Vernetzte Sonderpädagogik: eine Wissenschaft geht ins Internet

Beate Tröger / Michael Storf


Inhalt


Das Internet ist seit wenigen Jahren ein Wort auch in vieler Sonderpädagogen Munde: kaum ein anderer Begriff löst gegenwärtig im wissenschaftlichen Zusammenhang so viel konträre Positionen und Diskussionen aus, kaum ein anderer Begriff verführt so zu Grundsatzerklärungen und Fraktionenbildungen. Dabei erweist sich die Unkenntnis über die tatsächlichen Gegebenheiten einer Netz-Nutzung keineswegs als Hinderungsgrund solcher Positionierungen - Apologeten wie völlige Gegner argumentieren häufig mit viel Emphase, jedoch nicht immer mit ebensoviel Hintergrundwissen.


Elektronisches Publizieren - was ist möglich?

Zentrales Anliegen jeder forschenden Arbeit muß es sein, möglichst schnell, einfach und effektiv die Ergebnisse dieser Forschungen zu veröffentlichen - im Dienste der Wissenschaft und der eigenen wissenschaftlichen Reputation. Besonders für 'Neu'-Wissenschaftler aber ist diese Forderung ebenso beruflich unabdingbar wie nicht immer unproblematisch zu realisieren: traditionelle Publikationswege sind mühsam und schwer gangbar, bleiben sie doch leider in der Praxis oft einem bereits existierenden wissenschaftlichen Ruf vorbehalten. Gerade bei den klassischen Schriften der wissenschaftlichen Neulinge, den Dissertationen, wird dies eklatant sichtbar: die Publikation in einem Verlag ist nicht einfach erreichbar - womit jedoch in vielen Fällen keineswegs kausal eine Aussage über den wissenschaftlichen Wert der Dissertation verknüpft ist.

Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren vermutlich zuspitzen, betrachtet man die Zahlen der Studierenden und potentiell an wissenschaftlicher Arbeit Interessierten - eine Entwicklung, die nicht nur für die Sonder- und Heilpädagogik und nicht nur für Deutschland gilt: die Verdoppelungszeit des wissenschaftlich ausgebildeten Bevölkerungsanteils auf der Welt liegt derzeit bei unter fünfzehn Jahren. Damit ist ein korrespondierend exponentieller Anstieg der Fachpublikationen verbunden - in einzelnen Fachbereichen hat der Publikationsumfang bereits die Marke von jährlich bis zu 600.000 Veröffentlichungen erreicht.

Für die rezipierende Wissenschaft ist es entsprechend zunehmend schwierig, der Texte habhaft zu werden, ja oft von ihnen bibliographisch überhaupt zu erfahren - aber auch für viele Autoren erweist sich das Veröffentlichen eigener Erkenntnisse als mühselig, da langwierig (bis zum Druck sind manche Forschungsergebnisse bereits 'kalt') und u.U. teuer (mit 2000 bis 4000 DM läßt sich ein sog. Dissertationsverlag das wissenschaftliche Gesellenstück der Wissenschaftler bezahlen).

Dieses Problem wird allmählich erkannt - und es wird nach Lösungen gesucht: Lösungen mithilfe des Internets. Modellhaft für die Sonderpädagogik ist etwa ein Ansatz der Universitätsbibliothek Dortmund zu nennen: ELDORADO - ELektronisches Dokumenten- Retrieval- und Archivsystem Dortmund;
ähnliche Bemühungen gibt es disziplinär verschoben auch an anderen Universitäten - nicht zuletzt in Form einer entsprechenden Initiative wissenschaftlicher Fachgesellschaften unter dem Titel Dissertationen online, an der auch die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft beteiligt ist.

Allen diesen Bemühungen sind einige Kerngedanken gemeinsam - grundsätzlich nämlich geht es stets darum, ein Veröffentlichungsmodell zu entwickeln, das drei Aspekte berücksichtigt:

Entscheidende Voraussetzung des ganzen Verfahrens ist das Akzeptieren dieser Publikationswege von Seiten der Wissenschaft aus - beispielsweise durch eine entsprechende Veränderung der Promotionsordnungen, die die elektronische Abgabe des Prüfungstextes als eine denkbare Abgabeform neben den traditionellen Möglichkeiten der Verlagspublikation oder der Kopienerstellung anerkennen. Dieses Modell wird seit Jahren an Universitäten im Ausland mit Erfolg praktiziert: an der Universität Groningen etwa werden - quer durch alle wissenschaftlichen Disziplinen - fünfzig Prozent der Dissertationen elektronisch abgegeben. Aber auch bei anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen bieten sich die Möglichkeiten des neuen Mediums an.


... und was ist bereits vorhanden? Volltexte im Internet

Bereits heute bietet das Internet vielfältige interessante Ressourcen recht unterschiedlicher medialer Couleur: es finden sich Dokumente von der Länge kurzer Aufsätze bis hin zu umfangreichen buchähnlichen Veröffentlichungen, von klassischen Texten bis hin zu Multimedia-Gestaltungen. Einige wenige Beispiele sollen dies verdeutlichen:

Das Online-Lexikon Betreuungsrecht von Horst Deinert etwa offeriert in medienadäquater Aufarbeitung einen sehr umfassenden Überblick über das in der Überschrift in Aussicht gestellte Thema - direkt in HTML am Bildschirm zu lesen.

Anders verfährt hier Anita Büsing, die Autorin einer eher kurzen Arbeit zum Kontext Der Offene Kindergarten als Lebensraum für behinderte und nicht behinderte Kinder - sie präsentiert ihre Publikation als Postscript-Datei zum Herunterladen auf den eigenen Rechner; erst wenn dies geschehen ist, können sich die potentiellen Rezipienten den Text tatsächlich ansehen. Beide Publikationsweisen kommen im Internet häufig vor.

Keinen Beitrag eines einzelnen Autors oder einer Autorin, sondern komplexe Aufsatzsammlungen bieten das V. Dresdner Kolloquium Hochschulstudium für Sehgeschädigte - Mit der Braillezeile auf die Datenautobahn; Chancen und Probleme der Nutzung des Internet für Sehgeschädigte und das 11. Österreichische Symposium für die Integration behinderter Menschen. Die Texte des letzteren werden als sofort lesbare HTML-Dateien oder als auf den eigenen Rechner herunterladbare RTF-Dateien zur Verfügung gestellt (Anleitungen zum Herunterladen und Öffnen von RTF sind nutzerfreundlich mit eingebunden). Bemerkenswert ist, daß diese Publikation nur im Internet zur Verfügung steht: eine Papierversion gibt es nicht! Diese Ausschließlichkeit ist eher eine Ausnahmeerscheinung, Konferenzberichte werden jedoch zunehmend parallel zur Printausgabe über das Netz veröffentlicht - zum Teil allerdings können Interessierte hier auch nur die Vortragsabstracts lesen, was wohl oft mit der Tagungsfinanzierung über den Verkauf der Vortragsbände zu tun haben wird.

Sehr interessante Rezeptionsmöglichkeiten bietet die Publikation von (zum Teil multimedial aufbereiteten) Lexika und Nachschlagewerken im Internet - hier läßt sich etwa das die Gebärdensprache per Visualisierung wiedergebende Fachgebärdenlexikon Psychologie nennen. Klassisch textorientiert ausgerichtet ist dagegen beispielsweise das 5. Kapitel der ICD 10, der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Ein solches Nachschlagewerk ermöglicht das rasche Recherchieren und Bearbeiten von speziellen Fragen ohne aufwendige sonstige Literatursuche.

Erwähnt werden soll schließlich der Ratgeber Behinderung (Copyright Holger Hünermund) - ein typischer Ratgeber ebenfalls mit der Funktion des schnellen, aber hier i.d.R. nicht wissenschaftlich motivierten Nachschauens zu den Themen Früherkennung und Vorsorge, Therapien, Bildung, Arbeit, Wohnen, Integration, Pflege, Hilfsmittel, Freizeit, Internet und Behinderung etc.


Wegweiser im Netz: sonderpädagogisch relevante Daten-Sammlungen

Volltexte im Internet stellen insgesamt sehr interessante und sinnvolle Datenquellen dar - und ihr Fundus nimmt langsam aber stetig zu. Mit ihm jedoch steigt auch der Anteil des für den jeweiligen Interessenkontext Irrelevanten. Viele Wissenschaftler fühlen sich hier eher orientierungslos der schier unüberschaubaren Masse des Möglichen und Zufälligen im Netz ausgeliefert als durch die Vielfalt des Machbaren bereichert und blicken sich entsprechend hilfesuchend nach Wegweisern im Datendickicht um - oder haben bereits resigniert und das Internet als nicht in akzeptabler Weise nutzbar abgehakt. Diesem Dilemma will ein Projekt begegnen, das - unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie - kooperativ in verschiedenen Universitätsbibliotheken in Deutschland gestartet wurde: das Projekt IBIS, das Internetbasierte BibliotheksInformationsSystem. IBIS tritt mit dem Ziel an, genau diese Relevanz-Schneise in den Dokumentendschungel Internet zu schlagen, die sich viele Wissenschaftler dringend wünschen. In einer Online-Datenbank werden sonderpädagogische Internet-Ressourcen gesammelt und inhaltlich durch Verschlagwortung und Abstracts erschlossen: Zeitschriften und Bücher, Vorlesungsskripte und Tagungsberichte, Bibliothekskataloge und Bildungsserver. Dabei werden auch Interdisziplinaritäten abfragbar: die Datenbank umfaßt alle Wissenschaftsdisziplinen, also etwa den Kontext der Erziehungswissenschaften, der Medizin, der Psychologie etc.
Hinweise auf in IBIS noch aufzunehmende Seiten im Netz nehmen die Datenbank-Organisatoren gerne entgegen - IBIS befindet sich im Aufbau und ist zur Zeit noch recht klein. Sein Ansatz aber läßt auf mehr hoffen.

Das Internet erweist sich als geradezu prädestiniert für ein Angebot großer Daten-Sammlungen: durch das Client-Server-Prinzip des Netzes können die Nutzer mit der Rechnerkapazität vorhandener Großrechner arbeiten und auf diese Weise riesige Datenmengen nach dem für sie Interessanten durchsuchen. Entsprechend ist IBIS nicht die einzige Recherchemöglichkeit, die das Internet bietet - wenn auch durch die umfangreiche inhaltliche Erschließung der Texte und vor allem durch deren direkte Erreichbarkeit über Links sicherlich eine der komfortabelsten. Der Recherche-Regelfall im Netz aber ist statt solcher unmittelbarer Textanbindung im Moment noch die klassische bibliographische Literatursuche nach den nach wie vor auf dem traditionellen Papierwege veröffentlichten Texten.

Typische Beispiele für eine solche Literatursuch-Möglichkeit sind die großen Bibliothekskataloge, die fast alle bereits über das World Wide Web erreichbar sind.

Für den sonderpädagogischen Kontext besonders zu nennen ist hier der Katalog der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, einer Bibliothek mit explizitem Literatur-Sammelschwerpunkt im erziehungswissenschaftlichen und sonderpädagogischen Bereich. Leider ist gerade dieser Katalog sehr unkomfortabel in seiner Handhabbarkeit: unübersichtlich gestaltete Einstiegsseiten und im Kreis führende Links verweigern Suchenden, die im Besitz von Rechnerversionen mit Windows 3.1 oder 3.11 sind, den Zugriff auf den WWW-Katalog und verweisen sie auf die äußerst unbequeme Recherche über eine Telnet-Verbindung.

Komfortabler zeigt sich da die Suche im Katalog der Universitätsbibliothek Dortmund. Die Bibliothek hat innerhalb Nordrhein-Westfalens den entsprechenden Sammelschwerpunkt im Rahmen der Zeitschriften inne, kann aber nicht zuletzt durch die Größe des ansässigen universitären Fachbereiches Sondererziehung und Rehabilitation auch gut ausgebaute Buchbestände präsentieren.

Hilfreich ist zudem der Katalog der Zentralbibliothek für Medizin in Köln. Er beinhaltet neben der Suche nach Büchern und Zeitschriftentiteln eine kostenpflichtige Bestellmöglichkeit von Zeitschriften-Aufsätzen, die sich Interessierte per Mail, Fax oder der Gelben Post schicken lassen können.

Fast alle deutschen Bibliotheksbestände sind darüber hinaus parallel abfragbar im KVK, im Karlsruher Virtuellen Katalog.

Neben solchen Bibliothekskatalogen sind die bibliographischen Datenbanken eine weitere über das Internet zu nutzende Recherchevariante, die angeboten wird.

Die Datenbank Rehadat etwa ist seit Oktober 1997 online über das Netz erreichbar. Sie präsentiert sich mit einer in zehn Suchbereiche und dahinterliegende Suchmasken untergliederten Homepage recht nutzerfreundlich, wenn auch die Handhabung der Suchmasken nicht immer eindeutig ist und eine Lektüre der bereitgestellten Hilfetexte erfordert. Das Rechercheangebot scheint insgesamt begrüßenswert - nicht zuletzt, weil eine Suche nicht nur auf Literatur beschränkt bleiben muß: offeriert werden die Kategorien 'Technische Hilfen, Praxisbeispiele, Literatur, Recht, Medien, Adressen, Einrichtungen, Forschung, Werkstätten, Seminare'.

Ebenfalls ein berichtenswertes Suchinstrument bis zurück zum Jahr 1966 präsentiert Medline, eine kostenlos zu nutzende, sehr aktuelle medizinische Datenbank mit neun Millionen Datensätzen. Die bibliographischen Rechercheergebnisse werden über eine Verschlagwortung entsprechend des medizinischen Fachthesaurus' MeSH Terms erweitert, zum Teil gibt es darüber hinaus auch Abstracts - besonders interessant aber ist Medline vor allem aufgrund des unter dem Begriff 'Related Articles' angebotenen Suchservice nach verwandten Gebieten, Begriffen bzw. Texten. Bei der Nutzung zu beachten ist allerdings der deutlich angloamerikanische Schwerpunkt der Datenbank: die Suche nach 'Autism' ohne Trunkierungszeichen bringt 4740 Treffer, diejenige nach dem deutschen Begriff 'Autismus' gerade drei (die über 'Related Articles' dann noch auf 135 Treffer aufgepolstert werden können). Die Suche nach dem deutschen Begriff 'Behinderung' ergibt genau einen Treffer.

Eine weitere bibliographische Sammlung wird von Seiten des Deutschen Institutes für internationale pädagogische Forschung herausgegeben. Dieses Institut vertreibt die CD-ROM Bildung, die nun seit kurzem eine Erweiterung im Internet vorzuweisen hat: die CD Bildung Aktuell - allerdings stets nur mit den noch nicht auf der jeweiligen letzten CD-ROM erfaßten bibliographischen Angaben: wird die CD neu gepreßt, verschwinden diese Daten im Netz und an ihrer Stelle werden neue, noch nicht auf der CD enthaltene gesammelt. Trotz der Einschränkung lohnt die Recherche, da auf diesem Wege tatsächliche Aktualität des Bibliographierens erreicht werden kann.

Neben diesen eher traditionellen Möglichkeiten bibliographischer Präsentationen tritt im Netz auch eine stärker medienspezifische Verweisungsform auf: die Linksammlung. Hierbei werden Links, also unmittelbare Verknüpfungen auf einzelne relevante Internetseiten, zusammengefaßt und können so als Sprungbrett ins Netz dienen.

Eine gute Sammlung ist beispielsweise zu finden bei BIDOK - BehindertenIntegration-Dokumentation, einer Dokumentation zu Fragen der Integration behinderter Menschen am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck: innerhalb der Kategorien 'Selbstbestimmt leben, Universitäten, Behinderte an den Universitäten, Eltern-Initiativen / Schulische Integration, Didaktische Hilfen, Schulforschung, Zeitschriften/ Medien' und der etwas unpräzise benannten Kategorie 'Weiteres' werden vielfältige Netzressourcen gebündelt und grob kategorisiert angeboten, ergänzt um eine Zusammenstellung englischer, italienischer und schwedischer Links.

Noch umfangreicher und recht professionell aufbereitet erweist sich eine andere Quelle: unter dem Titel Internet und Behinderung sind vielfältige Netzangebote konzentriert, nutzerfreundlich alphabetisch geordnet und mit internen sog. Sprunglinks innerhalb der langen Liste und einer vielfältig gestreuten Back-Funktion schnell ansteuerbar gemacht. WWW-Angebote von A wie 'ABM - Arbeitsgemeinschaft Behinderte in den Medien' bis Z wie 'Zentrum für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser' werden dabei ebenso berücksichtigt wie Gopher, Newsgroups und FTP-Server - eine insgesamt sehr differenzierte Sammlung, aufbereitet im Rahmen des genannten Ratgebers Behinderung.


Zeitschriften im Netz

Eine eigene publizistische Kategorie bilden die elektronischen Zeitschriften und Online-Magazine des sonderpädagogischen Kontextes. Das Internet enthält bereits heute eine Vielzahl von ihnen - sie müssen sich allerdings zu einem recht großen Teil noch einen kritischen Blick gefallen lassen sowohl hinsichtlich ihres tatsächlichen inhaltlichen Angebotes als auch hinsichtlich ihrer gestalterischen Form. So erweisen sich bei näherem Hinsehen etliche der Zeitschriften als reine Bestellformulare oder Werbeanzeigen für die Print-Versionen der Blätter - ein typisches Phänomen vieler sog. 'laufender Publikationen' im Netz, die nicht als originäre E-Zines, als tatsächliche Elektronische Zeitschriften erscheinen, sondern lediglich die elektronische Version eines genuin papierernen Korpus' bilden. Ebenfalls sehr verbreitet, aber inhaltlich schon deutlich sinnvoller als solche Werbekampagnen sind die Recherche-Angebote über Inhaltsverzeichnisse, zum Teil erweitert um Kurzbeschreibungen und Verschlagwortungen der einzelnen Artikel der Zeitschriften - ein Desiderat bleibt der Zugriff auf den Text selbst aber gleichwohl.
Auch die Gestaltung der einzelnen Zeitschriftenseiten scheint an einigen Stellen noch nicht ausgereift. Lange, linear strukturierte Text-Listen etwa sind dem Medium Internet gegenüber eine inadäquate Gestaltungsform: das gezielte Aufsuchen oder auch das Ausdrucken einzelner Artikel wird so fast unmöglich gemacht. Ebenso medien-unangemessen ist das häufige Fehlen von Back-Funktionalitäten auf solchen Seiten - selbst am Ende der langen Textfolge angelangt, wird oft keine Verlinkung zurück zum Seitenanfang ermöglicht. Ursache solcher Gestaltungen ist die Übertragung eines Denkens in Papier-Ausgaben auf das neue Publikationsmittels, ohne dessen mediale Spezifika wahrzunehmen bzw. ihnen Genüge zu tun. Möglichkeiten, aber auch Notwendigkeiten einer gegenüber der traditionellen Veröffentlichungsform veränderten Publikationspraxis bleiben unberücksichtigt.

Trotz solcher Kritik aber kann man erkennen, daß hier eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits durchaus interessante Aspekte beinhaltet. Dabei sind wissenschaftliche Zeitschriften ebenso zu nennen wie Publikationen eines populärwissenschaftlichen Bereiches oder auch Texte von Selbsthilfegruppen, Elternzusammenschlüssen etc.
Ein kurzer Überblick über einige Beispiele dieses gesamten Veröffentlichungsspektrums soll die aktuelle Publikationssituation im Netz ein wenig verdeutlichen. Die vorgenommene Gliederung der Zeitschriften ist dabei als reine Lektürehilfe zu werten.

Wissenschaftliche Zeitschriften
Sonderpädagogik i.e.S.

VHN - Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
"Die VHN gilt als eine der führenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften im Bereich der Heil- und Sonderpädagogik im deutschsprachigen Raum" - mit diesen Worten kennzeichnet sich die Zeitschrift auf ihrer Homepage im Internet selbst. Sie beschreibt weiterhin die Möglichkeiten und Kosten einer Abonnierung ihrer Papierausgabe - an die eigentlichen Volltexte der Zeitschrift, die eigentlichen Artikel aber kommen interessierte Leser auf diesem Wege nicht heran. Die tatsächliche Lektüre erfordert nach wie vor den Griff zum Print-Exemplar der Zeitschrift. Daß das hier vorliegende Internet-Angebot der Vierteljahresschrift gleichwohl von Interesse ist, verdankt sich der Tatsache, daß den Suchenden ab Heft 1/1995 kurze Abstracts der einzelnen Themenartikel offeriert werden.

Behindertenpädagogik
Die Zeitschrift Behindertenpädagogik liefert einen solchen sinnvollen Service leider nicht in ihrer Internet-Version: hier erhalten interessierte Leser lediglich die Möglichkeit, ein Abonnement der Papierausgabe per Mail abzuschließen. Allerdings werden - und dies wiederum kann unter Umständen dann doch interessant sein - die Inhaltsverzeichnisse nicht nur der aktuellen Hefte angeboten, sondern als sofort lesbare HTML-Version die Indices der Jahrgänge 1995 und 1996 sowie die Jahrgänge 1980 bis 1996 als sog. gepackte DBASE-Datei (wobei nutzerfreundlich ein Windows-Browser zum Herunterladen per Link neben die Datei gelegt ist) bzw. die Jahrgänge 1980 bis 1995 als ebenfalls gepackte WINDOWS-WRITE-Datei. Das mit der tatsächlichen Rezeption dieser beiden Versionen eines Gesamt-Inhaltsverzeichnisses eingeforderte technische Wissen der Nutzer beim Laden der Dateien auf den eigenen Rechner ist nicht besonders groß, mag aber doch bei einigen die Lektüre verhindern - eine andere Angebotsform der Indices ist sicherlich wünschenswert.

Behinderung und Dritte Welt
Behinderung und Dritte Welt erscheint 1997 im achten Jahrgang ihrer Printausgabe - und seit Heft 1/1991 ist laut Aussage der Zeitschriften-Homepage fast der gesamte Zeitraum auch im Internet rezipierbar. Dies wäre ein sehr erfreulicher Umstand - leider erhält der Interessierte bei den Versuchen, die Hefte 1/1991 bis 2/1995 tatsächlich anzuklicken, bislang jedoch nur Fehlermeldungen. Hier ist aber auf Verbesserung und damit auf Zugriffsmöglichkeiten auf die Zeitschrift zu hoffen, wie sie für die Hefte 1/1996 - 3/1996 bereits gegeben sind: die einzelnen Artikel sind alle als Volltexte direkt auf dem Bildschirm lesbar - allerdings in nicht sehr nutzerfreundlich gestalteter linearer Textfolge.

Zeitschrift für Heilpädagogik
Die Zeitschrift für Heilpädagogik ist bislang nur mit einer sehr knappen, wenige Sätze umfassenden Selbstdarstellung unter der Homepage des Verbandes Deutscher Sonderschulen im Internet vertreten - weiteres ist aber angekündigt. Man darf gespannt sein ...

Geistige Behinderung
Geistige Behinderung erscheint als Papierversion 1997 bereits in ihrem 36. Jahrgang - im Internet bietet sie neben den Angaben über die Abonnement-Möglichkeiten der Printausgabe jedoch lediglich das Inhaltsverzeichnis des je aktuellen Heftes, dieses allerdings mit Abstracts der einzelnen Artikel versehen. Hier wäre mehr zu wünschen.

Sonderpädagogik und Psychologie

Eine eigene Kategorie der Internet-Präsentation nehmen die im Schwerpunkt psychologisch-sonderpädagogischen Zeitschriften (beispielsweise die Psychologische Rundschau) ein, die bei den Verlagen Hogrefe und Huber herausgegeben werden . Diese beiden Verlage erfassen ihre Zeitschriften im Netz unter einer gemeinsamen Homepage. Bei allen Zeitschriften werden die Inhaltsübersichten der einzelnen Hefte der Jahrgänge 1995 bis 1997 angeboten, dazu Abstracts der in ihnen enthaltenen Artikel sowie eine Verschlagwortung dieser Artikel, Schlüsselwörter genannt. Es wäre allerdings wünschenswert, solche an sich sehr sinnvolle Verschlagwortung auch in einer in die Zeitschriften-Homepage selbst integrierten Suchoption recherchierbar zu machen. Deutliches Desiderat sind darüber hinaus auch in diesem Fall die fast ausnahmslos fehlenden Volltexte.

Interdisziplinäres

Ästhetik und Kommunikation
Ästhetik und Kommunikation erscheint bereits in ihrem 28. Jahrgang mit Heft 88 (1/1995), wenn sie sich im Februar 1995 erstmals ins Internet begibt - zunächst aber nur mit einer Übersicht über die Inhaltsverzeichnisse der Papierausgabe. Mit Heft 96 (1/1997) und dem passenden Thema "Online-Verstrickungen" jedoch ändert sich diese Ausrichtung ein wenig: jetzt werden auch einzelne Texte in Vollform angeboten; die gesamte Gestaltung präsentiert sich zudem durch die nun existierenden Links etwas übersichtlicher, wenn auch noch nicht wirklich medienspezifisch mit ihrer langen linearen Liste von Heft-Titeln.

Blätter der Wohlfahrtspflege: Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit
Die Blätter der Wohlfahrtspflege liegen seit dem Heft 7/8 1996 der Papierversion auch im Netz vor. Ein Suchmodus erlaubt die gezielte Suche nach bestimmten Themen zugleich in allen online verfügbaren Heften - leider aber nicht mit dem daran angebundenen Direktzugriff auf den Volltext: verfügbar ist im Regelfall lediglich ein Überblick über die Inhaltsverzeichnisse der einzelnen Hefte. Teilweise werden diese Basisangebote erweitert um anklickbare Abstracts der einzelnen Artikel; einige wenige Aufsätze sind auch als Volltext verlinkt. Für die älteren Hefte der Blätter wird eine Überblicksliste der jeweiligen Themenstellungen angeboten.

Verbandszeitschriften

Management of Neuromuscular Diseases
Die trotz des englischen Titels bislang deutschsprachige Publikation der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke offeriert seit der Nummer 1 September 1995 ein bis zwei Artikel als Volltexte im Internet. Leider braucht die Zeitschrift beim Laden auf den eigenen Rechner relativ viel Zeit; auch ist das Layout nicht sehr geschickt gewählt - nicht zuletzt durch die Einbindung von Frames, deren Lesbarkeit auf dem PC eine gewisse technische Grundausstattung erfordern, die die Gestalter von Internet-Seiten sinnvollerweise nicht als selbstverständlich gegeben voraussetzen sollten.

Das Band
Das Band, die Zeitschrift des Bundesverbandes für Köper- und Mehrfachbehinderte, begreift sich selbst als Mischung aus Elternzeitschrift, Fachorgan, Diskussionsforum und Betroffenenmagazin. Sie liegt seit 1996 in einer elektronischen Version ihrer Printausgabe vor. Zum Teil werden auch hier nur die Heft-Inhaltsverzeichnisse offeriert, zum Teil jedoch gibt es auch Links zu Volltexten. Von den sechs Titelthemen 1996 beispielsweise liegen zu 'Behinderung und Sexualität' und 'Spannungsfeld Pflege' Texte vor, 1997 zu 'Alter und Behinderung'.

Der Kieselstein
Der Kieselstein als Informationsmedium der Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe hat sich in seiner seit 1978 bestehenden Printausgabe vier Schwerpunkte gesetzt, die auch die seit Heft 6/1997 existierenden Internet-Version verfolgt: 'Hilfe zur Selbsthilfe', 'Erfahrungsaustausch' und 'Seminar- und Vereinsinformationen', aber auch ein 'fachlicher Überblick' wird auf die eigenen Veröffentlichungsfahnen geschrieben. Leider sind auch hier die Texte nur zum Teil als Volltext abrufbar; im Gegensatz zu anderen Zeitschriften aber ist offensichtlich der Versuch unternommen worden, die recherchierbaren Inhaltsverzeichnisse über interne Links ein wenig mediengerecht aufzubereiten.

Marburger Beiträge zur Integration Blinder und Sehbehinderter
Einen ähnlichen Versuch haben die Marburger Beiträge, herausgegeben vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf und der Deutschen Blindenstudienanstalt, unternommen - auch hier ist mit Hilfe interner Verlinkungen der Texte Rücksicht auf das genutzte Medium Internet genommen worden. Die Marburger Beiträge bestehen als Papierversion 1997 in ihrem 71. Jahrgang, sind also eine 'altehrwürdige' Zeitschrift, die es mit dem Heft 1/1997 aber schafft, tatsächliche Volltexte im Internet anzubieten. Die Hefte ab der Nummer 2/1997 fehlen bislang - es ist zu wünschen, daß sich das Netzangebot auch auf sie ausdehnt.

Die Gegenwart
Die Gegenwart - Magazin für Blinde, Sehbehinderte und ihre Freunde ist das Organ des Deutschen Blindenverbandes. Seit dem Februar 1995 hat die Print-Zeitschrift diesen Internet-Ableger, in dem bislang aber recht wenige Artikel (meist lediglich kurze Meldungen) als Volltexte angeboten werden. Die weiteren Heftelemente sind allenfalls über ein Inhaltsverzeichnis erschlossen, das monatsweise abgerufen werden kann für die Jahre 1995 bis 1997.

Muskel-Report
Die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke mit dem Untertitel "Forschungsinitiative und Muskelkranken-Selbsthilfe" liegt als Volltext im Internet vor - bislang allerdings nur mit den Heften 3/1996 und 1/1997. In Anbetracht der Tatsache, daß die Papierversion viermal pro Jahr erscheint, ist diese Netz-Speisung also eher zögerlich. Da es sich bei der Zeitschrift aber um ein Blatt mit durchaus interessanten Inhalten handelt, lohnt es sich, hier auf mehr zu hoffen.

Was nun?
Die Zeitschrift des Bundesverbandes der Elterninitiativen zur Förderung hyperaktiver Kinder liegt lediglich mit Heft 2/1996 der Printausgabe im Internet vor. Selbst bei diesem einen Heft aber sind nur einzelne wenige Texte als Volltexte verfügbar, so daß die Internet-Zukunft dieser Zeitschrift noch ungewiß scheint - zumal auf der Homepage betont wird, es handle sich um eine "Kostprobe". Ob es sich bei der elektronischen Version also um eine weitergehende Internet-Publikationsaktivität handeln wird, muß sich erst noch erweisen - bei der Qualität der zugreifbaren Volltexte wäre das sicherlich zu wünschen.

hörgeschädigte kinder
Auch die Zeitschrift hörgeschädigte kinder, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen, präsentiert im Internet lediglich ein Heft (2/1997) - in einer Frameversion mit allen an solchen Darbietungsformen hängenden technischen Problemen. Gezeigt wird das Inhaltsverzeichnis; dazu gibt es einige Volltexte vor allem aus der heftübergreifenden Artikelserie "(Computer-) Power to the Deaf".

Betroffenenmagazine

Berlin konkret
Die mit Ausgabe 2/1997 im Internet präsente Zeitschrift des Berliner Behindertenverbandes ist ein typisches Beispiel eines lokalen Blattes mit Betroffenenmagazin-Charakter - gerade für diese Gruppe erweist sich das Netz als ein ideales Publikationsmedium. Anklickbar sind etliche zum Teil sehr kurze Artikel ohne wissenschaftlichen Anspruch, aber mit dem expliziten Anliegen gezielter Information. Ob bei einem solchen Anliegen die Seitengestaltung mithilfe mehrerer Frames allerdings eine sinnvolle Layout-Entscheidung war, bleibt fraglich.
Ähnliches - und zwar Ähnliches nicht nur hinsichtlich der Inhalte, sondern ebenso hinsichtlich der Gestaltung - ist über andere Zeitschriften mit Betroffenenmagazin-Charakter zu sagen: Forum etwa, ein "Online Magazin für Behinderte", herausgegeben vom Club Behinderter und ihrer Freunde in Frankfurt und Umgebung oder die Hannoveraner Zeitschrift Lädiert - die Online-Zeitschrift für Behinderte und alle, die sich nicht dafür halten.

Leben mit Down-Syndrom
Leben mit Down-Syndrom wird herausgegeben von der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und erscheint in ihrer Papierversion dreimal jährlich. Die Internetausgabe umfaßt neben den Bestellformularen für diese Papierversion lediglich "eine Auswahl der Themen in vorigen Ausgaben", wie die Homepage es formuliert, und dazu das Inhaltsverzeichnis des vorletzten Heftes, bei dem dann einige wenige Artikel als Volltext angeboten werden. Hier wäre in Anbetracht der zum Teil recht interessanten Themen mehr zu wünschen.

Betrifft: Integration
Solche Wünsche erfüllt (trotz einiger technischer Kritik der Seitengestaltung) der Rundbrief einer Kooperation von Integration: Österreich, Elterninitiative für gemeinsames Leben behinderter und nichtbehinderter Menschen und dem Verein Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen. Seit Heft 2/1995 ist dieser Rundbrief vollständig per Internet abrufbar, ausgestattet mit dem sehr sinnvollen zusätzlichen Service einer Volltext-Suchmöglichkeit über alle ab diesem Zeitpunkt erschienen Ausgaben hinweg.


Ausblick

Die dargelegte Zusammenstellung verschiedener zukünftiger, aber ebenso etlicher schon existierender Publikationsmöglichkeiten und Veröffentlichungs-Spielarten im Internet läßt erkennen, daß hier eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die für die Sonderpädagogik interessante Perspektiven enthält. Noch sind, das belegt etwa der Blick auf die Zeitschriften, die ersten publizistischen Gehversuche eher mühsam und dem neuen Medium gegenüber nicht immer angemessen; auch ist das Internet sicherlich kein Allheilmittel wissenschaftlicher neuralgischer Punkte, wie manche Apologeten des Netzes dies beteuern. Aber es bietet eigene Vorzüge und zunehmend relevante Inhalte, die zu nutzen dem sonderpädagogischen Arbeiten, Lehren und Forschen sehr hilfreich sein kann.

(Der Aufsatz ist auch veröffentlicht in: Zeitschrift für Heilpädagogik 49 (1998), H. 3, S. 90 - 95)


zurück zum Seitenanfang


Anschrift der Verfasser:

Dr. Beate Tröger
Fachhochschule Köln, Fachbereich 22
Claudiusstr. 1, 50 678 Köln
Universitätsbibliothek Dortmund
44 222 Dortmund
Beate.Troeger@ub.uni-dortmund.de
Michael Storf
Universitätsbibliothek Dortmund
44 222 Dortmund
Michael.Storf@ub.uni-dortmund.de
März 1998