Konzeptionierung und Etablierung von zwei divergierenden Ansätzen zur Beschleunigung der akademischen und industriellen Wirkstoffentwicklungskaskade
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2024
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Seit den 1980er Jahren versucht die Pharmaindustrie, den Wirkstoffentwicklungsprozess durch Computer- und Automatisierungstechnologien effizienter zu gestalten. Trotz dieser Bemühun¬gen erweist sich die Medikamentenforschung heute paradoxerweise langwieriger und kostspieliger als vor 40 Jahren. Dieses Phänomen wird als Eroom-Gesetz bezeichnet und er¬schwert die Entwicklung neuer Therapeutika erheblich. Angesichts der stetig zunehmenden Anzahl neu entdeckter pathologischer Erkrankungsmuster und globaler Gesundheitskrisen, wie Pandemien oder die Verbreitung multiresistenter Keime, ist es dringend erforderlich, den Wirk-stoffentwicklungsprozess schneller und risikofreier zu gestalten.
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen wurden im Rahmen dieser Doktorarbeit in zwei Forschungsprojekten voneinander unabhängige Strategien entwickelt, um die Entwick¬lungskaskade der Pharmaforschung zu beschleunigen und das Eroom-Gesetz zu durchbrechen.
Als ein wesentliches Hindernis in der Pharmaforschung gilt unter anderem der langsame und mangelnde Einzug innovativer Synthesetechniken in die Medizinalchemie. Dieser Umstand be-günstigt neben der limitierten Generierung neuer chemischer Materie auch eine regelrechte Verarmung des chemischen und biodiversen Raums innerhalb von Substanzbibliotheken. Mit der Etablierung des sogenannten FRAGTORY-Workflows konnte sich im Zuge des ersten For-schungsprojekts dieser Problematik jedoch angenommen werden. Neben der computerchemischen Konzeptionierung des quelloffenen, modular-aufgebauten und somit je¬derzeit erweiterbaren Arbeitsablaufs stand im Fokus der Forschungsbemühungen auch die experimentelle Etablierung zweier Synthesemethoden, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit als tendenziell unterrepräsentiert in der Medizinalchemie angesehen werden konnten. Im Gegensatz zu den konventionellen Designstrategien kommerziell-erhältlicher Bibliotheken, fo¬kussiert sich der FRAGTORY-Ansatz auf die Generierung sp3-reicher Fragmente vor dem Hintergrund einer rekursiven Pharmakophor-Analyse bereits vorhandener Bibliotheksvertreter. Diese Vorgehensweise ermöglicht den dynamischen Abgleich des bereits abgedeckten Pharma¬kophor-Raums und bietet damit Möglichkeit, Synthesekandidaten zu nominieren, die die entstehenden Lücken im chemischen Raum effektiv ausfüllen können.
In diesem Kontext konnte zudem auch die experimentelle Einbindung einer Eintopfreaktion zur Darstellung von 2-(Hydroxymethyl)morpholinen sowie einer oxa-DIELS-ALDER-Reaktion für die Generierung von α,β-ungesättigten Pyranonen und Dehydrocineolen Restriktionen bezüg¬lich des zuvor definierten Substratumfangs sowie der Tolerierbarkeit gegenüber der Variation von Reaktionsbedingungen aufdecken.
Dies ermöglichte schließlich auch die Ableitung empirischer Reaktivitätsregeln, welche für die spezifische Filterung des zugänglichen synthetischen chemischen Raums genutzt werden konn¬ten. Damit stellt der FRAGTORY-Workflow vor allem für die frühe Phase der Wirkstoffentwicklung ein probates Mittel zur Effizienzsteigerung dar und kann aufgrund seiner Modularität auch problemlos auf anspruchsvolle industrielle Applikationen angewandt werden.
Für die Entwicklung von Wirkstoffen zur Behandlung Seltener Krebserkrankungen stellt sich ein klassisches Vorgehen im Sinne einer vorwärtsgerichteten Pharmakologie hingegen aufgrund der häufig undurchsichtigen Datenlage, auftretenden Resistenzmutationen nach Gabe eines wirk¬samen Inhibitors sowie den geringen Fallzahlen und den damit verbundenen mangelnden finanziellen Anreiz für Pharmaunternehmen als unattraktiv dar. Die Behandlung von Patienten mit resistenzerworbenen gastrointestinalen Stromatumoren stellt ein Paradebeispiel für eine sol¬che medizinische Notlage dar, da bisher etablierte Behandlungsoptionen sich entweder als ineffektiv erweisen oder intolerierbare Nebenwirkungen hervorrufen. Für solche Fälle haben sich insbesondere sogenannte strukturbasierte Repositionierungsansätze als attraktive Möglich¬keit bewährt, den Prozess der Wirkstoffentwicklungskaskade zu verkürzen und somit auch im akademischen Umfeld zu ermöglichen.
Im Rahmen des zweiten Forschungsprojekts wurde daher im Zuge eines interdisziplinären Forschungs¬zusammenschlusses mit dem WESTDEUTSCHEN TUMORZENTRUM (WTZ), dem Max-Planck-Institut Dortmund zugehörigen COMPOUND MANAGEMENT AND SCREENING CENTER (COMAS) und dem LEAD DISCOVERY CENTER (LDC) in Dortmund, zunächst ein phä¬notypisches Hochdurchsatz-Screening (HTS) mit Hilfe von patienten-erschlossenen isogenen Zelllinienmodellen durchgeführt. Dabei wurden mehrere vielversprechende Treffermoleküle identifiziert, von denen eines aufgrund seiner hohen Potenz gegenüber einer Vielzahl von Muta¬tionen der Onkogene c-KIT und PDGFRα einer biochemischen Validierung unterzogen und durch strukturbasierte chemische Modifikation weiter optimiert wurde. Dabei dienten experimentell bestimmte Kristallstrukturen des Inhibitors im Komplex mit mu¬tiertem PDGFRα als Grundlage weiterer rationaler Modifikationen.
Die Synthese einer umfangreichen Substanzbibliothek ermöglichte weiterhin die Herleitung umfangreicher und ra¬tional-erklärbarer Struktur-Aktivitäts-Beziehungen (SAR) und Struktur-Pharmakokinetik-Beziehungen (SPR). In einem abschließend durchgeführten Hybridisierungs-ansatz konnte so¬mit schließlich ein Inhibitor erhalten werden, der im Vergleich zum Ursprungsmolekül verbesserte Selektivitäs- und PK-Eigenschaften aufweist und somit optimale Voraussetzungen für eine Weiterentwicklung zu einem potentiellen klinischen Kandidaten bie¬tet.
Description
Table of contents
Keywords
Fragmentbasierte Wirkstoffforschung, Substanzbibliotheken, Chemischer Raum, Pharmakophor-Analyse, Wirkstoff-Repositionierung, Drug repurposing, Strukturbasiertes Wirkstoffdesign, Struktur-Wirkungsbeziehung, Struktur-Pharmakokinetik-Beziehung, ADMET