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Sperrfrist: 07.09.2006 / 19.00 Uhr Laudatio
von Frau Dr. Gisela Vetter-Liebenow Mitglied des Jury-Karikaturpreises bei
der Verleihung des
Karikaturpreises der Deutschen Anwaltschaft an
Gerhard Haderer am 7. September 2006 in Berlin Es gilt
das gesprochene Wort! Sehr geehrtes Ehepaar Haderer, sehr
geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Dr. Dombek, sehr geehrte Frau
Prof. Grütters, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Stölzl, meine Damen
und Herren, eine Frau geht einsam auf einem regennassen Boulevard - die
Hände in den Taschen des dunklen Hosenanzugs, den Blick - melancholisch,
fast depressiv - ins Unbestimmte gerichtet. Sie trägt die glatten Haare halblang
und als Schmuck eine schmale Halskette - es ist Angela Merkel, im Oktober 2004.
Noch ist sie nicht als Kanzlerkandidatin der CDU/CSU nominiert, sondern mitten
in den Machtkämpfen mit den ebenfalls ambitionierten Männern ihrer Partei.
Deren Namen prangen im Hintergrund des Bildes als Leuchtreklame an den Hochhäusern:
Friedrich Merz, Edmund Stoiber und Wolfgang Schäuble. Ein anderer "droht"
als Schild über einem Gitterzaun: Christian Wulff. Währenddessen kündigt
das Theater links im Bild in Leuchtschrift das Stück: "Angie - Die Physik
der Macht" an. Noch ist nicht entschieden, ob es die Geschichte eines Misserfolgs
oder doch eher eine Erfolgsstory werden wird. Gerhard Haderer hat die Idee
für seine im "stern" erschienene Karikatur einem weltberühmten
Foto entlehnt: Dennis Stocks 1955 entstandener Aufnahme von James Dean am New
Yorker Times Square. Das Foto gilt als Ikone des wenige Monate später tödlich
verunglückten Schauspielers, der als "sanfter Rebell" zur Symbolfigur
einer ganzen Generation wurde. Man darf annehmen, dass Gerhard Haderers Wahl nicht
von ungefähr auf dieses Foto gefallen ist! Aber Angela Merkel hat sich
von der Rolle des "Rebellen" gelöst - und wurde am 30. Mai 2005
offiziell zur Kanzlerkandidatin gewählt. In der österreichischen Wirtschaftszeitung
trend hat Gerhard Haderer die Karikatur daraufhin noch einmal veröffentlicht
- und trägt den kleinen, aber wirkungsvollen Veränderungen der gewandelten
Angela Merkel mit modischer Fönfrisur und gestrafften Augenlidern Rechnung
- "Die Physik der Macht?" Doch glücklich wirkt Angela Merkel immer
noch nicht, und auf dem Schild in ihren Händen heißt es JUHUU! HURRA!
- schließlich sitzen ihr auch als Kanzlerkandidatin die Männer der
CDU/CSU - Stoiber, Schäuble und Merz - weiter im Nacken. Die Wiederkehr des
immer Gleichen bei gelegentlich wechselndem Personal! Gerhard Haderer zeigt
sich in dieser Karikatur einmal mehr in Höchstform - bissig, aber auch komisch,
witzig und abgründig, voller Anspielungen. Das geht nicht ohne Leidenschaft,
und so darf man Haderer ruhig glauben, wenn er gesteht, dass er Angela Merkel
"mit Haut und Haaren verfallen" ist - und es auch noch als Glück
bezeichnet, eine solche "Mitarbeiterin" zu haben. Karikaturisten lieben
eben ihre Opfer - und Merkel hat, so Haderer, das Potential zu einem Karikaturenstar
- wie einst Adenauer oder Strauß. Mit seinen Karikaturen bestätigt
Gerhard Haderer eine philosophische Weisheit, die Henri Bergson so formuliert
hat: "Es gibt keine Komik außerhalb dessen, was wahrhaft menschlich
ist." Und Haderers Helden sind in all ihren Schwächen und Fehlern in
der Tat "wahrhaft menschlich", erscheinen nur allzu vertraut: Man begegnet
ihnen - auch wenn sie berühmt und mächtig sind - täglich auf der
Straße, trifft sie in Cafés, im Büro, beim Einkaufen oder im
Urlaub. Man kennt die Wohnungseinrichtung, weiß, in welcher Kleidung sie
sich wohl fühlen, welche Sorgen und Wünsche sie haben. Und manchmal,
in ehrlichen Momenten, fühlen wir uns ganz leise auch selbst ertappt. Wer
ist nun dieser Künstler, der all das in Szene setzt? - Gerhard Haderer wird
1951 in Leonding bei Linz geboren. In Linz studiert er an der Fachschule für
Gebrauchs- und Werbegrafik, schließt eine Graveurlehre in Stockholm an und
startet 1972, nach verschiedenen kurzfristigen "Engagements", seine
Karriere in der Werbebranche. 12 Jahre später, 1984, der abrupte Ausstieg:
""Es lebe der Verräter!", haben manche gesagt", so Haderer,
denn mit der "Technik der Werbeverführer" spielt er weiterhin -
nun aber mit "Widerhaken". Sein Credo: "Dieses Spiel mit beiden
Sensibilitäten finde ich noch immer aufregend. Persönlich geantwortet:
Irgendwann habe ich mit den Inhalten, die die Konsumwelt predigt, nichts mehr
anfangen wollen. Obwohl natürlich die Grenzen immer schwimmend sind." Für
seine Bilder verwendet Gerhard Haderer in erster Linie Acryltusche, manchmal kombiniert
mit Tempera oder Buntstiften; seine Farbtöne mischt er aus den Primärfarben
Gelb, Rot und Blau. Er selbst spricht von einer "fast altmeisterlichen Maltechnik",
die er im Laufe der Jahre entwickelt hat. Doch diese Technik ist nicht Selbstzweck,
sie ist bewusster Kontrast und sichert auch dem schnellsten Witz sein Überleben.
Grundlage ist aber stets die Skizze, sind die flüchtig auf das Papier geworfenen
Geschichten, ist das Ausprobieren, Austesten von Szenen, Situationen und Konstellationen.
Die große Zeichenkunst des Gerhard Haderer zeigt sich bereits in diesen
Skizzen - wenige Striche genügen, und seine Figuren erwachen zum Leben: "Ja,
es kann schon sein", so Haderer, "dass ich meine 20 Stunden mit einem
Blatt verbringe. Das ist oft ein mediatives Eintreten. Ich bin ein Ästhet
und möchte die Blätter in diesem Sinn aufladen. Ich kenn' die Leut',
die kleinsten Details, die Färbung ihrer Haut, wenn sie sich wohl fühlen
…" Zum Beispiel zwei Herren im besten Alter, die im sommerlichen
Outfit "cool" an einer Art Strandbar lehnen: Offenes Hawaiihemd über
Badeshorts, Sonnenbrille, weiße Söckchen und Sandalen, dümmliches
Grinsen im Gesicht. Sie haben sich vor zwei an einem Kaffeetisch sitzenden Frauen
in Szene gesetzt und halten sich ganz offensichtlich für unwiderstehlich
Die lakonische Bemerkung einer der beiden Frauen: - "Also meine Lieblingsjahreszeit
ist eindeutig der Winter". Aus Gründen der Ausgewogenheit hier
noch ein anderer Cartoon: Er zeigt zwei Frauen - eine junge und eine ältere
- in Rückenansicht, die sich in Badekleidung im seichten Wasser getroffen
haben. Beide haben ein Tattoo auf der Pobacke - einziger Unterschied: straffe
Haut hier, Falten dort. Und so muss die Ältere erklären: "Meines
war auch mal ein Adler". Warum lassen wir uns von Gerhard Haderer
so gern den Spiegel vorhalten? Und das seit Jahren, Jahrzehnten? 1991 war Haderer
im Wilhelm-Busch-Museum zusammen mit 40 weiteren Künstlern in einer großen
europäischen Karikaturenausstellung erstmals zu sehen. Seine Arbeiten gehörten
zu den Highlights: bei einer repräsentativen Umfrage wählten ihn die
Besucher mit großem Abstand zu ihrem Favoriten. Was blieb uns da schon anderes
übrig, als ihm 1994 eine erste umfassende Einzelausstellung zu widmen. Diese
Ausstellung mit dem Titel Vorsicht, Haderer! ist, nebenbei bemerkt, eine unserer
erfolgreichsten geworden. Vielleicht können wir diesen Erfolg noch toppen:
In gut einer Woche eröffnet die zweite große Haderer-Ausstellung im
Busch-Museum unter dem Titel Best of: Gerhard Haderer! Wenn Sie also heute Lust
auf mehr Haderer bekommen haben: Hannover und das Deutsche Museum für Karikatur
und kritische Grafik sind nicht weit! Wie polemisch, wie aggressiv und provokativ
darf ein Karikaturist sein? Gilt immer noch, was uns Deutschen der viel zitierte
Kurt Tucholsky ins Stammbuch geschrieben hat: "Wenn einer bei uns einen guten
politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel"?
Mit dieser Feststellung hat Tucholsky 1919 seinen im Berliner Tageblatt veröffentlichten
Text "Was darf Satire?" eingeleitet. Die Frage ist in diesem Jahr, nach
der Eskalation des Streits um die Mohammed-Karikaturen, ja wieder ganz aktuell
geworden und die Antwort von Tucholsky, nämlich: "Alles", auch
heute nicht ohne Widerspruch. Für die Skeptiker sei mit Tucholsky erläutert:
"Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben,
sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an. Die Satire eines charaktervollen
Künstlers, der um des guten Willem kämpft, verdient also nicht diese
bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande
diese Kunst abgetan wird." Und noch etwas ist Tucholsky wichtig anzumerken:
"Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: Er verwechselt das Dargestellte
mit dem Darstellenden." Ende des Zitats. Dass andere Völker, Nationen,
Religionen das auch tun, macht die Sache nicht besser! Haderer hat das
selbst ganz unmittelbar erfahren müssen. 2002 hat er mit seinem Buch über
Das Leben des Jesu monatelang für Schlagzeilen gesorgt, wurde vor allem in
Österreich heftig attackiert, in Griechenland sogar angeklagt und zu sechs
Monaten Haft verurteilt, später aber freigesprochen. Sein Kommentar: "Ich
habe mir die Kirche vorgeknöpft, nicht Jesus! ... Es muss zulässig sein,
das ‚Bodenpersonal', wenn es sich blöd verhalten hat, der Lächerlichkeit
preiszugeben - wie jeden anderen auch." Karikaturen sind per se eine
Provokation, und manchmal gießen sie natürlich auch Öl ins Feuer.
Verzichten sie darauf, so sind sie letztlich zahnlos und damit überflüssig.
Wenn in wenigen Tagen das neue Buch von Henryk M. Broder mit dem Titel Wir kapitulieren!
Erscheint, - ist Gerhard Haderer damit bestimmt nicht gemeint. Er kapituliert
nicht vor einer sich wie Mehltau über die Gesellschaft legenden "Political
Correctness", sondern bezieht Stellung und lässt Selbsttäuschungen
über den Zustand unserer Gesellschaft nicht zu. "Respektlosigkeit",
so Haderer, "ist die Basis von Karikatur und satirischer Meinungsäußerung,
in welcher Form auch immer. Es wäre doch eine schlimme Entwicklung, wenn
wir nur mehr angepasste und respektvolle Karikaturisten hätten, die eine
vom allgemeinen Geschmack abgesegnete Erwartungshaltung bedienten". Es
stimmt: Gerhard Haderer ist frech. Aber das mag ich. Er hat jede Menge Humor,
er hat Witz und Ironie. Das mag ich auch. Er ist - nebenbei bemerkt - ein charmanter,
geistreicher Gesprächspartner: Auch das mag ich. Aber worauf es wirklich
ankommt: Er hat eine Meinung, er vertritt seine Positionen ohne Wenn und Aber
- und das überzeugt mich. Nicht, dass ich immer einer Meinung mit ihm wäre
- aber gerade das ist ja das Reizvolle an der Geschichte. Seine Provokationen
und Polemiken gehören für mich zu einer lebendigen Streitkultur einfach
dazu. Zum Schluss noch ein kleines Geheimnis zum Umgang mit unserem Preisträger
- ganz "unbestechlich" ist er nämlich doch nicht. So gab er einmal
auf die Frage, wie Betroffene reagieren, folgende Antwort: "Es gibt zwei
konträre Reaktionen: Die einen versuchen mich sofort vor Gericht zu zerren,
die anderen laden mich zum Essen ein. Die zweite ist sicher die zielführendere
Strategie." Ich freue mich sehr, dass Gerhard Haderer heute den Karikaturpreis
der Deutschen Anwaltschaft verliehen bekommt - nach Ronald Searle, Tomi Ungerer,
Edward Sorel und Marie Marcks. Herzlichen Glückwunsch im Namen der
gesamten Jury!
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Dr. Gisela Vetter-Liebenow M.A. Stellvertretende Direktorin des
Wilhelm-Busch-Museums Hannover
Deutsches Museum für Karikatur und kritische Grafik |