Die
Kunst, die Dinge mit dem Strich auf den Punkt zu bringen, hat kaum
einer so gut beherrscht wie Dieter Zehentmayr. Die Welt, wie er sie
sah, war keine bewohnte Kugel, sondern das Aufmarschgebiet der
Ignoranz, ein Ballon voll aufgeblasener Wichtigtuer, eine Sphäre des
kollektiven und individuellen Wahns. Es war die Welt der Politiker, der
Wirtschaftsführer, der Kirchen- und Gewerkschaftsfunktionäre, ein
Blick, ein Strich von Zehentmayr hat genügt, das Bizarre, Skurrile,
Groteske dieser Welt zur Erscheinung zu bringen. Ihren
unvergleichlichen, oft bösen Witz bezogen die Geschichten, die
Zehentmayr zumeist in nur einem Bild erzählte, aus der Diskrepanz
zwischen der Bedeutung, die die Dargestellten sich selbst und ihrem
Wirken beizumessen pflegen, und der Darstellung, mit der der Zeichner
ihnen auf die Schliche kam. Im Prinzip gab es nichts von Bedeutung, was
der Aufmerksamkeit des Karikaturisten entging, vor allem aber entging
ihm kein Prinzip, das allzu bedeutungsvoll seine Aufmerksamkeit
erheischte - am nächsten Morgen fand es sich als Dieter Zehentmayrs
jüngste Spottgeburt in der Berliner Zeitung wieder.
Fast immer waren seine Bilder wortlos. Aber ihre Sprache wurde überall verstanden. Das galt nicht nur für Dieter Zehentmayrs
Heimat Österreich, wo er seine Karriere begann. Nachgedruckt wurden
seine Karikaturen in deutschen und führenden Blättern der Welt, in der
Times, der New York Times oder im Corriere della Sera. Regelmäßig
erschienen seine kleinen Meisterwerke in den vergangenen Jahren in der
Wiener Zeitung Der Standard, und Tag für Tag, kaum und höchst ungern
von Urlaub unterbrochen, hat Zehentmayr
seit 1997 für die Berliner Zeitung gezeichnet. Mit seinen ebenso
scharfen wie einfühlsamen Kommentaren zum politischen Geschehen ist er
im Verlauf der Jahre zu einem der bedeutendsten Karikaturisten Europas
geworden. Als Dieter Zehentmayr
im Januar dieses Jahres nach kurzer, schwerer Krankheit mit erst 63
Jahren starb, verlor nicht nur die kleine Zunft der Karikaturisten
eines ihrer begabtesten Mitglieder und die Berliner Zeitung einen ihrer
wichtigsten Mitarbeiter, etliche Leser verloren mit ihm den täglichen
Welt-Deuter, der sich im Respekt nicht gefiel, aber auch im Spott
niemals verlor.
In einem Rückblick auf die Geschichte der Berliner Zeitung dürfen Zehentmayrs Karikaturen nicht fehlen. Alle ausgewählten Zeichnungen sind auch in Zehentmayrs
letztem Buch "Strich drunter - Die besten Cartoons der letzten sieben
Jahre" im Ueberreuter-Verlag (2003, 160 Seiten, 24,95 Euro) erschienen.
(bom.)
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Foto: Karikaturist Dieter Zehentmayr
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Foto: (6) Im Testfieber / Immer neue Anschuldigungen / Hansdampf in seiner letzten Gasse / Auch das noch!