Vanitas
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Vanitas (lat. „leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit“) ist ursprünglich die christliche bzw. jüdische Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen, die im Buch Kohelet im Alten Testament ausgesprochen wird (Koh. 1, 2): „Es ist alles eitel.“ Diese Übersetzung Martin Luthers verwendet „eitel“ im ursprünglichen Sinne von „nichtig“.
Vanitas-Motive zeigen, dass der Mensch das Leben nicht in der Gewalt hat. Mit dem Aufstreben der Vanitas seit der Renaissance wird ein Konflikt zwischen Mittelalter und Moderne – der Zwiespalt zwischen menschlicher Demut und menschlichem Selbstbewusstsein – auf die Spitze getrieben. Seit dem späteren 18. Jahrhundert gewinnt die Befreiung von der Demut die Oberhand. Trotz weitgehender Trennung von ihrem religiösen Hintergrund sind Vanitas-Motive bis heute gegenwärtig.
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Mittelalter [Bearbeiten]
Der Historiker Philippe Ariès hob hervor, dass auf spätrömischen Grabsteinen mit einer Menge von Bildern und Texten versucht wird, sich am Vergänglichen festzuklammern. Die gleichzeitigen christlichen Grabsteine dagegen zeigen oft nur das Kreuz.
Die Nichtigkeit jeder menschlichen Darstellung ist ein Grundgedanke des christlichen Weltbilds, und gegen diese Vorstellung müssen sich mittelalterliche Darstellungen aller Art durchsetzen.
Dies geschieht in der Regel durch das Eingeständnis der eigenen Nichtigkeit. Jede Darstellung des unweigerlichen menschlichen Scheiterns ist selbst zum Scheitern verurteilt. Totentanz-Darstellungen rechtfertigen sich zum Beispiel dadurch, dass sie nicht erfolgreicher sind als ihr Dargestelltes: Das Bild ist ebenso tot wie das dargestellte Gerippe, und seine Betrachtung ist ein ebenso beziehungsloses Spiel wie der dargestellte Gesellschaftstanz. Auch die anonyme Verbreitung des Bildes durch den Buchdruck konnte sich auf diese Weise rechtfertigen.
Insbesondere Narren standen im Mittelalter für Vanitas. Hofnarren sollten ihren Herrscher an die Vergänglichkeit erinnern. Unter dem Motto der eigenen Vergänglichkeit stand die Zeit der Fastnacht.
Ein zentrales Vanitas-Symbol ist die Musik, die unmittelbar verklingt. Die mittelalterliche Marienklage drückt den unwiederbringlichen Verlust des irdischen Christus aus, und die singende Maria bzw. ihre Interpretin werden ihm bald folgen. Das Verklingen des Gesangs war ein mahnendes Zeichen dafür. – Eine ähnliche Botschaft vermittelte das Ubi sunt-Motiv in der mittelalterlichen Dichtung.
Renaissance [Bearbeiten]
Gleichzeitig mit dem Aufblühen der Künste und der Aufwertung der heidnischen Antike in der Renaissance entstand auch ein großer Rechtfertigungsbedarf für diese Bemühungen. Satiren wie Erasmus von Rotterdams Lob der Torheit (1511) verstanden sich in der Tradition des Narren, der die Narrheit der Welt enthüllt. Der Dichter Torquato Tasso versuchte in seinem Hauptwerk La Gerusalemme liberata (1574), Frömmigkeit und Künstlerstolz zu verbinden, und verzweifelte daran. In der Malerei des 16. Jahrhunderts war es üblich, auf der Rückseite (Verso) von Porträts mahnende Symbole der Vergänglichkeit abzubilden.
Barock [Bearbeiten]
Die Vanitas bildet ein bedeutendes Motiv in Literatur, Kunst, Theater und Musik des Barockzeitalters. Es ist der Gipfelpunkt einer kontinuierlichen Tradition. Schönheit und Verfall werden miteinander verbunden. Die Grundstimmung der Vanitas findet sich beispielsweise 1643, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in einem Sonett des Andreas Gryphius, das tiefe Lebensresignation ausdrückt und in der Nachkriegszeit nach 1945 in Deutschland wieder oft zitiert wurde:
- Es ist alles eitel
- Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
- Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
- Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
- Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;
- Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
- Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
- Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
- Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
- Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
- Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
- Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
- Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
- Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't!
- Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten.
Beliebte Sinnsprüche, die die Vergänglichkeit alles Irdischen ins Gedächtnis rufen sollten, waren im Barock auch „Memento mori“ („Gedenke, dass du sterben musst“) und „Carpe diem“ („Nutze den Tag“, ein Zitat von Horaz).
Vanitas-Symbole [Bearbeiten]

Vanitas-Symbole sollen, meist in moralisierender Absicht, an die Vergänglichkeit des Lebens und der irdischen Güter erinnern.
Häufige Vanitas-Attribute in der bildenden Kunst sind der Totenschädel, die erlöschende Kerze, die Sanduhr und die verwelkte Blume. Im weiteren Sinn auch Einsiedler- und Kasteiungsszenen (Hl. Hieronymus, Maria Magdalena): Sie verdoppeln die Einsamkeit des Bildbetrachters und seine Verzweiflung über die Abwesenheit des Abgebildeten.
In der darstellenden Kunst sind die hauptsächlichen Vanitas-Attribute Schatten, Echo und Spiegelbild, die in Opern und Balletten als bloßer Schein thematisiert werden. Ebenso dienen Aufzeichnungen wie Bilder und Briefe als Zeichen dafür, dass der Absender oder die Abgebildeten nicht da, vielleicht sogar unwiederbringlich verloren sind wie Verstorbene oder ungetreue Geliebte. Diese Situation ist oft Anlass für eine Arie. – Das „Spiel im Spiel“ im Barocktheater wird verstanden als Schein im Schein (vgl. etwa Pedro Calderón de la Barcas Das Leben ist ein Traum). Dem entspricht die „Abbildung in der Abbildung“ als Grundfigur von Vanitas-Darstellungen.
In der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts im Einflussgebiet der Universität Leiden entstanden kunstreiche und bis heute vorbildliche Vanitas-Darstellungen. Vor dem Hintergrund grassierender Pestseuchen, nicht enden wollender Gräuel der Religionskriege und bombastischer Pracht- und Machtentfaltung wird dies eine als zeitkritische Haltung verständlich. Meist steht das Motiv der Vanitas in Verbindung mit einem Appell zur Hinwendung an Gott und den christlichen Glauben.
Sehr beliebt waren die Vanitas-Stillleben, die den Augenreiz eines perfekt gemalten Arrangements scheinbar beliebiger Gegenstände mit einem Geflecht von Symbolen verbanden, die um den Begriff der Vanitas kreisen. Diese Symbole waren den zeitgenössischen Betrachtern durchaus geläufig.
Eine wichtige Rolle bei bildnerischen Vanitas-Motiven spielt das Paradoxon, dass das Vergängliche darin dauerhaft festgehalten ist, aber doch unwirklich bleibt (vgl. Trompe-l'œil). Das lebendig Wirkende ist tot, der Glanz des Goldes ist Schein, das offensichtlich Duftende oder Stinkende riecht nicht, das Klingende klingt nicht, der wache Blick von Abgebildeten ist blind. Wenn Leichen oder Kadaver abgebildet werden, verdoppelt sich die Unfähigkeit des Bildes zur Wiedergabe des Lebendigen im Abgebildeten.
Rhetorische Verdoppelungen (Pleonasmus) wie das Tote im toten Bild, das Stumme im stummen Bild, das Unbewegliche im unbeweglichen Bild, das Blinde im blinden Bild, das Verständnislose im verständnislosen Bild sind charakteristisch für Vanitas-Darstellungen. Die Nichtigkeit enthält sich selbst – eine Technik, die auch Mise en abyme genannt wird. Dies soll den Betrachter vor der Illusion warnen und auf sich selbst zurückwerfen. Trotzdem wird die Illusion möglichst perfekt gemacht. Die gleichzeitige Warnung rechtfertigt den Genuss.
Leere Formen [Bearbeiten]

- Masken
- Die Maske ist ein Zeichen für die Abwesenheit des Maskenträgers, ebenso wie das Bild nicht das Abgebildete enthält. Außerdem steht sie für Karneval, festliches Vergnügen, verantwortungslose Anonymität.
- Schädel
- So wie das Bild nur noch eine Form des einst Lebendigen darstellt, ist der Schädel nur noch eine Form des lebendigen Kopfs. Der Betrachter soll den Totenschädel als sein Spiegelbild wahrnehmen. Er versinnbildlicht auch heute noch am deutlichsten die Vergänglichkeit unserer Existenz.
- Machtinsignien
- Kronen - auch die Tiara, Lorbeerkränze oder Turbane - , Szepter, Harnische, Helm, Amtsketten usw. sind Zeichen für die irdische Weltordnung und ihre Vergänglichkeit, der die himmlische Weltordnung als ewige Institution gegenübersteht. Die Macht, die sie repräsentieren, ist vergänglich. Ähnlich wie Masken symbolisieren sie die Abwesenheit der dekorierten oder gekrönten Persönlichkeiten. Schlüssel stehen für die Macht der Hausfrau, die einem Haushalt vorsteht und die Vorräte und Güter verwaltet. Diese sind natürlich materieller Natur und somit vergänglich.
- Schneckengehäuse
- Leere Schneckengehäuse sind die Überbleibsel eines einst lebendigen Tieres. Sie stehen deshalb für Tod und Vergänglichkeit. Ebenso die Muschelschalen. Schnecken sind als Kriechtiere darüber hinaus eine Verkörperung der Todsünde der Trägheit. Als Zwitterwesen sind sie zudem ein Symbol der Wollust, einer weiteren Todsünde.
- Leeres Glas
- Ein leeres Glas, oft einem vollen gegenübergestellt, symbolisiert den Tod. Auch die Brille ohne Brillenträger hat eine ähnliche Bedeutung.
Luxusgüter [Bearbeiten]

Ein populäres und ambivalentes Symbol sind Luxusgüter aller Art. Im Verständnis der calvinistisch geprägten Niederländer des Barock ist Luxus die wohlverdiente Belohnung des Rechtschaffenen und Frommen. Er ist ein äußeres Zeichen für das Auserwähltsein und für Gottes Segen. Der Reichtum des Frommen ist aber zugleich auch eine Verpflichtung zu vorbildlichem und tugendhaftem Lebenswandel im Bewusstsein des Vergänglichen und Äußerlichen. Der gedankenlose Genuss von Luxus und das maßlose Streben nach Reichtum sind sündhaft und müssen zum Verlust der Güter führen.
Kostbare Schalen, Glaskelche, getriebene Metallbecher, aber auch Geld, Schmuck oder exotische Lebensmittel wie Zitrusfrüchte stehen für Luxus, für das vergängliche menschliche Streben nach materiellen Reichtümern.
- Spiegel und Schmuck
- Spiegel, Schmuck und Kosmetik stehen für Schönheit, weibliche Anziehungskraft, aber auch für ihre Vergänglichkeit, Eitelkeit, Selbstverliebtheit und die Todsünde der Hoffart. Ebenso thematisieren sie die Abwesenheit der Gespiegelten oder Geschmückten.
- Dose
- Kostbar verzierte Dosen vertreten das „weibliche“ Prinzip der Sexualität und für das Leben. Über den gedanklichen Umweg „Frau = Evastochter“ ist die Dose indirekt ein Symbol für den Sündenfall.
- Uhren
- Uhren stehen für die Zeit, insbesondere für die Lebenszeit. Sie symbolisieren unverblümt die Sterblichkeit. Es müssen keine Sanduhren sein; mechanische Taschenuhren übermitteln die gleiche Botschaft. Doch sie stehen als Luxusgüter auch für Wohlstand und die vergänglichen irdischen Güter.
Pflanzen [Bearbeiten]
Pflanzen symbolisieren das Vanitas-Motiv auf vielfältige Weise.

- Blumen, Blätter, Zweige
- Sie stehen für Vitalität und Lebenskraft. Aber: Blühendes Gezweig ist zum Verwelken verurteilt. Schnittblumen sind dem Tod geweiht. Um den Aspekt der Vergänglichkeit zu betonen, werden oft schon angewelkte Blumen neben aufblühenden dargestellt. Neben dieser allgemeinen Bedeutung gilt natürlich noch die besondere Symbolik der einzelnen Pflanzen und Blumen. Intensiv duftende Blumen oder Kräuter werden auch dargestellt, weil das Bild den Duft nicht vermitteln kann.
- Rose
- Die Rose als Blume der Venus vertritt vor allem die Liebe und die Sexualität. Diese weltliche Liebe ist aber – wie alles Menschliche – eitel.
- Mohn
- Mohn, bekanntlich ein Beruhigungsmittel, steht für den Schlaf und die Todsünde der Trägheit. Darüber hinaus symbolisiert er auch des Schlafes Bruder, den Tod. Wegen seiner roten Farbe ist der Mohn andererseits auch ein Symbol für die Passion Christi.
- Tulpen
- Im 17. Jahrhundert erlebten Tulpen in Holland einen unglaublichen Boom. Über Nacht wurden aus den orientalischen Tulpenzwiebeln eine begehrte Handelsware und ein Spekulationsobjekt. Im Zuge eine aberwitzigen Tulpenmanie wurden viele Hasardeure mit dem Handel von Zwiebeln reich. Noch mehr aber verloren durch Fehlspekulation Hab und Gut. Deshalb steht die Tulpe – zumindest bei niederländischen Stillleben dieser Zeit – auch für Leichtsinn, Verantwortungslosigkeit und unvernünftigen Umgang mit der Gottesgabe Geld.
- Früchte
- Früchte bedeuten Fruchtbarkeit, Fülle und im übertragenen Sinn auch Reichtum und Wohlstand. Auch dieser ist natürlich nicht von Dauer. Dies wird oft veranschaulicht, indem neben appetitlichen Früchten auch überreifes und angefaultes Obst liegt. Etliche Früchte haben eigene symbolische Bedeutungen. Der Sündenfall kann z. B. von Birnen, Tomaten, Zitrusfrüchten, Trauben, Pfirsichen oder Kirschen symbolisiert werden. Und natürlich auch vom Apfel. Erotik kann von Feigen, Pflaumen, Kirschen, Äpfeln oder Pfirsichen angedeutet werden.
Tiere [Bearbeiten]

- Mäuse, Ratten
- Diese fruchtbaren Tiere waren große Vorratsschädlinge und damit Boten der Vergänglichkeit. Sie werden mit dem Teufel in Verbindung gebracht und symbolisieren oft den Sündenfall.
- Eidechse
- Die Eidechse war ein unreines Tier, eine Schlange mit Füßen, ein kleiner Drache, Begleiter des Teufels. Aber auch, weil sie sich gerne der Sonne aussetzt, ein Symbol für die hingebungsvolle Zuwendung zu Jesus Christus.
- Fliegen, Spinnen und andere Insekten
- Fliegen und andere Insekten symbolisieren die Kurzlebigkeit. Darüber hinaus sind sie Nahrungsmittelschädlinge. Besonders die Fliege gilt als Begleiterin des Teufels (Beelzebub = Herr der Fliegen). Eine Ausnahme bilden die Schmetterlinge (siehe Christussymbole).
- Papagei
- Ein Papagei ist ein kostbares Tier und deshalb ein Luxusgut. Aber er ist auch ein Tier, das die menschliche Sprache nachahmt, also ein Echo, das ebenso wie das Bild nicht wirklich antworten kann. Da der Papagei nie versteht, was er sagt, ist er ein Symbol für die Eitelkeit des Menschen, der unsinnigen Moden nachläuft, anstatt sich seinem Gott zuzuwenden.
Nahrungsmittel [Bearbeiten]
Kochkunst war ebenso wie Musik ein Inbegriff der vergänglichen Kunst.

- Konfekt, Zuckerzeug
- Kostbares Naschwerk ist einerseits ein Symbol für den christlichen Glauben, da es schon einen Vorgeschmack auf „die süßen Genüsse des Himmels“ liefert. Andererseits ist es wegen des hohen Preises ein Zeichen für Luxus und eitle Verschwendung.
- Käse
- Käse ist verderblich und steht deshalb für Vergänglichkeit. Dass sein Geruch nicht wahrgenommen werden kann, obwohl der Käse täuschend echt dargestellt ist, war ein Reiz des Bildes: Das Bild stellte seine eigene Beschränkung bloß, forderte aber auch die Vorstellungskraft des Betrachters heraus. Käse konnte zudem, weil aus Milch hergestellt, als Symbol für Christus verstanden werden, der „die Milch des Himmels“ ist.
- Zitrone
- Die damals sehr teure Südfrucht ist ein Zeichen für Luxus. Da man sie aber wegen ihrer Säure nur sparsam einsetzt und nicht gierig verzehrt, ist sie auch ein geläufiges Symbol für die Tugend der Mäßigung.
- Wildbret oder Jagdbeute
- Besonders in den Küchenstillleben finden sich oft Wildbret oder Jagdbeute, was einerseits die üppigen Tafelfreuden andeutet und für Wohlstand, Wohlleben und Luxus steht. Anderseits führen die drapierten, stillen Tierkadaver augenfällig die Sterblichkeit allen irdischen Lebens vor Augen. Kadaver sind blind und stumm wie das Bild selbst. Bei den Beutetieren kommt dem Hasen eine besondere Bedeutung zu. Der Hase ist wegen seiner kurzen Vorderbeine bergauf am schnellsten. In seiner Wehrlosigkeit steht er für den gläubigen Menschen. Wie der Hase bergauf flieht, so soll sich der Christ seinem Gott als Berg der Weisheit zuwenden. (In der Ikonografie wird zwischen Kaninchen und Hase nicht unterschieden.)
Haushaltsgerät [Bearbeiten]

- Kerze
- Die brennende Kerze ist ein Sinnbild für Materie und Geist, die Flamme steht für die menschliche Seele, ihr Verlöschen für den Tod. Oft wird der Rauch der verloschenen Kerze dargestellt.
- Löschhütchen
- Das Löschhütchen, mit dem die Kerzenflamme erstickt wird, ist natürlich ebenfalls ein Symbol für das Sterben und Vergehen.
- Messer
- Mit seiner Schärfe und Gefährlichkeit erinnert ein Messer an die Verletzlichkeit des Menschen und an seine Sterblichkeit. Es ist außerdem ein Phallussymbol und eine verdeckte Darstellung der männlichen Sexualität.
- Glas und Keramik
- Kostbar verzierte Gläser und besonders Geschirr aus Porzellan waren Luxusgüter. Darüber hinaus stellen sie Zerbrechlichkeit und damit Vergänglichkeit dar. Wegen seiner strahlenden Weiße steht das Porzellan aber auch für Reinheit. Analog dazu steht wegen seiner durchscheinenden Klarheit Glas für Keuschheit.
- Zerbrochenes Glas oder Geschirr
- Zerbrochenes Glas oder Geschirr zeigen die Verletzlichkeit menschlichen Glücks und steht ebenfalls für den Tod.
- Krug
- Ein Krug kann das Laster der Trunksucht mit allen Folgeerscheinungen symbolisieren: Lasterhaftigkeit, Leichtsinn, schlechter Lebenswandel.
- Mörser
- Mörser und Stößel bzw. Pistill sind Symbole für weibliche und männliche Sexualität und das Streben nach sexueller Erfüllung. Dieses Streben ist natürlich eitel.
Zeitvertreib [Bearbeiten]
Bildung war noch nicht grundsätzlich aufgewertet gegenüber dem Zeitvertreib wie seit dem 18. Jahrhundert.
- Bilder
- Überaus häufig als Vanitas-Requisiten sind abgebildete Bilder oder Statuen: Das Bild macht sich und seine Unfähigkeit, das Abgebildete zu bewahren und lebendig wiederzugeben, zum Thema.
- Briefe
- Briefe sind materielle Produkte menschlicher Beziehungen und verkörpern sie. Diese Beziehungen sind aber vergänglich. Für Briefe, Bücher und Musiknoten galt noch, dass die Stimme des Lesers kein vollwertiger Ersatz war für die verklungene Stimme des Schreibers, sondern nur ihr Fehlen deutlich machte.
- Musikinstrumente, Musiknoten
- Obwohl Musik schon aufgezeichnet werden konnte, galt sie außerhalb des Liturgischen als einzigartig und unwiederholbar. Die Aufführung war vorbei, der Klang verklungen, die Musiker verschwunden und die Musiknoten und Instrumente nur noch ein Zeichen des Fehlens. Instrumentalmusik war noch minderwertig gegenüber dem Gesang. Das Musikinstrument wurde als Zeichen für den fehlenden Menschen gesehen. Darüber hinaus macht das Bild mit der Darstellung von Musik seine Unfähigkeit deutlich, auch noch den Klang zu vermitteln. Das reizt jedoch die Vorstellungskraft des Betrachters.
- Spielkarten, Würfel
- Spielkarten, Spielwürfel und andere Utensilien des geselligen Zeitvertreibs bezeichnen ein falsches Lebensziel, die Hinwendung zu flüchtigem Vergnügen, schlechter Gesellschaft, sündhaftem Leben. Die Chancengleichheit des Glücksspiels wurde noch als verwerfliche Anonymität betrachtet. Damit sollte dem genießenden Betrachter seine eigene Anonymität vor dem Bild bewusst werden. Als Kunstliebhaber oder Sammler war er nicht besser als der Glücksspieler. Die darstellende Kunst war selbst ein Spiel, und das dargestellte Spiel war ein Spiel im Spiel.
- Raucherwaren
- Tabakspfeife und weitere Raucherutensilien sind ein Zeichen für momentanen, flüchtigen Genuss. Rauch und Geruch können im Bild nicht wirklich festgehalten werden. – Das berühmte Bild Ceci n'est pas une pipe (Dies ist keine Pfeife, 1928) von René Magritte ist noch eine Anspielung auf diese Symbolik.
- Seifenblasen
- Seifenblasen und Glaskugeln sind ein Symbol für das menschliche Leben, sowohl für seine Schönheit als auch für seine Vergänglichkeit. Als Ball gesehen, können sie auch als Symbol für die Unbeständigkeit des Lebens gedeutet werden.
- Wissenschaft
- Gelehrte Bücher, Verträge, juristische Regelwerke, Pläne, Landkarten, Weltkugeln, Messinstrumente, Antiquitäten, Kuriosa, all dies versammelt nur irdisches Wissen und Streben und ist daher vergänglich.
Christussymbole [Bearbeiten]
Auf vielen Vanitas-Stillleben, die nicht nur das Negative zeigen sollten, befinden sich Symbole, die sich auf die Heilslehre Christi beziehen. Wenn alles Weltliche vergehen muss, kann nur das Göttliche wirklich, wertvoll, beständig und erstrebenswert sein.
Im Unterschied zu den direkt erkennbaren, sinnlichen, aber unwirklichen Dingen sind die Symbole für die religiöse Wirklichkeit nur dann erkennbar, wenn man sie deuten kann. Diese „semiotische“ Botschaft sollen die Vanitas-Darstellungen vermitteln. Häufig verwendete Christussymbole sind:
- Fisch
- Aus dem Griechischen: ιχθυς=ιησους χριστος θεου υος σοτηρ (Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser – die ersten Buchstaben bilden das Wort „Fisch“.)
- Brot und Wein(trauben)
- Sie weisen auf die Eucharistie hin, den Neuen Bund und die damit versprochene Erlösung.
- Kelch
- Auch der Kelch ist ein Zeichen für Wein und damit für die Eucharistie und den Neuen Bund.
- Raupe, Schmetterling
- Die Raupe, die sich zum Schmetterling wandelt, ist ein Symbol für Auferstehung und Erlösung. Der Schmetterling ist darüber hinaus auch ein Symbol der menschlichen Seele.
- Elfenbein
- Elfenbein ist wegen seiner Kostbarkeit und seiner Weiße schon seit dem Altertum ein Symbol für Reinheit und Beständigkeit.
- Nelke
- Wegen der nagelförmigen Samen ist die Nelke ein Symbol für die Passion Christi.
- Salz
- Salz ist ebenso lebensnotwendig, wie Christus heilsnotwendig ist. Deshalb ist Salz ein Symbol für Christus.
- Erbsenschote
- Wegen der Zartheit der Blüte und der in der Schote schützend geborgenen Frucht symbolisiert die Erbsenblüte die jungfräuliche Empfängnis Christi.
- Ei
- Das Ei trägt Leben in sich; es ist ein Symbol der Auferstehung.
- Perle
- Perlen verkörpern Vollkommenheit und Reinheit und stehen deshalb neben anderen Symbolbedeutungen auch für Christus.
Interpretationshilfe [Bearbeiten]
Die Liste ist nicht komplett. Es mag noch Hunderte weiterer Symbole geben. Entscheidend ist der Unterschied zwischen dem trügerischen Zeichen unmittelbarer Sinnlichkeit und dem indirekten religiösen Symbol, das man deuten muss. Die Analogie gibt nicht vor, das Bedeutete zu sein wie die „platte“ Abbildung. Die Maler dieser Symbole dachten wie ihr Publikum in Analogien: So wie Salz dem Menschen lebensnotwendig ist, so ist Christus notwendig für das Seelenheil, Salz für Christus.
Bei den Vanitas-Stillleben bedienten sich die Maler aus dem reichen Fundus der zeitgenössischen Emblematik, über die damalige Gelehrte wie Jacob Cats auch Bücher verfassten. Mit jedem Bild entsteht so ein neues, anderes Potpourri verschiedenster Bedeutungen, die sich teilweise ergänzen, überlagern oder vielleicht sogar widersprechen. Das macht die Interpretation oft nicht ganz einfach.
Nicht jede Dose muss zwangsläufig weibliche Sexualität bedeuten. Nicht alles muss symbolisch gemeint sein. Es ist hilfreich, zuerst einmal möglichst viele potenzielle Symbole zu sammeln und thematisch zu ordnen. Wenn mehrere Symbole in dieselbe Richtung weisen, z. B. Sexualität (Mörser, Messer, Rosen…), ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Dose entsprechend zu interpretieren ist. Mögliche Symbolbedeutungen, die isoliert stehen, sollten zum Schutz vor Überinterpretation nur sehr vorsichtig gedeutet werden. Bei der Vielfalt der Möglichkeiten ist auch eine zufällige Darstellung nicht auszuschließen.
Bei aller Bedeutungsfracht sollte man aber immer bedenken, dass diese Bilder auch und vor allem schön anzusehen sein sollten.
Moderner Wandel [Bearbeiten]
Seit dem späten 18. Jahrhundert, im Zuge einer „bürgerlichen“ Aufwertung des Geldes und der privatrechtlichen Verträge (Dingen, die man in der Hand hat, im Gegensatz zur ungewissen Gnade geistlicher und weltlicher Autoritäten), werden viele Vanitas-Motive vom Nichtigen und Vergänglichen zum Bedeutenden und Ewigen verklärt. Nicht mehr die Einsamkeit und Anonymität des gebannten Zuschauers vor dem Kunstwerk werden hervorgehoben, sondern die Gemeinschaft der Kunstliebhaber, zu der es Anlass gibt. Die Unfähigkeit des Kunstwerks, das Lebendige wiederzugeben, wird nicht mehr als Fehler verstanden, sondern als bleibende Herausforderung an die Vorstellungskraft seiner Betrachter gerühmt.
Das Festgehaltene und Behauptete des Bildes und der Schrift mutiert somit vom Verwerflichen zum Tugendhaften, so wie das geschriebene Gesetzesrecht gegenüber dem ungeschriebenen Gewohnheitsrecht an Bedeutung gewinnt. Deutlich wird diese Umwertung etwa bei Rousseaus Melodram Pygmalion (1762/1770): Nicht mehr das Tote der Statue wird dort betont, sondern ihr imaginäres Leben im Auge des Betrachters.
Prominent in diesem Zusammenhang ist die Musik, die vom Symbol des im Nu Verklingenden zum Symbol „klassischer“ Beständigkeit wird, was sich in einer nie zuvor gekannten Repertoirebildung zeigt. Taminos „Bildnisarie“ in Mozarts Zauberflöte besingt nicht mehr die unmögliche oder verlorene, sondern die kommende (sinnliche) Beziehung. Das Lamento als kollektives Eingeständnis des Scheiterns wird in der Oper des 19. Jahrhunderts zur frenetisch beklatschten Sterbearie, als kollektiv gefeiertem Gelingen. Und das Musikinstrument als bloßer Ersatz der Gesangsstimme beginnt in der Vorstellung des Hörers zu „singen“.
In all dem zeigt sich eine Umwertung der Schrift von der Spur eines unwiederbringlich Verklungenen zum Modell eines ewigen Klingens in geselliger Gemeinschaft. Um dies zu gewährleisten, müssten Weltliteratur oder der Notentext von Kunstmusik beständig gelesen werden. Lesen ist kein Scheitern mehr, sondern ein Gelingen.
Die Vanitas-Darstellungen des 17. Jahrhunderts präsentieren dagegen noch das verwaiste Buch oder die verblichenen Musiknoten als Inbegriff des Stummen. Allerdings beginnt sich schon in den niederländischen Stillleben jener Zeit der Wert und die Dauerhaftigkeit der Darstellung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Dargestellten selbstbewusst zu unterscheiden. Hinter der vordergründigen Bescheidenheit verbirgt sich der Stolz des Künstlers.
Nicht nur in der Bildenden Kunst und der Musik, sondern auch in Literatur und Theater gibt es für diesen Wandel zahlreiche Beispiele: Johann Faust-Figuren als Symbole des Nichtigen und Lächerlichen (seine Studierstube ist eine Ansammlung von Vanitas-Attributen) werden etwa seit Goethes Faust I zum Bedeutenden oder Heroischen stilisiert. Der einst lächerliche Romanleser Don Quijote wird in der Romantheorie von Georg Lukács zum idealistischen Helden gemacht.
Solche Darstellungen eines Scheiterns zum Zweck des eigenen Triumphs (vgl. Hybris) erreichen ihren Höhepunkt im Fin de siècle: etwa in Richard Wagners Götterdämmerung, Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra oder Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes.
Daneben begründen fortbestehende ältere Vanitas-Traditionen im 19. Jahrhundert eine gering geschätzte Populärkultur. In Horror-Geschichten und -Illustrationen (siehe Gothic novel) wird der religiöse Hintergrund der Vanitasmotive vollends zum Klischee. Seit Mary Shelleys Victor Frankenstein oder der moderne Prometheus wird die Belebung des Toten als etwas Menschenmögliches, aber Bedrohliches dargestellt.
Vanitas seit dem 20. Jahrhundert [Bearbeiten]

Vanitas ist auch in der Kunst seit dem 20. Jahrhundert gegenwärtig. Pablo Picasso oder Andy Warhol haben die Symbole der Vanitas-Stillleben ausgiebig verwendet.
Die gewandelte Qualität der Vanitas-Motive lässt sich folgendermaßen erklären: Einerseits fällt die tröstende religiöse Heilsgewissheit für eine große Zahl der Betrachter weg, andererseits wird das Fehlen des Dargestellten nicht mehr unbedingt als Problem empfunden (denn man hält seine Darstellung für gelungen). Bei einem im Museum ausgestellten Heiligenbild ist man nicht unglücklich darüber, dass der Heilige seine Autorität in dieser Institution nicht mehr entfaltet, weil es hier auf den Künstler und sein Können ankommt. Oder: Bei vielen Spielarten der Nostalgie ist man nicht unglücklich darüber, dass die harten Lebensumstände der dargestellten alten Zeiten in Wirklichkeit vorbei sind.
Am deutlichsten zeigt sich dies in Horror-Motiven: Dass das Monster nicht wirklich aus dem Grab steigt, ist als beruhigende Gewissheit die Voraussetzung für den Genuss seiner Darstellungen. Von der populären Vanitas zum Horrorfilm gibt es eine kontinuierliche Tradition. Das im 19. Jahrhundert oft zu Allerseelen aufgeführte Schauerdrama Der Müller und sein Kind wurde zu einem der ersten Horrorfilme. – Heute ist Halloween ein spielerischer, vom Religiösen weit gehend getrennter Umgang mit Vanitas-Attributen.
Eine ähnliche rhetorische Grundstruktur hat das populäre Katastrophenszenario, wie etwa die zahlreichen Darstellungen des Untergangs der Titanic. Dem Scheitern des Dargestellten wird das Gelingen seiner Darstellung gegenübergestellt, was die Katastrophe zu bannen scheint.
In der Horror-Tradition der Vanitas-Motive steht etwa auch der Erfolgsroman Das Parfum (1985) von Patrick Süskind, dessen Held Parfüm aus ermordeten Frauen extrahiert: Das Buch kann den Geruch des Parfüms so wenig wiedergeben wie das Parfüm das entschwundene Leben der Frauen konservieren kann. Aber beides ist eine Herausforderung an die Vorstellungskraft der Lesenden oder Riechenden, die sich mit keinem lebendigen Gegenüber abgeben müssen.
Medienkritik als Vanitas [Bearbeiten]
Eine moderne Version der Vanitas-Symbolik ist die Medienkritik. An die Stelle der religiösen Wirklichkeit, die es einst hervorzuheben galt, tritt ein (zumeist älteres) Medium, das seine Privilegien an ein (zumeist neueres) Medium zu verlieren droht. Medienkritiker stellen das Scheitern des neueren Mediums dem Gelingen des älteren Mediums gegenüber, aber befördern dadurch eher den Erfolg des neueren Mediums. Die traditionellen Vanitas-Topoi Vergänglichkeit, Zerfall, Gedächtnisverlust, Anonymität, Verantwortungslosigkeit bleiben bestehen.
Karl Kraus verurteilte den jüngeren Journalismus gegenüber der traditionellen Schriftstellerei und wertete dadurch seine eigene journalistische Tätigkeit auf. Der Literaturwissenschaftler Marshall McLuhan verteufelte die elektronischen Medien gegenüber dem Buch und machte sie gerade damit attraktiv. – Das erfolgreiche Ausmalen der Katastrophe stellt sich der Katastrophe selbstbewusst entgegen.
Auch Wikipedia wird auf diese Weise den traditionellen Medien gegenübergestellt:
- […] Wikipedia ist ein Mosaikstein im Prozeß der Gedächtnis-Entlastung durch die digitalen Systeme bei gleichzeitig sich abzeichnenden Tendenzen einer Liquidierung tradierter Einrichtungen des Gedächtnisses (Bibliotheken, Geisteswissenschaften, Rechtschreibung, Theater, Opernhäuser, Museen etc.). Und dies begünstigt unter anderem durch den rapiden Verlust des ikonographischen Gedächtnisses antiker, christlicher und klassischer Tradition, im Verbund mit funktional und nur noch an Zukunfts-Kompetenz orientierten Erziehungssystemen sowie der Erfahrungslosigkeit virtueller Medien- und Informationswelten. Manfred Osten, Forschung und Lehre (10/2004), S. 561.
Literatur [Bearbeiten]
- Philippe Ariès: Geschichte des Todes. München: dtv 1982. ISBN 3423301694
- Liana DeGirolami Cheney: The Symbolism of Vanitas in the Arts, Literature, and Music. Comparative and Historical Studies. Lewiston: Mellen 1992. ISBN 0889463999
- Richard B. Woodward: Vanitas. Meditations on Life and Death in Contemporary Art. Virginia: Museum of Fine Arts 2000. ISBN 0917046552
- Mathias Spohr: „Das Problem der Vanitas. Goethes Faust und das Faust-Sujet im populären Musiktheater“, in: Maske und Kothurn 45 (2001), H. 3-4, S. 71-91
- Ders.: „Kann eine Herkunft durch Leistung erworben werden? Vanitas in der italienischen und Identität in der deutschen Oper“, in: Sebastian Werr, Daniel Brandenburg (Hrsg.): Das Bild der italienischen Oper in Deutschland. Münster: Lit Verlag 2004, S. 177–190. ISBN 3825882799