs unter dem Namen "Klicotypie" bekannt wurde. Diese Benennung
konnte sich in der Folgezeit aber nicht durchsetzen, vermutlich deshalb
nicht, weil sie sich nur schwer artikulieren läßt.
Die Heliogravüre, die im 19. Jahrhundert bisweilen auch Aufgaben der Schabkunst (Mezzotinto)
übernahm, wurde bis etwa 1910 bevorzugt für die einfarbige Illustration
anspruchsvoller Bücher benutzt, also für rein reproduktive Zwecke. Es
ließen sich damit auch wertvolle Handzeichnungen, Kupferstiche,
Radierungen, andere Arten von Arbeiten der bildenden Kunst und
natürlich auch fotografische Naturaufnahmen auf der Kupferdruckpresse
künstlerisch anspruchsvoll reproduzieren, so vollkommen, wie man es bis
dato mit anderen Verfahren nicht konnte. Per Heliogravüre
reproduzierbar waren nicht nur schwarz-weiße Arbeiten, sondern auch
Malerei, die wie Radierungen gedruckt werden konnte. Solche
Heliogravüre wurden von erfahrenen Druckern von einer einzigen Platte
farbig erstellt. Sie hielten sich dabei streng an de Farbigkeit des
Originals. Georg Habler, ein herausragender ehemaliger Druckmeister der
alten und renommierten Druckwerkstätte Kätelhön, heute in Möhnesee,
früher in München, druckte in den 20er Jahren u. a. eine Heliogravüre
nach dem Gemälde „Früchtekranz" von Paul Rubens in 36 Farben mit einem
Verfahren, bei dem er die Platte vor dem Druck von Hand entsprechend
kolorierte, eine bewundernswerte Leistung, die man sich heute kaum noch
vorstellen kann. Heute geht die Reproduktion von Bildwerken, wenn hohe
Auflagen gedruckt werden sollen, andere Wege, angepaßt an die neuste
Entwicklung der Drucktechnik. Die altehrwürdigen Verfahren des
manuellen Bilddrucks, die bekannten Arten und Spielarten des
Hochdrucks, Tiefdrucks, Flachdrucks und des Durchdrucks haben hier
ausgedient. Um so mehr werden sie heute von Künstlern genutzt, die
damit Arbeiten eigener Qualität schaffen. Auch die Heliogravüre, lange
in Vergessenheit geraten, kommt heute wieder zu Ehren.
"Es war immer das Privileg einiger Exoten," sagt Reinhard Spiegel,
"Techniken, die von der Industrie als unwirtschaftlich ausgemustert
wurden, für künstlerisches Schaffen neu zu entdecken. Beispiele hierfür
sind die heute so gut wie ausschließlich künstlerisch genutzten
Drucktechniken wie Holzschnitt, Lithografie und Radierung. Unpraktisch für den Kommerz, sind sie für eine kleine Randgruppe unverzichtbar.
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Die Heliogravüre, oft als
'kunstfotografisches Edeldruckverfahren' bezeichnet, sucht den
künstlerisch arbeitenden Fotografen, den Fotografiker. Das Bild wird
hier ja nicht lediglich entwickelt, wie das bei der Herstellung von
fotografischen Papierabzügen geschieht, sondern tatsächlich gedruckt,
auf der Tiefdruckpresse. Die Herstellung der dabei benutzten kupfernen
Druckplatte ist es, was den Prozeß der Entstehung einer Heliogravüre so
kompliziert macht. Die Fachliteratur informiert darüber nur
unzureichend. Zu viel Wissen um dieses Verfahren ging verloren.
Weltweit gibt es heute nur wenige Spezialisten, die dazu in der Lage
sind, Blätter von einer Qualität zu drucken, wie sie etwa Alfred
Stieglitz zu Beginn unseres Jahrhunderts herstellen ließ."
Heliogravüren und Aquatinta sind, wie bereits gesagt, miteinander
verwandt, denn das Verfahren der Herstellung einer Heliogravüre ist aus
dem der Aquatinta hervorgegangen. Beiden gemeinsam ist die Verwendung
eines durch Aufschmelzen von feinem Asphaltstaub präparierten
Kupferblechs im Format des zu druckenden Blattes. Verschieden ist die
Art der Bildübertragung auf die Platte: mechanisch bei der Aquatinta,
fotomechanisch bei der Heliogravüre. Der Vorgang der Ätzung mit Säure,
der sich daran anschließt, ist bei beiden Verfahren gleich. Nach dem
Ätzen zeigen sich auf der Druckplatte die Lineaturen und Flächen, die
insgesamt das Bild aufbauen, als vertiefte Partien, die beim Drucken
die Druckfarbe aufnehmen und wieder an das Papier abgeben.
Bildvorlage für eine Heliogravüre ist immer ein Foto, meistens ein
Schwarz-Weiß-Negativ, kontrastreich und von bester technischer
Qualität. Davon wird ein Halbtonfilm gezogen, ein Halbton-Diapositiv.
Unter diesem Diapositiv wird lichtempfindliches Pigmentpapier
belichtet. Es handelt sich dabei um ein Papier, das mit einer Schicht
Gelatine, gefärbt mit einem feinen rotbraunen Pigment, überzogen ist.
Das belichtete Pigmentpapier wird einige Minuten in kaltes Wasser
gelegt und, sobald es anfängt, weich und schmiegsam zu werden, mit der
Gelatineseite nach unten auf eine vorher präparierte Aquatinta-Platte
aufgequetscht. Die Platte kommt dann in warmes Wasser. Dabei löst sich
nicht nur das Papier auf, sondern dabei werden außerdem alle
unbelichteten Partien der Gelatineschicht aufgelöst und durch sanftes
Schaukeln des Wassers weggespült. Schließlich bleibt auf der
Aquatinta-Platte ein zartes Relief zurück. Es besteht aus belichteter
chromatisierter Gelatine. Anschließend wird die Platte geätzt, in
mehreren Arbeitsgängen, wobei nacheinander Ätzbäder unterschiedlicher
Säurekonzentration (Eisenchlorid-Lösungen) benutzt werden. Die Lösung
dringt zuerst durch die dünnen Schichten des Reliefs. An diesen Stellen
ätzt sie das Kupfer am tiefsten. Nach und nach durchdringt die Lösung
die jeweils nächst dünneren Reliefschichten. Immer weitere Partien
werden von der Ätzung erfaßt, und so zeichnen sich die Lineaturen und
Flächen des zu druckenden Bildes auf der Platte nach und nach immer
mehr ab. Sie treten als Vertiefungen in Erscheinung, wie in das Metall
eingraviert. Der unterschiedlichen Tiefe der Ätzung entspricht der
Reichtum an Tonabstufungen, der sich an der gedruckten Heliogravüre
zeigen wird. Ist der Ätzprozeß abgeschlossen, wird die Platte
abgewaschen und ein Probeabzug hergestellt. Noch sind Korrekturen und
Retuschen möglich. Ist die Platte fehlerfrei und hat sie die gewünschte
Ausdruckskraft und Tiefe, wird die Auflage gedruckt. Für den Druck
größerer Auflagen, ab etwa zehn Abdrucken, muß die Platte verstählt
werden. Die feinkörnige Oberfläche der Platte würde der Belastung durch
das Drucken einer größeren Anzahl von Blättern nicht standhalten. Der
Künstler kann in mehreren Stadien in den Prozeß der Entstehung der
Heliogravüre eingreifen, dabei den Zufall kontrollieren, das Ergebnis
verändern, es seinem Gestaltungswillen unterwerfen, nämlich
beim Fotografieren, bei der Entwicklung des Halbtonfilms, bzw. des
Halbton-Diapositivs,bei der Belichtung des Pigmentpapieres,
bei der Ätzung des Metalls und schließlich durch die Anwendung
zusätzlicher Techniken, z. B. der Kalten Nadel.Wer eine Heliogravüre
ganz aus eigener Kraft zustande bringen möchte, muß viele Fähigkeiten
und Erfahrungen in einer Person vereinigen. Er muß Künstler, Fotograf,
Druckvorlagen-Hersteller und Radierdrucker zugleich sein. In der Regel
entsteht eine Heliogravüre als Gemeinschaftswerk, in Zusammenarbeit
eines Künstlers mit einem Fotografen und fachlich spezialisierten
Handwerkern.
Heliogravüren zählen zur Durckgrafik, und wenn der Künstler bei ihrer
Entstehung wesentlich mitgewirkt hat, wenn er seinen Gestaltungswillen
von Anfang bis Ende durchsetzen konnte, genügen Heliogravüren sogar
Anforderungen, die an originale Künstlergrafik gestellt werden. Die
Signatur des Künstlers ist dafür nicht das entscheidende Kriterium.
Doch werden auch Heliogravüren in der Regel signiert und mit den bei
Druckgrafik üblichen Angaben zur Auflagenhöhe versehen.
atelier 2/99
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