Der Mythos von der Amerikanisierung
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Date
2009-08-18T11:43:38Z
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Welche Rolle spielen so genannte Qualitätsmedien wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in modernen Wahlkämpfen? Welche publizistischen Leistungen erbringen sie? Und stimmen die Klagen, die auch von diesen Medien erhoben werden, nach denen der deutsche Wahlkampf immer inhaltsleerer und damit „amerikanisierter“ wird? Diese Forschungsfragen werden in der vorliegenden Arbeit am Beispiel der SZ und der FAZ untersucht. Die aus dem aktuellen Forschungsstand definierten Thesen werden zum einen anhand von Interviews mit Politkern und Politikvermittlungsexperten überprüft, die sich über Rolle und Leistung von Qualitätszeitungen äußern. Zum anderen wird die Berichterstattung der beiden Zeitungen über das Thema Arbeitslosigkeit in den letzten vier Wochen des Wahlkampfs 2002 untersucht. Hier wird vor allem die Berichterstattung über die beiden TV-Duelle und das Rededuell im Bundestag zwischen den Kanzlerkandidaten ausgewertet.
Eine eingehende Analyse der Literatur zeigt, dass die Qualitätszeitungen entgegen einer auch in der Wissenschaft weit verbreiteten Ansicht in Wahlkämpfen gegenüber dem TV keineswegs eine marginale Rolle spielen. Sie sind für das Themenmanagement der Parteien, die „Königsdisziplin“ politischer Kommunikation, zentral. Grund ist ihre Fähigkeit, Inter-Media-Agenda-Setting-Effekte auszulösen. Im politischen Journalismus ist die SZ das einflussreichste Medium, gefolgt von der FAZ, den ARD-Nachrichten und Bild-Zeitung. Es gibt auch keine empirischen Nachweise oder logische Erklärung dafür, dass moderne Wahlkämpfe inhaltsleerer werden. Vielmehr haben die Parteien in Zeiten abnehmender Parteibindungen ein großes Interesse, Wähler über konkrete Themen und Sachfragen zu gewinnen. Hier bieten fast nur die Qualitätszeitungen den Raum, Sachverhalte und Zusammenhänge ausführlich darzustellen. Zwar ist die Wahlkampfführung von Seiten der Politik auch durch Schlagworte, Populismus und Leerformeln gekennzeichnet. Für die Politik ist aber dennoch die Legitimation über Inhalte gegenüber den Wählern unerlässlich.
Es zeigt sich vielmehr, dass es eher die Qualitätszeitungen sind, die für ihre Politikseiten weniger Sachthemen, sondern vor allem Politics, also Macht- und Kommunikationsthemen, im Wahlkampf nachfragen. Grund hierfür ist zum einen die gestiegene Medienkonkurrenz/ Mediatisierung, die eine Profilierung über Policies erschwert. Zum anderen führt die noch immer lebendige Tradition des deutschen Gesinnungsjournalismus dazu, dass Journalisten eher Interesse an Macht- als an Sachfragen haben. Dieser Gesinnungsjournalismus lässt sich noch in anderer Hinsicht nachweisen. In den letzten vier Wochen des Wahlkampfs 2002 waren die publizistischen Leistungen der SZ und FAZ beim Thema Arbeitslosigkeit gemessen an den Kriterien Vielfalt, Objektivität, unabhängige Kritik und Orientierung schwach. Hier fanden sich deutliche Elemente einer informellen Parteipresse. Dies war besonders bei der FAZ der Fall, während die SZ eher durch eine inhaltsschwache Berichterstattung auffiel, den Parteien aber gleichzeitig Profillosigkeit vorwarf. Im Politikteil der Zeitungen wurden Parteien und Kandidaten mehr anhand ihrer kommunikativen als ihrer politischen Kompetenz bewertet.
Den Begriff der „Amerikanisierung“ nutzen die Qualitätszeitungen, um ihre eigene Rolle normativ zu framen. Sie inszenieren sich so als unabhängige, gemeinwohlorientierte Aufklärer/ Anwälte von Wählern und politischen Inhalten. Doch dies lösen sie in Wahrheit durch ihre Leistungen nicht ausreichend ein. Und: Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass der von ihnen so gescholtene US-Wahlkampf policy- und sachorientierter ist als der deutsche.
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Table of contents
Keywords
Mediatisierung, Leitmedien, Politische Kommunikation, Politikvermittlung, Qualitätsmedien, Qualitätszeitungen, Wahlkampf, Amerikanisierung